Sophie R. Nikolay
König der Vampire
Hexentanz
Roman
Umschlaggestaltung:
Sophie R. Nikolay
Alle Personen und Namen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen
sind zufällig und nicht beabsichtigt.
© Sophie R. Nikolay 2011
Auf bookrix entstanden und im AAVAA Verlag erschienen …
Jetzt ist der König wieder da!
Auflage 2021
Für euch, meine Leser/innen,
weil ihr mich bis hierhin begleitet habt.
Prolog
Jahrhunderte sind vergangen, seit die Hexen Europa verlassen haben. Zu viele ihrer Art waren zwischen die Fronten geraten, in einem sinnlosen Krieg, den die Vampire und Werwölfe gegeneinander ausfochten.
Sy, die derzeit mächtigste Hexe und Hexenmeisterin des Volkes, wusste von ihrem Vater, weshalb der Krieg vor vielen Jahren begonnen hatte.
Aus genau dem gleichen Grund sind einige Kriege und Kämpfe begonnen worden. Aus Sturköpfigkeit, Ignoranz und Dummheit.
Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Wölfe, in kleine Clans unterteilt, auf dem europäischen Kontinent gelebt. Zu den Vampiren hatten die Werwolfclans Abstand gehalten, ebenso zu den Elfen und Hexen. Die Werwölfe waren unter sich geblieben, in ihrer eigenen Rangordnung gefangen.
Bis zu dem Tag als sich Elenor, eine junge Wölfin und Karim, ein ebenso junger Vampir über den Weg gelaufen waren sind. Sie hatten sich verliebt und das Schicksal hatte seinen Lauf genommen. Die Eltern der beiden waren gegen diese Liebe gewesen, und hatten eine Beziehung zwischen den beiden jungen Leuten verboten. Aber das ungleiche Paar hatte sich trotz dessen weiterhin getroffen.
Die Lage hatte sich nach einigen Monaten so sehr zugespitzt, dass die Väter der beiden jungen Liebenden, sich bekämpft hatten. Das ging bis zu dem Punkt, dass sich die beiden Kontrahenten gegenseitig umbrachten.
Das war der Startschuss für einen unsinnigen Krieg gewesen, bei dem sich Jahrzehnte später keiner mehr genau erinnern konnte, weshalb er begonnen worden war. Die Vampire und Werwölfe bekämpften sich über Jahrhunderte, wobei beide Arten enorme Verluste hinnehmen mussten.
Elisabetha Catherina hatte alles verändert. Sie war gekommen, wie Etienne es gesehen hatte. Sie war die Königin der Vampire geworden und hatte nicht nur den Frieden gebracht, sondern auch den gesamten Haushalt umgekrempelt. Nun war es an der Zeit, auch den Hexen freundschaftlich zu begegnen.
Kapitel 1
Nach einem ruhigen Frühstück fuhr Eli mit Vincent und Sy zu ihrem Haus. Vincent hatte ihr versichert, dass es keine Spuren mehr von dem Mord an den beiden Wölfen gab. Alles war gereinigt worden. Trotzdem fühlte sich Eli unwohl, als sie in die Einfahrt einbogen.
„Das ist hübsch“, stellte Sy fest, als sie ausstieg.
„Ja. Eigentlich schon, wenn man darüber hinweg sehen kann, was da drin geschehen ist“, gab Eli zurück.
„Eli! Jetzt mach bitte das Haus nicht schlecht! Jedes Haus hat eine Geschichte“, warf Vincent ein.
Eli brummte, doch sie gab sich geschlagen.
Sy streckte ihre Fühler aus. Ein paar negative Schwingungen konnte sie schon ausmachen, aber mehr noch die Angst, die in der Aura des Gebäudes lag. Es war nicht schwer für sie, diese Angst zu ersetzen. Sie nahm einfach etwas Freude aus sich selbst heraus und verwob sie mit ihren Worten.
Für Vincent und Eli war nicht bemerkbar und schon gar nicht sichtbar, was Sy gerade tat. Die Menge an Kraft, die ihr innewohnte, machte es zu einer Lappalie, die Ausstrahlung des Gebäudes zu verändern. Nun, eigentlich bereinigte sie ja die Aura des Hauses, aber was spielte das schon für eine Rolle?
Sy sprach die Worte, die sie gebrauchte, nicht aus. Sie nutze die Magie still und unbewegt nach außen hin. Das war ein Grund, warum Hexen von vielen gefürchtet wurden. Sy verstand das nicht. Keine Hexe würde grundlos jemandem ein Leid zufügen, also musste man sich auch nicht vor ihnen fürchten! Sie ahnte bereits, dass es einige Hürden zu überwinden galt, wenn die Hexen nach Europa zurückkehrten. Einige der Vampire und Werwölfe würden sich sicherlich fürchten, wenn sie der Macht der Hexen begegneten. Nun ja, nicht jede Hexe war stark und keine so mächtig wie Sy, und sie gebrauchte ihre Macht weise.
Eli riss sie aus ihrem Gedankengang heraus.
„Willst du das Haus bloß von außen ansehen oder kommst du mit rein?“
„Oh. Natürlich komme ich mit rein. Ich war in Gedanken“, gab Sy zurück.
Vincent lächelte sie charmant an. Er schien zu ahnen, was sie eben getan hatte. Sy lächelte zurück und zwinkerte ihm zu.
Eli öffnete die Haustür und blieb auf der Schwelle stehen. Sy hatte den Eindruck, sie würde ungern hineingehen. Eli schien sich jedoch einen Ruck zu geben und trat in den Flur.
„Willkommen in meinem Haus, Sy. Dass, wenn du möchtest, jetzt dir und den anderen Hexen gehört“, sagte Eli über die Schulter hinweg.
Sy folgte ihr und trat ebenso in den Flur.
Wirklich hübsch hier, so geschmackvoll!, dachte sie und wandte sich an Eli.
„Danke Eli. Es ist ein schönes Haus und es ist sehr großzügig von dir, es uns zu überlassen“, gab Sy zurück.
„Sie wollte von Anfang an, dass es einem guten Zweck dient“, meinte Vincent und sah Sy bedeutungsvoll an.
„Das tut es. Ein schöneres Willkommensgeschenk hätte mein Volk nicht bekommen können.“
„Sieh dich in Ruhe um, ich bleibe lieber unten und warte“, sagte Eli.
Sy nickte und ging den Flur entlang. Ein helles Wohnzimmer lag am Ende, viel Licht strömte durch die großen Fenster herein. Die Möbelstücke waren chic und sorgfältig ausgewählt. Sy konnte nicht fassen, welches Glück ihr widerfuhr. Mit einer solch großzügigen Geste und so viel Freundlichkeit konnte sie nicht rechnen, als sie im Flugzeug gesessen hatte. Sie wollte nur deshalb nach Deutschland kommen, um sich selbst davon zu überzeugen, dass wirklich Frieden zwischen den Wölfen und Vampiren herrschte. Nun, wo sich das bestätigt hatte und auch eine neue Art geboren war, gab es keinen Grund mehr für die Hexen, Europa fern zu bleiben. Sie konnten nach Hause kommen. Zurückkehren zu ihren Wurzeln. Darauf hatte Sy lange gewartet.
Die Küche gefiel ihr, alles darin war sorgfältig geplant und durchdacht. Die Schlafzimmer und das Bad im oberen Stockwerk überzeugten Sy, das großzügige Geschenk von Eli anzunehmen. Dass eines der Zimmer eindeutig für ein Baby eingerichtet war, störte sie dabei nicht. Für den Anfang konnte es erst mal so bleiben, wie es war. Sie würde ja doch nur mit Quentin zusammen das Haus bewohnen, bis weitere Hexen herkommen würden. Wenn sie denn wollten. Und sicherlich nicht von heute auf morgen. Niemand ließ alles stehen und liegen und zog in ein anderes Land. Nur, für Sy war es keine Frage, ob sie blieb oder nicht. Wenn Quentin zurück wollte, konnte sie ihn nicht aufhalten, doch sie würde bleiben. Als mächtigste Hexe hatte sie eine Vorbildfunktion. Wenn sie hier in Deutschland lebte, folgte sicher ein großer Teil ihres Volkes nach. Und sie hatte im Gefühl, dass Quentin nicht nach Asien zurückkehren würde. Warum konnte sie nicht sagen.
