Dies ist eine XXL Leseprobe des Buches mit rund einem Viertel des gesamten Umfangs.
Das Buch erscheint zum 01.06.2014 als E-Book und um den 20.06.2014 als Taschenbuch.
Infos auch unter: www.fantastic-shades-verlag.de
Der Anblick, der sich Apolonia bot, war erschütternd. Vor ihr, direkt neben dem wuchtigen Schreibtisch, stand Xendrian. Ihr Meister. Der Oberste aller Magier. Das Schlimme an der Situation war der Zustand von Xendrian. Von dem fast eintausend Jahre alten Mann war nur noch eine steinerne Hülle übrig. Eine Statue.
Apolonia starrte die Skulptur an. Unfähig sich zu bewegen. Sie wusste genau, die Lage bedeutete nichts Gutes für sie, bescherte ihr allerdings auch keine großen Probleme. Das ungewöhnliche Ableben des Meisters brachte ihr verfrüht seinen Posten ein. Rasch löste sie sich aus ihrer Starre und schloss die Tür. Vermutlich wären viele Magier der Gilde der Auffassung, das wäre ihr Werk. Sie würden sie für den Tod des geliebten Oberhaupts verantwortlich machen. Nichtsdestotrotz hatte jeder im Zirkel Apolonia als neue Meisterin anzuerkennen. Das schrieben die Jahrhunderte alten Gesetze vor.
Apolonia war nicht sehr beliebt innerhalb ihres Volkes. Was nur daran lag, dass sie sich stets distanziert, kalt und berechnend präsentierte. Das hatte ihr vor langer Zeit den Beinamen ‚Kaltes Biest‘ eingebracht und war ein gewollter Umstand. Jeder wusste, dass sie in Xendrians Fußstapfen treten würde. Daran gab es nichts zu rütteln. Nun stand sie vor der Aufgabe, dem Zirkel zu beweisen, dass sie nichts mit der Versteinerung Xendrians zu tun hatte. Das war weder ihr Werk, noch ihr Wille gewesen. Es gab zwar keinen Grund, warum sie ihre Unschuld beweisen musste – die Meisterin war sie jetzt ohnehin. Trotzdem wollte sie nicht als Regierende über dem Zirkel stehen, wenn der Verdacht im Raum hing, sie habe sich voreilig auf diesen Stuhl gesetzt. Die Loyalität der Magier war ihr wichtig, nichts würde für mehr Unruhe sorgen, als Zweifel und gespaltene Meinungen …
Während sie das versteinerte Gesicht Xendrians betrachtete, auf dem ein gütiger und wohlwollender Ausdruck lag, fragte sie sich, wer für diese Tat verantwortlich war. Nichts deutete darauf hin, dass der Meister des magischen Zirkels von seinem nahenden Ableben gewusst oder es auch nur geahnt hatte.
Seufzend ließ sich Apolonia auf dem Ohrensessel nieder, der vor dem Koloss von Schreibtisch stand. Wer auch immer es gewesen war, der aus Xendrian ein Abbild für die Ewigkeit erschaffen hatte, musste sehr mächtig sein. Und sie bezweifelte, dass es ausschließlich mit Magie möglich gewesen war.
Sie saß dort, bis Lori, Xendrians persönliche Dienerin, die sich mit einer Privatsekretärin vergleichen ließ, in den Raum trat und erschrocken die Luft einsog.
Apolonia erhob sich und sah die junge Magierin an.
„Das ist nicht mein Werk, solltest du das annehmen. Ich bitte darum, dass der Zirkel über den erzwungenen Machtwechsel informiert wird“, sagte sie tonlos.
Lori schluckte sichtlich und nickte schließlich ohne den Blick von der Statue zu nehmen. Dann verließ sie eilig das Zimmer. Apolonia folgte ihr mit etwas Abstand, rief mittels mentaler Kraft Ceramir und Corven zu sich, die ihr mit der Statue Xendrians helfen sollten. Als die beiden herbeieilten, wies Apolonia sie an, die steinerne Erinnerung in der Eingangshalle zu platzieren. Jeder, der von nun an das Haupthaus des Zirkels betrat, musste einen Blick auf den Meister werfen, der unfreiwillig in diesen Zustand geraten war.
„Wie ist so etwas möglich?“ Fassungslos betrachtete Ceramir den verehrten Meister, dessen Platz nun Apolonia einnahm.
„Das kann nur jemand von der Dunklen Fraktion getan haben“, spekulierte Corven sofort.
„Keine Mutmaßungen. Was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Mit keiner Magie der Welt. Es ist kein Hauch mehr von Xendrian auszumachen – er ist tot. Die Leitung des Zirkels liegt nun bei mir, die Nachricht müsste schon bei allen angekommen sein – sofern Lori ihrer Aufgabe gewissenhaft nachgegangen ist.“
„Warum sollte sie nicht? Sie war Xendrian immer eine gute Dienerin“, erwiderte Ceramir mit Blick auf die neue Meisterin.
„Doch sie wird nicht die meine. Du wirst stattdessen in meinen Diensten stehen.“
Ceramir nahm die mit einem Befehlston versehenen Worte widerspruchslos hin. „Ja, Meisterin.“
„Und jetzt bringt den versteinerten Xendrian hinaus“, ordnete sie harsch an.
Ceramir und Corven nickten eifrig. Ihre jungen Körper verfügten über viel Kraft. Gebündelt mit ihren magischen Fähigkeiten war es ein Leichtes, die Statue aus dem Raum und in die Halle zu transportieren.
Jeder, der ihnen dabei begegnete, sog vor Schreck die Luft ein. Niemand stellte Fragen, obwohl selbige auf vielen Gesichtern zu lesen waren. Die Erkenntnis, wer von nun an statt Xendrian das Sagen hatte, sorgte bei so manchem dafür, dass sich die Gesichtszüge verdunkelten. Der Machtwechsel war von vielen gefürchtet worden, nun war er da. Jeder wusste um seine Position innerhalb des Zirkels. Die alten und festgesetzten Regeln ließen keinen Spielraum zu. Einzig dem Meister, oder nun besser der Meisterin, oblag es, diese zu ändern. Was im Fall von Ceramir soeben geschehen war. Dem entgingen die Blicke seines nur um Minuten jüngeren Zwillings nicht.
„Was ist? Wäre es dir lieber gewesen, sie hätte dich zu ihrer rechten Hand gemacht?“, raunzte er Corven an.
„Nein. Ich will nicht als ihr Diener um sie herumscharwenzeln!“ Die schnippische Antwort glaubte Ceramir ihm nicht, ließ das Thema aber auf sich beruhen.
Keyla und Geron tauschten einen Blick aus – kaum dass sie die Nachricht erhalten hatten – der verdeutlichte, dass sie beide das Gleiche dachten: Apolonia hatte nachgeholfen, Xendrians Posten zu übernehmen, noch ehe es an der Zeit dafür gewesen war.
Die Geschwister gehörten zu den Kriegern des Zirkels, welche die Welt der Magischen vor dem Entdecken schützen. Dabei ging es nicht nur um die Menschen, mit denen sie den Planeten teilten. Viel mehr ging es um die Dunkle Fraktion, die mit ihren Fürsten und Dämonen immer wieder versuchte, den Magiern die Magie zu stehlen. Einzig mit dem Ziel, die Magier zu vernichten, weil der Neid auf sie so groß geworden war. Während die Magier die Erde bevölkerten, heimlich unter den Menschen lebten und diesen nichts Böses wollten, befanden sich die Wesen der Dunklen Fraktion in der Zwischenwelt. Sobald eines hervorbrach und Unheil anrichtete, was immer wieder geschah, waren die Krieger zur Stelle und verbannten das Wesen. Auf gewisse Weise der ewige Kampf zwischen Gut und Böse. Nur dass die Magier sich nicht als die gute Seite betrachteten, sondern die Gilde als neutrale Basis ansahen. Ein Puffer. Für das wirklich Gute stand nur einer. Der Vater und Schöpfer aller Wesen.
Der Weiße.
Der Unerreichbare.
Der Blickkontakt der Geschwister riss nicht ab und in ihren Gesichtern spiegelte sich Misstrauen.
„Und was jetzt?“, fragte Keyla und verschränkte die Arme.
„Jetzt? Ich denke, wir tun das, was wir immer tun. Spuren der Dunklen Fraktion suchen. Ich glaube kaum, dass die ihre Finger nicht im Spiel hatten. Und wenn Apolonia mit denen gemeinsame Sache gemacht hat, dann haben wir das erste Mal in der Geschichte einen Grund, die Meisterin des Zirkels zu stürzen.“
„Lass uns packen.“ Ohne weitere Worte daran zu verschwenden, was sie von der Ausführung ihres Bruders hielt, drehte sie sich weg und lief mit festen Schritten in ihren Bereich des Hauses.
Geron folgte dem Aufruf zum Packen und machte sich seinerseits daran, das wenige Unverzichtbare in einen Rucksack zu befördern. Das Wichtigste von allem hatten sie immer bei sich.
Ihre Magie.
Obendrein trugen sie stets die Bekleidung der Krieger, die nur begrenzt als Uniform bezeichnet werden konnte. Jeder Krieger bevorzugte einen anderen Schnitt. Einzig die Materialien waren gleich. Schwarzes Leder in Kombination mit einem magisch verstärkten Seidenstoff, der eine noch größere Sicherheit bot, als die von den Menschen verwendeten Aramidfasern, genannt Kevlar. Wie die Kleidung genäht wurde, entschied jeder Kämpfer für sich, denn sie wurde ihm auf den Leib geschneidert.
Geron trug seine Lederhose im klassischen Schnitt, ähnlich einer Motorradbekleidung. Zusätzlich verstärkte Bereiche waren von innen mit dem hauchdünnen Stoff ausgekleidet. Sein Oberkörper wurde von einer ärmellosen Weste geziert, die seine muskulöse Statur nicht verbergen konnte. Seine langen, brünetten Haare band er immer mit einem ledernen Bändchen zusammen, sodass sein Zopf im Nacken auf dem Kragen der Weste auflag.
Als er den Rucksack schulterte, dachte er an den Tag zurück, als Keyla das erste Mal mit ihm zusammen ihre Fähigkeiten als Kriegerin bewies. Das war jetzt über zweihundert Jahre her und doch kam es ihm wie gestern vor. Er gestand es sich ungern ein, hatte aber mit der Zeit lernen müssen, dass sie stärker als er war. Nicht körperlich, sondern magisch. Das wurmte ihn und das wusste sie.
