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Askuja

Sophie R. Nikolay © 2013

www.s-r-nikolay.de

 

Cover: Sophie R. Nikolay, Cover Creator

Hintergrundbild: © frenta - Fotolia.com

 

Die vorliegende Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

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ISBN-13:

978-1492211938

 

ISBN-10:

1492211931

Prolog

Auf der Erde schreibt man das Jahr 3286. Auf Askuja das Jahr 211. Wobei die Jahre eine unterschiedliche Dauer aufweisen. Während auf der Erde bekanntlich 365 Tage bis zum Wechsel vergehen, sind es auf Askuja 288 Tage, die sind allerdings 30 Stunden lang. Der kleine Planet ist nur einer von vielen, der von Menschen bewohnt wird. Einige Kolonien sind entstanden und auf der Erde selbst lebt nur noch ein geringer Teil der Menschheit. Die letzten, die bleiben wollen und mit dem blauen Planeten untergehen werden …

 

Anmerkung der Autorin:

Die Grundzüge dieses Romans sind mir sozusagen im Schlaf zugeflogen. Den Traum schrieb ich auf und baute das fehlende und notwendige Konstrukt rundherum aus, bis die Geschichte so weit war, dass sie zu Papier gebracht werden konnte. Science Fiction bedeutete für mich eine Herausforderung – doch bisher habe ich noch keine gescheut, weshalb ich mich auch daran wagte. Ich hoffe, ihr fühlt euch unterhalten.

Fagal

Er zog sein Gewand enger um sich und trat ans Fenster. Der Blick auf Hope mit all ihren Bewohnern bot nichts Neues – wie auch, zu so früher Stunde? Die Jugi-Lichter erloschen gerade in den Straßen. Ein tägliches Einerlei, ebenso wie die Aussicht auf den Horizont des Meeres, das im Augenblick von den ersten Sonnenstrahlen des Tages beleuchtet wurde. Nicht lange nach der Sonne käme der Nachbarplanet in Sicht. Askuja II, der Zwilling, auf dem kein Leben möglich war, weil sich die Atmosphäre als viel zu instabil erwiesen hatte.

Die Stadt unter Fagal, die von seinem Urgroßvater Jeromir gegründet wurde, als dieser mit fünfhundert anderen Menschen den Planeten besiedelte, hatte sich seiner Ansicht nach kaum weiterentwickelt. Fagals Fenster lagen zur Stadtmitte hin, an der Ostseite der Burg, die den Herrschersitz beinhaltete. Rundherum zogen sich Straßen und Gassen im Kreis und je weiter man nach außen vordrang, umso ärmlicher wurden die Bewohner. Ob Jeromir einen solchen Klassenunterschied gewollt hatte? Fagal kannte die Gründungsgeschichte nur aus Erzählungen seiner Großmutter Leni.

Mit der Ankunft des ersten Schiffes der Föderation 2886 n. Chr. änderte sich einiges für die Menschheit auf der Erde. Plötzlich war da die Gewissheit, dass man in den Weiten des Alls nicht alleine war. Damit keimte die Hoffnung auf einen Neuanfang, bot sich die Chance andere Planeten und ferne Sonnensysteme zu erkunden.

Die Erde hatte unter dem Raubbau der Menschen gelitten und eine Erholung war nicht in Aussicht gewesen. Zwei Jahrhunderte, nachdem die ersten Raumschiffe die Erde aufgesucht hatten, verließ eine Gruppe von fünfhundert Menschen die Erde, um Askuja zu besiedeln. Mit ihnen brachen andere Gruppen zu weiteren Planeten auf, um ein neues Leben zu beginnen …

Die Voraussetzung für die Umsiedelung der Menschen bestand darin, mit den Völkern der Föderation ein Abkommen zu schließen. Das Regelwerk des allumfassenden Handels, die Gesetze des Miteinanders und die Anerkennung des Hohen Rates der Allianz mussten unterzeichnet, und deren Achtung sowie Einhaltung versichert werden. Jeromir und seine Leute beugten sich allem. Er packte wie jeder der Fünfhundert mit an, um einen Grundstein für ein neues Leben zu legen. Der Name der Stadt bezeugte, was die Menschen sich von dem neuen Domizil versprachen. Zwei Jahrhunderte lag das nun zurück. Eine Zeit, in der die Stadt stetig gewachsen und die Einwohnerzahl gestiegen war. Die Erde war nichts weiter als ein Schnipsel in den Erzählungen. Dennoch schien die Zeit hier stehen geblieben zu sein …

