Sophie R. Nikolay
König der Vampire
Böses Blut
Roman
Umschlaggestaltung:
Sophie R. Nikolay
Alle Personen und Namen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen
sind zufällig und nicht beabsichtigt.
© Sophie R. Nikolay 2011
Auf bookrix entstanden und im AAVAA Verlag erschienen …
Jetzt ist der König wieder da!
Auflage 2021
Prolog
Egal, was war, was ist und was sein wird.
Die Welt dreht sich immer weiter. Ein neues Kapitel der Natur wurde aufgeschlagen. Eine neue Art ist geboren worden. Die Zeit wird zeigen, wie stark und groß die neue Population werden wird. Eines ist gewiss, Evolution ist nicht aufzuhalten.
So ist es nur richtig, dass sich aus zwei so unterschiedlichen Arten, eine neue hervor getan hat.
Vieles ist geschehen, im Haushalt von Vincent, dem König der Vampire. Frieden herrscht, Ruhe ist eingekehrt. Elisabetha Catherina ist wirklich die Königin der Vampire geworden, so wie Etienne es vorhergesehen hatte. Nur auf andere Weise als vermutet, denn sie regiert nicht anstatt Vincent, sondern mit ihm gemeinsam.
Cosimo hatte mit seiner Offenbarung großes Erstaunen ausgelöst - doch niemand stört sich mehr daran, dass er und Kai ein Liebespaar sind.
Nathan und Anna sind eine Besonderheit für sich. Das erste gemischte Paar zwischen den Arten, das den Grundstein für die neue Art gelegt hat. Und sie werden nicht das einzige Paar bleiben, das sich aus einem Vampir und einem Werwolf zusammensetzt.
Ungeahnt existiert noch eine weitere Art neben den Vampiren, Werwölfen und Elfen. Eine, die sich lange Zeit versteckt gehalten hat und nun bereit ist, wieder zurückzukehren …
Die Liebe vermag vieles zu heilen
Eli sah Vincent an.
„Woher soll ich das wissen?“
„Ich habe nicht erwartet, dass du es weißt. Aber es ist eigenartig, dass Dorian nicht nach Hause gekommen ist“, erklärte Vin.
„Du machst dir Sorgen, hm?“
Vincent nickte.
In ihrer Freude bekamen Kai und Cosimo das Ganze gar nicht mit. Die Aufregung um die Zwillinge hatte ihre ganze Aufmerksamkeit beschlagnahmt. Sie hatten nicht einmal bemerkt, dass jemand im Haus fehlte.
Etienne allerdings schon. Er sagte aber nichts dazu. Er hatte vorgestern, seit langer Zeit, wieder eine Vision gehabt. Aber so undeutlich, dass er selbst nichts damit anfangen konnte. Vielleicht bekam er das Bild noch einmal deutlicher rein. Sicher war nur, dass es etwas mit Dorian zu tun gehabt hatte.
Sorgen machte Etienne sich keine, im Gegenteil. Er war sich gewiss, dass Dorian unbeschadet nach Hause kommen würde. Bald.
„Eli, wann dürfen wir denn nun rein?“, drängte Kai.
Sie seufzte.
„Wartet, bis der Doc gegangen ist. Dann könnt ihr die Kleinen begrüßen. Aber nur kurz, bitte. Anna muss sich dringend ausruhen“, erklärte sie.
Anschließend erzählte sie Vincent, was der Arzt gesagt hatte. „Was denn? Der hat ihr nicht einmal gesagt, dass sie ihre Gestalt ändern soll, wenn es soweit ist? Weil er dachte, sie wüsste es?“
„Ja. Sie war total geschockt.“
„Dann weiß sie es fürs nächste Mal“, sagte Vincent zwinkernd.
Etienne musste laut lachen.
„Herr, ich denke, die beiden bekommen keine weiteren Kinder“, sagte er.
„Manchmal ist es gruselig, was du alles weißt“, bemerkte Eli.
Etienne wurde ernst.
„Denkst du, mir macht es Spaß? Dinge zu wissen, die kommen werden? Manchmal ist das echt ein Fluch.“
„Entschuldige. Ich habe das nicht so gemeint und das weißt du“, gab Eli zurück.
Etienne winkte ab.
Paulina und der Doc kamen aus dem Zimmer. Etienne schloss seine Liebste in die Arme. Sie machte den gleichen erschöpften Eindruck, wie Eli.
„Anna braucht Ruhe“, sagte der Arzt eindringlich. Er sah jeden Einzelnen an, und wartete eine Bestätigung ab. Dann nickte er.„Ich sehe die nächsten Tage noch nach ihr. Jetzt muss ich zurück. Die Praxis öffnet in einer Stunde“, verabschiedete er sich.
„Ich glaube ihr beide braucht eine Dusche“, sagte Vincent zu Eli und Paulina.
Die Nachthemden der beiden, eiligst übergeworfen als Nathan um Hilfe bat, waren mit Blut verschmiert. Eli hatte außerdem einen großen Fleck vorne, weil sie die kleine Jules zuerst auf ihren Schoß gelegt hatte. Dann die Nabelschnur durchgeschnitten und erst danach die Kleine eingewickelt hatte. Jetzt war der Stoff mit Blut, Fruchtwasserresten und der Käseschmiere getränkt.
Wortlos löste sich die Gruppe auf. Kai und Cosimo ließen es sich nicht nehmen, ihre Patenkinder zu begrüßen. Sie wollten auch wirklich nur kurz bleiben.
Etienne nahm Paulina an der Hand und zog sie zu ihrem Zimmer. Sie hatten noch immer jeder ein eigenes, doch sie benutzten meist eines der beiden gemeinsam.
Vincent schob Eli vor sich her. Dusche und Frühstück im Bett. Das hatte sie sich verdient.
Paulina hing ihren Gedanken nach. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob sie selbst einmal Kinder wollte. Das Ballett war immer vordergründig gewesen. Aber jetzt? Diese beiden kleinen, rosigen Wesen auf der Welt willkommen zu heißen, hatte etwas in ihr angestoßen. Klar, eine Geburt war schmerzhaft. Aber sobald Vince auf Annas Bauch gelegen hatte, war ihr Gesicht wie ausgewechselt gewesen. Keine Spur mehr von den Schmerzen. Nur Glück. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt. Vor Freude. Wahrscheinlich auch vor lauter Stolz auf sich selbst. Etwas so Großartiges bewältigt zu haben. Doppelt.
Nun fragte sich Paulina, ob sie selbst einmal Mutter sein könnte. Würde Etienne das überhaupt wollen?
Wahrscheinlich war noch jede Menge Zeit, bis sich diese Frage überhaupt erst einmal stellte. Bis sie die erste fruchtbare Phase haben würde, gingen sicher noch einige Jahre ins Land. Ach ja, Zeit hatte Paulina jetzt genug. Und vorerst konnten sie alle die Zwillinge bei ihrem Aufwachsen begleiten.
Im Zimmer angekommen warf sie ihr Nachthemd achtlos in eine Ecke und ging ins Bad. Duschen. Herrlich!
Das dachte Eli auch.
Ihr Nachthemd wanderte in den Mülleimer. Vincent wollte niemanden vom Personal damit beauftragen, es zu reinigen. Es wäre wohl sowieso unmöglich. Der weiße Stoff war hin. Unwiderruflich.
Während Eli das warme Wasser genoss, lief Vincent in die Küche. Drei seiner Angestellten waren dabei, das Frühstück zu bereiten.
„Guten Morgen!“, grüßte Vincent.
Ein Dreifaches, Demütiges guten Morgen Herr schallte zurück.
