Autofahrt mit Folgen
Es ist ein wunderschöner Tag, Donnerstag, der erste Ferientag, die letzten Sonnerstrahlen blitzen über den Horizont, und ich sitze im Auto, auf der Autobahn, auf dem Weg zu meiner Oma.
Ich rutsche weiter in den Sitz und lehne mich gegen die Tür. Mit einem erleichterten Seufzer lege ich die Beine hoch.
Nach einer Weile schlafen meine Beine ein, fluchend setze ich mich wieder auf und fang an meine Beine zu massieren.
Ich lasse das Fenster runter und der Wind zieht an meinen Haaren, während ich darüber nachdenke womit ich die Sommerferien verbringen werde.
Die zweite Woche fliege ich mit meiner Freundin nach Malle, und danach zu meiner Tante, was wohl etwas langweilig wird, aber ich freue mich trotzdem darauf.
Ich lehne mich nach vorne, schalte das Radio ein und versuche mit zu singen, irgendwann gebe ich es allerdings auf, es ist grade der neue Sommerhit geworden. Es ist eins dieser typischen Lieder, mit Yachten, wunderschönen Mädchen am Strand und glasklarem Meerwasser.
Verträumt schau ich aus dem Fenster. Nach einiger Zeit wird mir langweilig und ich krame in meiner Tasche, in der Hoffnung irgendetwas Interessantes darin zu finden. Ich finde meinen alten Schülerkalender, den ich noch aus meinem alten Schuljahr habe. Uninteressiert schlage ich das heutige Datum auf, der 25. Juli, heute wird es Vollmond geben.
Ich liebe Vollmond, ich stelle mir immer den Wecker auf Punkt null Uhr, wenn er klingelt stell ich mich ans Fenster und schaue mir genau 33 Minuten den Mond an. Eine meiner kleinen Macken…
Plötzlich hör ich Reifen quietschen, ich schau erschreckt nach vorne. Ein Auto ist vor uns ins schlingern gekommen und versucht nun verzweifelt zu bremsen. Meine Mutter reist das Lenkrand rum, ich starr panisch nach vorne und presse mich in den Sitz, doch nichts hilft, wie rasen durch die Leitplanke und einen Abgrund runter.
Es ist schrecklich das Gefühl zu haben man würde gleich sterben und kann nichts dagegen tun.
Wir fallen, fallen und fallen.
Ich will schreien, aber ich kann nicht, ich starre einfach nur nach vorne.
Es kommt mir vor wie Minuten, doch ich weiß es sind noch nicht mal Sekunden.
Plötzlich spüre ich einen starken Ruck und ich schlage mit dem Kopf gegen den Fordersitz. Ich schaue aus dem Seitenfenster, wir haben uns in einem dünnen Baum verfangen, seine Wurzeln krallen sich verzweifelt in den Boden, lange wird er uns nicht halten können.
Hastig krame ich in meiner Hosentasche, suchend tasten meine Finger. Irgendwo muss doch dieses Handy sein!!! Ich hab das doch mitgenommen!!! OH NEIN, das in meiner Tasche, im Kofferraum!!!
Auch meine Mutter ist starr vor Schreck, langsam dreht sie den Kopf, sie hat eine lange Platzwunde, die einmal quer über ihre Stirn verläuft, Blut tropft ihr von der Nase.
Mit leeren Augen schaut sie mich an, ohne Hoffnung.
Zitternd hebt sie ihre Hand ein Stück und bewegt ihre Lippen, es sieht aus wie ein Stummes „Leb wohl, ich liebe dich“
Nein, ich dich doch auch, du darfst niemals aufgeben!!!
Ich versuche ihre Hand zu greifen, sie zu trösten.
Ganz vorsichtig lehne ich mich nach vorne, doch da, der Gurt lässt sich nicht mehr weiter ziehen. Verzweifelt lehne ich mich nach hinten und starte einen neuen Versuch, jetzt hat der Gurt sich noch stärker verharkt und drückt mich in den Sitz. Ich versuch mich aus dem Gurt heraus zu winden, an meinem Kopf komme ich nicht mehr weiter, jetzt würgt der Gurt mich, mit aller Kraft reiße ich an dem Gurt, doch dass einzige was ich damit ereiche ist, dass er sich noch enger um meinen Hals legt, wenn ich den Gurt lösen wurde, würde ich das Risiko eingehen dass ich nach vorne durch die Scheibe falle.
