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Chapter 1


Nur langsam gewann Kira das Bewusstsein zurück.

Was war passiert? Und wo war sie und warum zum Geier taten ihr alle Knochen weh? Diese und andere Fragen schwirrten im Kopf der 17Jährigen durcheinander. Vorsichtig versuchte sie die Augen zu öffnen doch alles was sie erkennen konnte war die Decke der Flugzeugkabine über sich.

Wie ein Film liefen ihre Erinnerungen vor ihrem geistigen Auge ab.
Sie war auf dem Weg zur Abschlussreise ihrer Klassenfahrt, der Flug nach Amerika war sehr holprig gewesen und immer wieder musste der Pilot Umwege fliegen um nicht mitten durch ein Unwetter zu steuern. Doch langsam war ihnen der Sprit ausgegangen und der Pilot musste Notlanden. Sie wusste noch dass es einen heftigen Knall gegeben hatte und sie ein reißendes Geräusch gehört hatte. Irgendwas hatte sie am Kopf erwischt und ab da war ihre Erinnerung Schwarz wie die Nacht bei Neumond.

„Lucy?“, rief sie panisch als sie sich bewusst wurde das die Maschine wohl eine ziemliche Bruchlandung gemacht hatte.
„Lucy, wo bist du?“, schrie sie schon halb hysterisch als sich etwas einige reihen weiter vorne regte.

„Schrei nicht so, ich hör dich doch Kira! Scheiße mein Schädel!“, fluchte sie unschön.

Doch Kira, die mittlerweile versuchte sich aus ihrem Gurt zu befreien, liefen Tränen der Erleichterung über ihr Gesicht. Ihre Schmerzen verdrängte sie gekonnt, immerhin gab es schlimmeres als ein paar Kratzer und mehr hatte sie bisher nicht an sich feststellen können.

Als sie sich endlich befreit hatte, kletterte sie über alles Mögliche – was genau sich unter oder neben ihr befand, darüber wollte sie nicht nachdenken. Erleichtert strahlte sie ihre beste Freundin an: „Himmel, ich war noch nie so froh dich zu sehen!“
Nachdem sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte, half sie auch Lucy sich aus ihrem Gurt zu befreien. Diese war noch immer ziemlich durch den Wind und so klärte Kira sie über die Geschehnisse auf an die sie sich erinnern konnte.

„F… verdammt! Was zum Henker? Wo sind wir?“, keuchte Lucy als sie einen Ausweg aus dem Rumpf der Maschine gefunden hatte und sich das erste Mal draußen umsahen.
Auch Kira sah sich geschockt um. Sie waren wohl inmitten eines Waldes runtergekommen. Und soweit das Auge reichte sahen sie nur Bäume und Wald.
Langsam entfernten sich die beiden Mädchen vom Wrack. „Meinst du es hat noch jemand außer uns überlebt?“, fragte Kira ihre Freundin.

Warum passierte sowas ausgerechnet ihr? Nicht genug damit, dass sie zuhause wirklich ununterbrochen stress mit ihrer Kontrollsüchtigen Mutter und ihrem saufenden Bruder zu tun hatte, NEIN jetzt saß sie auch noch mitten in der Wildnis fest ohne Aussicht auf Rettung und alles was ihrer besten Freundin einfiel war: ob noch andere überlebt hatten.
Wirklich Toll!

„Lucy, meinst du nicht auch das es schon schwer genug wird hier zu zweit einen weg rauszufinden?“, fragte sie genervt.
„JA aber das sind doch unsere Freunde Kira!“, entrüstete sich das blonde Mädchen.

„Lu, was meinst du wie das ablaufen soll mit den ganzen Möchtegern Barbies? Da kommen wir nie hier raus. Und wenn einige der Machos überlebt haben gibt es auch nur gezackte!“, knurrte sie.