„Nathan und Anna werden sicher auf dem Zimmer frühstücken wollen, sorgt dafür, dass etwas vorbereitet wird. Ich selbst nehme auch ein Tablett für die Königin mit hinauf“, erklärte er.
Dann suchte er sich unter beschämten Augen die Dinge zusammen, die er seiner Eli servieren wollte. Vin wusste, dass die Angestellten es nicht gerne sahen, wenn man ihnen die Arbeit abnahm. Doch er wollte selbst für Eli aussuchen.
Mit dem beladenen Tablett in der Hand machte er sich auf den Rückweg. Der Kaffee dampfte und roch wunderbar.
Mit dem Fuß auf der untersten Stufe stockte er. Dorians Wagen fuhr in die Garage. Vincent wartete geduldig, bis die Tür sich öffnete.
„Oh. Hallo. Du bist schon auf, Herr?“, fragte Dorian verdutzt.
„Wir sind alle schon auf. Die Babys kamen eben zur Welt. Doch das kannst du ja nicht wissen, da du es vorgezogen hast, die Nacht außer Haus zu verbringen. Gibt es dafür einen Grund?“
„Die Babys sind da? Ist alles in Ordnung?“, fragte Dorian zurück und schritt auf Vincent zu.
Wow, also woanders geschlafen hatte der definitiv nicht, dachte Vincent.
Dorian hatte dunkle Ringe unter den Augen, seine Haut war blass. Er roch nach Zigaretten, Alkohol und Schweiß. Kurz, nach Menschen.
„Alles paletti. Also, was war los? Wenn du nicht so furchtbar aussehen würdest, wäre meine Vermutung, dass eine Frau dahinter steckt“, Vincent musterte Dorian.
„Das ist auch so. Nur nicht ganz so, wie es sich anhören mag. Ich brauche jetzt eine Mütze voll Schlaf. Später erkläre ich dir, was gewesen ist. In Ordnung, Herr?“, fragte Dorian.
„In Ordnung“, bestätigte Vincent ihm.
Er sah Dorian nach, der die andere Treppe nach oben nahm. Dann brachte er Eli das Frühstück.
Am Nachmittag kam Julietta vorbei. Sie wollte sich unbedingt die neuen Erdenbürger ansehen. Anna hatte sie angerufen, nachdem sie etwas geschlafen hatte. Es hatte ihr gut getan und sie fühlte sich schon viel besser.
Jetzt lag sie mit Nathan auf dem großen Bett, dass er eigenhändig für sie frisch bezogen hatte. Die Zwillinge hatten sie mittig zwischen sich liegen. Keinen Moment konnten sie die Augen abwenden von den kleinen Wundern.
Allerdings hielt Juli sich nicht lange auf. Sie beglückwünschte die beiden, sprach mit Anna über Belangloses, und verabschiedete sich wieder. Als Ausrede benutzte sie einen Termin, den sie erfunden hatte. Das wusste Anna zum Glück nicht und Juli war froh darüber. Was würde Anna nur von ihrer Clanchefin halten, wenn die ihr eine Lüge vorsetzte?
Juli hielt es für nicht sinnvoll, lange mit Anna zu sprechen. Sonst würde sie sich wohlmöglich nicht zurückhalten können, und ihr etwas von Tobias erzählen. Gestern war Juli, ganz entgegen ihrer Art, feige gewesen. Sie hatte ihm gegenüber kein Wort darüber verloren, wer oder was sie war. Sie hatte es vorgehabt, ehrlich. Doch sie hatte sich nicht getraut.
Heute trafen sie sich wieder, und sie nahm sich erneut vor, ihn einzuweihen. Aber die Angst, er würde sich von ihr abwenden, saß ihr fest im Nacken.
Während Julis Kurzbesuch wachte Dorian auf. Nach einer ausgiebigen Dusche suchte er nach seinem König. Er fand ihn im Büro.
„Herr, hast du Zeit?“, fragte er, als er eintrat.
„Sicher. Ausgeschlafen, was?“
Dorian nickte. Er wusste überhaupt nicht, wo er anfangen sollte.
„Jetzt setze dich hin und erzähl, was los ist.“
„Herr, ich beobachte schon länger eine Vampirin. Die Situation ist so: Lisa, so heißt sie, ist ein Junkie. Sie ist süchtig nach dem Blut der Menschen. Jeden Abend habe ich sie dabei gesehen, wie sie von einem trinkt. Sie lässt sie am Leben und schickt sie weg. Gestern habe ich sie zur Rede gestellt. Sie weiß, dass es falsch ist, was sie tut. Aber sonst kennt sie sich nicht viel mit unseren Regeln aus. Der Verräter war ihr Lehrmeister.“
„Was denn, Albert?“, fragte Vincent.
„Ja. Sie hat ihn verlassen, sobald sie konnte. Von da an war sie immer auf sich alleine gestellt und hat begonnen, von den Menschen zu trinken. Wir haben uns die ganze Nacht unterhalten und sie hat mir versprochen, damit aufzuhören. Wenn ich sie nicht an dich ausliefere“, erklärte Dorian.
„Hm. Eigentlich muss sie für ihr Verhalten bestraft werden. Die Menschen, die sie beißt, werden Geschichten erzählen. Die Sicherheit unserer Art steht auf dem Spiel.“
„Nachdem was sie mir erzählt hat, nicht. Sie hat eine Gabe, Herr. Sie trinkt ausschließlich von jungen Männern. Sie schleppt sie aus der Disco und jeder von den Typen war total scharf auf sie. Wenn sie sich dann satt getrunken hat, setzt sie ihnen einfach eine Erinnerung in den Kopf. Sie variiert die Bilder, die sie ihnen gibt. Aber der Grundsatz ist gleich. Sex. Nur dass sie nie mit einem von denen geschlafen hat.“
Vincent hob eine Braue.
„Sie kann das Gedächtnis manipulieren?“
„So in etwa. Sie sagt, sie kann nichts auslöschen, aber künstliche Erinnerungen erzeugen, die dann die wirkliche Erinnerung überlagern.“
„Und was hast du jetzt vor?“, wollte Vincent wissen.
„Ich versuche sie bei einem Arzt unterzubringen, der ihr bei dem Entzug hilft. Es ist wohl eher seelisch als körperlich. Wie eine Zwangshandlung. Kein Wunder, wenn sie Alberts Zögling gewesen ist.“
„Vielleicht kann Eli ihr helfen“, rätselte Vin.
„Ich glaube kaum. Lisa ist ja nicht krank. Aber ich würde sie gerne unter Beobachtung halten.“
„Dann tu das. Aber es ist deine Verantwortung.“
„Danke, Herr. Wenn es nicht funktioniert, werde ich sie herbringen. Dann kannst du entscheiden, was zu tun ist.“
Vincent schnaubte. „Klar zieh du nur den König aus dem Ärmel. Ich tauge prima als Ass!“
„Tja, als König genießt du es, auch die unangenehmen Sachen erledigen zu müssen“, meinte Dorian zu ihm.
„Ich hoffe, dass es nicht soweit kommen muss. Es reicht schon, dass der Verräter das Zeitliche gesegnet hat. Da muss sein Zögling nicht auch noch dran glauben.“
„Das hoffe ich auch. Es wäre wirklich schade um sie“, sagte Dorian nachdenklich.
„Mir scheint, die Frau gefällt dir.“
„Das kannst du glauben, Herr. Wäre nur ihr Innerstes so schön wie das Äußere. Aber sie hat mich auf eine Idee gebracht. Wenn sie sich unter den Menschen bewegt, trägt sie farbige Kontaktlinsen. Um ihre wahre Farbe zu verbergen. Das ist praktischer als die Sonnenbrillen.“
„Prinzipiell schon. Auf die Idee kam Eli auch schon. Nur, hinter den Dingern arbeitet das Auge nicht richtig. Auto fahren geht gar nicht. Die Pupille dehnt sich, aber nicht die gefärbten Dinger.“
„Scheiße. Da habe ich nicht dran gedacht", gab Dorian zu.