„Fertig?“ Ihre Nachfrage riss ihn aus dem Gedankengang.
„Ja.“ Entschlossen sah er zu ihr und besann sich auf ihr Vorhaben. Die Todesumstände ihres Meisters waren einfach zu rätselhaft, als dass sie für normal hätten erklärt werden können.
Keyla trat vor ihm aus dem Haus und lief auf die Harley zu. „Wohin zuerst? Zum Haupthaus?“
„Ja. Und damit der Grund unseres plötzlichen Besuches nicht auffällt, sollten wir gleich Apolonia unsere Treue schwören.“
„Na, ob sie das zu schätzen weiß?“, murmelte Keyla mehr zu sich selbst, als zu ihrem Bruder. Der sah ihr zu, wie sie sich auf die Maschine schwang. Auch wenn er natürlich keinerlei sexuelles Interesse an seiner Schwester hatte, musste er doch zugeben, in der Kriegerbekleidung – sprich Ledermontur – war sie auf dem Motorrad eine echt heiße Braut. Die Hose lag wie eine zweite Haut an ihren Schenkeln und betonte den strammen Po. Die Weste, die eher als Bustier durchging, betonte ihre Taille und verbarg die Rundungen ihrer Brüste nicht. Das Amulett, in welchem ein Bild ihrer Eltern steckte, lag wie immer um ihren Hals. Die Arme hatte sie vom Handgelenk bis zu den Ellenbogen mit wilden Mustern überzogen, von denen man glauben könnte, es wären Tattoos. Geron wusste es besser. Die Muster waren entstanden, weil sie als junges Mädchen mit der Magie gespielt und es dabei übertrieben hatte. Die immense Kraft und der absolut fehlgeleitete Zauber waren wie Marker auf ihrer Haut. Es war ein Wunder, dass sie nicht entstellend, sondern eher schmückend wirkten.
Keyla startete die Maschine und ließ ihre blonden, kinnlangen Haare unter dem Helm verschwinden. Geron bestieg seinen Cruiser – eine Yamaha Midnight Star. Während er lässig auf dem Bike wirkte, erschien Keyla wie eine kleine Wilde, was wohl nicht zuletzt an ihrer schlanken Erscheinung und dem Kraftpaket – ihrer Harley Iron – lag.
Er fuhr ihr hinterher, als sie aus der Einfahrt rollte und war fest entschlossen, das Rätsel um den Machtwechsel zu lösen. Die Straße glitt unter ihnen dahin und Geron konnte sich ein dezentes Grinsen nicht verkneifen. Nicht nur Keyla und er bevorzugten die zweirädrige Fortbewegung – die meisten der Magischen Krieger besaßen eine mehr oder weniger Eindruck erweckende Maschine.
So verwunderte es ihn nicht, dass in der Zufahrt zum Haupthaus einige Bikes abgestellt waren. Wie es schien, waren nicht nur die Geschwister auf die Idee gekommen, der Zentrale des Zirkels einen Besuch abzustatten.
Das Haupthaus war nichts Anderes als ein großes Herrenhaus mit weitläufigem Grundstück darum. Die Zufahrt, makellos und von Rasenflächen gesäumt, erstreckte sich gute fünfhundert Meter bis zu den Eingangsstufen. Unsichtbar, doch für Menschen und die Wesen der Dunklen Fraktion unpassierbar, wurde das gesamte Grundstück von einem magischen Schutzwall umschlossen. Jeder Magier spürte ihn, konnte jedoch mühelos passieren. Ein Mensch würde sich wohl gar nicht erst trauen, denn dieser Schutzwall verursachte neben Unbehagen ein Gefühl, als ginge eine regelrechte Bedrohung von ihm aus. Das Haus galt bei der umliegenden Bevölkerung als verflucht. Sogar Geister sollten schon gesichtet worden sein … das allerdings hielt Geron für Hirngespinste. Menschen besaßen schon immer eine ausgeprägte Fantasie, um eigentlich unerklärliche Dinge zu erklären. Und seien sie auch noch so abwegig. Besser eine halbseidene Erklärung, als gar keine.
Keyla parkte und er bockte seinen Cruiser daneben auf. Kaum hatte er sich heruntergeschwungen, kam Ryan auf sie zu. Der aus Irland stammende, kräftige Magier gehörte ebenfalls zu den Kriegern und genoss einen hervorragenden Ruf. Den Anfängern flüsterte man gerne, dass Dämonen von selbst zurück in die Schattenwelt sprangen, wenn sie Ryan nur sahen. Das war natürlich Unsinn. Der Krieger verfügte lediglich über ausgesprochen gute Reflexe und starke magische Kraft, die einen Sieg des Dämons beinahe unmöglich machten.
„Hey! Warum habe ich schon damit gerechnet, dass ihr auftaucht?“, begrüßte er sie schmunzelnd.
„Weil du uns kennst!“, erwiderte Keyla und lachte. Kurz darauf ließ sie sich von Ryan umarmen, dessen großer Körper sie fast verschluckte.
Geron schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Lass mein Schwesterchen ganz, ja?“
„Sure, my friend! Es ist schon ein paar Monate her …“
„Ja, da hast du recht. Im November sind wir uns zuletzt über den Weg gelaufen“, sinnierte Keyla und schüttelte ihren Kopf, um die platt gedrückten Haare aufzulockern.
„Der heutige Anlass ist nicht sehr erfreulich“, begann Geron.
„Ob früher oder später – was spielt es für eine Rolle? Apolonia hat einen starken Willen. Sie wird den Zirkel gut führen.“ Ryan sah zwischen seinen Freunden hin und her.
„Das streite ich nicht ab. Aber die plötzliche Mitteilung, der unerwartete Wechsel bereitet mir Sorgen“, erwiderte Geron leise.
„Hör auf Fairies zu sehen, wo keine sind!“, stichelte der Ire und spielte absichtlich auf die kleinen Fabelwesen an.
„Lasst uns reingehen. Vielleicht gibt es für den unerwarteten Machtwechsel eine plausible Erklärung“, schaltete sich Keyla ein.
Die beiden Männer folgten ihr, als sie mit großen Schritten auf die Treppe zuhielt.
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Nachdem Ceramir mit seinem Zwilling den versteinerten Altmeister in der Eingangshalle platziert hatte, war er zu Apolonia zurückgekehrt. Kaum war er durch die Tür getreten, wies sie ihn an, diese zu schließen und sich zu setzen.
„Du kannst dir wohl denken, warum ich dich als rechte Hand und Diener gewählt habe. Sollte die Wahl des Gremiums auf dich fallen, mein Nachfolger zu sein, kannst du dir schon mal ein Bild davon machen, was dich erwartet.“
Er räusperte sich. „Ich strebe diese Position nicht an.“
„Ich weiß.“ Ihre Stimme klang so emotionslos, wie ihr Gesicht wirkte. Stets beherrscht, nie eine Gefühlsregung zeigend. Sie besaß das perfekte Pokerface, in dem niemand lesen konnte.
„Deine erste Aufgabe steht an. Und die hat sehr viel damit zu tun, wie ich auf diesen Stuhl gekommen bin.“ Apolonia strich über die Armlehnen der monströsen Sitzgelegenheit, die schon eher ein Thron denn ein Schreibtischstuhl war. Zum Raum passten sowohl Stuhl als auch Schreibtisch. Die rund dreißig Quadratmeter waren stilvoll und harmonierend zum Herrenhaus eingerichtet. Poliertes Holz auf dem Boden und an den Wänden, wuchtige Regalwände gefüllt mit Büchern, eine große Fensterfront und fast mittendrin Thron, Tisch und zwei Ohrensessel gegenüber diesem. Vor den Fenstern standen außerdem noch zwei filigrane Stühle, auf denen Ceramir noch nie jemanden hatte sitzen sehen. Kein Wunder, sie wirkten auch, als würden sie sofort zusammenbrechen, sollte sich jemand darauf setzen, der schwerer war als ein Kind.
Ceramir wartete, dass Apolonia ihm Genaueres erklärte, doch dazu kam es nicht. Ein Klopfen an der Tür unterbrach die begonnene Unterhaltung.
„Ja bitte?“, rief Apolonia, worauf der Besucher eintrat. Genauer gesagt waren es gleich zwei. Ceramir kannte sie. Die Magischen Krieger Keyla und Geron. Oh, wie er sie beneidete!
„Verzeihung, Meisterin. Wir wussten nicht, dass Ihr euch in einem Gespräch befindet.“ Geron nickte ihr entschuldigend zu.
„Es ist in Ordnung. Kommt rein und schließt die Tür. Ich wusste, dass ihr kommt und habe euch erwartet.“
Ceramir sah ein kurzes Erstaunen bei Keyla aufblitzen, was aber sofort wieder verschwand.
„Da ihr jetzt alle drei da seid, kann ich mit meiner Erklärung fortfahren. Ceramir, du wirst diese beiden Krieger begleiten. Ich erteile euch den Auftrag, nach dem Verursacher zu suchen, der unseren Meister versteinerte und mich zur verfrühten Nachfolge zwang.“
Schweigen breitete sich aus. Absolute Stille, in der man nur die Atmung der vier Magier hören konnte.
„Überrascht euch das? Ich habe Xendrian nichts getan – auch wenn das manche annehmen mögen. Deshalb ist mir daran gelegen, die Sache aufzuklären. Ich müsste das nicht – und doch ist es wichtig. Den Zirkel zu führen, wenn Zweifel an meiner rechtmäßigen Herrschaft bestehen, halte ich für keine geeignete Grundlage.“
Die drei Magier sahen sich an. Ceramir fing sich als erster.
„Das ist wohl ein Witz! Ihr wisst sehr wohl, dass ich immer ein Krieger sein wollte, mir die Ausbildung aber verwehrt wurde.“ Er hatte Mühe, sich im Zaum zu halten und eine ordentliche Ausdrucksweise zu wählen. Wäre es nach seinem Gemütszustand gegangen, dann hätten völlig andere Worte seinen Mund verlassen.
Während Keyla und Geron ihn entsetzt ansahen, strafte ihn Apolonia mit einem strengen Blick.
„Du weißt auch genauso wie ich, warum dir der Weg zu den Kriegern verwehrt blieb, Ceramir. Dennoch schicke ich dich mit ihnen, weil du stark bist. Deine Kraft ist deinem Alter weit voraus.“ Sie pausierte und richtete ihre Aufmerksamkeit an das Geschwisterpaar. „Ich vertraue auf euer Gespür. Findet heraus, wer auch immer die Verantwortung dafür trägt, dass Xendrian nun nicht mehr als eine Statue ist.“
„Ja, Meisterin“, antworteten die beiden wie aus einem Mund.
