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"Freiheit bedeutet frei zu sein, jedoch nicht so frei zu sein, dass andere nicht mehr frei sind! Denkt darüber nach, Leute."
Mit diesen Worten schloss Mr. McKinley den Philosophieunterricht und Lee packte gedankenverloren seine Tasche zusammen. Lee schulterte seinen Rucksack und schlurfte durch den langen, überfüllten Hauptgang in Richtung Parkplatz. "Ey Jackson, wohin so schnell?", rief ihm eine Stimme hinterher. Diese Stimme gehörte Simon Nolan, einem Footballspieler und Schlägertypen. Lee antwortete nicht und beschleunigte seine Schritte, doch Simon begann nun zu rennen und warf Lee zu Boden. "Du Penner antwortest gefällig, wenn ich dich etwas frage!", zischte Simon und hielt ihn zu Boden gedrückt. "Ja. Was willst du?", gab Lee tonlos zurück, denn er wusste, was jetzt kam. Es geschah schließlich jede Woche. Und jede Woche versuchte Lee auszuweichen, doch irgendwie fand Simon ihn immer. Natürlich hatte er seine Spitzel, die ihm sagten, wann Lee wo aus dem Klassenraum kam. Selbstverständlich hatte er sich mit Lehrern in Verbindung gesetzt, aber sie taten freilich nichts, denn Simons Vater spendete regelmäßig größere Summen an die Schule. "Es ist Freitag, Jackson! Zahltag!", lachte Simon und zog das Portemonnaie aus Lees Jacke. "Dieses Mal sind es dann 30 Dollar, weil ich dich ja fangen musste! Das nächste Mal zahlst du gleich morgens, sonst wird es dir leid tun!", sagte er und gab das Portemonnaie zurück.
Lee stand auf, richtete seine Kleidung und ging weiter zum Parkplatz. "Verdammt, wie soll ich jetzt tanken? Wenn Mom das mitbekommt, gibt's Ärger!", dachte er traurig. Lees Familie war arm. Einmal die Woche bekam er von seiner Mutter Taschengeld, damit er seinen Ford Thunderbird, den schon sein Großvater fuhr, betanken konnte. Er stieg in seinen Wagen und fuhr los. Besorgt schaute er auf die Tankanzeige. "Ob ich es damit noch schaffe, ist fraglich.", sagte er leise zu sich und schaltete den CD Player ein. Den hatte er sich von dem Geld gekauft, was er durch einen Ferienjob im "Billy's Burger" verdient hatte. Noch 5 Meilen und die Tankanzeige stand schon auf Reserve. Noch 3 Meilen. Stotternd starb der Motor und der Wagen rollte noch ein paar Meter aus. "Scheiße!", schrie Lee und stieg aus, um den Wagen anzuschieben. Als er an Glenn's Bar vorbeischob, sah er Melissa auf der Terasse sitzen und rauchen. "Hi Mel!", grüßte er sie und schob weiter. Der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht, hatte es draußen doch 32 Grad im Schatten. Mit wenigen Schritten war Melissa bei ihm und half, den Wagen zu schieben. Sie hatte langes, rotes Haar, welches in einem Pferdeschwanz auf ihren Rücken fiel. Sie war von schlanker, jedoch trainierter Gestalt und ihre grünen Augen glühten vor Wut. "Hat Simon dir wieder dein ganzes Geld abgenommen?", fragte sie zornig, wobei die Zigarette in ihrem Mundwinkel tanzte. "Du kennst es doch. Jede Woche die gleiche Scheiße und kein Pauker hilft mir, weil sein Vater Geld spendet.", gab Lee keuchend zurück. Melissa ging zum Fahrersitz und zog die Handbremse an. "Setz dich erst einmal hin und rauch' eine. Du bist ja völlig verschwitzt. Hast du Durst? Hunger?", fragte sie und klang dabei ungewöhnlich liebevoll. "Ich möchte nichts.", erwiderte Lee, strich sich eine verschwitze Strähne aus dem Gesicht und zündete sich eine von Melissas starken, deutschen Zigaretten an. Sie importierte die Dinger stangenweise und verkaufte ihm immer die Hälfte für ein Viertel des Preises. "Bockmist! Ich bestelle uns was, sobald wir bei dir zuhause sind. Ist doch bloß noch eine Meile, also hopp hopp!", feuerte sie ihn an. "Lass mich wenigstens aufrauchen!", entgegnete Lee grinsend und setzte sich euf die Motorhaube seines Wagens. Melissa war wie eine Schwester zu ihm. Er wusste noch genau wie es war, als sie einander das erste Mal gesehen haben. Er war neu an der Schule und wurde von zwei größeren Jungen geärgert und geschubst. "Lasst ihn in Ruhe!", hatte die damals 10-jährige Melissa gerufen und die beiden Kerle umgeschubst und ihnen gegen die Scheinbeine getreten. Dann gingen sie beide in den Klassenraum.
Das war jetzt zehn Jahre her. Melissa war inzwischen eine hübsche, jedoch auch wehrhafte Frau geworden. Lee hingegen war groß und schlank geworden. Auch seine Haare fielen ihm in einem Pferdeschwanz auf den Rücken, waren jedoch nicht so lang wie die von Melissa. "So, aufgeraucht? Dann los!", wurde er von ihr aus seinen Gedanken gerissen. Er schritt hinter den Wagen und schob. Nach einiger Zeit kam er zuhause an und seine Mutter stand bereits an der Einfahrt und sah besorgt aus. "Lee wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht. Dir hätte etwas passiert sein können. Und warum hast du nicht getankt?", fragte sie. Sie war einst eine hübsche Frau, doch das Alter und ihre Krankheit hatten sie gezeichnet. Seinen Vater kannte er gar nicht, denn der ist nach Lees Geburt verschwunden, hatte ihm seine Mutter jedenfalls erzählt. "Das gleiche wie immer, Mrs. Jackson!", antwortete Melissa an Lees Stelle. "Simon hat ihm sein Benzingeld abgenommen, wie jede Woche." "Was ist das bloß für ein Mensch? Seine Familie hat doch genug Geld, warum nimmt er also anderen das Geld weg?", ereiferte Mrs. Jackson sich. "Nein, nicht allen. Nur Lee.", erwiderte Melissa und holte ihr Handy aus der Tasche. "Was möchten Sie, Mrs. Jackson?", fragte sie freundlich. "Wie, was möchte ich?", kam die verwirrte Gegenfrage. "Ich möchte etwas zu essen bestellen und frage, was Sie möchten, Mrs. Jackson.", gab Melissa ruhig zurück. Eine halbe Stunde später saßen die drei am Tisch und ließen sich Pizza schmecken. Nach dem Essen nahm Melissa Lees Mutter beiseite. "So kann das nicht weitergehen! Er muss sich endlichzur Wehr setzen, sonst geht er kaputt. Ich nehme ihn ab Sonntag für eine Woche bei mir auf, damit gewährleistet ist, dass er zur Schule kommt. Danach sind Ferien und ich helfe ihm, dass er in den Ferien Arbeit findet. Er braucht Geld, Sie brauchen Geld. Habe ich Ihre Unterstützung?", fragte Melissa leise, denn Lee stand unter der Dusche und sollte nichts mitbekommen. "Ja, hast du. Ich komme die Woche auch alleine zurecht, schließlich kommt meine Schwester Darla aus New Orleans zu mir, die kann mir dann helfen. Du bist so ein gutes Mädchen, ich weiß gar nicht, warum du nicht mit Lee zusammen bist.", erwiderte Lees Mutter leise. "Weil er mein bester Freund ist!", gab Melissa schnippisch zurück und lächelte. Dann ließ sie sich von ihrer Mutter abholen.
Lee ging auf sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Er hörte noch ein wenig Musik, bevor er endlich einschlief.
Am nächsten Morgen wachte er früh auf und ging nach draußen in den Garten, wo ein großer Hauklotz stand. Zielstrebig begann er, mit einer Axt, die er zuvor aus dem Schuppen geholt hatte, Holz für den Kamin zu hacken. "Wenn ich das jeden Morgen mache, werde ich bestimmt kräftiger.", dachte er und hackte weiter. Er wollte, dass seine Mom bis zum Herbst kein Holz mehr hacken musste. Er wusste nicht mehr, wie lange er Holz spaltete, beiseite aufstapelte und zwischendurch eine Zigarette rauchte, denn ehe er es sich versah, war es auch schon Mittag.
Die Sonne brannte ihm im Nacken und ihm taten die Schultern weh. Er wunderte sich, dass seine Mom noch nicht geschaut hatte, was er trieb, machte sich jedoch keine Sorgen deswegen.
Er hackte bis in die frühen Abendstunden und hörte erst auf, als es dunkel wurde. Als er die letzten Holzscheite aufstapelte, spürte er eine Hand auf seiner Schulter und erschrak. Schnell drehte er sich um und sah in die besorgten Augen seiner Mutter. "Lee, komm rein und iss etwas. Du bist ja ganz erschöpft.", sagte sie und sah noch älter aus als sonst. "Ja, Mom, ich komme.", sagt er leise und folgte ihr. Schweigend setzte er sich an den Tisch und wartete auf seine Mutter. Sie lächelte schwach, als sie ihm zwei Scheiben Hackbraten, Kartoffeln und Sauce und ein wenig Gemüse hinstellte. "Wow, danke Mom.", freute er sich und begann zu essen. Bewusst ließ er sich Zeit, denn er wusste, dass seine Mutter das Essen nur ihm zuliebe gemacht hat. Anschließend spülte er ab und schlurfte zurück in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett und schnappte sich das Telefon. "Archer?", meldete sich Melissa am anderen Ende der Leitung. "Hallo Mel, was liegt an?", fragte er. "Ach, nicht viel. Ich denke, ich werde gleich noch etwas lesen und dann gehe ich schlafen. Warum fragst du?" "Ich dachte, du hättest Lust, noch vorbeizukommen und wir machen einen Spaziergang. Haben wir doch lange nicht mehr gemacht, oder?" "Stimmt. Ich komme vorbei. Bin so in 15 Minuten bei dir. Bis gleich!", antwortete sie und legte auf. Lee freute sich schon auf sie und ging in den Garten. Er setzte sich auf den Hauklotz und rauchte eine Zigarette. Als Melissa kam, schnippte er die Zigarette weg und ging dann mit ihr in Richtung Dorf. Das Dorf war klein und still. Besonders um diese Uhrzeit war kein Auto unterwegs und auch die Straßen waren Menschenleer. Die beiden unterhielten sich über alles Mögliche und Lee hörte sich die Sorgen und Probleme von Melissa an. Er blieb stehen, als er hörte, dass irgendetwas in ihrer, sonst so harten, Stimme anders war. Hörte er einen Anflug von Trauer? Schnell ging er weiter und sah sie aus den Augenwinkeln an. Ihr liefen Tränen über das Gesicht, doch sie sah stur nach vorn, als sollte Lee ihre Tränen nicht sehen.
Sie kamen an ihrem Lieblingsplatz an und setzten sich auf einen umgekippten Baumstamm. Hier, hinter dem alten Schrottplatz, saßen sie oft und redeten endlos lange miteinander oder schauten sich den Himmel an. In dieser Nacht war der Vollmond leicht orange und eine Sternschnuppe flog vorbei. Lee wünschte sich stumm, dass Melissa nie wieder traurig sein müsste. An sich dachte er stets zuletzt und wenn er es tat, kam er doch zu kurz. Nun saß er neben Melissa, hielt sie im Arm und sprach beruhigend zu ihr. Er spürte, wie die Schluchzer weniger wurden und irgendwann schlief sie in seinen Armen ein. Lee schaute zu ihr hinunter. Ihre Haut schien blass im Mondlicht und ihr weißes Sommerkleid trug noch zu ihrer Märchenhaften Erscheinung bei. Geistesabwesend streichelte er ihre Stirn und sah sie an. War sie sonst so stark und unnahbar, wirkte sie nun zerbrechlicher denn je, fast aus Porzellan. Ihre Brust hob und senkte sich und Lee spürte jeden einzelnen Atemzug. Er zündete sich eine Zigarette an und schloss die Augen. Er dachte daran zurück, wie er und Melissa vor acht Jahren hier saßen und sich einmal schworen, dass sie immer füreinander da sein würden. Dieser Schwur wurde nie gebrochen und keiner von beiden wird ihn vergessen. Lee erschrak, als Melissa im Schlaf einen Arm um seine Hüfte legte. Wenig später schlief auch er ein.