„Siehst du. Und, was hältst du von den Kleinen?“
„Hab sie noch nicht gesehen. Darf die junge Familie schon besucht werden?“
„Klar. Soweit ich weiß, war Julietta eben da", meinte Vincent.
„Na dann gehe ich doch mal die Zwerge betrachten", meinte er und stapfte davon.
Dorian klopfte zaghaft an die Tür.
„Komm rein", rief Nathan.
„Hey", begrüßte Dorian die beiden, als er eintrat.
„Du hast dir aber Zeit gelassen", kommentierte Nathan Dorians Besuch.
„Entschuldigt, aber ich brauchte dringend Schlaf. Kam erst heute Morgen nach Hause. Und so übernächtigt wollte ich euch nicht unter die Augen treten.“
„Schon gut. Jetzt komm her und sie dir die Kleinen an", sagte Anna sanft.
Dorian trat ans Bett. Neben Anna lagen zwei kleine Bündel, aus denen nur das Babygesicht hervor schaute.
„Das sind also Vince und Jules? Herrje, sind die klein!“, meinte Dorian staunend.
„So klein nun auch wieder nicht. Für Zwillinge sind sie außergewöhnlich groß.“
„Darf ich?“, fragte Dorian und deutete auf eines der Kinder.
„Klar", gab Anna zurück.
„Aber sei bloß vorsichtig mit meinem Sohn", warnte Nathan.
„Nee, klar. Ich nehme jetzt das Bündel und lass es fallen, hm? Du hältst mich ja für sehr unfähig!“, meckerte Dorian und nahm den Kleinen auf den Arm.
Wache blaue Augen blickten ihm entgegen. Die Decke, in die Vince eingeschlagen war, verrutschte und entblößte sein blondes Haar. Der kleine Kerl hatte schon eine richtige Frisur!
„Er kommt ganz nach dir, was?“, wandte sich Dorian an Nathan.
Der strahlte.
„Siehst du, ich kann auch was Gutes fabrizieren", brüstete er sich.
„Habe ich je etwas anderes behauptet?“
Dorian strich dem Kleinen über den Kopf.
„Hey, kleiner Mann. Ich bin Onkel Dorian. Ich bringe dir alles über Autos bei, was du wissen musst", sagte er leise zu dem Kind.
„Bloß nicht!“, stöhnte Anna und griff sich theatralisch ans Herz.
Dorian lachte. Tief aus dem Bauch und von ganzem Herzen. Anna musste man einfach gern haben. Wer sie nicht mochte, war selbst schuld. Anna war der perfekte Kandidat, mit dem man Pferde stehlen konnte. Sie passte wunderbar in den verrückten Familienhaufen, der hier im königlichen Haus versammelt war.
„Und die kleine Dame, kommt sie auch nach Nathan?“, erkundigte sich Dorian.
„Nein. Sie ist wie ich.“, erklärte Anna stolz und zog die Decke etwas zurück. Pechschwarzes Haar bedeckte den kleinen Kopf, glatt und seidig glänzte es im Licht. Auch das Gesicht erschien Anna näher zu kommen als Nathan. Sie hatte wohl auch blaue Augen, das hatten ja alle Babys, aber die Form der Augen war anders ausgeprägt als bei Vince. Das Gesicht war schmaler und der Mund voller. Sie würde später bestimmt eine wunderschöne Frau werden.
„Du hast Recht, Anna. Eure Tochter ist genauso hübsch wie die Mama. Meinen Glückwunsch. Die beiden habt ihr toll hinbekommen!“, lobte Dorian.
„Vielen Dank. Auch für das Kompliment", gab Anna zurück.
„Brauchst dich gar nicht bei meiner Frau einzuschleimen. Die bekommst du nicht", brummte Nathan.
„Hey, will ich auch nicht. Ich bin bloß nett!“, wehrte sich Dorian.
Vorsichtig legte er den Kleinen wieder zu seiner Schwester auf das Bett.
„Ich hab noch was für euch, Moment", meinte er dann und ging aus dem Zimmer.
Nathan sah ihm rätselnd hinterher.
Keine zwei Minuten später war Dorian wieder da. Er stieß die Tür mit dem Fuß auf, denn die Hände hatte er nicht frei.
„Ich weiß, ist noch ein wenig früh, aber was soll's", meinte er und hielt ihnen zwei Bobby-Cars entgegen.
Eins in Pink, mit gelbem Lenkrad. Das zweite Auto in Schwarz, mit breiten Reifen.
Anna starrte Dorian entsetzt an. Nathan bekam einen Lachanfall.
„Du ... du bist echt bescheuert! Aber trotzdem danke!“, sagte der und nahm Dorian die Rutschautos ab.
„Man tut, was man kann“, meinte Dorian zwinkernd.
„Danke, Dorian. Eine Rassel hätte es auch getan", sagte Anna liebenswürdig.
Im Geiste schalt sie ihn einen verrückten Kerl.
2. Kapitel
Julietta bemühte sich, betont lässig in den Park zu schlendern. Sie sah Tobias schon von Weitem. Salopp saß er auf einer Parkbank, das Gesicht der strahlenden Sonne zugewendet. Er trug einfache Bermudas Shorts, ein weißes Männerunterhemd und Flip Flops. Alles dem heißen Wetter angepasst.
Dagegen wirkte Juli richtig edel. Ihr mitternachtsblaues Kleid umspielte flatternd die Oberschenkel, der Ausschnitt und die schmalen Träger waren mit Silbersteinen verziert. Dazu hatte sie silberne Riemchensandalen gewählt.
Das gesamte Outfit harmonierte mit ihrer zierlichen Figur und den weißen Haaren. Sie blieb vor Tobias stehen, nahm ihm das Sonnenlicht.
Er schlug die Augen auf.
„Hey, da bist du ja. Und du siehst wundervoll aus", begrüßte er sie.
Tobias rutschte ein Stück zur Seite, um Platz für Juli zu machen. Sie folgte der Einladung und setzte sich neben ihn.
„Hallo. Hast du schon lange gewartet?“
„Nein. Und hier in der Sonne ist es schön, also war das Warten nicht schlimm.“
„Hmm. Die Sonne tut dir gut. Du bist so schön braun", schwärmte sie und strich über seinen Arm.
„Im Gegensatz zu dir schon. Hat deine mangelnde Hautfärbung etwas mit deinen weißen Haaren gemeinsam?“, fragte er.
„Ja, das kann man so ausdrücken. Der Farbton ändert sich nie", gab sie zu.
„Dafür hast du die schönsten Augen, in die ich je geblickt habe", sagte Tobias ernst.
Julis Augen waren strahlend blau, kleine weiße Pünktchen zierten die Iris. Für einen Menschen waren sie sehr auffällig, daher trug sie meistens eine Sonnenbrille, oder erzählte, sie würde farbige Kontaktlinsen tragen. Viele hielten sie für einen Albino, auch wegen der Haare. Als sie Tobias das erste Mal begegnet war, hatte sie ihre Augen nicht verdeckt gehabt.
„Danke. Ich mag deine Augen. Und auch sonst alles an dir", sagte sie schüchtern.
Tobias hob eine Braue.
„Ach ja? Und was genau?“, fragte er leise.
Juli schluckte schwer.