Fagal nannte Askuja sein Zuhause, ein kleiner Planet in einem Sonnensystem weitab der Erde. Drei Viertel der Oberfläche wurden von Wasser bedeckt, in dem keine Fische überlebten. Es hatte viele Versuche gegeben, das Meer zu beleben, doch außer Pflanzen schien nichts zu gedeihen. Die Landfläche erstreckte sich zusammenhängend um Hope aus, zum Teil felsig und mit Erhebungen von mehreren Hundert Metern über den Meeresspiegel. Das durchgehend warme, zeitweise sehr heiße Klima mit vielen nächtlichen Regengüssen schloss sich dem Alltagstrott an. Einzige Abwechslung boten die Schiffe der Handelspartner, die wöchentlich die Plattform am Ufer ansteuerten. Insbesondere die Schiffe des Volkes Lengi. Fagal fand diese Wesen schon immer faszinierend. Anmutige Gestalten ähnlich des Menschen, doch über und über mit einem feinen schwarzen, fast samtartigen Flaum bedeckt, was ihnen das Aussehen eines Tieres verlieh. Die wachen Augen spiegelten die hohe Intelligenz wieder und Fagal konnte kaum den morgigen Tag erwarten. Dann käme wieder eines ihrer Schiffe. Eine neue Möglichkeit, die Datenbanken des Volkes zu durchstöbern und von deren Wissen zu profitieren.

Es raschelte, weshalb er sich umdrehte. Pari tauchte mit verwuscheltem Haar zwischen den Laken auf und reckte sich.

„Es wird auch Zeit, dass du aufwachst“, neckte er seinen Liebhaber, der herzhaft gähnte.

„Warum? Wenn ich mir den Himmel ansehe, ist es noch früher als früher Morgen“, nuschelte Pari und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

 

*

 

„Du weißt doch, wie es läuft.“ Fagal verschränkte die Arme, was ihm eine abwehrende Haltung verlieh. Pari war nicht so dumm, die Regeln zu missachten und irgendetwas zu verlangen. Wenn er mit Fagal zusammen war, bekam er weit mehr, als ihm zustand. Dass sie überhaupt miteinander das Bett teilten, grenzte schon an ein Wunder. Er lebte am Randbezirk der Stadt, nahe der Unterschicht. Seine Arbeit als Schlosser reichte gerade aus, um sich über Wasser zu halten. Welcher Glücksstern auch immer ihm wohlgesonnen war, als er und Fagal sich über den Weg liefen, er dankte diesem für jede Minute, die er in den Armen des nächsten Machthabers verbringen konnte. Nicht wegen dessen Status, sondern weil er der schönste Mann war, den ganz Hope zu bieten hatte. Innerlich wie äußerlich.

Pari gähnte noch einmal und schälte sich anschließend brav aus dem Bett. Kaum hatte er seine Kleidung übergezogen, hörte er die donnernden Schritte des Wachmanns. Es war schon reine Gewohnheit, hinter den gerafften Stoff des Baldachins zu treten, der das Kopfende des Bettes schmückte. Er passte gerade so in die Lücke zwischen Bett und Wand. Fagal hatte Pari nie angewiesen, sich zu verstecken, doch ihm erschien es besser zu sein, wenn er nicht gesehen würde. Diesmal trat der Wachhabende nicht in Fagals Räumlichkeiten, weshalb Pari wieder hervorkam, sobald die Schritte verhallten.

„Ich verstehe dich nicht. Wäre es denn so schlimm, wenn dich hier jemand sehen würde?“, fragte Fagal belustigt.

„Nein. Trotzdem halte ich es weiterhin für besser. Egal wie oft du dich noch darüber amüsierst.“

Pari trat vor Fagal. Sie waren gleich groß und trotzdem nicht ebenbürtig. Ein kleiner Stich brannte in Paris Herz, denn er wusste, für sie beide gäbe es nie eine Zukunft. Er legte seine Hände um den Nacken seines Gegenübers, glitt mit den Fingerspitzen durch das dichte schwarze Haar und küsste ein letztes Mal für diesen Tag den Mund, der vergangene Nacht alles andere als sittsam gewesen war.

