Sophie R. Nikolay
Engel der Elemente
Feuer & Eis
Roman
© 2013 Sophie R. Nikolay
Korrigierte Neuauflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2013 im AAVAA Verlag erschienen.
Umschlaggestaltung: Sophie R. Nikolay;
Foto der Frau: Tiffany, © Scott Snyder, Lubbok, TX, United States ;
Hintergrundbild: © tomharry, sxc.hu
Für euch, jeden Einzelnen.
Nach der Auflösung des AAVAA Verlages war das Buch nicht mehr erhältlich. Doch Geschichten sind dazu da, um gelesen zu werden.
Korrigierte Neuauflage 2022.
Valerie saß in ihrem Bad und hielt fassungslos den Teststreifen in der Hand. Da waren eindeutig zwei blaue Balken zu sehen. Schwanger! Wie konnte das nur sein? Es war nur diese eine Nacht gewesen – mit ihm.
Eine Empfängnis sollte überhaupt nicht möglich sein. Und doch hielt sie den Beweis in der Hand.
Er hatte ihr von der ersten Minute an reinen Wein eingeschenkt. Es war klar, dass sie nur zur Freude beider die Nacht miteinander verbrachten. Keine Liebe, kein Herz gebrochen. Nur Spaß. Und jetzt das!
Sollte sie ihn darüber in Kenntnis setzten? Versuchen, ihn zu erreichen?
Nein. Sie würde mit dem Kind so oder so alleine bleiben. Anders wollte sie es auch nicht haben. Eine erzwungene Beziehung mit ihm? Wegen des Kindes? Oh nein. Valerie entschloss sich dazu, es für sich zu behalten. Vorerst. Denn dem Kind würde sie von Anfang an sagen, wer sein Vater war. Ist. Wie auch immer.
Vierunddreißig Wochen später gebar sie einen Sohn. Es war Anfang Juni 1989 und sie nannte ihn Christoph.
Wie durch ein Wunder hatte sie bei der Geburt kaum Verletzungen erlitten. Was für eine reinblütige Hexe mehr als ungewöhnlich war. Die Hebamme sicherte ihr zu, dass sie problemlos ein weiteres Kind bekommen könne. Ebenfalls bemerkenswert für eine Hexe.
Der Arzt sagte zu ihr, dass sie von den Göttern gesegnet sei.
Oh ja!, dachte Valerie und hielt ihren kleinen Sohn fest im Arm.
„Ist nicht dein Ernst!“, sagte Isa laut.
Samuel nickte. „Doch, leider.“
„Jetzt ist hier gerade erst Ruhe, nachdem wir dem Dämon einen Fußtritt verpasst haben und schon taucht woanders der nächste auf!“, motzte Raven.
Es stimmte, Berlin war seit zwei Tagen so normal, wie es vor einem drei viertel Jahr gewesen war. Mit dem Dämon verschwanden zeitgleich die Seelenlosen.
Die verschmutzten Seelen hingegen waren sogar ohne Isas Hilfe wieder strahlend rein. Valerian vermutete, dass ohne den Dämon auch das Band zur Hölle gebrochen war und die Menschen somit befreit wurden.
Sie hatten kaum eine Verschnaufpause gehabt und jetzt sollte alles wieder von vorne anfangen?
Samuel räusperte sich. „Ähm, Leute. Der neue scheint aber etwas heftiger zu sein. Meine Mutter sagt, dass etliche Häuser in Paris abgebrannt sind. Die Stadt lebt nur noch von Angst und Gewalt. Sie wird noch heute die königliche Residenz verlassen, bei Anbruch der Nacht.“
„Oho. Das will schon etwas heißen!“, sagte Matalina in die Runde. „Die Königin verlässt ihr Reich sonst nie!“
Samuel nickte. „Es ist das erste Mal seit Jahrhunderten!“
Valerian stand auf. „Dann sehe ich mal, was das Internet so hergibt“, sagte er. Anschließend verschwand er im Haus.
„Kann ich noch von dem Kaffee haben?“, fragte Lisa unvermittelt.
Sie war hellauf begeistert von dem Getränk, anscheinend gab es auf der göttlichen Ebene keinen Kaffee.
Matalina lächelte ihr zu. „Aber sicher. Hier steht ja noch eine ganze Kanne.“
Isa betrachtete Samuel, eine tiefe Falte zeigte sich auf seiner Stirn. Es schien ihn mehr als zu beunruhigen, was er aus seiner Heimat gehört hatte. Sanft fasste sie ihn am Arm.
„Wir werden das schaffen! Dafür wurden wir geboren! Paris wird wieder sicher sein.“
Langsam sah er zu ihr auf, in seinen Augen spiegelte sich ihre Hoffnung.
Auch die anderen stimmten Isa zu. Anthony klopfte Samuel auf die Schulter.
„Nun kennen wir uns schon so lange und ich glaube mit Recht zu behaupten, dass ich dein Freund bin. Wir alle zusammen werden es schaffen. Bis die Welt wieder im Gleichgewicht ist.“
Samuel blickte in die Runde.
„Ich danke euch. Das war echt ein heftiger Schlag! Nie hätte ich damit gerechnet, dass es so schnell weitergeht. Und dann auch noch zu Hause. Obwohl, eigentlich seid ihr jetzt mein Zuhause.“
„Da stimme ich dir zu! Ich habe mich noch nie irgendwo richtiger gefühlt, als hier“, sagte Stephan zu ihm.
„Und ich erst!“, stimmte Basti zu.