„Ähm, also. Deine grünen Augen, sie lachen immer fröhlich, wenn ich dich ansehe. Deine Haare. Die schönen Hände, die du hast. Einfach ... alles. Dein Gesicht ist so schön, du müsstest Model sein. Dein Körper ist trainiert, und du bist groß. Es ... nein, ich höre jetzt auf. Ich … bevor ich anfange zu sabbern.“
Tobias kicherte.
Der Klang seiner Stimme ließ Julis Innerstes erzittern.
„So, so. Dir gefällt also, was du siehst. Und weißt du was? Mir gefällt, was ich sehe. Du bist die außergewöhnlichste Frau, die ich je getroffen habe“, sagte er ernst.
„Auch auf die Gefahr hin, dass du gleich gehst. Es gibt etwas, dass du wissen musst. Etwas über mich, was ich dir nicht verheimlichen kann und darf. Denn du bist mir innerhalb kurzer Zeit sehr wichtig geworden. Und wenn ich mein Geheimnis vor dir verberge, komme ich mir wie eine Betrügerin vor.“
Tobias unterbrach sie. „Du bist mir auch wichtig. Egal was es ist Juli, ich glaube kaum, dass ich mich noch von dir abwenden kann. Denn ich habe mich in die schönste Frau der Welt verliebt. In dich", erklärte er.
Juli seufzte. Das machte es noch schwerer.
„Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Am besten, also ... ich bin kein Mensch, auch wenn ich wie einer aussehe.“
Tobias unterbrach sie schon wieder. „Jemand der so aussieht wie du, muss von einem anderen Stern kommen", sagte er scherzhaft.
„Bitte, das ist nicht witzig. Ich meine das ernst. Auch wenn du mich gleich für verrückt hältst, dann aufstehst und auf Nimmerwiedersehen verschwindest. Hör mir bitte zu", sagte sie ernsthaft.
Tobias nickte.
„Also gut. Ich bin, so unglaublich das klingt, fünfhundertfünfundsiebzig Jahre alt. Geboren wurde ich am zweiten Mai fünfzehnhundertvierundvierzig. Ich heiße wirklich Julietta und bin die Anführerin eines Clans. Meine Gestalt, die du jetzt sehen kannst, ist die menschliche. Meine wahre Gestalt ... ist ein weißer Wolf.“
Juli stoppte und hielt gespannt den Atem an.
Tobias sah sie zweifelnd an und raufte sich durch das dunkelblonde Haar.
„Das ist wirklich dein Ernst? Du bist nicht irre, oder geisteskrank oder so?“
Juli nickte.
„Du bist also was? Ein Werwolf? Wie in Gruselstorys?“, meinte Tobias zweifelnd.
Juli nickte wieder.
„Das glaube ich nicht. Du bist ... eine Frau! Bist du sicher, dass du geistig gesund bist?“
Juli seufzte. Hier in der Öffentlichkeit konnte sie es ihm ja kaum beweisen, zu viele Spaziergänger waren in dem Park. Oder doch?
„Es ist wahr. Ich bin ein Werwolf. Die Oberste meiner Art. Ich weiß, es ist unglaublich. Ich zeige dir was, Moment", meinte sie.
In ihrem Mund begannen sich die Zähne zu verlängern, die Reißzähne des Wolfsgebisses schoben sich in ihren Mund. Verstohlen blickte sie sich um. Gut, niemand in der Nähe. Dann lächelte sie.
„Wow!“, erschrocken fuhr Tobias zurück.
Es. Ist. Wahr.
Großer Gott. Und nun? Was ist sie, ein Monster?, dachte er verstört.
Juli beobachtete Tobias. Die in Falten gelegte Stirn glättete sich, sein Gesichtsausdruck änderte sich von erschrocken zu wissend. Was tat er jetzt? Ließ er sie hier sitzen und verschwand. Tat er das, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte?
Tobias räusperte sich.
„Ich will sehen, wie du wirklich aussiehst", forderte er.
Juli sah ihn erstaunt an. Das war ja besser, als sie erwartet hatte.
„Ehrlich? Nur, hier geht das nicht", meinte sie.
„Der Park endet da vorne an einem kleinen Waldstück. Dann gehen wir dahin. Die Bäume werden uns verstecken. Ich muss es mit eigenen Augen sehen, um es wirklich zu glauben.“
Tobias stand auf. Herausfordernd blickte er auf sie herunter. Er kam zu dem Schluss, wenn sie ein Monster wäre, hätte sie ihm schon längst etwas angetan. Diesen Punkt konnte er dann streichen.
Er ging einfach los. Juli folgte ihm widerstrebend. Die kleinen Kieselsteine des Weges knirschten unter ihren Füßen. Dazu gesellte sich dass leise Flop-Flop von Tobias, ausgelöst durch die Latschen an seinen Füßen.
Am Rand des kleinen Waldes blieb er kurz stehen und sah sich nach ihr um. Dann lief er zwischen die Bäume.
Juli folgte ihm. Sie brauchte sich nicht umzusehen, sie wusste auch so, dass niemand in der Nähe war. Wofür hatte sie denn ihre gute Nase?
Der Schatten der Bäume empfing sie kühl.
Tobias war bis zu einer großen Eiche gegangen und lehnte sich lässig an den Stamm. „Also?“, fragte er.
„Ähm, ich muss meine Sachen ausziehen, wenn ich sie später noch tragen will", bemerkte sie.
Tobias Blick glitt an ihr entlang.
„Nur zu", bemerkte er trocken.
Ganz so lässig, wie er sich nach außen hin gab, war er allerdings nicht. Die Aussicht, dass sie sich hier vor ihm ausziehen würde, brachte sein Herz zum Rasen. Wie auch die Tatsache, was sie dann vorhatte.
Er hatte kaum noch Zweifel, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Sie bewegte sich mit der Anmut eines Raubtieres. Das außergewöhnliche, weiße Haar sprach auch dafür. Trotzdem musste er es sehen. Wollte sehen, dass sie ein Wolf war, um seinen Geist zu überzeugen. Sonst gehörte nicht nur sie in eine Irrenanstalt, er könnte sich dann genauso gut anschließen.
Juli war nicht schüchtern, noch nie gewesen. Trotzdem hatte sie Hemmungen, sich Tobias in ungeschützter Nacktheit zu zeigen. Vor allem, da die ganze Sache keinen erotischen Hintergrund hatte.
Wann war sie, die starke Anführerin, zu einem verschüchterten Mäuschen geworden?
Sie seufzte, schloss die Augen und zog sich aus. Die Sandalen, das Kleid, die Unterwäsche.
Sie hörte Tobias Herz schnell schlagen. Hörte, wie er zischend die Luft einsog. Sie roch die aufwallenden Hormone.
Da sie nun hier nicht als Aktmodell fungierte, fackelte sie nicht lange. Eine weiße Wolke stob um sie herum, innerhalb einer Sekunde hatte sie ihre Gestalt geändert. Von der, nun niedrigeren Position aus, sah sie ihn an.
Tobias stand der Mund offen. Vor ihm stand ein übergroßer, weißer Wolf. Der natürlichen Wolfsgattung weit überlegen.
Das weiße Fell schimmerte, die Augen waren noch die Gleichen.
„Oh Gott, Juli. Es ist also wirklich wahr!“, stöhnte er.
Langsam ging er auf sie zu.
„Ich habe es dir gesagt, dass es so ist", erklärte sie.
Tobias zuckte erschrocken zusammen.
„Verzeihung, ich hätte erwähnen sollen, dass ich auch in Wolfsgestalt sprechen kann", sagte sie leise.
Er rieb sich die Stirn als würde er seine Gedanken dazu auffordern, dass das was er gerade erlebte, als real zu betrachten.
„Scheiße!“, mehr fiel ihm nicht ein.