„Übermorgen?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Ja. Ich erwarte dich wie immer“, erwiderte Fagal und lächelte leicht. „Ich freue mich.“

 

*

 

Nachdem Pari gegangen war, trat Fagal in sein Badezimmer. Schwarzer, blank geschliffener Stein dominierte den Raum. Eine gläserne Wanne stand in der Mitte auf einem Sockel. Die Burg und die Stadt erschienen vom Äußerlichen, als wären sie dem Mittelalter der Erde nachempfunden. Innerlich profitierten die Bewohner von all den technischen Entwicklungen, die von den unterschiedlichen Völkern der Allianz gebaut worden waren. Askuja bot genug Rohstoffe, um ein angesehener Handelspartner zu sein. Die Anbauflächen mit gut bestellten Feldern, die Pflanzenplantagen des Meeres, die Bodenschätze … Letzteren hatte Fagal die Ausstattung seiner Räumlichkeiten zu verdanken. Im Tausch gegen Edelsteine bekam man so viel Technik, wie man wollte.

„Halb voll, neununddreißig Grad“, sagte er laut und gab damit der Wanne den Befehl, Wasser in der angegebenen Temperatur einzulassen. Nach dem Bad machte er sich fertig für das Frühstück mit seinem Vater. Die einzige Zeit des 30 Stunden langen Tages, die sie zusammen verbrachten. Nicht, dass er gerne länger mit ihm zusammen wäre. Im Gegenteil, die halbe Stunde während des Frühstücks reichte vollkommen.

 

*

 

Pari lief durch die Gassen, kaufte ein Maisbrot und trat schließlich durch die windschiefe Tür des Hauses, in dem er mit seinem Freund Firin eine Wohnung teilte. Ganz wie erwartet war dieser schon wach, denn er musste wie Pari zur Arbeit.

„Guten Morgen“, grüßte Pari ihn gut gelaunt.

„Du strahlst mit der Sonne um die Wette, also gehe ich davon aus, dass du eine sehr gute Nacht hattest“, erwiderte Firin und zwinkerte. Der Rotschopf wusste von der Liaison, die Pari mit Fagal verband.

„Jaa … leider folgt immer das ernüchternde Aufwachen.“ Pari ließ sich auf der Holzbank nieder, die vor dem Tisch stand. Ihrem einzigen Tisch, der auch noch wackelte, weil der Boden uneben und die Beine krumm waren.

„Du wusstest doch, worauf du dich einlässt.“

Pari grunzte eine Zustimmung. Natürlich hatte er es gewusst. Trotzdem gelang es ihm nicht, die Affaire als das abzutun, was sie sein sollte. Eine Bettgeschichte. In den letzten Wochen hatte sich Fagal immer tiefer in sein Herz gegraben und es ließ sich nicht mehr aufhalten. Eines Tages würde er daran zerbrechen, das wusste er. Doch bis dahin würde er jede Minute genießen, die er mit diesem besonderen Mann verbringen konnte.

„Fahrt ihr heute raus?“, lenkte Pari vom begonnenen Thema ab.

„Kann sein. Vielleicht auch erst morgen. Es kommt darauf an, wie viel noch im Lager liegt.“ Firin arbeitete für Jakko, der eine Pflanzenplantage im Meer betrieb. Niemand auf Askuja aß diese, denn alle Wasserpflanzen galten als ungenießbar. Das jedoch nur für den Menschen. Es gab Völker, die sahen die roten, grünen und gelben Pflanzen als Delikatessen an. Da es nicht viele Planeten mit einem so großen Wasservorkommen gab, bestand die Allianz darauf, dass alle besiedelten den Anbau betrieben.

„Und was habt ihr zu tun?“

„Ich muss noch das Tor fertigstellen.“ Pari rümpfte die Nase.

„Ach ja, das für den schmierigen Kerl … Na dann wünsche ich dir viel Spaß beim Ausliefern“, bemerkte Firin mit leichter Schadenfreude, was ihm einen schiefen Blick seines Freundes einbrachte.

Flucht

Nachdem der morgendliche Weckruf erklungen war und alle Arbeitskräfte sich aus den Betten gequält hatten, folgte die Aufstellung. Die Aufseherin schritt durch den Gang und achtete darauf, dass niemand sprach. Ihre grimmige Mimik reichte schon aus, dass sich jeder an das Sprechverbot hielt. Dafür musste sie nicht noch zusätzlich den Stab schwenken, den sie bei dem kleinsten Vergehen mit diabolischer Freude einsetzen würde. Die Stromschläge, die das Ding abgab, waren sehr schmerzhaft und niemand, der einmal das Vergnügen hatte, damit in Kontakt zu kommen, riskierte es ein zweites Mal.

