© 2012 Sophie R. Nikolay
Korrigierte Neuauflage 2022
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Sophie R. Nikolay; Foto der Frau: Vanessa Zanini Fernandes, Brasilien; Hintergrundmaterialien: sxc.hu
Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Für mich.
Weil die vorliegende Geschichte die erste war, die ich je geschrieben habe.
Nach der Auflösung des AAVAA Verlages war das Buch nicht mehr erhältlich. Doch Geschichten sind dazu da, um gelesen zu werden.
Korrigierte Neuauflage 2022.
Sommer 1989
Da lagen sie, die Babys in ihren Wiegen.
Kleine Mädchen, wunderhübsch und friedlich schlafend.
Die vi er Elternpaare standen nebeneinander am Fußende der Bettchen.
Das erste Baby war Edna, geboren an einem strahlenden Sonntag. Im Anschluss daran folgten Layla, Isa und Raven, die jeweils fünf Tage nach der Vorherigen geboren waren.
Voll Liebe blickten die Mütter auf die Mädchen herunter, die zwei Wochen alte Edna rümpfte im Traum die Nase. Die gestern geborene Raven, hatte bisher nichts anderes getan, als Essen und Schlafen.
Die Götter lächelten ob des schönen Anblicks. Einzig Arthemis trug kein Lächeln auf den Lippen.
Vor vier Jahren erst hatte sich die Welt verändert. Die magischen Wesen lebten offen mit den Menschen zusammen. Vampire, Hexen, Elfen, Wandler und Gnome leben nun in Eintracht mit der Menschheit. Welch eine gute Fügung, dass nun kleine Engel geboren waren – um inmitten der verschiedenen Spezies aufzuwachsen.
Wenn ihr einundzwanzigster Geburtstag nahte, wäre es an der Zeit. Die wahre Natur der Mädchen würde sich offenbaren, ihre Körper sollten eine Wandlung durchleben und die Kämpfe beginnen. Das ist es, wozu sie geboren wurden. Die Engel der Elemente fähig ein Element zu beherrschen sowie in sich zu tragen. Gezeugt von einem Gott, ausgetragen von einer menschlichen Frau. Einzig zu dem Zweck, Samael und seinen Dämonen Einhalt zu gebieten. Denn die Welt muss stetig im Gleichgewicht sein!
1
Edna lag in ihrem Bett und schlug die Augen auf. Sie sah auf ihren Wecker, die leuchtenden Ziffern zeigten zwei Uhr achtundfünfzig an. Das war das vierte Mal in dies er Woche. Nach nur drei Stunden Schlaf war sie ganz und gar ausgeruht. Sollte ihre Umwandlung etwa begonnen haben?
Bin ich die Erste?, fragte sie sich. War die Zeit gekommen?
Die Mädchen würden zu vollendeten Engeln werden, um gegen das Böse zu kämpfen. Die christlichen Vertreter auf Erden würden sie ohne Frage nicht als Engel bezeichnen. In deren Augen waren die Mädchen nichts anderes als Nephilim.
Edna dachte an ihren Vater, den Feuergott, den sie niemals gesehen hatte. Wie auch ihre Mutter, die an der Seite des Gottes lebte. Das gleiche galt auch für die Eltern der drei anderen Mädchen. Keine hatte sie in Erinnerung, da die jungen Engel seit ihrem ersten Geburtstag auf Erden lebten. So waren die Mädchen ohne Eltern auf gewachsen. Sie hatten Matalina, ihre herzensgute Amme. Jetzt schien es, als würde Edna die Erste sein, die sich verwandelte.
Sie war nicht aufgeregt, nur gespannt. Wie sehr würde sie sich verändern? Sie war groß für eine Frau, maß einen Meter achtzig. Sehr schlank, eher dürr sogar, weil es an ihr keinerlei Kurven gab. Das Haar leuchtete flammend rot und fiel in weichen Wellen über ihre Schultern. Ihre Haut erschien fast weiß und die Augen leuchteten in einem wunderschönen Grün.
Edna fühlte sich nicht anders … seufz end stand sie auf. Was sollte sie bloß tun? Die anderen drei Nächte hatte sie sich di e Zeit mit Lesen vertrieben. Heute hatte sie jedoch keine Lust zu lesen. Es war drei Uhr morgens und Stille hüllte das Haus ein. Alle anderen schliefen.
Bisher hatte Edna noch keinem gesagt, dass der Schlaf bei ihr weniger wurde. So hatte sie erneut eine Nacht allein vor sich. Sie nahm sich vor, die anderen beim Frühstück einzuweihen. Bald schon konnte sie überhaupt nicht mehr schlafen, denn als Engel würde sie keinen Schlaf mehr brauchen.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und sah durch das große Fenster in die Nacht hinaus. Der Mond stand hoch und war fast voll. Keine Wolke störte den Blick auf di e Sterne, die sich am Nachthimmel ausstreckten. Wie oft Edna den Himmel auch betrachtete, es gab niemals ein Zeichen ihrer Eltern, die auf der göttlichen Ebene weilten. Eine Verbindung aufzunehmen, schien unmöglich. Jetzt wünschte sie sich noch mehr als sonst, ihre Eltern wären bei ihr. Eine so wichtige Phase ihres Lebens schien zu beginnen – doch sie war wie immer allein, wenn man von den Mitbewohnern des Hauses einmal absah.
Wie oft hatten sich die Mädchen ausgemalt, wie es s ein würde, wenn sie vollends zu Engelsgeschöpfen wurden. Sie würden Flügel bekommen und eine besondere Gabe. Jede von ihnen bekam eine andere gegeben von ihren Vätern. Edna trug das Feuer in sich als Tochter des Feuergottes Darragh.
Isa, die Tochter von Arthemis, des Wassergottes, würde das Wasser und das Eis beherbergen. Raven, die Tochter des Erdgottes Kidor, würde folglich dessen Element beherrschen. Dann noch Layla, die Tochter des Luftgottes Oisin sie würde die Luft und das Wetter kontrollieren – in gewissem Maße.
Edna konnte sich noch nicht vorstellen, was genau sie als Engel damit bewirken würden. Sie wusste nur, dass sie zum Kämpfen geschaffen waren. Jetzt saß sie da und starrte in die Dunkelheit, hoffend das di e Zeit schnell verging und der Tag anbrach. Obwohl sie sich selbst als ruhig bezeichnete, in ihrem Inneren rumorte es. Doch wollte sie sich die Spannung, die ihr innewohnte, nicht eingestehen.
Na endlich!, dachte Edna.
Die Standuhr im Haus schlug acht Mal. Sie war schon lange geduscht und angezogen, jetzt ging sie aus ihrem Zimmer und den langen Flur entlang. Auf dieser Etage waren die Schlafzimmer und Bäder der Mädchen. Jede hatte ein eigenes Bad, das sich jeweils auf der linken Seite der Zimmer befand. Ihre Schritte auf dem Teppich im Flur waren nicht zu hören, der dicke Bodenbelag schluckte jegliches Geräusch. Nicht so auf der großen Freitreppe am Ende, gearbeitet aus dunklem und glänzend poliertem Holz. Ihre Hand folgte dem Geländer mit den geschnitzten Sprossen, dabei ließ sie ihren Blick auf di e Eingangshalle gerichtet. Der Boden, mit hellem Marmor belegt, war gänzlich leer.
Edna ging schwungvoll hinunter und hörte, dass Maria in der Küche werkelte. Die war die Hausdame und von Anfang an bei ihnen gewesen. Edna roch den aufgebrühten Kaffee und freute sich auf das Frühstück.
Rasch durchquerte sie die Eingangshalle, am Wohnzimmer vorbei, anschließend in die große Küche, die schön und rustikal eingerichtet war. Alle Schränke waren aus dunklem Holz gefertigt. In der Mitte gab es eine riesige Arbeitsinsel, die mit weißen Fliesen belegt einen schönen Kontrast bot. Darüber hingen Töpfe, Pfannen und allerlei Küchenhelfer. Große Fenster ließen viel Licht in den Raum. Auf der Fensterbank standen Töpfe mit allerlei Kräutern. Maria wuselte geschäftig umher.
„Guten Morgen, Maria“, begrüßte Edna sie.
„Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Edna“, erwiderte diese.
