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Leseprobe

Das ist das erste Kapitel des Buches - lektorierte Leseprobe!

Ein neuer Gefangener

 

„Jetzt mach schon!“, drängte Silver.

„Ich bin direkt startklar“, erwiderte Vic und steckte sich die Dolche an den Gürtel. Kurz darauf verließen sie das Zimmer, das ihnen während der Einsatzphasen als Unterkunft diente. Auf dem Weg nach draußen band Vic ihre langen Haare zu einem Zopf zusammen. In solchen Momenten beneidete sie Silver um die Kurzhaarfrisur, die im Einsatz ungemein praktisch war.

Kaum hatten sie die Zwischentür passiert, schlossen sich Amber und Cat an.

„Wisst ihr schon etwas Genaues?“

Vic sah zu Amber und zuckte mit der Schulter. „Nicht wirklich. Es hieß, es treiben sich mal wieder Wilde am Rand des Territoriums rum.“

Cat schnaubte. „Immer dasselbe mit denen. Schleichen sich an und glauben, hier ins gemachte Nest krabbeln zu können.“

„Klingt aufregend!“ Silver verdrehte die Augen. Ihr schien die beinahe wiederkehrende Arbeit der Animal Soldiers zu eintönig zu sein.

„Beschwer dich nicht, sonst versetzen sie dich noch zum medizinischen Zentrum, da geht es heftiger zu, als bei uns hier draußen“, erwiderte Cat und Vic wusste genau, was damit gemeint war. Gefangene Wilde wurden dort befragt und ‚untersucht‘.

Silver kam nicht mehr dazu, noch etwas zu erwidern, denn sie erreichten die Tür, die auf den Hof führte. Colonel Bob Trapper – von allen nur Wolf genannt – erwartete sie bereits.

„Soldiers“, er nickte ihnen kurz zu. Die vier Frauen erwiderten die grüßende Geste. „Zwei der Überwachungssensoren haben angeschlagen. Es ist das vierte Mal in dieser Woche, dass die Wilden versuchen, in unser Gebiet einzudringen. Kümmert euch darum … und wenn es geht, bringt eine dieser Kreaturen mit.“ Er spie das Wort förmlich aus und Vic wusste so gut wie jeder andere, was der Colonel von den Wilden hielt.

Nichts.

Für ihn waren sie nur eine abartige Form der genetischen Mutation, die vor vielen Jahren dafür gesorgt hatte, dass die menschliche Rasse ausgelöscht wurde. Es gab nur noch die ‚Animalis‘ – Mischwesen, deren Sicherheit in den Händen der Animal Soldiers lag, sofern sie sich innerhalb des Territoriums befanden und offiziell zum Volk gehörten. Ihre Besonderheiten sah man auf den ersten Blick nicht, man könnte sie alle für Menschen halten, wären da nicht die tierischen Merkmale und Instinkte, die sie zu außergewöhnlichen Wesen machten.

„Wieder ein nutzloses Verhör?“, wagte Cat zu fragen, was ihr einen strengen Blick vom Wolf einbrachte. Sie neigte den Kopf und weil ihre rote Lockenpracht hochgesteckt war, entblößte sie somit unterwürfig ihr Genick. Der Colonel knurrte kurz, was bezeugte, dass er ihre Entschuldigung annahm.

„Ich erwarte Meldung, sobald ihr etwas habt.“

Die vier gaben ihre Bestätigung dazu, worauf der Colonel sie entließ. Bis zur Grenze, an der die Sensoren angebracht waren, brauchten sie nur wenige Minuten. Die Landschaft wurde gespickt von Sträuchern, Bäumen und Hecken. Das verhinderte zwar eine gute Übersicht über den Grenzbereich, doch für die meisten Animalis war das Grün lebenswichtig. Dort wuchsen die Früchte, die sie benötigten. Und die wiederholt von den Wilden gestohlen wurden, sodass die verbleibende Menge für die Animalis im Territorium immer knapper wurde.

Vic verließ sich auf ihre Sinne. Sie erschnupperte die Umgebung, erfühlte sie mit ihren Härchen auf der Haut und betrachtete sie mit den Augen einer Raubkatze. Nichts anderes steckte in ihr. Die Gene eines Pumas.