In Reih und Glied verließen die Arbeitskräfte schließlich die Schlafhalle. Als die Aufseherin einen älteren Mann maßregelte, weil er es gewagt hatte zu husten, senkten alle den Blick. Keiner bemerkte, dass ganz am Ende der Reihe eine junge Frau einen Ausfallschritt machte und sich unter einem der Etagenbetten versteckte …

Die Minenarbeiterin trug die Bezeichnung AC24, was für Halle A, Reihe C und Bett 24 stand. Einen Namen hatte sie nicht, wie alle anderen innerhalb des Lagers.

Die Schritte verhallten langsam und erst, als absolute Stille herrschte, traute sie sich aus ihrem Versteck heraus. Hektisch wanderten ihre Blicke umher, doch sie war allein. So lange hatte sie darauf gewartet. Seit Wochen schwelte der Plan in ihr.

‚Jetzt oder nie!‘, sagte sie sich und huschte durch die Tür. Der karge Vorplatz war leer und keine Menschenseele zu sehen. Sie wusste, wo sich im Augenblick alle befanden. In einer großen Halle, in der das Essen gereicht wurde. Von dort aus würden alle Arbeitskräfte in die Mine getrieben werden. Die Stille ließ den Kies, über den sie lief, zu laut knirschen. Es kam ihr ohrenbetäubend vor und erst, als sie die Grasfläche erreicht hatte, erlaubte sie sich wieder zu atmen. Ihr Herz raste, als wolle es mit ihren Beinen konkurrieren, die über die einsehbare freie Fläche rannten. Dann erreichte sie das schützende Maisfeld. Die hohen Pflanzen verschluckten sie und doch gönnte sie sich nicht, eine Pause einzulegen. Sie rannte, als ob es um ihr Leben ginge. Was ja auch den Tatsachen entsprach. Jede Flucht wurde bestraft. Nur wie, das bekamen die Arbeiter nicht mit …

Die blonden Haare wehten hinter AC24 her, verfingen sich an den Pflanzen und verknoteten. Es spielte keine Rolle. Das Einzige, das zählte, war die Stadt zu erreichen. In Hope wäre sie sicher.

Während sie das Feld durchquerte, blieb sie wiederholt an den Pflanzen hängen. Ihre dünne und verschlissene Arbeitskleidung riss an einigen Stellen auf, doch es kümmerte sie nicht.

Keuchend verließ die Luft ihre Lungen und sie kämpfte sich weiter. Wie lang das Feld war, wusste AC24 nicht. Sie hoffte nur, wenn es endete, würde sie die Stadt sehen können.

Erschöpfung machte sich in ihr breit und doch gestattete sie sich nicht, auch nur für einen Moment stehen zu bleiben. Dann hörte sie den Alarm. Der Ton schallte über das Feld und Panik ergriff sie. Schon jetzt hatte man bemerkt, dass sie fehlte! Mit letzter Kraft preschte sie weiter vorwärts und stolperte schließlich aus dem Feld heraus. Vor ihr lagen die ersten Gebäude, die sie erreichen würde, wenn sie sich durch das Getreidefeld schlug. Ohne nachzudenken rannte sie weiter, trieb ihre Beine zur Höchstleistung an. Die Halme zu durchqueren, stellte sich schwieriger heraus, als Anfangs gedacht. Doch sie gab nicht auf, schaffte es schließlich hindurch. Ihre Brust brannte, die Seiten stachen und ihre Beine zitterten. Doch noch war sie nicht am Ziel, nicht in Sicherheit. Vielleicht zweihundert Meter sandiger Boden trennten sie von der erhofften Rettung, der Zuflucht. AC24 biss Zähne aufeinander und trieb ihren Körper an, nicht aufzugeben. Jeder Atemzug brannte. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie um die Ecke eines Hauses bog, dem die Fenster fehlten. Der gepflasterte Weg wirkte ungepflegt. Die meisten der Häuser ebenfalls. Das nahm sie nur am Rande wahr. Ihr Blick war stur geradeaus gerichtet. Sie änderte die Richtung, hastete durch eine Gasse, die entsetzlich stank. Über ihrem Kopf hing Wäsche zum Trocknen und im Lauf riss sie etwas Gelbes von der Leine.