Ceramir seufzte. Es war beschlossene Sache. Er würde die beiden begleiten. Und er hatte da eine Ahnung, was Apolonia damit bezweckte. Sie hatte seine Kraft erwähnt, was ihm unmissverständlich klar machte, dass er sie zu gebrauchen hatte …
Keyla und Geron brauchten keine Vorbereitungen zu treffen. Ceramir hingegen schon, denn der hatte mit dieser Aufgabe nicht gerechnet. Die beiden Krieger kannten den Magier vom Sehen, da er sich immer im Haupthaus aufgehalten hatte, wenn sie diesem einen Besuch abstatteten. Keyla wusste es nicht genau, schätze aber, dass Ceramir etwa in ihrem Alter sein müsste. Nach menschlichen Maßstäben und ihrem Aussehen wären sie vermutlich Mitte zwanzig. Ihr wahres Alter war weitaus höher. Knappe dreihundert Lenze …
„Findest du es nicht seltsam, dass sie uns Ceramir zur Seite stellt?“, hatte sie Geron leise gefragt, bevor sie sich am Fuß der Treppe trennten.
„Seltsam nicht – lass uns abwarten“, war seine Erwiderung gewesen.
Während Ceramir sein Zeug packte, wartete Keyla bei ihrer Harley. Geron wollte noch etwas nachsehen, und dann zu ihnen stoßen. Er hatte nicht gesagt, was er vorhatte, meinte aber, Ceramir wäre sicher vor ihm zurück.
So war es auch.
„Ich habe mir gedacht, dass ihr mit den Maschinen da seid“, sagte er und zog einen Helm hinter seinem Rücken hervor.
„Sehr klug. Und, wem willst du dich anvertrauen?“, fragte sie keck.
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Ceramir hätte am Liebsten gesagt ‚euch beiden‘, doch so vertraut waren sie miteinander noch nicht. Er wusste, dass es sich um Geschwister handelte, so wenig Ähnlichkeit sie auch miteinander hatten. Er sah seinem Zwilling auch nicht sehr ähnlich – sie waren nicht eineiig. Während Corven eher markant aber schlaksig wirkte, mit dem Straßenköterbraun auch nicht punkten konnte und oftmals grimmig dreinschaute, war Ceramir das vollkommene Gegenteil. Vollkommen in jeglichem Sinne. Ebene Gesichtszüge, die weder zu hart noch zu weich waren. Strahlend blaue Augen, die mit goldblonden Haaren um die Wette leuchteten. Einem Körper, der Muskeln an den richtigen Stellen in richtiger Proportion aufwies und mit einer magischen Kraft gesegnet, die ihm viele neideten. Er mochte ein Bild von einem Mann sein, aber er bildete sich nichts darauf ein. Wenn Aussehen oder magische Fähigkeiten nicht ausreichten, den Unmut von anderen Magiern auf sich zu ziehen, dann war es die Tatsache, dass er bisexuell veranlagt war. Manche Magier der alten Schule hatten enorme Probleme damit …
Ceramir betrachtete die beiden Maschinen. „Ich tendiere zur Harley“, bekannte er.
„Gut, dann bist du mein Sozius. Aber pass auf, wo du deine Griffel hin packst“, warnte sie ihn scherzhaft.
Ihre Augen funkelten und erschienen im Sonnenlicht fast türkies. Ihr lockerer Ton verleitete Ceramir dazu, auf das Wortgefecht einzugehen.
„Sonnenschein, wenn du nicht möchtest, dass meine Wenigkeit in Kontakt mit deinem zarten Körper kommt, dann sag es einfach.“
Sie lachte. Das Eis war gebrochen und die Distanz zwischen ihnen ab diesem Moment Vergangenheit. Natürlich hatten sie beide auf ihre Magie zurückgegriffen, um das Gegenüber abzutasten. Jemanden magisch zu erfühlen, brachte Lügen und Berechnung ebenso zum Vorschein wie Offenheit und Ehrlichkeit.
„Warum hast du die Ausbildung zum Krieger nicht machen dürfen, wenn du doch so stark bist?“, erkundigte sie sich.
„Weil es sein kann, dass ich vom Gremium der Gilde dazu ernannt werde, Apolonias Nachfolger zu sein.“
„Oh.“
„Ja, oh. Es ist das Letzte, was ich will. Im Grunde tut sie mir einen Gefallen, dass sie mich mit euch schickt.“
„Na denn, dann sehen wir mal, ob es ein Abenteuer oder ein Albtraum wird“, erwiderte sie und schwang sich auf die Harley. „Spring auf, Geron ist im Anmarsch.“
Ceramir ließ sich nicht lange bitten und nahm hinter ihr Platz. Er hatte den Eindruck, wenn er sie umarmen würde, verschwände sie fast vollkommen, so zierlich wirkte sie vor ihm. Ihre Statur sagte jedoch nichts über ihre Kraft aus, ganz im Gegenteil – bisher war ihm nur Gutes über Keyla zu Ohren gekommen …
Die erfahrenen Krieger wussten wohl genau, wohin sie sich zuerst wenden mussten. Nicht weit vom Haupthaus des Zirkels entfernt lag an der Küste eine versteckte Höhle. In ihr befand sich eine Schwachstelle. Keyla hatte sie schon öfter aufgesucht, um mit denen zu sprechen, die hinter der Schwachstelle in der Schattenwelt lauerten und auf eine Chance zum Durchkommen warteten. Es war eigenartig, aber die meisten, die sich so nah am Rand zur Welt befanden, waren gesprächig. Vielleicht hofften sie, eines Tages einen Dummen zu finden, der ihnen den Übergang ermöglichte …
Als sie die Klippen erreicht hatten, stellten sie ihre Motorräder hinter einem Vorsprung ab, damit sie von der Straße aus nicht direkt gesehen werden konnten.
„Also, ich hatte recht mit meiner Vermutung. Im Haupthaus war keinerlei Präsenz der Dunklen Fraktion auszumachen. Folglich war niemand von denen im Haus. Aber, und das konnte ich deutlich messen, es wurde sehr starke dämonische Kraft verwendet. Die ist sogar auf dem Flur noch messbar gewesen. Es wundert mich, dass Apolonia das nicht angesprochen hat.“ Geron steckte seinen Helm an den Lenker und sah die beiden anderen abwartend an.
„Warum hätte sie irgendwas dazu sagen sollen? Sie gab uns den Auftrag, die Hintergründe herauszufinden. Selbst wenn sie die dämonische Kraft spüren konnte, überlässt sie es vollkommen uns, alles zusammenzufügen. Ich kenne sie gut genug …“, brummte Ceramir.
Keyla grunzte. „Da bin ich aber mal gespannt, ob wir jemanden da unten finden, der aus dem Nähkästchen plaudert.“ Sie trat an den Abgrund und sprang. Geron und Ceramir folgten ihr. Magisch befreit von der Schwerkraft flogen sie zum Eingang der Höhle. Keyla legte ein ordentliches Tempo vor und die beiden Männer hatten Mühe, ihr nachzukommen.
Während sie ihr nacheilten, fing Ceramir einige prüfende Seitenblicke von Geron auf. Da der aber nichts weiter sagte, hielt auch er sich bedeckt. Ceramir wollte ihm nicht gerade auf die Nase binden, dass er während der Fahrt zum einen versucht hatte, dem Körper von Keyla nicht bedenklich nahe zu kommen und zum anderen seine Augen ständig vom vor ihnen fahrenden Geron zu lösen, dessen Arsch in schwarzem Leder einfach nur heiß gewesen war. Er besaß den ansehnlichen Körper eines Kriegers und wer würde da nicht schwach werden? Er vertrieb den Gedanken und konzentrierte sich auf ihr Vorhaben.
„Alles okay?“, erkundigte sich Ceramir, obwohl es nicht wie eine Frage geklungen hatte. Er bekam ein Nicken zur Antwort und gemeinsam traten sie in die Höhle, um nachzusehen, ob Keyla schon einen Gesprächspartner gefunden hatte.
Ceramir hörte sie reden und die wispernde Stimme, die ihr antwortete, sprach dafür. Vorsichtig trat er näher, da er den Sprechenden nicht vertreiben wollte.
„Und du bist dir sicher, dass es nichts mit dem Meister zu tun hatte?“, erkundigte sich Keyla gerade.
„Rein gar nichts. Xendrian genoss selbst auf unserer Seite Ansehen – trotzdem stand er den Plänen von jemandem im Weg.“
„Wessen Plänen?“, bohrte Keyla in einem nachdrücklichen Ton nach. Ceramir war inzwischen so nahe, dass er den Dämon durch die Schwachstelle sehen konnte. Ein kleiner Kerl, weder richtig menschlich, noch monströs. In der Welt der Menschen würde er wahrscheinlich als grausame Laune der Natur bezeichnet werden. Gekrümmter Rücken, wenige und wirr vom Kopf abstehende Haare, knorrige Hände …
„Ich kann nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist.“ Der Dämon krümmte sich noch mehr, als würde er Schmerzen leiden.
„Dann lass es mich anders formulieren: Was ist der Sinn und Zweck? Warum musste Xendrian weichen?“
„Na, um für jemand anderem Platz zu machen, du dummes Weib!“ Die Haltung des Dämons änderte sich erneut. Jetzt wirkte er allwissend und belehrend.
„Das ist mir auch klar. Aber was verspricht sich der Drahtzieher davon, dass Apolonia jetzt die Oberste im Zirkel ist?“
Der Dämon kicherte. „Um die geht es auch nicht, es ist nur eure Reihenfolge, die sie dorthin brachte. Doch diesen Platz soll jemand anderer …“ Der Dämon schlug sich hastig die verkrüppelten Hände vor den Mund. Offenkundig hatte er gar nicht so viel verraten wollen – oder dürfen.
„Wer? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ Keyla rang sichtlich mit ihrer Fassung.
„Hmm, warum sollte ich dir das sagen?“, fragte er und wirkte plötzlich an einem Handel interessiert. „Was habe ich denn davon?“, ergänzte er fast bettelnd.
Ceramir fand dessen wechselnde Stimmung lästig, aber die meisten Dämonen benahmen sich so unberechenbar.