„Lasst uns doch nachsehen, ob Valerian schon etwas gefunden hat“, meinte Tom und ging zum Haus. „Kommt ihr mit?“, fragte er über die Schulter hinweg.
Nach und nach standen alle auf und gingen ihm nach, nur Matalina nicht. Das Büro, das eigentlich eine beachtliche Größe hatte, erschien überfüllt. Als letzte schob sich Lisa in den Raum.
„Ich werde euch wahrscheinlich keine Hilfe sein. Mich hat nie jemand ausgebildet oder trainiert“, sagte sie missmutig.
„Och je, mach dir da mal keinen Kopf. Das kommt schon mit der Zeit. Du kannst ja auch nichts dafür, dass unser Vater so ein Depp war und uns getrennt hat!“, sagte Isa augenzwinkernd.
Nichts lag ihr ferner, als den Gott zu beleidigen, doch hegte sie noch immer einen Groll wegen der dämlichen Entscheidung, die vor so vielen Jahren gefallen war.
„Äh, Leute.“, Valerian machte auf sich aufmerksam. „Wenn wir nach Paris wollen, geht das nur mit dem Auto.“
„Warum?“, wollte Anthony wissen.
„Ja, wir können doch fliegen, ist viel schneller“, meinte Stephan dazu.
„Nein, können wir nicht. Kein Flughafen weit und breit hat mehr geöffnet. Und die wenigen Webcams, die noch senden, verheißen nichts Gutes. Paris sieht aus, als wäre es im Krieg mit sich selbst!“
„Oh Scheiße!“, Basti fluchte mal wieder.
Isa verdrehte die Augen. „Sei froh, dass du mit Edna verwandt bist, sonst hätte ich dir längst deine Flüche aus dem Mund gewaschen!“
„Ich bemühe mich ja, aber es funktioniert nicht immer“, verteidigte er sich.
Sam hob die Hand. „Also bitte, es gibt wichtigeres als Flüche, ja?“
Die beiden nickten und legten ihre fortwährende Zankerei auf Eis.
„Also, nur mit den Autos, hm? Das ist eigentlich besser, oder wie sollen wir unsere Waffen dahin bekommen? Im Flieger sicher nicht!“, Raven schnaubte.
Lisa stand an den Türrahmen gelehnt. Sie sah unendlich traurig aus. Tom sah es und zog sie mit sich aus dem Raum.
Im Flur sagte er leise zu ihr: „Wenn es dich ein wenig beruhigt, dann können wir ja in die Trainingshalle gehen und ich zeige dir ein bisschen was. Zumindest so viel, dass du nicht mehr schutzlos und wehrlos bist. Wie klingt das?“
Sie nickte und ihre Augen leuchteten.
Isa sah, dass Tom mit ihrer Schwester aus dem Büro gegangen war und ahnte, was er vorhatte. Es war gut, wenn sie wenigstens etwas Vorbereitung hatte, denn sie musste mitkommen. Alternativ müsste Layla hierbleiben, um sie fortwährend zu heilen. Ohne einen Partner würde Lisa ihre Kräfte verlieren. Aber diese Alternative kam gar nicht erst in Betracht.
Komischerweise hatte Basti keinerlei Probleme mit seiner Kraft, allerdings war er ja auch zur Hälfte Hexe und er schlief, im Gegensatz zu den Engeln.
Sam und Val stellten gerade eine Liste zusammen, mit Dingen, die sie zwingend mitnehmen mussten. Die Frauen steckten die Köpfe zusammen, was alles in die Koffer musste. Wenn sie auch Engel und Kämpferinnen waren, so waren sie doch immer noch Frauen.
Anthony und Steph’ sprachen leise über die Träume, die Steph’ immer wieder erwähnt hatte. Der wichtigste schien der von dem brennenden Eiffelturm zu sein, denn er kehrte immer wieder.
Nachdem sie die hauptsächlichen Dinge geklärt hatten, gingen Isa und Sam auf ihr Zimmer. Voller Wehmut sah sie sich um. Sie hatte keine Ahnung, wann sie von Paris zurückkehren würden, ob sie überhaupt wieder kamen. Seufzend viel ihr Blick auf das große Bett, in dem sie so viele Stunden mit Samuel verbracht hatte. Er spürte wohl ihr schweres Herz, denn er umfasste sie von hinten.
„Süße, es wird alles gut gehen. Wir sind doch alle ein super Team geworden.“ Sam drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.
„Du hast ja recht. Doch es fällt mir schwer, alles hinter mir zu lassen. Matalina und Tom bleiben schließlich hier.“
„Solange wir zusammen sind, macht mir nichts Angst.“
Langsam drehte sie sich in seinen Armen und blickte in die tiefschwarzen Augen. Mit den Fingerspitzen fuhr sie über seine Brust und berührte dabei die Ringe in seinen Brustwarzen. Seine Augen blitzten auf, das Schwarz wurde langsam von einem weißen Ring verdrängt.
Er knurrte durch die Zähne und Isa verschloss seinen Mund mit einem Kuss. Langsam schob sie ihre Hände nach oben, an seinem Hals entlang bis zum Genick. Ihre Fingerspitzen strichen über die raspelkurzen Haare.
Jeden Morgen fuhr er mit einer Haarschneidemaschine über seinen Kopf. Isa fragte sich, wie er mit längerem Haar aussah. Sie ahnte nicht, dass sie schon sehr bald ein Bild davon bekäme.