„Ist sonst schon jemand da?“
„Ja, Matalina ist eben heruntergekommen.“
„Gut, danke.“
Edna lächelte, Maria war eine gute Seele. Was immer man wollte, sie gab ihr Bestes. Das Essen und der Haushalt waren ihr Gebiet; wenn man nach etwas suchte, Maria wusste, wo es war. Als Hexe war das keine große Kunst für sie. Allerdings waren ihre Fähigkeiten nicht sehr ausgeprägt, weshalb sie sich eine Anstellung in einem Haushalt gesucht hatte. Zumindest hatte sie den Mädchen das erzählt.
Edna ging durch die Halle ins Speisezimmer und begrüßte ihre Amme.
„Guten Morgen, Matalina.“
„Hallo Edna. Du siehst nervös aus.“
Edna lächelte nur, drückte Matalina einen Kuss auf die Wange und setzte sich zu ihr an den Tisch. Gleich darauf kam Maria herein und brachte den Kaffee. Alles andere war schon da. Der Tisch war üppig gedeckt, sodass es wie bei einem Frühstücksbuffet in einem Hotel aussah.
Aus dem Flur war kurz darauf Geplapper zu hören. Es dauerte nicht lange, da kamen Isa und Raven in den Raum. Unterschiedlicher konnten die beiden nicht sein. Isa hatte blondes Haar, das ihr bis in die Hälfte des Rückens fiel. Ihre Augen waren blau wie der Himmel an einem Sommertag. Raven hingegen hatte pechschwarzes, kinnlanges Haar und dunkelbraune Augen. Beide waren etwa gleich dünn, so wie sie all e. Raven war allerdings etwas größer als die anderen Mädchen.
Die bei den waren lautstark am Überlegen, wo sie heute hingehen sollten.
„Guten Morgen, ihr Plappertanten!“, rief Edna ihnen zu. „Wie es scheint, habt ihr gut geschlafen. Ihr solltet mit der Diskussion warten, bis Layla da ist.“
„Hallo Edna, hallo Matalina, hallo Maria!“, sagten die zwei wie aus einem Mund.
„Nun setzt euch erst einmal und frühstückt. Der Tag ist noch lang, ihr habt noch genug Zeit zum Überlegen.“
Matalina sah die beiden streng an. Zumindest, was man bei ihr streng nennen konnte. Matalina besaß ein ruhiges Wesen, schließlich war sie eine Elfe. Die langen gelockten Haare schimmerten wie das Herbstlaub eines Waldes. Das hübsche Gesicht ebenmäßig, mit einem stets ruhigen Ausdruck. So rasch brachte sie nichts aus der Fassung. Wie es allen Elfen und anderen Magischen zu eigen war, hatte auch Matalina ein junges Aussehen. Sie erschien wie Mitte dreißig, dabei war sie bereits einhundertsechsundfünfzig Jahre alt.
„Also gut. Dann warten wir noch auf Layla. In der Zwischenzeit können wir ja schon Kaffee trinken.“
Raven setzte sich und nahm sich ein Croissant. Isa zog einen Schmollmund und setzte sich dazu.
„Wie du meinst“, entgegnete sie mürrisch.
Edna konnte nur mit dem Kopf schütteln. So hübsch wie Isa war, genauso zickig konnte sie auch sein. Immerzu wollte sie bestimmen, wohin sie gehen sollten. Was im Übrigen bei vielen anderen Dingen ebenfalls so war, Isa gab gerne den Ton an.
Währenddessen kam Layla lächelnd herein. Sie war genauso groß wie Edna und hatte eine wunderschöne braune Lockenmähne. Dazu stachen graue Augen aus ihrem zarten Gesicht hervor. Obendrein war sie genauso dürr, wie die anderen.
„Na du, auch schon wach?“, neckte Raven sie.
„Sicher doch. Ich habe im Bad etwas länger gebraucht“, gab sie zurück.
„Wir haben auf dich gewartet. Wir sind uns mal wieder uneinig darüber, wo wir heute Abend hingehen sollen“, Raven grinste.
Edna lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah alle der Reihe nach an.
„Da jetzt alle hier sind … ich hätte euch noch was zu erzählen.“ Matalina blickte auf und sah Edna forschend an.
„Was gibt’s denn Interessantes?“, fragte Isa.
„Nun ja“, Edna sah erneut alle nacheinander an. „Ich habe heute Nacht nur drei Stunden geschlafen.“
„Was denn, und du meinst das wäre ein Zeichen?“, fragte Raven.
„Ich denke schon“, gab sie zurück. „Es war schon das vierte Mal
diese Woche.“
Nun lächelte Matalina. „Ich denke, das ist eindeutig. Es geht los mit der Verwandlung.“
„Ich war mir nicht sicher, deshalb habe ich gewartet. Ich wollte nicht voreilig Unruhe stiften“, meinte Edna.
„Nein, ist schon gut“, gab Matalina zurück. Damit stand sie auf und verließ lächelnd den Raum. Edna sah ihr verwundert nach.
„Wenn du jetzt weniger schläfst, steht das im Zusammenhang mit deinem Geburtstag nächste Woche“, rätselte Layla.
„Ja genau. Was heißen würde, wir sind jetzt alle so weit. Wo wir doch alle innerhalb der nächsten Wochen Geburtstag haben“, er klärte Isa, und sah zu Edna rüber.
„Und das würde heißen, dass wir tatsächlich mit einundzwanzig zu richtigen Engeln werden. Ich kann‘s noch gar nicht glauben. Da warten wir nun schon so lange darauf und jetzt geht‘s ernsthaft los.“
„Noch ein Grund mehr heute Abend so richtig einen drauf zu machen!“ warf Raven in die Runde.
Sie aßen ihr Frühstück zu Ende und einigten sich darauf am Abend ins 24th7 zu gehen. Wie der Name sagt, hatten sie vierundzwanzig Stunden jeden Tag auf. Der Club gehörte einem Vampir Namens Cal. Er kannte die Mädchen von Kindesbeinen an, und sie waren allzeit herzlich willkommen bei ihm. Seit ihrem achtzehnten Geburtstag gingen sie in den Club zum Tanzen, denn vorher hatte Cal es ihnen nicht erlaubt. Wer sich allerdings vormittags in dem Club tummelte, war für Edna schon immer ein Rätsel.
Es war Isas Lieblingslokal, weshalb sie meistens darauf bestand, dorthin zu fahren. Im Übrigen war es auch das einzige Lokal, das Matalina ihnen erlaubte.
2
Während sie zum Trainingsraum gingen, waren sie lautstark am Schwatzen. Sie trainierten im Keller des Hauses. Eigentlich war es kein richtiger Trainingsraum. Zumindest nicht, wie man sich einen vorstellte. Es war im Grunde nur ein Gewölbekeller mit einer sehr hohen Decke, dessen Boden teilweise mit Matten ausgelegt war. Weiterhin gab es noch ein paar Geräte, einen Boxsack und ein Trampolin. Nebenan gab es einen kleinen Raum, den sie wie ein Klassenzimmer nutzten. Ihr Training war sowohl körperlich als auch geistig angelegt, denn alle Sinne mussten angesprochen werden.
Tom, ihr Trainer, war hart aber gerecht. Er konnte jede beliebige Form annehmen, von Lebewesen und Gegenständen. Er gehörte zur magischen Art der Wandler. Sein schwarzes mittellanges Haar lag allzeit lockig und wild um den Kopf herum. Das Gesicht erschien kantig und maskulin, was sein Dreitagebart noch unterstrich.
An der Schläfe besaß Tom ein Tattoo, in Form einer liegenden Acht, das Zeichen der Wandler. Auch an der rechten Schulter und am Unterarm hatte er Tattoos, verschnörkelte Zeichen. Er sagte, es wären sehr alte Schriftzeichen, doch was sie bedeuteten, wollte er ihnen nicht verraten. Er bewohnte die restlichen Kellerräume, denn im Haus war es ihm zu unruhig. Sein Unterricht war nicht nur anstrengend, er war ebenso witzig, je nachdem, in was er sich wandelte. Er brachte die Mädchen immer wieder zum Lachen, wenn das Training nicht gut lief.
Als die Mädchen unten ankamen, wartete er bereits.
„Guten Morgen, die Damen!“, rief er ihnen entgegen. „Hab‘ schon gehört, Edna. Jetzt geht’s los. Na dann machen wir heute mal eine Gesprächsrunde. Jetzt solltet ihr doch erfahren, was mit euch und euren Körpern genau passiert.“
Er setzte sich auf eine der Matten und klopfte neben sich.