Die Wirklichkeit haute ihn um. Er setzte sich ihr gegenüber auf den Waldboden.
„Machst du das öfter?“, fragte er.
„Was?“
„Einen Kerl aufgabeln, ihm zeigen, wie du wirklich bist und dann ... ich weiß nicht, über ihn herfallen?“
„Nein!“, Juli war empört. „Erstens habe ich mich noch nie einem Menschen wissentlich gezeigt. Und zweites gable ich keine Kerle auf, um über sie herzufallen. Für was hältst du mich? Für eine fleischfressende Bestie?“
„Ich weiß es doch nicht!“, beschwerte sich Tobias.
„Also, wir Wölfe essen genauso normal und gesittet wie Menschen. Und ich habe dir das alles nur erzählt und gezeigt, weil ... weil ich mit dir zusammen sein möchte!“
Tobias sah das Tier vor sich an. Die schwarze Nase schnaubte, die Ohren standen gespitzt nach oben, als ob sie auf jedes Geräusch der Umgebung achten würde.
Wie sollte das denn gehen?
So wie es aussah, war sie ein übernatürliches Wesen. Eines, dass anscheinend sehr alt wurde, wenn er ihren Worten glaubte. Sie war klug, hatte ähnliche Interessen aufgezählt, wie er selbst hatte. Und sie war wunderschön, sogar als Wolf.
Und er? Er war dagegen bloß ein Mensch!
„Juli, ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Ich bin sechsundzwanzig. Wie alt werde ich? Und wie alt wirst du?“
„Warte, ich kann mich so nicht vernünftig mit dir unterhalten", bemerkte sie.
Wieder stob eine Wolke auf und die nackte Julietta stand wieder als Mensch vor ihm.
Tobias musste zugeben, dass er sie sehr begehrte, egal was in ihr steckte. Oder was sie war.
Sie bückte sich nach ihrer Kleidung und präsentierte dabei Tobias ihren schönen, hübschen Po. Den sie dann auch noch unnötigerweise mit einem Stringtanga betonte.
Das war ihm eben gar nicht aufgefallen.
Jetzt schon. Sein Herz hämmerte, schickte das Blut durch seinen Kreislauf in seine Lenden. Ohne sich wehren zu können, war er in Null-Komma-Nichts steif. Oh, oh.
Juli zog sich weiter in aller Seelenruhe an. Sie verpackte ihre Brüste in einen Schalen – BH und stülpte sich das Kleid über den Kopf. Die Sandalen zog sie nicht wieder an, stattdessen setzte sie sich ihm gegenüber und betrachtete ihn forschend.
Tobias wurde rot wie eine Tomate. Er kam sich vor wie ein Spanner.
Juli schnupperte und grinste dann süffisant.
„Ich scheine dir immer noch zu gefallen", bemerkte sie.
Ertappt!
„Warum auch nicht? Ich meine, du bist heiß. Nicht nur dein Körper gefällt mir, auch dein Geist. Ich habe selten mit jemandem gesprochen, der so klug ist wie du. Dich hier nackt vor mir zu haben, ist eine Verlockung.“
Oh ja, und wie. Am erotischsten hatte er ihre Scham gefunden. Dort hatte sie einen streifen weißer Haare. Als ein Irokese thronten die kleinen Löckchen über der empfindsamen Stelle.
Bei dem Gedanken daran drückte seine Erektion schmerzhaft gegen den Reißverschluss seiner Shorts.
„Du wirst also nicht davonlaufen?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Ich habe es nicht vor. Nur hast du meine Frage nicht beantwortet. Selbst wenn ich neunzig oder hundert Jahre alt würde, wie lange lebst du dann noch?“
„Werwölfe haben eine Lebenserwartung von weit über eintausend Jahren.“
„Dann lass mich mal zusammenfassen. Du bist ein Werwolf, wirst wahnsinnig alt und willst mit mir sein. Ich bin nur ein Mensch, Juli. Willst du mir zusehen, wie ich älter werde und dann irgendwann sterbe?“
„Ja. Oder, nein. Ich wünschte es gäbe eine Lösung, damit du mein gesamtes Leben mit mir verbringen kannst. Wenn du es denn wolltest.“
„Gibst du mir Zeit zum Nachdenken?“, bat Tobias.
„Ja, natürlich. Ich bin schon froh, dass du überhaupt geblieben bist", gab Julietta zu.
Tobias brummte etwas Unverständliches.
„Kann ich dich später anrufen?“
„Sicher. Ich gebe dir die Nummer, hast du etwas zu schreiben?“
„Nee. Aber ich kann direkt ins Telefonbuch speichern", meinte er und zog ein kleines Mobiltelefon aus der Tasche.
Juli sagte ihm die Ziffern auf.
„Okay. Dann bis später", sagte Tobias und stand auf.
Er lief schnellen Schrittes aus dem kleinen Waldstück und ließ Juli einfach sitzen.
3. Kapitel
Juli starrte ihm nach.
War es falsch gewesen, ihn einzuweihen?
Eine Träne stahl sich aus ihrem Auge, lief über die Wange und tropfte auf den Waldboden.
„Ach du bist das.“
Juli fuhr herum. Adriana, die Prinzessin der Elfen, stand hinter ihr.
„Wie ... was machst du hier?“, fragte Juli verwirrt.
„Ich habe einen Wolf wahrgenommen und wollte nachsehen. Du siehst nicht gut aus", stellte Adriana fest.
„Danke für die Blumen. Aber du hast recht, es geht mir nicht gut", gab sie zu.
Die Elfe setzte sich ihr gegenüber, auf die Stelle wo eben noch Tobias gesessen hatte.
„Erzähl es mir.“
„Also zuerst solltest du wissen, dass die Zwillinge geboren worden sind. Hat Vincent dich schon angerufen?“
„Ja, das hat er. Wie er versprochen hatte. Aber danke der Nachfrage.“
„Na dann. Was hast du eben hier mitbekommen?“, fragte Juli betreten.
„Nichts. Ich bin durch die Gegend gestreift, als ich die Anwesenheit eines Wolfs gespürt habe. Und da wollte ich nur nachsehen, wer es ist. Und dann finde ich dich hier", erklärte Adriana.
„Ich habe etwas getan, von dem ich nicht weiß, ob es ein Fehler war oder nicht. Ich habe einen Mann kennengelernt und ihm mein wahres Ich gezeigt. Er ist ein Mensch und ich ... ich glaube, ich liebe ihn.“
„Aha. Und wie hat er reagiert?“
„Er wollte nachdenken. Er will mich auch, das hat er zumindest gesagt. Aber ihn mit seinem Wissen gehen zu lassen, fiel mir schwer. Er versteht nicht, warum ich mit ihm zusammen sein will. Er ist ja nur ein Mensch. Er sagte, dass ich ihn überleben würde und ich ihm beim Sterben zusehen müsste. Und das stimmt. Und auch wenn es dann eines Tages schmerzt, ihn gehen zu lassen, will ich ihn trotzdem. Ich kann ihn ja nicht zu einem Werwolf machen!“
Adriana strich Juli über den Arm.
„Ich weiß, dass ihr nicht fähig seid, jemanden zu wandeln. Entweder man wird so geboren oder eben nicht. So ist es auch bei den Elfen. Aber hast du auch noch die andere Möglichkeit in Betracht gezogen?“, fragte sie und sah Juli eindringlich an.
„Du meinst ..., nein. Das kann ich nicht. Ich kann es nicht verlangen und auch nicht verantworten.“
Juli sträubte sich gegen diese Erkenntnis.
„So wie er sich gewünscht hat nachzudenken, solltest du es auch tun. Das ist mein Rat. Die Liebe steht über allem. Bei allen Wesen", erklärte Adriana und löste sich unvermittelt auf.