„Glaub mir ohne diese Affen sind wir besser dran.“
Auch wenn Lucy nicht wohl bei dem Gedanken war nicht einmal nach den anderen zu sehen, verstand sie was ihre Freundin meinte. Sie wusste das Kira ihre Klasse nicht leiden konnte und die anderen sie auch nicht.
„Und was hast du jetzt vor? Ich meine, du hast gesagt das es unwahrscheinlich ist das uns hier irgendwer sucht. Aber im Fernsehen sagen sie immer man soll an der Unfallstelle bleiben, besonders wenn man sich nicht in der Gegend auskennt. Und da wir definitiv keine Ahnung haben wo wir sind, was machen wir jetzt?“, fragte Lu mit piepsiger Stimme.
„Ich weiß das man eigentlich am unfallort bleiben soll aber ich halte es nicht in der Nähe der Leichen aus, besonders nicht wenn die teile anfangen zu verwesen und zu stinken und bei den Temperaturen kann das bald soweit sein.“, erklärte sie ihre eigenen Beweggründe.

„Ich denke wir sollten nachsehen ob wir was Brauchbares für ein Signal finden und für eventuelle Hilfstrupps einen richtungshinweis geben. Vielleicht gibt es hinter dem Wald eine Siedlung oder wenigstens eine Straße oder sowas, irgendwas wo wir Hilfe bekommen können.“, versuchte sie sachlich zu bleiben und sich ihre Panik nicht anmerken zu lassen.
Kira wusste in der Theorie einiges über das Überleben in der Wildnis, aus Büchern und Filmen hatte sie es gelernt. Doch niemals hatte sie gedacht dieses Wissen jemals zu brauchen.

Sie einigten sich darauf das Lucy außerhalb des Wracks nach nützlichen Dingen suchte, während Kira sich drinnen einen Weg bahnte.

Tief Luftholend kletterte Kira durch den Riss, durch welchen sie hinausgelangt waren, wieder hinein und versuchte sich nicht vom Anblick eines Beines welches unter den Trümmern hervorragte zu Übergeben. Vorsichtig schob sie ihren schmalen Körper daran vorbei und zwängte sich durch einen zerquetschten Bereich.

Sie drehte ihren Körper grade aus dem engen Zwischenraum als sie in die trüben aufgerissenen Augen von Michael Browns, ihrem Tischnachbarn aus Chemie, blickte.
Mit einem erschrockenen Schrei taumelte sie zurück und riss ihre zerschürften Arme vor ihr Gesicht.
Sie wusste nicht was sie erwartet hatte doch egal was es war, es geschah nicht, denn es geschah rein gar nichts. Nach dem sie den ersten Schock überwunden hatte, nahm sie vorsichtig die Arme wieder runter. Ein kalter Schauer rann ihr über den Rücken, als sie sich das grauen vorstellte welches er zum Schluss erlebt haben musste.
Sie hatte ihn zwar niemals gemocht, doch ein Unmensch war sie auch nicht und so legte sie ihre zitternden Hände auf seine Augenlider um diese über die trüben Augen zu schieben.
Langsam und nun noch vorsichtiger, tastete sich ihren Weg weiter.

Es brauchte ihre gesamte Selbstbeherrschung, und die war nicht unbedingt gering, um einen Schritt vor den Anderen zu setzten. Kira stieg über viele ihrer Klassenkameraden und auch der Anblick ihrer, in der Mitte geteilten, Lehrerin blieb ihr nicht erspart.
Würgend musste sie den Blick abwenden.

Wie ein Mantra redete sie mit sich selbst um nicht die Kontrolle über sich selbst zu verlieren und immer wieder sagte sie sich das sie nichts mehr tun konnte und wenn sie jetzt zusammenbrach würden Lucy und sie, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, ebenfalls keine Chance haben.

Sie kletterte über Hunderte von Toten so schien es ihr und ab und zu musste sie zwischen sie greifen um eventuell wichtige Gegenstände an sich zu nehmen. Bei jedem einzelnen entschuldigte sie sich.
Sie hoffte inständig dass es auch am Heck des Fliegers einen Ausgang für sie gab und dass sie nicht erneut diesen Leichenpfad bewältigen musste. Sie war sich nicht sicher ob ihr das gelingen würde.
„Gott sei Dank, ich muss nicht wieder zurück!“, seufzte sie als sie einen schmalen Durchgang im Heck entdeckte und sich sogleich hindurch zwang.

„Lucy? Lucy wo bist du?“, rief sie ihre Freundin als sie den Eisenvogel verlassen hatte. Doch niemand antwortete auf ihr rufen.

Lu würde sich niemals außer Hörweite entfernen, dafür hat sie viel zu viel Angst, schoss es ihr durch den Kopf.