Am nächsten Morgen wachte er zerknirscht auf. Er fühlte sich, als hätte ihn ein LKW überfahren. Sein Kopf schmerzte, sein Nacken tat weh und der Rest seines Körper fühlte sich an, als würde er gleich auseinanderreißen. Melissa öffnete die Augen und sah ihn verschlafen an. "Guten Morgen.", murmelte sie, gähnte herzhaft und stand auf. Ihre Haare wehten mit dem Wind und es sah bezaubernd aus. Lee steckte sich eine Zigarette an, stand auf und sie gingen schweigend durch das Dorf, welches im Morgennebel einen mystischen Hauch hatte. "Lee?", brach Melissa das Schweigen. "Hm?", brummte er müde. "Danke, dass du immer für mich da bist. Dass du mir zuhörst und mir Ratschläge gibst. Danke, dass du das alles tust.", sagte sie leise und ging neben ihm her. "Dafür nicht. Ich helfe dir gerne und ich mag dich. Du bist meine beste Freundin, Mel. Dass du mir alles bedeutest, muss ich dir nicht erklären, oder?", gab er zurück und gähnte herzhaft. Sie bogen gerade in die Hauptstraße ein, als ein Polizeiwagen um die Ecke gerast kam. Langsam schlenderten Melissa und Lee an grünen, vom Nebel bedeckten Wiesen und Häusern vorbei. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie Lees Haus, vor dem der Streifenwagen stand. Lee rannte auf einen der Polizisten zu. "Was ist hier los?", fragte er panisch. "Sie sind Lee Jackson? Ihre Mutter ist letzte Nacht an einem Herzversagen gestorben. Sie rief gegen 22.00 Uhr an, eine halbe Stunde später wurde im New Oaks Hospital der Tod festgestellt.", erwiderte der Polizist mitfühlend. Lee sank ungläubig auf die Knie. "Das ist ein Scherz. Officer, sagen Sie, dass es ein Scherz ist!", stammelte er schluchzend. "Leider nein, Junge. Wissen Sie, wo sie unterkommen können oder möchten Sie hier wohnen bleiben?", fragte der Officer ruhig. Lee wollte bleiben und setzte sich auf den Hauklotz. Die Polizei verabschiedete sich und fuhr davon. Ihm liefen die Tränen wie Bäche über das Gesicht und Melissa drückte ihn sanft an sich. "Ist ja gut. Ich fühle mit dir. Deine Mutter war eine herzensgute Frau. Und sie war so stark, schließlich wart ihr arm und sie hat trotzdem alles hinbekommen. Ihre Krankheit war stärker als sie, Lee.", versuchte sie zu trösten. Lee nickte kaum merklich und ging ins Haus. Melissa folgte ihm und beobachtete ihn aufmerksam. Er schritt durch das Schlafzimmer seiner Mutter, sah es sich fast andächtig an und ging dann auf sein Zimmer. Er warf sich auf sein Bett und weinte hemmungslos. Er war allein. Sein Vater hatte ihn früh verlassen und nun auch noch seine Mutter! Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, als er aufstand, denn er hatte sich wohl in denn Schlaf geweint. Langsam ging er auf den Flur und erschrak. Hatte jemand die Dusche angelassen? Wenn ja, so war es ihm vorher nicht aufgefallen. Er ging ins bad und zog den Duschvorhang zur Seite. Noch im selben Moment schob er ihn zurück und stolperte, Entschuldigungen stammelnd, zurück in den Flur. Melissa duschte und er hatte sie nackt gesehen! Peinlich berührt floh er die Treppe hinab. In der Mitte der Treppe brach er ein, als er die morsche Stufe erwischte. Unflätig und obszön fluchend befreite er sich aus der Treppe und drehte sich um, um zu kontrollieren, ob man die Treppe reparieren konnte. Er sah, dass die Stufe wie ein Deckel aussah. Aufgeregt hob er die Stufe und ein kleines, schwarzes Kästchen kam zum Vorschein. Behutsam zog er das Kästchen aus dem Staub und stellte es auf den Küchentisch. ehrfürchtig lüftete er den Deckel und sah einen Haufen Briefe, Fotos und Postkarten. Aufgeregt kramte er sie aus dem Kästchen heraus und öffnete einen Umschlag, auf dem der 27.04.1993, sein Geburtstag, angegeben war. "Liebste Nancy, nun bin ich schon vier Jahre in Deutschland und arbeite noch immer sehr hart. Natürlich spare ich jeden Monat Geld, damit es Lee und dir gutgeht. Wenn alles klappt, werde ich noch nächsten Monat befördert und es gibt mehr Geld für euch. Ich hoffe, Lee ist brav und ihm geht gut. Du fehlst mir sehr und ich mache mir große Sorgen um dich und deine Krankheit. Bitte werd' schnell gesund! In Liebe Rick." Lee legte den Brief zur Seite und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Melissa kam die Treppe herunter und Lee schaute sie an. Sie trug nun ein langes Shirt, welches sie sich von Lee geliehen hatte und ihr bis zu den Knien reichte. Dazu fielen ihr die ungekämmten, offenen Haare auf die Schultern. "Was machst du da?", fragte sie und sah den Papierhaufen auf dem Tisch. "Ich lese Briefe von Dad.", gab er aufgeregt zurück. Sie setzte sich ihm gegenüber hin und stöberte mit in den Briefen. Verstohlen schaute er zu ihr herüber und sah, wie ihre Augen hin und herhuschten. Ihre Lippen bewegten sich sanft, als sie lautlos las. Es war zwar unpassend, aber Lee wollte diese Lippen küssen. Jetzt. Melissa sah, dass er sie anstarrte und grinste. "Was ist?", fragte sie lächelnd, "habe ich was im Gesicht?" "Nein, sorry.", gab er zurück und las weiter. "Lee, der hier ist interessant!", rief sie plötzlich aus und begann, vorzulesen: "Liebe Nancy, lieber Lee. Ich werde dieses Jahr zurückkommen und mit euch ein neues Leben beginnen. Meine Firma expandiert in die USA und ich werde der Chef werden. Das bedeutet, dass ich mehrere Zehntausend Dollar im Monat verdienen werde. Stellt euch das mal vor! Endlich könnt ihr sorgenfrei leben. Hab euch beide lieb. Rick" Lee stutze. "Von wann ist der Brief?", fragte er erstaunt. "Der ist gerade mal zwei Jahre alt!", stellte Melissa fest. "Dann ist es doch eigenartig, dass er sich nicht mehr gemeldet hat, oder?", überlegte er laut. "Das heißt, du willst nachforschen?" "Ja, Mel. Ich forsche nach!", erwiderte er begeistert, stand auf und überlegte. Melissa sah in an und wieder zog sie Lees Blick magisch an. Erneut wollte Lee sie küssen. Es war wie ein Drang, den er befriedigen musste. "Nein, das kannst du nicht machen, das ist deine beste Freundin!", sagte eine Stimme in seinem Kopf. "Klar kannst du das! Ran da, ist doch nur ein Kuss!", ertönte eine zweite Stimme. Lee ging auf Melissa zu, sah ihr tief in die Augen und drehte sich dann wieder um. "Was war das denn?", fragte sie ihn, stand auf und drehte ihn zu sich herum. Ihre Unterlippe bebte und das tat sie immer, wenn sie gereizt war. Nun beugte Lee sich nach vorne und berührte ihre Lippen mit seinen. Erst nur flüchtig, doch dann wurde es ein richtiger, leidenschaftlicher Kuss. Erschrocken wich Melissa zurück. "Lee...ich...wir...Das war...falsch!", stammelte sie und sah ihn an. "Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Verzeih mir, Mel." "Schon gut. Ich fahre nach Hause und lerne noch ein bisschen. Bis morgen in der Schule dann.", entgegnete sie tonlos und ging. Lee saß alleine am Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Früher durfte er im Haus nicht rauchen, jetzt, als er allein ist, tat er es einfach. Hauptsache, es roch nicht mehr nach demParfum seiner Mom. Er schlurfte in ihr Zimmer hoch und öffnete ihre Nachtschrankschublade. Ein Revolver und ein Schmuckkästchen waren darin aufbewahrt. Er öffnete das Schmuckkästchen und fand darin 100 Dollar und den Schlüssel für den Keller. Nachdem er das Geld eingesteckt hatte, begab er sich schnurstracks in den Keller. Er war noch nie dort und stellte fest, dass es erstaunlich sauber dort war. Überal standen Kisten und in einer Ecke drei Kanister. Lee ging darauf zu und hob sie an. Eindeutig waren sie voll. Er nahm zwei von ihnen und befüllte damit seinen Thunderbird, den dritten Kanister packte er in den Kofferraum. Die beiden leeren Kanister brachte er in den Keller zurück, ging aus dem Haus und schloss die Haustür ab. Er stieg in seinen Wagen und schaltete den CD Player ein. Sofort ertönten die vertrauten Klänge von Bruce Springsteens "Born in the USA", als er den Wagen startete und vom Hof fuhr.

Gedankenverloren fuhr er in Richtung Supermarkt. Irgendwie realisierte er erst jetzt, dass seine Mom ihn verlassen hat. Es tat weh und er ließ seine Tränen einfach laufen. "Ein echter Mann heult nicht!", hatte sein Dad ihm damals immer gesagt und nun schwirrten die Worte in seinem Kopf umher wie ein lästiger Mückenschwarm. Lee sah nicht sorgfältig genug hin, als er auf den Parkplatz bog. Nur knapp konnte er das Lenkrad noch einschlagen, um nicht mit einer jungen Frau zusammenzustoßen, die ihren Wagen an seinem vorbeilenken wollte. Als er eingeparkt hatte, wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht und fasste sich. Er stieg aus, holte sich einen Einkaufswagen und betrat den Supermarkt. Jetzt, da er Geld bei sich hatte, belud er den Wagen bis an seine Grenze mit Lebensmitteln. Völlig geistesabwesend schlenderte er durch den Markt auf die Kassen zu. "Ob ich Mel erzählen sollte, dass ich meinen Dad finden will?", überlegte er, kam dann aber zu dem Schluss, dass er es ihr nicht sagen würde. Sie würde ihn nur für verrückt halten. Innerlich hin- und hergerissen zwischen Unruhe und Gelassenheit, begab er sich zur Kasse, bezahlte und belud anschließend gerade sein Auto, als er Mels Stimme hörte. "Hey großer, was machst du da?", fragte sie ihn. "Ich habe eingekauft, weil ich etwas Großes vorhabe. Ich will meinen Dad suchen.", sprudelte es aus ihm heraus. Insgeheim scholt er sich selbst dafür, dass er ihr gesagt hat, was er vorhatte. "Deinen Dad suchen? Mensch, er ist damals einfach ohne ein Wort gegangen! Vergiss ihn und lebe dein eigenes Leben.", mahnte sie. "Nein! Ich werde ihn suchen und nichts hält mich auf.", erwiderte Lee trotzig. "Meinst du, Jackson? Schatz, warum gibst du dich mit einem wie ihm ab?", es war Simon Nolan, der das gesagt hatte und nun zu ihnen stieß. Er küsste Melissa sanft und sah Lee höhnisch an. "Leck mich, Penner!", knurrte Lee und schob den Einkaufswagen zurück. "Ach Jackson, du bist so ein armer Pisser! Dein eigener Vater wollte dich schon nicht haben. Warum also verziehst du dich nicht einfach?", fragte Simon und drückte Melissa an sich. "Nolan, halt die Klappe!", zischte Lee und stieg in seinen Wagen. Nun fuhr er los und bog vom Parkplatz direkt auf die Hauptstraße. Er ließ das Dorf schnell hinter sich und sah an den Straßenrand. Die Schilder wiesen ihn darauf hin, dass er in zwei Meilen auf den Highway abbiegen musste. Und das tat er auch, als er es sollte. Auf dem Highway schien nicht viel los zu sein. Lee hatte freie Bahn und beschleunigte den Thunderbird weiter. Er schaltete das Radio ein und hörte sich dann den guten Rocksender KPUT an, der immer Rock spielte. Gerade lief "Jessies Girl" von Rick Springfield und Lee sang lauthals mit. Wie lange er fuhr, wusste er nicht, doch er jubelte, als er ein Schild las, dass er Alabama verließ. Die Mittagssonne brannte und der Highway füllte sich schnell. Lee spürte, dass er langsam müde wurde, doch er zwang sich, wach zu bleiben. Nach einiger Zeit fuhr er auf eine Raststätte und bestellte sich in der Bar einen Kaffee. Ein paar Trucker saßen am Tresen und machten ihre Pause. Lee setzte sich dazu und fragte, wie lange es wohl dauern würde, bis nach Oregon zu fahren. Über die Polizei in seiner Heimat hatte er herausgefunden, dass sein Vater in Oregon lebte. "Wie lange es dauert, bis nach Oregon zu fahren? Lass mich überlegen. Ich denke, du bist in drei Wochen da. Mach regelmäßig Pausen und bleib auf den Highways. Nur wenn es nötig ist, solltest du kleinere Straßen befahren.", antwortete einer von den Truckern. Er sprach mit einem legeren Südstaatenslang und hatte ein freundliches, wachsames Gesicht. Lee saß noch lange bei den Truckern und lauschte ihren Geschichten über ihre Touren und die Ferne.