„Setzt euch mal her, ich erkläre es euch. Es gibt einiges, was ihr noch nicht wisst. Wir wollten bis zum letzten Moment warten mit der ganzen Story.“
„Na dann leg mal los“, sagte Raven erwartungsvoll und setzte sich neben ihn.
Die anderen drei setzten sich im Halbkreis dazu.
„Als Erstes die Veränderung des Körpers“, begann Tom. „Die letzte Nacht, in der ihr Schlafen könnt, ist die der Verwandlung. Eure Formen werden viel weiblicher. Ihr seid alle vier knabenhaft dünn. Diese Änderung spürt ihr nicht, denn es passiert im Schlaf“, meinte er und sah sie der Reihe nach an. „Ich denke, ihr braucht eine neue Garderobe!“
Die Mädchen kicherten.
„Na das dürfte sich nicht allzu schwierig gestalten – wir lieben einkaufen!“, sagte Layla zwinkernd. „Solange wir später nicht wie ein Walross aussehen.“
„Quatsch, ich sagte weiblicher, mehr Kurven“, Tom wackelte mit den Augenbrauen. „Weiter. In dieser Nacht werden sich außerdem eure Flügel formen, doch das wusstet ihr ja. Sie bleiben normaler weise im Rücken verborgen. Wenn ihr sie braucht, könnt ihr sie entfalten. Wir werden das gemeinsam üben und ihr werdet es bestimmt schnell lernen, die Kontrolle über die Flügel zu bekommen.“
„Woher weißt du das, wir sind doch die einzigen Engel, oder?“, fragte Layla ihn.
„Ja, ihr seid di e Einzigen. Trotzdem ich werde euch nicht auf die Nase binden, woher ich alles weiß. Ihr kennt mich, ich bin viel rumgekommen in der Welt. In fast vierhundert Jahren bekommt man einiges zu sehen. Außerdem haben mich eure Väter als Trainer ausgesucht, da sollte ich ohne Frage Bescheid wissen“, gab er ihr zur Antwort.
Layla nickte bloß.
„Zurück zu euch. Ihr wisst, dass ihr eine Gabe habt. Die Kraft wird am Tag der Verwandlung da sein. Die müsst ihr allerdings nicht trainieren. Ihr könnt eure Kräfte instinktiv einsetzten.“
„Das ist beruhigend. Ich hatte schon Angst, dass ich aus Versehen jemanden in Stein verwandeln würde“, Raven sah erleichtert aus. Die Erde war schließlich ihr Element.
„Das Wichtigste hat euch noch keiner gesagt. Ihr werdet einen Mann finden, der euer Partner sein wird. Jede von euch hat einen vorherbestimmten Partner, der euch zur Seite steht. Im Kampf und im Leben. Ihr bezieht eure Kraft aus ihm. Da ihr nicht mehr schlafen werdet, muss die Kraft anderweitig – sagen wir – aufgeladen werden. Eure Väter haben für jede von euch den passenden Mann ausgesucht. Sie wurden auf euch geprägt, was jedoch keiner von ihnen weiß. Ihr werdet euch gegenseitig erkennen, wenn es an der Zeit ist.“
„Ich fasse es nicht! Soll ich mit einem Kerl zusammen sein, weil mein Vater es so will? Einen, den er ausgesucht hat? Ich suche mir später lieb er selber einen!“ Edna war total entrüstet, die anderen sprachlos.
Sie saßen da, mit offenem Mund, und sagten kein Wort. Danach kamen sie aus ihrem Schockzustand zurück und feuerten Fragen auf Tom. Er versuchte alle, so gut er konnte zu beantworten.
Sie verbrachten noch Stunden mit diesem ‚Frage – Antwort – Spiel‘. Selbst das Mittagessen ließen die Mädchen aus, Maria hatte ihnen stattdessen ein paar Snacks in die Halle gebracht. Am späten Nachmittag hatte Tom genug.
„Ich habe in den letzten Jahren nie so viel reden müssen, wie heute. Meine Zunge ist schon ganz taub. Für heute ist Schluss!“
Er stand auf, wandelte sich in eine Standuhr, die kurz darauf
Punkt fünf Uhr schlug.
Die Mädchen kicherten, das war ein eindeutiger Rauswurf. Wandler wären die perfekten Spione nicht zu erkennen als Möbelstück!
„Er hat recht, wir sollten gehen“, meinte Edna. Sie stand auf und die anderen taten es ihr nach. In ihrem Bauch grummelte es ihr Kopf brummte wegen der Dinge, die sie erfahren hatten. Soweit waren ihre Vorstellungen nicht gegangen. Nun musste Edna sich mit der Situation abfinden. Wie die anderen.
„Findet ihr es ebenso unvorstellbar, dass wir demnächst alle einen Mann haben sollen?“, fragte Layla, als sie gemeinsam den Trainingsraum verließen.
„Ich weiß nicht, doch mir steht nicht der Sinn danach“, Raven schüttelte den Kopf.
„Ich habe bis heute noch nicht mal einen geküsst!“, sagte Isa entrüstet.
„Ich auch nicht!“, kam es im Chor von den anderen zurück.
„Ich dachte, wir sollen für das Gute kämpfen und nicht heiraten“, meinte Layla und zog zweifelnd di e Stirn kraus.
„Warten wir ab. Es werden bestimmt keine schlechten Kerle sein!“ Raven zwinkerte den anderen zu. „Also, ich weiß nicht, was ihr macht, aber gehe jetzt duschen und mache mich fertig für den Abend!“ Damit drehte sie sich um, verschwand tänzelnd die Treppe rauf.
„Ich glaube, wir sollten dasselbe tun. Treffen wir uns in einer Stunde in der Halle? Bis dahin ist Raven bestimmt fertig.“ Isa sah die anderen an und bekam ein allgemeines Nicken als Zustimmung.
„Dann bis gleich“, sagte Edna. Sie fühlte sich, als habe ihr jemand einen Hammer vor die Stirn geschlagen. Sternchen tanzten in ihrem Kopf, so wild rasten die Gedanken durcheinander.
Wie vereinbart trafen sie sich in der Eingangshalle wieder. Horbin, ihr Fahrer, wartete vor der Tür. Ein Gnom wie er im Buche steht. Trotz seiner geringen Körpergröße von nur einem Meter zwanzig, was für ein Gnom groß erschien, war er ein guter Fahrer. Oben drein noch ein sehr schneller. Raven sagte ihm, wo sie hinwollten. Die Fahrt in die Innenstadt von Berlin dauerte gut zwanzig Minuten, da ihr Haus in Falkensee lag. Schön ruhig gelegen. Welch ein Glück, denn die Bevölkerungszahl hatte sich seit der Revolution der Magischen auf knapp vier Millionen Einwohner erhöht. Das war 1985 gewesen, nur ein paar Jahre vor der Geburt der werdenden Engel.
Die Mädchen redeten die ganze Fahrt über. Das Thema des heutigen Tages ließen sie aus. Keine wollte das ansprechen, was ohne Frage allen durch den Kopf ging. Zumindest beschäftigte Edna sich noch immer mit den Dingen, die Tom ihnen erzählt hatte. Sie wusste nicht, ob sie sich über das erworbene Wissen freuen sollte oder ob sie lieb er unwissend geblieben wäre.
Das Gespräch der Mädchen war belanglos. Das änderte sich nicht, bis sie an ihrem Ziel angekommen waren. Der Club lag an der Oranienburgerstraße und war bereits gut gefüllt. Layla ging sofort zur Tanzfläche. Sie liebte es zu tanzen. Edna und Raven wollten inzwischen einen freien Tisch suchen.
Isa ging zuerst zu Cal. Sie klopfte kurz an seine Bürotür, öffnete und steckte den Kopf hinein.
„Hallo Cal.“
„Hallo Isa, es ist immer eine Freude dich zu sehen.“
Sie erzählte Cal, was ihr auf der Seele lag. Im Anschluss daran lief sie herunter, um nach Raven und Edna zu suchen. Die beiden hatten einen Tisch in der Ecke gefunden und die Kellnerin war gerade da.
„Ich möchte einen Sunrise, bitte“, sagte sie zu ihr und setzte sich zu den anderen an den Tisch.
„Wo wart du?“, fragte Raven.
„Ich war zu Cal, schnell Hallo sagen.“
„Na dann“, sagte Raven und zuckte mit den Schultern.
„Du weißt, ich mag ihn. Es gibt nicht so viele schwule Vampir e; er hat etwas an sich, das ihn so … besonders macht.“
Cal kannte die Mädchen schon lange, und Isa hing außerordentlich an ihm. Matalina war eine gute Freundin von Cal, weshalb die Mädchen ihn kennengelernt hatten.