Ungeachtet ließ sie ihre gruslige Beute liegen und begann das Wrack zu umrunden.
Als sie zum ersten Mal die Schnauze des Jumbos sah, fing sie an zu schreien.

Im Sprint rannte sie auf die am Bodenliegende Person zu: „Lucy! Lucy, komm schon das ist nicht witzig! Mach die Augen auf du Miststück!“
Kira kreischte sie an, sie schrie und tobte.

Chapter 2



Doch die Augen Ihrer Freundin öffneten sich nicht und als sie sie von Boden hob spürte sie etwas feuchtes an ihrer Hand, wie in Trance zog sie ihre Hand unter der Freundin hervor und starrte wie paralysiert auf die rote Masse die ihre Hand benetzte.

Geschockt taumelte sie einige Schritte von dem blonden Mädchen weg und fiel anschließend mit einem schrei über einen am Bodenliegenden Ast.
Verängstigt und nun wirklich auf sich allein gestellt, bleib die 17 jährige einige Zeit neben ihrer toten Freundin am Boden sitzen.
Tiefe Trauer breitete sich in Kira aus und ihre Gedanken drehten sich im Kreis.

„Wie soll ich das denn alleine schaffen? Alleine bin ich doch total hilflos, ich meine, ich weiß ja das ich ein Freak ist aber Das? Was soll denn das? Ich weiß doch gar nicht wo ich bin und was ich jetzt machen soll? Ich hab das doch bloß gelesen, ich kann das alleine nicht ich werde jämmerlich verhungern oder einfach gefressen. Ihr könnt mich nicht alleine lassen, doch nicht ausgerechnet mich!“, flüsterte sie verzweifelt in die Stille die diesen Ort umhüllte wie ein Leichentuch.

Bitter musste sie auflachen als ihr der makabere vergleich auffiel.

„Scheiße! Warum ich?“, schrie sie in die Stille doch alles was ihr antwortete war ihr eigenes Echo.

Langsam bahnten sich Tränen ihren Weg über das junge Gesicht und unbändiger Zorn lies Kira aufspringen und alle Sachen in einen Rucksack, welchen sie gefunden hatte, zu stopfen und sich mit langen Schritten der untergehenden Sonne zuwandte.

„Ich mag nur ein Großstadtkind sein, aber mich wird dieser Wald mich verschlucken!“, schwor sie sich und lief so schnell sie ihre Beine trugen immer weiter in Richtung Westen.
Als die Sonne hinter den Bäumen verschwand hatte sie eine Lichtung erreicht, sie stellte ihre Tasche ab und sah sich um.
„Okay Kira! Wir haben sowas zwar noch nie gemacht, aber wenn es Leuten vor uns gelungen ist dann wird es uns auch gelingen einen Unterschlupf zu bauen!“, machte sie sich selbst Mut.

Dann begann sie Starke Äste aus der Umgebung zusammen zu klauben und sich einen Unterschlupf zu bauen. Als sie damit fertig war, hatte sich längst tiefe Dunkelheit über die Lichtung gelegt und Kira robbte in ihre Unterkunft und verschloss den Eingang mit ihrer Tasche, so wie sie es in unzähligen Büchern gelesen und im Fernsehen gelernt hatte.
„So jetzt gibt es noch ein paar Kräcker und dann müssen wir irgendwie die Erste Nacht überstehen und morgen früh sehen wir weiter!“, murmelte sie, während sie einige Kekse aus dem Innern des Rucksacks zu Tage förderte und diese Verspeiste.
Noch nie hatte Kira so genächtigt und das sie keine Angst gehabt hätte, wäre eine glatte Lüge gewesen. Überall bewegte sich das Unterholz um sie herum und ihr blieb nur die Hoffnung das Ihr versteck sie genug schützen würde. Immer wieder erwachte sie durch kleine Geräusche und sah sich aufgeschreckt um. Doch sie war klug genug ihr Versteck nicht zu verlassen. Auch als sie das ferne Jaulen von Wölfen wahrnahm blieb sie ruhig und nur ihr schneller Herzschlag und die hecktische Atmung verriet ihre Angst. Immer wieder striffen Tiere ihr Versteck und jedes Mal zuckte sie zusammen.

