Cover


Unsanft wurde ich vom schrillen Klingel meines Weckers aus dem Schlaf gerissen,
mürrisch wälzte ich mich in meinem Bett hin und her. Warum musste es schon wieder Morgen sein? Es kommt mir vor als wären die Stunden nur so verflogen als ich von der Spätschicht heim und endlich in mein Bett gekommen bin.
Unweigerlich musste ich lächeln. Warum konnte das ein eigentlich Fremder bei mir auslösen? Augenblicklich schossen die Gedanken zum vorhergehenden Abend und damit auch zu Ihm zurück ….

Es war kurz vor 8, als er den Raum betrat, ich wusste nicht warum, aber die Vorstellung ihn zu bedienen machte mich nervös. Normalerweise komme ich mit diesen Zwielichtigen Typen gut zurecht, mit denen habe ich ja auch genug zu tun, aber er … er war irgendwie anders. Sein Auftreten war voller Selbstbewusstsein, gemischt mit ein wenig Arroganz, sein Anzug saß perfekt und ich fragte mich ob er gerade von einem Geschäftstermin kam. Geschäftsmänner verirren sich nicht oft in diese Spelunke, die meist mit stinkenden, rauchenden und perversen Spinnern gefüllt ist, und ich frage mich oft genug was ich in diesem Job überhaupt suche, aber was tut man nicht alles für ein wenig Geld wenn einen die Eltern kaum noch unterstützen.

Erst jetzt fiel mir auch das ich ihn in Gedanken versunken die ganze Zeit angestarrt hatte, erschrocken blickte ich auf, aber nachdem ich sah wie sein Blick durch das düstere kleine Gasthaus wanderte, fing ich mich wieder. „Kann ich etwas für Sie tun? Möchten Sie etwas bestellen?“: meine Frage klang unsicher und nervös.
Er antwortete gelassen: „Nein passt schon, ich warte noch auf jemanden!“ Es konnte mir ja eigentlich egal sein, aber diese Antwort passte mir überhaupt nicht! Auf wenn wartete er? Etwa auf seine Freundin? Aber warum sollte er Sie ausgerechnet hier treffen?

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken als mich sein Blick traf… Ich blickte schnell zu einem anderen Gast um ihn nicht wissen zu lassen das ich Ihn angestarrt hatte, als ich mich dann dem Abwasch widmete, fiel mir aus den Augenwinkeln auf, das er mich musterte, ganz uninteressiert schien er also auch nicht zu sein. Ich nutzte den Moment als er auf seinen Bekannten zuging um Ihn noch einmal genau zu mustern. Sein dunkles Haar stand in alle Richtungen als hätte ihm der Wind die Haare verwuschelt, seine braunen Augen leuchteten Bernsteinfarben und seine Lippen waren die perfekte Ergänzung zu seinem Gesicht.
Hätten Brad Pitt, Johnny Depp und Matt Boomer zusammen einen Sohn würde er genau so aussehen! Leider schenkte er mir nachdem sein Freund aufgetaucht war nicht mehr viel Beachtung und auch die Bezahlung seines Bieres ging stumm über die Bühne.

Und trotz der eisigen Stimmung zwischen uns musste ich jetzt, einige Stunden nach diesem Treffen immer noch an Ihn denken, ich weiß nicht mal seinen Namen, das ich Ihn also nochmal traf war unwahrscheinlich außer er kam nun öfters ins „Graham‘s“ um sich mit seinen Freunden zu treffen!

Ein plötzliches Kratzen an meiner Zimmertür ließ mich aufhorchen, ich öffnete meine Tür und mein kleiner Jack Russel Terrier „Domino“ sprang mich erfreut an. Ich brachte ihm sein Futter und stapfte lächelnd durch mein Zimmer bis hin zum Bad. Meine Stimmung änderte sich sofort als ich mich im Spiegel betrachtete, seufzend blickte mich das Spiegelbild an. Heute wird wohl einer dieser Haardebakel - Tage werden, ich entschied mich dafür einfach einen seitlich Zopf zu flechten und das ganze damit abzuhaken. Was anderes war heute ja auch nicht aus meinen Haaren heraus zu holen. Normalerweiße sind meine Dunkelbraunen Haare, gelockt und sie liegen eigentlich schön, man könnte Sie als braune Version der Taylor Swift Haare bezeichnen aber das klingt mir dann doch ein wenig eingebildet, aber heute… der Schwung ist draußen, sie wirken platt gedrückt alles in allem einfach unzufrieden stellend! Nachdem ich endlich fertig war mit dem anziehen und dem Haare zurechtzupfen, rannte ich nach draußen um den Bus noch zu erwischen der vor meiner Wohnung seine Haltestelle hatte.

Ich kam gerade noch rechtzeitig, der Busfahrer wollte gerade die Türen schließen als ich es geschafft hatte.
Hechelnd vom Rennen bezahlte ich meine Karte, setzte mich auf den Viererplatz in der Mitte und kramte meine Kopfhörer aus der Tasche. Gerade als ich die Anfangsmelodie von „One more Night“ von Maroon 5 erkannte und wir bei der nächsten Haltestelle anhielten, stieg der gutaussehende Fremde von gestern Abend ein.

Ich war innerlich wie gelähmt, als er auf mich zukam. Seine Augen suchten einen freien Platz und verweilten immer wieder auf dem Platz gegenüber von mir. Langsam kam er immer näher bis er sich wortlos auf dem Platz gegenüber von mir hinsaß. Musste er unbedingt hier sitzen, als hätte ich noch nicht genug Herzrasen.Spürte er meine Unsicherheit? Ich sah mich unauffällig im Bus um. Es waren definitiv noch freie Plätze übrig, mehr als genug. Ich suchte all mein Selbstbewusstsein zusammen um ein leises „Hi“ zu hauchen, das wiederrum mit einem uninteressierten „Hallo“ kommentiert wurde. Er sah nicht sehr begeistert aus, eher mürrisch. Ich entschloss mich ihn in Ruhe zu lassen und drehte die Musik bis zum Anschlag auf.

Ein lautes „Hallo? Was machst du da?“ lies mich aufblicken. Verwirrt sah ich in sein fragendes Gesicht. Ich fragte mich was er meinen könnte und antwortete holprig „ich fahre jetzt noch bis zur Innenstadt und dann…“ „Das meinte ich nicht“ Er zeigte vor sich auf den Boden und ich sah sofort was er meinte, ich Trampeltier stand ihm sicher schon seit geraumer Zeit auf dem Fuß. Super, Adriana hast du toll gemacht! Entschuldigend nahm ich meinen Fuß von seinem und stellte Sie so weit wie nur irgend möglich von ihm weg. Schuldbewusst blickte ich aus dem Fenster und hoffte darauf dass er an der nächsten Haltestelle ausstieg und ich diesen Vorfall vergessen konnte. „Ach, schau nicht so deprimiert, so was kann passieren“ sein amüsierter Tonfall gefiel mir dagegen schon besser. „Naja, einem Fremden auf die Füße zu treten macht nicht gerade einen guten Eindruck“ fügte ich grinsend hinzu. Sein Lächeln könnte sogar den Eisberg der die Titanic zum kentern brachte, zum Schmelzen bringen.
„War nett mit dir zu reden, vielleicht sehen wir uns heut Abend bei dir?“ Er stand auf um bei der Haltestelle kurz vor uns auszusteigen. „Bei mir?“ Was meinte er damit? Wusste er wo ich wohnte? Er schenkte mir als Antwort nur ein verschmitztes Grinsen und viel zu spät wusste ich was er meinte! Die Bar. Woher sonst würde er mich kennen? Wie kann man nur so verwirrt sein! Da wurde mir bewusst dass ich noch immer nicht wusste wie sein Name war und ich beschloss sofort ihn danach zu fragen, wenn ich Ihn das nächste Mal sah.