Abends, die Sonne war gerade untergegangen, schlenderte Lee zu seinem Auto und legte sich auf die Rückbank. Wenig später schlief er ein.
Der nächste Morgen war verregnet und grau. Regentropfen prasselten wie ein Trommelfeuer auf das Wagendach ein und bildeten einen Vorhang, der die Sicht einschränkte. Die LKW von Harold und den anderen waren fort, als Lee lustlos aufwachte. "Ach du Scheiße, was ist das für ein Wetter?", sagte er zu sich selbst und kroch ächzend und stöhnend auf den Fahrersitz. Er startete den Motor und fuhr langsam vom Parkplatz des Rasthofes auf den Highway zurück. Der Regen peitschte gegen die Windschutzscheibe und selbst die Scheibenwischer hatten Mühe, gegen die himmlischen Wassermassen anzukämpfen. Gähnend schaltete er das Radio ein. "Guten Morgen, Tennessee. Wie ihr seht, ist es heute ziemlich verregnet und daher wollen wir, weil das Wetter auch so bleiben soll, euch mit Sommerhits erfreuen. Also freut euch auf California Dreamin'! Ich bin Terry Malone und ihr hört KBLAH.", hörte Lee den Radiosprecher sagen. "Wenn das so bleibt, dann fahre ich, soweit wie ich komme.", dachte er und fuhr gelangweilt weiter. Hin und wieder fuhren irgendwelche Streifenwagen vorbei und bildeten einen Kontrast zum sonst so eintönigen Verkehrsbild.
Noch am selben Abend überfuhr er die Grenze zwischen Tennessee und Missouri. Es war Mitternacht, als er auf einen Rasthof fuhr, aus dem Auto stieg und sich die Beine vertrat. Rauchend schlenderte er über den Parkplatz und dachte nach. Er war nun schon eine Weile unterwegs und hatte Alabama und auch Tennessee hinter sich gelassen. Nachdenklich schaute er auf sein Handy und stellte amüsiert fest, dass Melissa versucht hatte, ihn anzurufen. "Welch ein Glück, dass ich das Telefon auf lautlos hatte. Außerdem, was will sie von mir? Mich von meinem Ziel abbringen? Soll sie sich doch von dem Nolan flachlegen lassen, so wie er es mit jeder tut.", dachte Lee verbittert, öffnete den Kofferraum und holte sich etwas zu essen heraus. Er schnippte seine Zigarettenkippe weg und setzte sich wieder ins Auto, um zu essen. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis Lee aufgegessen hatte. Dann stand er auf, ging unruhig auf dem Parkplatz hin und her, rauchte noch eine Verdauungszigarette und ging anschließend schlafen. Diese Nacht schlief er sehr unruhig. Er träumte von seiner Mutter. Sie hatte ihre Herzkrankheit, seitdem sie ein Kind war. Während der Schwangerschaft musste sie ihre Tabletten absetzen und das hatte die Krankheit hervortreten lassen. Vor drei Jahren hatte sie einen schweren Herzinfarkt erlitten und ihr Zustand verschlechterte sich seitdem dramatisch. Es war ihr fünfter Herzinfarkt, der sie schließlich getötet hatte. Tränen rannen Lee übers Gesicht, doch da er schlief, bemerkte er dies nicht. Der nächste Morgen war sonnig und klar und Lee wurde von Vogelgezwitscher geweckt. Er hatte sich gerade eine Zigarette angezündet, da klopfte es an seiner Scheibe. Nachdem er die Scheibe heruntergekurbelt hatte, erschein ein weibliches Gesicht. "Wo fahren Sie hin?", fragte die junge Frau unruhig. "Ich bin auf dem Weg nach Oregon.", gab Lee gähnend zurück und musterte die Frau. Sie hatte einen großen Rucksack geschultert und wirkte, als sei sie überhastet aufgebrochen. "Bitte, nehmen Sie mich mit! Sie sind meine letzte Hoffnung, alle anderen wollen mich nicht mitnehmen.", flehte sie ihn an. Sie war mitleiderregend und so willigte Lee ein. "Hüpf' rein. Sag mir nur, wo ich dich rauslassen soll.", gab er zurück und wartete, bis die Frau sich angeschnallt hatte, nachdem ihr Rucksack im Kofferraum verstaut worden war. Lee startete den Wagen und fuhr wieder auf den Highway. Schweigend beschleunigte er seinen alten Thunderbird und ließ den Rastplatz hinter sich. Stundenlang sagten beide kein Wort. Gelegentlich wurde die Stille unterbrochen, wenn Lee sich eine Zigarette anzündete oder die junge Frau hustete. Endlich wurde es Lee zu bunt. "Wie heißt du eigentlich?", fragte er die Frau. "Ich heiße Alison, aber meine Freunde nennen mich Ally.", antwortete sie und lächelte nervös. "Mein Name ist Lee. Warum bist du eigentlich weggelaufen?", erwiderte Lee und überholte ein Wohnmobil, welches schon seit einer Viertelstunde vor ihm herumtuckerte. "Meine Eltern streiten sich andauernd und ich kriege auch genug ab. Deswegen will ich weit weg und Oregon klingt weit genug.", entgegnete Ally. Lee schluckte, sagte jedoch nichts. Er sah Ally aus den Augenwinkeln an. Sie hatte schulterlanges, schwarzes Haar, eine gerade Nase, ein rundes Kinn und sinnliche, volle Lippen. Ihre Augen waren von einem leuchtenden Blau und ihre Statur war groß und dennoch sehr weiblich. "Warum bist du von Alabama nach Oregon unterwegs?", wollte Alison wissen und brach die erneut aufgetretene Stille. "Ich reise einfach mal durch die Staaten und mache Urlaub.", log Lee rasch. "Wenn du nicht darüber sprechen willst, dann sag' es mir ruhig, aber belüge mich nicht!", erwiderte Alison enttäuscht. "Tut mir leid, Ally.", sagte Lee kleinlaut und konzentrierte sich wieder auf die Fahrt. Ally schlief rasch ein und so hatte Lee seine Ruhe. Er achtete nun, da er tanken musste, auf die Schilder, die ihm den Weg in Richtung Springfield wiesen. Diesen folgte er und nach nur einer Stunde ereignisloser Fahrt, sah er die Skyline von Springfield näherkommen. Er hatte Mühe, sich in der Stadt zurecht zu finden, doch nach einiger Zeit fand er eine Tankstelle. Endlich stieg er aus dem Auto und vertrat sich ein wenig die Beine, bevor er den Wagen volltankte. Lee ging bezahlen und stieg wieder in den Wagen zurück. Schmunzelnd zündete er sich eine Zigarette an, als er den Wagen startete.
Ally schlief noch immer tief und fest, als Lee den Wagen in Richtung Stadtrand steuerte. Er fuhr auf den Parkplatz eines kleinen Motels und weckte seine Beifahrerin sanft auf. "Was ist denn?", fragte sie schlaftrunken. "Lass uns hier die Nacht verbringen. Im Auto ist es zu unbequem und zu klein für uns beide.", antwortete er und lächelte sie schüchtern an. "Klingt gut. Dann kann ich mich endlich frisch machen.", sagte Alison, schulterte ihren Rucksack und stieg aus dem Wagen aus. Lee ging zum Empfang und schlug auf die kleine Klingel, die auf dem Tresen befestigt war. Ein untersetzter, alter Mann mit einem riesigen Schnurrbart, zweifelsohne ein Mexikaner, kam an den Tresen gewackelt. "Was kann ich für Sie tun?", fragte er mit starkem, spanischen Akzent. "Ein Doppelzimmer für eine Nacht bitte.", antwortete Lee und kramte seine Geldbörse hervor. "Si, das wären dann bitte 30 Dollar. Hier ist Ihr Schlüssel.", erwiderte der Mexikaner und händigte Lee einen rostigen Schlüssel aus. Nachdem er sich bedankt hatte, ging Lee mit Alison auf sein Zimmer. Das Zimmer war klein aber gemütlich und spartanisch eingerichtet. Auf dem Bett lagen, aus welchem Grund auch immer, Minzbonbons und Kondome. Lee legte die "Gratisbeigaben" in den Nachttisch und setzte sich auf die Bettkante. Alison ging ins Bad und wenig später hörte Lee, wie prasselnde Geräusche aus dem Bad kamen. Ohne nachzudenken warf er sich auf den Boden und begann, Liegestütze zu vollführen. Das Autofahren hatte ihn müde gemacht, doch er wollte unbedingt etwas tun, damit er nicht aus der Form geriet. Als das Prasseln aufhörte, machte er gerade seine Situps und bemerkte nicht, das Alison wieder in das Zimmer kam. "Was tust du da?", fragte sie mit einem Anflug von Belustigung in der Stimme. "Trainieren.", war die knappe Antwort, während Lee ächzend weitermachte. Nach seiner Übung stand er auf und sah Alison an. Sie trug nun nicht mehr ihren Regenmantel, sondern ein T-Shirt und eine kurze Hose. Lee musste zugeben, dass sie sehr gut aussah, achtete jedoch nicht weiter darauf, als er sich neue Kleidung aus seiner Reisetasche holte und nun selbst duschen ging. Das warme Wasser prasselte erfrischend auf ihn ein und er fühlte sich ein wenig besser. "Wenigstens bin ich nicht allein auf meiner Reise. Mal schauen, wann und wo ich sie rauslassen soll.", dachte Lee, während er sich einseifte. Wenig später schlurfte er in Boxershorts zurück ins Zimmer. Ally saß auf dem Bett und sah fern. Methodisch legte Lee eine Bettdecke auf den Boden und warf sein Kissen dazu. Alison sah ihn fragend an, sagte jedoch nichts. "Ich schlafe nicht mit dir in einem Bett!", sagte er bestimmt, als er ihren Blick auffing. "Leg dich mit ins Bett, du machst dir den Rücken kaputt und dann kannst du nicht mehr fahren.", sagte sie, als es Zeit wurde, schlafen zu gehen. Vorher hatten sie sich noch einen Film im Fernsehen angeschaut und sich unterhalten. Widerwillig legte sich Lee zu ihr und lag noch lange wach, als Alison schon eingeschlafen war. Er atmete tief ein und bemerkte einen angenehm süßlichen, leicht zimtigen Duft. Er schnupperte erneut und stellte fest, dass es Allys Parfum sein musste, dass so herrlich roch. Endlich drehte er sich um und schlief ein. Mitten in der Nacht wurde er sanft geweckt. "Lee. Wach auf!", flüsterte Alison und rüttelte sanft an ihm. "Was ist denn?", fragte Lee und gähnte herzhaft. Er war müde und nicht sehr glücklich darüber, dass er geweckt wurde. "Ich möchte wissen, warum du diese Reise machst.", flüsterte sie ungeduldig. "Und das kann nicht bis morgen warten?", grummelte Lee und war mit einem mal hellwach, als er sich auf den Rücken drehte. "Nein kann es nicht!", wisperte Alison zurück und war mit ihrem Gesicht ganz nah an Lees, wie er unmissverständlich an ihrem Atem spüren konnte. Selbst im Schein der Straßenlaterne leuchteten Allys Augen deutlich und wunderschön. "Nun, ich will meinen Vater suchen. Vor ein paar Tagen ist meine herzkranke Mutter verstorben und ich fand Briefe von meinem Dad. Ich habe herausgefunden, dass er in Oregon lebt und nun will ich ihn finden und ruhe erst, wenn ich ihn gefunden habe!", antwortete Lee bestimmt und schob Alison von sich herunter. "Achso. Meine Eltern streiten sich nur. Meine Mom arbeitet von früh bis spät und wenn sie nach Hause kommt, ist Dad betrunken und sie streiten sich. Wenn ich dann sage, dass sie sich nicht streiten sollen, schlägt er mich. Ich hasse sie beide.", sagte Alison leise, aber die Verbitterung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. "Mein Dad hat uns verlassen, da war ich zwei Jahre alt. Er ging nach Deutschland, um dort zu arbeiten und er verdiente gutes Geld. Irgendwann kam er zurück nach Amerika aber nicht zu unserer Familie. Ich will nachforschen, warum und ihn dann zur Rede stellen.", erwiderte Lee leise und seufzte. Er dachte daran, dass er seinen Vater finden musste, wollte er Erklärungen, warum dieser sich nie mehr gemeldet hatte. Wenig später schlief er erneut ein und wurde diesmal nicht von Ally geweckt. Am nächsten Morgen wachte Lee schreiend auf. Alison schreckte hoch und sah ihn verdattert an. "Was ist denn los, warum schreist du so?", fragte sie gähnend. "Nimm deine Hand da weg!", keuchte er und schob ihre Hand von seinem Bauch. "Verzeihung, muss wohl im Schlaf passiert sein.", entschuldigte sie sich aufrichtig. "Mach so etwas nie wieder!", stammelte Lee und zog sich rasch an. Alison nickte kichernd und zog sich um. Lee hielt inne und beobachtete sie dabei. Ihre langen, glatten, nackten Beine zogen seinen Blick nahezu magisch an. Dann schüttelte er den Kopf und packte seine Sachen zusammen. Als Alison sich vor dem Spiegel schminkte, machte Lee das Bett und gab beim Motelbesitzer den Schlüssel ab. "Möchten Sie noch frühstücken?", fragte der Mexikaner freundlich. Lee bejahte und ging mit Alison zusammen in eine Art Speiseraum, wo ein großes kaltes Büffett aufgebaut war. "Das sieht großartig aus. Schau mal, Lee, es gibt sogar frische Säfte.", rief Alison aus und deutete auf ein paar große, gläserne Karaffen, die mit veschiedensten Säften gefüllt waren. Nachdem die beiden sich ihre Teller beladen hatten, setzten sie sich an einen Tisch, der ein wenig abseits stand. "Wo fahren wir nun hin?", fragte Ally und sah Lee aus ihren großen, blauen Augen an. "Wir fahren nach Lee's Summit und von dort über Kansas nach Colorado.", antwortete Lee hastig. "In Colorado wohnt eine alte Freundin von mir. Da können wir übernachten. Sie wohnt in Denver und ich habe sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen!", schlug Alison vor. "Gute Idee. Dann fahren wir so, Ally.", entgegnete Lee und kaute nachdenklich auf seinem Bagel herum. Nach einem reichlichen Frühstück stiegen die beiden wieder in den Thunderbird und fuhren auf den Highway in Richtung Nordwesten.

