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Eine Katze und ein Igel erleben ein Abenteuer in der Stadt

Es war Sommer - einer von diesen warmen sonnigen Wochentagen. Mautz lag wie so oft zur Mittagszeit zusammengekuschelt auf dem weichen Wohnzimmersofa. Das war ihr Lieblingsplatz. Dort fühlte sie sich am wohlsten. Mautz war eine weiß-braun getigerte Hauskatze und sie lebte bei den Meyers. Papa Meyer war bei der Arbeit in der Fabrik, Mama Meyer hantierte in der Küche geräuschvoll mit den Töpfen herum und die besten Freunde des Stubentigers Peter und Lena Meyer waren noch in der Schule.

Plötzlich hörte Mautz durch das halb geöffnete Fenster zur Terrasse ein seltsames Klackern. Neugierig geworden hob die Katze zunächst ihren Kopf und streckte dann die Beine von sich.

Dann ging alles sehr schnell. Mit einem Satz sprang sie auf den Boden und lief eilig zum Kratzbaum. Mit wenigen eleganten Sprüngen hatte sie schnell die oberste Etage erreicht. Von dort oben konnte Mautz gut beobachten, wenn auf der Terrasse etwas passierte. Und offensichtlich passierte gerade draußen auf den Steinfliesen so einiges.

Von ihren Aussichtsplatz konnte Mautz allerdings nur erkennen, dass irgendetwas, das von hier oben aussah wie ein graubraunes Wollknäuel, sich an einem weißen Porzellanteller zu schaffen machte.

Das musste sie näher untersuchen. Mutig sprang sie mit einem einzigen Satz vom Kratzbaum und lief eilig zur verschlossenen Terrassentür. Dort angekommen machte sie durch lautes Miauen auf sich aufmerksam. Sie wollte unbedingt nach draußen, um näher zu untersuchen, was dort vor sich ging.

Es dauerte eine ganze Weile bis Frau Meyer schließlich aus der Küche kam und ihr die Tür zum Garten öffnete. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Hoffentlich konnte Mautz das Wollknäuel noch erwischen bei dem, was es mit dem Teller anstellte.

Als die Tür endlich offen war, duckte sich Mautz nach Katzenart ganz dicht an den Boden und schlich sich leise an. Nach ein paar Schritten – immer noch unbemerkt – wurde Mautz bewusst, was hier ablief.

Das Knäuel vor ihr war gar nicht aus Wolle, denn es hatte winzige Beinchen und Füßchen, mit denen es mitten in einem Teller mit Katzenleckerlis stand, die Peter und Lena heute Morgen offensichtlich als Überraschung für sie dahin gestellt hatten.

Mautz erkannte, dass sie offenbar ein Tier vor sich hatte, das sich mit seinem kleinen Mäulchen über Köstlichkeiten hermachte, die doch wohl für sie bestimmt waren und nicht für einen hinterlistigen Nahrungsräuber, der gerade im Begriff war, ihr das Futter wegzufressen.

Bei diesem Anblick sträubten sich ihr die Haare. Sofort spannte sie ihre Muskeln an, machte einen Buckel und setzte laut fauchend zum Sprung an. Sie wollte dem Dieb eine Lektion erteilen und ihn in die Flucht schlagen. Der bemerkte erschrocken, was auf ihn zukam und rollte sich augenblicklich zusammen. Der kleine Kerl war nämlich ein Igel und die machen das, wenn Gefahr droht.

Gerade noch rechtzeitig, denn die Katze hockte schon vor ihm. So etwas hatte Mautz noch nie gesehen. Als Hauskatze kannte sie sich mit Tieren aus der Wildnis nicht aus. Sie wusste nicht, dass das Fell von Igeln nicht aus weicher Wolle ist, sondern im Gegenteil mit unzähligen spitzen Stacheln gespickt ist. Das sollte ihr allerdings schnell klar werden, denn sie hob die rechte Vorderpfote und holte zum Schlag aus. Dass das ein Fehler war, sollte sie sofort spüren. Mehrere dieser spitzen Stacheln bohrten sich nämlich in den Ballen ihrer Pfote.