Endlich kam ich beim Marktplatz an. Die dreizig minütige Fahrzeit kam mir heute länger als wie üblich vor. Wobei die Zeit mit ihm viel zu schnell verflogen ist. Der Marktplatz war bis auf wenige Ausnahmen verlassen. Ein paar Pensionisten saßen auf der Bank vor dem riesigen, dicken Baum, der in der Mitte des Marktplatzes stand. Eine Frau hatte ihr weinerliches Kind an der Hand, das nicht aufhörte “Ich will das endlich haaaben“ zu schreien. Zwei Geschäftsmänner unterhielten sich über Zahlen und Fakten von irgendeiner Studie und ein Teenager der nicht viel jünger war als ich, wippte mit dem Fuß zum Rhythmus der Musik die aus seinen großen Kopfhörer drang.
Als ich vor dem großen weißen Gebäude stand, musste ich mich selbst kurz beruhigen, ich hasste diese wöchentlichen Termine beim örtlichen Krankenhaus. „Guten Morgen, Frau Philipps. Schön Sie wieder zu sehen“ rief mir Schwester Betty entgegen. Wie kann man in aller Früh nur so motiviert sein? „Morgen“ murmelte ich. „Nehmen Sie doch noch Platz, Doktor Javers, wird gleich bei Ihnen sein!“
Ich setzte mich lustlos in das kleine Wartezimmer der Station, währenddessen bemerkte ich das aufblinken meines Handys. Eine neue Nachricht war eingetroffen, sie war von meiner Mutter:

“Du musst noch deine restlichen Sachen abholen. Glaub nicht du kannst wieder zu uns zurückziehen. Du bist zwanzig Jahre alt, alt genug um für dich selbst zu Sorgen. Mama“

„Ich werde irgendwann diese oder nächste Woche vorbei kommen.
Mach dir DARUM keine Sorgen, ich komme gut allein zu recht. Muss ich ja auch…!“


Genervt rollte ich mit den Augen. Es war 3 Monate her seitdem Sie beschlossen hatten ich könne für mich selbst Sorgen. „In deinem Alter hatte ich schon eine Wohnung, einen sicheren Job und du warst auch auf dem Weg zu uns. Es ist nichts gegen dich, aber du musst irgendwann selbstständig werden“ sagte mein Vater damals während er mich zur Tür brachte.
Das einzige was ich damals hatte waren einige Kleidungsstücke, Domino den ich ein paar Wochen zuvor im Tierheim entdeckt hatte und einen Halbtagsjob in der Bar als Putzfrau.
Zumindest meine Wohnsituation und meine „Beförderung“ zur Kellnerin hatten sich verbessert. Ich musste über meine eigenen Gedanken schmunzeln.

„Adriana? Ich habe dich schon mehrmals aufgerufen. Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Doktor Javers hat nun Zeit für dich.“ sagte Betty mit einem schiefen Grinsen. Ich versuchte freundlich und entspannt zu wirken und grinste zurück, während ich mich auf den Weg zu Doktor Javers Behandlungsraum machte.


Endlich war ich wieder in Freiheit, die Behandlung für diese Woche beendet und nun konnte ich mich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. Und schon sah ich seine große Gestalt in meine Gedanken, seine verwehten Haare, das verschmitzte Lächeln und seine unverschämt frechen braunen Augen. Der Gedanke daran ihn heute wieder zu sehen, lies mich an mir hinunter blicken. Sollte ich mir neue Klamotten kaufen? Alt waren Sie nicht und modern genug auf alle Fälle, aber sollte ich etwas ausgefallener werden? Schnell verwarf ich diesen Gedanken wieder, er sollte mich mögen und keine aufgetakelte, tussenhafte Kopie von mir.
Ich schlenderte gemütlich über den Hauptplatz bis hin zum kleinen Kiosk der gerade mal die notwendigsten Dinge hatte. Ich kaufte ein paar Nudeln, Dosensuppen, Hundefutter und Äpfel ein, wobei einer der Äpfel gierig von mir gegessen wurde. Ich brachte die Sachen nach Hause, streichelte Domino und ging ins Badezimmer um mich vor der Arbeit noch einmal zu begutachten. Ich zog den feinen Lidstrich nach und tuschte mir die Wimpern nach und beschloss dass das ausreichte.
Voller Vorfreude, nahm ich meine Jacke in der einen Hand und Domino´s Leine in der anderen Hand und ging mit ihm nach draußen um mich auf den Weg ins „Graham´s“ zu machen. Ich konnte es kaum erwarten ihn wieder zu sehen.

Meine gute Laune war sofort hinüber als ich Natalies Gesicht sah, irgendwas stimmte nicht und wahrscheinlich war es wieder mal meine Arbeitsmoral oder irgendetwas dergleichen. Wenn Sie sauer war, dann war wie immer ich Schuld daran.
„Adriana, wo warst du solange?“ schrie Sie sobald ich in Sichtweite war. „Meine Schicht beginnt erst in 5 Minuten.“ sagte ich ruhig aber dennoch bestimmt. „Ja, aber wo ist die Abrechnung vom gestrigen Abend? Und warum hast du dieses verlauste Vieh mit?“ sagte Sie mit einem verächtlichen Blick auf Domino. „Erstens die Abrechnung ist in der Schublade vor dir, wie immer und zweitens Domino ist weder verlaust noch ohne Genehmigung hier.“ konterte ich. Mürrisch drehte Sie sich um, stellte das Geschirr auf den Tresen und ging ins hintere Zimmer um mit unserem Chef Charlie diskutieren anzufangen, was für ein Flegel ich doch sein und das ich eine Zumutung wäre. Ich war diese dauernden Streitgespräche von Natalie schon gewohnt, Sie fand sich schon immer als etwas Besseres und mein „Aufstieg“ als Kellnerin passte ihr überhaupt nicht. Aber ich versuchte das bisschen Motivation dass ich noch hatte zusammen zu nehmen und machte mich mit freundlichem Gesicht an die Arbeit.

Die Bar war ziemlich leer und somit war auch keine Kundschaft in Sicht. Schritte erregten meine Aufmerksamkeit, die Tür flog auf und ein kalter Wind brachte meine Gänsehaut zum Vorschein. Fröstelnd trat er ins Innere der Gaststätte, ich versuchte mein Grinsen so gut es ging zu unterdrücken, um Ihn nicht glauben zu lassen, dass ich nur auf Ihn gewartet hatte. Er sah meine misslungenen Versuche ein gleichgültiges Gesicht zu machen und fing an zu grinsen. Er zog seine Jacke aus, hängte Sie auf den Kleiderständer neben der Tür und kam zur Bar. Immer noch grinsend sagte er „So sieht man sich wieder!“ Ich gab es auf ein ernstes Gesicht machen zu wollen und lächelte Ihn an. „Was möchtest du…“ ich stockte „Ich meine natürlich, was möchten Sie trinken?“ „Können wir uns bitte duzen? Sonst komm ich mir mit meinen knappen zwanzig wie hundert vor. Ich bin übrigens Nathan.“ Ich musste schmunzeln. „Freut mich Nathan, ich heiße Adriana.“ Nachdem das erste Eis gebrochen war, unterhielten wir uns angeregt. Ich hatte Glück das heute im Laden so gut wie nichts los war und ich nicht allzu oft bei den Gästen Bestellungen bringen oder abkassieren musste. Somit hatte ich Zeit mich mit Nathan zu beschäftigen.

Gebannt hängte ich an jedem seiner Worte, verfolgte welche Gesten in welchen Situationen er machte und ließ keine seiner Bewegungen aus den Augen. Für viele sah das sicher komplett verrückt und fanatisch aus, aber mir war das egal. Er hatte irgendetwas an sich das mich faszinierte. Das Läuten seines Smartphones, riss uns aus dem Gespräch. Hastig kramte er in der Hosentasche und ging mit einem genervten „Hallo?“ ran. Der Anruf schien wichtig zu sein, er holte seine Geldtasche heraus und warf mir mit einer Hand schelmisch grinsend einen 5er, für sein Getränk zu. Kurz darauf unterbrach er kurz sein Gespräch und hielt den Anrufer für ein paar Minuten auf der anderen Leitung, um sich zu verabschieden. Wiederwillig ließ ich Ihn gehen und machte mich schlecht gelaunt an den Abwasch den ich in der Zwischenzeit völlig vergessen hatte.