Sy stieg die Treppe wieder herunter. Eli stand neben der Eingangstür und lehnte sich an der Wand an.
„Ich nehme dein Geschenk an. Das Haus ist wirklich schön und bietet viel Platz für den Anfang.“
Eli lächelte. „Also dann. Willkommen zu Hause.“
„Wann ziehst du ein?“, fragte Vincent.
„Keine Ahnung! Juli wird Quentin und mich ja nicht in den nächsten fünf Minuten aus ihrem Haus werfen. Aber im Laufe der nächsten Tage“, erklärte Sy.
Eli nickte zu der Ausführung, dann warf sie Sy den Hausschlüssel zu.
„Wir müssen das schriftlich festhalten. Die Schenkung sollte beurkundet sein“, merkte sie an.
„Wenn du das möchtest“, gab Sy zurück, während sie den Schlüssel fing.
„Dann lasst uns zurückfahren und Juli die Neuigkeiten erzählen“, meinte Vincent und ging hinaus zu seinem Auto.
Eli und Sy folgten ihm.
Sy zog die Haustür zu und schloss das Haus ab. Ihr Haus. Sie konnte es kaum glauben.
In Julis Haus schlug Sandra die Augen auf. Es war beinahe elf Uhr und es wunderte sie nicht, dass sie so lange geschlafen hatte. Nachdem sie vergangene Nacht das Bild gezeichnet hatte, war sie spät ins Bett gegangen. Oder früh, es kam ganz darauf an, wie man es sehen wollte.
Jetzt rieb sie sich über die Augen, warf einen kurzen Blick auf das fertige Bild und ging ins Bad. Sie brauchte zuerst eine Dusche, dann mindestens einen Kaffee, um richtig wach zu werden.
In der Küche nahm sie sich einen Becher Kaffee und setzte sich damit vor die Tür. Die Sonne schien strahlend vom klaren Himmel. Allerdings war es jetzt schon warm, dass Sandra lieber wieder hineinging.
Kurz darauf hörte sie Vincents BMW vorfahren.
Eli würde bestimmt bei ihm sein, deshalb wartete Sandra. Dem Gefühl in ihrem Mund nach zu urteilen, würde sie bald wieder Blut brauchen.
Sandra hatte sich nicht getäuscht, Vincent kam mit Eli und Sy durch die Tür.
„Guten Morgen“, grüßte Sandra die Drei.
„Hallo. Wie guten Morgen? Hast du so lange geschlafen?“, wunderte sich Eli.
Sandra nickte. „Ich habe gezeichnet“, sagte sie zur Erklärung.
„Wer ist es diesmal?“, fragte Vincent.
„Das sage ich euch nicht. Ich habe noch mehr Motive im Kopf, lasst euch einfach überraschen.“
„Hast du Juli schon gesehen?“, fragte Eli.
„Nein. So lange bin ich noch nicht auf, und war mir diesen Kaffee besorgen. Dann habe ich das Auto gehört. Eli, ich vermute, ich benötige bald deine Hilfe“, gab Sandra zurück.
„Das habe ich mir bereits gedacht.“
„Geht nur. Sy und ich werden Juli schon finden“, meinte Vincent.
„In Ordnung. Du weißt ja, wo du uns findest“, sagte Eli zwinkernd und ging mit Sandra hinauf.
Sy sah den beiden Frauen nach.
„Sandra ist Elis Zögling, sie braucht Blut“, meinte Vincent zu ihr.
„Ach so. Und Juli finden wir im Büro“, gab Sy zurück.
„Woher weißt du das?“, fragte Vincent entgeistert.
„Ich kann dir sagen, wo sich jeder Einzelne im Haus aufhält. Jeder Körper hat eine Aura und die ist leicht zu finden. Und da Juli in einem Raum mit einem Schreibtisch sitzt, liegt dieser Schluss nahe.“
„Echt? Das ist ja praktisch.“
„Wie man es nimmt. Manch einer ist sicherlich nicht froh darüber, dass ich weiß, wo er sich momentan befindet“, meinte Sy zwinkernd.
„Naja, wenn man gerade auf dem Klo hockt, sicher nicht!“ Vincent lachte.
„Das meinte ich zwar nicht, aber diesen Standort gibt man auch nicht gerne preis“, sagte Sy.
Sie hatte etwas ganz anderes gemeint. Denn so, wie sie die Auren erkannt hatte, waren Kai und Cosimo gerade mit intimen Dingen beschäftigt. Aber das musste sie Vincent nicht auf die Nase binden. Er akzeptierte die beiden als Paar. Warum sollte es ihn wundern, wenn sie auf diese Weise zusammen waren?
Nun folgte sie ihm durch einen Flur und näherte sich immer mehr der Aura von Julietta.
Sy hatte erst einen Teil des Hauses sehen können, aber je mehr sie sah, umso eher traf es auf Juliettas Position als führende Wölfin zu. Gerade lief sie mit Vincent an einer Ahnengalerie vorbei. Unzählige Werwölfe hingen hier porträtiert an den Wänden.
Überhaupt sprach dieses Haus von Reichtum, und allein die Größe beeindruckte Sy. Von außen war es schon imposant, aber die Inneneinrichtung, von der sie mehr und mehr zu sehen bekam, übertraf den ersten Eindruck noch.
Hexen machten sich nichts aus materiellen Dingen, doch wenn Vincent ebenfalls ein solch großes, herrschaftliches Haus wie Julietta besaß, würde Sy sich das noch überlegen. Als stärkste Hexe hatte sie einen wichtigen Posten, nicht nur innerhalb der eigenen Art. Aber war es denn als Oberhaupt wichtig, in solchem Prunk zu leben?
Sy brach ihren Gedankengang ab, als Vincent stehen blieb und an eine Tür klopfte. Ohne Aufforderung trat er ein und das wunderte Sy. Julietta und Vincent, als Anführer verschiedener Arten, gingen derart freundschaftlich miteinander um? Gut, sie hatten Frieden geschlossen und zurzeit lebte der gesamte Haushalt von Vincent unter Juliettas Dach. Aber rechtfertigte das, in einen Raum unaufgefordert einzutreten? Sie hatte den Eindruck, diese beiden verband nicht bloß der Frieden, sondern ebenso eine enge Freundschaft.
Sy tat es Vincent nach und folgte ihm in den Raum. An einem Schreibtisch, der mittig stand, saß Julietta.
„Hallo ihr beiden“, grüßte diese freundlich.
„Wir haben dir etwas mitzuteilen. Sy besitzt ab sofort ein eigenes Domizil“, sagte Vincent.
„Ach? Wie das? Und so schnell noch dazu.“ Juli sah beeindruckt aus.
„Eli hat ihr Haus verschenkt“, erklärte Vincent.
„Das hat sie. Und ich habe es gerne angenommen. Auch wenn mich dein Angebot, vorerst hier zu bleiben, sehr schmeichelt“, sagte Sy dazu.
„Dann ist für das Haus doch noch ein guter Verwendungszweck gefunden. Und ich meinte das ernst. Du und Quentin, ihr könnt so lange hierbleiben, wie ihr möchtet“, bot Juli erneut an.
„Danke. Aber wir werden innerhalb der nächsten Tage in das neue Haus einziehen“, entgegnete Sy.
„Wie du möchtest. Was mich zu einer anderen Frage bringt. Vincent, Nathan hat gesagt, dass der Strom in drei Tagen wieder fließt. Ich glaube aber nicht, dass Tobias so schnell auf dich verzichten kann.“
„Das ist doch das kleinste Problem. Solange er täglich trinken muss, bleibe ich mit Eli hier. Sandra ist ja auch noch da. Dann sehen wir weiter, wie es am besten und einfachsten funktioniert. Vielleicht können wir regelmäßige und abwechselnde Besuche einplanen.“
„Das ist eine gute Lösung. Es wird schon irgendwie funktionieren. Es ist ja nur für ein Jahr“, gab Juli zurück.
„Ja. Für ein Jahr.“
Doch Vincent war nicht wohl bei dem Gedanken, wenn einmal der Tag kommen würde, an dem Tobias frei von ihm war. Er hatte sich innerhalb kurzer Zeit schon viel zu sehr an den jungen Vampir gewöhnt.
„Ich sollte Quentin die Neuigkeiten erzählen“, warf Sy ein.