„Da muss ich dir recht geben“, stimmte Edna zu.
„Er ist wie ein großer Bruder, den wir nicht haben. Wir sind noch nicht mal Schwestern, vielleicht so was wie Cousinen. Und das auch nur, wenn man davon ausgeht, dass unsere Väter Brüder sind“, ergänzte Isa.
Edna ließ den Blick schweifen. Cal hatte einen guten Geschmack. Der Club war schön eingerichtet. Gleich, wenn man hereinkam, sah man auf die Bar, welche an der gegenüberliegenden Wand war. Daneben der Hinterausgang. Der Platz dazwischen war mit Teppichboden ausgelegt und mit Tischgruppen versehen. Links an der Wand gab es gepolsterte Bänke, jeder Tisch war mit einer Trennwand von den anderen abgeschirmt. Ging man nach rechts, kam man auf die Tanzfläche. Sie nahm etwa die halbe Grundfläche des Clubs ein. Quer darüber verlief der Treppenaufgang zu Cals privaten Räumen und dem Büro des Clubs. Unter der Treppe, an der rückwärtigen Wand, waren die Waschräume untergebracht.
Cal hatte für die Einrichtung einen modernen Stil gewählt, dabei viel Chrom und Glas verwendet. Die Beleuchtung war indirekt, an den Wänden sowie den Bodenleisten waren kleine Lämpchen angebracht, die ein warmes Licht ausstrahlten. Es war gerade hell genug, als dass man es nicht mehr als düster bezeichnen konnte. Die Einrichtung und die Musik waren sicher die Hauptgründe, warum so viele Leute herkamen. Es war einfach ein Club zum Wohlfühlen. Außer dem ein sicherer, denn es gab immer vier Sicherheitsmitarbeiter, die alles im Blick hatten. Zudem hatte Cal einen guten DJ eingestellt, der einen abwechslungsreichen Mix spielte. Mal modernen Pop, dann wieder Oldies und auch Stücke, zu denen man klassisch tanzen konnte. Gerade spielte er einen Rock ‘n Roll aus den sechziger Jahren.
Die Mädchen blieben bis elf Uhr. Horbin brachte sie sicher nach Hause zurück. Dort gingen sie alle gleich in ihre Zimmer. Ednas lag neben dem von Layla, und das Bad grenzte an ihre Wand. Sie hörte, dass Layla die Dusche aufdrehte.
Kein Wunder, bei dem Tanzstil!, dachte Edna amüsiert. So verschwitzt würde ich mich auch nicht schlafen legen.
Sie zog sich ein Nachthemd an. Wie viel e Tage sie wohl noch schlafen könnte? Sie hatte keine Ahnung, niemand konnte ihnen sagen, wie lange die Wandlung dauern würde. In drei Tagen war ihr Geburtstag und sie freute sich darauf. Maria machte einen herrlichen Geburtstagskuchen, den es auch wirklich nur an den Geburtstagen gab.
Edna wollte nicht mehr nachdenken und schlug die Decke von dem großen Himmelbett zurück. Sie hatte sich das Bett zu ihrem achtzehnten Geburtstag gewünscht und sie liebte es. Gefertigt war es aus massivem Eichenholz, mit großen Pfosten an den Ecken und einem Baldachin aus weinrotem Samt. Dazu gehörte eine Tagesdecke aus demselben roten Stoff. Bezogen war es mit weißem Leinen. Edna kuschelte sich in ihr Kissen und schloss die Augen. Es konnte nicht lange dauern, bis sie erneut aufwachen würde. Damit behielt sie recht.
Edna sah auf ihren Wecker halb drei. Wieder nur drei Stunden geschlafen. Sie blinzelte, entgegen ihrer Gewohnheit lag sie auf dem Bauch und sie merkte sogleich, warum. Sie konnte auf ihrem Rücken die Flügel spüren, sie lagen entfaltet da und kitzelten sie. Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf und schaltete mit zittern den Händen das Deckenlicht ein. Sie ging zu dem großen Spiegel neben der Kommode und glaubte kaum, was sie darin sah.
Bin das immer noch ich?
Die Flügel ragten hinter ihr heraus. Strahlend weiß und schimmernd wie Samt. Die Ränder waren geschwungen und liefen nach unten leicht schräg aus. Edna wackelte ein wenig mit ihnen und sie bewegten sich lautlos.
Also, wie Engelsflügel sehen die aber nicht aus!, dachte sie. Zumindest nicht, wie sie auf Bildern aussahen mit Federn und so. Vorsichtig fuhr sie mit der Hand an den rechten Flügel. Sie spürte die Berührung, als würde sie ihre Haut anfassen.
Unglaublich!
Die samtene Oberfläche war weich und warm.
Danach betrachtete sie den Rest von sich. Ein Glück, das sie ein leichtes Nachthemd angezogen hatte – ein rückenfreies – denn ein anderes wäre wohl zerrissen. Der Stoff spannte sich über ihre Brüste, die jetzt viel größer waren. Edna schätzte gut zwei Körbchengrößen mehr.
Ihr Bauch war noch flach, ihre Hüften waren jedoch breiter geworden. Sie drehte sich etwas und sah, dass ihr Po viel runder wirkte. Vorher war er kaum vorhanden gewesen und jetzt reichte der Saum des Seidenhemdchens nicht mal mehr bis an die Schenkel, so rund war ihr Hintern geworden. Ohne Frage war es aber ein wirklich kurzes Nachthemd!
Noch immer konnte sie kaum glauben, dass sie es geschafft hatte. Ihre Hände zitterten unentwegt und ihr Herz klopfte schnell in der Brust. Edna hatte, wie di e anderen, so lange auf di esen Moment gewartet und jetzt? Fasziniert sah sie sich an, lächelte ihrem eigenen Spiegelbild zu.
Tom hatte recht gehabt. Sie waren alle sehr knabenhaft gebaut, und jetzt? Sie sah aus wie eine richtige Frau, wie in Hochglanzmagazinen. Wahnsinn! Ihr gefiel es, wie sie jetzt aussah. Selbst wenn es ihr ungewohnt erschien und sie sich erst einmal an das neue Ich gewöhnen müsste.
Edna versuchte sich darin, die Bewegung der Flügel zu verstehen. Erst schlug sie die Seiten wiederholt aneinander, dann streckte sie die Flächen weit aus. Im Grunde genommen war es mühelos sie zu bewegen, so als hätte sie ein paar Arme mehr. Nur mit dem Einfalten wollte es nicht so recht klappen. Edna bekam si e nicht in sich hinein. Also übte sie weiter den Schlag.
Nach einiger Zeit, es dämmerte draußen schon, hob sie das erste Mal vom Boden ab. Sie schwebte etwa auf Kniehöhe über ihrem Teppich und lachte laut auf.
Ist das ein schönes Gefühl!
Die Freude durchfuhr ihren gesamten Körper und überschwemmte sie mit Glückshormonen. Sie konnte sich nach allen Seiten bewegen und blieb trotzdem in der Luft. Frei und schwerelos kam Edna sich vor und sie war stolz auf sich.
Ohne Vorwarnung ging ihre Zimmertür auf und Layla platzte herein.
„Ich habe auch nur …“, begann sie. „Wow! Das ist ja irre!“, rief sie laut.
Edna kam auf den Boden zurück und umarmte sie.
„Ich hab‘s geschafft! Ich kann fliegen!“
„Hab‘s gesehen. Du bist verwandelt! Lass dich mal ansehen.“ Layla befreite sich aus der Umarmung und trat etwas zurück.
„Hey, du siehst ja richtig scharf aus!“
„Na, ich darf doch sehr bitten!“ Edna schaute sie gespielt empört an.
„Also, wenn ich du wäre, dann würde ich mal dieses etwas zu kleine Nachthemd gegen andere Sachen eintauschen.“
„Würde ich ja, aber ich bekomme diese Dinger nicht in den Rücken zurück. Daher habe ich ein wenig geübt. Und nun ist schon so viel Zeit vergangen. Weshalb bist du eigentlich schon auf?“, sie sah Layla fragend an.