Die folgenden Tage wurden mehr als unruhig. Die Vorbereitungen ihrer Abreise liefen auf Hochtouren. Lisa machte allen etwas Kummer, das Training mit Tom verlief zwar sehr gut, doch wenn sie fertig waren, musste Layla sie jedes Mal heilen.
Dann war es so weit. Nach einem letzten gemeinsamen Frühstück, bei dem sich sogar Maria dazugesellt hatte, fuhren sie nach Paris. Matalina hatte ihre Tränen weggeblinzelt, trotzdem hatte Isa sie sehen können.
Die vier Autos waren voll beladen, da sie nicht wussten, was es in Paris überhaupt noch zu kaufen gab. Valerian war der Spezialist für die Computer, er hatte zwei Stück im Kofferraum und einen Teil der Koffer auf der Rückbank. Anthonys Auto war voller Sicherheitstechnik und bei ihm und Edna fuhr Basti mit. Steph’an und Layla hatten eine ganze Wagenladung Lebensmittel und das restliche Gepäck war bei Samuel ins Auto gequetscht. Lisa fuhr mit Steph’, da bei Sam und Isa kein Platz mehr war.
Sie waren so voll bepackt, als würden sie auswandern, was sie in gewisser Weise ja auch taten. Keiner wusste, wann sie wieder zurückkämen. Matalina hatte jedem von ihnen einen großen Betrag Bargeld mitgegeben und im Ernstfall könnte sie noch weiteres Geld nach Frankreich überweisen.
Voller Anspannung fuhren sie im Konvoi und hielten sich peinlichst genau an die Verkehrsregeln, bei den ganzen Waffen und der Munition, die sie dabei hatten, war das besser so.
Samuel hatte vorgeschlagen, das Haus der Königin als Unterkunft zu nutzen. Es war groß genug für sie alle, auch ohne die privaten Räume seiner Mutter zu nutzen. Er hoffte sehr, dass vielleicht noch ein oder zwei Bedienstete im Haus, oder wenigstens die Vorratsschränke gefüllt waren.
Isa stellte die Musik leiser, dann sah sie Sam von der Seite an.
„Sag mal, wie war das eigentlich genau mit deiner Schwester?“, wollte sie wissen.
„Na ja. Wir waren noch jung, für Vampire gesehen, erst vierundvierzig. Die meiste Zeit verbrachte ich mit dem Kampftraining. Sophie, so hieß sie, war wohl erzogen und belesen. Sie sollte, an meiner statt, die Thronfolgerin sein. An dem Nachmittag, als sie verschwand, war sie mit einer Zofe in der Stadt unterwegs. Sie wollte sich ein Kleid aussuchen, für einen Empfang. Sie ging immer selbst zum Einkaufen, denn sie mochte es nicht, die Dienstmädchen hin und her zu schicken, wenn ihr die Auswahl nicht gefiel. Später hat die Zofe erzählt, dass in dem Kleidergeschäft ein düster aussehender Mann in einer Ecke gestanden hatte. Sie fühlte sich beobachtet, doch dann war er weg. Mehr als zehn Minuten wartete sie vor dem kleinen Umkleidezimmer, in dem Sophie mit der Schneiderin war. Als sie nichts mehr hörte, öffnete die Zofe die Tür. Sie fand die Schneiderin auf dem Boden, tot. Mit glasigen Augen und einem vor Schreck erstarrten Gesicht. Sophie war verschwunden.“
„Und ein Dämon hat sie getötet?“
„Ja. Wir haben zwei Tage lang die Stadt nach ihr durchsucht. Nichts. Dann kam ein Bote, der uns einen Umschlag überbrachte. Er zitterte wie Espenlaub und erklärte, dass ihm mit dem Tod gedroht wurde, wenn er nicht schnell den Brief zu Christine Dupont bringt.“
„Was stand denn in dem Brief?“
„Das war das Grausigste. Der Brief war mit dem Blut meiner Schwester geschrieben. Der Dämon, dessen Namen wir bis heute nicht kennen, erklärte, sie ermordet zu haben. Sophies Ring, mit dem königlichen Symbol, lag blutverschmiert dabei. Er schrieb auch, wo er sie gelassen hatte – in einem verlassenen Keller! Abgelegt wie Müll, in einer Ecke. Da haben wir sie schließlich gefunden.“
„Aber warum hat er das getan?“
„Oh, er wollte die königliche Linie zerstören, damit das Volk der Vampire sich selbst auslöscht. Er vermutete wohl, dass meine Mutter zu alt sei für weitere Kinder. Und normalerweise ist das erstgeborene Kind zur Thronfolge berechtigt. Da ich aber ausfalle ...“
„Würden denn die Vampire ohne die Königin nicht überleben?“
„Doch schon. Aber ohne Führung würde das Chaos ausbrechen, viele würden sich nicht mehr an die aufgestellten Regeln halten. Und das hätte zur Folge, dass die anderen Wesen die Vampire wieder jagen würden.“
„Dann hoffe ich doch, dass die Königin noch ein paar Jahrhunderte lebt!“
„Ich denke, das wird sie. Ihre Blutlinie ist sehr stark. Und es besteht die Möglichkeit, dass es in naher Zukunft wieder einen Thronfolger geben wird.“
„Wie das? Will sie jetzt nach fast zweihundert Jahren wieder ein Kind?“
„Wenn das so einfach wäre. Vampirinnen sind nur alle zweihundert Jahre fruchtbar. Sie hat angedeutet, dass sie es versuchen werden. Nur, jetzt, wo Paris in einem so furchtbaren Zustand ist und sie geflohen sind? Ich habe keine Ahnung, was sie daraus macht.“
Isa blickte nachdenklich aus dem Fenster. Eine Zeit lang fuhren sie schweigend weiter.