Ein Schatten der sich über den Tellern auftürmte, ließ mich aufblicken. Zehn Minuten nachdem er das Lokal verlassen hatte, stand Nathan plötzlich wieder vor mir. Ich sah in irritiert an. Er blickte mich an, als wäre er ein kleiner Junge, der unbedingt einen Lutscher wollte als er mich - beinahe schon schüchtern- fragte „Wollen wir uns mal treffen?“ Ich stammelte ein nervöses „Ja, gern“ und wir tauschten unsere Nummern aus. Sichtlich zufrieden verließ er das „Graham‘s“ und ließ mich allein zurück. Wie beim ersten Mal, widmete ich mich wieder den angetrockneten Tortellini Resten die es beim heutigen Menü gab, aber diesmal mit einer deutlich besseren Laune.

Die Woche verging wie im Flug. Nathan der seit unserem Treffen letztens wie vom Erdboden verschluckt war, meldete sich nur kurz per SMS und beschränkte sich dabei auf Smalltalk. Da ich mich nicht mit Gedanken beschäftigen wollte ob ich etwas Falsches gesagt oder getan hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf meinem Termin im St. Anna Hospital. Heute war ich weniger unbeschwert, meine Knochen schmerzten und ich bemerke einen Knubbel an meinem Hals. Wahrscheinlich wieder angeschwollene Lymphknoten. Der Schmerz der beiden Symptome lies mich den Tränen nahe kommen. Ich holte meine schmerzstillenden Tabletten hinaus und schluckte sie hastig mit ein wenig Wasser hinunter. Als Sie gerade anfingen zu wirken, erreichte ich den Markplatz. Ich ging zum St. Annas und blickte auf die Große Uhr vor dem Rathaus gegenüber der anderen Straßenseite. Ich hatte noch eine halbe Stunde Zeit bevor ich wieder zu Dr. Javers musste.

Ich setzte mich auf die Bank hinter dem Krankenhaus, dort war ein schöner kleiner Garten angelegt. Rosensträucher in allen Farben waren an den Mauern angebracht, so dass sie schon fast bis zu den Fenstern im ersten Stock reichten. Ich blickte mich um und entdeckte eine junge Frau schätzungsweise mitte dreizig, Sie wirkte blaß und erschöpft. Sie hatte eines dieser typischen Patientengewänder an und marschierte lächelnd durch die Gegend, vorbei and den verschiedenen Blumenbeeten und Sträuchern. Überall lag der Duft von Flieder und Rosen in der Luft. Gierig regte ich meine Nase und atmete tief ein, um so viel von dem Geruch zu erhaschen wie nur möglich. Das Läuten der Kirchenglocke, erinnerte mich an meinen Termin, schnell ging ich ins Innere und zum Schalter von Schwester Betty um mich anzumelden. Ich wurde von Dr. Javers mit ins Behandlungszimmer genommen und wir führten die gewohnten Tests durch.


Stirn runzelnd kam er aus dem Labor um mir die derzeitigen Ergebnisse mitzuteilen. „wie sieht es aus, Dr. Javers ?“ fragte ich lächelnd. Mein Lächeln verschwand sofort als er mit noch bedrückterer Miene zu seinem Schreibtisch ging und mich bat mich zu setzen. „Adriana, ich habe keine erfreulichen Nachrichten für dich. Dein Zustand verschlechtert sich und ich weiß dass du das mitbekommst. Du merkst doch wenn du Schmerzen hast! Bitte lass uns auch deine Eltern informieren. So etwas Wichtiges darf man Ihnen nicht verheimlichen.“
„Ich verheimliche gar nichts, nachdem sie mich nicht mehr wollten und aus dem Haus geschmissen haben, soll ich Ihnen irgendwas hiervon erzählen? Bei allem Respekt Dr. Javers, aber das muss ich verneinen.“ Auch wenn ich versuchte stark zu klingen, innerlich zerbrach ich. „Dr. Javers, es ist meine Krankheit und Sie haben eine ärztliche Schweigepflicht und ich hoffe wir kommen auf dieses Thema nicht mehr zu sprechen. Wir sehen uns nächste Woche. Schönen Tag noch“ wütend warf ich die Tür beim Verlassen des Behandlungsraumes zu. Sofort bekam ich Schuldgefühle, dieser Mann tat alles was er konnte um mir zu helfen und ich behandelte ihn so.
Das Thema Eltern machte mich nach all dieser Zeit immer noch wütend. Wieder war ich den Tränen nahe, nur diesmal nicht vor Schmerzen. Sicher wir hatten noch Kontakt aber unsere Beziehung ist längst nicht mehr wie früher. Wieder am Marktplatz angekommen, merkte ich wie meine Sicht immer verschwommener wurde, und schon kullerte die erste Träne über mein Gesicht. In dem Moment war mir ganz egal ob mich jemand sah, ich wollte einfach nur weg von den Gedanken an meine Kindheit, an die Stunden in denen mir meine Mutter vorgelesen hatte, an den Abend an dem ich meine Sachen vor dem Haus gefunden hatte. Aus den Augenwinkeln erkannte ich wie eine Person näher kam und schließlich sich neben mich auf die kleine Bank setzte. Erst durch die Wärme dieser Person bemerkte ich wie kalt es draußen geworden war. „Hier nimm“ die Stimme war freundlich und einladend und blickte auf. Nathan blickte mir besorgt ins Gesicht und reichte mir mit seiner Hand ein Taschentuch. Dankend nahm ich es an und wischte mir die Tränen und mein halbes Augen Make up aus dem Gesicht.

Er sah mich die ganze Zeit besorgt an, ich konnte ihm kein Lächeln abgewinnen, während wir im kleinen italienisch angehauchten Bistro „Fonatello“ uns kleine Pizzabrötchen und Toastmuffins gönnten. „Komm schon, was war da vorhin los? Du rennst weinend aus dem Krankenhaus und willst mir erzählen, das alles in Ordnung ist?“ fragte er mich leicht ungläubig. „ Nathan, so sind wir Mädchen nun mal. Wir machen manchmal Dinge ohne zu wissen, warum! Das musst du akzeptieren“ antwortete ich zwinkernd. Meine Notlüge schien nicht zu funktionieren. Die Tatsache das ich ihm nicht erzählen wollte, warum ich geweint hatte, lies ihn richtig zickig wirken. Da es mir in der Zwischenzeit gelungen ist mich zu sammeln, machte mir aber das nichts aus, ich wollte die Zeit mit ihm genießen und den Abend gemütlich ausklingen lassen. Weg mit der schlechten Laune und den Tränen. Her mit guter Laune und Motivation. Endlich brachte ich Ihn dazu das er das geschehene zumindest ruhen lies und sich wieder auf unser Date –wie ich es in Gedanken liebevoll nannte- konzentrierte. Ich begann damit ihn ein bisschen über sich aus zu fragen, er erzählte mir das er in einer Band Schlagzeug spielte und Sie manchmal kleine Auftritte hatten. „Soso in einer Band spielst du? Dann hast du sicher Unmengen von Groupies die sich dir an den Hals werfen“ neckte ich Ihn. „Wenn ich wollte könnte ich Sie alle haben“ grinste er schelmisch “…aber im Moment interessiert mich nur eine“ fügte er mit einem Augenzwinkern in meine Richtung hinzu. Verlegen lächelnd guckte ich auf den Boden. Als wir nach einiger Zeit den Heimweg antraten, gab er mir einen Abschiedskuss auf die Hand – wie aus einem kitschigen Liebesfilm der 80iger Jahre- und verabschiedete sich von mir wie ein Gentleman.