AC24 sprang in den nächsten Hauseingang, der im Schatten lag. Dort zerrte sie ihre Kleidung herunter, die sie eindeutig als Minenarbeiterin identifizierte. Das gelbe Etwas stellte sich als Kleid heraus, das sie rasch überzog. Anschließend riss sie einen Streifen Stoff von ihrer Hose und band damit ihre Haare zu einem Zopf zusammen. Sie hätte gerne eine längere Verschnaufpause eingelegt, doch das Risiko war ihr zu groß. Sie spähte um die Ecke und konnte keinen Verfolger entdecken. Sie nahm das als gutes Omen und setzte ihren Weg fort. Es platschte, als sie in eine Pfütze trat. Ihr linker Schuh war vollkommen durchnässt, aber davon ließ sie sich nicht aufhalten. Ihre Füße trugen sie immer weiter in die Stadt hinein.

Endlich erreichte sie eine etwas breitere Straße, die belebter war. Einige Menschen waren unterwegs und AC24 glaubte sich in Sicherheit. Erst jetzt erlaubte sie sich, ihren Schritt zu bremsen und normal zu gehen. Rennend wäre sie unter den Leuten zu auffällig, zwei schiefe Blicke hatte sie schon geerntet.

Ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen folgte sie der Straße. Ein Stück weiter vorne erkannte sie in Stein gehauene Stufen, die wohl in den höher gelegenen Teil der Stadt führten. Einem Bauchgefühl folgend stieg AC24 hinauf. Sie war fast oben, als hinter ihr donnernde Schritte erklangen. Erschrocken drehte sie sich um und sah einer Soldatin ins Gesicht. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie verloren hatte. Wie in Zeitlupe sah sie den Laser der Waffe aufflackern. Die Soldatin beschrieb einen Bogen mit dem Arm. AC24 stand wie erstarrt auf der vorletzten Stufe, spürte den brennenden Schmerz, der durch ihre Beine schoss, und sackte zusammen. Nur zu gerne ließ sie sich von der Dunkelheit umfangen, denn diese vertrieb die Höllenqualen, die der Laser ihr zugefügt hatte.

 

*

 

Pari und Firin liefen die Straße entlang. Ihr letztes gemeinsames Stück, ehe sich ihre Wege trennen und sie in entgegengesetzte Richtungen zur Arbeit gehen würden. Aus dem Augenwinkel heraus sah Pari eine junge Frau die Treppe heraufkommen, die sich plötzlich umdrehte und kurz darauf von einem Laser getroffen wurde. Abrupt blieb er stehen, was von Firin bemerkt wurde.

„Was ist?“, erkundigte der sich.

„Hast du das gerade gesehen?“ Pari starrte auf die Stelle, an der gerade noch die Frau im gelben Kleid stand. Verwirrt hielt er auf die Treppe zu und erkannte nach nur wenigen Schritten, dass die Blondine auf den Stufen lag. Etwas unterhalb stand eine Soldatin. Diese sah Pari kommen und versuchte ihn mit einer Handbewegung wegzuscheuchen, während sie sich mit dem Zeigefinger der anderen Hand das rechte Ohr zuhielt.

Pari sah sie entgeistert an, anschließend fiel sein Blick wieder auf die junge Frau, deren Beine abgetrennt auf den Stufen lagen. Er kam nicht dazu, die Soldatin zu fragen, weshalb sie das getan hatte, denn sie drehte sich um und hastete die Treppe herunter. Die Verwundete ließ sie einfach zurück.

„Was ist de…“, Firin blieben die Worte im Hals stecken, als er neben Pari trat.

„Verdammte Kacke! Was ist denn das?“

„Statt blöde Fragen zu stellen, solltest du mir lieber helfen“, murrte Pari und hockte sich neben die Bewusstlose. „Eine Soldatin hat sie angegriffen und ist dann abgehauen.“

„Was hast du vor?“

„Na was wohl? Wir können sie ja kaum hier liegen lassen. Schnapp dir die Beine, ich nehme das Mädel.“

Firin zog eine Grimasse, wehrte sich aber nicht gegen die Anweisung seines Freundes. Pari wuchtete die Blondine auf seine Arme, wobei wuchten der falsche Ausdruck war, die zierliche Gestalt war alles andere als schwer.