Kurz vor der französischen Grenze machten sie Rast. Anthony kannte ein kleines Restaurant, bei dem der Parkplatz bewacht wurde. Unterwegs hatten sie sich via Handy abgesprochen. Nun fuhr Anthony voraus, die anderen im Konvoi hinterher.
Der Parkplatz hatte eine Schranke, an der ein Wachmann saß. Anthony bezahlte ihn und anschließend durften sie passieren. Das Lokal war sehr modern. Hell eingerichtet, mit dunklen Farbakzenten an den Wänden und stilvoller Dekoration. Die Lampen verströmten warmes Licht und im Hintergrund lief leise Musik.
„Nett hier“, sagte Isa zu Anthony.
Er hatte keine Gelegenheit zum Antworten, denn der Kellner kam auf sie zugestürmt.
„Guten Tag, die Herrschaften. Leider haben wir keinen Tisch, der groß genug für Sie alle ist. Doch wir können zwei zusammenstellen, wenn Sie wünschen.“
„Ja, das wäre sehr freundlich“, gab Anthony zurück.
Einen kurzen Moment mussten sie warten, dann kam der Kellner zurück. „Wenn Sie mir dann bitte folgen würden“, meinte er.
Die Gruppe wurde in einen Nebenraum geführt, dort schoben gerade zwei weitere Kellner eifrig die Tische aneinander.
Sie genossen das gemeinsame Essen, bis Samuel sich räusperte.
„Ähm, seid ihr euch dessen bewusst, dass wir jetzt zum letzten Mal gemütlich zusammensitzen? Wer weiß, wann wir wieder dazu kommen.“
„Das stimmt“, meinte Isa.
Sie und auch die anderen verfielen in gedrückte Stimmung. Die restliche Zeit waren alle schweigsam. Isa bezahlte die Gesamtrechnung, anschließend gingen sie hinaus.
Auf dem Parkplatz sprachen die Männer kurz über den Rest der Strecke, den sie noch vor sich hatten.
Isa saß schon im Auto, als Raven laut aufschrie.
Erschrocken sah sie in das Innere von Valerians Wagen, sie hielt sich eine Hand aufs Herz.
Alle hatten sich Raven zugewandt und Isa sprang aus dem Auto.
„Was ist?“, rief sie zu Raven.
„Hat der mich jetzt erschreckt“, sagte sie nur.
Doch dann verstand Isa. Raven hob Jojo aus dem Auto. Hatte sich der kleine Kerl doch glatt mit hineingeschmuggelt.
„Aven Jojo alleine lassen!“, quiekte er.
„Du solltest ja auch zu Hause sein. Bei Matalina und Tom“, gab sie zurück und funkelte den Waschbären belustigt an.
„Nein. Aven und Valeian und alle gehen. Jojo auch gehen!“
Er sah richtig trotzig aus, sein Näschen hoch erhoben und die Augen von Raven abgewendet.
Nun konnte sich Isa nicht mehr zurückhalten, sie prustete los. Es war wirklich zu komisch. Jojo hatte sich unter dem Gepäck versteckt, weil er mitkommen wollte. Raven hatte ihm extra erklärt, warum er zu Hause bleiben musste. Paris wäre viel zu gefährlich für so ein kleines Tier. Sie hatte ihm gesagt, dass er bei Matalina, Tom und Maria bleiben müsste.
Tja, wie gut Jojo sie verstanden hatte, sahen sie ja jetzt. Oder er wollte es nicht verstehen.
Isa zog ihr Telefon aus der Tasche.
„Ich sage mal zu Hause Bescheid, nicht dass sie Jojo schon suchen“, erklärte sie.
Sie sprach mit Maria. Es war noch keinem aufgefallen, dass Jojo nicht mehr da war. Normalerweise verbummelte er den Tag im Garten. Jetzt wussten sie zumindest, wo er steckte. Maria hatte allerdings ein bisschen traurig geklungen, denn sie mochte den kleinen Kerl.
Die Gruppe setzte ihren Weg fort. Bis Paris waren es noch ein paar Stunden Fahrzeit und sie wollten ankommen, bevor es dunkel wurde. Sie näherten sich der Stadt von Osten her, über die A4. Gerade passierten sie ein großes Autobahnkreuz.
„Wie weit ist es noch?“, fragte Isa Samuel.
„Bis zum Haus meiner Mutter etwa fünfundzwanzig Kilometer.“
„Der Horizont vor uns sieht eigenartig aus, findest du nicht?“
Samuel nickte zustimmend.
Der Himmel vor ihnen senkte sich bereits in die Dämmerung herab. Ein rötlicher Schimmer bedeckte einen Teil des Bildes, das sich ihnen zeigte.
„Ich glaube, es brennt dort“, meinte Samuel leise.
Er kannte die Strecken in die Stadt hinein wie seine Westentasche. Unaufhörlich näherten sie sich dem Stadtkern und Samuel vermutete das Feuer bei Champigny-sur-Marne. Es lag links neben der Autobahn - von ihrer Fahrtrichtung aus gesehen.
Als sie näher kamen, sah Isa, wie recht er gehabt hatte.
Der Lichtschein war so stark, da musste ein ganzer Straßenzug in Flammen stehen. Dichter Qualm stieg auf.
„Ich hatte keine Vorstellung, was uns hier erwartet. Das ist unfassbar“, sagte sie.