„Glaubst du, er ist schon auf? So müde, wie der gestern aussah?“, erkundigte sich Juli.
„Er ist auf. Da bin ich mir sicher“, sagte Sy und zwinkerte Vincent zu.
Als Sy Julis Büro verließ, sah die Wölfin der Hexe stirnrunzelnd nach. Vincent erkannte, was sie bewegte und erzählte ihr von den Auren, die Sy wahrnehmen konnte.
„Hm, wie gut, dass wir alle sehr aufgeschlossene Wesen sind!“, amüsierte sich Juli.
„Das stimmt. Und ich befürchte, aus eben diesem Grund werden wir noch öfter bei jemandem anecken“, grübelte Vincent laut.
„Und wenn schon. Wir sind stark. Besonders alle zusammen, wie man gesehen hat! Ohne Veränderung kein Vorankommen, kein Wachstum. Wir haben den richtigen Weg gewählt, Vincent.“
Juli sah ihn mit einem ernsten Blick an.
„Auch das stimmt. Und jetzt suche ich nach Nathan, ich will wissen, was der vom E-Werk genau gesagt hat“, verabschiedete Vincent sich.
Kapitel 2
Sy lief durch den Flur zurück und dann die Treppe herauf. Quentin war in seinem Zimmer, besser gesagt im Bad. Sie nahm nicht großartig Rücksicht auf seine Privatsphäre und ging in das Badezimmer hinein.
„Guten Morgen, du Schlafmütze!“, begrüßte sie ihn laut.
Ihre Stimme übertönte das Rauschen des Wassers.
„Mann, Sy! Kannst du nicht anklopfen?“, entrüstete sich Quentin.
„Warum?“
„Weil ich in der Dusche stehe. Nackt!“, beschwerte er sich.
„Ja und? Dein, zweifellos perfekter, Körper reizt mich nicht.“
„Na vielen Dank auch! Was willst du eigentlich?“
„Wir haben ein Haus. Die Königin der Vampire hat mir ihr Haus geschenkt.“
Quentin erstarrte in der Bewegung, Schaum lief ihm von den Haaren ins Gesicht und über die Schultern.
„Wie kommt sie dazu?“, fragte er.
„Das erkläre ich dir, wenn du da raus bist. Ich wollte dir das nur sagen und auch, dass wir somit Juliettas Gastfreundschaft nicht mehr lange nutzen werden.“
„Hm. Dann warte wenigstens vor der Badezimmertür, bis ich fertig bin“, brummte Quentin.
Sy lächelte, nur konnte er das nicht sehen. Seinen Wunsch respektierte sie trotzdem und verließ das Bad.
Im Zimmer gegenüber flaute bei Sandra gerade die Wirkung von Elis Blut ab. Es viel ihr immer schwerer, die durch das Trinken ausgelösten Gefühle zu unterdrücken. Langsam aber sicher hatte sie den Eindruck, dass ein Jahr verdammt lange war. Quälend lange, wenn sie jedes Mal die aufwallende Lust bekämpfen musste.
Eli sah Sandra verständnisvoll an.
„Es wird immer schlimmer!“, jammerte Sandra.
„Glaub mir, ich kann es nachvollziehen. Und ich hoffe sehr, dass dir jemand über den Weg läuft, dessen Geruch dich anzieht. Dann hat zumindest diese Qual ein Ende.“
„Hm – hm, auch wenn ich nicht auf der Suche nach der Liebe meines Lebens bin, wäre mir ein Mann momentan willkommen“, sagte sie leichthin. Ohne rot zu werden.
„Du denkst jetzt aber nicht daran, dich dem Erstbesten an den Hals zu werfen, oder?“
„Nee. Ich komme schon klar.“ Sandra seufzte.
Sie war sich nicht sicher mit dem, was ihr durch den Kopf ging und sie fand es noch zu früh, mit Eli darüber zu sprechen. Zuerst wollte sie noch etwas geklärt haben, dann könnte sie Eli davon erzählen. Vorerst blieb es, wie es war. Und zum Glück würden die Abstände größer werden, da sie Elis Blut trinken musste. Einmal wöchentlich oder auch alle zehn Tage, damit konnte sie umgehen. Zum Glück musste sie nicht ein Jahr lang täglich trinken. Das wäre nicht zum Aushalten! Die Gefühlsstürme in ihrem Inneren waren bereits jetzt kaum noch zurückzudrängen.
„Ach, ich habe Sy mein Haus geschenkt. Als Startpunkt für die Rückkehr der Hexen sozusagen“, sagte Eli.
„Wie? Ich wusste gar nicht, dass du ein eigenes Haus hast.“
„Ja, mein Elternhaus. Ich habe es nicht mehr behalten wollen, denn nicht nur meine Eltern sind darin von Wölfen getötet worden. Zu allem Überfluss hat ein Verräter, der Großvater von Tobias, dort zwei Wölfe getötet. Er wollte damit Vincent und mich vom Thron stoßen. Aber das hat dein Sohn dir bestimmt schon erzählt.“
„Nein. Das hat er nicht“, sagte Sandra.
„Hat er dir denn gesagt, welche Position er innerhalb des Volkes hat?“
„Ähm, er ist als Gewandelter auf der untersten Stufe, wie ich. Aber da wir beide die Zöglinge des Königs und der Königin sind, sieht es gesellschaftlich schon besser aus. So viel habe ich verstanden.“
„Ja, richtig. Aber, durch den Tod von Albert und seinem Mischlingssohn, fällt der Titel des Vampirfürsten auf Tobias zurück. Denn Alberts Schwester hat sich entschieden, in die Staaten zu gehen. Die Vampire, die dort in einer freien Kolonie leben, sind losgelöst vom König und bevorzugen ein Dasein ohne Titel“, erklärte Eli ihr.
„Ach was? Und das heißt, mein Sohn ... ist ein Fürst?“ Verwunderung lag auf Sandras Gesicht.
„So ist es.“
„Verrückt“, sagte Sandra dazu.
Mehr fiel ihr nicht ein. Ihr Sohn gehörte zum vampirischen Adel, damit hatte sie nun nicht gerechnet.
„Hey, du hast Quentin gezeichnet!“, riss Eli Sandra aus ihren Gedanken.
„Ähm, ja. Ich fand seinen Gesichtsausdruck so toll. Das war, als er der Schüssel Füße verpasst hatte, und Lisa daraufhin so entgeistert darauf starrte“, erklärte Sandra.
„Das war wirklich zu komisch!“ Eli lachte herzlich.
Ein paar Zimmer weiter sprach Vincent mit Nathan. In drei Tagen würde die Stromversorgung hergestellt sein, sodass sie ins Haus zurück konnten. Die Arbeiten liefen auf Hochtouren und die Techniker kamen gut voran.
„Eli und ich werden noch ein paar Tage länger hier bleiben. Das ist einfacher für Tobias und Sandra“, sagte Vincent.
„Hm, verständlich. Und wie geht das weiter mit euch?“, wollte Nathan wissen.
„Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir uns gegenseitig besuchen. Ich hoffe nur, der Durst der beiden wird sich aufeinander abstimmen, dass es immer gemeinschaftlich läuft. Am gleichen Tag und nicht versetzt“, sagte Vincent darauf.
„Ich hoffe für euch, dass es funktioniert. Ein Jahr lang hin und her zu fahren, ist schon aufwendig. Was mich aber auf etwas bringt. Vincent, du weißt, dass ein Zögling für mich vorgesehen ist. Sie wird in drei Monaten zwanzig. Also kann es nicht mehr lange dauern, bis sie sich meldet. Anna habe ich das schon erzählt, und bevor du fragst, nein, sie ist nicht eifersüchtig“, sagte Nathan und sah Vincent schief an.
„Was denn, ist es schon so weit?“, wunderte Vincent sich.
Liebe Güte, wo ist denn bloß die Zeit geblieben?, schob er gedanklich hinterher.
So wie er selbst gewusst hatte, dass Eli sein Zögling sein würde, hatte auch Nathan Kenntnis darüber. Und nun stand es schon kurz bevor? Vincent bewunderte Anna, die damit kein Problem zu haben schien.
„Sag mir Bescheid, wenn sie sich meldet. Langsam mache ich mir echt Gedanken, das Haus wird zu klein“, merkte er an.