„Den Schleichweg zur Burg, schnell“, trieb er seinen Kumpel an, der die bis auf abgetretene Schuhe nackten Beine auf den Armen balancierte. Die Schnittkanten, die der Laser hinterlassen hatte, wirkten wie von einem Skalpell durchtrennt. Nur mit dem Unterschied, dass der Laser die Gefäße sofort versiegelt hatte. Pari wusste, die Mediziner in der Burg würden der jungen Frau die Beine wieder annähen können, wenn auch mit dem Verlust von zwei Zentimetern. Aber besser das, als gar keine Beine mehr zu haben …

Er wusste auch schon genau, an wen er sich zu wenden hatte. Zorigan, kurz Z, schuldete Pari noch etwas. Nun war eine Gelegenheit, den Gefallen einzufordern.

„Meinst du, die kümmern sich um sie?“ Firin klang zweifelnd.

„Einer von denen auf jeden Fall“, erwiderte Pari und bog um die nächste Ecke.

Über Gassen und Nebenstraßen nahmen sie den kürzesten Weg zur Burg, genauer gesagt, zum untersten Eingang des großen Komplexes. Die beiden jungen Männer – einer rothaarig, einer brünett und beide von kräftiger Statur – wurden mit einigen schrägen Blicken bedacht, die sicherlich ihrer Fracht galten.

 

Pari führte seinen Freund durch das schmiedeeiserne Tor am Fuße der Burg. Dieser Nebeneingang führte sie durch einen feuchten und dunklen Gang, der nur hin und wieder von einem Jugi-Licht erhellt wurde. Diese kleinen Lampen bestanden aus Glas, welches mit einem grünlich schimmernden Gas gefüllt war. Sobald Tageslicht darauf fiel, hörte das Jugidorum genannte Gas auf zu leuchten. Pari wusste nicht genau, von welchem Planeten es ursprünglich stammte, aber es spielte auch keine große Rolle.

Außer den Atemgeräuschen der Freunde waren nur ihre Schritte zu hören. In diesen Teil der Burg verirrten sich normalerweise nicht viele Leute, doch ausgerechnet an diesem Morgen kam ihnen jemand entgegen. Kein Wachsoldat, ein Zivilist, wie Pari kurz darauf erkennen konnte. Wortlos lief der an den Freunden und der zweigeteilten Frau vorbei.

Firin sah ihm nach. „Echt schräg“, murmelte er.

„Schräg sind eher wir …“, hielt Pari dagegen, was seinem Kumpel ein grunzendes Lachen entlockte.

 

*

 

Einige Stockwerke über den beiden lief Con eine Furche in seine Zelle. Er wartete darauf, dass der Wachdienst ausgewechselt wurde. Seit einer Woche saß er hier drin und hatte sich die Tagesabläufe eingeprägt. Er hatte es aufgegeben, sich über seinen Leichtsinn aufzuregen. Er war selbst schuld an seiner Lage. Jeder, der sich den Soldaten anschloss, hatte nach den Regeln zu leben. Con hatte eine davon missachtet und genau gewusst, was er tat. Dumm nur, dass Greston ihn mit dem Weib erwischt hatte …

Jetzt saß er in der Zelle fest, büßte für den Fehltritt, den er nicht bereute. Xini hatte ihn um den Finger gewickelt und er hatte es sich gefallen lassen. Die zierliche Schönheit mit der blauschwarzen langen Mähne und dem sinnlichen Mund brauchte nicht lange, um den Soldaten in die Fänge zu bekommen. Con ließ sich zu gerne auf den Flirt ein, spielte mit ihr, bis er von seinem Trieb überrannt wurde. Er ließ sich von ihr aus dem Lokal locken, folgte ihr in eine düstere Seitengasse und trat auf sie zu, als sie gegen die Wand gelehnt auf ihn wartete. Er kesselte sie mit seinem großen Körper ein, die Hände neben ihrem Kopf an die Wand gestützt, und beugte sich zu ihr herunter. Ihre Lippen trafen sich zu einem ersten, sanften Kuss, der binnen Sekunden in ein leidenschaftliches Intermezzo wechselte. Xini bog sich ihm entgegen und rieb sich an ihm …

Es fiel regelrecht über sie her, stemmte sie auf seine Hüften und genoss die Hitze in ihrem Schoß. Zu lange war es her gewesen und dann auch viel zu schnell wieder vorbei – und das, noch ehe es ein Ende gefunden hatte. Greston riss Con aus dem lustvollen Taumel und die Ernüchterung setzte schlagartig ein.