Doch auch die schrecklichste Nacht ging einmal zu ende. Und bei Sonnenaufgang kroch sie aus ihrem Versteck um sich wieder auf den Weg zu machen. Dieses Mal mit der Sonne im Rücken.

Den ganzen Tag wanderte sie Richtung Westen und wiedermal war sie dankbar dass ihre Bücherliebe sich nicht auf einen Themenbereich beschränkte und sie dadurch ein zumindest theoretisch immenses Wissen hatte.
„Gott, hat dieser Wald auch irgendwann mal ein Ende?", fragte sie sich als sich die Sonne zum zweiten Mal, seit sie wieder bei Bewusstsein war, gen Horizont senkte und sie den ganzen Tag nichts außer Bäumen und einigen Lichtungen gesehen hatte.
Sie war sich sicher dass sie wahrscheinlich durch eine wunderschöne Landschaft lief, doch hatte sie dafür nicht einen einzigen Blick.

Ihre Gedanken beschränkten sich auf weniges.

„Ich muss Wasser finden, und anschließend was zu essen auftreiben, und irgendwie überleben!“, sagte sie sich immer wieder selbst und machte sich damit selbst Mut.

Leider hatte sie im Flugzeug keine Karte finden können und war eigentlich völlig orientierungslos. Ihr war schon in der letzten Nacht klar geworden, das sie möglicherweise erst durch den gesamten Wald latschen müsste und wenn sie sich umsah war ihr schnell klar das das noch etliche Tage dauern konnte und so war sie darauf angewiesen ihr wissen zu nutzen.

„So hab ich mir den Trip durch Amerika nicht vorgestellt, ganz sicher nicht!“, fauchte sie aufgebracht, sie hatte schnell gemerkt dass ihre Wut ein guter Antrieb war, solange sie ihn kontrolliert einsetzte.
„Ich hab bloß Glück das wir Frühling und nicht Herbst haben.“, dachte sie bei sich und lief weiter nach dem sie sich kurz auf einer Lichtung ausgeruht hatte.

Chapter 3


So wanderte sie Tage. Oder waren es Wochen?

Kira verlor ihr Zeitgefühl in diesem Wald beinah völlig verloren, doch noch immer lief sie in Richtung Westen, immerhin musste dieser bescheuerte Wald doch irgendwo ein Ende haben.
Sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt sich jeden Abend einen neuen Unterschlupf zu bauen, manchmal hatte sie Glück und fand einen leeren Bau in dem sie sich verstecken konnte, doch das hatte enormen Seltenheitswert.

Sie wusste nicht wie lange sie schon durch diesen Wald lief als sie eines Abends von einer Sekunde auf die Andere ein Donnern hörte. „Das Kann nicht sein? Ein Wasserfall?“, fragte sie sich selbst.
Die ganze Zeit nicht ein einziger Fluss und jetzt aus dem nichts ein Wasserfall, wollte sie jemand verarschen? Sicherheitshalber wanderte ihr Blick zum Himmel hinauf.
Nein nach regen sieht der nicht aus, dachte sie sich.
Dann nahm sie sie Beine in die Hand Und rannte dem lauter werdenden Donnergrollen entgegen.
Und wirklich!
Da war ein Wasserfall!
Direkt vor ihr erhob sich eine Klippe und von deren Kante stürzten die Wassermassen in die Tiefe und trafen ungefähr hundert Meter vor ihr in einen Fluss. Sie glaubte sich noch nie so glücklich Wasser zu sehen, endlich etwas dem sie Folgen konnte, denn ihr verstand sagte ihr das Menschen sich immer an Wasserläufen niederließen. Also musste sie nur dem Wasserlauf folgen.
Von Euphorie gepackt sprang sie jubelnd in die Höhe.

Doch viel zu schnell holte ihr scharfer Verstand sie wieder ein. Was wenn der Fluss irgendwo versiegte, oder schlimmer unterirdisch weiterfloss?
Dann musste sie den ganzen Weg zurück laufen oder sich neu Orientieren, der Flusslauf zeigte nach Norden und im Norden wurde es kälter, zumindest ging sie davon aus, da ihr Flug ziel sich auf der Nordhalbkugel befanden hatte und nicht so weit im Süden.
Sollte sie dem Fluss dennoch folgen?