Freudig sprang mir Domino auf den Rücken, als er das Läuten meines Weckers hörte. Schwanzwedelnd blickte er in mein Gesicht. Einzelne Strähnen hingen mir in die Augen und ein paar meiner Wimpern waren miteinander verklebt, da die Wimperntusche – die ich am Vorabend, vor dem Schlafengehen, nicht mehr entfernt hatte- sich verklumpt hatte.
Ich versorgte Domino und ging ins Bad um mich zu duschen und um mich abzuschminken.
Nachdem ich mir mein restliches Make up entfernt hatte, warf ich mir meine schwarze Jogginghose über, eins meiner weißen Lieblingsshirts mit dem bunten Federaufdruck, zog meine etwas mitgenommenen Turnschuhe dazu an und bereitete mich auf meine morgendliche Joggingrunde mit Domino vor. Ich legte ihm seine rote Leine an und wir liefen drauf los.

Erschöpft aber überglücklich kam ich wieder zuhause an. Wir sperrten unsere kleine 2 Zimmer Wohnung auf und ich warf meine Jacke auf den Kleiderhacken unserer Eingangstür. Ein wohliger Schauer machte sich in meinem Magen breit als ich mich umsah. Mein Zuhause war vielleicht nicht das größte aber sicher eines der gemütlichsten! Der Vorbesitzer hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Ich hatte ein kleines extra Zimmer zum Schlafen, ein Badezimmer mit orangen und Roten Mosaiksteinen an den Wänden, eine begehbare kleine Singleküche die inmitten meines Wohnzimmers lag. Wobei wir damit bei meinem Lieblingszimmer wären. Es hatte Zwei große Fenster die bis zum Boden reichten, eine angenehme Größe – sodass mein graues Stoffsofa schön hinein passte, ohne den ganzen Raum einzunehmen- und eine Wand die komplett im Steinlook angefertig worden war sodass, sie dem ganzen Raum gemütlich und warm wirken lies. Ich hatte Glück sie so günstig bekommen zu haben, und das auch nur deswegen weil der Vermieter ein Freund meines Vaters war, was ich damals allerdings noch nicht wusste.

Nach einer heißen Dusche, ging ich gemütlich schlendernd durch mein kleines Appartement, vorbei an Bad und Küche und ließ mich auf meinen Schreibtischsessel fallen. Ein leicht krächzendes Geräusch ertönte als ich damit näher zum alten Holztisch rückte, ich bückte mich hinunter, drücke den Knopf und schon flackerte unter leichtem Surren, der Startbildschirm meines Computers auf. Nachdem ich meine Musik auf dem MP3 Player geändert hatte, rief ich nach langer Zeit mal wieder meine Emails auf. 57 neue Nachrichten. Super. Und schon mal weg mit der Hälfte in dem man die Spams entfernt. Lästig die Dinger. Gut hätten wir das auch erledigt, Werbung weg, Versandbestätigungen weg, eine Freundschaftsanfrage von Georg Schuster? Kenn ich nicht, weg damit. Mein Magen knurrte laut, als ich die letzte Mail abgearbeitet hatte und ich kramte in der dritten Schreibtischschublade herum bis ich endlich den Flyer des Pizzalieferservice fand. Ich hatte grade meine Bestellung abgegeben als es an der Tür schellte. Okay, ich weiß die sind schnell, aber so schnell auch wieder nicht. Ich wüsste nicht dass ich jemanden eingeladen hätte oder sonst irgendwie Besuch erwarten würde.


First Kiss?

Ein Blick durch den Spion zeigte mir einen jungen gut gebauten Mann, Anfang 20ig, mit strahlenden Augen und komischer Sturmfrisur. Nathan! Was macht der den hier? Wir hatten nach dem „Date“ eigentlich nichts weiteres ausgemacht. Ausgerechnet heute wo ich den Schlabberlook gewählt habe und mir Pippi Langstrumpfzöpfe gebunden hatte. Der eine Look der nur zuhause ausgeführt wird und nur von Domino und Mario – der Pizzabote- gesehen wird. Schnell zupfte ich die Haargummis hinunter, entwirrte meine Haare, atmete tief ein und versuchte einen coolen Eindruck zu machen, während ich die Tür öffnete. „Hey, Adriana. Welch hinreißender Anblick“ neckte er mich. Kein Wunder bei meinem derzeitigen Aussehen. Er hingegen sah so umwerfend wie e und je aus. Er trug ein schwarzes Hemd das er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hatte, Blue Jeans, schlichte Sneakers und eine Dog Tag Kette um den Hals, die eigentlich nur Leute der Army trugen. Eigentlich stand ich ja nicht so auf Männerschmuck, aber dieser dezente silberne Anhänger mit der Gravur, sah verdammt gut an ihm aus! Spöttisch streckte ich ihm meine Zunge entgegen. „Hallo, Nathan. Schön dich zu sehen. Nicht das ich was dagegen hätte aber was machst du hier?“ „Ich habe etwas für Sie My Lady“ sein schelmischer Unterton brachte mich zum Grinsen. „Na dann komm rein… Was hast du für mich?“ fügte ich neugierig hinzu als er im Vorraum stand. „Ich dachte du vermisst vielleicht diesen kleinen Apparat den du im Fonatello vergessen hast“ teilte er mir freudig mit und warf mir mein Handy entgegen. Seit gestern Abend hatte ich nicht mehr in meine Tasche geschaut und ich war mir sicher gewesen, das es dort noch drinnen liegt. „Dankeschön, wie gut das ich so einen Retter in der Not habe“ rief ich freudig und umarmte Ihn. Nicht das eine Umarmung notwendig war oder das ein einfaches „danke“ nicht auch gereicht hätte, aber so hatte ich einen halbwegs vernünftigen Grund ihn zu umarmen. Nicht weil ich musste, sondern weil ich wollte. Sein Haar roch nach Apfel und der Geruch seines markanten After Shaves stieg mir in die Nase. Nur langsam löste ich mich von ihm. Der anscheinend noch überrumpelte Nathan begann, gerade wieder Luft zu holen. Mit dem hatte er nicht gerechnet. Froh darüber nicht immer die überrumpelte zu sein, lächelte ich ihm in sein Gesicht. Nachdem er mich noch immer noch anstarrte ohne irgendein Wort zusagen und mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck herumstand, beschloss ich ein anderes Thema anzusprechen bevor es noch peinlicher zwischen uns wurde. „Möchtest du was trinken? Anbieten könnt ich dir Cola,…“- ich war schon halb im Türrahmen zur Küche verschwunden als mich eine Hand auf meinem Arm zurück hielt. Ich wirbelte herum und stand keine Handbreit von ihm entfernt. Langsam zog er mich näher zu sich während er mir tief in die Augen schaute. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, unsere Nasen berührten sich leicht und ich konnte jeden seiner Atemzüge auf meinen Lippen spüren. Freudig grummelte es in meinen Magen, als unsere Lippen sich schon fast erreicht hatten.

 

„Pizza ist da“ rief Mario und hämmerte gegen die Tür. Er hatte aber auch immer das Beste Timing. Nur wiederwillig löste ich mich von Nathans Blick. Genervt öffnete ich die Tür, nahm die Pizza entgegen und bezahlte. Ich führte nur einen kurzen Small Talk mit Mario damit Nathan nicht zu lange warten musste. „Adriana? Ich werde jetzt mal gehen, du hast sicher noch zu tun und ich will dich nicht aufhalten“ teilte er mir mit als er in Richtung Eingangstür ging. „Musst du schon gehen? Sieh mal die Pizza ist sowieso viel zu groß für mich allein und ich hab ein paar gute Filme zum Anschauen daheim“ fragte ich hoffnungsvoll. „Na gut, ausnahmsweise aber auch nur weil ich dich bei den Horrorstreifen beobachten will, wie du dir in die Hosen machst“ grinsend ging er ins Wohnzimmer, fragte ob er sich setzen durfte und machte es sich gemütlich. Lächelnd ging ich ihn die Küche brachte uns ein paar Getränke und setzte mich mit der Pizza neben ihn. Während wir uns einen Horrorfilm nach dem anderen ansahen, die Pizzastücke verputzten und uns nebenbei immer wenn einer von uns aufschreckte gegenseitig lachend anstupsten, vergingen die Stunden wie im Flug und ich wurde immer müder. Irgendwann spürte ich eine leichte Berührung an der Wange und hörte Nathans Stimme im Halbschlaf „Adriana? Du bist aber nicht ernsthaft bei der interessantesten Stelle eingeschlafen oder?“

Ich brabbelte irgendein undeutliches „mhhhm… scheint so“ und schlief wieder ein.