„Ich konnte auch nur drei Stunden schlafen, das wollte ich dir eigentlich gerade erzählen. Ich war total aufgekratzt vom Tanzen gestern, ich konnte erst nicht einschlafen. Deshalb habe ich bis zwei Uhr gelesen und war jetzt, um fünf, wieder wach. Und da ich wusste, dass du auch wach bist, kam ich rüber.“
„Willkommen im Bunde.“
„Die wievielte Nacht war das jetzt bei dir? Die Verwandlung war ja schneller da, als ich erwartet habe.“
„Die Fünfte. Die vier Nächte vorher habe ich auch je drei Stunden geschlafen, wie heute. Nur, dass ich heute eben SO aufgewacht bin.“ Sie zeigte mit den Händen an ihrem Körper entlang.
„Und was ist mit deiner Kraft? Schon getestet?“
„Nein, das habe ich mich nicht getraut.“
„Jetzt das Wichtigste … wie fühlt sich das an?“, Laylas Blick durchbohrte Edna regelrecht.
„Sehr gut, ehrlich. Irgendwie … erwachsen? Ich kann es nicht er klären“, ratlos sah sie an sich herunter.
„Soll ich mal nachsehen, ob Tom unten ist? Er kann dir sicher mit den Flügeln helfen.“
„Das wäre nett von dir. Ich suche in der Zwischenzeit was raus, dass ich drüber anziehen kann. So muss er mich nicht unbedingt sehen.“
Layla ging aus dem Zimmer und Edna durchsuchte ihren Schrank. Sie probierte alle Hosen aus, keine passte mehr. Edna bekam sie nur bis an die Oberschenkel, dann war Schluss.
Na toll, dachte sie bei sich.
Ganz hinten, im obersten Fach, fand sie schließlich eine ausgeleierte Trainingshose. Die konnte sie überstreifen, welch ein Glück. Ein T-Shirt war unmöglich, also blieb es bei dem Nachthemd.
Layla kam mit Tom im Schlepptau zurück.
„Sieh sie dir an, ist das nicht irre?“, jubelte Layla.
Er kam mit ins Zimmer und schloss die Tür. „Hammermäßig! Was siehst du sexy aus! Und deine Flügel, einfach wunderschön.“ Ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Bewunderung und ehrliche Freude waren ihm deutlich anzusehen – wie auch ein schimmerndes Glitzern in seinen Augen. Tom kam auf Edna zu und umarmte sie.
„Meinen Glückwunsch“, sagte er dann.
„Ähm, danke für das Kompliment. Mein Geburtstag ist aber erst Montag. Und bitte, keine Anspielungen, kein Interesse! Du hast uns schon genug geschockt mir der Geschichte von dem ominösen Partner.“
Tom war zwar ein eindrucksvoller Mann, doch Edna wollte nicht, dass er sie derart betrachtete, mit leuchtendem Blick. Eben wie ein Mann, nicht wie ein Familienmitglied.
„Entschuldigung, ich bin halt auch nur ein Mann und habe meine Meinung geäußert. Außerdem seid ihr für mich wie kleine Schwestern, also keine Angst. Und gratuliert habe ich zur neuen Edna, nicht zum Geburtstag.“
„Oh. Könntest du mir bitte erklären, wie ich diese Dinger wieder in mich rein quetschen soll? Ich möchte mir gern etwas anziehen. Also … etwas anderes anziehen.“
„Sicher. Das ist leicht. Zieh deine Schultern etwas rauf, spann sie an und dann mach so, als wenn du die Flügel flach zusammenschieben willst. Schulterblätter zusammen, Brustkorb raus.“
Sie probierte es und schwupp, waren die Flügel weg.
„Na das war ja wirklich simpel. Ich hab‘s nicht hinbekommen. Dafür bin ich aber schon durch mein Zimmer geschwebt.“
„Das hört sich gut an. Komm nach dem Frühstück runter in den Trainingsraum, dann können wir üben.“
„Abgemacht. Und jetzt verschwinde ich im Bad – sofern ich noch etwas Passendes zum Anziehen finde.“
„Ich gehe auch wieder rüber, denn im Schlafanzug gehe ich gewiss nicht Frühstücken“, bemerkte Layla.
Die beiden verließen das Zimmer, und Edna stand wieder vor ihrem Schrank. Einen BH konnte sie gleich streichen, von ihren würde keiner mehr zugehen. Geschweige denn passen. Sie suchte ein T-Shirt hervor und eine Sweatjacke. Wenn sie schon mit der Trainingshose vorliebnehmen musste, konnte der Rest genauso gut sportlich sein. Eine andere Wahl hatte sie schließlich nicht. Zum Glück trug sie am liebsten Boxershorts, denn die würden bestimmt noch passen, wenn auch etwas enger.
Anschließend ging sie unter die Dusche. Ihr Körper fühlte sich fremd unter ihren Händen an, sie musste sich erst daran gewöhnen. Wie gut, dass sie mit diesem Problem nicht allein dastehen würde. Da es Samstag war, hoffte sie, dass trotzdem all e zeitig beim Frühstück sein würden. Nach dem Training mit Tom musste sie wohl erst mal Einkaufen fahren. Mit der neuen Garderobe hatte er recht behalten.
Edna war gespannt auf die Reaktion der anderen und ging lächelnd nach unten.
3
Natürlich waren alle begeistert, als sie Edna im Speisezimmer sahen. Sie war als erste da gewesen und hatte gewartet. Alle beglück wünschten sie. Layla hatte bereits ausgerechnet, wenn es bei ihr auch nur fünf Tage dauern sollte, wäre sie am Mittwoch verwandelt. Layla war deutlich nervös und rutschte andauernd auf ihrem Stuhl herum. Sie konnte es vermutlich kaum erwarten, auch ein richtiger Engel zu sein.
Die anderen beiden schliefen so normal wie bisher, so war bei ihnen keine Prognose möglich.
Als Edna mit dem Essen fertig war, sie hatte ungewöhnlich viel gegessen, machte sie sich auf den Weg zu Tom. Sie trainierten allein in der Halle. Die anderen hatten frei, schließlich war Wochen ende. Zwei Stunden lang probten sie, Flügel rein, Flügel raus, schweben und Parcours fliegen. Zum Glück hatte Edna, einer Eingebung folgend, das Nachthemd wieder übergestreift. Als Unterhemdersatz anstatt BH, denn das T-Shirt musste sie zum Üben ausziehen. Sie hätte sonst halb nackt vor Tom gestanden und das wäre ihr doch zu peinlich gewesen.
Als sie das erste Engel Training beendet hatten, machte sich Edna auf den Weg, um Layla zu suchen. Sie wollte mit ihr in die Stadt fahren. Raven und Isa hatten keine Lust, sie hatten vor, im Garten in der Sonne zu liegen. Edna fand Layla im Wohnzimmer, wo sie auf dem Sessel lümmelte und las.
„Fertig. Wir können fahren.“
„Na das wurde ja auch Zeit, ich langweile mich hier.“ Sie sprang auf. „So, dann gehen wir mal einkaufen. In dem Schlabberlook da gewinnst du nämlich keine Preise“, grinste Layla frech.
„Na warte, dir blüht das auch noch!“
„Nee, ich werde mir heute schon was Neues zum Anziehen besorgen. Die ungefähre Größe kann ich ja bei dir schätzen.“
Sie brachen auf und Horbin fuhr mit ihnen zu allen Läden, in die sie gehen wollten. Bald schon war der Kofferraum vollgestopft mit Tüten. Es war alles dabei, von der Unterwäsche über Jeans bis zu Shirts, die alle an den Schultern großzügig ausgeschnitten waren. Sie hatten sogar ein paar Kleider und Röcke ausgesucht. Layla hatte sie erst dazu überreden müssen. Denn als richtige Frau sollte sie auch weiblich angezogen sein, hatte sie gesagt.
Zum Glück mussten sie sich über Gel d keine Sorgen machen, ihre Mütter waren alle mehr oder weniger wohlhabend gewesen. Dieses Geld gehörte jetzt ihnen, und Matalina kümmerte sich um die Verwaltung dessen.
Horbin brachte sie nach Hause. Schmunzelnd beäugte der Gnom die Ausbeute des Einkaufs. Auf seine Hilfe mussten die beiden aber verzichten. So schleppten sie di e ganzen Tüten und Taschen allein in Ednas Zimmer.
„Ich glaube, du solltest erst einmal einen Karton besorgen, um die alten Sachen wegzupacken.“
„Das ist eine gute Idee, sonst habe ich keinen Überblick mehr. Außerdem werde ich wohl nie wieder in die Kleider reinpassen.“ Edna ging über den Flur, am Ende war ein kleiner Abstellraum, in dem die Reinigungsutensilien aufbewahrt wurden. Sie wusste, dass dort noch die große Kiste vom neuen Staubsauger stand, und nahm ihn mit in ihr Zimmer. Layla half ihr, den Schrank auszuräumen.