Lee hatte das Radio eingeschaltet und leise Rockmusik tönte aus den Lautsprechern. Passenderweise war es das Lied "On the Road again" von Canned Heat. Er grinste und drehte die Scheibe ein Stück herunter, sodass ihm der kühle Fahrtwind ins Gesicht blies und ihm eine angenehme Erfrischung bescherte. Ally las in einem Buch und schien sehr vertieft darin zu sein und so beschloss Lee, dass er sie nicht stören würde. Er erschrak, als der Wetterbericht durchgegeben wurde, weil der Sprecher ziemlich laut redete und für die nächsten Tage heißes, trockenes Wetter versprach. "Hast du das gehört? Du kannst das Dach einklappen.", bemerkte Ally, die nun nicht mehr las. "Werde ich an der nächsten Raststätte, die wir anfahren, tun.", gab Lee zurück und stellte das Radio ab. Nach etwa zwei Stunden, in denen Lee vier Zigaretten rauchte und Ally eine Flasche Wasser leerte, lenkte er den Wagen auf einen Rastplatz. "Ich gehe auf Toilette, wartest du am Auto?", fragte Alison und ging, als Lee ihr versprochen hatte, zu warten. Er klappte das Dach zusammen und wartete dann auf Ally. Nach einer endlos erscheinenden Viertelstunde kam sie dann endlich zum Auto zurück. "Na endlich, ich dachte, du wärest ertrunken.", witzelte Lee. "Ich war nur noch im Shop und habe uns beiden eine Kleinigkeit mitgebracht.", erwiderte sie lachend und gab ihm ein paar in Papier gewickelte Sandwiches. Er bedankte sich höflich, legte die Sandwiches dann auf das Armaturenbrett und stieg in den Wagen. Lee gähnte, als er den Wagen startete und rieb sich anschließend die Augen. "Willst du, dass ich fahre? Du könntest dann schlafen.", bot Ally an. "Gute Idee, danke.", stimmte er zu und tauschte den Platz. Wenig später war er eingeschlafen.
Er träumte von Alabama und von Melissa, wie sie mit Simon glücklich war. Im Traum lachte Melissa ihn aus und erklärte ihn für verrückt, dass er sich damit beschäftigte, seinen Vater zu suchen. In den spätend Abendstunden wurde er dann von Alison geweckt. "Lee? Lee, wach auf. Wir sind da!", sagte sie leise und tippte ihm auf die Schulter. Er schlug die Augen auf und sah ihr tief in die wunderschönen Augen. "Wo sind wir?", fragte er zerknirscht und rieb sich den schmerzenden Nacken. "In Lee's Summit.", antwortete sie knapp und lächelte ihn süß an. Lee's Summit war eine reiche Stadt im Nordwesten von Missouri. Ally steuerte den Wagen durch die vom Licht der Straßenlaternen erleuchteten Straßen. "Lee's Summit ist eine der wohlhabenderen Städte in den USA. Sie liegt im direkten Einzugsgebiet von Kansas City, Missouri und hat drei große High Schools. Das trägt dazu bei, dass etwa 30 Prozent der Bevölkerung minderjährig ist. Zudem liegt diese Stadt in über 300 Metern Höhe.", rasselte Ally herunter, als Lee sich staunend umsah. "Ah okay. Und das nächste Mal bitte weniger Information, Frau Lexikon.", entgegnete Lee und grinste breit. Sie lächelte zurück und fuhr auf einen Parkplatz auf, der zu einer kleinen, gemütlichen Pension gehörte. "Diesmal bezahle ich!", sagte sie und ging zum Empfang. Lee aß inzwischen seine Sandwiches und rauchte danach eine Zigarette, als er aufgegessen hatte und wartete geduldig. Ally kam heraus und lächelte ihn an. "Zimmer 227 haben wir. Ich gehe schon vor.", rief sie ihm zu, als er das Dach zuklappte und den Wagen abschloss. Er nahm ihren Rucksack und seine Reisetasche mit aufs Zimmer und warf sich dann auf das große, gemütliche Bett. Ally zog sich bis auf die Unterwäsche aus und legte sich hin. Erschöpft wie sie war, schlief sie schnell ein und Lee lauschte ihren tiefen, gleichmäßigen Atemzügen. Er saß nun in einem Sessel und schaute die schlafende Ally an. Im Licht einer kleinen Nachttischlampe hatte er zuvor einen Blick in eine alte Fernsehzeitung geworfen. Jetzt aber ruhte sein Blick auf Ally. Er sah, wie sich ihre Brust gleichmäßig hob und senkte und wünschte sich, dass er nun schlafen konnte, damit er nicht mehr an sie denken musste. Noch nicht müde warf er sich auf das Bett, löschte das Licht und lag noch lange wach. Tief atmete er ein und roch erneut ihr Parfum und den Duft ihrer Haare. "Gute Nacht, Alison.", hauchte er und schloss die Augen. Er spürte, dass Ally in der Nacht unruhig schlief und sich hin- und herwälzte, weil er immer noch wachlag. Was immer er auch unternahm, er konnte nicht schlafen. Seine Gedanken machten ihn verrückt, denn sie schossen ihm durch den Kopf und er konnte sie nicht zuende denken. Nach endlos scheinenden zwei Stunden schlief er endlich ein. In seinem Traum saß er unter einem Baum auf einer Wiese. Schmetterlinge flogen durch die Luft und Blumen blühten dort und erfüllten alles mit ihrem herrlichen Duft. Ally schritt auf ihn zu und trug ein kurzes, geblümtes Sommerkleid, als wolle sie sich inmitten der Blumen verstecken. Lee steckte ihr eine wunderschöne, weiße Blume ins Haar und lächelte sie glücklich an. Sie ließ sich neben ihm im Gras nieder und schmiegte sich an ihn. Zärtlich streichelte er ihr über die Wange und sah ihr tief in die Augen. Sie hatten einen wunderschönen, wenn auch seltsamen Glanz und sahen ihn verträumt an. Sie warf ihn auf die Seite und legte sich neben ihn. "Nimm mich in den Arm und halt mich fest.", forderte sie und lächelte zuckersüß. Lee nahm sie in den Arm und sie lagen lange engumschlungen da. Ihre vollen, zartrosa Lippen kamen immer näher und er schloss die Augen, als sich ihre Lippen berührten. Es schien, als stünde die Zeit still und er wünschte sich, dass dieser Augenblick nie verging.
Der nächste Morgen brachte die Ernüchterung. Lee wachte auf und ging duschen. "Es war nur ein Traum!", tat Lee das, was ihn am meisten beschäftigte, ab und ließ sich das kühle, nicht zu kalte, Wasser ins Gesicht prasseln. Nach dem Duschen trat er an das Waschbecken und rasierte sich vor dem Spiegel. Er sah verwegen aus mit seinen langen, schwarzen Haaren und dem stoppeligen Bart, der ihm im Gesicht stand. Er schmierte sich Rasiergel ins Gesicht, als Alison schlaftrunken unter die Dusche schlurfte. Lee hatte es nicht bemerkt und rasierte sich seelenruhig weiter. Als er das Prasseln aus der Dusche hörte, schrak er auf und fluchte, als er spürte, dass er sich geschnitten hatte. Er beendete seine Rasur, wusch sich das Gesicht und schaute in dem Moment in den Spiegel, als sich nackt an ihm vorbeizwängte, denn das Bad war ziemlich klein. Kurz konnte er ihren makellosen Körper im Spiegel sehen und war beeindruckt. Sie war wirklich wunderschön und Lee war der festen Überzeugung, dass so ein Engel aussehen musste. Als er aus dem Bad kam, sah Alison ihn nervös an. "Du, du hast doch nichts gesehen, oder?", fragte sie ihn und errötete kaum merklich. "Nein, mach dir keine Sorgen.", log er und packte seine Sachen zurück in die Tasche. "Dann ist ja gut. Sonst hätte ich dich leider ausschalten müssen, weil du zuviel weißt.", gab sie zurück und imitierte einen starken, italienischen Akzent, wie Lee ihn aus diversen Mafiafilmen kannte. Lee lachte und brachte den Rucksack und die Tasche in den Wagen, dann ging auch er frühstücken. Es gab ein reichliches, wenn auch fettiges Frühstück aus Spiegeleiern, Rührei, Pfannkuchen, gebratener Wurst, Schinken und Speck 1, sowie Müsli und einem riesigen Glas Orangensaft. "Habe ich erwähnt, dass ich es hasse, wenn es nationaltypisches Frühstück gibt?", fragte Ally beiläufig und begann, gierig ihr Frühstück herunterzuschlingen. "Jetzt ja. Dafür haust du aber rein, als hättest du fünf Jahre nichts mehr gegessen.", antwortete Lee belustigt. "Ich muss ja auch groß und stark werden. Und außerdem habe ich Hunger. Isst du deine Pfannkuchen noch?", fragte sie mit vollem Mund und Lee kam es vor, als wäre Alison ein klein wenig verrückt. Lee ließ sich die Reste seines Frühstücks einpacken und schlurfte zum Auto. Er war an der Reihe zu fahren und es erschien ihm sicherer, denn Allys Magen war voll und so bestand die Chance, dass sie einschlief. Sie selbst hatte gesagt, dass viel essen sie schläfrig machte. Zehn Minuten später und mit lauter Rockmusik aus dem Radio tönend, waren sie auf dem Highway in Richtung Westen unterwegs. Das nächste Ziel auf ihrer langen Reise war Topeka, die Hauptstadt von Kansas, der Staat, der auch als Sonnenblumenstaat bekannt ist.