Schnell konnte sie die Witterung aufnehmen. Ein kurzer Blick zu den anderen sagte ihr, dass diese auch Spuren nachgingen. Vic hielt sich links, steuerte auf eine kleine Baumgruppe zu, in deren Schatten Beerensträucher standen. Trotz dass die süßen Früchte einen intensiven Duft verströmten, vermochte Vic den Geruch des Wilden deutlich darunter ausmachen. Würzig und schwer kroch er in ihre Nase. Gar nicht unangenehm.

Beinahe lautlos schlich sie über das Gras, näherte sich der Stelle, von der sie den Duft am intensivsten wahrnahm. Sie zog ihren Dolch mit der rechten Hand, während sie die linke ausstreckte, sprang schwungvoll und landete mit einem Satz im Gebüsch. Einige Äste brachen, die Sohlen ihrer Stiefel gruben sich in den weichen Erdboden. Nur einen Moment später hockte sie auf einem Wilden, ihr Messer an seine Kehle gepresst. Sie fauchte und zeigte ihm die Zähne.

Sie spürte seinen Körper unter sich vibrieren, ein Grollen steckte in seiner Brust, doch er ließ es nicht heraus. Vic konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er hatte schützend die Hände davor geschlagen.

„Dass ihr es auch immer wieder versucht“, zischte sie und drückte das Messer noch fester an seinen Hals, ein kleines Rinnsal Blut lief an der Klinge entlang.

Der Wilde nahm die Arme herunter und Vic blickte in ein markantes Gesicht und bernsteinfarbene Augen, die sie bittend ansahen.

„Die Betteltour zieht bei mir nicht.“

Er schluckte und Vic lockerte gerade noch rechtzeitig den Druck der Klinge auf der Haut. Durch die Schluckbewegung hätte er sich selbst den Hals aufschlitzen können.

„Wenn ihr euch nicht so abkapseln würdet, müssten wir nicht immer eindringen“, verteidigte er sich.

Seine Stimme besaß eine angenehme Klangfarbe. Nicht zu tief, weich und dennoch männlich. Fast wie ein Schnurren.

Vic verwarf den Gedanken und griff in ihre Gesäßtasche, wo sie die Bänder aufbewahrte. Sie zog eines hervor und ließ es um die Handgelenke des Wilden schnellen. Die elektronische Fessel setzte einen großen Teil seiner Instinkte außer Kraft. Dass er sich nicht gewehrt hatte, wunderte sie.

„Du kommst mit.“ Keine Bitte, ein Befehl.

Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung richtete sie sich auf und zog ihn gleichzeitig mit in die Höhe. Als er stand, überragte er sie fast um eine Kopflänge. Seine Schultern waren breit und sie würde wetten, dass sie hinter ihm nicht zu sehen wäre. Allerdings würde ihm das nichts nützen. Sie war ausgebildet für das, was sie machte. Und trotz ihrer schlanken, beinahe zierlichen Gestalt steckte eine nahezu unbändige Kraft in ihr.

Vic tastete ihn ab, fand aber keinerlei Waffen. Er trug nur einen ledernen Beutel mit sich, der an seinem Gürtel hing. Vic riss ihn ab und schaute hinein.

„Flokibeeren?“ Fragend sah sie ihn an.

Er presste die Lippen aufeinander und schien kein Interesse daran zu haben, ihr zu antworten. Im Grunde war das auch überflüssig, die Beeren wuchsen nur innerhalb ihres Gebietes und besaßen besondere Inhaltsstoffe, die wichtig für die Animalis waren. Nur, warum stahlen die Wilden die Beeren und die anderen Früchte? Soweit sie wusste, sollten die gar nicht auf spezielle Nahrung angewiesen sein. Ihre tierischen Merkmale waren stärker ausgebildet und sie ernährten sich von Fleisch. Die Bewohner des abgegrenzten Territoriums nicht.

„Warum stiehlst du unsere Früchte?“

Keine Antwort.

„Was wolltest du damit?“

Immer noch nichts. Er presste die Lippen so fest zusammen, dass sie wie ein Strich aussahen. Schade eigentlich. Er besaß einen schönen Mund.