„Ich weiß nicht“, begann Keyla langsam, „aber ich glaube, wenn unsere Machtverschiebung Auswirkungen auf eure Seite hat, dann könnte es dir bald schlecht ergehen.“
„Warum?“, erntete sie eine Gegenfrage, die klang, als habe ein Kind sie gestellt.
„Wer ist jetzt der Dumme? Du denkst ja wohl nicht, dass du profitierst, wenn die Pläne – welche auch immer das sind – in die Tat umgesetzt werden. Warum sollte ein starker Dämon sich um das Wohlergehen eines jeden kümmern, der in der Schattenwelt steckt? Vergiss nicht, wie egoistisch ein jeder von euch ist. Und solltest du nicht zu der betreffenden Fraktion gehören …“ Keyla grinste ihn triumphierend an.
Der Dämon verzog das Gesicht und entblößte eine Reihe fauliger Zähne. „Ich sage jetzt nichts mehr! Such dir einen anderen, den du mit deinen Fragen löchern kannst“, murrte er und zog sich zurück.
Keyla runzelte ärgerlich die Stirn.
„Irre ich, oder war aus seinen Worten herauszuhören, dass ein er den Platz einnehmen soll?“ Ceramir sah sie fragend an. Dass auch er selbst für diesen Platz infrage kam, ignorierte er. Diese Möglichkeit zog er gar nicht in Betracht, denn er wollte den Posten keinesfalls. Weder jetzt noch später.
Sie nickte. „Den Eindruck hatte ich auch. Nur hilft uns das im Moment nicht weiter.“
Geron gesellte sich zu ihnen. Was der so lange gemacht hatte, war Ceramir ein Rätsel.
„Ist euch aufgefallen, dass der kleine Wicht Angst hatte?“
„Ja. Er weiß, wer dahinter steckt, kann es aber nicht aussprechen.“ Keyla stieß resigniert die Luft aus.
„Lasst uns fahren. Hier kommen wir nicht weiter. Es scheint, als wären die anderen wegen der Fragen in Deckung gegangen. Ich habe keine Lust darauf zu warten, dass sich noch mal ein Dämon blicken lässt. Aber ich denke, da gibt es noch jemanden, dem wir einen Besuch abstatten sollten.“ Geron zwinkerte Keyla zu, dann drehte er sich weg und verließ die Höhle.
Die Fahrt zu der erwähnten Person dauerte etwas länger als eine Stunde. Eine Stunde, die für Ceramir zur Probe seiner Willensstärke wurde. Der zierliche Leib der Kriegerin reizte ihn. Er saß mit ihr wie eine Einheit auf der Maschine, jede Kurve verlockte ihn, sich nicht nur mit Keyla zu neigen, sondern ihr näher zu kommen. Obendrein fuhr Geron stetig vor ihnen her, was Ceramir eine visuelle Reizüberflutung bescherte. Absolut unangemessen in ihrer Situation – aber Ceramir kam nicht daran vorbei, sich einzugestehen, dass er auf die Geschwister in gleichem Maße scharf war. Er ahnte, ihre Aufgabe würde nicht leichter, wenn er nur einen Deut seiner Gedanken preisgab und sich etwas zwischen ihnen entwickeln würde … zumal er keine Ahnung hatte, wie Geron tickte. Zunächst würde Ceramir sich bedeckt halten – zumindest nahm er sich das vor.
Geron lenkte sein Bike schließlich eine Einfahrt hinauf, die von den Pflanzen in Beschlag genommen wurde und gerade einen Durchlass für die Zweiräder bot. Wer auch immer dort wohnte, nutze die Zufahrt zum Haus nicht mit einem Auto.
Keyla parkte neben Geron und Ceramir ließ den Blick schweifen, noch ehe er den Helm abgesetzt hatte. Das kleine Haus wirkte verfallen, aber nicht ungepflegt. Die Farbe blätterte von der Fassade und vom Geländer der Veranda, aber die Fenster strahlten sauber im Sonnenlicht. Die Stufen zur Veranda wirkten alt und morsch, doch weder Schmutz noch Laub sammelte sich auf ihnen.
„Ich hoffe, ihr wisst, was ihr macht …“, murmelte er und zog den Helm ab.
Keyla blickte ihn mit einem schiefen Grinsen an. „Da kannst drauf wetten.“
Geron war zwischenzeitlich auf die Veranda getreten und klopfte gegen die altersschwache Tür, die aussah, als würde die bloße Berührung ein Zerfall zur Folge haben. Doch nichts dergleichen geschah. Ceramir blieb neben der Harley stehen und ließ den Kriegern nur zu gern den Vortritt. Er wusste ja doch nicht, was die beiden dazu bewogen hatte, herzufahren und was sie hier zu erfahren gedachten.
Zweiteres klärte sich in diesem Augenblick, denn eine Magierin öffnete die Tür. Ceramir erspürte es sofort. Sie hielt sich nicht an die Regeln des Zirkels. Das Benutzen der dämonischen Kraft umwob sie wie ein Schleier …
„Was verschafft mir diesmal die Ehre?“, fragte sie in einem bittersüßen Ton, der bei Ceramir Ekel aufsteigen ließ.
„Kendra, wir sind nicht wegen deiner Verfehlungen hier. Wir brauchen Informationen und du kannst sie vielleicht liefern“, sagte Geron fordernd aber höflich.
„So, was für Informationen wären das?“
„Zum Beispiel, welcher der dunklen Fürsten ein Interesse daran hat, den Posten des obersten Magiers nach seinen Wünschen zu besetzen.“
Kendra riss die Augen auf. „Woher soll ich denn so etwas wissen?“
Keyla trat einen Schritt vor. „Jetzt stell dich nicht unschuldig dar. Wir wissen sehr genau, dass du gute Kontakte zu den Dämonen unterhältst. Wir wissen auch von deinen Geschäften mit den Menschen, denen du Zaubertränke verkaufst, die angeblich nur aus Kräutern bestehen. Wir sehen den Schleier an dir, also raus mit der Sprache. Dämonen lästern gerne, besonders über die Fürsten, denen sie nicht verpflichtet sind.“
Kendra ließ die Schultern hängen. Für Ceramir wirkte es aus dieser Entfernung aber nicht so, als gäbe sich die Magierin geschlagen. Er ließ sie nicht aus den Augen und vor allem achtete er auf jede Veränderung ihres Kraftmusters. Sein Instinkt trog ihn nicht, Kendra versuchte einen Abwehrzauber gegen die beiden Krieger auszuführen. Die jedoch reagierten mindestens so schnell wie Ceramir, der über die Geschwister hinweg einen bremsenden, magischen Ring auf Kendra warf, damit sie keine Möglichkeit mehr hatte, ihrerseits Magie anzuwenden. Die Geschwister nutzen eine andere Art Blocker, zudem überzog sie eine Schutzschicht, an der alles abprallte.
„Erzählst du uns, was du weißt oder bevorzugst du die Strafe für deine Vergehen?“, fragte Geron scharf.
Kendra presste die Lippen aufeinander. Das schien Geron Antwort genug zu sein. Ceramir sah das magische rote Band, welches sich um die Frau wickelte. Er kannte diese Art Magie. Sie wirkte wie eine Betäubung. Kendra würde für eine festgelegte Zeit überhaupt keine Magie anwenden können. Sie besäße nicht einmal die Kraft, um eine Kerze zu entzünden.
„Zwei Monate Kendra“, eröffnete Geron ihr. „Solltest du doch reden wollen, wende dich an den Zirkel.“
Kendra nahm die Worte reglos hin. Fast schien es Ceramir so, als sei es ihr gleichgültig, ihre Magie für bestimmte Zeit gefesselt zu sehen. Fast, als ob sie diese nicht brauchen würde. Im Grunde war allein die Vorstellung absurd. Ein Magier ohne seine Magie war dem Wichtigsten beraubt, was er besaß. Dem größten Teil seines Wesen, der ihn ausmachte und ohne den er nicht komplett war.
Die Geschwister ließen Kendra aus dem Blocker frei und auch Ceramir orderte seinen Ring zurück. Bis auf das rote Band war alles wie zuvor. Kendra trat eilig ins Haus und verbarrikadierte die Tür.
„Seid ihr sicher, dass der Verlust der Magie für sie eine Strafe ist?“, erkundigte sich Ceramir bei den beiden.
„Ja, es hat noch immer gewirkt“, sagte Keyla und Geron ergänzte: „Bisher haben wir noch jeden zum Reden bekommen.“
Die drei waren wieder auf der Straße unterwegs. Geron hatte angemerkt, dass sie eine Unterkunft ansteuern würden. Von dort aus würden sie zu einem Magier fahren, der ebenfalls dafür bekannt war, in Kontakt mit den Dämonen zu stehen.
Mit nur einer kurzen Rast um etwas zu Essen kamen sie bei Einbruch der Dunkelheit in einem kleinen, sehr überschaubaren Ort an. Keyla steuerte ihre Harley neben Gerons Yamaha die Straße entlang. Ceramir bekam den Eindruck, in dem Örtchen wären bereits die Bürgersteige hochgeklappt – es war keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Die beiden schienen allerdings genau zu wissen, wo es lang ging. Die Maschinen bogen synchron in eine Einfahrt ab. Der Vorgarten, der das kleine Haus vom Gehweg trennte, wirkte sehr gepflegt, woraus Ceramir schloss, dass dieses Haus dauerhaft bewohnt wurde. Er täuschte sich nicht. Kaum waren die Bikes abgestellt, wurde die Tür aufgerissen und eine Frau kam strahlend auf sie zugelaufen.
„Alicia!“, rief Keyla vergnügt und ließ sich umarmen. Anschließend begrüßte sie Geron, nicht weniger stürmisch.
„Ist das schön, euch zu sehen“, Alicia blickte zu Ceramir. „Und wer ist euer Begleiter?“, erkundigte sie sich und zwinkerte ihm zu.