 

Mein Handy vibrierte und ich griff mühselig danach. Kaum hatte ich meine Augen halbwegs offen blickte ich mich um. Nathan war noch immer in der Sitzposition in der ich ihn in Erinnerung hatte, nur diesmal schlafend und leicht schnarchend. Ich selbst war anscheinend an seiner Schulter eingeschlafen und lag nun mit leicht angezogenen Beinen neben ihm. Er hatte die Decke die neben ihm auf dem Sofa gelegen ist, über mich ausgebreitet. Domino der gerade gähnend von seinem Körbchen im Wohnzimmer aufgestanden ist, kam zu mir gerannt und sprang mit einem Satz neben meine Beine, um sich dort dreimal zu drehen und sich schließlich zufrieden fallen zu lassen. Ein leises Murren kam aus Nathans Richtung und ich schmiegte mich wieder an seine Schulter, denn ich wusste würde er aufwachen und mich munter sehen, wäre dieser Moment vielleicht schon bald vorbei. Also simulierte ich mit -zugegeben leicht übertriebenen- Schnaufgeräuschen das ich Schlafen würde und genoss es seine weiche Haut zu spüren und seinen für ihn typischen Geruch von Zimt, Apfel und Baumharz einzuatmen.

 

„Guten Morgen, Schlafmütze“ Ein unsanftes schütteln holte mich aus meinen Schlaf, nur ungern wollte ich aufwachen. Verschlafen sah ich in Nathans Gesicht.

„Morgen“ brummelte ich. „Ich hab Kaffee gemacht, falls du auch welchen willst?“ Dankbar schenkte ich ihm ein Lächeln.

Er selbst zog sich gerade seine Schuhe an und trank schnell den letzten Schluck seines Kaffees aus. Verwirrt sah ich ihn an.

„Es tut mir leid, ich muss jetzt gehen, ruf mich mal wieder an“ antwortete er auf meinen fragenden Gesichtsausdruck. „Warte! Sollten wir nicht drüber reden was da gestern zwischen uns war?...Ich meine … der Kuss, es war…“ ich geriet in mit meinen Worten ins straucheln. „Ach das ! Das macht nix, so was kann passieren. Du brauchst dich dafür nicht zu schämen, jede wird bei mir Schwach. Du bist eben wie alle anderen, nichts Besonderes…!“ sagte er unter spöttischem Grinsen und verschwand durch die Eingangstür.

 

Mit einer lauwarmen Kanne Kaffee und einer riesigen Portion Enttäuschung oben drauf, ließ er mich in meiner Wohnung zurück.

Du bist eben wie alle anderen, nichts Besonderes…! Meine Gedanken wollten nicht aufhören diesen Satz immer und immer wieder zu wiederholen. Jeder der so eine Abfuhr mal bekommen hat weiß, so was tut mehr weh, als wie ein Schlag ins Gesicht. Arschloch. Zum Glück war Mario aufgetaucht bevor noch mehr passieren konnte. Ich hätte es mir nie verziehen, wäre ich mit so einem Idioten in die Kiste gesprungen. Auch wenn ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, es gelang mir nicht. Ich konnte mir noch so oft einreden was für ein Schwein er war aber es würde nichts ändern. Die Wahrheit war dieses „Arschloch“ hatte es geschafft mir mit wenigen Worten, das Herz zu brechen.

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Bevor Sie auch nur irgendetwas erwidern konnte, stürmte ich aus der Wohnung. Für die Worte die ich ihr an den Kopf geworfen hatte, würde ich mich am liebsten selbst ohrfeigen. Allerdings war es so besser für uns beide. Wenn das heißt dass ich Sie verletzen muss, dann ist das leider so. Ich würde mir nie verzeihen können sollte Ihr etwas durch meine Schuld passieren.

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Nach zwei Tagen voller Selbstmitleid, deprimierender Musik und einem gefühlten Jahresvorrat an gebrauchten Taschentüchern, beschloss ich dass es endlich wieder Zeit war zu leben. Es war nicht so dass er mein Traumprinz war und ich mir erhofft hatte, mit ihm mein ganzes Leben zu verbringen, zu heiraten, eine Familie zu gründen und auf ewig mit ihm glücklich zu sein, aber es tut natürlich trotzdem weh. Solche Gefühle für jemanden hatte ich schon lange nicht mehr und ich hielt ihn eigentlich immer für ehrlich, bodenständig und einen netten Kerl mit dem man sich gut unterhalten kann. Das dachte ich zumindest. Von jemandem verarscht zu werden und so eine Ansage zu bekommen, verletzt einen immer, auch wenn man das nicht zugeben will. Egal wer das gesagt hat. Wenn es noch dazu jemand ist den man nach einer kurzen Zeit in sein Herz geschlossen hat, ist das natürlich umso schlimmer.

 

Da ich sowieso nicht die beste Laune hatte, fing ich gleich damit an alle unangenehmen Dinge, die ich in letzter Zeit aufgeschoben hatte, zu erledigen. Das beinhaltete nicht nur den Frühjahrsputz der Wohnung und das Bezahlen der gesamten Rechnungen die nun wieder fällig waren, sondern auch der Besuch bei meinen Eltern.

Mother´s Day

Einen Anruf später, hatte ich mit meinen Eltern ein gemeinsames Essen ausgemacht. Sofort nachdem ich aufgelegt hatte, bereute ich meine Entscheidung. Wollte ich die Menschen die mich aus dem Haus geschmissen haben, wirklich besuchen gehen? Sollte ich mir nach dem Rückschlag mit Nathan, das auch noch antun? Ihnen mit einem künstlichem Lächeln vorheucheln, das es mir bestens ging? Es half nichts sich darüber Gedanken zu machen, der Zeitpunkt steht und leider kannten Sie so gut wie alle meine Ausreden. Also sich davor drücken ist ausgeschlossen.

 

Nachdem ich Domino bei seiner Hundesitterin abgegeben hatte, machte ich mich lustlos auf den Weg zu meinen Eltern. Das nervige Geräusch der Klingel ertönte als ich den obersten Knopf an unserer Haustür drückte. Kurz darauf sprang das Licht im Vorzimmer an und die Umrisse meines Vaters tauchten gut sichtbar durch die Glaselemente an der Tür auf. „Schön das du auch noch mal zu uns gefunden“ begrüßte mich Dad. „Wir dachten du kommst gar nicht mehr!“ „Würde ich noch zuhause wohnen, hättest du diese Sorge nicht“ antwortete ich knapp. Genervt rollte er mit den Augen. „Hast du wenigstens was für deine Mutter, an diesem besonderen Tag?“ „Was für ein besonderer Tag?“ ich zog eine Augenbraue nach oben. Natürlich wusste ich was er meinte. Ironischerweise war heute Muttertag und besonders meine Mutter –wie sollte es auch anders sein- machte ein riesen Ding daraus. Als ob man wirklich einen speziellen Tag braucht um seiner Mutter zu sagen, das man Sie gern hat. Für mich selbst ist das nur Geldmacherei. Die einzigen die an dem Tag wirklich jubeln und feiern können sind die Floristen und Süßwarenverkäufer. Kein Wunder bei dem Umsatz. „War klar das du es vergessen hast, da wundert mich wirklich nichts mehr“ warf er mir an den Kopf. Charmant mein lieber, wirklich charmant.