„Herr? Vielleicht sollten wir hier bei Juli bleiben. Vorausgesetzt sie ist einverstanden, denn dieses Haus ist riesig.“
„Das ist ein Scherz, oder?“, Vincent sah Nathan entsetzt an.
Wie kam Nathan auf die Idee, es wäre gut, wenn die Führungspersonen zweier Arten in einem Haus zusammenwohnen würden? Und vor allem, Vincent konnte sich nicht vorstellen, dass Juli damit einverstanden wäre. Und es bedeutete auch keinen großen Aufwand, sein eigenes Haus noch anbauen zu lassen. Ein weiterer Flügel wäre gut möglich, Platz genug gäbe es dafür. Nur ging das natürlich nicht von heute auf Morgen. Er nahm sich vor, mit Eli darüber zu sprechen, sie hatte immer gute Einfälle. Zu der Platzsituation würde ihr sicherlich auch eine Idee kommen. Obwohl, vorerst würde es ja noch so funktionieren. Sandra blieb ja sicherlich hier bei Juli und Tobias, somit war das Gästezimmer wieder frei. Und es blieb noch das heiß begehrte mit der Wanne übrig. Aber das würde Vincent wohl nur unter Protest aller Bewohner belegen können.
„Was geht dir durch den Kopf, Herr?“, fragte Nathan.
„Alles und nichts. Aber für das Platzproblem werden wir schon eine Lösung finden.“
„Hm, mir fällt da noch was ein. Cosimo und Etienne sind ja schon seit Jahrzehnten durch mit ihrem zugeteilten Zögling. Aber, was ist mit Dorian? Oder Kai? Hast du die mal gefragt?“, warf Nathan ein.
„Von Dorian weiß ich, dass ihm kein Zögling zugeteilt wurde. Warum auch immer, er ist nicht dazu bestimmt worden, einen Vampir in die Welt der Erwachsenen einzuführen. Und Kai? Keine Ahnung, ich werde ihn fragen müssen“, gab Vincent zurück.
„Dann mach das. Er würde für mich wegfallen, wenn er jemand anders Nähren müsste.“
„Stimmt. Daran habe ich nicht gedacht. Ich frag ihn gleich“, sagte Vincent und stand auf.
An der Tür drehte er sich noch einmal um.
„Sag mal Nathan, ist es eigentlich komisch, von einem Mann zu trinken?“
„Anfangs schon. Aber es macht mir nichts mehr aus, außerdem ist es ja nur das Handgelenk“, gab er leichthin bekannt.
„Ich habe nur gefragt, weil ich mir nicht sicher bin, was Tobias denkt, wenn er von mir trinkt.“
„Mach dir nicht so viele Gedanken, Herr. Aber was ich dazu sagen kann ... es verbindet. Ich fühle mich mittlerweile so, als wären Kai und Cosimo meine Brüder.“
Vincent nickte und ließ diese Aussage unkommentiert. Aber er wusste genau, was Nathan meinte. Auch Tobias kam Vincent wie ein kleiner Bruder vor. Schon eigenartig. Da hatte er sich so lange Zeit allein gefühlt, sein Haus mit seinen Mitstreitern gefüllt. Und nun war es beinahe voll, so viel Familie hatte Vincent um sich. Er hätte nie gedacht, dass sein Schicksal sich auf diese Weise entwickeln würde. Lächelnd drehte er sich weg und ging.
Als Vincent das Zimmer verließ, sah Nathan ihm stirnrunzelnd nach. Eigenartig, diese Frage von seinem König hatte ihn sehr gewundert. Aber über den Grund konnte er später nachdenken. Jetzt würde er mit Anna und den Kleinen zum Doc fahren. Die wöchentliche Kontrolluntersuchung stand heute an und Nathan war gespannt, was der Arzt zu sagen hatte. Nathan hatte sich vorgenommen, ihm auch von Sy und ihrer Bemerkung zum Duftmuster, zu erzählen.
Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es Zeit war. Also ging er los, um Anna und die Zwillinge einzusammeln.
Im Wohnzimmer fand er sie.
„Wir müssen los“, sagte er knapp.
„Ja ich weiß. Es hat mich schon gewundert, wo du steckst“, gab Anna zurück.
„Ich habe noch kurz mit Vincent gesprochen.“
„Wegen des Problems mit dem Strom, hm?“
„Ja, auch. Und ich habe ihn daran erinnert, dass mein Zögling bald auftaucht.“
„Was hat er gesagt?“, wollte sie wissen.
„Er meinte, wir haben bald nicht mehr genug Platz im Haus. Ich habe ihm vorgeschlagen, mit Juli zu reden. Ob wir nicht hier bleiben sollen. Oder besser, ob wir es dürfen.“
„Was? Du bist verrückt!“, sagte Anna und klang entgeistert.
„Nein, bin ich nicht. Das Haus hier ist riesig. Warum also nicht?“
„Ja, das mit dem Platz stimmt schon. Aber hast du daran gedacht, was für ein leichtes Ziel die beiden als Oberhaupt dann abgeben würden? Besser gesagt, die Drei. Eli und Vincent auf dem höchsten Posten innerhalb des Vampirvolkes und Juli als Clanchefin. Wie soll das gehen? Auch wenn Frieden herrscht, ist es noch immer ein Risiko“, gab Anna zu bedenken.
„Oh! Von der Seite habe ich das gar nicht betrachtet. Es ging ja um mehr Platz“, gab Nathan zu.
„Tja, dann denk das nächste Mal ausführlich nach, bevor du deinem König einen Vorschlag unterbreitest, mein Schatz!“, neckte Anna.
„Das werde ich. So etwas ist mir noch nie passiert. Ich habe Vincent all die Jahre gute strategische Tipps gegeben.“
Nathan schüttelte über sich selbst den Kopf. Wo war er nur mit seinen Gedanken gewesen? Wirklich peinlich, einen unüberlegten Ratschlag zu geben.
„Jetzt müssen wir aber los, sonst kommen wir zu spät“, drängte Anna und griff nach der Sitzschale, in der Jules lag.
Nathan nickte und nahm Vince mit sich.
Inzwischen hatte Sy Quentin alles ausführlich erzählt. Wie es dazu gekommen war, dass die Königin der Vampire den Hexen einfach ein Haus schenkte. Die Hintergründe zur Geschichte des Hauses ließ sie aber weg, Quentin musste das vorerst nicht wissen.
Während Sy erzählt hatte, war sie im Zimmer auf und ab gelaufen und Quentin hatte schweigend auf der Bettkante gesessen und zugehört.
„Wie findest du das?“, fragte sie dann.
„Es ist ein sehr nettes Willkommensgeschenk“, gab er zurück.
„Du hörst dich nicht begeistert an.“
„Hm, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Vielleicht bin ich zu kritisch, in manchen Dingen.“ Quentin zuckte mit den Schultern.
„Hm. Jedenfalls werden wir in den nächsten Tagen da einziehen. Du bleibst doch hier, in Deutschland, oder nicht?“
„Ich gehe dahin, wo du bist. Ich lasse doch unsere Meisterin nicht allein zurück.“
„Danke. Kräftemäßig brauche ich zwar keine Unterstützung, aber es ist schön zu wissen, dass du mich nicht hier zurück lässt.“
„Ich weiß, dass du in der Hinsicht keine Hilfe brauchst!“, brummte Quentin.
„Ich kann mir nicht helfen, aber du erscheinst mir sehr missmutig.“
„Stimmt. Irgendwie ist es komisch und ich weiß nicht, was es ist“, gab er zu.
„Definiere komisch.“
„Na ich weiß nicht, ob ich gestern so müde war, dass ich schon Hirngespinste hatte. Aber in meinem Kopf hörte ich, wie mir jemand eine gute Nacht gewünscht hat.“
„Ernsthaft?“, fragte Sy.
„Ja. Glaubst du, mit so etwas mache ich Scherze?“
„Natürlich nicht. Beobachte das, ob es wieder vorkommt. Einen Verdacht habe ich, aber das ist mir zu vage“, erklärte Sy rätselhaft.
Quentin rieb sich durch die nassen Haare und nickte zustimmend.