Es wurde bereits dunkel, als sie etwa 20 Meilen vor Topeka lagen. Angespannt fuhr Lee auf einen Rastplatz und stieg aus dem Wagen. "Warum fahren wir nicht in die Stadt hinein?", fragte Alison und sah ihn verwundert an. "Weil ich mir kurz die Beine vertreten will. Irgendwie tun sie mir weh. Blöde Autofahrt.", antwortete Lee, zündete sich eine Zigarette an, schüttelte die Beine und hüpfte anschließend herum. "Was ich dich eigentlich schon die ganze Zeit fragen wollte. Hast du eine Freundin?", fragte Alison. "Nein. Ich habe keine, ich hatte nie eine und es ist mir auch egal.", gab Lee zurück und war plötzlich sehr verbittert. Er dachte an Melissa, die mit Simon Nolan zusammen war. Lee mochte sie sehr, aber er konnte sie wohl abschreiben. Gedankenverloren rauchte er seine Zigarette und starrte den Boden an. "Ich habe auch keinen Freund. Vor drei Jahren hatte ich mal einen. Er war ein Idiot und wollte nur das eine von mir. Bekommen hat er es nicht!", sagte sie und kicherte. Lee warf ihr einen zornigen Blick zu und setzte sich wieder in den Wagen. Gereizt drehte er den Zündschlüssel und Alison stieg hastig ein, als sie sah, dass Lee beinahe ohne sie losgefahren wäre. "Was sollte das denn jetzt?", fuhr sie ihn an, als sie sich anschnallte. Lee schwieg und fuhr wieder auf den Highway. Beide sagten nichts mehr und bis sie Topeka erreichten, blieb das auch so. Die Stille wurde nur von ein paar Schluchzern, die Alison von sich gab, unterbrochen. Lee hatte ein schechtes Gewissen, doch er sah es nicht ein, warum er sich entschuldigen sollte. Als sie auf dem Parkplatz eines Motels hielten, stellte Lee den Wagen ab und holte seine Tasche aus dem Kofferraum. Alsion hingegen war schon an der Rezeption und orderte ein Zimmer. Lee ging auf sie zu und sah sie fragend an. "Ich habe ein Einzelzimmer gebucht. Du schläfst im Auto!", herrschte sie ihn an. Er nickte schweigend und stellte seine Tasche zurück in den Kofferraum. Anschließend legte er sich auf den Rücksitz und versuchte einzuschlafen. "Ich habe ihr sehr weh getan", dachte er, kurz bevor er einschlief. Am nächsten Morgen wurde Lee ziemlich früh wach. Er stand auf und fragte in der Rezeption, welches Zimmer Alison genommen hatte. Leise schlich er sich hinein und lauschte. Sie schlief tief und fest und er setzte sich auf einen Stuhl, um zu warten, dass sie endlich wach wurde. Als sie dann endlich wach wurde, erschrak sie. "Lee, was machst du hier?", fragte sie überrascht. "Ich muss mich bei dir entschuldigen. Das, was ich gestern getan habe, war nicht in Ordnung. Es tut mir wahnsinnig leid.", antwortete er schnell. Alison sah ihn verschlafen an und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Lange sah Lee sie an und sie errötete süß. "Möchtest du frühstücken?", fragte Ally und stand auf. Ihre Bettdecke rutschte hinab und nun stand sie nur in Unterwäsche da. "Eigentlich wollte ich mich nur entschuldigen und dann hurtig weiter.", gab er schulterzuckend zurück und beobachtete sie, wie sie ins Bad ging. "Alter, was für ein Körper!", schoss es ihm durch den Kopf und er wünschte sich mehr denn je, Alison als seine Freundin zu haben. Er ging nun zum Auto und kramte im Kofferraum herum, bis er eine neue Schachtel Zigaretten gefunden hatte. Nervös zündete er sich eine davon an und wartete. Alison kam nach einer halben Stunde aus dem Zimmer, gab den Schlüssel ab und stieg wieder zu ihm in den Wagen. Lee starrte sie erneut an und dieses Mal errötete sie nicht. Sie erwiderte den Blick und lächelte. Ihr Gesicht kam näher und Lee wurde innerlich panisch. "Was soll ich nur tun? Irgendwas muss mir doch einfallen.", überlegte er verzweifelt und in seinem Kopf spukten die wildesten Fantasien. Allys Gesicht war so nahe, dass Lee ihr Parfüm so deutlich wie nie roch. Ihre Lippen berührten fast sein linkes Ohr, als sie "Fahr los!" hauchte. Dann setzte sie sich wieder ordentlich hin und schnallte sich an. "Das war ja gerade nochmal gut gegangen.", murmelte er und startete den Wagen. Ally grinste, als Lee völlig geistesanwesend zur Tankstelle fuhr. Er tankte den Wagen voll und fuhr wenig später zurück auf den Highway. Hin und wieder sah er, wie Ally dreinschaute, als würde sie irgendetwas beschäftigen. Sie fuhren gerade zwei Stunden, da sprudelte es aus ihr heraus: "Ich habe gesehen, wie du mich angeschaut hast. Ist irgendetwas mit mir? Willst du nicht mehr, dass ich mitfahre?" "Was? Wie kommst du darauf? Natürlich darfst du weiterhin mitfahren!", erwiderte er verdutzt. "Weil du mich so seltsam angeschaut hast. Bin ich hässlich?", geb sie zurück. "Nein, du bist wunderschön.", entgegnete Lee und lief rot an. Ally bedankte sich für das Kompliment und grinste. Hastig stellte Lee das Radio an und suchte einen Sender. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und fuhr konzentriert weiter. Die nächste Station, das hatte er mit Ally inzwischen abgesprochen, sollte Wichita sein, gefolgt von Dodge City. Über Dodge City wollten sie dann nach Pueblo, Colorado fahren, um einen längeren Aufenthalt bei Allys Freundin zu machen. "Wir müssen uns abwechseln, Ally. Ich habe kaum noch Geld. Das, was ich habe, muss zum Tanken reichen. Also keine Motels mehr.", sagte Lee nach vierstündiger, ereignisloser Fahrt. "Okay, das müsste sich machen lassen. Obwohl ich doch zur Bank gehen kann. Ich habe Geld.", sagte sie besorgt. Ihr schien der Gedanke, im Auto zu schlafen, nicht zu gefallen. Lee lehnte, mit der Begründung, dass er es nicht einsah, fremdes Geld zu nehmen, ab. Ally sah ihn verwundert und beleidigt zugleich an und schaute dann stur aus dem Fenster. Wieder einmal schwiegen sie sich für längere Zeit an und Lee bemerkte nicht einmal, dass Wichita nur noch 3 Stunden entfernt lag. Nach 3 Stunden fuhr Lee müde und hungrig auf eine Tankstelle in Wichita. "Lee, soll ich fahren? Bis Dodge City kann ich gern fahren. Danach wieder du und so weiter, bis wir in Denver sind. Einverstanden?", schlug Alison vor, als Lee tankte und ein paar Lebensmittel kaufte. Er nickte schweigend, als er die Einkäufe in den Kofferraum lud und sich dann auf dem Beifahrersitz niederließ. Ally drehte den Zündschlüssel herum und fuhr anschließend von der Tankstelle herunter. Nur ein paar Minuten später war Lee eingeschlafen. Wie lange er schlief, konnte er nicht sagen, doch als er wach wurde, war es bereits hell und die Sonne schien ihm ins Gesicht. Er drehte seinen Kopf nach links und sah Alison, wie sie konzentriert auf die Straße achtete. Es war ein süßer Anblick, vor allem, weil ihre Pupillen hin und herhuschten, als würde sie lesen. Er gähnte und schaltete dann das Radio ein. Leise verklang das Lied "A horse with no name" von America. "So, liebe Zuhörer, jetzt gibt es etwas zum Kuscheln. Hier ist Johnny Logan mit seinem Lied zum Dahinschmelzen - 'Hold me now'.", verkündete der Radiosprecher und wenig später ertönten die ersten Klänge des Songs. Alison drehte das Radio etwas lauter und sang mit. Lee war beeindruckt. Es schien, als wäre dieser Song nur für ihre Stimme geschrieben worden. Augenblicklich überkam ihn eine Gänsehaut. Er stellte sich vor, wie er diese Worte - "Halt mich jetzt, weine nicht und sag' kein Wort" - zu ihr sagte und sie ihn nur glücklich anlächelte. Langsam ging das Lied zuende und Lee lobte Ally für ihre Sangeskünste. "Ach, so gut war das doch gar nicht.", wehrte sie schüchtern ab. "Doch, es war schön. Ich habe noch immer eine Gänsehaut.", widersprach er ehrlich. Ally lächelte und errötete süß. "Pueblo, Colorado!", sagte sie dann und partke den Wagen vor einem kleinen Motel. "Pueblo? Ich denke, du wolltest in Dodge City mit mir tauschen?", fragte Lee verwundert. "Ja schon, aber da du schon soviel gefahren bist, bin ich einfach weiter gefahren. Außerdem siehst du richtig schnucklig aus, wenn du schläfst. Und wach bekam ich dich auch nicht.", gab sie zurück und stieg aus. Lee rieb sich die Augen und stieg ebenfalls aus dem Wagen. Alison betrat das Motel und bestellte ein Zimmer für zwei Nächte. Dann holte sie ihren Rucksack aus dem Auto und verschwand wenig später im Zimmer. Das Zimmer war äußerst bequem eingerichtet und sauber. Ally nahm sich neue Kleidung aus dem Rucksack und ging duschen. Lee setzte sich auf einen Korbstuhl und dachte nach. Nachdem Ally aus der Dusche kam, ging auch er duschen und genoss das warme Wasser, welches auf ihn einprasselte. Wenig später kam er aus der Dusche und musterte Alison aufmerksam. "Warum eigentlich zwei Nächte?", fragte er verwundert. "Ich dachte, wir beide gehen tanzen oder so. Die ganze Zeit Auto fahren ist auch öde.", antwortete sie und grinste. Nun legte sie sich auf das gemütliche Doppelbett und schlief ein. Lee hingegen war in Gedanken versunken und starrte aus dem Fenster. Irgendwie fühlte er sich miserabel. Warum konnte er Ally nicht gestehen, dass er mehr für sie fühlte? Hatte er Angst davor, eine Absage zu bekommen? Er war sich nicht sicher. Der Abend brach herein und Alison ging leise ins Bad, um sich frisch zu machen. Lee band seine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und besah sich im Spiegel. So konnte man ausgehen. Als Ally aus dem Bad kam, traf Lee fast der Schlag. Sie sah aus wie eine Prinzessin, mit ihrem roten Sommerkleid aus leichtem Stoff. Zudem hatte sie rote Leinenschuhe an. Ihre Lippen waren rot geschminkt und ihre langen, schwarzen Haare fielen ihr sanft über die Schultern. "Wie sehe ich aus?", fragte sie lächelnd und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. "Du bist wunderschön!", sagte Lee überwältigt und konnte den Blick einfach nicht abwenden. Dann gingen sie beide ein paar Straßen weiter in eine kleine Tanzbar. Sie tanzten zu sanften Rockballaden und für einen kurzen, magischen Moment, als Alison sich in Lees Arme drehte und in seine Augen schaute, schien die Zeit still zu stehen. Dann drehte sie sich wieder aus seinen Armen heraus und tanzte weiter. Nach zwei Liedern setzten beide sich an einen Tisch und bestellten sich eine Cola. Sie unterhielten sich angeregt über ihre Reise und über Lees bisheriges Leben. "Melissa ist mit deinem Erzfeind zusammen? Und das lässt du auf dir sitzen? Ich denke, hast sie geliebt?", brauste Ally auf. "Ich habe sie nicht geliebt es waren nur sehr starke Gefühle für sie da, aber keine Liebe.", gab Lee zurück. "Warum ist sie nur mit ihm zusammen, wenn sie doch vorher deine beste Freundin war?", hakte sie nach. "Wenn ich das wüsste, wäre ich einige Meter schlauer.", erwiderte er grimmig. Die Unterhaltung verlief nicht nach seinen Wünschen. "Liebst du sie wirklich nicht?", fragte Alison energisch und sah ihn prüfend an. "Nein, nur dich!", hätte er am liebsten geantwortet, brachte jedoch nur ein einfaches - "Nein!" heraus. Nach der Cola gingen sie wieder tanzen und Lee genoss es, Alison so nahe zu sein. Alles Andere konnte warten, in dem Moment war für ihn nur Alison wichtig.