Verzweifelt versucht meine Mutter sich zu mir umzudrehen um mir zu helfen, dabei kommt sie gegen das Gaspedal und die Räder fangen an sich zu drehen.
Die Räder drehen sich zwar nur einen kurzen Moment, aber das reicht, der junge Baum, in dem wir hängen, biegt sich gefährlich weit nach unten.
Jetzt wird auch meine Mutter panisch, versucht mich irgendwie aus diesem Gurt zu befreien…
Rettung - aber nur für eine
Von weit oben hör ich eine Sirene heulen.
Mein versuch mich aus dem Gurt zu befreuen habe ich Aufgegeben, vor Angst kann ich sowieso kaum atmen.
Nach ein paar Sekunden, es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, hör ich eine kräftige Männerstimme: „Zuerst das Mädchen, immer zuerst die Kinder!“ Neben mir taucht ein Mann auf, er hängt an einem dicken Drahtseil. Vorsichtig versucht er die Autotür zu öffnen, ohne Erfolg, die Tür hat sich bei dem Fall so sehr verbogen das man sie nicht mehr öffne kann.
Ohne zu zögern tritt er die Scheibe ein, doch das bringt den Wagen nur noch stärker aus dem Gleichgewicht. Die Rettungskraft holt ein Messer hervor und schneidet damit den Gurt durch.
Nehmt meine Mutter, ich kann warten, sie ist mir wichtiger!!! Doch alles was ich herausbekomme ist nur ein leichtes Hauchen.
Behutsam nimmt der Freuerwehrmann mich um die Hüfte und zieht mich durch das zerbrochene Fenster, Dabei schneide ich mich an einer Glasscheibe. Ich spüre wie sich das Glas in meinen Oberschenkel bohrt und dann langsam weiter gezogen wirt.
Ich zucke durch den plötzlichen Schmerz zusammen, der Mann guckt mich besorgt an: „Alles okay?“.
Nein, gar nichts ist okay. Meine Mutter ist noch im Auto und das kann jeden Moment abrutschen, ich bin grade fast erstickt und das Fenster durchtrennt gerade meine Hauptader, wie kann dann noch alles in Ordnung sein?!
Doch ich kann nur benommen nicken. Und versuchen die lange Schnittwunde zu ignorieren, schnell saugt sich meine Hose voll Blut.
Meine Mutter, die das ganze Geschen beobachtet hat scheint erleichtert. Als sie mein erschrocken Gesicht sieht versucht sie mich mit ihrem Blick zu beruhigen, eine Träne rollt ihr über die Wange, aber nicht vor Angst sondern vor Erleichterung.
Als ich endlich aus dem Auto raus bin kippt es stark nach vorne, verzweifelt versuch ich nach der Stoßstange zu greifen, doch wir sind schon zu weit oben. Ich zapple und schlage um mich, doch der Mann hat einen starken Griff und lässt mich nicht los.
Dann gibt der junge Baum vollends auf und bricht nach unten weg.
Ich sehe nur noch einen kurzen Moment das Gesicht meiner Mutter, sie lächelt leicht.
Plötzlich höre ich einen schrillen Schrei, dass mir die Ohren wehtun. Überrascht bemerke ich dass ich es bin der diesen Laut ausgestoßen hat.
NEIN!!!
Wie in Trance schaue ich in den Himmel, es sind keine Wolken und es erscheinen die ersten Sterne, ich suche nach dem Mond, das Einziege was mir noch geblieben ist. Doch er ist weg, einfach so, dass kann er doch nicht machen…
Meine Augen suchen weiter den Himmel ab, da eine Stelle zieht mich an, ich schaue genauer hin und erkenne dass die Stelle da etwas dunkler ist. Soll da etwa der Mond sein, ein schwarzer Vollmond?!