„Das entscheide ich morgen! Heute bleiben wir hier!“, meinte sie zu sich selbst. Sie wusste dass es Unsinn war von sich selbst in der Mehrzahl zu sprechen, doch es hielt sie bei Verstand. Und nur bei klarem Verstand, das wusste sie, hätte sie eine Chance diese Hölle zu überstehen. An diesem Abend ließ sie zum ersten Mal die letzten Wochen Revue passieren.
Langsam bahnten sich Tränen über sie verschmutzen Wangen und leises Schluchzen wurde vom Donnern der herabstürzenden Wassermassen verschluckt. Nun erst wurde ihr richtig bewusst was mit ihren Freunden passiert war und auch wenn sie sich in ihrer Klasse nie richtig wohl gefühlt hatte, würde sie nun einiges dafür geben wenn selbst die dümmste Barbiepuppe bei ihr wäre. In einer endlosen schleife liefen die Gesichter all derer ab, die sie eigentlich nicht hatte leiden können, doch niemals konnte sie die Bösartigkeiten die sie ihnen an die Köpfe geworfen hatte zurück nehmen. Verzweiflung mischte sich in die Hoffnungslosigkeit ihres Blickes und sehnsuchtsvoll dachte sie an ihre Mutter mit der sie sich vor dem Abflug noch gestritten hatte, an den Bruder der meinte sie solle es nicht so schwer nehmen und an ihren Vater der sich extra frei genommen hatte um seine kleine Wildkatze zum Flieger zu geleiten. Sie fragte sich was ihre Eltern wohl grade taten, ob sie vermisst wurde, ob überhaupt jemand nach ihr suchen würde? Alle waren im Flugzeug gestorben und wilde Tiere gab es in diesem Wald zuhauf. Vielleicht hatte man ihren Eltern gesagt sie wäre von Tieren weggeschleift worden?
Immer geringer wurde ihre Hoffnung, immer größer die stumme Verzweiflung. Was sollte sie nur tun?
Mittlerweile taten ihr so unendlich viele Dinge leid.
Dinge denen sie noch nie zuvor Aufmerksamkeit geschenkt hatte, dinge die ihr selbstverständlich erschienen.
Langsam, ohne von Kira bemerkt zu werden, schlich sich die Nacht über die Welt, über ihre momentan grüne Hölle. Erst als das junge Mädchen gelbe Augen auf der anderen Seite des Flusses aufblitzen sah, wurde sie sich der verschlingenden Dunkelheit um sich herum bewusst.
Schnell erhob sie sich und zog sich in eine höhlenartige Vertiefung in der Steilwand zurück und entzündete mit, mittlerweile, routinierten Bewegungen ein Feuer vor dem Eingang.
Im Schein des Feuers fiel ihr heute auch zum ersten Mal auf das ihre, eigentlich rundliche, Körperform veränderte hatte, zum ersten Mal, seit dem Unfall, hatte sie das Bedürfnis sich selbst zu betrachten.
Sie war schlank geworden. Die Natur hatte ihr ihre Gewohnheitspolster abgenommen und ihr einen flachen Bauch und eine harte Muskulatur beschert.
Wahrscheinlich erinnerten nicht einmal mehr ihre Augen an den verschlossenen Bücherwurm, der jeder Konfrontation versuchte aus dem Weg zu gehen.
„Vielleicht bleiben wir hier doch etwas länger und gehen erst später weiter, ich meine: wann haben wir uns das letzte Mal gewaschen und der Wasserfall und der kleine See laden doch grade zu zum verweilen ein und immerhin scheint mich niemand zu vermissen und weiter unten hab ich gesehen das Beeren wachsen, also spricht doch nichts dagegen, oder?“, fragte sie in das knistern ihres Feuers hinein. Und wie zur Bestätigung brach ein Scheit in ihrem Feuer, leise krachend, durch.
So entschied sie sich einige Zeit an diesem wunderschönen Ort Rast zu machen und ihre Kräfte wieder auf zu laden.