Samuel nickte.
„Ich hoffe, meine Mutter ist heil hier herausgekommen. Sie wollte mich anrufen, wenn sie den Unterschlupf erreicht hat.“
Die Königin hatte vor, nach Südfrankreich fliehen, dort gab es ein Ferienhaus, das ihrem Mann gehörte.
Sie näherten sich dem nächsten Autobahnkreuz. Samuel griff zum Telefon.
„Anthony, sollen wir quer durch die Stadt oder den großen Ring entlang?“
„Den Ring. Es ist eventuell besser so. Durch die Stadt können wir morgen immer noch.“
„Okay“, meinte Samuel und drückte das Gespräch weg.
Er bog auf den Boulevard Périphérique, der den Stadtkern umkreist. Die Stadtautobahn sollte um diese Uhrzeit eigentlich stark befahren sein. Samuel traute seinen Augen nicht, denn es waren kaum Autos auf der Straße. Ein vollkommen ungewohntes Bild.
Nach kurzer Zeit, Isa vermutete, dass sie die Stadt zur Hälfte umfahren hatten, bog Samuel ab.
Die Straße, die sie nun durchfuhren, war wie leer gefegt. Kein Fahrzeug weit und breit. Auch keine Fußgänger. Isa sah, dass einige der Häuser ausgebrannt waren. Samuel verringerte die Geschwindigkeit und hielt vor einem großen, imposanten Haus. Es war in einem sanften Gelb gestrichen, die Fensterrahmen und die Tür in Weiß. Es sah verlassen aus, kein Licht brannte.
Seufzend stieg Samuel aus. „Willkommen. Das ist die Residenz der Königin“, sagte er zu Isa und beschrieb einen Bogen mit der Hand.
Die anderen, die zur gleichen Zeit mit ihnen angekommen waren, stiegen nun auch nach und nach aus.
„Na das nenne ich Glück“, meinte Raven.
Samuel sah sie fragend an.
„Das Haus scheint unversehrt“, erklärte sie darauf.
Samuel schnaubte. „Ich mache auf, dann laden wir so schnell es geht die Autos aus. Es ist so unheimlich leer hier und ich will nicht, dass man unsere Anwesenheit sofort bemerkt.“
Er erntete allgemeine Zustimmung und schloss die Tür auf. Die anderen nahmen schon einen Teil des Gepäcks mit hinein, während er sich im Parterre umsah. Alles war dunkel.
„Ich sehe mal nach, ob noch jemand hiergeblieben ist“, raunte er Isa zu.
Sie nickte und Samuel verschwand im hinteren Teil des Hauses.
„Hier also residiert eure Königin“, sagte Edna zu Anthony, als sie durch die Tür traten.
„Ja. Aber so still habe ich das Haus noch nicht erlebt“, gab er zurück.
„Warst du schon oft hier?“, wollte sie wissen.
„Etwa sechs bis sieben Mal pro Jahr – in den vergangenen fünfzig Jahren.“
Samuel kam zurück. „Die Räume der Angestellten sind leer. Es scheint niemand mehr da zu sein. Bitte kein Licht anmachen. Wir bringen erst alles hier in die Eingangshalle, dann verdunkeln wir die Fenster. Danach können wir die Lichter einschalten“, sagte er zu allen.
Die Gruppe räumte so schnell es ging die Autos aus. Raven konnte allerdings nicht viel tragen, da Jojo auf ihrem Arm hing und sich Schutz suchend an sie klammerte. Anschließend verriegelten sie die Wagen und Samuel schloss die Haustür von innen ab.
„Anthony, kommst du mit? Einen Teil der Räume kennst du ja auch. So geht es schneller.“ Samuel sah ihn fragend an.
„Klar. Aber sag mal, habt ihr nicht diese elektrischen Stahlrollläden? Val könnte doch mal seine Fühler ausstrecken und die Technik dafür anwerfen“, erwiderte Anthony.
„Daran habe ich gar nicht gedacht. Val, geht das?“
„Sicher. Gibt es eine zentrale Steuerung oder ist jeder Raum extra geschaltet?“, gab dieser zurück.
„Ich glaube zentral. In der Küche ist ein großer Sicherungskasten. Von da aus wird das ganze Haus versorgt.“
„Gut. Ich versuch‘s mal.“
Valerian schloss die Augen und fühlte sich in das Haus hinein. Er fand die Leitungen, welche von der Küche aus durch das Haus liefen. Daraufhin veränderte er die Schaltung und die Rollläden begannen, sich zu schließen. Im ganzen Haus war das Brummen zu hören.
„Die sind sonst am Tag zu, richtig? Und am späten Nachmittag gehen sie wieder auf?“, fragte Val.
„Ja. Meine Mutter will keine Sonne im Haus. Momentan müsste es so eingestellt sein, dass die Fenster sich um sieben Uhr morgens schließen und um sechs Uhr abends wieder aufgehen“, erklärte Sam.
„Ich habe die Schaltung so verändert, dass sie jetzt durchgehend zu sind“, sagte Val und schlug die Augen auf.
Es war stockfinster in dem Raum, dennoch konnte er die anderen erkennen, denn er spürte ihre Anwesenheit. Samuel hingegen brauchte weder zu sehen noch zu fühlen. Er konnte das Haus mit geschlossenen Augen ablaufen und wusste doch genau, wo er sich befand. Daher trat er drei Schritte nach links, hob den Arm und betätigte den Lichtschalter.
Sofort flammte der große Kronleuchter über ihnen auf.
„Wow!“, entfuhr es Isa.
