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Als „schön“ konnte man diese Bilder nicht bezeichnen. Knochen und Erde. Alles in braun-beigen Farbtönen. Kommissarin Karina Weber saß in ihrem Büro und studierte die Bilder vom Tatort. Ob es der Tatort war, wusste sie noch nicht. Es war derzeit noch der „Auffindungsort einer weiblichen Leiche“.

Zwischen Tassen mit eingetrockneten Kaffeeresten und halbleeren Mon Cheri-Schachteln lagen die Fotos verstreut. Kaffee und Schokolade waren Karinas Hauptnahrungsmittel, wenn sie einen kniffligen Fall zu lösen hatte. An den zertrümmerten Schädelknochen war deutlich zu erkennen, dass dieser Mensch nicht eines natürlichen Todes starb. Die Leiche lag verscharrt unter einem Apfelbaum, eingewickelt in einen Jutesack. Die Verwesung hatte ihre Arbeit bereits gut erledigt. Mit bloßem Auge war nicht mehr viel von einem Menschen zu erkennen. Ein Job für die Gerichtsmedizin. „Ein bis zwei Jahre lag die Leiche unter der Erde“ war in deren Bericht zu lesen. Das Auftauchen der Leiche war einem Zufall zu verdanken. Wegen des „Feuerbrandes“, einer gefährlichen Baumkrankheit, mussten zahlreiche Apfel- und Birnbäume in der Gegend gerodet und beseitigt werden.

Das Opfer hieß Ann-Kathrin Berger, war 35 Jahre alt, stammte aus wohlhabender Familie und galt seit eineinhalb Jahren als vermisst. Kommissarin Karina Weber war seit einigen Jahren bei der Mordkommission und hatte schon einige schwierige Fälle geknackt. Dieser jedoch war eine harte Nuss. Sie ging den Fall im Kopf nochmals durch. Einziger Tatverdächtigter war der Ehemann der Toten, Julian Berger-Sommer, 36 Jahre alt. Als mehr oder weniger erfolgreicher Schauspieler lebte er recht gut vom Vermögen seiner Frau. Ein Knebel- Ehevertrag hätte ihn nach einer Scheidung finanziell schlecht aussehen lassen. Und er hatte seine Frau dazumal als vermisst gemeldet.

Bei der ersten Befragung beschwörte Julian Berger- Sommer seine Unschuld. Seine Frau sei eines Abends aus dem Haus gegangen. Wohin, wusste er nicht. Er und seine Frau hätten sich nicht immer alles gesagt. Nicht mehr. Als sie bis zum darauf folgenden Mittag nicht zurück gewesen sei, hätte er eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Und seit diesem Tage hätte er seine Frau nie mehr gesehen. Dann brach der Verdächtigte schluchzend zusammen. Als er sich wieder gefangen hatte, sprach er plötzlich von einem Liebhaber, den seine Frau gehabt hätte. Wer? Auch davon hatte er anscheinend keine Ahnung. Und im Umfeld der beiden wusste niemand etwas von einem Liebhaber.
Kommissarin Weber war sich damals nicht sicher, ob er wirklich zusammenbrach oder schauspielerische Talente doch vorhanden waren. Andere Spuren oder Verdächtige waren dünn gesät. Das Grundstück, auf dem die Leiche gefunden wurde, hatte etwa vor einem Jahr den Besitzer gewechselt. Aber weder mit dem aktuellen Besitzer noch mit dem ehemaligen Besitzer gab es erkennbare Berührungspunkte mit der Toten.

Karina nahm das letzte Mon Cheri und ließ es auf der Zunge zergehen. So machte Nachdenken wenigstens Spaß. War der Liebhaber erfunden? Julian Berger-Sommer war Schauspieler. Vielleicht gar kein so schlechter, wie die Klatschpresse meinte? Und dass es in seiner Ehe kriselte, war ebenfalls einschlägigen Magazinen zu entnehmen. Das alles machte den Verdächtigen sehr verdächtig, reichte aber nicht für eine Verhaftung. Noch nicht.

Die Tür zu Kommissarin Webers Büro wurde aufgerissen und herein stürmte ihre Assistentin Sarah. Sie hielt Karina eine Art Heft unter die Nase.
„Was ist das?“
„Das bringt dich vielleicht weiter. Ein Sparbuch ist aufgetaucht.“
„Gib her!“ Karina riss Sarah das Sparbuch aus der Hand und blätterte darin.
Sarah ergänzte: „Lautend auf den Namen Ann-Kathrin Berger, wenige Tage vor ihrem Verschwinden angelegt, mit einem Betrag von 20.000 Euro und ...“, sie grinste.
„Rück endlich raus!“
„Das Losungswort lautet Aaron.“
„Nicht schlecht.“ Karina lehnte sich zurück. „Bring mir bitte einen Kaffee. Und Schokolade. Ich muss nachdenken.“
Was hatten das Sparbuch und das Kennwort „Aaron“ zu bedeuten?
„Sarah, und bestell den Berger nochmals her. Vielleicht weiß er etwas.“
Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Und das am besten sofort.“

War an dem Liebhaber doch etwas dran? Oder hatte der Verdächtige einen eiskalten Mord geplant und das Sparbuch vor dem Mord als Ablenkung eröffnet? War er ein Lügner und brillanter Schauspieler oder sagte er die Wahrheit?