Wieder saß Juli alleine auf dem Waldboden und tat das Einzige, dass ihre zugeschnürte Brust befreite. Sie schrie.
Dorian war es auch zum Schreien. Und damit würde er sich der kleinen Jules anschließen, die schon über eine Stunde ununterbrochen weinte. Aber plötzlich – Ruhe.
Dorian konnte auch gleich sehen, warum. Kai hatte das Baby auf dem Unterarm liegen, die große Hand unter dem kleinen Bauch. Er lief mit ihr den Flur entlang.
„Bauchschmerzen", erklärte er knapp, als er mit seiner kostbaren Fracht an Dorian vorbei ging.
Ach so.
Dorian überlegte, die nächsten Wochen oder Monate in einem anderen Domizil zu verbringen. Ernsthaft. Er hatte ja wirklich nichts gegen Kinder. Ganz und gar nicht. Babys waren die schönsten Geschöpfe der Welt. Aber momentan hatte er einfach keinen Kopf dafür.
In einer halben Stunde war er mit Lisa verabredet. Er wollte sie begleiten, zu einem Arzt. Der Mann war sozusagen der Psychiater unter den Vampiren und Dorian hoffte, das der Lisa helfen konnte.
Also sprintete er die Treppe herunter. Gerade wollte er zur Tür heraus, als Etienne ihn rief.
„Was?“, fragte Dorian unbeherrscht.
„Wo willst du hin?“
„Hab was zu erledigen", gab er knapp zurück.
„Dauert das wieder die ganze Nacht?“
„Und wenn schon, was kümmert dich das?“, Dorian kniff die Augen zusammen und musterte Etienne.
„Ich frag ja nur!“, wehrte dieser sich.
„Dann lass es!", fauchte Dorian.
„Einen Rat, mein Freund. Manche Dinge kann man nicht wieder rückgängig machen", sagte Etienne und drehte sich um.
Dann tappte er bloßen Fußes die Treppe hinauf.
Dorian sah ihm nach.
Was sollte das denn jetzt?, fragte er sich.
Den Kopf schüttelnd zog er die Haustür hinter sich zu und fuhr zu Lisa.
Sie hatte ihm ihre Adresse auf sein Handy geschickt, er hoffte nur, dass sie auch stimmte. Allerdings konnte sie sowieso nicht davonlaufen. Er war sich sicher, er würde sie immer wieder finden. Und dann würde er sie an Vincent ausliefern. Auch wenn ihm bei dem Gedanken daran schlecht wurde.
Die Adresse stellte sich jedoch als richtig heraus, anscheinend zumindest. Lisa lehnte neben der Haustür. In Jeans und Bluse wirkte sie sehr gesittet im Vergleich zu ihrem Discodress. Die roten Haare hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Das Gesicht wurde teilweise von einer großen Sonnenbrille verdeckt und sie war nicht geschminkt.
Dorian hielt den Wagen am Straßenrand und stieß die Beifahrertür auf.
„Hallo", begrüßte er sie kurz.
„Hi“, gab sie zurück und stieg ein. „Es war dein Ernst, nicht wahr? Wir fahren zu einem Seelenklempner.“
„So ist es. Du hast mir nicht geglaubt, hm?“, gab er zurück.
„Ja, nein. Ach ich weiß nicht.“
Lisa sah aus dem Seitenfenster. Sie wollte ihn nicht ansehen müssen. Ihre Sucht war ihr peinlich. Und sie wusste nicht, ob sie bereit wäre, das aufzugeben. Clean zu werden. Weil es das Einzige war, dass ihr Innerstes zusammenhielt. Und sie wollte nicht zerbrechen.
Seit Dorian sie ertappt hatte, ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Sie war nie besonders vorsichtig, wenn sie sich einen Menschen schnappte. Durch die heiße Erinnerung, die sie ihnen in den Kopf pflanze, schützte sie sich vor dem entdeckt werden. Dass ein anderer Vampir sie beobachten würde, oder könnte, war ihr dabei nie in den Sinn gekommen. Und dass dann ausgerechnet diese Sünde von einem Kerl sie ertappt hatte, brachte sie um den Verstand. Er verkörperte alles. Macht, Kraft, Wissen, Sex.
Sie war schon ein Junkie, sich von einer weiteren Sucht einfangen zu lassen hatte sie nicht vor. Aber Dorian könnte ihr in dieser Richtung gefährlich werden. Abstand halten war zwingend geboten.
Lisa fragte sich, ob es gut war, dass ausgerechnet er sie ertappt hatte. Er gehörte zu den engsten Leuten, die König Vincent umgaben. Lebte mit ihm in einem Haus. War sie nun unter offizieller Beobachtung? Oder half Dorian ihr aus freien Stücken? Es könnte auch ein Test sein. Vermutlich würde sie dem König vorgeführt, wenn sie ihre Finger nicht von den Menschen lassen konnte. Und sie hoffte sehr, dass es nicht dazu kam. Auch wenn ihr Leben nicht gerade rosig war, hing sie doch sehr daran.
Dorian sah Lisa immer wieder an. Sie starrte aus dem Fenster, schien gänzlich in ihre Gedanken versunken. Wäre er gläubig, würde er für sie beten. Dass ihre Seele wieder heilte. Er kannte sie kaum, doch er befand, es sei ein unersetzlicher Verlust, würde er sie Vincent aushändigen. Er wollte gar nicht wissen, wie es ihr bei Albert, dem verräterischen Vampirfürsten, ergangen war. Anscheinend nicht gut, sonst wäre sie nicht davon gelaufen.
Er wollte sie aufheitern.
„Du solltest wissen, dass Vincent es genossen hat, Albert zu töten. Für seinen Verrat an unserem König hatte er diese Strafe mehr als verdient. Und sein Tod war nicht schön.“
Lisas Kopf fuhr herum.
„Der König hat ihn umgebracht?“
„Ja, das tat er. Mit Genuss. Albert hatte einen großen Plan gehabt, Vincent und seine Königin vom Thron zu stoßen, er wollte für sich selbst den Thron. Aber es gab eine Zeugin, die seine hinterhältige Tat beobachtet hatte, so ist er aufgeflogen. Für diesen Hochverrat verdiente er nur den Tod.“
Lisa atmete erleichtert auf. Weg! Albert war endgültig weg. Aber half ihr das?
„Es ist beruhigend, dass er nicht mehr lebt. Er hatte den Tod mehr als verdient“, und damit meinte sie nicht nur den geplanten Verrat.
Es gab noch viel mehr Gründe. Doch die betrafen nur sie selbst.
„Wir sind da", bemerkte Dorian.
„Dann will ich das jetzt hinter mich bringen", sagte sie gequält.
„Hey, so schlimm wird es schon nicht werden", beruhigte Dorian.
Das hoffte sie. Wirklich.
Während Lisa mit dem Psychologen sprach, wartete Dorian draußen. Die Helferin hatte ihm einen Kaffee angeboten, den er dankend angenommen hatte. Nun blätterte er durch eine der unzähligen Zeitschriften, die hier lagen.
Er wartete mehr als eine Stunde.
Als endlich die Tür aufging, fiel sein Blick auf Lisa. Und er erschrak. Sie hatte geweint. Sogar sehr viel geweint, wenn man ihrem Aussehen glauben schenkte. Der Doc kam heraus und ließ Lisa im Zimmer zurück.
„Sie sollte jetzt für zehn Minuten alleine sein. Dürfte ich dich kurz sprechen, während sie sich sammelt?“
„Ja, klar", meinte Dorian und folgte dem Psychiater in ein Büro.