Aua. Das tat schrecklich weh. Eine solche Qual hatte sie bisher noch nie erleiden müssen. Mautz miaute bitterlich vor lauter Schmerzen. So laut und jämmerlich, dass der Igel ein schlechtes Gewissen bekam. Er streckte vorsichtig sein Köpfchen aus der stachligen Kugel hervor, stellte sich wieder auf seine kleinen Beinchen und sagte ein wenig vorwurfsvoll mit einer ziemlich lustigen Piepsstimme:

„Das hast du jetzt davon. Wie kannst du denn nur so dumm sein, dich mit einem Igel anzulegen?“

Mautz erwiderte eingeschüchtert:

„Entschuldige, aber du bist ein Dieb. Du hast dich über meine Leckerlis hergemacht. Das konnte ich doch nicht zulassen.“

Und nach einem weiteren wehmütigen Miau meinte sie:

„Ich bin eine Hauskatze. Mit solchen gefährlichen Wildtieren wie du eins bist, kenne ich mich nicht aus.“

Der Igel musste lachen.

„Ich bin doch kein gefährliches Wildtier. Aber weil ich draußen lebe, muss ich mich vor denen schützen, die mich angreifen. Oder etwa nicht?“

„Du hast Recht. Und du hast das auch ganz gut gemacht. Das muss ich nach dieser schmerzvollen Erfahrung wohl zugeben. Auf der anderen Seite wirst du aber hoffentlich einsehen, dass ich diejenigen, die sich an meinem Futter vergreifen, verscheuchen muss.“

„Wieso kommst du auf die Idee, der Imbiss auf dem Teller hier draußen wäre für dich? Als Hauskatze wird dir doch wohl dein Fressen drinnen serviert. Oder etwa nicht?“

Dieser Schlaukopf scheint ziemlich eingebildet zu sein, dachte Mautz bei sich, als sie hörte, dass der Igel erneut seine Sätze beendete mit derselben Nachfrage. Mautz war belustigt über sein albernes „Oder etwa nicht?“ und wiederholte daher auch ihre Antwort – dieses Mal mit einem äußerst ironischen Unterton:

„Du hast Recht.“

Beide mussten lachen über ihren Wortwitz.

Nach dieser humorigen Einlage ergriff wieder der Igel das Wort:

„Wenn du also drinnen dein Fressen bekommst, für wen könnte das Futter hier draußen wohl gedacht sein?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, beantwortete er seine Frage selbst:

„Für Gäste von außerhalb. So wie ich einer bin.“

Mit einem erneuten Lachen fügte er belustigt hinzu:

„Oder etwa nicht?“

Um dem albernen Wortspielchen ein Ende zu setzen, wechselte Mautz das Thema:

„Übrigens ich heiße Mautz. Haben Igel auch einen Namen?“

„Das kann ich dir nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls ich habe einen. Ich bin der Fritz.“

Mautz fragte weiter:

„Und was führt dich her, Fritz?“

„Ich bin auf der Suche nach Abenteuern. Auf meinem Weg ist mir der Geruch von Leckerlis in die Nase gekrochen. Und ich liebe diese Köstlichkeiten. Sie schmecken so lecker. Kurz und gut: Ich wollte mir diese Leckereien nicht entgehen lassen. Also habe ich diesen Abstecher auf eure Terrasse unternommen und nebenbei ein weiteres Abenteuer erlebt.“

Mautz bohrte weiter:

„Von mir angegriffen zu werden ist für dich ein Abenteuer?“

Fritz entgegnete belustigt:

„Auf jeden Fall. Und wenn du Zeit und Lust hast, mich ein wenig zu begleiten, könnten wir zwei zusammen bestimmt ein weiteres bestehen. Was hältst du davon?“

Mautz war unsicher. Das konnte man ihrem Gesicht ansehen.

„Ich war noch nie von hier weg.“

„Dann wird es aber Zeit. Findest du nicht?“

Mautz überlegte kurz, setzte eine selbstbewusste Mine auf und antwortete:

„Da könntest du recht haben. Aber wohin soll's denn gehen?“

Bevor Mautz es sich wieder anders überlegen konnte, erwiderte Fritz:

„Lass uns durch das Loch im Zaun erst einmal vom Grundstück gehen. Dahinter liegt ein zauberhaftes Feld mit Nudeln, Salat und weiteren Beilagen.

„Prima. Ich liebe Nudeln. Und Salat mag ich auch. Meine Freunde Peter und Lena mögen ihn nicht. Wenn ihre Mutter ihn als Beilage serviert, stochern die beiden nur unmutig darin herum. Ab und zu fällt dabei das eine oder andere Blatt vom Tisch auf den Boden. Das schnappe ich mir dann."