„Du hast absolute Abstinenz geschworen, Con. Das wird ein Nachspiel haben!“, donnerte der Befehlshaber und legte Con die elektrische Fessel an. Xini strich ihren Rock glatt und flüchtete, allerdings nicht ohne nochmals über die Schulter zu sehen und Con einen traurigen Blick zuzuwerfen.

 

Endlich. Der Wechsel der Wachmannschaft begann. Con trat an die Gittertür, quetschte seine große Hand durch die Stäbe und schob den kleinen Impulsgeber ins Schloss. Es sprang sofort auf. Es grenzte an ein Wunder, dass sie den nicht entdecken konnten, wo sie doch seinen gesamten Tascheninhalt ans Licht befördert und weggenommen hatten. Ob nun Zufall oder nicht, dank des Helferleins stand er kurz darauf vor dem Gitter und schloss die Tür hinter sich. Eilig und trotzdem mit kaum hörbaren Schritten lief der Soldat über den Gang, schlüpfte ins Treppenhaus und begann, sich über Umwege zum Ausgang vorzutasten. Dabei kam ihm der Umstand zugute, dass er den Bau kannte wie seine Westentasche. Während die oberen Geschosse für die Gefangenen reserviert waren, bot das Parterre eine Krankenstation für die Bürger. Im unterirdischen Teil hingegen lag die medizinische Abteilung, die den meisten Bewohnern Askujas völlig unbekannt war.

 

Con huschte wie ein Schatten über die Flure und achtete darauf, keine der Zellen zu passieren, die mit einem Gitter versehen waren. Diese Gänge mied er. Stattdessen nahm er den Umweg in Kauf und hastete durch den Trakt, in dem die Gefangenen hinter massiven Türen saßen. Con trug zwar weiterhin die Kleidung, die ihn eindeutig als Soldat identifizierte, sein Verhalten allerdings würde jedem Häftling verraten, dass er im Begriff war zu fliehen. Ihre schallenden Rufe, er solle sie doch mitnehmen, konnte er gar nicht gebrauchen …

Kriza

Fagal trat in den Raum, in dem sein Vater schon bei Tisch saß. Dieser hob kurz den Blick, nickte ihm zum Gruß zu und widmete sich dann wieder den Daten auf der Holo-Card. Wie immer.

„Guten Morgen“, sagte Fagal und setzte sich.

Kriza summte nur und zog die Brauen zusammen. In diesen Augenblicken vermisste Fagal seine Mutter. Sie hatte, trotz aller medizinischen und technischen Möglichkeiten, vor fünf Jahren den Kampf gegen die Krankheit verloren. Ein mutierter Virus hatte sie von innen heraus zerfressen und Fagal schauderte noch immer, wenn er daran zurückdachte. Lynn war eine wunderschöne Frau gewesen, anmutig und mit einer Güte, die jeden Wohltäter in den Schatten stellte. Ihre Schönheit war über die Galaxien hinaus bekannt gewesen und die Trauerfeier war von Vertretern fast aller Planeten der Allianz besucht worden.

Die Haushälterin eilte in den Raum und riss Fagal aus der Erinnerung. Wortlos stellte sie frischen Kaffee und einen Teller frisches Obst auf den Tisch. Die bevorzugten Obstsorten von Fagal kannte sie sehr gut und sie übertrieb ihre Fürsorge sogar so weit, dass sie ihm das Obst essfertig servierte. Geschält und geschnitten – als wäre er noch ein Kind.

„Ich danke dir.“

Sie nickte und er schluckte, verkniff sich den Hinweis, dass sie das mit dem Obst lassen sollte. Es wäre sinnlos. Er hatte es schon versucht. Mehrfach.