„Sobald ich mit Eli die Dokumente für das Haus unterzeichnet habe, rufe ich Xyla an.“
„Das ist gut. Xyla hat ein Händchen für Organisation. Sie bekommt das schon geregelt, wenn einige der Hexenfamilien hier her übersiedeln wollen“, sagte Quentin.
„Stimmt. Trotzdem erscheint es mir noch immer das Richtige gewesen zu sein, das du mit mir hergeflogen bist. Es war nur ein Bauchgefühl. Als Xyla sagte, sie könne nicht mitkommen, da dachte ich sofort an dich“, bekannte Sy ehrlich.
„Wie ich mir gedacht habe. Warum sonst sollte unsere Meisterin mit einer solch schwachen Hexe als Begleitung durch die Welt fliegen.“
„Jetzt mach dich nicht selbst schlecht.“
Quentin machte eine abwehrende Handbewegung. Dann hörte er einen eigenartigen Satz: Wenn du nur wüsstest.
Unsicher und stirnrunzelnd sah Quentin sich im Zimmer um. Außer Sy war doch niemand hier! Wer um Himmels willen hatte denn jetzt gesprochen? Auch hatte er den Eindruck, es war schon wieder nur in seinem Kopf gewesen. Wurde er jetzt verrückt? Er wusste es wirklich nicht. Nur eines war sicher, dass es eine Frau gewesen war, die diese Worte gesagt hatte.
Kai und Cosimo waren gerade dabei, sich wieder anzuziehen, als Vincent klopfte.
„Jungs, habt ihr grad Zeit?“, fragte er.
„Sicher. Was gibt’s?“, fragte Cosimo zurück.
„Ähm, ich wollte nur mal etwas wissen. Kai gibt es für dich einen Zögling?“
„Für mich?“, fragte Kai entgeistert.
„Ja. Klingt das derart unwahrscheinlich? Fast alle bekommen einen zugeordnet, das nennt man ein Schicksalslos.“
„Oh! Nein. Nicht dass ich wüsste. Also, mir wurde nicht gesagt, dass ich einen Zögling haben würde“, sagte Kai.
„Gut. Das ist beruhigend. Denn Nathan wird in Kürze einen haben, nur damit ihr beide darüber Bescheid wisst.“
Vincent sah zwischen Kai und Cosimo hin und her. Kai sah verdutzt aus, Cosimo wirkte eher wenig erstaunt. Er hatte es sicherlichbereits gewusst.
„Übrigens wird das Haus in drei Tagen wieder Strom haben, falls Nathan es noch nicht erwähnt haben sollte“, meinte Vincent und wandte sich zum Gehen.
„Ist gut. Danke, Herr“, sagte Cosimo, bevor Vincent durch die Tür verschwand.
„Eigenartig. Ich habe da überhaupt nicht mehr dran gedacht.“ Cosimo schüttelte den Kopf.
„Wusstest du das schon?“, wunderte sich Kai.
„Ja, sicher. Vincent wusste von Eli auch, dass sie sein Zögling sein würde.“
„Mir wurde keiner zugeteilt. Das ist mir nur recht, denn ich teile mein Blut ja bereits mit dir und Nathan“, warf Kai zwinkernd ein.
„Ich würde auch ungerne darauf verzichten“, gab Cosimo zurück.
„Da sind wir uns ja einig. Und wie es aussieht, sind wir nur noch kurze Zeit hier zu Gast.“
„Schön, wieder nach Hause zu kommen“, ergänzte Cosimo. „Aber sag mal, ich weiß so gut wie gar nichts von dir. Das mit dem Zögling hätte ich dich schon längst mal fragen sollen. Und was ist eigentlich mit deinen Eltern?“
Kai sah ihn verwundert an, zog die Brauen nach oben, als würde er nicht glauben, dass Cosimo ihn das gefragt hatte.
„Meine Eltern, hm? Nun, einfach ausgedrückt: Sie sind nicht einverstanden mit meiner sexuellen Orientierung. Ich bin jetzt einhundertzweiundziebzig Jahre, wie du weißt, und habe meine Eltern schon seit über einhundertzehn Jahren nicht gesehen“, bekannte er.
„So lange?“
„Jap. Findest du das schlimm? Ich vermisse sie nicht, denn ich bin nicht der Sohn, den sie haben wollten.“
Kai zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck wirkte auf Cosimo, als wäre ihm das alles egal.
„Schlimm ist nicht das richtige Wort. Traurig trifft es besser. Wie kann man nur sein Kind einfach fallen lassen?“, wunderte sich Cosimo.
„Frag mich das nicht.“
„Scheint ja ganz in Mode zu sein. Soweit ich weiß, wollen Lisas Eltern ihre Tochter auch nicht mehr um sich haben - seit sie bei Albert war.“
„Das ist ja noch bescheuerter wie bei mir. Ich habe mir mein Leben ja selbst ausgesucht. Lisa hatte bestimmt nicht freiwillig vor, bei Albert zu sein“, murrte Kai.
„Hm-hm. Und jetzt bekommt Nathan seinen Zögling. Ich bin mal gespannt, wie das wird.“
„Denkst du, Anna wird eifersüchtig sein?“, rätselte Kai.
„Ich weiß es nicht. Sie hat eigentlich keinen Grund dazu. Erstens ist es nicht zu übersehen, dass Nathan Anna, und die Kleinen liebt. Und zweitens, Zöglinge kann man sich im Normalfall nicht aussuchen, es ist einfach so.“
„Stimmt. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich keinen habe. Obwohl, wenn man es genauer betrachtet - Nathan braucht uns beide ja schon, wenn auch freiwillig“, sagte Kai zwinkernd.
„Ja, aber zum Glück will er nicht an deinen Hals“, bekannte Cosimo mit einer Spur von Eifersucht.
Kai grinste und zog Cosimo zu sich, beschrieb an dessen Hals eine nasse Spur mit seiner Zunge. „Deinen auch nicht!“, raunte er.
Cosimo schnurrte. Er spürte die frischen Bissmale unter Kais streichelnder Zunge nur zu deutlich. Und sein Verhalten demonstrierte eindeutig Besitzanspruch, also war Kai nicht weniger eifersüchtig, als Cosimo selbst. Noch immer.
Cosimo vermutete, dass sich das zeit ihres Lebens nicht ändern würde.
Kapitel 3
Anna und Nathan waren vollauf mit ihren Zwillingen beschäftigt. Die Kontrollbesuche beim Arztgestalteten sich immer als Kraftakt. Beide Kinder mussten komplett ausgezogen werden, wurden vermessen und gewogen. Und was der Doc für Maße nahm! Von der Größe der Füßchen über die Armlänge bis hin zum Kopfumfang. Alles wurde genau verzeichnet.
Die nun schon hervorschießenden Zähnchen wurden auch in die Liste eingetragen. Es war für Wolfskinder, sofern sie denn so lange überlebt hatten, keine Seltenheit im Alter von wenigen Wochen die ersten Zähne zu bekommen. Allerdings stellte der Doc verwundert fest, dass die Zähnchen die sich durch das Zahnfleisch im Unterkiefer schoben, normale Zähne waren. Keine spitzen Ecken unten, nur oben. Und das traf auf ein Vampirgebiss zu.
Nathan sprach den Doc auf die Beobachtung von Sy an.
„Uns wurde gesagt, Vince hätte den Geruch beider Spezies zu gleichen Teilen, bei Jules wird es sicher nicht anders sein.“
„Das erscheint mir auch so. Ich dachte, ihr hättet das gewusst“, gab der Arzt zurück.
Anna schnaubte. „Das hatten wir schon mal: Ich dachte, ihr hättet das gewusst. Wie das ausgegangen ist, wissen wir ja.“
Der Blick, den Nathan ihr daraufhin zuwarf, war für Anna nicht zu deuten. Wenn sie an die Geburt der Zwillinge dachte, die sie in der menschlichen Gestalt erlebt hatte, wurde sie ärgerlich. Dass der Arzt nicht erwähnt hatte, sie solle in Wolfsgestalt entbinden, brachte sie noch heute aus der Fassung.
Der Doc räusperte sich verlegen.
„Ich werde in der Zukunft einfach alles erklären, auch wenn ich der Meinung bin, dass ihr manches schon wissen müsstet“, gab er sich geschlagen.
„Ja, das wäre besser“, sagte Anna.
Nathan enthielt sich dem Thema und begann, Jules in ihre Kleider einzupacken.