Und nach einer Atempause fügte die Katze hinzu:

"Ich bin gespannt, was es auf dem geheimnisvollen Feld sonst noch appetitliches gibt. Ich habe nämlich mittlerweile Hunger.“

„Dann wäre die Sache also geritzt. Während wir fressen denken wir darüber nach, wohin wir weiterziehen wollen.“

Mautz war begeistert von dem Plan und sagte:

„Ja, so machen wir's.“

Die beiden machten sich also auf den Weg zum hinteren Teil des Grundstücks und verschwanden hinter den Büschen.

Während Mautz und Fritz im Feld ihren Hunger stillten, überlegten sie, wohin ihre Reise gehen sollte. Nach einigem Hin und Her meinte Fritz schließlich:

„Lass uns ins Dinosauriermuseum gehen. Das ist nicht allzu weit entfernt und dort können wir bestimmt ein feines Abenteuer bestehen.“

Mautz fragte überrascht und wissbegierig:

„Was sind Dinosaurier und was machen die im Museum?“

Fritz setzte wieder eine von seinen Minen auf, dieses Mal eine überlegene, die Mautz ein wenig überheblich vorkam und sie meinte:

„Sei nicht so arrogant. Sag mir lieber, was es mit diesen Dinosauriern auf sich hat.“

Fritz antwortete entschuldigend:

„Tut mir leid. Ich bin davon ausgegangen, dass du beim Fernsehen mit deiner Menschenfamilie schon welche gesehen hättest. Aber egal: Dinosaurier haben vor Urzeiten auf der Erde gelebt. Mittlerweile sind sie ausgestorben. Einzelne Knochen dieser Dinos wurden von Archäologen gefunden, ausgegraben und wieder zusammengesetzt, an den Platz, wo sie im Körper hingehören. Solche Knochengerüste von Lebewesen nennt man Skelette. Die von den Dinosaurier werden in Museen ausgestellt, damit sie von den Menschen bestaunt werden können, die sich dafür interessieren, was in vergangenen Zeiten auf der Erde gelebt hat.“

Mautz wollte mehr erfahren. Ihr Interesse war geweckt.

„Und so ein Museum gibt es in dieser Stadt?“

„Allerdings. Und es ist noch nicht einmal weit entfernt. Wir müssten nur durch ein paar Straßen laufen. In ungefähr zehn Minuten könnten wir dort sein.“

Mautz war begeistert.

„Dann lass uns das machen“, schnurrte die Katze. Schnurren hatte auch schon bei der Familie geholfen, wenn sie etwas haben wollte. Auch Fritz konnte den angenehm wohligen Lauten von Mautz nicht widerstehen. Also liefen sie los, über Bürgersteige an Häuserreihen vorbei. Zwei, drei Mal mussten sie auch eine Straße überqueren. Aber das war ungefährlich.

Wenn wir in der Stadt sind, verhalten wir uns am besten so wie die Menschen, hatte Fritz seiner neuen Freundin eingeschärft. Dann wird uns nichts passieren. Und der Abenteuer erfahrene Igel hatte recht behalten.

Allerdings dauerte der Weg der beiden doppelt so lange, denn Mautz musste alle paar Meter stehen bleiben. Für die Katze, die das Haus und ihre gewohnte Umgebung noch nie verlassen hatte, gab es jede Menge zu bestaunen.

Ihrem Begleiter machte das aber überhaupt nichts aus, denn er freute sich riesig, dass er seiner Begleiterin schon auf dem Weg so viel neues zeigen konnte.

Schließlich hatten die beiden ihr Ziel erreicht und standen in einer der Museumshallen vor dem übergroßen Skelett eines ausgewachsenen Echsenbeckensauriers.

Seine Schwanzknochen berührten den Boden und ehe Mautz sich versah, war Fritz schon auf die Schwanzspitze gestiegen und kletterte immer höher. Für Mautz schien das sehr gefährlich zu sein. Je weiter sich der Igel vom sicheren Boden entfernte, um so mehr sorgte sich die Mautz um ihren Freund. Denn als Katze verstand sie was vom Klettern und befürchtete, dass ein Igel auf diesem Gebiet lange nicht so erfahren sei.

Und sie sollte recht behalten. Um auf den Rücken des Dinos zu kommen, musste Fritz in dieser schwindelnder Höhe einen Sprung riskieren. - Und dieser Sprung lief schief.