Der Vollmond stand am Himmel und die Nachtluft war kühl und erfrischend, als Lee und Alison die Bar verließen. Sie spazierten noch nebeneinander durch die Straßen von Pueblo in den Park. Der kleine Teich, der mitten im Park war, spiegelte den Mond und die Sterne auf seiner Oberfläche und das Rascheln der Blätter im Wind klang so, als flüsterten die Bäume einander etwas zu. Eine Parkbank stand einsam und verlassen am Teich und schien darauf zu warten, dass Lee und Alison sich dort hinsetzten und sich den Nachthimmel ansahen. Sie lehnten sich zurück und ließen den Blick über den Nachthimmel schweifen. "Ob es tatsächlich Leben da oben gibt?", fragte Lee leise. "Meine Großmutter sagte immer, dass dort oben nur Engel sind und die passen auf uns auf.", entgegnete Ally mit sanfter Stimme. "Das kann nicht sein. Einer sitzt neben mir.", sagte Lee ein wenig zu laut. Alison sah ihn geschockt an. "Du hast richtig gehört, Ally.", antwortete er auf ihren Blick hin. "Du bist ein wunderschöner Engel und ich träume fast jede Nacht von dir. Am liebsten würde ich nie aufwachen, denn es sind schöne Träume.", fügte er schnell hinzu. Ally stand auf, sah ihn immer noch bestürzt an und ging. Nun war Lee allein. "Habe ich etwas Falsches gesagt?", dachte er sich und saß wie paralysiert da.
Langsam stand er auf und schlurfte zum Motel zurück. Er zündete sich eine Zigarette an und verfluchte sich insgeheim selbst für sein loses Mundwerk. Als er auf das Motel zukam, überlegte er, wie er sich bei Alison entschuldigen konnte, doch es fiel ihm nichts Vernünftiges ein. Also schlurfte er mit der Gangart eines Revolverhelden ins Zimmer. Alison war bereits dort und sah ihn entsetzt an. "Ich hoffe, du hast etwas zu deiner Verteidigung zu sagen! Was sollte das vorhin?", fragte sie ihn mit schneidender Stimme. "Jetzt oder nie!", ermutigte Lee sich selbst und holte tief Luft. "Ich weiß, das war vielleicht ein wenig direkt, aber es war die Wahrheit.", antwortete er dann. "Wenigstens hast du es gesagt.", sagte sie kühl und warf sich aufs Bett. Lee legte sich dazu und schlief fast augenblicklich ein. Als er am nächsten Morgen aufwachte, war er allein. Es hatte den Anschein, als wäre er allein. Aufmerksam lauschte er. Er hörte nichts. Kein Prasseln aus dem Bad, noch irgendein anderes Geräusch. Selbst die Seite, auf der Alison geschlafen hatte sah aus, als hätte nie jemand dort gelegen. Nur der Duft von ihrem Parfum bezeugte, dass sie da war. Lee stand auf und sah sich beunruhigt um. Er packte seine Reisetasche und nahm den Zimmerschlüssel. Dann stapfte er gedankenverloren an die Rezeption und gab den Zimmerschlüssel ab. "Ah, danke sehr. Die junge Frau hat etwas für Sie hier gelassen, Mister. Bitte sehr!", sagte der alte Mann an der Rezeption und reichte Lee einen Umschlag. Lee bedankte sich und stieg dann in seinen alten Thunderbird. Seufzend öffnete er den Umschlag und holte einen sauber gefalteten Brief hervor. Er entfaltete ihn und begann zu lesen. "Es tut mir leid, aber es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen. Wenn du diese Zeilen liest, bin ich auf dem Weg nach Denver zu meiner Freundin. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast und besonders für den gestrigen Abend. Bitte vergiss mich schnell und lebe dein Leben. Finde deinen Vater und lebe bei ihm. Ich wünsche dir alles Gute auf deiner weiteren Reise und werde dich nie vergessen! Du bist ein wundervoller Mensch und hast mir eine riesige Freude gemacht. Natürlich sollst du nicht leer ausgehen. Ich habe dir Geld in den Umschlag gegeben. Es müsste eigentlich genug sein, damit du nach Oregon kommst. Alison." Lee schluckte und kämpfte gegen die Tränen an, die in ihm hochsteigen wollten, als er den letzten Satz in Alisons geschwungener, kunstvoller, sauberer Handschrift las. Er drehte den Zündschlüssel herum und fuhr dann mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Wütend zündete er sich eine Zigarette an und war wenig später auf dem Highway in Richtung Norden. "Egal wo du bist, Alison, ich werde dich finden! Ohne dich fahre ich nicht weiter!", murmelte er und jagte den Wagen über den Highway. Laute Musik drang aus den Lautsprechern und übertönte das Dröhnen des Motors. Lees Hände umklammerten das Lenkrad und er wirkte hochkonzentriert. Denver war groß und wie sollte er Alison finden, wenn er dort angekommen war? Zu allem Überfluss sah er auf seinem Handy, dass Melissa ihn andauernd versuchte, anzurufen. Genervt drehte er das Radio leiser und wählte ihre Handynummer. "Endlich meldest du dich mal, Lee.", sagte ihre Stimme erleichtert. "Was gibt's?", fragte er gereizt. "Ich wollte mit dir reden. Wo bist du denn gerade?", erwiderte Melissa. "Ich bin auf dem Weg nach Denver, Colorado und es geht mir beschissen, aber as hat dich ja kaum interessiert, als du etwas mit Simon Nolan angefangen hast! Warum überhaupt? Er ist mein Erzfeind und das weißt du!" "Ich habe mich einfach in ihn verliebt und er sich in mich. Außerdem kannst du froh sein, denn nun lässt er dich wenigstens in Ruhe.", antwortete sie lapidar. "Genau. Und das wird auch so bleiben, weil ich nie wieder nach Alabama zurückkehren werde! Leb wohl.", schloss Lee das Gespräch und legte auf. Wütender als vor dem Gespräch, drehte er das Radio wieder lauter und konzentrierte sich auf die Fahrt. Gelangweilt überholte er verschiedene Fahrzeuge und verfluchte die Ungerechtigkeit, dass immer er vom Unglück verfolgt wurde. Vater weg, Mutter tot, beste Freundin verbrüdert sich mit dem Feind und das Mädchen, das er liebte befand sich irgendwo in Denver. Wenigstens befanden sich 500 Dollar im Umschlag. Aber die würde er Alison unter die Nase halten und zurückgeben. Er wollte doch nur mit ihr glücklich sein. Was war denn falsch daran? Ihrem Brief war zu entnehmen, dass sie ihn für einen wundervoller Mensch sein. Vielleicht musste er ihr irgendwie beweisen, dass er es ernst meinte. "So ein Mädchen wie sie hat bestimmt oft solche Komplimente bekommen. Wenn ich ganz Denver nach ihr absuche, dann wird sie sehen, dass ich es ernst meine.", dachte er angestrengt. Der Gedanke gefiel ihm und er würde erst aufgeben, wenn er Alison in Denver gefunden hatte.
Einige Stunden später, die Sonne versank am Horizont, erreichte Lee Denver. "Diese Stadt ist riesig!", rief Lee unwillkürlich aus. "Jetzt gilt es Alison zu finden. Am besten frage ich die Cops. Die dürften das wissen. Sie hatte ihre Freundin vor zwei Jahren zuletzt gesehen. Also muss ich erfahren, wer in den letzten zwei Jahren hierher gezogen ist und die abklappern, denke ich mal.", dachte er und lenkte seinen Wagen durch die Straßen, während er aufmerksam nach dem Polizeihauptquartier suchte. Nach einer halben Stunde des Umherirrens fand er endlich die Station und parkte auf dem großen Parkplatz vor ihr. Er stieg aus, rauchte vorher noch eine Zigarette und betrat dann durch die große Glastür das Polizeirevier. Viele Polizisten liefen geschäftig hin und her und zwischendurch kamen Meldungen aus den Funkgeräten. "Kann ich Ihnen helfen?", fragte eine junge Polizistin freundlich und schenkte Lee ihre ganze Aufmerksamkeit. Lee schilderte der Polizistin, was ihn nach Denver verschlug. "Da kann ich Ihnen nicht helfen. Da müssten sie schon zur Einwohnermeldebehörde. Die wissen mehr.", sagte die junge Frau und entließ Lee freundlich. Fluchend stieg er wieder in seinen Wagen. Das Einwohnerbüro öffnete erst am nächsten Morgen, also hieß es schlafen und warten. Lee schloss den Wagen ab und machte es sich so bequem, wie es nur ging. Wenig später schlief er dann ein.
Mittlerweile waren vier Monate vergangen, seitdem Lee in Denver angekommen war. Er hatte sich Arbeit und eine kleine Wohnung gesucht, damit er die Suche nach Alison weiterführen konnte, doch nun wurde es schwieriger, denn sein einziger Hinweis, ein Zettel mit der Aufschrift "Jones", war unbrauchbar geworden. 300 Familien mit Namen Jones gab es in Denver und keine davon hatte eine Alison beherbergt. Gedankenverloren saß Lee an der Theke von Lukes Plattenladen und tippte die handgeschriebenen Bestandslisten in den Computer ein. "Hey Lee, alles klar bei dir? Läuft die Arbeit?", fragte Nancy, seine Arbeitskollegin, die eigentlich nur dazu da war, Regale nachzufüllen und aufzuräumen, doch sie brachte Lee ungefragt Kaffee, Sandwiches und andere Kleinigkeiten mit, wenn sie zur Arbeit kam. Lee hatte nie darüber nachgedacht, aber irgendwie hatte Nancy immer dann Schicht, wenn er Dienst hatte. Ihm sollte es egal sein, er freute sich über Gesellschaft, denn abends war im Laden nicht viel los und schnell machte sich dann Langeweile breit. "Ja, es läuft. Sag mal, magst du mir einen Gefallen tun und im Keller nachschauen, ob wir noch Visitenkarten haben?", gab er zurück. Er wollte allein sein, denn ihn plagten tausende Gedanken. "Der Karton steht unter der Theke, da müsstest du deine Füße drauf abgestellt haben.", antwortete Nancy lächelnd. Lee sah nach unten und fluchte insgeheim. "Halt hier mal bitte die Stellung, ich gehe eben eine rauchen.", sagte er dann und ging zum Auto. Am Auto angekommen, öffnete er die Beifahrertür, setzte sich auf den Beifahrersitz und kramte im Handschuhfach nach einem Feuerzeug. Nun aber spürte er etwas, was da vorher noch nicht gewesen sein muss. Es fühlte sich wie ein kleines Buch an. Vorsichtig zog er es aus dem Handschuhfach und musterte es ausgiebig. Es war ein kleines, dünnes Buch mit einem kleinen Messingschloss. Lee steckte es ein und griff wieder in das Handschuhfach. Diesmal zog er ein Feuerzeug hervor und steckte eine Zigarette in Brand. Er versuchte, sich daran zu erinnern, woher er das Büchlein kannte, doch es wollte ihm nicht einfallen. Lee rauchte auf, machte die Zigarette aus und ging, nachdem er den Wagen wieder abgeschlossen hatte, zurück an die Arbeit. Nancy lächelte ihn süß an und überließ ihm wieder seinen Platz am PC, wo er weiter die Bestandslisten abtippte. Geistesabwesend legte er das kleine Büchlein neben sich und murmelte halblaut irgendwelche Möglichkeiten vor sich hin, wie er das kleine Schloss wohl aufbekommen könnte. Nancy schnappte sich das Büchlein, sah sich das Schloss genauer an, nahm sich eine kleine Zange, womit sonst immer die Diebstahlsicherungen von CDs, DVDs und Schallplatten entfernt wurden und knackte in einem Handgriff das Schloss, ohne das Büchlein zu beschädigen. "Wie hast du das gemacht?", fragte Lee erstaunt und sah Nancy entgeistert an. "Ach, das konnte ich schon immer gut. Wenn es um Dinge geht, die mich nichts angehen, bin ich unangefochtene Nummer eins.", erwiderte sie grinsend und reichte Lee das offene Buch. Dann meldete sie sich bei Lee ab, um im Café gegenüber Doughnuts und Kaffee zu holen. Lee sah sich die erste Seite des Büchleins an und freute sich darüber, dass es Alisons Tagebuch war. Vorn war eine Handynummer angegeben, die er sich in sein Handy speicherte. Schnell blätterte er weiter, um zu sehen, von wann der letzte Eintrag war. "Das ist einen Tag vor ihrer Flucht gewesen!", stellte er fest und begann leise zu lesen.