„Ich bin Ceramir“, stellte er sich selbst vor. Keyla fiel ihm ins Wort: „Wir können nicht lange bleiben. Nur bis zum Morgengrauen …“
„Ich habe es geahnt! Ihr könnt ja nie lange bleiben“, erwiderte Alicia und zog einen scherzhaften Schmollmund. „Kommt rein.“
Ceramir war überrascht von der Herzlichkeit der Magierin. Alicia wirkte sehr vertraut mit Keyla und Geron, als ob sie sich schon Ewigkeiten kannten. Vielleicht war dem so, oder aber es war einfach ein Wesenszug von ihr. Denn auch Ceramir gegenüber war sie offen und sehr locker. Binnen kurzer Zeit legte er die anfängliche Zurückhaltung ab und genoss die Gastfreundschaft der Magierin. Der gemütliche Abend, angereichert mit Gesprächen und einem leckeren Essen, verging für seinen Geschmack viel zu schnell. Ein angenehmes Beisammensein, ohne dass nur ein Mal der Grund erwähnt wurde, weshalb das Trio zusammen unterwegs war. Alicia bedeutete ihnen schließlich, nach oben zu gehen. Ceramir solle sich von Keyla und Geron zeigen lassen, wo die Gästezimmer und das Bad zu finden waren, während sie selbst die Küche aufräumen wollte.
Sie folgten ihren Worten und stiegen mit ihrem wenigen Gepäck nach oben. Geron lief vor und zeigte Ceramir das Zimmer sowie das Bad, welches der Krieger sofort in Beschlag nahm. Mit Keyla allein auf dem Flur war er einen Moment unschlüssig, was er tun sollte. Schließlich entschied er sich, ihr eine gute Nacht zu wünschen – was er auch tat – und wandte sich zu der Zimmertür um.
„Warte bitte“, erklang ihre Stimme hinter ihm, als er schon die Klinke in der Hand hatte. Fragend sah er sie an.
Sie trat zu ihm und sagte leise: „Ich wollte nur sagen, dass ich dich nicht in Verdacht habe.“
Ceramir brauchte einen Augenblick, ehe er begriff. „Warum auch?“
„Du sagtest, dass du zur Nachfolge ernannt werden könntest. Aber ich schließe dich als Täter aus – so wie Apolonia vermutlich auch. Jemand anderer, der für die künftige Abfolge infrage kommt, ist in die Sache verwickelt. Geron wird mir da zustimmen.“
„Danke.“ Ceramir war erleichtert, dass kein unterschwelliges Misstrauen zwischen ihnen herrschte.
Keyla zwinkerte ihm keck zu. „Schlaf gut.“
„Du auch“, erwiderte er und betrat endgültig das Zimmer.
Als er im Bett lag, kam ihm der Gedanke, dass trotz der regen Unterhaltung mit Alicia nur Belanglosigkeiten ausgetauscht worden waren. Er wusste so gut wie nichts über die Frau, außer dass sie allein lebte und ihr Haus den Magischen Kriegern als Unterkunft anbot. Was sie dazu bewegte, oder warum sie ohne einen Partner in dem Haus wohnte, blieb ihm ein Rätsel. Eine ungewöhnliche Lebensweise für Magier.
Mit vollem Bauch und dem Wissen, am kommenden Morgen erneut hinter Keyla auf der Maschine zu sitzen, fiel Ceramir rasch in den Schlaf.
Wirre Träume begleiteten diesen, wie so oft. Schon längst hatte er aufgegeben, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn sie eine Bedeutung hatten, würde sich diese früher oder später offenbaren. Auch ohne, dass er angestrengt über einen tiefen Sinn nachdachte. Etwas überraschend verwoben die Krieger Keyla und Geron mit seinen Träumen, die gewohnt unsinnig ausfielen. Entgegen seiner Gewohnheit, das nächtliche Sammelsurium von Bildern in die hinterste Ecke seines Geistes zu verbannen, brannte auch am kommenden Morgen noch ein Bild grell auf. Er selbst stand zwischen den Kriegern. Sie alle drei erschienen kraftlos und matt. Ein Ding der Unmöglichkeit – Ceramir kannte seine Stärke und seine Fähigkeit. Und er würde nie und nimmer so weit gehen, den Geschwistern so viel Kraft abzuzapfen, dass sie derart ermattet wirkten. Dennoch verließ ihn das Bild nicht. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihm breit, das er nicht verdrängen konnte. Wie ein Schatten begleitete es ihn und egal in welche Richtung er seine Gedanken lenkte, er kehrte immer wieder zu den Traumbildern zurück.
Er gab es auf. Es musste eine Bedeutung geben … und er war sich fast sicher, dass er die ergründen würde. Wie auch der Punkt mit der möglichen Machtfolge. Apolonia hatte sich immer bedeckt gehalten, wen das Gremium der Gilde noch im Sinn hatte. Irgendwie musste das doch herauszufinden sein.
Zuvor jedoch sorgte Alicia für eine willkommene Ablenkung. Ihre Gastgeberin hatte ein Frühstück aufgedeckt, das Ceramir erstaunte. Was auf dem Tisch in der Küche stand, ließ ihn sprachlos im Türrahmen verharren. Die Masse an Leckereien konnte unmöglich für nur vier Leute gedacht sein!
„Guten Morgen!“, grüßte Alicia ihn fröhlich. Die beiden Krieger waren noch nicht heruntergekommen. Ceramir erwiderte den Gruß und trat in den Raum. Er setzte sich an den Tisch und Alicia schenkte ihm einen Tee ein.
„Ich hoffe, du hast gut geschlafen.“
„Ja, danke.“ Ceramir lächelte ihr zu. Kurz darauf hörte er sich nähernde Schritte. Keyla und Geron tauchten mit verschlossenen Gesichtern auf. Ceramir erschien es, als hätten die Geschwister sich gestritten. Zumindest wirkten sie sehr distanziert und bemühten sich auffällig, betont lässig zu wirken. Allerdings konnte er auch keine negativen Schwingungen auffangen, welche seine These belegen könnten.
Kaum hatten die beiden sich mit an den Tisch gesellt, setzte sich auch Alicia. Sie bedachte Ceramir mit einem fragenden Blick. „Sag mal, weshalb begleitest du die beiden eigentlich? Du bist kein Krieger …“
Ceramir räusperte sich. „Ich soll die beiden unterstützen.“
„Aha – sehr aufschlussreich“, bekannte sie lachend.
„Du musst nicht alles wissen, Alicia“, neckte Keyla tadelnd. „Und nochmals vielen Dank für deine Gastfreundschaft. Leider müssen wir gleich aufbrechen.“
„Gern geschehen, wie immer.“ Die Magierin lächelte versonnen und Ceramir hatte den Eindruck, an Geron blieb ihr Blick eine Spur zu lange hängen. Ihm blieb keine Zeit, das eingehender zu beobachten, denn die Geschwister aßen in Rekordtempo und leerten abschließend ihren Tee. Ceramir hatte kaum ein halbes Brötchen in der gleichen Zeit gegessen. Er war noch nicht fertig mit kauen, da drängte Geron schon darauf, dass es Zeit wurde, zu fahren.
Drei Stunden lang fuhren sie ohne Pause. Landstraßen, Ortschaften und eine kleine Stadt passierten sie, ohne dass Ceramir eine Ahnung davon bekam, wohin die Reise ging. Er hatte wieder bei Keyla auf der Maschine Platz genommen und bewegte sich mit ihr in den Kurven wie eine Einheit. Immer in Versuchung, ihren Kurven näher zu kommen, als erwünscht. Er fragte sich, wie viele Stationen sie noch anfahren mussten, ehe sie einen brauchbaren Hinweis bekämen. Der Dämon hatte nur Andeutungen geliefert, die Magierin Kendra hingegen nichts. Wer kam jetzt? Ceramir hoffte, es wäre jemand, der mehr und vor allem interessantere Worte für sie übrig hatte.
Unerwartet steuerte Keyla die Harley plötzlich auf ein Grundstück, das an der Landstraße lag. Eine grüne Hecke umgab das Gelände und soweit Ceramir sehen konnte, war nur das Stück der Einfahrt nicht bewachsen. Der Rasen links und rechts des Weges war gepflegt, ebenso wie der Rest. Üppige Blumenpracht zierte das Haus. Wer auch immer hier lebte, war nicht arm, befand Ceramir. Keyla ließ die Maschine ausrollen und stoppte kurz vor der Treppe. Die weißen Stufen führten auf eine Veranda, die um das Haus verlief. Sie stiegen ab, und als Ceramir seinen Helm abzog, bemerkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Es war viel zu still. Unnatürlich still. Keine Vögel, die sangen, kein Rascheln von Laub, obwohl der Wind ihnen leicht um die Nase wehte. Neben ihm räusperte sich Geron.
„Wenn dir hier nichts komisch vorkommt, bist du ein schlechter Magier.“
Ceramir grunzte und warf einen Seitenblick auf den Krieger. Der grinste breit und stieg die Stufen hinauf.
„Halte dich bitte bedeckt“, wies Keyla ihn an und stapfte Geron hinterher.
Ceramir hatte nicht vorgehabt, sich einzumischen. Der Hinweis wäre gar nicht nötig gewesen. Er ließ den Blick schweifen, während die Geschwister an der Tür darauf warteten, dass diese geöffnet wurde. Die Bäume auf der Wiese standen reglos da. Die Blüten der Blumen waren eine erstarrte Pracht. Im Grunde wirkte die gesamte Szenerie erstarrt, als wäre sie eingefroren worden. Ein Standbild, welches absolute Perfektion zeigte. Es war keine Frage, dass hier ein Magier lebte.
Die Tür wurde geöffnet und ein förmlich dreinblickender Butler erschien im Rahmen.
„Sag Xentos, dass wir ihn sprechen wollen“, platze Geron heraus, ehe der Mann etwas sagen konnte.
„Wie ihr wünscht, Krieger.“ Der Frackträger deutete eine Verbeugung an und forderte sie mit einer Handbewegung auf einzutreten. Ceramir folgte den beiden – oder dreien, wenn er den Butler mitzählen wollte. Die Eingangshalle des Hauses war strahlend sauber und wurde von Weiß dominiert. Auf einem runden Tisch in der Mitte stand ein Blumenstrauß.
„Wenn ihr hier bitte warten würdet …“ Es klang weder nach einer Frage noch nach einer Aufforderung. Eine Entgegnung schien nicht nötig, denn die Geschwister verloren kein Wort. Der Kerl im Frack eilte die Treppe hinauf. Sein Aussehen täuschte – wenn er optisch auch wie ein Greis wirkte, war er noch immer sehr agil. Ceramir glaubte, dass er im fünften Lebensjahrhundert war, konnte sich aber auch irren. Bei Magiern war das wahre Alter nicht wirklich einzuschätzen.
Kurz nachdem der Mann die Treppe nach oben geeilt war, erschien am oberen Absatz ein anderer Mann. Großartig raten musste Ceramir nicht, um wen es sich dabei handelte. Der Hausherr, den Geron Xentos genannt hatte.