„Und wohin jetzt damit?“
„Ich weiß nicht, ich frage später Maria. Wir schieben ihn jetzt erst einmal da in die Ecke.“
„Und packen di e schönen, neuen Sachen in den Schrank. Ich kann‘s kaum erwarten, für mich was Neues zu besorgen.“
„Wird schon, kein Stress bitte. Und da du nicht wissen kannst, wie sehr du dich veränderst, kannst du noch nicht shoppen gehen“, neckte Edna sie.
„Ist mir klar. Sonst hätte ich heute schon eine Menge gekauft. Der kleine Laden mit der Unterwäsche hatte es mir angetan. Da gab es so viele schöne Sachen, alles sehr weiblich.“ Sie wackelte mit ihren Augenbrauen und grinste.
„Du bist unmöglich, weißt du das?“
Edna lachte laut auf und doch musste sie Layla recht geben. Hatte sie doch selbst ein paar hübsche Garnituren ausgesucht. Da sie nun von Körbchengröße A zu C gewachsen war, hatte das Aussuchen umso mehr Spaß gemacht.
Sie sah Layla durchdringend an. „Du willst wohl das neue Playmate des Jahres werden, oder wie?“
„Ach nee, aber man kann sich ja ruhig ein bisschen hübsch verpacken, oder? Da wir diesem ominösen Mann begegnen sollen, der uns vorherbestimmt ist ... Da will ich nicht unbedingt in Omas Unterwäsche stecken, wenn es so weit ist“, sagte Layla und grinste anzüglich.
„Damit hast du wieder recht. Auch wenn ich es nicht gern zugebe. Und ... der kann sich auch ruhig noch Zeit lassen, mit seinem Auftauchen!“
Gemeinsam packten sie die neuen Sachen aus und sortierten sie im
Schrank ein.
„Danke, dass du mitgekommen bist. Allein hätte es überhaupt nicht so viel Spaß gemacht“, erklärte Edna.
Layla legte ihr die Hand auf di e Schulter. „Aber gerne doch. Ich fand‘s lustig. Wir können das gerne wiederholen, doch dann kaufen wir für mich ein!“
Den Rest des Tages verbrachten sie mit den anderen im Garten. Die nächsten Tage gingen rasch vorüber, alle mit extra Trainingseinheiten für Edna.
Ihr Geburtstag am Montag war sehr schön gewesen. Die Überraschungsparty ein voller Erfolg, denn damit hatte keiner gerechnet. Cal hatte nicht kommen können, er war verhindert gewesen. Edna hatte stattdessen durch einen Boten ein hübsches Armband geschickt bekommen.
Zum ersten Mal war bei Edna kein Schwindel aufgetreten, obwohl sie viel Sekt getrunken hatte. Die anderen drei hatten nicht so viel Glück, waren sie doch am darauffolgenden Morgen übel gelaunt und klagten über Kopfschmerzen. Matalina, Tom sowie der Rest des Haushaltes, hatten nur ein Glas Sekt zum Anstoßen getrunken und klugerweise danach zu Alkoholfreiem übergegangen.
Dann kam der Mittwoch. Layla hatte richtig geschätzt. Als sie aufstand, war sie verwandelt. Sie stürmte sofort in Ednas Zimmer.
„Edna, sieh mich an! Sieh dir das an! Ich glaube es nicht! Die Flügel sind hinreißend und meine neuen Brüste erst!“, rief sie total aufgeregt und wedelte mit ihren Armen herum.
„Aber Hallo, immer langsam. Du siehst doch fast genauso aus wie vorher – nur mit kleinen Änderungen, so wie bei mir.“
„Ja, aber nur fast. Meine Flügel sind cremefarben und nicht so weiß wie deine und meine Brüste kommen mir vor wie Melonen! So als hätte ich vorher überhaupt keine gehabt.“
„Aha, sag mal, warum hast du nur ein Handtuch an?“
„Na ja, ich habe doch nur Schlafanzüge. Da ich gehofft hatte, dass die Verwandlung heute Nacht ist, habe ich erst gar keinen angezogen. Er wäre doch nur kaputt gegangen, deshalb habe ich nackt geschlafen.“
„Ist ja reizend – ein nackter Engel!“, meinte Edna und prustete los.
„Hattest du nicht extra schon was Größeres gekauft? Das könntest du doch anziehen“, fragte sie, als sie sich beruhigt hatte.
„Oh! Stimmt ja, bin gleich wieder da.“
Layla drehte sich um und verschwand so flink, wie sie im Zimmer aufgetaucht war. Edna starrte kopfschüttelnd auf die Tür. Es dauerte nicht lange, bis Layla erneut da war. Diesmal mit einer Stoffhose und einem Tanktop bekleidet.
„Wie du siehst, habe ich gut aufgepasst, als Tom dir erklärt hat, wie man die Flügel einklappt. War wirklich nicht schwer.“
„Wenn man es weiß, ja.“
„Ich bin so neugierig auf meine Kraft, glaubst du, ich kann es alleine wagen, etwas zu probieren?“
„Ich weiß nicht. Tom war bei mir immer dabei. Ich habe nichts Großartiges gemacht, nur solche Sachen wie Kerzen anzünden und den Kamin anfeuern. Hat alles funktioniert, ein großes Feuer habe ich mich allerdings noch nicht getraut. Aber ich kann sehr gut schmieden, das liegt mir.“
„Was? Wo schmiedest du denn? Doch nicht im Haus? Mir ist das bisher nämlich nicht aufgefallen“, meinte Layla und machte große Augen.
„Nein, doch nicht im Haus. Draußen in der Scheune, Tom hat mir die Feuerstelle gezeigt. Da war bisher immer ein Rolltor davor, des halb hatte ich die noch nicht gesehen. Außerdem bin ich nie gerne in die Scheune gegangen“, sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe mir zwei Kurzschwerter gemacht. Jetzt brauche ich noch die Haltegurte, damit ich sie für den Kampf umschnallen kann.“
„Ist ja Wahnsinn, zeigst du sie mir mal?“
„Klar.“
Edna ging zu ihrem Kleiderschrank und holte die Schwerter heraus. Leicht errötend hielt sie ihre Waffen hoch.
„Siehst du, schön kurz. Ich finde, sie passen zu mir.“
„Die sehen ja super aus! Würdest du mir auch etwas schmieden?“
„An was hattest du gedacht? Ich mache dir gerne eine Waffe, sie wird nützlich sein.“
„Na ja, ein richtiges Schwert. So wie im Mittelalter, ein langes. Das kann ich mir gut vorstellen“, Layla stellte sich in Pose und schwang ein imaginäres Schwert durch die Luft.
„Okay.“
Sie beobachtete, wie Layla sich bewegte, und merkte sich die Armbewegungen und die beste Länge für das Schwert.
„Ich fange heute Mittag damit an, gleich muss ich noch mit Tom trainieren – du wahrscheinlich auch“, sagte Edna lächelnd.
„Jetzt verschwinde ich mal im Bad, bis zum Frühstück ist nicht mehr lange hin.“
Sie legte ihre Kurzschwerter zurück in den Schrank und suchte sich was zum Anziehen heraus.
„Gut, das sollte ich auch tun“, sagte Layla und verließ Ednas Zimmer.
Edna duschte ausgiebig und cremte sich ein. Mittlerweile gefiel ihr der neue Körper sehr gut. Sie fühlte sich wohl in ihrer Haut, so als wäre sie nie anders gewesen. Obwohl sie jetzt so weiblich geformt war, hatte sie noch immer keinerlei Körperbehaarung. Ihre Achseln waren so glatt wie ein Babypo. Ebenso ihre Beine, die Scham und sogar die Arme waren unbehaart.
Nachdem sie sich angezogen hatte, bemerkte sie, dass es schon fast acht war. Sie ging hinunter und begrüßte zuerst Maria in der Küche. Nach dem Frühstück ging sie zu Tom, um das Training fortzusetzen. Heute begann auch Layla damit zu lernen, wie man Flügel bewegen musste. Edna konnte schon nach einer Stunde aufhören. Die Dusche sparte sie sich und lief direkt in die Scheune, um das Schwert für Layla zu beginnen.