 

*

 

Zehn Minuten später schob Vic den Gefangenen in den Verhörraum und zwang ihn fast auf den Stuhl vor dem Tisch. Er hatte kein Wort mehr gesagt und sich nur mitschleifen lassen. Vic hätte zu gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging. Er saß da und starrte auf die abgegriffene Platte.

Sie umrundete ihn, betrachtete ihn von allen Seiten. Sein braunes Haar war kurz gehalten, die Haut leicht gebräunt. Vic zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich rittlings darauf. Er starrte weiter auf das Holz, als wäre dort Weltbewegendes zu sehen. Sie fragte sich, wann der Wolf auftauchen würde – ihre Meldung, dass sie einen Wilden eingefangen hatte, sollte ihn erreicht haben.

„Ich bin Vic“, sagte sie unvermittelt und aus einem Gefühl heraus.

Langsam hob der Fremde den Kopf, drehte ihn ihr zu. Er schnaubte und wandte sich wieder dem Tisch zu.

„Na schön, dann nicht. Wenn du beim Colonel ebenso gesprächig bist, wird das kein angenehmer Tag für dich“, prophezeite sie ihm.

Als hätte ihr Boss nur auf diese Worte gewartet flog die Tür auf und er betrat mit donnernden Schritten den Raum. Vic stand auf und sah ihm entgegen.

„Wo hast du ihn aufgegriffen?“

„Nahe der Grenze zwischen Sträuchern.“

„Gut. Danke – du kannst gehen.“

Vic nickte dem Colonel zu, schielte noch einmal zu dem Gefangenen und verließ das Zimmer. Auf dem Gang kam ihr Cat entgegen, die genüsslich in einen violetten Apfel biss.

„Hab gehört, du konntest einen schnappen. Ich hatte weniger Glück.“

„Tut mir leid. Wer war es?“

„Eine Halbstarke, ich vermute mit Reptiliengenen. Sie roch streng und war flink wie eine Echse.“

„Silver und Amber?“

„Weiß nicht, hab sie nicht gesehen. Ich nehme an, sie sind noch draußen.“

Sobald sie das Ende des Ganges erreichten, erklangen aus dem Verhörraum Gepolter und Schreie. Vic sah über ihre Schulter, da Gebrüll und Wolfsgeheul folgten. Es klang, als würden sich der Wilde und der Colonel mit ihren Stimmen messen.

„Geh schon mal vor“, wandte sie sich an Cat, „ich glaube, ich bleibe lieber in der Nähe.“

„Okay. Besser du als ich, du weißt ich hasse es, wenn der Wolf ausflippt.“

Vic schenkte ihr ein Lächeln und lief zurück. Vor der Tür des Raumes stoppte sie. Hätte sie die äußeren Merkmale ihres Tieres, würde sie sicherlich die Ohren spitzen, so aber blieb es beim Lauschen.

„Lieber lasse ich mich umbringen, als meine Leute zu verraten“, hörte sie den Gefangenen gepresst sagen.

„Du wirst deine Meinung noch ändern, glaub mir!“, drohte der Wolf. Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen.

Vic stockte. Der Wilde blutete aus Mund und Nase, der Colonel trug eine versteinerte Miene zur Schau.

„Bring ihn runter und schließe ihn ein!“, befahl er an Vic gerichtet, die pflichtbewusst bejahte. Sie übernahm die gefesselten Hände des Gefangenen, der Colonel rauschte mit stampfenden Schritten davon. Vic konnte seine Wut verstehen. Bislang hatte nicht einer geplaudert. Jeder Wilde, den sie gefasst hatten, schwieg und verriet nichts über den Aufenthaltsort seiner Gruppe, ganz gleich wie sehr er gefoltert wurde.

Vic kam eine Idee. Es könnte funktionieren, doch dem Colonel dürfte sie davon nichts erzählen. Vorerst nicht. Mit Gewalt waren sie nicht weit gekommen – wie aber sähe es aus, wenn sie den Fremden Freundlichkeit entgegen brächten?

Der Wilde stolperte mehr hinter ihr her, als dass er lief. Vic ahnte, dass der Wolf einige Stellen des Körpers mit Tritten und Schlägen bearbeitet hatte.