Er warf noch kurz einen zweifelnden Blick auf die Tür des Behandlungszimmers und gesellte sich dann zum Doc ins Büro.
„Was hast du mit ihr gemacht?“, fragte er verstört.
„Ich habe sie auf links gedreht, wenn du so willst. Es war notwendig. Was ich dir jetzt sage, bleibt unter uns", begann der Arzt.
Dorian nickte.
„Also. Sie ist nicht süchtig nach dem Blut der Menschen. Es geht einzig und allein um Bestätigung. Selbstbestätigung könnte man sagen. Sie hat nicht einen Funken Selbstwertgefühl. Und das ist auch kein Wunder. Der Vampir, von dem sie als Zögling abhängig war, hat sie ... schlecht behandelt.“
„Wie meinst du das?“, fragte Dorian grollend.
„Ich kann dir nicht sagen, was sie mir verraten hat. Aber so viel, die Männer die sie umgarnt und aussaugt – das tut sie, um selbst die Fäden in der Hand zu halten. Nicht sie selbst hängt dann an den Fäden, die ein anderer steuert. Das ist der einzige Grund. Sie sucht die positive Aufmerksamkeit. Um davon abzulassen und keine Menschen mehr zu beißen, braucht sie sanfte Führung und Unterstützung. Kannst du dafür sorgen?“
Der Psychiater sah Dorian eindringlich an.
Dorians reger Geist überschlug sich beinahe. All das nicht Ausgesprochene, das im Raum stand, spann er sich selbst zusammen.
„Er hat sie bei sich gehalten wie Vieh. Sie spüren lassen, dass sie abhängig war von ihm. Richtig?“
Der Doc nickte widerstrebend.
„Aber das ist nicht alles, hm?“
„Nein. Und ich kann es dir nicht sagen. Es wäre nicht richtig.“
„Wie du meinst. Ich verspreche, für sie zu sorgen. Wann wollt ihr euch wieder treffen?“
„Gar nicht. Sie wünscht es nicht. Sie hat alles gesagt, ihr Innerstes nach außen gekehrt. Deshalb will sie keinen weiteren Termin.“
„Dann nehme ich sie jetzt mit nach Hause", sagte Dorian und stand auf.
Als er das Büro verließ, stand Lisa im Flur. Ihre Tränen waren versiegt, doch die Augen hatte sie noch rot verfärbt. Sie war blass und zitterte.
„Bringst du mich bitte nach Hause?“, fragte sie erstickt.
„Natürlich", erklärte er und strich ihr über den Arm.
Sie zog ruckartig den Arm zurück. Eine Berührung von ihm könnte sie jetzt nicht ertragen.
Dorian sagte nichts dazu. Er wollte sie doch nur trösten, doch er wusste nicht wie. Jetzt im Moment war sie verstört und er hatte keine Ahnung, wie er ihr helfen sollte.
Vincent hockte mal wieder am Schreibtisch starrte aber gedankenverloren in die Luft, als Etienne hereinkam.
„Herr?“
„Hm.“
„Hast du Zeit?“
„Ja, natürlich. Entschuldige, ich war gerade ganz woanders.“
„Es geht um etwas, dass ich gesehen habe. Eine Vision.“
Etienne erzählte seinem König von den Bildern, die seinen Kopf heimgesucht hatten. Vin unterbrach ihn nicht.
„So, das war alles. Was hältst du davon?“
„Lass die Dinge ihren Lauf nehmen. Ich weiß, dass es schwer für dich ist, so viele Dinge zu sehen. Nicht nur Gute. Aber in diesem Fall, nun ja. Ich wusste schon davon, aber nicht in dem Umfang. Warten wir einfach ab.“
„Wie du wünschst, Herr", meinte Etienne.
Er hatte sehr mit sich gerungen, als er die Vision empfangen hatte. Auch, weil sie ihm teilweise etwas bereits Vergangenes gezeigt hatte. Das war selten. Etienne war selbst ein harter Kerl, eigentlich ein Schwein gegenüber Frauen gewesen. Doch die Bilder hatten ihn schockiert. Vor allem mit dem Zusammenhang, dass es sie als Gruppe Schrägstrich Einheit im Haus des Königs betraf.
Aber er vertraute Vincent, und dessen Urteil, blind.
„Was machen die Ladys?“, fragte Vincent ihn.
„Paulina sagte, sie und Eli wollten Anna einen Mama-freien Nachmittag geben. Kai, Cosimo und Nathan sehen nach den Zwillingen. Und Anna bekommt ein Verwöhnprogramm.“
Vincent kicherte. Eli hatte zwar angedeutet, dass sie zu Anna wollte, aber Genaues hatte sie nicht gesagt.
„Die Drei sind echt gute Freundinnen geworden", meinte er.
„Oh ja. Sehr enge Freundinnen. Wenn Eli schon aus dem Nähkästchen plaudert", deutete Etienne an.
„Wie darf ich das verstehen, mein Freund?“
„Jetzt hau mir nicht die Rübe ab, aber Paulina war von Elis Schwärmerei über eure Schreibtisch Aktion so inspiriert, dass wir - wie du weißt - den Esstisch etwas zweckentfremdet haben.“
„Gewusst habe ich das nicht. Nur geahnt. Aber jetzt, wo du es erwähnst: Bei jeder Mahlzeit, die wir dort einnehmen, frage ich mich, was dieser Tisch schon alles gesehen hat“, sagte Vincent, und zwinkerte ihm zu.
„Bist du nicht sauer über Elis Plauderei?“
„Nee. Wir sind alle alt genug, oder?“
Darauf wusste Etienne keine Entgegnung.
4. Kapitel
Als um neun Uhr abends endlich das Telefon klingelte, war Juli schon so nervös, dass sie es erst einmal fallen ließ.
Sie verfluchte sich selbst und nahm dann das Gespräch an.
„Hallo?“, fragte sie aufgeregt.
Die Nummer war ihr unbekannt, was aber nicht bedeuten musste, dass der Anrufer Tobias war. Aber er war es.
„Hallo Juli", erklang seine samtige Stimme.
„Ich bin froh, dass du anrufst", gestand sie.
„Dachtest du, ich würde mich nicht melden?“, fragte er sie.
„Ja. Ich hatte Angst, dass du nicht anrufst.“
„Das war unbegründet, wie du siehst. Ich habe viel nachgedacht in den vergangenen Stunden.“
„Glaub mir, ich auch. Als du weggegangen bist, habe ich noch mit jemandem gesprochen. Sie gab mir einen Rat, den ich aber nicht befolgen möchte.“
„Mit wem hast du denn gesprochen? Ähm, im Wald?“
„Ja im Wald. Es wird dich sicher nicht wundern, aber es gibt noch andere Wesen, die du vielleicht als Fantasie abtun würdest. Ich sprach mit der Elfenprinzessin Adriana. Sie hat mich im Wald bemerkt und mich angesprochen.“
„Eine Elfe, ja? Es wundert mich wirklich nicht. Wahrscheinlich gibt es auch Zwerge und Feen, Vampire und Dämonen, Hexen und so weiter", sagte er und versuchte, witzig zu klingen.
„Entschuldige, aber von dem, was du aufgezählt hast - ich weiß nur von der Existenz der Vampire. Und die Elfen natürlich", gab sie zurück.
„Scheiße. Echt jetzt? Mein Gott, worauf habe ich mich da bloß eingelassen?“, er sprach wohl mehr mit sich selbst, als mit Juli.
„Darf ich darunter verstehen, dass du es dir überlegt hast. Würdest du gerne mit mir zusammen sein?“
„Verdammt, ja! Obwohl ich noch immer nicht weiß, wie das gehen soll. Ich kann ja wohl kaum meinen Freund um Rat fragen, was? Die ganze Situation ist so unwirklich, und doch beschissen Real!“
„Du fluchst gerne, was?“, kicherte Juli.