Julian Berger-Sommer saß der Kommissarin gegenüber. Getrennt durch einen einfachen Holztisch.
„Herr Berger-Sommer. Wozu haben Sie ein Sparbuch mit 20.000 Euro angelegt?“
„Was für ein Sparbuch?“ Der Verdächtige schaute die Kommissarin überrascht an.
„Dieses. Mit 20.000 Euro drinnen, lautend auf Ann-Kathrin Berger.“
„Ich verstehe nicht, was das soll. Meine Frau hatte doch selber genug Geld. Wozu sollte ich ein Sparbuch für sie anlegen?“
„Das Sparbuch wurde einige Tage vor dem Verschwinden Ihrer Frau angelegt. Mit dem Losungswort Aaron.“
„Na und? Wer soll das sein?“
„Sagen Sie es mir! Herr Berger-Sommer.“
„Verdammt – ich weeeiiiiß eees niiicht!!!! Lassen Sie mich endlich mit diesem Blödsinn in Ruhe. Ich habe es ihnen doch schon hundertmal gesagt, dass ich mit dem Tod meiner Frau nichts zu tun habe!“
Kommissarin Weber ging nicht darauf ein. „Der Liebhaber ihrer Frau? Hat sie es für ihn angelegt?“
Herr Berger-Sommer wirkte gestresst. Er senkte den Kopf und spielte nervös mit seinen Fingern.
„Oder haben Sie das Sparbuch angelegt? Als Ablenkung?“
Karina stand auf, stützte ihre Hände auf den Tisch und schaute ihn mit beinahe bedrohlichem Blick an.
„Und diesen Aaron haben Sie nur erfunden. Nicht wahr, Herr Berger-Sommer, diesen Liebhaber gibt es gar nicht? Dieses Sparbuch ist nur ein Teil eines genialen Mordplans.“
„Nein, nein, nein!!! Ich war es nicht! Das müssen Sie mir glauben!“
Er schaute die Kommissarin mit seinen großen, stahlblauen Augen an. Was lag in seinen Augen – Unschuld oder Schuld? Konnten solche Augen lügen? Ein Frösteln durchfuhr ihren Körper. Ein Gefühl zwischen angenehm und unangenehm. Julian Berger-Sommer liefen die Schweißperlen in Strömen über die Schläfen. Sein ganzer Körper zitterte. Er war kurz vor einem Zusammenbruch. Genialer Schauspieler und eiskalter Mörder oder Nichts wissender Unschuldiger? Kommissarin Weber konnte diese Frage nicht beantworten. Nicht jetzt. „Sie können gehen. Bitte halten Sie sich zur Verfügung.“

Karina brauchte nun Ruhe, einen Kaffee und einen Berg Schokolade. Zum Nachdenken. Hatte sie etwas übersehen? Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und machte sich an die Durchforstung des Aktenberges. Stunden vergingen. Der Schokoladeberg wurde kleiner. Immer noch keine Spur von „Aaron“. Verdammt, es war wohl leichter, einen Würfelzucker im Bodensee zu finden als diesen Aaron.

Eine Notiz besser gesagt ein Name gewann ihre Aufmerksamkeit. Clemens A. Sattler, der Vorbesitzer des „Leichen-Fund-Grundstückes“. Dieser hatte die Liegenschaft vor etwa einem Jahr verkauft, weil er das Haus seiner Eltern in der Stadt übernommen hatte. Die Anfrage beim Melderegister brachte den vollständigen Namen zu Tage: Clemens Aaron Sattler. Wenn das keine heiße Spur war.

Nun ging alles sehr schnell. Herr Sattler war völlig von den Socken, als er mit den Fakten konfrontiert wurde. Nach mehreren Vernehmungen gab Clemens Aaron Sattler zu, der Geliebte von Frau Berger gewesen zu sein. Ort der heimlichen Rendezvous war immer sein Haus. Ann-Kathrin Berger wollte sich von ihrem Mann scheiden lassen und mit Sattler ein neues Leben beginnen. Clemens Aaron Sattler jedoch wollte die Beziehung beenden. Es kam zu einem heftigen Streit zwischen den beiden. „Ich habe genug Geld und beste Beziehungen, um dich zu ruinieren!“, soll sie ihrem Geliebten gedroht haben. Sattler konnte ihr Geschrei nicht mehr ertragen, nahm eine Holzstatue und schlug zu. Auf ihren Kopf. Immer wieder, bis sie sich nicht mehr regte. Die Leiche verscharrte er unter einem Apfelbaum. Er war sich sicher, diese Frau würde nie mehr auftauchen. Von dem Sparbuch wusste er nichts. Das hatte Frau Berger angelegt.

„Gute Arbeit, Karina.“ Ein bisschen musste man sich selber loben, sonst tut´s ja eh keiner, dachte sich Karina und verschlang die restliche Schokolade.

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Tag der Veröffentlichung: 14.01.2009

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