„Was verschafft mir diesmal die Ehre eures Besuchs?“, fragte er. Seine Stimme ein angenehm klingender Bariton, ruhig und beinahe freundlich. Doch der Schein trog – wie bei der Gartenanlage draußen. An diesem Magier war nichts freundlich, das war deutlich zu spüren. Sein Aussehen glich einer Fassade, auf Hochglanz poliert mit künstlicher Bräune, akkurat sitzender Frisur und einem maskenhaften Gesicht. Ceramir wunderte es, dass sein Anzug leichte Falten aufwies, wo doch sonst alles an dem Mann wirkte, als wäre er eine inszenierte Momentaufnahme.
„Xentos, wir haben ein paar Fragen und wir gehen davon aus, dass du sie alle beantworten kannst.“ Keyla sah zu ihm nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Selbstredend, junge Kriegerin. Ich habe mir nichts vorzuwerfen. So wie immer, wenn ihr mich mit euren Fragen behelligt.“ Der letzte Satz klang missgestimmt und genauso falsch, wie der Rest seiner Worte. Er meinte nichts von dem, was er sagte, wörtlich. Ceramir spürte deutlich die dunkeln Fäden, die sich um die Kraft des Magiers spannen. Er nutze regelmäßig die Macht der Dunklen Fraktion.
Er fragte sich, ob die Krieger das ebenso fühlten, wie er. Besaßen sie die Gabe? Er nahm sich vor, sie darauf anzusprechen …
„Sieh an, ihr habt einen Gast mitgebracht“, tönte es von der Treppe her. Xentos war auf dem Weg nach unten und fixierte Ceramir mit seinem Blick.
„Es ist ja nicht zu leugnen. Also Xentos – wer von der anderen Seite hat seine Finger im Spiel gehabt? Wir wissen, dass die Dunkle Fraktion dafür verantwortlich ist, das Xendrian versteinert wurde.“ Geron sah den Angesprochenen abwartend an, doch der erwiderte nichts, bis er die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte. Zwei Meter vor den Kriegern blieb er stehen und hob fragend die Brauen.
„Wie kommt ihr darauf, dass ich etwas darüber wüsste?“
Keyla trat auf ihn zu. „Weil du zu oft Kontakt mit Dämonen hattest und dich mit ihnen umgibst, als wären sie deine Freunde.“
„Hast du das jemals beweisen können, kleine Kriegerin? Nein.“
„Ich muss es nicht beweisen, um es zu wissen. Bisher haben wir es immer gut gemeint – aber wir können auch anders.“ Die Drohung in ihren Worten war unverkennbar. Trotzdem begann Xentos lauthals zu lachen.
Es dauerte nur einen Wimpernschlag und eine Fingerkrümmung von Geron, bis der sich unschuldig gebende Magier erstarrte. Schrecken war in seinen Augen zu lesen.
„Wenn du nicht mit der Sprache raus rückst, klemme ich dir alle Magie ab. Dann ist es vorbei mit der Perfektion, in der du lebst.“
Xentos verzog das Gesicht. Trotz, Ärger und leichte Panik lagen in seinen Zügen.
„Scheiß auf Xendrian. Er ist weg. Warum sollte ich mir jetzt den Arsch aufreißen, nur um gefickt zu werden?“
Ceramir riss die Augen auf – mit dem Wechsel des Sprachjargons hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
„Weil, wenn du nicht mit uns zusammenarbeitest, ist ein ‚Arschfick‘ das kleinere Übel. Nicht nur sinnbildlich gesprochen. War ich eben nicht deutlich genug?“
Ceramir schluckte. Geron hatte in fast der gleichen Tonalität geantwortet. Und nicht nur das, sein Blick war so bohrend, dass er eigentlich Schmerzen verursachen müsste.
„Sucht euch eine andere Hure“, knurrte Xentos.
Keyla näherte sich ihm und hob die gestreckte Hand, sodass die Innenfläche auf Xentos wies.
„Wir wollen aber deine Antworten. Also, wer wollte, dass Apolonia zu früh den Zirkel übernimmt?“
Als sie keine Antwort bekam, tippte sie Daumen und den kleinen Finger aneinander. Ein grüner Faden entstand dazwischen und bewegte sich auf den starr stehenden Magier zu, der weiterhin unter Gerons Bann stand.
„Es ist mir egal, was ihr mit mir anstellt. Was die Dunkle Fraktion im Falle eines Verrats tun würde, ist weitaus schlimmer. Also bemüht euch nicht, von mir bekommt ihr keine Antworten!“
Ceramir runzelte die Stirn. Wieder ein Wechsel der Wortwahl, obendrein klang die Aussage dieses Mal ehrlich.
„Du hast gerade zugegeben, mit der Dunklen Fraktion zusammenzuarbeiten. Dir dürfte klar sein, was das heißt …“ Geron grinste siegessicher.
Xentos wandte ihm den Blick zu, kommentierte diese Feststellung jedoch nicht.
Keylas magischer Faden glomm kurz leuchtend grün auf, dann zerfiel er und löste sich ins Nichts auf. Ceramir beobachtete sie, wie sie in rascher Reihenfolge unterschiedliche Handbewegungen ausführte und spürte deren Auswirkungen sofort. Mit den Augen nicht wahrnehmbar sperrte sie Xentos‘ magische Kraft, stärker als bei Kendra, und legte Barrieren auf das Haus und das Grundstück.
„Zu dir wird sich so schnell kein Dämon verirren. Keiner der Dunklen kann das Grundstück betreten und rufen kannst du sie auch nicht mehr. Also mach den Mund auf, bevor ich die schweren Geschütze auffahre!“, forderte sie.
Xentos presste die Lippen aufeinander, sodass sie fast weiß wurden.
Ceramir lehnte sich am Tisch an, verschränkte die Arme vor der Brust und kreuzte einen Fuß über den anderen. Seine Pose musste wirken, als wäre er Zeuge eines interessanten Schauspiels. Im Grunde war er das, allerdings bezweckte er mit seiner Haltung die Aufmerksamkeit von Xentos zu gewinnen.
„Apolonia wird es dir vergüten, wenn du die Fakten auf den Tisch legst“, sagte er und erntete dafür schräge Blicke von den beiden Kriegern. Bei Xentos erzielte er jedoch genau das Gewünschte.
„Was hätte sie zu bieten? Und warum führst du Verhandlungen in ihrem Namen?“
„Das spielt keine Rolle. Hast du etwas zu sagen, oder nicht?“ Ceramir stieß sich vom Tisch ab und trat auf den Magier zu, der weiterhin gefesselt am selben Platz stand.
„Er hat etwas zu sagen – nicht wahr?“, fragte Keyla nachdrücklich und ließ wieder den grünen Faden auf Xentos zuschweben. Was genau der bewirken sollte, wusste Ceramir nicht. Er erfuhr es aber nur einen Moment später. Das dünne Band schlang sich um den Kopf des Magiers auf Höhe der Stirn. Hätte der nicht gezuckt und schmerzerfüllt aufgestöhnt, hätte das Bild etwas Belustigendes gehabt.
„Der Wahrheitsfinder hat bisher noch jeden überzeugt. Also, wer hat dafür gesorgt, dass Apolonia die Leitung übernahm?“
Xentos verdrehte die Augen, bis fast nur noch das Weiße zu sehen war.
„Hazeral“, keuchte er. Geron zog die Nase kraus.
„Und wer ist das?“, erkundigte sich Ceramir.
„Ein relativ starker Dämon, Ryan hat ihn einmal gebannt. Es war nicht leicht, daher blieb mir der Name im Gedächtnis. Und wenn ich mich nicht irre, gehört er der Fraktion Neid & Gier an.“
„Wer hat ihn gerufen?“, wandte sich Keyla fragend an Xentos.
„Das weiß ich nicht“, presste der hervor. „Nur, dass es jemand aus dem Zirkel war, der sich der Macht Hazerals bediente.“
Keyla verdrehte genervt die Augen. „Wer auch sonst?! Hast du keinen Namen?“
Das grüne Band leuchtete eine Spur stärker und der Gesichtsausdruck von Xentos ließ ahnen, dass er sich – wenn er nur könnte – die Hände an die Schläfen pressen und den Körper zusammenkrümmen würde.
„Nozirim. Seine Fraktion ist Lug & Trug. Fragt ihn. Dämonen machen alles, um sich gegenseitig zu übertreffen. Hazeral und Nozirim können sich nicht ausstehen“, leierte Xentos herunter, als sei sein Widerstand gebrochen worden und die Worte nun nicht mehr erzwungen aus seinem Mund sprudeln mussten.
„Dann haben wir gleich zwei Gesprächspartner, die nur mit List entgegenkommend sein werden …“ Geron seufzte und entließ Xentos aus der Starre.
Nach einigen weiteren Bannzaubern, und sich überlappenden Zonen mit nicht überwindbaren Barrieren, die Geron und Keyla zogen, ließen sie Xentos in seinem Haus zurück. Ohne magische Kraft gefangen auf seinem eigenen Grundstück wäre ihm jeglicher Kontakt zur Außen– und Unterwelt nicht mehr möglich.
„Solltest du dich nicht bedeckt halten?“, raunzte Keyla Ceramir an, kaum dass sie an die Maschinen getreten waren. „Und was sollte das mit ‚Apolonia wird es entlohnen‘?“
„Hat es funktioniert oder nicht? Außerdem lass solche Verhandlungen meine Sorge sein!“, erwiderte er hitzig.
„Sie hat dich zu ihrer rechten Hand erklärt“, schlussfolgerte Geron.
Keyla schlug sich vor die Stirn. „Da hätte ich auch selbst drauf kommen können! Hat sie dich doch mitgeschickt, um uns zu kontrollieren?“, fragte sie scharf.
„Nein. Ich begleite euch, weil ich sehr stark bin und meine Kraft von Vorteil sein könnte. Das habt ihr doch gehört, oder?“
Keyla sah ihn prüfend an, musterte ihn von oben bis unten und prustete dann los. Es war deutlich, dass sie ihm nicht glaubte, obwohl Apolonia fast das Gleiche gesagt hatte, bevor sie aufgebrochen waren.