Kriza murmelte etwas vor sich hin, was nach „Unverschämtheit“ und „absichtlicher Kursfall“ klang. Fagal ignorierte es. Die Geschäfte seines Vaters interessierten ihn nicht. Er konnte sich weder mit einbringen, noch würde er die Strategien durchschauen, mit der sein Vater die Käufe und Verkäufe auf möglichst hohen Gewinn optimierte. Fagal empfand es raffgierig, den Verkauf zu verzögern, nur um noch ein paar Interstellare Dollars mehr zu bekommen. Askuja besaß ein so hohes Vorkommen an Bodenschätzen, dass sie auf Jahrtausende versorgt wären. Juwelen ließen sich immer tauschen – wer brauchte da noch virtuelle Währung? Zudem brachte der Handel mit dem Getreide und den Wasserpflanzen auch genug ein, um die Dinge zu importieren, die auf Askuja nicht gediehen. Seien es Pflanzen oder das Fleisch von Tieren. So viel wusste sogar Fagal.

Er griff sich wahllos ein paar Stücke vom Obstteller. Als einzige Frucht hatte sich die Banane auf Askuja kultivieren lassen. Alle anderen Versuche, bekannte Sorten anzubauen, waren gescheitert. Nach und nach hatten sich Früchte von anderen Planeten durchgesetzt. Grünliche Beeren, die geschmacklich an Orangen erinnerten. Purpurfarbene Melonen Namens Quoja, die nur dem Aussehen nach zu dieser Gattung gehörten, die innerlich grellgelb waren und säuerlich schmeckten. Ekinosa, nachtblaue apfelähnliche Strauchfrüchte, und die schwarzen bohnenförmigen Nopis, die Fagal eigentlich nicht mochte, weil sie sehr bitter waren. Allerdings bildeten sie zu dem restlichen Obst einen guten Kontrast und in Verbindung mit dem starken Kaffee glich sein Frühstück einem Erlebnis für die Geschmacksknospen.

„Ich habe Gäste heute Abend. Folglich erwarte ich, dass du keinen Gast für die Nacht hast“, durchbrach Kriza die Stille.

„Ja, Vater.“ Fagal wagte es nicht, zu widersprechen. Natürlich war die Anweisung ohne Sinn und Verstand – Fagals Räume lagen so weit von den offiziellen Zimmern entfernt, dass es keine Rolle spielte, ob ein Gast dort wäre, oder nicht. Es war nur ein erneuter Hinweis, was sein Vater von seiner Neigung zu Männern hielt. Nichts.

Weitere Worte wechselten sie nicht. Das Frühstück verlief im groben so wie jeden Tag. Sich gegenübersitzen und anschweigen.

Als Fagal aufstand, nuschelte Kriza einen Fluch in den nicht vorhandenen Bart. Und kaum dass er die Tür hinter sich zugezogen hatte, hörte er seinen Vater den leitenden Offizier der Soldaten ansprechen. Dank visueller Bild- und Tonübertragung erreichte er diesen sofort.

„Sorgt dafür, dass um die Gebiete der Minen Zäune gezogen werden.“ Krizas Anweisung war unmissverständlich. Fagal wollten diese Worte nicht gefallen … Weshalb sollte man die Minen einzäunen? Wurden etwa Steine gestohlen?

 

*

 

Die Meldung auf der Holo-Card verärgerte Kriza. Er war es leid, dass immer wieder Arbeitskräfte flohen und nicht gefasst werden konnten, weil sie in der Stadt untertauchten. Bei der letzten Zählung waren in der Stadt 3271 Einwohner registriert worden, auf ganz Askuja fast das doppelte. Was einzeln lebende autarke Gruppenverbände und die Minenarbeiter einschloss. Ihm gingen langsam die Leute aus. Es kamen längst nicht mehr so viele neue Umsiedler, die zur Arbeit abgestellt werden konnten. Eine neue Strategie musste her, wie sonst sollte er den Bedarf decken? Seine Geschäftspartner bestanden auf pünktliche Lieferungen.

Als Fagal aufstand und den Raum verließ, rief Kriza nach seinem Offizier und wies ihn an, Zäune aufzustellen. Anschließend betraute er ihn mit der Aufgabe, Menschen in anderen Kolonien mit Versprechungen auf Askuja zu locken.

 

*

Ende der Leseprobe.

Das sind die ersten 36 Seiten des Buches.

Das eBook ist via amazon und bei beam-ebooks für 3,99 € erhältlich.

Die Printausgabe via CreateSpace/amazon für 6,99 €.

Impressum

Texte: Sophie R. Nikolay
Bildmaterialien: Hintergrundbild: © frenta - Fotolia.com
Tag der Veröffentlichung: 26.08.2013

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