Anna fand es immer wieder erstaunlich, wie zart seine großen Hände das Baby hielten. Wie vorsichtig und sanft er die Kinder berührte. Sie selbst handhabte das weniger zimperlich, die Zwillinge waren schließlich nicht aus Porzellan!
Trotzdem berührte es jedes Mal ihr Herz, wenn Nathan die Kleinen umsorgte. Einzig den Teil mit den frischen Windeln lehnte er noch immer ab.
Nachdem Eli Sandra in ihrem Zimmer zurückgelassen hatte, betrachtete sie das Bild von Quentin, das sie vergangene Nacht gezeichnet hatte.
Auf die Schnelle hatte sie Eli eine gute Erklärung geliefert, die allerdings nur zur Hälfte aus der Wahrheit bestanden hatte. Quentin gefiel ihr, sehr gut sogar.
Wenn du nur wüsstest!, dachte sie und zwang ihren Blick von dem Bild weg.
Um eine Ablenkung von ihren Gedanken zu haben, begann Sandra ein Bild von Sy zu malen.
Sie hatte ein Halbporträt im Sinn, das die langen schwarzen Haare voll zur Geltung brachte. Die erste Skizze hatte sie schnell angefertigt und die nächsten Stunden verbrachte sie damit, das Bild zu vollenden. Sie verpasste darüber selbst das Mittagessen. Ihren Hunger spürte sie erst, als sie die letzten Feinheiten ausarbeitete. Erstaunt über sich, wie sie so tief in ihre Arbeit hatte versinken können, sah sie auf die Uhr. Es war beinahe sechs und es würde sicher gleich Abendessen geben. Also legte sie das Bild und den Kohlestift beiseite und ging hinunter.
Je näher sie dem Esszimmer kam, umso mehr strömte ihr der verlockende Duft des Essens entgegen. Ihr Bauch machte lautstark auf sich aufmerksam und Sandra war froh, dass sie allein auf dem Flur war. Es war ihr peinlich, dass sie über das Zeichnen das Essen vergaß, dadurch den ganzen Tag, außer dem Kaffee, noch nichts zu sich genommen hatte.
Im Esszimmer waren dann alle versammelt, nur Sven fehlte am Tisch. Sandra vermutete, dass er entweder wieder bei den Büchern hing oder in seinem neuen Haus war.
„Da bist du ja. Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben“, begrüßte Eli Sandra scherzhaft.
„Ich habe gezeichnet“, gab sie zurück und setzte sich.
„Das erklärt alles“, warf Anna ein.
„Zum Thema zurück. Wann genau zieht ihr denn jetzt in das Haus?“, fragte Anna dann an Sy gerichtet.
„In den nächsten Tagen“, gab die Hexe zurück.
Das weitere Gespräch verfolgte Sandra nur mit halbem Ohr, denn sie war viel zu sehr mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt. Bis Lisa etwas sagte, das Sandra aufhorchen ließ.
„Also, mich stört das ja nicht wirklich, weil ich nur Sy rieche, aber für euch Wölfe muss das verwirrend sein.“
„Und wie!“, stöhnte Anna. „Ihr Mädels habt Glück, dass ihr nur Sy riecht. Ich habe hier ein Wirrwarr aus Wolf, Vampir und Hexe in der Nase, dass mich konfus macht!“
„Das stimmt. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Aber zu dem starken Geruch der Vampire nun auch noch den Rauch andauernd in der Nase zu haben, lässt mich einen Schnupfen herbeisehnen!“, bekannte Juli.
„Ich weiß nicht, was ihr habt! Sy riecht doch nicht aufdringlich und ich glaube kaum, dass es bei Quentin anders ist“, warf Eli ein.
„Das vielleicht nicht. Aber ihr Vampirfrauen riecht nur euren Mann und Sy. Wir Wölfe riechen hier alle Männer, Sy und euch Mädels!“, meckerte Anna.
Sandra konnte es kaum glauben. Konnten weder Eli noch Lisa oder Paulina Quentin riechen? Aber das hieße ja … Oh Gott! Wahrscheinlich war ihr gerade alle Farbe aus dem Gesicht gewichen, denn Eli musterte sie.
„Sandra, was ist los?“, fragte sie scheinheilig.
„Ähm, so ungern ich das jetzt hier vor allen zugebe, aber … ich rieche ihn“, gab sie zu und zeigte verstohlen auf Quentin.
Die Gespräche am Tisch verstummten. Von jetzt auf gleich war es still, nur noch das Ticken der großen Standuhr war zu hören.
Oh wie unangenehm!, stöhnte Sandra im Geiste.
Quentin und Sy sahen sie fragend an. Eli strahlte von einem Ohr zum andern, während Vincent eher fassungslos aus der Wäsche guckte.
„Wer hätte das gedacht!“, ließ Juli verlauten.
„Ist ja irre! Und es freut mich, wirklich!“, gab Tobias dazu.
„Entschuldigt bitte. Aber ich komme da nicht mit“, sagte Sy.
„Wie auch!“, sagte Vincent zu ihr.
Er sah zwischen Sandra und Quentin hin und her, die vier Stühle voneinander entfernt, am Tisch saßen.
Eli seufzte vernehmlich. Dann gab sie Sy und Quentin eine Zusammenfassung.
„Also, ich habe keine Ahnung, was ihr schon alles von uns wisst. Aber wenn eine Vampirin einen männlichen Vampir riechen kann, dann ist sie seine Schicksalspartnerin. Bei Anna und Juli ist es so, dass sie zwar alle riechen, aber ihr Partner riecht für die beiden am stärksten. Selbst bei uns zu Hause, wo fast alles Vincents Duft trägt, ist für Anna nur der Geruch nach Nathan der Stärkste“, erklärte sie.
Sy sah verwundert zu Sandra, dann zu Quentin.
„Hm, das würde erklären, warum mein Bauchgefühl mich dazu gedrängt hat, dich mitzunehmen“, sagte sie zu ihm.
„Ach, und wie soll ich das jetzt verstehen? Werde ich gar nicht gefragt?“, gab Quentin zurück. „Nichts gegen dich, Sandra. Aber das ist doch eigenartig.“
„Wem sagst du das“, meinte sie.
„Hey, Moment Mal! Jetzt merke ich das erst. Du bist das - du redest in meinem Kopf!“ Quentin sah sie durchdringend an.
Sandra hob abwehrend die Hände.
„Ähm, ich rede in niemandes Kopf!“
„Oh doch! Das ist jetzt zwei Mal passiert und ich irre mich nicht. Du redest in meinem Kopf“, beharrte Quentin auf seiner Aussage.
„Das ist doch Quatsch!“, schnaubte sie dagegen an.
„Also hör mal! Ich bilde mir das nicht ein!“, warf Quentin wieder zurück.
Sy beobachtete gebannt den wörtlichen Schlagabtausch. Hinzu kam, dass sie im Geiste lächelte. Denn sie wusste, was das bedeutete. Es wussten alle. Jetzt war Sy sich sicher. Diese beiden da vor ihr, die versuchten die Wahrheit abzustreiten, waren füreinander bestimmt!
Als Cosimo, wie die anderen, Zeuge des Wortgefechts zwischen Sandra und Quentin wurde, lächelte er in sich hinein. Da hatten sich allem Anschein nach zwei gefunden, die das Schicksal vereinen wollte. Und wie es aussah, wehrten sich beide nach Leibeskräften dagegen. Nur komisch, dass ihre Augen eine andere Sprache als ihr Mund sprachen. Cosimo zwinkerte Kai zu, der das Schauspiel ebenso lächelnd beobachtete. Dem Schicksal konnte man nicht aus dem Weg gehen. Es war unmöglich. So wie Kai in Cosimos Leben aufgetaucht war und es auf den Kopf gestellt hatte! Und Etienne? Dem war es nicht anders ergangen. Eigentlich traf das auf alle Anwesenden zu. Von Vincent bis hin zu Julietta, alle waren mit ihrem Partner vereint worden, auf eine Weise, die sie nicht erwartet hatten. Doch war das nicht die Würze im Leben? Die Dinge geschehen so, wie sie sein sollten und bei Weitem nicht immer so, wie man es haben wollte!
Das schien auch die Hexenmeisterin so zu sehen, denn Sy verdrehte gerade die Augen.