Keylas Lachanfall müsste ihn eigentlich verärgern, doch konnte er keinen Groll gegen sie hegen. Im Gegenteil. In diesem Moment, so gelöst und offensichtlich erheitert, wirkte sie wie ein Magnet auf Ceramir. Ohne nachzudenken schwang er einen Arm um ihre Taille und zog sie nahe zu sich. Ihre Augen weiteten sich erstaunt und das Lachen erstarb. Seine Hand an ihrer Seite traf auf nackte Haut, ein unsichtbares Band umwob sie beide und hielt sie im Moment gefangen. Ceramir riskierte alles, beugte sich vor und verschloss ihren Mund mit seinem. Zugleich zog er ihre Kraft in sich. Bis Keyla merkte, was vor sich ging, hatte er ihr gut ein Viertel abgenommen.
Entrüstet stieß sie ihn von sich, worauf er taumelnd zurückschreckte. Sie hatte mehr körperliche Kraft, als es den Anschein hatte.
„Was …?!“ Ihre Empörung war deutlich zu sehen.
„Wenn du sie wieder haben oder in bestimmten Situationen mehr davon willst, frag mich einfach.“ Ceramir sah sie selbstgefällig an.
Jetzt war es Geron, der in Gelächter verfiel und sich königlich über das entrüstete Gesicht seiner Schwester zu amüsieren schien.
„Hast du den Verstand verloren? Er hat mich beklaut!“, zeterte Keyla.
Geron schnappte nach Luft. „Was ist so schlimm daran, wenn er sich einen Kuss stiehlt? Mehr davon anbietet? Früher oder später musste es so kommen … ich bin nicht blind.“ Geron zwinkerte Ceramir zu.
Keyla stemmte die Hände in die Hüften und blitze ihren Bruder böse an.
„Ich habe ihr einen Teil der Kraft entzogen“, stellte Ceramir die Sachlage klar.
Gerons Kopf schoss herum; er starrte ihn an, als besäße er plötzlich ein drittes Auge.
„Ist damit die Frage geklärt, ob ich für euch von Vorteil bin?“
Keylas Zorn löste sich auf. Mit einem leicht zweifelnden Ausdruck sah sie ihn fragend an. „Was meintest du mit mehr?“
„So wie ich sie dir nehmen konnte, kann ich sie von jeder Quelle nehmen, selbst nutzen und auch wieder abgeben.“
„Du musst aber nicht alles und jeden knutschen, damit das funktioniert, oder?“ Geron sah nicht glücklich bei der Vorstellung daran aus, Ceramir küssen zu müssen, was diesem sagte, wie es um die sexuelle Orientierung des Kriegers stand.
„Nein. Darf ich?“ Er sah zwischen den Geschwistern hin und her, erntete schließlich Keylas zögerliches Nicken, dann Gerons.
Ceramir richtete seine Gedanken auf Geron, berührte nur dessen Handrücken, zapfte ihm etwas Kraft ab und gab diese zusammen mit Keylas eigener an sie zurück, nachdem er auch zu ihr wieder Kontakt hergestellt hatte.
Sie registrierte die Veränderung, runzelte die Stirn und horchte scheinbar in sich hinein. „Ich habe mehr als vorher“, stellte sie dann fest.
„Dafür fehlt Geron jetzt ein wenig.“
„Es ist kaum spürbar gewesen“, wunderte der sich. „Wie ein Kitzeln.“
„Wenn nur ein kleiner Teil gezogen wird, ja. Glaub mir, sie hat es gemerkt“, erklärte Ceramir und wies auf Keyla, die sich gedankenverloren über die Lippen rieb.
Er nutzte den Moment und glich die Magie wieder aus.
„Alles beim Alten. Also – wie befragt man diese Dämonen? Sie sind ja bestimmt keine niederen, die an den Schwachstellen rumlungern.“
„Ganz einfach“, erwiderte Geron. „Indem wir sie rufen.“
Ceramir wusste nicht in allen Details, wie das Rufen vonstattenging und vertraute auf das Wissen und die Erfahrung der Krieger. Im Grunde war schon das Rufen selbst eine verbotene Handlung, was jedoch nicht auf die Magischen Krieger zutraf. Manchmal war es unumgänglich, mit der Gegenseite zu sprechen – wenn man Verhöre so nennen konnte.
Keyla zeigte sich nach Ceramirs Übergriff ein wenig distanziert, weshalb er bei Geron auf den Sozius stieg. Für Ceramir war es ungewohnt, nun hinter einem so kräftigen Körper zu sitzen. Nichtsdestotrotz bewegte er sich auch mit ihm als Einheit. Es war angenehm, dem anderen so nahe zu sein, doch das verlockende Gefühl wie bei Keyla kam nicht auf. Vielleicht, weil der Krieger sein Desinteresse bezeugt hatte.
Mit leichter Spannung erwartete Ceramir die Antworten der Dämonen Hazeral und Nozirim. Wenn die sich nicht ausstehen konnten, lag es nahe, dass der zweite alles ausplappern würde, was dem ersten Schaden konnte. So jedenfalls hoffte Ceramir. Mit dem gewonnen Wissen wäre es sicherlich einfacher, Hazeral aus der Reserve zu locken und die ursprünglichen Absichten preiszugeben.
Bei allem, was an Möglichkeiten infrage kam, weigerte sich Ceramir, eine Spur zu sich selbst zu sehen. Er hatte nichts mit der Dunklen Fraktion zu tun und wenn er wirklich als Nachfolger Apolonias bestimmt würde, hätten ihre Feinde rein gar nichts davon. Wenn der Kelch an ihm vorüberging, fiele er Corven oder einem anderen zu. Und sein Bruder machte selten einen Hehl daraus, was er von der Dunklen Fraktion hielt – weniger als nichts. So blieb das Motiv für ihn im Dunklen, nicht greifbar und der Lösung war nicht näherzukommen. Blieb die Hoffnung, dass die Dämonen etwas ausplauderten und sie dadurch Anhaltspunkte bekämen.
Mit leichter Überraschung bemerkte er, dass Geron eine Ruine ansteuerte, die nicht weit von Xentos Gelände entfernt lag. Sie waren vielleicht zehn Minuten auf den Motorrädern unterwegs gewesen. Wirklich vertrauenserweckend wirkte die Gegend nicht, doch Ceramir dachte, dass Geron wohl wusste, was er tat.
Als der die Maschine abstellte, sah Ceramir sich um. Das, was von dem Gebäude übrig war, verdiente kaum mehr die Bezeichnung. Überall wucherte dorniges Gestrüpp, die Steine waren von Moos überzogen. Nichts deutete darauf hin, dass sich hierher eine Menschenseele verirrte. Zumindest nicht in den letzten … hundert Jahren. Die Natur eroberte zurück, was ihr einst genommen worden war.
„Äh, was genau tun wir hier?“, erkundigte er sich.
„Es sieht nicht so aus, aber hier ist eine Schwachstelle. Im Keller des Hauses ist eine sichere Zone“, erwiderte Geron und legte seinen Helm auf der Sitzfläche ab.
„Okay.“ Ceramir wollte nicht zweifeln, doch es klang deutlich in seiner Stimme mit.
Keyla grunzte belustigt neben ihm. „Ohne Bedenken eine Kriegerin küssen, aber vor alten Gemäuern Schiss haben“, neckte sie und stampfte an ihm vorbei durch die niedrigen Büsche.
Feigheit wollte Ceramir sich nicht unterstellen lassen, also folgte er ihr und Geron, der schon ein Stück weiter vorangekommen war. Da er mehr auf die beiden vor sich, als auf seine Umgebung achtete, verfing er sich in einem der Dornenbüsche. Ein besonders fieser Stachel schnitt durch seine Hose in sein Schienbein und er verkniff sich den Schmerzenslaut. Er entfernte den Bösewicht und wollte ihn schon wegwerfen, besann sich dann aber eines Besseren. Ein Magier wie er durfte nicht unachtsam mit seinem Blut umgehen, auch wenn es nur ein Tropfen war. In den falschen Händen könnte das verheerende Folgen haben. Schließlich war er nicht irgendwer im Zirkel – er und sein neun Minuten jüngerer Zwilling standen im Rang recht weit oben und nur wenige wussten davon. Apolonia hatte darauf bestanden, dass nur die engsten Vertrauten eingeweiht wurden, wessen Kinder die Zwillinge waren. Es wunderte ihn, dass die Krieger sich bisher nicht erkundigt hatten, wer seine Eltern seien. Allerdings spielte im Zirkel die Abstammung auch nur eine untergeordnete Rolle, viel wichtiger war die Begabung eines jeden Magiers.
Ceramir schob den Dorn in die Brusttasche seiner Jacke und achtete den Rest des Weges mehr auf das, was um ihn herum wuchs. Ohne weitere Blessuren kam er schließlich an der Treppe an, die hinter einer eingestürzten Mauer in die Tiefe führte. Keyla stand am unteren Absatz und bedeutete ihm, etwas schneller zu machen. Geron war schon ins Innere gegangen – ein Lichtschein drang nach außen. Dessen Ursprung fand sich auf der Kuppe des Zeigefingers von Geron, der eine Flamme balancierte. Als Ceramir in den Kellerraum trat, entzündete Geron die Fackel an der Wand.
„Angeber“, witzelte Keyla.
„Ich? Wo denkst du hin!?“, entrüstete sich Geron spielerisch.
„Diesmal bleibe ich freiwillig Zuschauer“, bekannte Ceramir, der das Ritual nicht im Detail kannte.
„Tja, Pech gehabt. Das wird nicht gehen. Wir müssen zu dritt sein, um genug Stärke in die Wand zu legen, damit kein Durchbruch möglich ist“, setzte Geron ihn in Kenntnis.
„Ach ja? Welch ein günstiger Zufall, dass ich da bin“, murrte er sarkastisch. „Also, wie läuft das?“
„Moment“, erwiderte Geron, zog mit dem Finger einen Kreis in Staub und Dreck auf dem Boden und ließ aus seinen Daumen einen Strom Magie in die kleine Vertiefung fließen. Nun lag auf dem Boden ein akkurater blauer Ring von etwas mehr als einem Meter Durchmesser.
Keyla hockte sich neben ihn und auch sie goss aus den Daumenkuppen einen magischen Strom. Ihrer war gelb.
„Jetzt du“, forderte Geron Ceramir auf.
„Welche Essenz?“
„Die stärkste positive, die du hast.“
Ceramir musste nicht lange überlegen. Er hockte sich an den Ring und ließ ‚Zuverlässigkeit‘ aus sich fließen. Sie erschien ihm schon immer seine stärkste und wichtigste Eigenschaft zu sein. Ein warmes Orange legte sich über die Kreise von Keyla und Geron.