 

Ich betrat das Haus, zog mir die Schuhe aus und ging gemeinsam mit meinem Vater ins Esszimmer. Auf dem massiven Holztisch standen verschiedene kleine Vorspeisen und Aperitifs zur Auswahl. Meine Mutter kam aus der Küche und zog sich die Küchenschürze aus. Darunter trug Sie ein schlichtes schwarzes Kleid das Ihr bis über die Knie reichte. Es hatte vielleicht den Anschein, aber das Sie selbst gekocht hatte, bezweifelte ich stark. Erstens konnte meine Mutter nicht ein bisschen kochen und zweitens wozu hatten Sie den sonst einen eigenen Koch eingestellt, der alles für Sie perfekt diätologisch zubereitete, damit auch ja nicht irgendwo ein Speckröllchen auftauchen konnte. Ja nicht zu dick werden, immer perfekt aussehen und ja nicht einmal den Frisör ausfallen lassen. Die Probleme der Reichen müsste man haben.

 

Nach einem Essen das vollgepackt mit angespannter Stimmung und aufgezwängter Gespräche war, widmete sich meine Mutter wichtigeren Dingen – sprich sie wollte Ihre Anerkennung und nicht zu vergessen Ihr Geschenk. Eindringlich sah Sie mich an, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich stand auf ging zu meiner Tasche und zauberte ein kleines blau eingepacktes Päckchen hervor. Ich konnte mir nur allzu gut den verwunderten Blick meines Vaters vorstellen als ich Mum gratulierte und Sie anstandshalber umarmte. Gierig riss Sie das Geschenkpapier herunter und eine kleine Pralinenschachtel kam zum Vorschein. „Was für eine süße Idee, Herzchen. Nur wo ist der Rest?“ fragend blickte Sie mich an. „Der Rest?“ „Ja, ich meine das kann doch nicht alles sein! Bin ich dir den gar nichts wert?“ fragte sie mich entrüstet. „Was erwartest du dir von mir bitte? Das ich dir beim Juwelier ein Diamantenkollier kaufe? Hast du vergessen das ich mir das nicht leisten kann, Ich muss hart arbeiten um meine Miete und den Strom bezahlen zu können. Über so etwas braucht Ihr euch ja keine Gedanken zu machen.“ Wut entbrannt packte ich meine Sachen und stürmte aus dem Haus. Wie konnte ich nur vergessen, was für Snobs meine Eltern waren. Kein Wunder mein Vater, der erfolgreiche Anwalt und meine Mutter ehemaliges „Model“ in diversen Katalogen. Dass Ihr das Geschenk nicht gut genug war hätte ich mir eigentlich denken können. Ohne Kaviar und Ihre Luxusautos lief bei Ihnen gar nichts. War etwas unmöglich zu bekommen, machten Sie es mit genug Kleingeld möglich. Seien es Pelze, importierte Karossen aus den Staaten, Karten für die verschiedensten Fashion Week Modeschauen dieser Welt und so weiter. Ich könnte ein ganzes Buch damit voll schreiben.

 

Als ich noch bei Ihnen wohnte war ich gleich drauf. Sie drillten mich genauso zu werden. Hat man nicht gespurt bekam man prompt eine Strafe und so fand ich mich mit meinem Schicksal ab. Was keiner Marke angehörte, wurde nicht angezogen und nur das feinste Make Up durfte meine Haut berühren. Mein Freundeskreis war ebenso reich und falsch wie man sich das vorstellt. Verlor eine Familie sein Vermögen, wurden Sie abgeschossen. Natürlich galt das auch bei den Freundschaften der Kinder.

Bis ich es eines Tages satt hatte mir alles vorschreiben zu lassen und anfing zu rebellieren. Bei Privatfeiern kam ich zu spät, hatte eingesautes Gewand an und benahm mich …naja…nicht sehr „Lady like“ wie man es in diesem Fachkreisen wohl nennen würde. Rülpsen, Witze auf Kosten diverser Gäste und sich mit Alkohol volllaufen lassen, war da nur der Anfang. Was nach einiger Zeit dann zu meinem Rausschmiss führte, weil sich die Familie Cromwell solche Skandale natürlich nicht erlauben konnte.

 

Wenn man es genauer betrachtet war der Rausschmiss aus dem elterlichen Luxusleben, das Beste was mir passieren konnte. Andernfalls wäre ich noch immer die aufgetakelte Schnepfe, die glaubt mit Geld alles kaufen zu können von früher.

Noch immer wütend stapfte ich durch diverse Gassen, die ich schon öfter als Abkürzung genutzt hatte, um schneller wieder in meiner Wohnung zu sein. Der unangenehme Geruch, von Alkohol, Urin und Verwesung hing in der Luft. Etwas weiter vorn standen zwei Männer, beide mit einem ziemlich betrunkenen Gesichtsausdruck. Ungeduldig liefen Sie auf und ab, anscheinend warteten Sie auf jemanden. Torkelnd gingen Sie neben der Gasse auf und ab, der unverkennbare Geruch von Bier hing in der Luft. Gelegentlich grölten Sie Sätze und Wortfetzen wie „Wo bleibt er?“, „Den machen wir fertig“, „kleiner Scheißer“ und etliche andere. „Vergiss es der kommt nicht mehr!“ wütend kickte der kleinere von den beiden gegen die Plastiktonne neben ihm. Durch den Tritt flog die Tonne um und ergoss seinen Inhalt auf dem Pflasterweg. Angeekelt verzog er das Gesicht. Er war um einiges älter als sein Kollege, wenn ich raten müsste, würde ich ihn auf 45 Jahre schätzen. Ich kannte Ihn vom Sehen her. Seine Glatze und diesen Vollbart der sich übers ganze Gesicht erstreckte, würde ich überall erkennen. Seine Klamotten waren eigentlich immer dieselben, eine ausgebeulte, graue Stoffhose, ein viel zu großes schwarzes T Shirt und ausgeleierte Turnschuhe. In seiner rechten Hand hielt er eine Dose Bier. Er war schon öfter im „Graham´s“ gewesen und hatte sich schon so einiges geleistet. Po –Grapscher, sexistische und anzügliche Bemerkungen und viele Streitereien mit anderen Gästen, gingen auf sein Konto. Eigentlich hatte er Hausverbot bekommen, aber davon ließ er sich nicht aufhalten. Er kam immer wieder und lies es sich auf unsere Kosten gut gehen. Ein Bezahlen kannte er nicht, anschreiben lassen war seine Devise. Würde Charlie sich das noch länger gefallen lassen, sah ich Schwarz für den Laden. Den anderen hatte ich noch nie gesehen. Er war sicher nicht viel älter als Mitte Zwanzig. Er war zwei Köpfe größer wie der Glatzkopf und deutlich muskulöser. Auf seinem linken Arm erstreckte sich von der Hand bis hin zu Schulter ein riesiges Tribal – Tattoo. Sein zerrissenes, ärmelloses Shirt war verschmutzt und an den Händen konnte man einige deutliche Kratzer erkennen. Unter seinen Fingernägeln wucherte nur so der Dreck.

Mein Instinkt sagte mir ich sollte umkehren, bis jetzt hatten Sie mich noch nicht gesehen, also wäre der Gedanke nicht abwegig. Andererseits was soll schon passieren? Ich hatte schon mit vielen zwielichtigen Typen zu tun gehabt und noch nie war was passiert, außerdem hatte ich notfalls immer noch mein Pfefferspray in der Tasche. Vielleicht naiv von mir so zu denken, aber im Moment ist mir das egal, ich will nur so schnell wie möglich nach Hause und ihn mein geliebtes Bett.