Sie verbrachte eine ruhige Nacht in ihrer Ruhestätte.
Den folgenden Tag begann sie mit einem erfrischenden Bad im frischen Wasser des beeindruckenden Schauspiels.
Nach dem sie sich das erste Mal ihrer Körperpflege widmen konnte. Allerdings wurde ihr auch immer stärker bewusst, dass sie hier wohl nicht wieder lebend herausfinden würde, nicht ohne fremde Hilfe. Nicht ohne Kompass oder Karte. Sie wusste nicht mal ob es in der Richtung in die sie seit Tagen marschierte überhaupt Menschen gab. Oder ob sie vielleicht nur wenige Kilometer an einer Siedlung oder ähnlichem vorbeigelaufen war.
Alles was sie wusste war, dass sie allein war und es mehr als genug Raubtiere in diesem Wald gab.
Die Hoffnung auf Rettung schwand immer weiter.
Es war kaum mehr als eine leise Stimme in ihrem Unterbewusstsein davon übrig geblieben. Mit aller Kraft schlug sie ihre Handfläche auf die Wasseroberfläche.

„Nein! Nein, verdammt noch mal! So darfst du gar nicht erst anfangen zu denken! Wir finden einen Weg hier raus und es ist egal wie lange es dauert und ob uns wer vermisst oder sucht! Wir werden überleben, das haben wir doch geschworen! Du darfst jetzt nicht aufgeben Kira! Das Darfst du nicht! Du ziehst das durch! Du hast noch nie was bis zum Ende durchgezogen, wenn Probleme auftraten hast du immer den Schwanz eingezogen. Das wirst du diesmal nicht tun! Hörst du mich? Du wirst nicht aufgeben!“, schrie sie sich selbst an und schlug immer wieder wie von Sinnen auf die Wasseroberfläche ein.
Verzweifelt liefen der 17 Jährigen salzige Tränen der Verzweiflung über das ausgemergelte Gesicht und schließlich sank sie weinend im flachen Wasser auf die Knie und schrie sich den Hals heiser.
Sie wusste, dass sie mit ihrem Geschrei das gesamte Wild der Umgebung verjagt hatte. Doch heute störte es sie nicht, würde sie halt von den Beeren leben, die sie gestern Abend noch gesammelt hatte.
Sie aß etwas und legte sich dann wieder hin. Sie hatte heute einfach keine Kraft dazu ihren Weg fortzusetzen. Vielleicht, so hoffte sie, würde sie ja einer dieser Irren finden die sich sowas zum Spaß antun.
Kira wusste wie gering diese Chance war, aber besser als gar keine Hoffnung.
„Kira, diese Irren, wie du sie jetzt nennst, hast du bewundert. Du hast doch immer an der Glotze geklebt wenn wieder so eine „Überleben in der Wildnis“- Sendung lief. Du wolltest doch schon immer mal probieren ob die ganzen Sachen auch wirklich funktionieren. Bitte jetzt kannst du üben bis du umfällst und anschließend machst du mit einem Buch über diese Scheiße hier ein Vermögen. Is doch eine super Vorstellung, oder?“, fragte sie sich sarkastisch selbst.
Trocken und bitter begann sie zu lachen und erneut griff die Verzweiflung nach ihr.
Doch wusste sie das Tränen ihr nicht helfen würden und Verzweiflung würde bestenfalls ihr Tempo drosseln und sie wollte immer noch hier raus.
Also erklärte sie Selbstmitleid kurzer Hand zum Staatsfeind Nummer eins.

So machte sie sich am folgenden Morgen wieder auf den Weg aus diesem verhassten Wald. Sie setzte ihre Idee, dem Fluss zu folgen in die Tat um und blieb nun in seiner Nähe. Auch wenn Kira nun schneller voran kam, so konnte sie auch am Ende des folgenden Tages noch kein menschliches Leben auf ihrer Sichtungsliste vermerken. Immer häufiger fragte sie sich ob es aus Diesem Wald überhaupt einen Ausweg gab und wenn ja, ob sie den jemals finden würde.

„Scheiße noch eins! Wo sind diese dämlichen Überlebenskünstler wenn man sie brauch? Warum sind die nie da wenn man sie braucht! Fuck!“, fluchte sie wild. Ihr war es egal, denn selbst wenn irgendwer sie hörte, würde der wohl eher nachsehen wer da schimpft wie ein Rohrspatz und sie finden als das er sich das Wild von einer Stimme vertreiben ließe.
Doch natürlich tauchte niemand auf, der sich an ihrer Lautstärke störte.
Sie lief wieder einige Tage an der Seite des Flusses entlang und als sie grade einen großen Stein überwinden wollte, sah sie ein verletztes Tier das unweit vom Eingang einer Höhle zusammensackte.