Staunend sah sie sich in der Eingangshalle um. Das wenige Licht, das eben durch die Tür hereingefallen war, hatte gerade ausgereicht, um den Raum schemenhaft zu erkennen. Fenster hatte der Eingangsbereich keine. Nun wurde alles von dem glitzernden Kristallleuchter erhellt. Der Fußboden war mit glänzenden weinroten Fliesen belegt. Die Wände waren weiß, die hohe Decke auch. Eine ebenso weiße und breite Marmortreppe führte nach oben.
Die wenigen, schön verzierten Möbelstücke sprachen von Reichtum. Große Doppeltüren gingen von der Eingangshalle ab, je zwei auf der linken und rechten Seite. Hinter dem Treppenaufgang war ein schmaler Flur.
„Als erstes wäre es nicht schlecht, wenn du uns die Küche zeigst. Denn da müssen die Lebensmittel hin“, sagte Layla an Samuel gewandt.
„Sicher. Es ist die zweite Tür rechts“, antwortete er und ging darauf zu.
Samuel öffnete die große Flügeltür und drückte auf den Lichtschalter. Sogleich war die Küche hell erleuchtet. Isa nahm sich einen der Kartons und ging Samuel nach.
Die Küchenschränke waren strahlend weiß, die Fronten hochglänzend. Die Elektrogeräte entsprachen neuester Technik und einen schönen Kontrast bildete die schwarze Marmor-Arbeitsplatte. Der Boden war schiefergrau und die Größe der Küche kam etwa der gleich, die sie zu Hause hatten.
Samuel trat auf eine Edelstahltür zu, die an der hinteren Wand war.
„Voilà. Der Kühlschrank. Mal sehen, was noch alles da ist“, meinte er und öffnete schwungvoll die Tür.
Automatisch ging dahinter das Licht an. Das war kein Kühlschrank, sondern ein Kühlraum! Isa schätzte die Größe auf etwa drei Mal vier Meter. Die dort angebrachten Regale standen voller Lebensmittel.
Anthony warf einen Blick hinein. „Na, verhungern werden wir wohl nicht!“ Er trat in den Raum und sah sich den Inhalt der Regale an.
„Ich glaube kaum. Aber, kann eine von euch Kochen?“, Steph’an schaute nacheinander die Frauen an. Geschlossen schüttelten alle den Kopf.
„Maria hat uns nie in der Küche helfen lassen“, erklärte Raven schulterzuckend.
„Ich kann es auch nicht. Meine Mutter wollte nicht, dass ich meine Zeit mit Kochen vergeude“, kam von Lisa.
„Dann habt ihr ja Glück, das wenigstens ich kochen kann!“, sagte Valerian laut.
Samuel warf ihm einen belustigten Blick zu.
„Tja Val, da sind wir ja schon zwei. Ich liebe nicht nur gutes Essen, ich kann es sogar zubereiten!“, kam Anthonys Stimme aus dem Kühlraum.
„Und mit dem, was wir noch mitgebracht haben, sind wir für acht Wochen versorgt“, fügte er hinzu, als er zurück in die Küche trat.
„Hui! So wird dieser Haushalt in nächster Zeit von Männern bekocht“, Layla grinste.
„Okay. Nachdem das geklärt ist, sollten wir die anderen Sachen auch noch wegräumen. Computerkram erst mal ins Wohnzimmer, erste Tür links. Anschließend bringen wir unsere Koffer rauf. Zimmer gibt es hier genug“, meinte Samuel und stapfte zurück in die Eingangshalle.
Nacheinander gingen sie ihm hinterher und Isa war sehr überrascht, als sie das Wohnzimmer betrat. Dieser Raum passte so gar nicht zu der hochmodernen Küche. Isa kam sich vor, als sei sie in einen Antiquitätenladen gelaufen. Samuel sah ihren Blick.
„Dies ist das Empfangswohnzimmer. Das private ist oben und viel moderner“, erklärte er.
Isa nickte. Allerdings fragte sie sich, wen die Königin hier empfing. Die beiden Sofas waren sehr filigran gearbeitet und standen auf nur bleistiftdünnen Beinchen. Sie hatte den Eindruck, dass diese Möbelstücke unter jedem zusammenbrechen müssten, der schwerer wäre als ein Kind.
Dank vieler helfender Hände waren die Sachen schnell abgestellt. Als Nächstes folgten die Koffer.
Samuel ging voraus und teilte ihnen die Zimmer zu. Lisa und Basti bekamen die ersten beiden. Der folgende Raum war für Raven und Valerian, mit dem kleinen Jojo. Layla und Stephan bekamen das Zimmer direkt gegenüber. Die letzten zwei Räume waren für Edna und Anthony sowie Isa und Samuel.
„Das ist im Übrigen wirklich mein Zimmer“, sagte er zu Isa, als sie den Raum betraten.
Fragend hob sie eine Braue und er zuckte nur mit den Schultern.
Sie sah in dem Raum keinerlei persönliche Dinge. Keine Bilder, keine Zeitschriften oder Bücher. Nichts. Es sah aus wie ein Gästezimmer. Wenn man das kuriose Bett mal außen vor ließ. Es nahm die Mitte des Raumes ein und war riesig, sicher zwei Meter fünfzig in quadratischer Form. Das klobige Gestell war schwarz, nicht erkennbar wo das Kopf- oder Fußende lag. Die Bettwäsche dazu war leuchtend rot. Fünf dicke Kopfkissen lagen mittig obenauf.