"Liebes Tagebuch. Nun bin ich schon so lange mit Lee unterwegs und er wird mir immer sympathischer. Er ist der Typ Mann, den ich mir immer gewünscht habe: Lieb, hilfsbereit, sensibel und rücksichtsvoll. Jetzt sind wir auf dem Weg nach Denver und wenn alles gut geht, sind wir übermorgen da. Dann werde ich zu meiner Freundin Nancy in Downtown gehen und Lee kann seinen Vater suchen. Hoffentlich findet er ihn und kommt mich dann wieder holen. Ich kann nicht die ganze Zeit bei ihm bleiben, denn er hat nicht soviel Geld und er hält mich schon aus, seitdem wir in Tennessee losgefahren sind. Heute Abend wollen wir tanzen gehen und ich freue mich so sehr darauf, denn ich war schon lange nicht mehr tanzen und außerdem braucht Lee auch ein wenig Ablenkung. Er wirkt immer so bedrückt, aber wenn ich ihn frage, was mit ihm ist, bekomme ich keine vernünftige Antwort. Ich vermute, dass es was mit dieser Melissa zu tun hat. Nach allem, was ich herausfinden konnte, ist sie wohl mit seinem Erzfeind zusammen. Aber da ist noch mehr, was ich noch in Erfahrung bringen will." Hier endete der Eintrag, der in der unverkennbaren, kunstvoll, geschwungenen Handschrift von Alison geschrieben worden war. Lee steckte das Büchlein weg und nahm sich vor, nach der Arbeit Alisons Nummer anzurufen. Aufgewühlt wie er war, versuchte er, sich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Er wurde jäh unterbrochen, als eine Pappschachtel und ein Pappbecher auf die Theke gestellt wurden. Nancy lächelte ihn an und Lee gab ihr 4 Dollar für seine Doughnuts und seinen Kakao. "Was ich dich schon immer fragen wollte, Nancy. Wo wohnst du eigentlich?", sprudelte es aus ihm heraus, noch bevor er darüber nachgedacht hatte, was er da sagte. "Hier in Downtown.", gab sie zur Antwort und sah ihn fragend an. "Dann fahre ich dich nachher nach Hause.", bot er ihr an und grinste breit. Nancy strahlte und freute sich, dass er sie nach Hause bringen wollte. Zwei Stunden später, Lee hatte gerade den Laden abgeschlossen, klingelte sein Handy. Es war keine Nummer angegeben, also nahm er den Anruf an. "Ja, was gibt's?", meldete er sich, doch sofort hörte er, wie der Anrufer auflegte. Kopfschüttelnd setzte er sich ans Steuer seines Wagens und drehte den Zündschlüssel um. Nancy stieg zu ihm und Lee fuhr los. Der Mond stand als goldene Sichel am sternenklaren Himmel und Lee steuerte den Wagen durch die leeren, verschneiten Straßen Denvers. "Hier ist es.", riss ihn Nancy aus den Gedanken. "Okay, dann wünsche ich dir eine gute Nacht und bis morgen dann. Schlaf gut.", sagte er leise und hielt an. "Du auch und träum süß.", hauchte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Zum Abschied lächelte sie noch einmal süß und Lee starrte ihr hinterher, als hätte sie sich in eine riesige Spinne verwandelt. Mit leichtem, federndem Schritt stolzierte Nancy durch die Eingangstür des Hochhauses und verschwand aus Lees Sichtfeld. Verwundert fuhr Lee dann zu seiner Wohnung. Als er endlich die Wohnungstür abgeschlossen hatte und sich auf sein Sofa warf, lächelte er zufrieden. Er nahm sich sein Handy und wählte die Handynummer, die er aus Alisons Tagebuch abgeschrieben hatte und lauschte. Es ertönte das Freizeichen und so wartete er geduldig.
Leider schaltete sich nur die Mailbox ein, sodass Lee wieder auflegte und leise fluchte. Wenig später war er eingeschlafen und wachte erst am nächsten Morgen wieder auf. Nachdem er geduscht, gefrühstückt und sich angezogen hatte, fuhr er zur Arbeit. Als er dort angekommen war, grüßte er müde und schloss seine Sachen im Spind ein, bevor er sich endlich hinter die Theke stellte und die restlichen Inventurlisten in den PC eingab. Nancy war auch da, sortierte jedoch DVDs und wirkte auch so ziemlich eigenartig. Nach ein paar Stunden beschloss er, Pause zu machen und meldete sich bei Nancy ab. Er verließ den den Plattenladen und schlenderte durch die riesige Mall in den Coffeeshop, wo er Doughnuts, Kaffee, Kakao und Kekse kaufte. Danach ging er in eine Bäckere und kaufte belegte Brötchen und Sandwiches. Mit den Einkäufen in einer Tragetasche schlenderte er auf den Parkplatz und zündete eine Zigarette an. "Ich verstehe das immer noch nicht. Alison ist einfach gegangen. Habe ich sie beleidigt? Ich weiß immer noch nicht, was überhaupt genau passiert ist.", murmelte er und blies ein paar Rauchkringel in die Luft. Alison ging ihm nicht aus dem Kopf und seine Suche wurde immer aussichtsloser. Nachdem er die Zigarette aufgeraucht hatte, trat er sie aus und ging zurück in den Plattenladen. Nancy sah ihn erleichtert an und deutete auf ein paar Kartons. "Sind gerade angekommen. CDs von einem neuen Talent. Hat der Lieferant jedenfalls gesagt.", sagte sie und setzte sich an die Theke. "Ich habe und etwas mitgebracht. Bedien' dich ruhig und herzlichen Glückwunsch zum 21. Geburtstag.", gab Lee zurück und drapierte die Einkäufe hinter der Theke auf der Ablage. Nancy fiel ihm stürmisch um den Hals und hauchte ihm ein Küsschen auf die Wange. Lee errötete leicht, ließ sich jedoch nichts anmerken. Dann tippte er die Listen weiter ab, während er auf einem Sandwich herumkaute. "Du Lee?", begann Nancy mit zuckersüßer Stimme, "hättest du Lust, mit mir Freitagabend auf ein Konzert zu gehen? Ich habe zwei VIP Karten beim Preisausschreiben gewonnen und sonst niemanden, der mit mir hingeht." Lee willigte ein und freute sich ungemein auf das Konzert, denn er hoffte, dass es irgendeine seiner Lieblingsbands sein würde. Anschließend nahm er sich einen der Kartons und schnitt diesen auf. "Kennst du eine Sängerin, die sich 'Fairytale' nennt?", fragte er Nancy und gab ihr den Karton. "Nein, wird wohl die neue sein. Ich sortiere die Scheiben ein und du trägst sie in unsere Liste ein.", antwortete sie und machte sich an die Arbeit.
Ein paar Tage später am Abend war es dann soweit. Lee fuhr zu Nancys Haus und wartete geduldig vor der Tür, als sie wenig später endlich zu ihm ins Auto stieg. "Hi, schön, dich zu sehen.", begrüßte er sie und fuhr los. "Auf was für ein Konzert fahren wir eigentlich?", fragte er neugierig und zündete sich eine Zigarette an. "Fairytale nennt sie sich. Soll wohl Musik aus allen Genres sein.", gab Nancy zur Antwort und lächelte. "Irgendwie werde ich in den letzten Tagen von dieser Fairytale verfolgt. Ganz schön schräg, oder?", bemerkte Lee trocken. "Ja, aber vielleicht findest du auf dem Konzert ja deine Alison. Ich habe gehört, dass viele Leute in unserem Alter da sein werden.", antwortete sie mit betrübter Stimme. Lee spürte, dass Nancy ihn sehr mochte und schämte sich dafür, dass er ihr so weh tat. Als er endlich einen Parkplatz vor der Konzerthalle gefunden und den Wagen abgeschlossen hatte, gingen er und Nancy zum Ticketschalter. "VIP Tickets? Bitte folgen Sie mir hier entlang.", sagte ein großer, in Anzug gekleideter Mann mit russischem Akzent und freundlichem Gesicht und führte Nancy und Lee in eine Art Balkon, von dem man eine herrliche Sicht auf die Bühne bekam. "Sie sehen hier einen grünen Knopf. Wenn Sie den drücken, wird eine Servicekraft zu Ihnen kommen und Ihnen Snacks und Getränke nachfüllen.", sagte der Sicherheitsmann und zeigte beiden ihre Plätze. Lee und Nancy setzten sich hin und warteten. Leider waren sie nicht die einzigen VIPs, denn Lee erkannte schnell Simon Nolan und auch Melissa, die sich vier Reihen hinter sie setzten. "Hoffentlich erkennen sie mich nicht.", fuhr es Lee durch den Kopf und er machte sich ein wenig kleiner, soweit es mit 2 Metern irgendwie ging. "Wie kommen die hier überhaupt her?", fragte er sich stumm. Dann begann die Menge zu johlen und zu applaudieren. Scheinbar musste die Künstlerin auf die Bühne gekommen sein. Lee sah sie aber aufgrund dessen, dass er so verkrampft im Sessel saß, nicht. Ihr erstes Lied, das sie singen würde, war eine Coverversion von Thommy Logans "Hold me now" und als Lee die Stimme der Sängerin hörte, wusste er es sofort - Fairytale musste Alison sein, daran gab es für ihn keinen Zweifel. "Das ist Alison!", dachte er begeistert und richtete sich nun doch auf. Er sah auf die Bühne und nun war er sich vollends sicher. "Wie komme ich nur in den Backstage Bereich?", überlegte er und suchte nach Lösungen, da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Erschrocken fuhr er herum und sah in Simon Nolans erstauntes Gesicht. "Was machst du denn hier? Woher kannst du dir VIP Tickets leisten?", fragte er mit spottender Stimme. "Halt die Fresse!", knurrte Lee und richtete sich zu voller Größe auf. Nun sah er zu Simon herunter und grinste. "Keine Idioten hier, die dir helfen können, Nolan. Du bist ganz allein.", rief Lee gegen den Lärm an, den die applaudierende Menge verursachte. Melissa stellte sich zwischen die beiden und sah erst Simon und dann Lee an. "Hört endlich auf, ihr beiden! Könnt ihr nicht in Ruhe das Konzert ansehen? Und Lee, nach dem Konzert will ich mit dir reden!", rief sie mit ernster Miene. Lee drehte sich um und setzte sich wieder auf seinen Platz. Er würde mit Melissa reden, aber Priorität hatte es, zu Alison durchzukommen und Lee wusste auch schon, wie er es anstellen würde.
