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Taxi nach Odessa

Klaus Kogler, Mitte vierzig und schlank, saß in seinem Taxi und döste vor sich hin. Er dachte über sein Leben nach. Auf dem zweiten Bildungsweg hatte er das Abitur nachgeholt. Aber dann kamen die Kinder und er musste arbeiten gehen. So war er zum Taxi fahren gekommen.

Seine Frau Helene, von ihm Lene genannt, hatte als Sekretärin gearbeitet bevor die Kinder kamen.

Es hupte hinter ihm. Es war sein Kollege Fritz Kunze, von allen nur „der Dicke“ genannt, weil er seine Leibes fülle in zwei Jeans pressen konnte.

„Ja, ja“, rief Kogler, setzte sich bequem hinters Steuer, ließ den Motor an und fuhr etwas vor. Der andere folgte. Verfluchter Bahnhofsvorplatz, dachte er.

Ein Mann riss den Schlag auf. „Sind sie frei?“ Kogler bejahte und musterte den Fremden. Es war ein feiner Herr, so in einem teurem Zwirn und er hatte einen Hut auf. In seiner linken Hand trug er einen Diplomatenkoffer, einen mit Zahlenschloss. Der Schwall eines teuren Rasierwassers wehte durch den Fahrgastraum.

„Haben sie Gepäck?“, erkundigte sich der Fahrer. Der Herr schloss die Beifahrertür und öffnete die zum Fond.

„Nein“, kam es knapp aus dem Heck und der Mann ließ sich auf die Sitzbank nieder. „Aber wir holen unterwegs noch einen Koffer ab“, fügte er hinzu. Er hatte sich hinten nicht auf die Sitzbank gefläzt, wie es die Typen taten, die Kogler nachts aus der Kneipe holte. Sie laberten ihm den Kopf voll, waren laut und kamen sich wie die Könige vor. Manchmal erbrachen sie sich in seinem Wagen.

Dieser Mann war anders. Nun, es war ja auch nicht nachts und Klaus Kogler ahnte nicht, dass für ihn ein Abenteuer begann, dass er nicht einmal einem Kriminalfilm glauben würde.

„Wohin?“, fragte er, fuhr sich über das dunkle Haar und mit der anderen Hand drückte er den Knopf an seinem Taxameter.

„Odessa“, antwortete der Fremde ruhig. Er hatte den Diplomatenkoffer auf seine Knie gestellt und hielt ihn mit beiden Händen fest. Vielleicht hatte er Angst, dass man ihn ihm weg riss. Er saß ziemlich gerade und blickte starr nach vorn.

„Odessa“, wiederholte der Fahrer und legte den ersten Gang ein.

„Odessa?“, kam es noch einmal über seine Lippen und er schaute in den Rückspiegel. Der Herr sah geradeaus. Kogler wischte sich über die Stirn, er war verwirrt.

„Es gibt hier kein Hotel, das so heißt“, warf er ein. „Wo ist das?“

Der Fremde begegnete seinem Blick im Spiegel kurz. Ein wenig Spott und Überheblichkeit waren darin.

„Am Schwarzen Meer“, sagte er knapp.

Fritz Kunze hupte. Kogler sollte endlich losfahren.

„Aber vorher holen wir noch den Koffer ab“, bestimmte der Unbekannte. Kogler schluckte.

„Und wo ist der?“, wollte er wissen. Er spürte einen Kloß im Hals.

„In Berlin“, hörte er.

Berlin, Odessa am Schwarzen Meer – was lief hier ab?

"Reichen erstmal fünftausend?", vernahm er, wie auch das Rascheln eines Bündel Dollarnoten.

Kogler überlegte. „Aber ich muss nach Hause, Sachen packen und warum fliegen sie nicht oder nehmen die Bahn?“.

„Wir kaufen alles unterwegs und für das Taxi habe ich meine Gründe“, sagte der Fremde kurz.

„Aber ich muss meiner Frau Bescheid sagen“. Kogler zögerte.

„Das können sie von unterwegs. Sie haben doch ein Handy?“

„Aber ...“, wollte Kogler einwenden und fuhr sich durchs Gesicht, so dass sein Dreitage Bart knisterte. Der Fremde drückte ihm das Geldbündel in die Hand.

„Fahren sie endlich los“, sagte er mit eisiger Stimme. Kogler startete. Im Spiegel sah er, wie „der Dicke“ draußen durch atmete, sich hinters Lenkrad warf und vor fuhr. Über Funk gab Kogler sein Ziel an die Zentrale weiter. Sie fragten noch einmal nach und er bestätigte seine Angaben.