Fritz konnte sich gerade noch mit den Vorderbeinchen am gegenüber liegenden Knochen festkrallen. Sein Körper schwebte über dem Abgrund zwischen Rücken und Schwanz. Mautz wurde es Angst und Bange um ihren Fritz.

Ohne lange zu überlegen, schob Mautz ihre Angst beiseite, nahm allen Mut zusammen und sprang katzenhaft auf den Schwanz des Sauriers. Mit wenigen Sätzen hatte sie ihr Ziel erreicht. Das ganze Skelett des Dinos schwankte bedenklich. Aber davon ließ sich Mautz nicht abhalten. Sie griff mit ihrer rechten Vorderpfote in den stachligen Pelz des Freundes. Das tat wieder ziemlich weh. Ihr entfuhr wieder ein Schmerzenslaut. Gleichzeitig schwang sie Fritz mit einer einzigen Bewegung auf ihren Rücken.

„Krall dich fest. So fest du kannst. Wir springen jetzt nach unten.“

Mautz schrie diese Anweisung so laut, dass durch die Halle sogar ein Echo schallte.

„Und wenn ich mich nicht halten kann?“

Fritz' Stimme war angsterfüllt.

„Mach dir keine Sorgen. Es wird schon gut gehen.“

Mit diesen Worten setzte sie zum Sprung an.

Ehe sie sich versahen, landeten die beiden huckepack am Boden. Fritz rollte sich ein, vom Katzenrücken weiter ein paar Meter auf der Erde – bis er schließlich erschöpft nach Luft japsend liegen blieb.

Nebenan war Mautz gerade im Begriff sich ein Bild der Lage zu verschaffen, als sie ein Geräusch vernahm. Zunächst nur ein leises Knacken, das schnell lauter wurde, bis es zu einem dumpfen Poltern anschwoll.

Mautz schaute instinktiv nach oben, von wo sie beide gerade erst geflogen waren. Sie traute ihren Augen nicht. Gedankenschnell sprang sie auf Fritz zu, warf sich den Kater nochmals auf den Rücken und kreischte:

„Krall dich noch mal fest. So fest du kannst.“

Sobald Mautz die Krallen des Freundes im Fell spürte, jagte sie los. Sie musste sich beeilen, um den Knochen zu entkommen, die drohten, jeden Augenblick von hoch oben herabzustürzen. Kaum war sie gestartet, fiel das Dinosaurierskelett mit einem ohrenbetäubenden Lärm in sich zusammen.

In letzter Sekunde bemerkte Mautz, dass sie auf eine Treppe zuraste. Sie stoppte abrupt und setzte zum Sprung an. Mit einem Satz, der einem Panther alle Ehre gemacht hätte, erreichte sie gerade noch die oberste Stufe.

Bei dieser Aktion verlor Fritz den Halt und purzelte erneut von ihrem Rücken. Sie selbst überschlug sich und rutschte ein paar Meter weiter, bevor sie halb besinnungslos in sich zusammen sank. Fritz hatte sich, als er vom Rücken der Katze geschleudert war, wiederum nach Igelart zusammengerollt und lag zum zweiten Mal erschöpft am Boden. Schließlich war er aufgestanden, hatte sich mehrmals geschüttelt, um den Staub los zu werden, der noch überall in der Luft lag. Danach hatte er sich erst einmal einen Überblick verschafft. Er bemerkte Mautz, die ein paar Schritte weiter allmählich zu sich kam.

„Hui, das war knapp.“

Mautz hob langsam den Kopf und meinte zu ihrem Freund:

„Das kannst du wohl sagen.“

Nachdem sich auch Mautz auch den Staub aus dem Fell geschüttelt hatte, sahen sich beide um. Überall lagen Knochen herum, große und kleine. Die ganze Halle war ein einziger Trümmerhaufen. Überall liefen die anderen Museumsbesucher wild durcheinander.

Fritz raunte Mautz schuldbewusst zu:

„Komm lass uns schnell abhauen. In diesem Tohuwabohu wird es nicht auffallen, wenn wir verschwinden.“

Wieder draußen machten sich die beiden wortlos auf den Heimweg. Am Haus der Meyers angekommen umarmten sie sich herzlich und Mautz sagte zum Abschied:

„Vielen Dank mein Freund. Das war ein tolles Abenteuer.“

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.10.2018

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