„Also bitte! Schluss jetzt, ihr zwei. Wisst ihr eigentlich, wie ihr euch benehmt?“, rügte sie.
Sandra schloss den Mund und ließ die Worte, die sie aussprechen wollte, ungesagt.
Quentin sah verlegen aus.
„Na also. Geht doch“, freute Sy sich und griff nach der Platte mit dem Gemüse.
Eli schüttelte den Kopf.
„Du hast uns gerade noch gefehlt!“, keimte Vincent.
„Na, ich darf doch sehr bitten!“, amüsierte sich Sy.
Julietta kicherte über diese Aussage.
„Also wirklich, wir sind hier am Tisch schon ein komischer Haufen. Vor einem Jahr hätte ich das alles nicht für möglich gehalten.“
„Stimmt. Und ich habe das nicht kommen sehen!“, warf Etienne ein.
So wurden die normalen Gespräche wieder aufgenommen. Besteck und Geschirr klapperten und der Wortwechsel zwischen Quentin und Sandra wurde nicht mehr erwähnt.
Es ging Sandra jedoch nicht aus dem Kopf. Sie wusste nicht wirklich, was sie tun sollte. Jetzt war es nicht nur, dass sie seinen Geruch wahrnehmen konnte und die anderen Vampirinnen nicht. Zu allem Überfluss schien er Dinge zu hören, die sie dachte und gedanklich auf ihn bezogen waren. Es war ja nicht so, als wäre sie abgeneigt. Sie mochte ihn, er gefiel ihr. Aber sah er das ebenso? Alles nachdenken half nicht, sie würde ihn danach fragen müssen.
Quentin machte sich seine eigenen Gedanken. Sandra konnte ihn riechen, also war er nach Vampirart für sie bestimmt. Sy schien das weder zu überraschen, noch zu stören. Aber er war eine Hexe, verdammt! Er konnte doch nicht eine Vampirin zur Frau haben, oder? Denn die Frage war nicht, ob er sie wollte oder nicht. Ihn beschäftigte eher, ob das alles funktionieren würde. Sie musste Blut trinken, um zu überleben. Das Blut eines Vampirs. Und Quentin war eindeutig keiner.
Immer wieder fiel sein Blick zu ihr, besonders ihre türkisenen Augen faszinierten ihn. Die Silberfäden schwammen ruhelos umher, standen dann einen Moment still und setzten ihren Weg in der Iris fort. Das wirkte auf ihn verrückt, jedoch nicht minder anziehend. Anscheinend kamen ruhelose Augen aber öfter vor, denn er hatte schon beobachtet, dass die Augenfarbe von Kai auch sehr schwankend war. Manchmal war mehr Grün zu sehen, dann wieder dominierte gelb.
Diese Erkenntnis brachte Quentin nur nicht weiter. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als mit Sandra zu reden. Am besten gleich nach dem Essen, dann hätte er es hinter sich.
Obwohl Sandra solch großen Hunger gehabt hatte, bekam sie nun kaum noch etwas herunter. Gespannt erwartete sie, dass Quentin mit dem Essen fertig war, um ihn zu einem Gespräch aufzufordern. Allerdings war sie sich nicht sicher, wo das stattfinden sollte. Im Wohnzimmer? Nein, eher nicht. Da hätten sie keine Ruhe. Aber ihn zu einer Unterhaltung in ihr Zimmer zu bitten, erschien ihr ebenso unpassend.
Sie war noch unschlüssig, als er seine Gabel auf den Teller legte und sich auf dem Stuhl zurück lehnte.
„Julietta, ich muss zugeben, du hast gute Köche“, lobte er.
„Danke. Ich weiß“, gab sie zwinkernd zurück.
Quentin streckte sich und stand auf. Sein Blick schweifte in die Runde und blieb an Sandra hängen.
„Ich glaube, wir beide sollten uns mal unterhalten“, befand er.
Sandra nickte. Er war ihr zuvor gekommen.
„Ja, das denke ich auch.“
Sie stand ebenfalls auf und folgte ihm, da er bereits aus dem Raum ging.
Die anderen sahen den beiden schmunzelnd nach. Doch das konnte keiner von beiden sehen. Quentin war froh, ohne weitere Erklärungen das Esszimmer verlassen zu haben, er hätte sowieso nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Jetzt lief Sandra ihm hinterher, und er kam sich total blöd vor. Ruckartig blieb er stehen.
„Nicht gerade nett von mir, hm? Ich bitte dich um ein Gespräch und gehe dann so schnell, als würde ich vor dir weglaufen.“
„So in etwa kam mir das jetzt vor, ja“, gab sie zurück.
„Entschuldige, aber mein Kopf überfordert mich im Moment“, sagte er und grinste schief.
„Das kann ich nachvollziehen.“
Gemeinsam gingen sie weiter, nun nebeneinander. Die Treppe herauf, über den Flur, bis sie vor ihren Zimmertüren standen.
„Deins oder meins?“, fragte Quentin.
„Meins, dann kann ich dir auch gleich noch was zeigen“, gab sie zurück.
Quentin nickte. Er folgte ihr in den Raum und blieb unschlüssig stehen. Außer dem Bett gab es keine Sitzmöglichkeit, und das erschien ihm irgendwie unpassend für ein Gespräch.
Sandra nahm das Bild vom Nachtisch und hielt es ihm hin.
„Du hast mich gemalt?“, fragte er erstaunt.
„Hm. Du sahst toll aus, in dem Moment. Das war, als du der Schüssel Füße verpasst hast“, erklärte sie ihm.
Quentin lachte leise.
„Ich kann mir auch vorstellen, was ich in deinem Kopf gesagt habe. Eli hat das Bild gesehen und ich habe ihr erklärt, was ich dir gerade gesagt habe. Allerdings habe ich etwas weg gelassen. Und später in Gedanken hinzugefügt, dass an dich gerichtet war.“
„Das war heute Vormittag, oder? Der Zusammenhang, in dem ich das gehört habe, war ein ganz anderer und hätte auch dazu gepasst. Und gestern Abend hast du mir eine gute Nacht gewünscht. Jedenfalls so ungefähr.“
„Ja, richtig. Du sahst aus, als könntest du im Stehen schlafen“, sagte sie. „Aber, was ich nicht verstehe, ist: Warum empfängst du Gedanken von mir, die ich ja nicht direkt – also nicht willentlich, an dich richte.“
„Aber das hast du doch. Du hast prinzipiell mit mir gesprochen, wenn auch nur im Kopf. Das ist die einzige Erklärung, die ich dafür habe.“
Quentin zuckte mit den Schultern, er schien das ebenso wenig erklären zu können, wie Sandra.
„Lass und das Mal ausprobieren. Ich will wissen, ob ich das willentlich machen kann“, meinte sie.
Da er nickte, dachte sie einen Satz, den sie zwar an ihn richtete, aber nur gedanklich aussprach.
Er zog die Brauen hoch und sah sie an, etwas in seinem Blick hatte sich verändert, dann lächelte er.
„Du gefällst mir auch“, sagte er.
Ihr Gedanke war also wirklich angekommen, denn sie hatte gedacht: Quentin, du gefällst mir.
„Nur, genau da liegt mein Problem. Ich bin eine Hexe. Du aber bist ein Vampir. Wie soll das funktionieren?“, fragte er sie.
„Ich habe keine Ahnung! Du solltest wissen, dass ich noch nicht lange so bin. Eli hat mich wandeln müssen, sonst wäre ich gestorben. Und deshalb kann ich ein Jahr lang nur von ihr trinken. Was danach ist, wie es dann weitergeht, das weiß ich selbst nicht.“
„Wie jetzt? Du bist nicht als Vampir geboren?“, fragte er erstaunt.
„Nein. Ich war, genau wie Tobias, ein Mensch. Wobei es bei Tobias nicht ganz zutrifft, denn sein Vater war ein Mischling“, sagte sie.
Dann begann sie, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Die Vergewaltigung, die Klinik, dass niemand ihr geglaubt hatte. Wie Tobias sie fand und mitnahm, von dem verrückten T, dem sie verdankte, dass sie nun ein Vampir war. Ihre Verletzung hätte sie unmöglich überleben können, die einzige Wahl war Eli mit ihrem Blut gewesen.