Erst wusste sie nicht was sie mit ihrer Entdeckung machen sollte, und so blieb die Schülerin versteckt auf ihren Fels gekauert liegen. Das Tier war an einer großen Wunde am Unterbauch gestorben, wahrscheinlich hatte sich das gute Tierchen mit der Größe des Gegners verschätzt und das mit dem Leben bezahlt. Sie wollte grade ihren Platz verlassen und sich die Sache genauer ansehen, als eine Kleinausgabe des Kadavers aus dem Bau tapste.
Das kleine Ding lief, oder besser stolperte, auf das große zu und versuchte wohl eine Regung zu erhalten. Das ganze beobachtend verharrte Kira auf ihrem Aussichtsposten und starrte wie gebannt auf das Schauspiel, welches sich vor ihren Augen abspielte.
Der Winzling gab bei Sonnenuntergang auf.
Es wusste wohl das es keinen Sinn mehr machte, doch alleine wäre das kleine wohl innerhalb weniger Stunden jemand anderem vor die hungrige Schnauze gelaufen und das konnte Kira einfach nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren.
Sie hatte mittlerweile erkannt, dass es sich bei dem ausgewachsenen Tier wohl um die Mutter gehandelt haben musste und auch, dass sie wohl den Bau eines Pumas, es gab ja nichts ungefährlicheres, gefunden hatte.
Sie kletterte aus ihrem Versteck und wurde sofort von der kleinen Katze angefaucht.
Sie wusste, dass auch diese kleinen Kerle schon verdammt scharfe Krallen und Zähnchen hatten.
„Vielleicht hab ich je doch noch Glück in dieser Einöde.“, dachte sie und näherte sich dem Kleinen vorsichtig.
„Ganz ruhig mein Kleiner. Ich tue dir nichts. Wir könnten doch zusammen versuchen zu überleben, hm?“, redete sie leise, beschwörende Worte um dem Kleinen zu zeigen, dass es von ihr nichts zu befürchten gab.
Langsam schlich sie auf das hilflose Tier zu und als sie dicht genug an ihm dran war machte sie einen gewaltigen Satz und begrub den Pumawelpen erst mal unter sich.
Sie wollte ihm nicht weh tun sondern nur verhindern gebissen zu werden. Also legte sie ihm ihren Gürtel um den schmalen Hals und zog sie Schlaufe zu einem Halsband zusammen. Anschließend befestigte sie ein Stück ihres Seils daran und bastelte sich so eine leine für den Kleinen. Deren Ende wiederum befestigte sie an einem Stein in der Nähe des Höhleneinganges und dann ließ sie den Kleinen los.
Der zischte sofort wieder in den schützenden Bau zurück und kam erst mal nicht wieder heraus.
Kira ließ ihm seinen Willen und baute sich ihr Lager in der Nähe der Höhle auf. Sie begann den toten Puma zu untersuchen, doch bis auf die offensichtliche Bauchwunde und einige Kratzer schien er gesund.
Ihr war bewusst, dass es riskant war Fleisch von toten und speziell von Raubtieren zu essen, doch sie hatte seit einer Ewigkeit, so kam es ihr vor, kein Fleisch mehr zwischen die Zähne bekommen und so begann sie das Tier auszuweiden.

Ihr Hunger war einfach stärker als der Verstand und ihr rationales Denken.

Langsam briet sie die ersten Fleischstücke über ihrem Feuer als eine kleine Schnauze vorsichtig aus dem inneren des Baues heraus guckte.
Sie wusste nicht wie alt das Jungtier war und ob es noch Milch benötigte, wenn dem so wäre würde sie den kleinen nicht verhungern lassen. Wenn nicht, dann würde sie mit ihm teilen.
Es kam ihr makaber vor, vor allem weil sie hier am Feuer grade dessen Mutter verspeiste. Doch das hielt sie nicht davon ab ihm einen kleinen brocken Fleisch hin zu werfen. Vorsichtig schnüffelte der Kleine daran, um es anschließen gierig zu verschlingen und nach mehr zu suchen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 09.11.2011

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