4
Als Matalina vor etwas mehr als zwanzig Jahren in dieses große Haus gekommen war, wurde sie herzlich begrüßt. Die Götter der Elemente und ihre Partnerinnen vertrauten ihr das höchste Gut an, das sie hatten. Ihre kleinen Töchter.
Die vier kleinen Mädchen, gerade ein Jahr alt, waren die Hoffnung aller. Matalina schloss sie sofort in ihr Herz und die Mädchen schienen es zu spüren. Die kleine Edna patschte mit ihren Händchen auf Matalinas Wangen und kuschelte sich anschließend in ihren Arm. Nach fünf Minuten war die Kleine bei ihr eingeschlafen.
Darragh trat zu ihr und legte seine Hand auf das Köpfchen der Kleinen. Daraufhin sah er Matalina mit Entschlossenheit im Blick an.
„Du bist ein Wesen reinsten Herzens, Matalina. Aus diesem Grund fiel unsere Wahl auf dich. Du wirst gut sein zu unseren Mädchen. Führe sie, sodass sie starke Frauen werden.“
Matalina erwiderte s einen Blick, obwohl es normalerweise nicht gestattet war, den Göttern in die Augen zu sehen. Doch er sollte die Ehrlichkeit in ihren Worten auch in ihrem Blick lesen können.
„Herr, seid gewiss. Ich sorge für die kleinen Engel, als seien sie mein eigenes Fleisch und Blut.“
Der Gott des Feuers nickte.
„Es ist Zeit, Abschied zu nehmen“, sagte er schließlich.
Die Götter und die Frauen küssten ein letztes Mal ihre kleinen Mädchen mit Tränen in den Augen. In der Folge lösten sie sich nacheinander auf, um auf di e göttliche Ebene zu wechseln. Leider konnten sie nur sehr kurze Zeit auf Erden verweilen.
Matalina stand im Wohnzimmer des Hauses und hielt die schlafende Edna im Arm. Die drei anderen Mädchen saßen auf dem Bo den, inmitten all der Dinge, die sie mitgebracht hatten. Spielsachen in einem großen Korb und vier Weidentruhen, die sicherlich die Kleidung der Mädchen enthielt.
In diesem Moment trat Maria in den Raum. Matalina hatte die herzensgute Haushälterin bei ihrem letzten Besuch in dem großen Haus kennengelernt. Das lag bereits fünf Monate zurück. Die Frau lächelte sie an.
„Ich freue mich, dass di e Wahl der Götter auf Sie gefallen ist. Und die größte Freude ist, dass dieses Haus jetzt mit Leben gefüllt wird. Meine Herrin, Sofia, hat hier immer all ein gelebt, seit ihre Eltern verstorben waren. Und seit auch sie gegangen ist, um bei den Göttern zu leben, sind alle Zimmer des Hauses leer.“
„Ich danke Ihnen, Maria. Bitte sagen Sie einfach Matalina zu mir. Ich möchte nicht, dass wir es so förmlich halten.“
Die Hausdame nickte.
„Sollen wir die Sachen der Mädchen zu den Zimmern bringen? Ich habe alles vorbereitet“, erklärte Maria.
„Oh! Können wir denn die drei hier auf dem Boden sitzen lassen?
Nicht, dass ihnen etwas geschieht.“
Maria lächelte. Anschließend zauberte sie ein Gitter aus ihren Händen, welches ein großes Quadrat von etwa zwei auf zwei Meter maß. Dieses platzierte sie vorsichtig um die Mädchen herum, die sich mit dem Spielzeug amüsierten.
„Jetzt kann ihnen nichts passieren. Und für eine kurze Weile wird es schon gehen. Die Mädchen sind ja beschäftigt.“
Danach nahm sie die erste Korbtruhe. „Zuerst in Ednas Zimmer? Dort kann sie in dem Bettchen weiterschlafen“, fragte Maria.
„Ja, anschließend kann ich mit den anderen Sachen helfen.“
Maria zog eine Augenbraue nach oben, sagte aber nichts. Schließlich ging sie voran. Durch die schöne Eingangshalle, die dunkle Treppe hinauf. Im Flur der ersten Etage blieb sie vor der zweiten Zimmertür stehen, stellte den Korb ab und öffnete die Tür.
Matalina war erstaunt. Maria hatte wirklich alles vorbereitet. Das Zimmer war komplett eingerichtet worden. Babybett, Wickelkommode, Schrank und Regal. Über dem Gitterbett hing ein großes Mobile mit Blumen und Schmetterlingen, die täuschend echt aussahen. Die Wände waren zartrosa gestrichen.
Vorsichtig legte Matalina die schlafende Edna in das Bett und deckt e sie mit der ebenfalls rosafarbenen Decke zu.
„Jedes Zimmer hat ein Bad“, erklärte Maria und öffnete eine Nebentür im Raum.
Matalina trat zu ihr und staunte erneut. Ursprünglich war dieses Badezimmer nicht für die Bedürfnisse kleiner Kinder ausgerichtet. Alle Keramik war weiß und hatte eine ansprechende Eleganz. Die Armaturen waren hochglänzend poliert, an der Decke hing eine Kristallleuchte, der große Spiegel zeigte geschliffene Randverzierungen. Auf dem Fußboden, der mit weißen Mosaiksteinen belegt war, lag ein dicker Badeteppich.
Unter dem Waschbecken stand ein Trittschemel, der offensichtlich aus einem Babyfachmarkt stammte. In der Duschkabine stand eine kleine Wanne. Matalina sah fragend zu Maria.
„Leider hat keines der Bäder eine Badewanne. Doch sicherlich ist dies ausreichend, denn wenn die Mädchen erst etwas älter sind, können sie ja auch duschen.“
„Maria, es ist alles wundervoll. Wenn du die anderen Räume auch so eingerichtet hast, ist es mehr als ausreichend.“
Die Hausdame lächelte, war sie doch über das unerwartete Lob erfreut. Ihre Herrin Sofia hatte nie ein Wort des Lobes für sie übriggehabt. Sie war eine sehr beherrschte Frau und im Allgemeinen äußerst schweigsam gewesen.
Maria ging zu dem kleinen Schränkchen, das in der Ecke stand.
„Ich habe hier einige Pflegeprodukte, wenn etwas fehlt, dann besorge ich es noch.“
Matalina hatte einen Blick in den Schrank geworfen und es schien wirklich alles da gewesen zu sein, was man brauchte. Von der Bürste, über das Shampoo und verschiedene Cremes.
„Danke, Maria. Lass uns die anderen Sachen heraufbringen. Ich möchte die Mädchen nicht so lange alleine lassen.“
„Oh, ja. Natürlich“, stimmte sie zu und löschte das Licht im Badezimmer, als sie hinausgingen.
„Wir lassen die Tür geöffnet, dann höre ich, wenn Edna aufwacht“, hatte Matalina im Flur zu ihr gesagt.
Anschließend gingen sie hinunter, um nach den Mädchen zu sehen und die anderen Truhen in die richtigen Zimmer zu bringen.
Die kleinen Engel waren noch friedlich am Spielen. Matalina hatte nie vermutet, dass Einjährige sich so miteinander beschäftigen konnten.
„Matalina nimmst du bitte die linke Truhe? Sie gehört Layla und ihr Zimmer ist das Erste oben im Flur.“
„Ja, gerne. Woher weißt du eigentlich, wem welche Sachen gehören?“
„Ich spüre es“, war ihre Antwort gewesen.
So waren alle Dinge der kleinen Engel nach oben gebracht worden. Die Zimmer der Mädchen waren alle ähnlich eingerichtet, mit kompletter Ausstattung. Gestrichen waren sie jedoch in unterschiedlichen Pastelltönen.
„Ich räume di e Kleidung später in die Schränke, jetzt sollte ich zuerst etwas zu Essen kochen. Was magst du, Matalina?“
„Oh, ich bin nicht anspruchsvoll. Doch ich mag nicht gerne Fleisch, es ist wider meine Natur.“
Maria zeigte ein verständnisvolles Lächeln. „Ich möchte trotzdem für unseren ersten Abend hier im Haus etwas Besonderes kochen. Magst du Fisch?“, wollte sie dann wissen.
„Ja. Fisch ist in Ordnung. Ich werde dir helfen bei der Arbeit in der Küche. Die Mädchen müssen sicherlich auch noch ein Abendessen haben.“
Maria nickte. Eine Antwort gab sie nicht.
Das war der einzige Tag gewesen, an dem Maria die Hilfe von Matalina angenommen hatte.