 

Im Gefängnis Stockwerk gab es drei Zellen. Die erste davon stieß Vic auf und dirigierte den Wilden zu der Liege, die darin stand. Er ließ sich wie ein Sandsack darauf fallen. Er schloss sofort die Augen und ignorierte sie. Vic betrachtete ihn. Die untere Lippe war geschwollen und auf dem linken Jochbein zeigte sich schon ein bläulicher Schatten. Er würde Eis brauchen …

„Es ist nicht erforderlich, da stehen zu bleiben. Ich verrate nichts.“ Er klang kalt und abweisend, der schöne Ton seiner Stimme war verschwunden.

„Ich warte nicht darauf, dass du was ausplauderst – darf ich mir deine Verletzungen ansehen?“

Er drehte den Kopf ein wenig und sah sie an. „Warum solltest du das tun wollen?“

„Ich gehöre zwar zu den Animal Soldiers, aber deshalb muss ich noch lange nicht alles gut finden, was mein Boss anstellt“, sagte sie und versuchte damit sein Vertrauen zu erwecken.

Er nickte zaghaft. Vic trat näher und nahm die Nase und die verwundete Lippe in Augenschein. Ja, er brauchte definitiv etwas zum Kühlen.

„Ich hole Eis und einen Waschlappen, das muss behandelt werden“, erklärte sie ihm.

„Da wäre ich nicht drauf gekommen!“ Purer Sarkasmus.

„Hast du sonst wo Schmerzen?“

„Nein“, sagte er knapp und drehte den Kopf weg.

„Ich bin gleich wieder da.“

Er brummte etwas Unverständliches. Vic ließ ihn auf der Liege zurück, verschloss gewissenhaft die Tür und eilte die Treppe hinauf.

 

*

 

Sie verstand sich nicht. Warum bekam sie den Kerl nicht aus dem Kopf? Sie hatte schon einige Wilde eingefangen, aber noch keiner hatte auch nur ansatzweise ihr Interesse wecken können. Was immer es war, sie hielt an ihrem Entschluss fest, es mit Freundlichkeit zu versuchen. Und wenn sie erst sein Vertrauen besaß, würde er ihr bestimmt verraten, warum die Wilden wiederholt die Grenze zum Territorium überschritten. Hoffte sie.

Sie tappten über die Motive schon zu lange im Dunklen. Der Diebstahl der Nahrung allein durfte nicht der Grund sein. Angriffe gab es aber auch keine – nicht aufseiten der Wilden. Nicht offensichtlich. Die vielen Verhöre, die wiederkehrende Folter der Gefangenen - alles ohne Ergebnisse.

Im Aufenthaltsraum angekommen nahm Vic zwei mittelgroße Eisbeutel aus dem kleinen Kühlfach und ein frisches Tuch vom Regal. Anschließend griff sie nach einem Paket feuchter Einwegwaschlappen, die sie normalerweise zum Säubern von Wunden verwendeten – bei den Animal Soldiers. Nicht bei den Gefangenen. Ihr war das jetzt egal. Der Zweck heiligte die Mittel, oder nicht?

 

Als sie die Zelle erneut betrat, stockte sie kurz. Sie brachte sich jedoch schnell genug unter Kontrolle, dass der Wilde anscheinend nichts bemerkt hatte. Vic schloss die Tür, erst da sah er sie an. Er saß auf der Liege, nur in Jeans. Sein Oberkörper war gut trainiert. Perfekt definierte Brustmuskeln, Schultern und Oberarme kräftig. Leopardenfell bedeckte seinen Bauch, angefangen unterhalb des Rippenbogens. Wo es endete, konnte sie nur vermuten – jedenfalls unter der Gürtellinie. Er hielt sich die Seite, also plagten ihn doch mehr Schmerzen, als zugegeben.

Moment. Vor lauter Betrachten hatte sie einen wichtigen Punkt übersehen. Die Fessel!

„Wo ist das Band?“, fragte sie.

Er griff neben sich und hob es hoch. Entzweigerissen.

Vic zog die Brauen nach oben. Langsam trat sie näher und überreichte ihm einen der Eisbeutel.

„Danke“, sagte er leise.