Ich merke nur noch wie wir langsam über die Kante gezogen werden und dann versinkt die Welt in Dunkelheit…
Böses Erwachen
Ich blinzle, grelles, kaltes Licht brennt mich in den Augen. Steif versuche ich mich aufzusetzen, ein stechender schmerz fährt mich durch den Rücken.
Zwei bekannte, faltige Augen schauen mich an, die mir gleichzeitig auch so fremd sind. Sanft während ich wieder ins Kissen gedrückt.
„Nah, mein Schatz, gut geschlafen?“
Ich blinzle noch mal, Langsam erinnere ich mich wieder an alles, der Unfall, der kleine Baum der mir das Leben gerettet hat,…
… meine Mutter…
Nach einem kurzen Moment werden meine Gedanken wieder klar und ich fühle ob alle meine Gliedmaßen noch dran sind. Kopf, linker Arm, rechter Arm, aller Finger, das eine Bein und… mein anderes Bein wo ist es, ich kann mein linkes nicht mehr spüren…!
Geschockt starre ich meine Oma an, die auf meinem Bett sitzt. „Kind, was ist denn los, es ist alles in Ordnung, du bist jetzt in Sicherheit!“ Doch ihre Augen sind rot, sie muss geweint haben. Jetzt stehen mir auch Tränen in den Augen, meine Oma nimmt mich in den Arm und drückt mich ganz fest.
Eine ganze Zeit müssen wir so gelegen haben, denn plötzlich kommt eine Krankenschwester rein. „Oh, gut du bist wach. Ich werde sofort dem Doktor bescheid sagen.“
Als ich mich aus dem Griff meiner Großmutter befreit habe, ist ihr beiger Pulli an einer Stelle ihrer Schulter dunkel verfärbt.
Die Tür geht auf und ein junger Arzt in einem weißen Kittel stürmt in das Zimmer.
„So, Stella. Dann werden wir mal schauen.“ Während er das sagt blättert er uninteressiert in meinen Unterlagen. „Du hattest einen schweren Autounfall, habe ich gehört. Hast du irgendwo Schmerzen? – Achso, du wunderst dich bestimmt, dass du linkes Bein nicht mehr bewegen kannst? Das liegt daran dass dein Knochenmark so stark beschädigt wurde, aber das wird irgendwann wieder heilen.“
Während der ganzen Zeit beobachte ich seine Mimik, diese hat sich nie verändert, nicht eine einzige kleine Regung. Nur dieses künstliche lächeln, was den Patienten Mut machen soll. Mit einem unehrlichen „Gute Besserung“, dreht sich der Doktor um und verschwindet schnell wieder aus dem Zimmer.
Langsam sinke ich wieder ins Kissen. Ich will nur noch vergessen, einfach noch mal ganz von vorne anfangen.
Warum musste meine blöde Oma nur ausgerechnet an diesem Tag Geburtstag haben? Ach ja, meine Oma…
Schnell drehe ich mich wieder um, doch das war keine so gute Idee, ein stechender Schmerz fährt mich durch den Kopf.
„Herzlichen Glückwunsch Oma!!!“
„Ja, Kind. Was willst du mir sagen? Du kannst mir alles erzählen.“
„Habe ich doch schon gesagt, Herzlichen Glückwunsch!“
„Du musst es schon aussprechen, wenn du nur deine Lippen bewegst kann ich dich nicht verstehen.“
Oh Gott, warum kann ich nicht mehr reden?! Am liebsten würde ich jetzt einfach aufstehen und davon laufen. Aber das kann ich ja nicht.
Geschockt starre ich meine Oma an und ich kriege nicht mehr richtig Luft. Mit stoßenden Zügen drehe ich mich langsam zur Seite.
Verängstig drückt meine Oma den Klingelknopf sturm. Sofort geht die Tür auf und eine Krankenschwester kommt herein. „Können sie meiner Enkelin bitte helfen“, bringt Oma stockend heraus.
„Ja, klar ich werde ihr sofort eine Beruhigungs-Spritze geben. Setzten sie sich erstmal hin!“
Tag der Veröffentlichung: 23.02.2010
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