5
Noch zwei Hammerschläge, dann war das Schwert fertig. Edna legte den Hammer beiseite und tauchte das Schwert zum Kühlen. Sie war total fertig, Schweiß glänzte auf ihrer Haut. Das Shirt, welches sich eng an ihre Kurven schmiegte, war klatschnass. Die stramm sitzende Jeans war geschwärzt vom Ruß der Kohlen.
Die Haare hatte sie hochgebunden, damit sie nicht verbrannten. So wie sie jetzt dastand, di e Hände in di e Hüften gestemmt, zufrieden mit ihrer Arbeit, nass geschwitzt und ein Lächeln im Gesicht, war sie der Traum einer jeden Männerfantasie.
Ihr war es egal, ihr Interesse an Männern war so ziemlich gleich null. Den ominösen vorbestimmten Partner hatte sie noch nicht gefunden. Es waren auch gerade erst zwei Wochen vergangen, seit sie zum Engel geworden war. Und außer zum Einkaufen waren sie auch noch nicht in die Stadt gefahren, wie sollte sie da auch jemanden kennenlernen?
Sie nahm das Schwert und polierte es mit Öl. Layla würde sich freuen, es war wirklich wunderschön geworden. Damit bekam sie nun ihre Traumwaffe. Doch bevor Edna zu ihr gehen konnte, brauchte sie erst mal eine Dusche. Also lief sie rauf in ihr Zimmer, warf ihre Kleider in den Korb und stieg in die Kabine. Sie drehte das Wasser auf und stellte sich direkt darunter. Das kalte Wasser war angenehm auf ihrer Haut, die vom Schmieden so erhitzt war. Die Arbeit mit dem Feuer machte ihr nichts aus, ganz im Gegenteil. Edna liebte es, schließlich war das Feuer ihr Element. Sie duschte im Schnellverfahren, zog sich an und ließ die Haare nass. Seit ihrer Verwandlung waren sie schöner, wenn sie an der Luft trockneten. Anschließend nahm sie das Schwert und ging zu Laylas Zimmer. Kurz klopfte sie an, öffnete die Tür und trat ungebeten ein.
„Es ist fertig!“, rief sie aus und hielt das Schwert hoch. Layla warf ihr Buch beiseite und sprang vom Bett auf.
„Wow, es ist ja noch schöner, als ich es mir vorgestellt habe! Und es ist schneller fertig geworden, als ich gedacht hatte.“
„Ich habe mich von meinem Gefühl leiten lassen. Nimm es und probiere mal ein paar Schwünge.“ Edna hielt ihr das Schwert hin.
„In Ordnung“, sagte Layla zögernd.
Sie nahm das Schwert entgegen, als wäre es aus Glas und könnte jeden Moment bersten.
„Nicht so zimperlich. Es gehört dir.“
„Es fühlt sich toll an in meiner Hand“, sie schwang es ein paar Mal, „es ist, als wäre mein Arm plötzlich verlängert. Gar nicht wie eine Waffe, eher als würde es zu meinem Körper gehören.“
„Ich denke, das sollte bei einer guten Waffe so s ein“, meinte Edna und lächelte sie an.
„Weißt du was, lass uns heute tanzen gehen. Zur Feier des Tages. Jetzt bin ich ausgerüstet wie eine richtige Kämpferin!“
Layla wackelte mit den Augenbrauen und machte ein schelmisches Gesicht. „Außerdem bin ich es leid, mir hier jede Nacht um die Ohren zu schlagen. Seit zwei Wochen langweilen wir uns gut, ich fünf Tage weniger, weil Raven noch nicht so weit ist. Wenn wir noch nicht zum Kämpfen losziehen dürfen, können wir genauso gut tanzen gehen.“
„Da stimme ich dir zu. Komm, wir fragen die andern, ob sie mit gehen wollen“, gab Edna zurück.
Layla legte ihr Schwert auf die große Kommode, di e neben der Tür stand. Sie strich noch einmal über die Klinge und warf dann die Tür hinter ihnen beiden zu.
Zusammen gingen sie hinunter ins Wohnzimmer, wo sich Raven und Isa einen Film ansahen.
„Hallo ihr beiden“, sagte Layla, als sie in den Raum kamen. „Edna hat mein Schwert fertiggemacht. Zur Feier des Tages wollen wir heute Abend tanzen gehen. Kommt ihr mit?“
Isa zog eine Grimasse. „Ich kann nicht, Tom hat mir eine Extrarunde Flügeltraining verordnet. Ich muss gleich runter.“
Sie hatte ihre Verwandlung erst vor vier Tagen, mit den Flügeln kam sie noch nicht besonders gut zurecht.
„Ich bleibe auch lieber hier. Vielleicht werde ich ja heute Nacht verwandelt“, erklärte Raven leise.
Sie war die letze im Bunde, die noch auf die Verwandlung wartete, und konnte es kaum erwarten. Doch wenn man nach der Fünftageregel ging, wäre sie morgen wie die anderen.
„Tja, Edna. Dann müssen wir zwei uns wohl allein vergnügen. Ich werde mich noch ein bisschen aufbrezeln … bis später.“ Sie warf den anderen eine Kusshand zu und ging.
„Ich glaube, ich muss jetzt erst noch einen Happen essen. Mal sehen, ob Maria in der Küche ist“, sagte Edna mehr zu sich selbst, als zu den anderen beiden.
In der Küche war niemand. Edna durchforstete den Kühlschrank und suchte sich einige Dinge raus. Da waren noch ein Teller Nudeln vom Vortag, ein wenig Milchreis, zwei Pfannkuchen und ein Hühnerbein. Das sollte genügen, daher schlug sie di e Kühlschranktür wieder zu.
Edna aß alles, sie hatte neuerdings einen riesigen Appetit. Ob das nun von der Verwandlung kam oder von der Anstrengung beim Schmieden, sie wusste es nicht. Sie fühlte sich pudelwohl. Ganz so, als wäre sie jetzt erst richtig in ihrem Körper angekommen. Auch wenn das eigenartig klang.
Nach dem Essen ging sie nach oben, um sich umzuziehen. Layla würde sicher etwas überaus Tolles anziehen, und da wollte sie auch nicht mit Jeanshosen gehen. Sie suchte sich den roten Rock raus, der ihre Haare so schön zur Geltung kommen ließ. Dazu ein weißes Top mit tiefem Ausschnitt. Sexy ja, aber nicht vulgär. Sie mochte ihre neue Figur und zog sich für heute Abend gerne etwas Hübsches an. Bisher hatte Edna noch nicht viel Gelegenheit gehabt, sich etwas Schickes anzuziehen. Eigentlich gar keine.
Sie benutze kein Make-up, fand es unnatürlich, daher war sie fertig für den Abend und ging hinunter. Im Wohnzimmer wartete sie auf Layla.
Eine ganze Stunde saß Edna auf dem Sofa, bis Layla endlich fertig war. Aufgebrezelt traf es in der Tat. Sie hatte ihre Lockenpracht hochgesteckt und sich in ein knallenges silbernes Glitzerkleid hineingezwängt. Es klebte auf ihr wie eine zweite Haut und die Farbe betonte ihre grauen Augen vortrefflich. Sie sah aus, als käme sie direkt vom Cover eines Männermagazins gesprungen.
„Glaubst du nicht, das ist etwas übertrieben?“, fragte Edna sie mit einem leicht zweifelnden Ton.
„Nee, könnte ja sein, dass mir mein Mr. Right über die Füße läuft“, Layla machte ein unschuldiges Gesicht, „man sollte auf alles vorbereitet sein. Los. Lass uns fahren.“
Edna betrachtete Layla eingehend. Sie schien richtiggehend darauf zu warten, dass ihr der vorherbestimmte Mann über die Füße lief. Edna nahm an, das hatte vor allem mit dem neuen Körper zu tun, den sie jetzt hatten. Das Gefühl, jetzt wirklich eine Frau zu sein. Das neue Selbstwertgefühl, verursacht durch die Tatsache, dass sie jetzt zu wahren Engelsgestalten geworden waren. Doch war das ein Grund, gleich
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Sophie R. Nikolay, Mai 2010
Bildmaterialien: Sophie R. Nikolay; Gesicht: Vanessa Zanini Fernandes - Brasilien, Genehmigung erteilt.
Tag der Veröffentlichung: 13.05.2011
ISBN: 978-3-7554-1616-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für mich.
Weil das mein Erstlingswerk ist.