Wenige Schritte trennten mich von den Typen, als der Glatzkopf mich entdeckte. „Hey, na wenn das nicht meine Lieblingskellnerin ist!“ grinsend kam er mir entgegen. „Willste mit uns eine Runde feiern? Wir hätten gern von dir ein bisschen Gesellschaft“ gierig leckte er sich über die Unterlippe. Ich wich ein paar Schritte von Ihnen zurück und kramte nervös in meiner Tasche. Muskelmann beachtete mich nicht. „Komm schon Larry lass Sie in Ruhe, wir haben wichtigeres zu tun. Was willstn du von der überhaupt?“­­­­ „Soweit ich weiß ist sie ziemlich dicke mit Nathan befreundet, ich hab Sie letztens zusammen mit ihm in meiner Stammkneipe gesehen und das sah schon ziemlich vertraut aus zwischen den beiden.“ Was wollten die den von Nathan? Eigentlich hatte ich nicht vor gehabt mir Gedanken über Ihn zu machen, aber in dieser Situation ging es nun mal nicht anders. Sorgen machte ich mir zwar keine um Ihn, aber ich wollte trotzdem wissen was hier vorgeht. Triumphierend blickte er Muskelmann an. Dieser wiederrum beäugte mich von oben bis unten bis er schließlich ein weißes Stofftuch und ein Glasfläschchen aus seiner Hosentasche hervorholte. Wie so oft verfluchte ich mich in Gedanken, dass ich nicht mal in meiner eigenen Tasche Ordnung halten konnte, als ich weiterhin vergeblich nach dem Pfefferspray suchte. „Hmm… die Freundin von Nathan also? Das ändert so einiges“ Augenblicklich stand Muskelmann neben mir und hielt mich am Arm fest. „Ich bin und war auch nie die Freundin von ihm, lass mich los“ bestreitete ich, während ich versuchte mich panisch von ihm los zu reißen. „Ausreden bringen dich auch nicht weiter“ knurrte Larry. Unbeirrt träufelte Muskelmann die Flüssigkeit aus dem Behälter auf das Stofftuch. Diverse Versuche ihn zu schlagen und gezielte Tritte gegen das Schienbein liesen ihn unbeeindruckt. Gedanklich sah ich schon die Schlagzeile der morgigen Zeitung vor mir: „19 Jähriges Mädchen hinter Mülltonne vergewaltigt und ermordet worden“.

Er presste mir das Tuch auf Mund und Nase und hielt mich währenddessen mit einem geübten Griff um die Taille fest. Ängstlich weiteten sich meine Augen. Benommen sackte ich zusammen und landete auf meinen Knien. Schlagartig wurde mir schwindlig und meine Sicht wurde nebliger. Das letzte was ich mitbekam, war das sich jemand zu mir runter beugte und mir „Wir drei werden eine Menge Spaß haben“ in mein Ohr flüsterte.

The Prison

Als ich aufwachte, dröhnte mir höllisch der Kopf und das erste was ich hörte war das leise Tröpfeln von irgendeinem Wasserhahn. Ein Knäuel Fell huschte mir um die Beine und im Nebenraum konnte man leises Genuschel hören. Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und ich konnte schemenhafte Umrisse erkennen. Als ein weiterer Messerstichhafter Schmerz sich über meine Schläfe ausbreitete, versuchte ich diese mit meiner Hand zu erreichen. Keine Chance, so fest wie sie mir die Hände am Stuhl festgebunden hatten konnte ich sie nicht mal ansatzweiße heben. Energisch versuchte ich meine Beine zu bewegen aber ebenso wie bei meinen Händen saßen diese Fesseln bombenfest. Schon wieder spürte ich ein etwas an meinen Bein vorbei streifen. Ich blickte an mir hinunter und direkt in das Gesicht einer großen grauen Ratte. Ich wollte schon aufschreien aber das Klebeband das sie mir auf den Mund geklebt hatten verhinderte dies. Vor Schreck drückte ich mich mit meinen Beinen weg und stieß gegen eine Tischplatte die neben mir stand. Die verstaubten Teller die sich darauf getürmt hatten, zerbrachen unter lautem Klirren auf dem feuchten Fußboden. Vom Nebenraum hörte man einen genervten Seufzer. Hastige Schritte liefen zu meiner Zimmertür und mit lautem Knarzen, stieß Muskelmann Sie auf. Das Licht der Glühbirne brannte in meinen Augen und ich verfluchte ihn innerlich dafür, es eingeschaltet zu haben. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass meine Fesseln hielten und Niemand gekommen war um mich zu befreien oder dergleichen, grinste er zufrieden. „Guten Morgen, Darling! Deine neuen Mitbewohner hast du ja schon kennen gelernt!“ sagte er spöttisch und deutete auf eine Ratte die durch ein Loch in der Mauer gerade verschwand. „Für die Prinzessin nur die Beste Gesellschaft und unsere teuerste Suite“ fügte er hinzu und sah sich zufrieden in „meinem Reich“ um. Endlich konnte ich mich ebenfalls umsehen und das was ich sah war nicht gerade berauschend. Graue, von diversen Wasserschäden gezeichnete Wände, eine halb vermoderte Küche im Landhaus Stil, in der ich auf einem wackeligen Stuhl festgebunden war und ein klappriges Einzelbett zu meiner linken. In den Wänden fanden sich zahlreiche Löcher und der Putz bröckelte bei jedem Windhauch ein wenig mehr ab. Ich war mir sicher: ein heftiger Sturm und dass Haus stand nicht mehr lange.

Selbstzufrieden ging er auf mich zu und riss mir mit einem Ruck das Klebeband vom Mund. „Geht’s vielleicht ein bisschen mitfühlender? Das tut weh, verdammt nochmal!“ schrie ich Ihn an. Mein Mund und meine Wangen brannten vor Schmerz. Eigentlich sollte man in so einer Situation Angst haben, still sein, nicht provozieren und alles tun was Entführer von einem wollen, damit man sich nicht in Lebensgefahr bringt. Aber die Angst war schon langer meiner Wut gewichen. Ich war nicht nur wütend wegen der Entführung, ich war wütend auf alles und Jeden. Auf Larry, Muskelmann, auf meine dusselige Arbeitskollegin, über die vielen Vorschriften meiner Eltern, über die Worte von Nathan, einfach auf alles. Das hier, diese Situation gerade eben, war nur der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Nachdem er seinen zuerst verdutzten Blick abgelegt hatte und mich finster anblickte, antwortete er gelassen „Sehr nette Begrüßung, Prinzessin. Ich für meinen Teil habe meine Manieren noch nicht verlernt und wollte dir gerade was zu trinken anbieten.“ Er holte eine Plastikflasche hervor und kam näher um die Flasche mir an den Mund zu halten. „Damit du mich wieder betäuben kannst ? Kein Bedarf! Trink du doch. Ich hoffe du erstickst dran!“ giftete ich zurück. Er stieß einen leisen Fluch aus und ging wieder Richtung Nebenzimmer. „Wie du willst , es ist deine Entscheidung. Du kannst froh sein das ich dir nicht wieder den Mund zuklebe, so wie du dich benimmst. Übrigens du kannst ruhig versuchen um Hilfe zu schreien, doch hier draußen findet dich niemand, dafür haben wir gesorgt.“ er schenkte mir noch ein finsteres Grinsen und verschwand dann durch die Zimmertür. Diesmal war ich diejenige die vor sich hin fluchte. Nicht wegen seiner Worte sondern weil ich noch immer nicht erfahren hatte warum ich eigentlich hier war? Wollten die Lösegeld von meinen Eltern? Aber woher sollten die beiden wissen, dass ich Eltern mit dicken Bankkonten hatte? Und da war immer noch die Sache mit Nathan. Schließlich haben Sie sicher erst für mich interessiert, als das Gerücht auf kam, ich wäre mit ihm zusammen? Das alles ergab keinen Sinn…

Hätte ich nicht ein kleines vergittertes Fenster – das übrigens mal wieder geputzt werden könnte- in meinem „Palast“, hätte ich sicher jedes Zeitgefühl verloren. Meine Augenlider wurden schwer und ich begann immer wieder einzunicken. Irgendwann nachdem ich zum xten mal hochgeschreckt bin, gab ich es auf wach bleiben zu wollen und gab mich der Müdigkeit hin.

