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Kürzlich war ich wieder einmal Zeuge eigenartigen menschlichen Verhaltens. Es gibt gewisse Tage, da hege ich Zweifel am gesunden Verstand meiner Mitmenschen.
Das passiert dann, wenn ein Mensch stirbt. Jemand, den man gekannt hat. Sei es nun kurz oder lang. Extrem auffällig ist das Verhalten der Leute, wenn der oder die Verstorbene eine weitläufig bekannte Persönlichkeit war. Jemand aus dem öffentlichen Leben. Ein Mensch, der Hunderte seiner Mitmenschen zu seinem Bekanntenkreis zählen konnte. Wohlgemerkt: Bekannte.
Der klassische Ablauf eines christlichen Begräbnisses beginnt mir der Messe. Das örtliche Gotteshaus füllt sich in den meisten Fällen zeitig, denn man möchte unter den ersten Trauergästen sein, die dem Verstorbenen das letzte Geleit geben. Zumal man sich dann auch sicher sein kann, von den Hinterbliebenen und engsten Freunden des Toten gesehen zu werden. Die Anteilnahme und wahrgenommene Anwesenheit spielt zuweilen eine gewichtige Rolle. Nicht nur für die trauernden Familienangehörigen. Ebenso spielen die anderen anwesenden Trauergäste dabei eine Rolle. Man will gesehen werden, dass man da war.
Wirkungsvoll ist dabei, einen Platz am Mittelgang inne zu haben. Denn in diesem Fall können die trauernden Angehörigen beim Verlassen der Kirche sehen, dass man auch da ist.

Das alles ist jetzt nicht weiter tragisch oder gar sehr auffällig. Weitaus bemerkenswerter ist das sonderbare Verhalten, wenn die trauernde Menge sich auf dem Friedhof einfindet. Dort erwartet die Hinterbliebenen zumeist eine gewisse Anzahl an Menschen, die entweder keinen Platz mehr in der Kirche gefunden haben oder aber auf die Messe verzichten wollten. So wie ich – in den meisten Fällen. Als überzeugter Atheist kann ich mit der himmlischen Werbebotschaft – für das Leben nach dem Tod an göttlicher Seite - nichts anfangen. So überlasse ich das den Mitmenschen, die sich damit identifizieren können. Die Unendlichkeit des Sein ist etwas, das einen gewissen Glauben voraus setzt, den ich nicht habe.
Wie schon so oft wartete ich auch dieses Mal am Friedhof. Auf die Trauergemeinde und den Pastor, der das Begräbnis leitete. Der Bestatter hatte seine Vorbereitungen bereits abgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits einige andere wartende Menschen auf dem Vorplatz versammelt. Genau das ist der Punkt, an dem mir immer wieder auffällt, dass mit einem Teil der Menschheit etwas nicht stimmt.

Ich sah eine Vielzahl an Leuten, die sich in den feinsten dunklen Zwirn gequetscht haben, den sie besitzen. Daran ist an für sich nichts Verwerfliches. Doch es gibt Leute, die ein Begräbnis nur aus einem Grund besuchen: um aufzufallen – zu zeigen, was man so alles hat. Wie weit man es im Leben bisher gebracht hat. Der feinste Anzug, das edelste Kostüm. Die Damen trumpfen auf mit glitzerndem Schmuck und unangemessenem Schuhwerk, das eher zur Abendgarderobe gehören würde ...
Sicher, den Verstobenen oder die Verstorbene hat man gekannt, den letzten Weg zu begleiten gehört zum guten Ton. Dass dieses Abschiednehmen aber von Nebensächlichkeiten überlagert wird, ist traurig. Zuweilen trauriger als der Tod.
Neben dem Anpreisen des persönlichen Status wird nett geplaudert. Wohlweislich mit gedämpfter Stimme, schließlich weiß man, was sich gehört! Belanglose Worte werden durch den Wind getragen, ebenso wie unzählige Wolken diverser Parfums.
Je gewichtiger und höher der gesellschaftliche Status der verstorbenen Person war, umso mehr fällt mir dieses eigenartige Verhalten auf. Das Begräbnis und der Abschied verkommen damit zu einem Ereignis, dass für die trauernde Familie wie blanker Hohn erscheinen mag. So schleicht sich der Verdacht heran, dass es vielen Menschen gar nicht um das Verabschieden geht. Vielmehr das man anwesend ist, gesehen wird und somit eine Anteilnahme bekundet, die in Wirklichkeit keine ist.

Es ist ein Trauerspiel mit der Trauer. Welch ein Glück, das die verstorbene Person das alles nicht sehen muss … jedenfalls gehe ich davon aus. Mal ehrlich, wer will schon sein eigenes Begräbnis sehen? Eines, das wie ein Schaulaufen anmutet, künstlich auferlegte Trauerminen aufzeigt und obendrein mehr einer Modenschau gleicht, als der Anlass es erlaubt.
Wenn ich ein Begräbnis begleite, dann passiert das, weil der Mensch von dem sich verabschiedet wird, mir auf irgendeine Weise gewichtig erscheint. Weil diese Person es wert ist, mich auf ehrende Weise zu verabschieden. Ohne Schnickschnack und ohne Statussymbole. Meinen besten Anzug lasse ich deshalb im Schrank ...


Impressum

Texte: Sophie R. Nikolay
Bildmaterialien: Sophie R. Nikolay
Tag der Veröffentlichung: 16.03.2012

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