Sie war erleichtert über seine Aussage. Und sehr froh, dass er scheinbar niemandem etwas von ihr erzählt hatte.
„Bist du zu Hause?“, fragte Tobias unvermittelt.
„Ja. Warum?“
„Weil ich jetzt am liebsten vorbei kommen würde, um persönlich mit dir zu sprechen.“
„Oh. Ähm, ich glaube das ist keine gute Idee. Mein zu Hause würde dich sicher überraschen“, erklärte sie.
„Inwiefern? Wohnst du in einer Höhle, oder so?“
„Nein. Natürlich nicht! Mein Haus entspricht dem Standard für das Oberhaupt einer Rasse!“, gab sie empört zurück.
„Also ein Schloss?“, fragte er und klang ungläubig.
„Ich schlage vor, wir treffen uns zum Frühstück. Und dann zeige ich dir mein Haus, in Ordnung?“
„Ja. Damit bin ich einverstanden. Obwohl es dann noch Stunden dauert, bis ich dich wiedersehe.“
Juli schmolz bei seinen Worten dahin. Er war perfekt für sie. Verdammt perfekt. Und sie traute sich nicht daran zu denken, dass er eines Tages starb. Viel früher als sie selbst. Sie war gerade erst dabei, ihn für sich zu gewinnen. Dann schon über den drohenden Verlust nachzudenken, brach ihr beinahe das Herz.
„Das finde ich auch. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich vermisse.“
„Oh Mann! Was tust du mir an?“, flüsterte Tobias.
Juli hörte ein Rascheln in der Leitung.
„Liegst du im Bett?“
„Das tue ich tatsächlich. Ganz allein.“
Juli schluckte.
„Keine Entgegnung?“
Sie räusperte sich. „Du willst nicht wissen, was ich gedacht habe", gab sie zu.
„Juli, das erste Café, das öffnet, ist Moni's Stübchen. Um sechs.“
„Dann bin ich da", meinte sie.
Am anderen Ende der Leitung raschelte es wieder. Es klang, als ob Tobias sich anders hingelegt hätte. Oder die Decke aufgeschlagen. Juli traute sich nicht, danach zu fragen.
„Ich freue mich", sagte Tobias und drückte das Gespräch weg.
Himmel Arsch und Zwirn!, verfluchte er sich selbst.
Er musste nur an sie denken, um sein Herz zum Rasen zu bringen. Mit ihr zu telefonieren war noch extremer. Als sie sich gemeldet und er ihre Stimme gehört hatte, hatte das auf ihn eine Wirkung wie ein Potenzmittel!
Jetzt lag er auf seinem Bett und konnte es kaum erwarten, sie wieder zu sehen. Bis morgen früh war es noch furchtbar lange. Und solange konnte er wohl kaum mit einer fetten Latte hier herumliegen. Also schob er die Hand unter den Bund seiner Trainingshose und umschloss sich selbst.
Gott. Er kam sich vor wie ein Teenager. Doch mit Julis Nacktheit vor Augen war es ihm wirklich egal, dass er jetzt hier lag, und sich gleich einem Fünfzehnjährigen benahm.
Im Haus des Königs hatten Cosimo und Kai beschlossen, nach ihrem erfolgreichen Babysitting, den Abend mal außer Haus zu verbringen.
Cosimo wirkte wahre Wunder, wenn Jules oder Vince unruhig waren. Er hatte die perfekte Gabe, fühlte in die Kinder hinein und beruhigte sie. Wärme und Geborgenheit zu übermitteln, fiel ihm nicht schwer. Und jetzt, wo die beiden friedlich schliefen, konnten ihre Eltern auch beruhigt schlafen. Wenigstens bis zum nächsten Mal: Ich habe Hunger – Gebrüll.
Kai sah Cosimo von der Seite an.
„Willst du so gehen?“
„Was meinst du?“
„Du bist viel zu sexy angezogen!“, beschwerte sich Kai scherzhaft.
„Klar, mit Jeans und Shirt!“, gab Cosimo zurück.
„Jaaa. Aber das ist die geilste Jeans, die du hast. Dein Arsch ist da drin so heiß, da kann man ein Spiegelei drauf braten!“
„Perfekt. Wenn mir ein anderer zu Nahe kommt, zeigst du einfach, wer der Boss ist", sagte Cosimo.
Und es war sein voller Ernst. Er liebte es, wenn Kai eifersüchtig war. Nur dann war er so herrlich wild.
Nicht, dass er nicht selbst wild sein konnte. Die Abwechslung in der Dominanz machte es erst recht spannend. Und nach den Klamotten, die Kai heute trug, war er in sehr dominanter Stimmung.
Schwarze Lederhosen, zum Anbeißen. Weißes Hemd, beinahe bis zum Nabel aufgeknöpft. Seine Haare hatte er mit Gel in Form gebracht, und zu allem Überfluss trug er schwere Bikerstiefel. Er sah richtig verwegen aus.
Am Handgelenk trug er das dicke Silberarmband, welches Cosimo ihm geschenkt hatte. Im Gegenzug hatte Kai ihm eine Uhr geschenkt. Und die legte Cosimo nicht mal zum Duschen ab.
So machten sie sich auf den Weg. Ein bisschen Party in einer Disco, die Kai empfohlen hatte. Später vielleicht noch zum Club Noir, der fast ausschließlich von Homosexuellen besucht wurde. Cosimo war ein paar Mal dort gewesen, hatte einige Männerbekanntschaften mit Menschen gehabt. Aber nichts davon hatte ihn so sehr umgehauen wie Kai. Erst jetzt passte es richtig.
Vor der Disco parkte Kai im Halteverbot. Um diese Uhrzeit würde sowieso keine Politesse mehr hier herumlaufen.
„Dann ab, Musik, Drinks, Party – wir kommen!“, sagte Kai scherzhaft.
In der Disco war schon einiges los. Die Tanzfläche war voll. Drängende, schwitzende Leiber bewegten sich ekstatisch zur Musik. Heute war anscheinend Techno angesagt.
Die Zwei kämpften sich erst einmal zur Bar vor.
Sie beobachteten die Leute. So wie es aussah, waren alle ausnahmslos menschlich. Da war es auch nicht verwunderlich, dass sie beide auffielen. Ihre große Statur mit Muskeln bepackt, die Gesichter schön wie Models. Die Frauen in dem Laden schienen sie schon mit Blicken ausziehen zu wollen. Die Kerle hingegen sahen geflissentlich weg. Keine Chance für Konkurrenz.
Kai fand das witzig.
„Wie die alle starren! Würde mich nicht wundern, wenn der ein oder anderen Dame gleich die Augen aus dem Kopf fallen.“
„Lass sie noch ein bisschen gaffen. Und dann geben wir ihnen den Schock ihres Lebens", raunte Cosimo ihm zu.
Trotz der Taubheit verursachenden Lautstärke konnte Kai ihn gut verstehen. Schelmisch grinste er ihn an. Einverstanden.
So lief das Spiel. Die Ladys starrten, ob mit männlicher Begleitung oder ohne. Die Kerle hielten Abstand. Bloß keinen Streit anfangen. Nicht mit den Schränken!
Viele der Damen konnten es sich nicht verwehren, einen Drink auszugeben oder ihre Telefonnummer zuzuschieben.
So kam es, dass nach einer Stunde
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sophie R. Nikolay
Cover: Sophie R. Nikolay
Tag der Veröffentlichung: 08.05.2021
ISBN: 978-3-7487-8212-4
Alle Rechte vorbehalten