Der Teppich und die Wände waren wollweiß, die Vorhänge hellgrau und der Kleiderschrank schwarz-weiß. Ein großer Spiegel zierte eine der Schranktüren. Samuel stellte ihre Koffer davor ab.
„Das Bad ist nebenan, so wie bei uns zu Hause.“
„Ach, ich dachte, hier ist dein zu Hause?“, neckte Isa ihn.
„Hm, mein zu Hause ist jetzt bei dir. Egal wo du bist. Also momentan hier.“
Seine tiefschwarzen Augen blitzten sie an.
„Wie schön, dass es mir ebenso geht“, sagte sie daraufhin und zeigte ihm ein strahlendes Lächeln.
„In diesem Haus habe ich die ersten fünfzig Jahre meines Lebens verbracht. Danach bin ich um die halbe Welt gereist, um andere meiner Art zu schützen. Denn ob du es glaubst oder nicht, es gibt heute noch Plätze auf der Erde, wo wir Vampire nicht sicher sind. Sogar in unserer modernen Zeit gibt es ein paar Fanatiker, die sich durch unsere Anwesenheit bedroht fühlen.“ Er schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ich hoffe doch, dass nun jemand anderes deine Aufgabe übernommen hat.“
„Ja. Natürlich. Ich bin ja nicht der einzige ausgebildete Kämpfer unserer Art. Es gibt noch andere.“
„Dann ist es eine Ehre, dass du an unserer Seite kämpfst - und nicht mehr ausschließlich deine Art beschützt. Denn es geht ja nun um alle Wesen, um die Erhaltung der Welt mit all ihren verschiedenen Bewohnern.“
„Richtig. Ich mache das gerne. Außerdem habe ich bei dir mein persönliches Glück gefunden!“, er kam auf sie zu und hob sie in die Luft.
Er drehte sich mit ihr im Kreis und ließ sich im Anschluss daran mit ihr auf das große Bett fallen.
„Samuel, ich hoffe doch, dass ich die erste Frau in diesem Bett bin“, meinte sie spielerisch tadelnd.
„Oh ja. Hier hat noch niemand außer mir gelegen. Denn die Frauen, die ich vor dir hatte, habe ich nie mit hierher gebracht. Was im Übrigen auch nicht realisierbar gewesen wäre, so vom anderen Ende der Welt.“ Er zwinkerte sie an.
„Du hattest viele, oder?“, fragte sie leise.
„Ja. Ich will dich nicht belügen. Hunderte womöglich. Doch nie war mir eine von ihnen wichtig. Bei dir ist das anders.“
Isa riss bei dieser Erklärung die Augen auf. Hunderte? Plötzlich kam sie sich winzig vor.
Samuel sah ihre Bestürzung. Er tastete nach seiner Hosentasche, in der er seit Wochen den kleinen Beutel mit sich herumtrug. Immerzu hatte er auf den richtigen Moment gewartet und der schien ihm jetzt gekommen. Langsam zog er den Beutel hervor und hielt ihn hoch.
„Was ist das?“, fragte sie ihn.
„Schau rein.“
Isa nahm ihm den Beutel ab und zog die Kordel auf. Sie blickte kurz hinein, hob den Kopf und sah Samuel überrascht in die Augen. Ihr Gesicht leuchtete.
„Meine Mutter gab sie mir, als ich das letzte Mal hier war. Die ganze Zeit trug ich sie bei mir und doch erschien mir kein Zeitpunkt passend. Heute ist es anders. Ich liebe dich, Isa.“
„Ich liebe dich auch“, gab sie strahlend zurück.
Dann schüttete sie den Inhalt auf ihre Hand und betrachtete staunend die beiden Ringe. Samuel nahm ihr den kleineren aus der Handfläche und griff nach ihrer linken Hand. Langsam steckte er den Ring an ihren Finger. Er passte perfekt. Nun war er es, der staunte. Seine schwarze Hand hielt ihre weiße, der goldene Ring sah so richtig an ihr aus. Das Zeichen der Königin prangte obenauf und ihm fehlten die Worte.
Isa nahm hingegen nun seine Hand und steckte auch ihm den Ring an.
„Sie sind wie für uns gemacht“, sagte sie leise.
Samuel räusperte sich. „Meine Mutter gab sie mir als Eheringe für uns beide. Sie wollte deinen Vater Arthemis darum bitten, dass sie an der Trauung teilnehmen darf.“
„Oh. Ich denke, er wird es erlauben. Doch es wird schwierig sein, ein Datum festzulegen. Solange wir hier genug zu tun haben, wird für eine Hochzeit keine Zeit sein.“
„Ja, leider. Und für die anderen auch nicht. Anthony und Edna tragen ebenfalls Verlobungsringe. Bei den Restlichen von uns habe ich noch keine entdeckt.“
„Na ja. Matalina und Tom haben welche. Ich vermute, dass sie eine gemeinsame Hochzeit für uns alle plant. Vielleicht sind die Götter ihrer Idee ja gewogen. Fragen brauche ich meinen Vater sowieso nicht. Er gibt mir eh keine Antwort.“
„Ja. Genauso wie er Lisa verheimlicht hat. Das hatte sie nicht verdient.“ Samuel schnaubte.
Er mochte den Zwilling seiner geliebten Isa, war er doch selbst ein Zwilling. Nur dass ihm seine Schwester fehlte.
Isa kuschelte sich in Samuels Arm. „Ich mache mir Sorgen wegen Lisa. Sie hat keinen Partner. Wie soll sie sich stärken? Dass Layla sie heilt, ist keine Dauerlösung.“
„Hmm. Da weiß ich auch keinen Rat“, gab er zurück.