„Warum hast du dich hierher schleppen lassen, wenn dieses Band dich gar nicht fesseln kann?“

„Die Antwort willst du nicht hören. Glaub mir.“ Er legte sich das Eis auf die Wange.

„Oh doch, das will ich!“

Er verschob den Beutel, um seine Lippe zu kühlen. Dabei schienen seine Augen zu lachen.

„Spiel keine Spielchen. Ich mag zwar nicht so aussehen, aber wenn ich will, liegst du innerhalb Sekunden bewusstlos auf dem Boden.“

Er prustete. Dann ließ er die Hand mit dem Eis sinken.

„Man nennt mich Leo“, sagte er und hielt ihr die freie Hand hin.

Vic starrte entgeistert darauf. Sollte sie einschlagen? Das konnte doch nicht sein Ernst sein – diese Geste war nun wirklich fehl am Platz.

„Das Eis“, meinte er daraufhin und klang amüsiert.

„Hier“, erwiderte sie und hielt ihm auch das zweite Päckchen hin. Wie hatte sie ihn nur so missverstehen können?

„Also Leo. Warum bist du hier?“

Er legte sich den Beutel an die offensichtlich schmerzende Seite und verzog dabei das Gesicht.

„Wegen dir.“

Vic lachte laut auf. „Klar! Du kennst mich doch überhaupt nicht und ich dich auch nicht. Was soll der Blödsinn?“

„Nenn es Blödsinn, wenn du willst …“ Der Blick aus seinen bernsteinfarbenen Augen ging ihr durch und durch. Was lief hier ab?

„Als du auf mir gesessen hast und ich dich angesehen habe, da war mir klar, dass du alles mit mir machen kannst und ich mich nicht wehren könnte.“

Vic verschränkte die Arme. „Sicher.“ Sie schüttelte den Kopf. Wollte er sie für dumm verkaufen?

„Du glaubst mir nicht. Ich sagte doch, du willst es nicht hören.“

„Fangen wir von vorne an: Warum hast du unser Gebiet betreten … oder besser, was macht ihr mit den Beeren?“

Keine Antwort. Leo schob demonstrativ den Eisbeutel an die Lippe.

Vic war die Lust auf Spielchen vergangen. „Ach, leck‘ mich doch!“, fluchte sie, warf die Packung mit den Waschlappen auf die Liege und wandte sich der Tür zu.

„Liebend gern“, erklang Leos Stimme in ihrem Rücken, deren Tonlage ihr einen Schauer über die Haut jagte. Sie verließ beinahe fluchtartig die Zelle.

Ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Rippen. Warum nur konnte sie dieser Mann so aus der Fassung bringen? Sonst besaß sie eine Selbstbeherrschung, an der sich jeder die Zähne ausbiss. Leos rauchige Worte aber brachten ihren Puls zum Rasen und sorgten dafür, dass ihre Gedanken in eine Richtung abdrifteten, die ihr nicht behagte.

Fast schon bereute sie ihren Entschluss, es auf die nette Art zu versuchen, doch feige aufgeben war noch nie ihr Ding gewesen, daher würde sie es diesmal auch nicht tun.

 

Ein Kurzbesuch in der Küche reichte und Vic verließ diese mit einer Banane und einem Salatteller. Beides nahm sie mit nach draußen, wo sie sich auf die Wiese setzte und aß. Sie wollte noch nicht zu Silver aufs Zimmer. Zuerst musste sie ihren Kopf frei bekommen, all das sortieren, was sie verwirrte.

Ein Wilder!

Es war unglaublich. Von allen Kerlen sollte ausgerechnet er derjenige sein, der etwas in ihr auslöste? Bekanntschaften hatte sie genug gehabt, um das beurteilen zu können. Niemand vermochte sie bisher nur mit der Stimme derart zu berühren. Das war der Moment, wo sie sich wünschte, eine Freundin zu haben, um mit ihr darüber zu reden.. Doch ihre Freundin war der Job.

Einzig und allein.