Die beiden setzten sich im Schneidersitz an den Rand, ohne die Essenzen zu berühren. Ceramir schlussfolgerte, dass er die freie Stelle zwischen ihnen einnehmen musste. Nun saßen sie im Kreis um den Selbigen.
„Mach einfach alles nach – es ist nicht schwer“, meinte Keyla zu Ceramir und hielt zugleich ihrem Bruder die gespreizte Hand hin. Der legte seine Fingerkuppen an ihre. Anschließend hielt sie Ceramir die Hand hin, der die Geste mit seiner Rechten erwiderte. Die linke Hand streckte er zu Geron und kaum dass sich ihre Fingerkuppen berührten, zischten die Essenzen kurz auf. Der Kreis war geschlossen.
„Was auch kommt, unsere Hände lösen sich nicht voneinander, bis der Kreis wieder leer ist, klar?“ Es war mehr eine Zurechtweisung als eine Frage von Keyla, weshalb Ceramir nur nickte.
„Ich gehe davon aus, dass auch du das weißt, aber ich möchte es trotzdem erwähnen: Dämonen sind zumeist listig und sie lügen auch gerne. Sie provozieren und die meisten zeigen sprunghaftes Verhalten, was ihre Stimmung angeht. Bitte lass dich nicht irritieren.“ Keyla sah Ceramir eindringlich an.
„Ich werde das schon hinbekommen“, erwiderte er und Geron räusperte sich.
„Ego autem vocatis Nozirim. Venite egressus, sequuntur verba mea[1].“ Geron trug die Worte leicht tönend vor. Keyla stieg ein und bei der dritten Wiederholung sprachen sie gemeinsam in dem melodiösen Tonfall. Von dem Essenzenring stieg ein Schimmer auf und bildete einen Zylinder bis zur Decke. Innerhalb des durchsichtigen Gebildes kräuselte Rauch, in dem kurz darauf eine Gestalt sichtbar wurde.
Der Dunst verzog sich und zurück blieb eine aschfahle Kreatur, die kaum mehr als Haut und Knochen war. Wären da nicht die wachen Augen gewesen, man hätte ihn für einen mumifizierten Körper halten können. Sehr groß war er nicht, er überragte die sitzenden Magier nur ein wenig. Trotzdem wirkte er Furcht einflößend.
„Ihr habt nach mir gerufen?“, fragte er mit kratziger Stimme.
Widerwille ließ Ceramir zurückzucken. Nicht viel, aber merklich, denn die Geschwister sahen ihn spöttisch an.
Keyla ergriff das Wort und wandte sich an den Dämon.
„Wärest du hier, hätten wir nicht nach dir verlangt?“
Der Dämon gickelte. „Meine Frage war rein symbolischer Natur.“ Er sah sich um und deutete mit den dürren Fingern auf das Gefängnis, das ihn umgab. „Was wollt ihr? Ich ziehe es vor, die Sache schnell hinter mich zu bringen – diese Enge bin ich nicht gewohnt“, bemängelte er.
„Eigenartig, für mich siehst du aus, als wärst du gerade aus einem Sarkophag gesprungen“, konterte Geron. Er erntete dafür einen missfallenden Gesichtsausdruck, der den Dämon noch unansehnlicher machte.
„Uns ist zu Ohren gekommen, dass du mit jemandem aus der Fraktion Neid & Gier nicht gut zurecht kommst.“ Keyla erntete sofort die Aufmerksamkeit Nozirims.
Der gab ein schmatzendes Geräusch von sich und tat, als müsse er nachdenken.
„Gib dir keine Mühe, wir wissen, dass es Hazeral ist. Also – der Grund, weshalb wir nach dir riefen, ist schnell erklärt. Was weißt du über Hazeral?“
Nozirim ließ seinen stechenden Blick über alle drei Magier wandern, ehe er antwortete. „Was habe ich davon, wenn ich aus dem Nähkästchen der Dunklen Fraktion plaudere?“
„Je nachdem, was du zu sagen hast, würden deine Worte Hazeral und seiner Fraktion erheblich schaden“, lockte Geron.
Nozirim klatschte die Hände zusammen, worauf Ceramir allen Ernstes erwartete, dass diese zu Staub zerfielen. Nichts dergleichen geschah – der Dämon rieb die offensichtlich unversehrten Hände aneinander. Anschließend legte er sie an die Barriere, was Ceramir einen Schauer über den Rücken jagte. So klein und zerbrechlich dieser Dämon auch wirkte, käme er aus dem Zylinder heraus, hätten sie wahrscheinlich ein großes Problem. Ceramir schob den Gedanken beiseite und vertraute auf die Erfahrungen der Krieger.
„Da bin ich doch mit Freuden behilflich. Was wollt ihr wissen?“
„Ist dir zu Ohren gekommen, das Xendrian nicht mehr unter uns weilt?“, begann Keyla.
„Ja. Das tut mir sehr leid.“ Sarkasmus triefte aus jedem einzelnen Buchstaben und Ceramir biss die Zähne zusammen, um nichts darauf zu erwidern.
„Jemand aus der Dunklen Fraktion hatte dabei seine Finger im Spiel“, setzte Geron fort.
„Willst du jetzt wissen, wer?“ Nozirim sah ihn mit Unschuldsmine an und klimperte mit den Augenlidern, die nicht eine Wimper schmückten.
Geron verdrehte die Augen. „Ja, will ich. Also, wer brüstet sich mit der heroischen Tat?“
Nozirim rieb sich das Kinn, wiegte den Kopf und starrte grübelnd in die Luft. Ceramir kaufte ihm das nicht ab, hielt sich allerdings zurück – er hatte einfach zu wenig Erfahrung mit den Dämonen.
„Ja … also … da wäre …“, murmelte der Dämon.
„Spuck‘s aus“, forderte Keyla, merklich genervt. Ceramir spürte ihre Ungeduld, die sich wie ein leichtes Zittern in ihn schlich.
„Warum so hastig, Kriegerin? Lass mir doch meinen Spaß – schließlich willst du was von mir, nicht ich von dir, hm?“
Ceramir hörte, dass Keyla hart schluckte. Es kostete sie sichtlich Mühe, die Erwiderung, die unzweifelhaft auf ihrer Zunge gelegen hatte, runterzuschlucken.
Das knochige Gesicht des Dämons verzog sich zu einem Grinsen, das erschreckender nicht hätte sein können. Gleich zwei Reihen spitzer Zähne beherbergte der Mund und erinnerte damit an das Gebiss eines Raubfisches, nur glichen die Dämonenzähne mehr kleinen Dolchen als Zähnen. Zu allem Überfluss streckte er Keyla auch noch die Zunge heraus – giftgrün und gespalten an der Spitze. Dass der Kerl nicht lispelte, war für Ceramir ein Rätsel. Und er war überaus froh, dass er in dem Ring gefangen war!
„Wir haben dich gerufen, nur so als Erinnerung, aber wenn du nichts zu sagen hast, kannst du auch wieder gehen“, bemerkte Geron, worauf sich Nozirim hastig zu ihm umdrehte.
„Aber nein. Wartet. Es gab Gerede und Getöse, gleich nachdem euer Meister zu Stein wurde. Wenn ihr auch nur ein wenig von uns versteht, könnt ihr euch denken, dass jeder versuchte, sich den Ruhm dafür einzuheimsen. Aber ich kenne sie, all die Schwätzer und Wichtigtuer. Der einzige, dem man diese Tat anrechnen kann, ist wie ihr vermutet ein Dämon der Fraktion Neid & Gier. Aber nicht Hazeral – leider“, das letzte Wort sprach er so bedauernd aus, dass kein Zweifel an der Ernsthaftigkeit dessen bestand. „Einer, der über ihm steht, Ekron.“
„Hat der Befehlsgewalt über Hazeral?“, bohrte Geron nach.
„Ja, selbstverständlich. Ekron ist die rechte Hand von Avaritiae, der Gier. Sie macht ihrem Namen normalerweise alle Ehre. Folglich ist euer Meister der Gier zum Opfer gefallen. Sie selbst wird das eher nicht angeleiert haben, da wird schon Ekron für gesorgt haben. Aber genau weiß ich das nicht.“
„Und wer sagt uns, dass du nicht absichtlich von Hazeral ablenkst, wo du doch zur Fraktion Lug & Trug gehörst?“ Kaum dass die Worte heraus waren, erntete Ceramir schräge Blicke von den Geschwistern. Während Geron eher grimmig dreinblickte, schien Keyla positiv überrascht von der Einmischung Ceramirs. Die Frage war schon raus gewesen, ehe er richtig darüber nachgedacht hatte.
„Nun, junger Magier ohne Kriegerstatus … wenn ich etwas hätte, was Hazeral schadet, dann würde ich es mit Freuden an euch weitergeben. Aber da gibt es nichts – so könnt ihr ihn auch nicht zur Rechenschaft ziehen“, erwiderte er herablassend. Die Hochnäsigkeit, die der Dämon an den Tag legte, stieß Ceramir sauer auf. Ehe er etwas dazu sagen konnte, wandte Geron sich an Nozirim.
„Wenn ich dich richtig verstehe, könnte er prinzipiell sehr wohl in die Sache verwickelt sein. Prüf nach, wann und von wem er zuletzt gerufen wurde. Ich weiß, dass jeder Dämon das dokumentiert, um mit seinen Diensten anzugeben.“
Nozirim äffte ihn nach und demonstrierte eine Geringschätzigkeit, die Ceramir wütend werden ließ. Beinahe hätte er den Kontakt zu Gerons Hand gelöst, konnte aber im letzten Moment diesen Fehler vermeiden. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn der Kontakt abbrach während ein Dämon im Ring war.
„Als wenn das so einfach wäre, die große Tafel in einer anderen Fraktion als meiner eigenen einzusehen!“, geiferte der Dämon. „Ich kann da nicht einfach so reinspazieren!“
„Jetzt stell dich nicht an! Geh und sieh nach. Oder willst du deine dämonische Ehre verlieren, indem du dich nicht an die Regeln hältst?“ Keyla zog erwartungsvoll eine Braue nach oben. Sie schien genau den richtigen Nerv bei dem Dämon getroffen zu haben.
„Ich sehe, was sich machen lässt“, nuschelte Nozirim und löste sich in Rauch auf, wie er gekommen war.
Texte: Sophie R. Nikolay
Bildmaterialien: Cover: S.R.Nikolay, Foto: (c) Geo Martinez, fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 03.10.2013
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Alle Personen und Handlungen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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