„Würdest du sie ein Mal von dir trinken lassen? Um zu probieren, ob es bei ihr ebenso so wirkt, wie bei mir?“
„Was?“, er sah sie entsetzt an. „Ich denke nicht. Wir haben keine Ahnung, was das bei ihr bewirken würde. Es könnte ihr vielleicht schaden.“
„Oh. Daran habe ich nicht gedacht. Du hast recht, das Risiko ist zu hoch.“
„Und wenn du deinen Vater um Hilfe bittest? Schließlich hat er das Chaos verursacht, soll er sich doch den Kopf zerbrechen, wie es weitergehen soll.“ Samuel sah sie prüfend an.
„Hm. Auch wieder wahr. Und jetzt würde ich wahnsinnig gerne duschen!“, meine sie und sprang auf.
Isa ging zu den Koffern und legte sie auf den Boden. Anschließend ließ sie die Schlösser aufschnappen und suchte in dem Inhalt herum.
„Wo ist denn nur die Tasche aus dem Bad?“, meinte sie.
„Sag bloß, du hast die stehen lassen? Da war mein Rasierzeug drin!“, Samuels Stimme klang panisch.
„Was denn? Gibt es hier so was nicht? Shampoo, Duschgel, Rasierzeug und so was?“
„Keine Ahnung!“
Samuels Gesichtsausdruck war verzweifelt und Isa musste sich ein Lachen verkneifen. Sie schüttelte den Kopf und trat ins Bad. Nachdem sie das Licht eingeschaltet hatte, ließ sie den Blick schweifen. Und aha! Auf der Ablage in der Dusche standen drei Flaschen. Das würde fürs Erste genügen müssen, Rasierzeug würde sich sicherlich noch finden.
Isa trat zurück in Samuels Zimmer und bedachte ihn mit einem Blick, der besagte: Stell dich nicht so an, alles da!
Dann griff sie ihre Kleider und verschwand erneut im Bad.
Samuel hingegen war nicht so locker. Er saß auf dem Bett und atmete panisch. Wenn er keinen Haarschneider dabei hatte, würden seine Haare zwangsläufig wachsen. Er wusste schon jetzt genau, was das für ihn bedeutete. Samuel würde den Boden unter den Füßen verlieren. Denn sobald sein Haar auch nur einen Zentimeter lang war, erinnerte ihn das mit jedem Blick in den Spiegel schmerzlich an seine Schwester. Ihr Haar war genauso schwarz und gelockt gewesen, wie seines. Und während im Bad das Wasser rauschte, fiel Samuel in seine Erinnerungen hinein.
1860
Nachdem die Königin den Brief geöffnet hatte, bemerkten alle den Geruch. Christine schnappte hörbar nach Luft, ihr Mann Pierre stöhnte auf. Es war der Geruch nach Sophies Blut und er erfüllte den Raum.
Schweigend las die Königin den Brief, anschließend bestellte sie bei der Dienstmagd eine Kutsche. Der Kutscher sollte allerdings von einem der Kämpfer ersetzt werden. Ebenso sollte Samuel sie begleiten.
Und so fuhren Samuel und seine Mutter Christine, zusammen mit dem Kämpfer Jerome, zu dem angegebenen Ort. Pierre war in der Residenz geblieben, einem Zusammenbruch nahe.
Schnell erreichten sie jenes Haus, das in dem Brief erwähnt war. Schon als sie die Kutsche verließen war der Blutgeruch durchdringend. Die empfindliche Nase der drei Vampire füllte sich mit dem Duft, der schwer in der Luft hing. Das Blut war nicht mehr frisch, es war bereits geronnen. Panik stieg in Samuel auf. Sie waren zu spät!
Er stieß Jerome beiseite und lief die Stufen zum Keller hinunter. Schwungvoll warf er sich gegen die Tür, die sich mit einem lauten Krachen öffnete. Der Geruch nach Sophies Blut verstärkte sich - und dann sah er sie.
Samuel fand seine Schwester in einer Ecke des Kellerraumes. Sie war tot. Erkennbar als Vampirin gestorben. Ihre sonst tiefschwarzen Augen waren unnatürlich weiß und weit aufgerissen. Ihre Fänge zu voller Länge aus dem Kiefer ragend, den Mund zum Biss geöffnet. Sophie erschien wie erstarrt.
Ihr Körper war mit unzähligen Verletzungen übersät. Ihr gelocktes, schwarzes Haar war bis in die Spitzen mit Blut verkrustet.
Christine trat in den Raum. Mit einem markerschütternden Schrei brach sie zusammen. Jerome stütze seine Königin und sprach ihr beruhigend zu.
Samuel jedoch hatte weder Auge noch Ohr für die beiden. Alles, was zählte, war seine Zwillingsschwester, die er nun in seinen Armen wiegte. Tränen rannen über sein Gesicht und in seinem Bauch flammte die Wut auf. Jene Wut, die ihn in
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG Texte: Sophie R. Nikolay, November 2010 Alle Rechte vorbehaltenImpressum
Bildmaterialien: Sophie R. Nikolay, Hauptschrift Hourglass: Alphabet&Type - free font, Bild der Frau: Scott Snyder - USA - Bild frei ohne Einschränkungen. Hintergrundbild ebenfalls freigegeben. Quelle: sxc.hu
Tag der Veröffentlichung: 13.05.2011
ISBN: 978-3-7554-1615-9