 

*

 

In der Nacht wälzte sie sich unruhig im Bett herum. Silver schlief wie ein Stein, worum Vic sie beneidete. Immer wenn sie die Lider schloss, hatte sie das Bild von diesem Leo vor sich, wie er auf der Liege saß, sich die Seite hielt. Sein Fell, die schönen Augen, seine Stimme …

Vic fluchte innerlich und stand auf. Nur mit Hotpants und Tanktop bekleidet verließ sie das Zimmer. Zuerst ging sie nach draußen, nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel, die stets dort lag, und lief an der Hausfront unruhig auf und ab. Ob sie wollte oder nicht, es blieb nur eine Lösung für ihr Problem. Sie musste herausfinden, was an diesem Mann so besonders war. Und, warum er und die anderen Wilden wiederholt einen Versuch wagten, das Gebiet unbemerkt zu betreten. Es gab keinen Zaun um das Territorium – früher hatte es einen gegeben, als noch viel weniger Animalis hier zusammen lebten. Und statt das Gelände erneut zu umzäunen, hatte man die Animal Soldiers geschaffen, um die Grenze zu bewachen. Die bestand aus einem dreiviertel des Gebietes, der Rest war ein natürlicher Grenzwall in Form einer steilen Felswand, die gut zweihundert Meter in die Tiefe reichte.

Das Territorium war auf einem Hochplateau gegründet worden. Das ganze Jahr über herrschte ein angenehmes Klima, was den Pflanzen zugutekam. Hinter ihrer ‚Grenze‘ mit den Sensoren fiel das Gelände unterschiedlich steil ab – in einem Abstand von einem Kilometer. Diese Zwischenzone konnte man zu Zeiten ihres Vaters gut überschauen, jetzt war es mehr oder weniger dicht bewachsen.

Oh, ihr Vater … der Besuch bei ihren Eltern war schon überfällig, doch irgendwie hatte sie momentan keine Energie dazu. Sonst ging sie regelmäßig zu ihnen, nur die letzte Zeit waren die Abstände immer länger geworden. Ausgerechnet jetzt kamen die beiden ihr in den Sinn, wo ihr das Dickicht störend vorkam. Vic würde es roden lassen, doch sie fragte keiner. Die Wilden hatten also ein leichtes Spiel, sich durch das Grün anzuschleichen und auf Raubzug zu gehen. Was ihre Gedanken zurück zu dem Gefangenen führte.

Vic drückte den Stummel der Zigarette in den Standascher und machte sich auf den Weg nach unten. Die Zellentür besaß ein kleines Fenster und sie wollte sehen, was dieser Leo tat. Schlief er oder war er so rastlos wie sie?

Sie schalt sich … warum sollte er etwas Ähnliches empfinden wie sie? Der Kerl verwirrte einfach ihren Geist!

 

Bei der Tür angekommen öffnete sie die kleine Luke so leise wie möglich. Sie wollte ihn nicht wecken, sollte er schlafen. Kaum dass sie hineinsehen konnte, stockte ihr der Atem. Leo lag auf der Liege, nackt. Im Mondlicht, das durch die schmalen Fenster hineinfiel, sah sie deutlich das Leopardenfell, das sich vom Rippenbogen bis auf die Oberschenkel erstreckte. Einzig sein Geschlecht besaß kein Fell. Sie schluckte. Der Penis lag wie gebettet da und sie fraget sich, wie das beachtliche Stück erst aussehen würde, wenn es steif wäre. Hitze wallte in ihrem Schoß auf, was sie abermals schlucken ließ. Wie lange hatte sie bewusst keinen Mann mehr begehrt? Es musste ewig her sein. Der wenige Sex beschränkte sich meistens auf schnelle Quickies mit ihrem ‚Kollegen‘ Maik oder anderen Bekanntschaften. Nur zum Abreagieren. Nichts Ernstes, nicht mal eine echte Affäre.

Doch jetzt, wo sie Leo so da liegen sah, spürte sie deutlich ein Verlangen in sich aufsteigen, dass sie angesichts seiner Natur nicht haben durfte. Mutierte Gene, zu viele tierische Merkmale – ein Fleischfresser, kein Vegetarier, so wie sie.

Sie kannte ihn nicht einmal! So etwas sollte sie nicht bei ihm empfinden. Mit zitternden Fingern griff sie nach der Luke, wollte sie schließen, da sah sie, wie seine Nasenflügel bebten. Als würde er eine Witterung aufnehmen …

„Ich weiß, dass du da bist“, raunte er plötzlich.