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The Letter

Genervt kam ich von der Arbeit nach Hause. Ich nahm die Post aus dem Briefkasten, ging damit hinauf und warf die Kuverts auf den Tisch. Ein paar davon vielen zu Boden, nur widerwillig hebte ich Sie auf. Seit ich vor ein paar Tagen, aus Adrianas Wohnung gestürmt bin, hatte ich schlechte Laune und Schuldgefühle. In der Arbeit war ich ständig gereizt und hatte keine Motivation für egal was. Seufzend lies ich mich auf einen der Küchensessel fallen und ging die Briefe durch. Rechnung, Werbung, Einladung zu einer Theatervorstellung und ein kleiner gelber Umschlag, waren meine Ausbeute.

Ich riss den Umschlag auf und holte den Brief hervor:

Lieber Nathan,

dass mit uns kann nicht so enden. Wir sollten über alles nochmal reden!

Treffen wir uns doch am Freitag. Ich hab dir noch eine Karte zum Brief dazu gesteckt, Dort werde ich um 14:00 Uhr warten.

In Liebe,

Adriana

Mein Magen fing nervös zum Grummeln an, nachdem ich den Brief zu Ende gelesen hatte. Es war zwar schön etwas von Ihr zu lesen aber irgendwas stimmte da doch nicht. Außerdem wer will jemanden wieder sehen der einen so behandelt, wie ich es habe? Normalerweise sollte man froh sein dass man so jemanden los ist. Das zumindest war mein Plan gewesen.

Das alles passte nicht zusammen. Auch auf meine Anrufe reagierte Sie nicht. Ich beschloss zu der A dresse zu fahren und mir selbst ein Bild davon zu machen. Ich sah mir die markierte Stelle auf der Karte noch einmal genau an, ehe ich ungeduldig in meiner Hosentasche herum wühlte bis ich die Schlüssel endlich gefunden hatte. Ich sperrte meinen Wagen auf und fuhr zum Treffpunkt.

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Etwas weiches berührte meinen Kopf und langsam öffnete ich meine Augen. Meine Fesseln waren gelöst worden und man hatte mich in das Klappbett gelegt. Ich drückte meinen Kopf zurück in das Kissen und sah mich verdutzt um. Auf einer verstaubten Obstkiste neben dem Bett lagen ein paar Kleidungsstücke – MEINE Kleidungsstücke. Ich zog die Bettdecke weg und starrte an mir herunter. Ich lag tatsächlich nur in Unterwäsche bekleidet auf dem Bett herum. Schnell packte ich meine Klamotten, stand auf und zog mir meine verdreckten Sachen an. Wie Wild hämmerte ich gegen die verschlossene Tür, um Ihnen gehörig meine Meinung zu sagen. Mein Klopfen war vergebens, niemand machte irgendwelche Anstalten mir Gelegenheit zu geben Sie anzuschreien. Nachdem ich wiedermal ordentlich vor mich her geflucht hatte, ging ich in die Küche. Der Küchentisch war abgewischt worden und darauf befand sich ein Teller mit Brötchen die mit Schinken und Käse gefüllt waren. Damit die Ratten sich nicht daran bedienten, haben Sie eine riesige Glasschüssel darüber gestülpt. Daneben stand eine Flasche mit Wasser. Wollen Sie mich schon wieder betäuben? Gelegenheit werde ich ihnen dazu sicher nicht geben, schon gar nicht da ich jetzt weiß WAS die mit mir machen wenn ich mal nicht munter bzw. bei Bewusstsein bin. Wild entschlossen nichts zu essen oder zu trinken, nahm ich bockig auf dem Bett Platz und kuschelte mich in die Decke. Durch die Löcher in der Wand pfeift der Wind erbarmungslos in meinen Raum und kühlt das Zimmer auf kalte zwölf Grad herunter. Zumindest verriet mir dass, das kleine silberne Thermometer an der Wand.

Da lag ich nun, mit der Decke bis zum Kinn heran gezogen und davon überzeugt nichts zu essen. Allerdings machte mir schon bald mein Magen einen Strich durch die Rechnung. Unaufhörliches Knurren und Glucksen, zwangen mich, mich von meinem Klappbett zu erheben und mich in die Küche zu begeben. Zaghaft roch ich an den Brötchen, sowie am Wasser. Irgendein fremdartiger Geruch kam mir jedenfalls nicht in die Nase. Widerwillig nahm ich einen ersten Bissen, aber nachdem ich auch geschmacklich nichts außergewöhnliches feststellen konnte, schnappte ich mir drei Brötchen balancierte Sie samt der Wasserflasche auf meinen Händen zum Bett, kuschelte mich wieder ihn die Decke und aß gierig meine erste Mahlzeit seit fast zwei Tagen.

Der Ruckartig auftretende Schmerz in meiner Brust kam ohne jede Vorwarnung. Den Bissen Brot den ich gerade noch im Mund hatte fand man nun auf dem Boden und mich selbst in einer gekrümmten Haltung auf dem Bett. Noch immer gab es kein Anzeichen dafür dass einer meiner „Wärter“ wieder bei meinem Gefängnis angekommen war und somit gab es auch keine Möglichkeit auf eine Schmerzlinderung durch Tabletten oder ähnlichem. Ich hasste es wenn ich einen dieser – ich nenne es jetzt mal „Anfälle“ – hatte. Meine erste Bekanntschaft mit meiner Krankheit hatte ich vor knappen 3 Monaten. Die Sonne knallte erbarmungslos auf die Haut und die einzige Möglichkeit Abkühlung zu finden bei 37 Grad im Schatten, war der Besuch des öffentlichen Schwimmbades. Der Geruch des Chlores brannte in der Nase und das Geschrei kleiner Kinder ertönte über die große Anlage. Die Sportler schwammen Ihre Bannen in den tiefen Tauchbecken oder sprangen von den verschiedenen Meter – Türmen. Unter den schattigen Bäumen lauerten die Gefahren der Großstadt zumindest was die Füße anging, zertretenes Eis, dass in der Zwischenzeit eine klebrige Suppe wurde, angegessene Pommes und so mancher Hundehaufen. Meine Freundin Denise und ich waren gerade von einer Runde im kühlen Nass zurückgekommen als es damit anfing dass ich keine Luft mehr bekam, zusätzlich kamen Brustschmerzen und Schwindel dazu. Ich sank auf die Knie und keuchte vor Atemnot. Denise rannte zum nächsten Bademeister und zerrte in regelrecht zu mir. Nachdem dieser den Notruf abgesetzt hatte und Sie mich in den Krankenwagen einluden, verliert sich meine Erinnerung an diesen Tag. Seitdem kommen die Anfälle in unregelmäßigen Abständen immer wieder. 

So schnell er gekommen war umso schneller war er wieder weg, keine halbe Stunde haben die Schmerzen angedauert und dass ist wirklich eine Rekordzeit. Der Brotkrümel der am Boden lag, hatte zwei große Ratten angelockt, die sich auf einander stürzten im Kampf auf Leben und Tod. Ein wackeliger Schritt von mir in deren Richtung und der Kampf war vergessen. Beide rannten so schnell sie konnten und verschwanden innerhalb von Sekunden in der Wand. Mein Kopf brummte immer noch, benommen sank ich zurück aufs Bett und schmiegte mich wieder unter die Decke. Ich ließ meine Gedanken kreisen, zum einen war da Domino, er war zwar bei meiner Nachbarin gut aufgehoben aber das machte mich auch nicht glücklicher, zum anderen war da mein Job, den ich auch keinen Fall verlieren wollte und zu guter Letzt blieben meine Tagträume bei Nathan hängen. Auch wenn er nicht dasselbe für mich empfand, war es schön die Erinnerung an die gemeinsame Zeit aufzufrischen. Es war herrlich sich an das Gefühl zu erinnern, wenn dich jemand anderes als deine Eltern im Arm hält und du das allseits bekannte Kribbeln in der Magengrube verspürst. Wenn du bei jeder Nachricht vom ihm zu grinsen anfängst, oder auch wenn du nur seinen Namen aufscheinen siehst. Es ist schwer jemanden zu vergessen, an den so viele wundervolle Erinnerungen verknüpft sind.

 

Impressum

Texte: Karoline Mathy
Bildmaterialien: Google
Tag der Veröffentlichung: 09.02.2013

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