 

Er war auf dem Weg zur Autobahn, aus der Stadt heraus. Was er da eigentlich machte, begriff er immer noch nicht so ganz. Er schaute noch einmal in den Innenrückspiegel. Der Mann saß immer noch starr da und Kogler betrachtete ihn kurz. Der andere hatte seinen Hut abgenommen und Kogler sah sein in der Mitte gescheiteltes, kurzes, schwarzes Haar. Sein Gesicht war scharf geschnitten und die Augen, zu Schlitzen zusammengezogen, starrten ihn an. Dann schaute er wieder auf die Fahrbahn. Er hatte die Autobahnauffahrt erreicht.

„Wir werden einige Tage unterwegs sein“, sagte der Fremde kalt. „Wenn wir in Berlin sind, können sie die Sachen, die sie für unterwegs brauchen, einkaufen“.

Kogler brummte ein „Okay“.

„Unterwegs muss ich auch meine Frau anrufen, sie wird sich sonst Sorgen machen“, sagte er.

„Fahren sie“, sagte der andere.

 

Als Kogler auf die Autobahn nach Hannover fuhr, fing es an zu regnen.

„Auch das noch“, fluchte er. „Wissen Sie, normalerweise fahre ich solche weiten Strecken nicht. Die übernehmen meistens meine Kollegen“.

„Dann machen sie es diesmal selbst. Sie sehen mal was anderes und sie wissen ja, Reisen bildet. Sie kommen als ganz anderer Mensch wieder.“

Kogler zuckte die Achseln. Der Fremde hatte seinen Diplomatenkoffer neben sich gestellt und spähte aus dem Fenster.

Kogler sah kaum hundert Meter weit, das Spritzwasser des vor ihm fahrenden Wagens nahm ihm die Sicht. Er hatte die Scheibenwischer zwischenzeitlich fast auf Sturmgang gestellt.

Hinter Dortmund wurde es trocken. Sie durch fuhren flaches Land, sahen Forste und alte Bauernhäuser.

 

Er hatte seine Frau angerufen und gesagt, dass er eine längere Tour machen würde, aber nicht, dass nach Odessa. Berlin hatte er aber erwähnt. Sie machte sich Sorgen, etwas, was er jetzt nicht brauchen konnte. Er wollte raus aus den grauen Alttag, weg vom „Dicken“, von dem Bahnhofsvorplatz und den lästigen Fahrten. Er brauchte mal etwas anderes.

Die Sonne war herausgekommen und tauchte die Landschaft in blendende Helle. Kogler holte seine Sonnenbrille hervor und setzte sie auf. Noch immer glaubte er sich in einem Traum. Aber immerhin, sie waren auf dem Weg nach Berlin, um den mysteriösen Koffer zu holen und danach nach Odessa weiter zu fahren. Aber soweit dachte er jetzt noch nicht.

Der Verkehr hatte zugenommen und er musste aufpassen. Er schaute auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war jetzt sechzehn Uhr dreißig, Berufsverkehr, dachte er. Er überholte gerade einen Sattelschlepper, der aus der Ukraine kam. Da muss ich später hin, dachte er.

Er schaltete das Radio an. Sie spielten die aktuellen Hits, unterbrochen von den Stau Hinweisen. Auf ihrer Strecke schien alles glatt zu laufen. Er konzentrierte sich wieder auf den Verkehr.

 

Kurz nach Minden war es dann so weit. Die Autos krochen nur so dahin. Aber sie hatten Glück. Das Ganze löste sich schon bald auf und die Fahrt ging schnell weiter. Bald darauf verspürte er ein hungriges Gefühl, verkniff es sich aber. Der Fremde ließ sich nichts anmerken. Vermutlich hatte er, bevor er sich ins Taxi setzte, noch gut gegessen.

Kogler vergewisserte sich mit Blick ins Handschuhfach, dass sein Reisepass dort war.

Zufrieden verschloss er das Fach wieder, als er ihn entdeckte.

Dann endlich kam das Kreuz Hannover. Kogler schaute in den Innenrückspiegel. Sein Fahrgast schien ein genickt zu sein, denn sein Kopf lag auf der Brust. Kogler blickte wieder nach vorn. Er beeilte sich so schnell wie möglich das Hannoveraner Kreuz hinter sich zu bringen. Endlich ging es auf Berlin zu.