Vor Schreck entwich ihr ein kurzer Schrei. Sie fühlte sich ertappt, als hätte sie etwas Verbotenes getan. Rasch fing sie sich und reckte trotzig das Kinn hoch.

„Hast du mich erschreckt! Ich dachte, du schläfst und ich wollte nur nachsehen, ob mein Gefangener in Ordnung ist.“

Er setzte sich ruckartig auf und sah sie an. „So, so. Jetzt bin ich bereits dein Gefangener. Schön zu hören.“

Vic verdrehte die Augen. So sollte das nicht rüberkommen.

„Bilde dir nur nichts ein“, erwiderte sie.

Er lachte dezent. „Es ist keine Einbildung. Ich weiß, dass dir gefällt, was du siehst.“

„Ach, der Herr denkt, er kann Gedanken lesen?“

„Nein. Ich rieche es.“

Wie dumm stellte sie sich an. Vic hätte sich am liebsten selbst verflucht. Natürlich konnte er wittern, dass ihre kurze Hose nass im Schritt war. Was hatte er auch so eine Wirkung auf sie und außerdem: Warum musste er nackt da liegen? Alles oder nichts, dachte sie sich.

„Es ist schwer zu bestreiten, dass du mit diesem Fell ziemlich heiß aussiehst. Aber das hilft dir nicht, die Zelle zu verlassen, ohne dass wir Antworten bekommen.“

„Es stimmt also.“

„Was stimmt?“

„Keiner hier besitzt Fell oder andere äußere Merkmale.“

Gut kombiniert, das musste sie ihm lassen.

„Nein. Jeder von uns hat einen reinen Genetikstamm.“

Leo schnaubte. „Ach, und das macht euch zu was Besserem? Da irrst du dich Süße.“

Vic fiel die Kinnlade runter. Wie hatte er sie gerade genannt?

„Sei froh, dass ich hier draußen bin, sonst würde ich dir dafür eine verpassen“, begehrte sie auf. Sie sollte verschwinden, aber schleunigst.

Leo erhob sich und kam auf die Tür zu. Vic konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen. Als er dicht davor stand, legte er eine Hand an die Öffnung, neben ihre.

„Wenn du hier drin wärst, würdest du ganz andere Sachen machen, statt mir eine runterzuhauen.“

„Oh, da ist aber jemand sehr von sich überzeugt!“, spottete sie.

Bevor sie reagieren konnte, lag seine Hand auf ihrer. Warm, ein bisschen rau … dann fluteten Bilder ihre Gedanken.

Sie keuchte auf, als sie vor ihrem geistigen Auge vorüberzogen. Sie, mit Leo in der Zelle. Sie lag auf der Liege, sein Haupt zwischen ihren Schenkeln. Ein neues. Ihr Kopf über seiner Mitte, ihre Locken fielen auf sein Fell. Noch eines. Sie kniete auf der Pritsche und Leo nahm sie von hinten, seine Hände an ihrer Hüfte. Sie konnte sein Gesicht sehen, die Lust und das Glänzen in seinen Augen.

Ihr entwich ungewollt ein Wimmern. Leo zog seine Hand weg, die Bilder verschwanden.

„Wenn du wieder kommst, werden wir genau das tun, daran habe ich keinen Zweifel.“ Der verheißungsvolle Klang seiner Stimme ließ sie erzittern. Sie besaß weiche Knie und verachtete ihren Körper dafür, dass er so auf ihn reagierte. Ihre Brüste spannten unter dem Top, zwischen ihren Schenkeln schien sich ein See bilden zu wollen.

Er drehte sich weg und schlenderte zurück zur Liege. Trotz des wenigen Lichts konnte sie einen guten Blick auf seinen knackigen Hintern werfen.

Wie benommen schloss sie die Luke, kaum in der Lage, auch nur ein Wort zu erwidern. Dieser Mann war nicht gut für sie …

 

Impressum

Texte: Sophie R. Nikolay
Bildmaterialien: Hintergrundbild © wtamas – Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
noch unkorrigierte Fassung, Story in Arbeit ;-)

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