„Und, zum krönenden Abschluss. Der Mischling, der mir das angetan hat, ist tot. Vincent und Tobias haben sich ihm angenommen. Und da Vincent vorher den Vater des Mischlings getötet hatte, durch andere Hintergründe, ist Tobias nun der Vampirfürst dieser Blutlinie“, sie schloss ihre Erzählung ab.
Quentin hatte schweigend zugehört. Und nun, wo sie geendet hatte, sah er fassungslos aus.
„Du … das ist ja unfassbar!“, sagte er dann.
„Hm. Es ist einfach so. Und ich nehme an, es sollte so sein. Keiner weiß genau, wer unseren Weg wählt, wer die Fäden zieht. Aber da Tobias und Julietta vom Schicksal vereint wurden, war es wohl mein Los, ihn zur Welt zu bringen. Auch dass ich verletzt wurde, sollte wohl so sein. Wahrscheinlich würde ich sonst noch immer mit mir ringen, ob ich ein Mensch bleiben will oder nicht“, sagte sie leichthin.
„Das ist eine Menge Last, die du da mit dir zu tragen hast. Und du tust gerade so, als wäre das alles ein Klacks“, wunderte er sich.
„Könnte ich es ändern, rückgängig machen? Nein. Es ist, wie es ist. Basta.“
„Ich ziehe den Hut vor dir. Aber das beantwortet nicht die Frage auf das Problem.“
Quentin begann, im Zimmer auf und ab zu laufen.
„Ich habe den Eindruck, du machst es zu einem Problem. Wenn es so sein soll, dann wird es funktionieren. Das tut es bei Anna und Nathan ebenso wie bei Juli und meinem Sohn. Warum sollte es also bei uns nicht klappen?“
Quentin blieb stehen und sah sie an. Sein Blick war für Sandra nicht zu deuten.
„Weißt du, nichts gegen dich. Aber ich komme mir gerade so vor, als wollte das Schicksal mir meine Braut vorschreiben. Und dabei dachte ich immer, ich würde eines Tages die eine Hexe treffen, die zu mir passt. Das alles ist ... ach, ich weiß auch nicht!“, sagte er und brummte verhalten.
„Komisch. So ähnlich dachte ich auch. Aber, alle die Paare, die ich kennengelernt habe, haben sich auf eigenartige Weise gefunden und immer anders als gedacht. Das Leben folgt keinem Bilderbuchplan.“
„Das mag sein“, seufzte er.
Sandra sah ihn an, und dachte sich das, was sie sonst laut ausgesprochen hätte. Sie war sich sicher, dass der Gedanke bei ihm ankam.
Kapitel 4
„Ich will nicht da einziehen!“, wehrte Tanja wütend ab.
„Aber Kind! Du musst. Es bleibt dir gar nichts anderes übrig“, beschwichtigte Charlotte ihre Tochter.
„Es sei denn, du ziehst es vor, zu sterben!“, warf Frank bösartig ein.
Er hasste es, wenn seine Tochter sich wie ein verwöhntes Püppchen benahm. Nur, leider war sie genau das. Verwöhnt nach Strich und Faden. Von oben bis unten. Dank seiner Frau. Und seit dem großzügigen Geldgeschenk des Königs an sein Volk war es noch schlimmer geworden. Ihre Tochter bekam den Hals nicht voll und überhäufte sie mit Wünschen, die natürlich alle erfüllt werden mussten!
„Wer hat sich denn überhaupt diesen Mist mit den Zöglingen ausgedacht?“, schimpfte Tanja weiter.
Charlotte schüttelte den Kopf über diese Aussage.
„Du weißt genau, dass alles seinen Sinn hat. So auch das. Und es gibt für dich keine Widerrede, Fräulein!“, schimpfte Frank.
Tanja schob wenig rücksichtsvoll ihren Stuhl über das Parkett und stand vom Tisch auf. Hocherhobenen Hauptes rauschte sie wütend aus dem Zimmer.
Charlotte schüttelte wieder den Kopf.
„Tja, jetzt ist es zu spät, meine Liebe. Du hättest sie nicht so verwöhnen sollen“, sagte Frank zu seiner Frau.
„Ich weiß“, seufzte sie.
„Nun, jetzt wird der Haushalt des Königs seine helle Freude an ihrem Benehmen haben“, schnaubte er.
Sie wussten schon lange Zeit, dass Nathan, einer der engsten Berater von König Vincent, ihre Tochter als Zögling bekommen würde. Und, dass Nathan mit Vincent in einem Haus lebte, wusste Frank auch. Vor Kurzem war ihm sogar das Gerücht zu Ohren gekommen, Nathan hätte eine Wölfin zur Frau. Aber auf Gerüchte gab er nichts. Und selbst wenn es so war, störte es ihn nicht im Geringsten. Vielleicht wäre es sogar hilfreich, wenn es der Wahrheit entsprach. Frank hoffte nur darauf, dass seiner Tochter das verwöhnte Verhalten ausgetrieben würde. In den kommenden Tagen müsste Tanja ihre Sachen packen, ohne Wenn und Aber. Frank würde seine Tochter persönlich zu dem Vampir bringen, der im nächsten Jahr für sie verantwortlich war.
Vielleicht bekam er sie im Anschluss als halbwegs normale Vampirin zurück, doch große Hoffnungen machte Frank sich nicht.
Tanja stampfte wütend durch ihr Zimmer. Sie hasste das alles. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie wollte zu Hause wohnen bleiben, und nur zum nötigen Trinken Kontakt zu dem Vampir haben, bei dem das möglich war. Nathan.
Tanja hatte schon viel über ihn gehört. Eine Wölfin sollte seine Partnerin sein. Und er war einer von den wenigen, die eng mit König Vincent verbunden waren.
Tanja hatte keine Ahnung, wie alt er war oder wie er aussah, doch das spielte keine Rolle. Sie musste von ihm trinken, um zu überleben. Ein Jahr lang. Und ihr Vater hielt es für richtig, dass sie für diese Zeit in dessen Haushalt wohnte!
Wie unnötig. Hier hatte sie alles, was sie brauchte, jeden Wunsch las man ihr von den Augen ab. Nicht nur ihre Mutter war immer für sie da, nein, sogar die Haushälterin ließ alles stehen und liegen, wenn Tanja etwas wollte. Und das hatte gefälligst auch so zu bleiben!
Leider würde ihr Vater das nicht dulden, deshalb begann sie, einen Teil ihrer Sachen einzupacken. Um im Anschluss wieder auszupacken, denn niemand wusste genau, wann es so weit war. Sollte sie monatelang mit ihrem gepackten Zeug im Zimmer darauf warten?
Nein. Wenn die Schmerzen kamen, wäre noch Zeit genug. Also ließ sie alles, wie es war.
Frank suchte inzwischen die Telefonnummer des Königs heraus, um sie griffbereit zu haben, wenn er sie brauchte. Schließlich wollte er nicht mit der Tür ins Haus fallen und bei ihnen auftauchen, um seine Tochter abzusetzen. Er sollte wenigstens vorher anrufen, auch wenn Nathan und der König wussten, dass es bald so weit war.
„Was denkst du? Wird Tanja im Haushalt des Königs klarkommen?“, wurde er von seiner Frau gefragt.
„Das, meine Liebe, kann ich dir nicht sagen. Sie wird sich anpassen müssen. Dieses Prinzessinnen - Gehabe wird bestimmt nicht gut bei denen ankommen“, gab Frank zurück.
Charlotte seufzte.
Frank verstand seine Frau in gewisser Weise, nur, um sich jetzt noch Gedanken zu machen, war es zu spät. Der Zug war abgefahren. Jetzt hoffte Frank darauf, dass der König seiner Tochter den Kopf wusch.
Er hielt es für mehr als wahrscheinlich, dass genau das geschah. Denn der König würde sicher nicht dulden, dass ein verwöhnter Zögling, der aus der Mittelschicht stammte, das Personal auf Trab hielt. Nein, gewiss nicht.
Frank wusste nicht, ob es in anderen Familien auch so war, dass das erstgeborene Kind so verwöhnt wurde. Jedenfalls hatte Charlotte, für seinen Geschmack, eindeutig übertrieben. Was, wenn sie weitere Kinder bekämen? Sollten die
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sophie R. Nikolay
Cover: Sophie R. Nikolay
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8213-1
Alle Rechte vorbehalten