 

Hanna und Thomas Frank waren in die Stadt gefahren. Sie wollten zur Agentur „Childluck“, „Kinderglück“ um sich nach einem geeignetem Pflegekind umzusehen. Ein befreundetes Ehepaar hatte ihnen diese Agentur empfohlen. Sie selbst konnten keine Kinder kriegen und  sie wünschten sich schon lange eins.

Hanna hielt vor dem Hochhaus, in der sich die Agentur befinden sollte. Sie stiegen aus und begaben sich mit dem Lift in den 7. Stock, wo das Büro ausgeschildert war. Als sie es durch ein Milchglastür betraten, sahen sie eine Frau mit streng nach hinten gekämmten, dunklen Haaren an einem Tisch mit Bildschirm und Tastatur sitzen. Die Frau blickte sie durch eine große Hornrand Brille an.

„Sie kommen sicher wegen eines Kindes?“, empfing sie, sie. Hanna und Thomas Frank bejahten. Sie erhob sich und reichte ihnen nacheinander die Hand.

„Ryter, herzlich willkommen bei „Cildluck““, sagte sie, „da sind sie bei uns genau richtig“.

Sie schritt auf einen Tisch zu, an dem sich ein Bildschirm mit einer Tastatur befand.

„Hier können sie sich schon ein wenig umsehen, während ich mir ihre Personalien notiere.“

Sie setzte sich an den Tisch und begann damit, nach den Namen und Daten der beiden zu fragen. Diese notierte sie auf einem Blatt Papier. Dann war sie mit den Eintragungen fertig.

„Und haben sie etwas in unserer Kartei gefunden?“, fragte sie.

Frau Frank zeigte auf einen Eintrag, die ihr Mann heraus gesucht hatte. Der zeigte ein Foto und die Daten eines kleinen Babys.

„Das wäre vielleicht etwas“, meinte sie.

Die Frau hinter der Theke gab es in ihrem PC ein.

„Eins muss ich ihnen noch sagen, Wenn es zu einer Vermittlung kommt, werden fünfzigtausend Dollar fällig“.

„Ist schon recht“, sagte Herr Frank.

„Ich rufe sie zurück, da hier noch einiges bearbeitet werden muss“, sagte sie.

Das Ehepaar verabschiedete sich und verließ das Büro. Frau Ryter nahm den Hörer vom Telefon und wählte.

 

Sie fuhren an Magdeburg vorbei und die Sonne schien immer noch. Kogler sah wieder in den Innenrückspiegel, der Mann hinten döste noch. Vielleicht tut er auch nur so, dachte Kogler.

Als er aus dem Seitenfenster schaute, sah er in der Ferne die Dom türme Magdeburgs.

„Ich muss bald tanken“, wandte er sich an den Gast, mit Blick auf die Kraftstoffanzeige.

„Machen sie, Geld haben sie ja“, meinte der Andere kalt.

Wieder nickte Kogler. Hoffentlich nehmen sie Dollars, dachte er. Er fühlte in der Jacken Innentasche nach, in der er das Geld gesteckt hatte. Es knisterte etwas. Beruhigt zog er die Hand wieder hinaus.

An der nächsten Raststätte fuhr er von der Autobahn herunter. Obgleich seiner Befürchtungen nahm der Kassierer die Dollars und rechnete ihm dabei sogar den aktuellen Tageskurs an. Der Fremde blieb dabei im Fahrzeug. Dann setzten sie die Fahrt fort.

Der Verkehr verlief ruhig. Dann kam eine Baustelle und Kogler musste sich voll auf die Fahrbahn konzentrieren, von der nur ein Fahrstreifen hin und zurück zur Verfügung stand. Es war nicht mehr weit bis Berlin. Kogler sah aufs Taxameter, einige Hundert Euro hatte sein seltsamer Fahrgast schon verbraucht. Wenn sie nach Berlin kamen, könnte er ihn absetzen und sich aus dem Staub machen, überlegte er. Aber Odessa reizte ihn auch. Noch nie war er so weit mit seinem Taxi gekommen und außerdem hatte er die Fahrt angenommen.

Früher war er mit Lene in den Urlaub gefahren, aber das war lange bevor der Nachwuchs sich eingestellt hatte. Dann wurde es enger und sie hatten auf vieles verzichten müssen. Er blickte wieder in den Innenrückspiegel. Sein Fahrgast war aufgewacht.

„Wo sind wir denn jetzt?“, fragte er.

„Wir sind an

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.05.2013
ISBN: 978-3-7309-2755-7

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Widmung:
Den Opfern gewidmet

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