Eine Woche später. Lee sortierte gerade ein paar CDs in die neuen Regale, als er eine bekannte Stimme hörte. "Hast dich ja ganz schön blamiert, nicht wahr?", fragte diese weibliche Stimme. Langsam drehte Lee sich um und starrte in Melissas Gesicht. "Kann man so sagen, ja.", antwortete er betreten. "Warum warst du eigentlich so schnell weg, nachdem wir dir gesagt haben, dass die nicht diese, diese Alison ist?", fragte Melissa erneut. "Weil ich keine Lust habe, den Idioten Simon zu sehen. Warum bist du eigentlich mit dem zusammen?", gab Lee zurück und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. "Nun, du wirst es mir eh nicht wirklich glauben, wenn ich dir erzähle, dass du und ich aus einem bestimmten Grund nicht zusammen sein können.", antwortete sie. "Der da wäre?", fragte Lee mit unbarmherziger Stimme. "Es ist eine längere Geschichte. Kannst du mich nach Feierabend in Wally's Café treffen? Es ist drei Straßen weiter. Ich werde ohne Simon da sein.", erwiderte Melissa ruhig. Lee nickte und versprach, dort zu sein. Anschließend wandte er sich wieder den CDs zu. Nach einer weiteren Stunde Arbeit wurde er durch zwei Finger, die ihm in die Seite gestoßen wurden, aufgeschreckt. "Hey, großer. Mach mal einen Moment Pause und trink einen Kakao mit mir.", rief Nancy fröhlich und hielt ihm eine Tasse mit dampfendem Kakao hin. "Danke.", murmelte er und setzte sich an den Tresen. Während er seinen Kakao trank, erzählte er Nancy von der kurzen Begegnung mit Melissa. "Irgendwas ist faul an der Sache, großer. Ich traue ihr nicht über den Weg.", stellte Nancy fest. "Nun, du traust mir ja auch in der Sache mit Alison nicht.", bemerkte Lee amüsiert. "Überleg doch mal. Wenn sie dich wirklich lieben oder mögen würde, dann wäre sie nicht abgehauen.", gab Nancy sachlich zurück und reichte Lee einen Donut. "Vielleicht ist sie sich über ihre Gefühle nicht im Klaren. Kann ja auch sein.", entgegnete er mit ein wenig Trotz in der Stimme. "Ist ja schon gut.", schloss Nancy. "Ich mach mich dann wieder auf die Socken, oder brauchst du mich noch?", fragte sie. Lee verneinte und setzte seine Arbeit schweigend fort. Hin und wieder bediente er ein paar Kunden und saß dann am Tresen und las eine Musikerzeitschrift. Aus einer Laune heraus nahm er an einem Preisausschreiben teil. Er schnitt den Coupon aus und warf ihn in die Sammelbox, die auf dem Tresen stand. "Wird eh nichts, aber versuchen kann man's ja mal. Ich will eh nur die Gitarre haben, die es als zweiten Preis gibt.", dachte er und schloss dann den Laden ab. Dann schlurfte er zum Wagen und fuhr in das Café.
Das Café war ein kleiner, gemütlicher Raum mit mehreren Tischen und einem abgetrennten Raum, in dem sich Paare niederlassen konnten, die ein wenig abseits sein wollten. Lee sprach eine Bedienung an und beschrieb Melissa. Die Bedienung deutet auf den Raum und lächelte freundlich. Er schlurfte dann in den Nebenraum und setzte sich zu Melissa. "Du willst mir etwas erklären?", begann er gleich, ohne sie zu begrüßen. "Ja, stimmt. Ich hoffe, du hast Zeit mitgebracht, denn ich muss ein wenig ausholen.", antwortete sie und bestellte zwei Kakao. Lee nickte und zündete sich eine Zigarette an. Melissa erzählte eine trarige Geschichte. Lees Eltern waren nicht seine richtigen Eltern, sowie Melissas Eltern ebenfalls nicht die ihren waren. Beide wurden zur Adoption freigegeben, da ihre richtigen Eltern verstorben waren. Lee schluckte. "Das heißt, der Mann, den ich suche, ist nicht mein richtiger Vater?", fragte er verwirrt. "Nein, ist er nicht.", gab Melissa zurück. "Und das erzählst du mir erst jetzt?", fragte Lee entsetzt. "Erinnerst du dich, dass ich verhindern wollte, dass du deinen Vater suchst? Ich wusste es bereits seit ein paar Jahren, habe es dir aber nie erzählt, weil ich nicht wusste, wie du reagieren würdest. Und das mit Simon erklärt sich dann ja auch wohl, oder nicht, Bruderherz?", erwiderte Melissa und sah Lee an. "Ich kann das noch nicht so richtig glauben. Du siehst so anders aus als ich. Ich habe schwarze Haare und du hast rote. Du bist relativ blass, ich bin ein dunklerer Hauttyp. Du bist ein Zwerg und ich so ein langes Elend.", gab er nachdenklich zurück. "Aber wir haben beide grüne Augen und wir haben beide diese ziemlich gerade Nase.", bemerkte Melissa belustigt. Lee nickte erneut. "Außerdem kommst du mehr nach Dad.", sagte sie dann und holte ein Foto aus ihrer Brieftasche und reichte es Lee. Auf dem Bild war ein junges Paar zu sehen. Der Mann war groß und hatte kurzes, schwarzes Haar und ein schiefes Lächeln. Er hatte gebräunte Haut, graue Augen und ein Gesicht, das eine gewisse Schalkhafitgkeit ausstrahlte. Die Frau hingegen war klein, blass, hatte rote Haare und grüne Augen. Ihr Gesicht wirkte zerbrechlich und sah aus, als wäre sie voller Sorge. Sofort erkannte Lee, dass Melissa Recht hatte. Ihm rann eine Träne über das Gesicht und er sah Melissa an. "Und jetzt? Was soll ich jetzt tun?", fragte er und brach in Tränen aus. "Ich werde dir helfen, deine Alison zu suchen.", antwortete Melissa leise. "Und danach kommst du mit nach Hause.", fügte sie hinzu. Lee nickte niedergeschlagen. Er stand auf und ging zum Wagen. "Kann ich bei dir mit wohnen, solange wir sie suchen?", fragte Melissa freundlich. "Klar, ist kein Problem.", antwortete er und fügte ein "Schwesterchen!", hinzu.
Ein paar Tage später, Lee war auf der Arbeit und tippte Bestellungen in den Computer, kam Nancy an den Tresen gestürmt. "Lee, du glaubst nicht, was für Neuigkeiten ich für dich habe!", rief sie aus und hüpfte aufgeregt auf und ab. "Lass mich raten. Du hast schon wieder Tickets für Fairytale gewonnen und ich soll mich wieder zum Deppen machen?", grummelte er und sah nicht auf. "Nein, du Blödmann! Du hast eine Antwort bezüglich des Preisausschreibens.", gab sie zurück und reichte ihm einen Umschlag. Lee öffnete ihn und entnahm ihm einen Brief. "Sehr geehrter Gewinner, herzlichen Glückwunsch! Sie und eine Begleitperson haben Konzertkarten und ein anschließendes Meet and Greet mit der Sängerin Fairytale gewonnen. Genauere Details entnehmen Sie bitte dem aktuellen Tourplan.", las er halblaut und fluchte. "Was ist?", fragte Nancy besorgt. "Hier, schenke ich dir.", antwortete Lee schnell und hielt ihr die beiden Tickets hin. "Dann geh wenigstens mit mir zusammen dorthin, Lee.", sagte Nancy und sah ihn mit einem Dackelblick an. "Okay, gut.", stimmte er widerwillig zu und tippte dann die Bestelllisten weiter. Als er dann Pause machen konnte, setzte er sich in den kleinen Aufenthaltsraum und schlug den aktuellen Tourplaner auf. "Lee, kommst du mal bitte?", rief Nancy aus dem Laden und riss ihn aus seinen Gedanken. Murrend stand er auf und schlurfte zum Tresen. "Was ist denn?", fragte er und sah zu Nancy hinunter. "Diese Kundin möchte gern wissen, ob wir das Best Of Album von bruce Springsteen noch haben. Ich finde es im Regal nicht.", gab Nancy zurück. Lee nickte und setzte sich an den Computer und durchsuchte das Archiv. "Nancy, schau mal bitte hinten bei den Best Of Alben diverser Künstler, das kannst du im Regal unter seinem Namen nicht finden.", bat Lee und wand sich der Kundin zu. "Das wären dann genau zehn Dollar.", sagte er freundlich und erschrak. "Du?", fügte er hinzu und starrte in ein Paar verblüffend blauer Augen, das er nur zu gut kannte. Die junge Frau sah hoch und lächelte mich vergnügt an, als Nancy dazu kam. "Hi Alison, ist das der, den du meintest?", fragte sie die Frau. Alison nickte und ihr traten Tränen in die Augen. Lee schritt um den Tresen herum und nahm sie in die Arme. "Ich hab ewig nach dir gesucht.", hauchte er und sah ihr in die Augen. "Ich weiß.", gab sie zurück und streckte sich, als wollte sie ihn küssen. mit Leichtigkeit hob er sie hoch und zog sie an sich. Nancy sah Lee enttäuscht an und brach in Tränen aus. "Immer habe ich so ein Pech!", schluchzte sie und lief weg. Es war Lee egal, er hielt Alison fest, atmete den vertrauten Geruch ihres Parfums ein und schloss die Augen. Endlich waren sie wieder vereint. Er zog sie mit sich und schloss den Laden ab, dann stiegen sie ins Auto und er lud sie in ein kleines, italienisches Restaurant ein. Sie aßen, lachten und erzählten einander, was in den letzten Wochen und Monaten passiert war. Alison beugte sich vor und ihre Lippen kamen näher. Lee tat es ihr verunsichert nach. Sie küssten sich erst unbeholfen und forsch, dann aber leidenschaftlich und voller Zärtlichkeit. Es schien, als stünde die Zeit still. "Alison, ich liebe dich.", sagte er nach dem Kuss. "Ich liebe dich auch, Lee.", antwortete sie leise.
Plötzlich rasselte der Wecker und Lee fluchte äußerst unflätig, bevor er, traurig dreinblickend an Melissa, die Frühstück machte, vorbeischlurfte. "Es war alles nur ein Traum. Ein scheiß Traum!", dachte er und ging duschen.
Nach dem Duschen setzte er sich an den Frühstückstisch und sah ziemlich missmutig drein. "Was ist dir denn im Schlaf widerfahren, dass du mich so grimmig ansiehst?", fragte Melissa beunruhigt. Lee antwortete nicht sofort, sondern starrte das große Frühstück an, welches sich auf dem Tisch befand. Er goss sich Kakao in seine riesige Tasse und sagte: "Ich habe von Alison geträumt. Es fühlte sich so echt an und dann rasselt der scheiß Wecker!" Melissa sah ihn mitfühlend an. "Erzähl mir doch einfach, wie ihr euch überhaupt kennengelernt habt und wieso sie dann auf einmal weg ist.", gab Melissa zurück und lächelte. Lee zündete sich eine Zigarette an und erzählte ihr die ganze Geschichte. "Warte mal. Du willst mir nicht erzählen, dass sie direkt nach deinem 'Geständnis' gegangen ist, oder?", unterbrach Melissa ihn und steckte sich auch eine Zigarette an. "Wenn ich es dir doch sage.", gab er zurück. "Dann muss es aber einen anderen Grund geben, Lee. Niemand läuft nach einem Liebesgeständnis einfach weg. Selbst wenn sie verunsichert gewesen wäre, hätte sie mit dir darüber geredet. An der Sache ist etwas Faul, Brüderchen.", antwortete sie und wischte machte eine wegwerfende Geste mit der Hand, in der sie die Zigarette hielt. "Erinnerst du dich, als wir auf dem Konzert waren? Da war ich mir doch so sicher, dass die Sängerin Alison sei. Kann man darauf nicht aufbauen?", fragte Lee hoffnungsvoll. "Negativ, denn ich habe ihre Internetpräsenz gecheckt. Fairytale ist Mitte 30 und lebt normalerweise in London, England.", antwortete Melissa schnell. Lee biss in seinen Pfannkuchen. "Soviel dazu.", murrte er kauend. "Gib mir doch mal ihr Tagebuch, das du gefunden hast. Eventuell finde ich brauchbare Informationen.", schlug Melissa vor und sah Lee ermutigend an. Er warf ihr das Tagebuch zu und umarmte sie kurz. "Ich muss zur Arbeit oder Nancy tötet mich.", sagte er und rannte zum Wagen.
Wenig später erreichte er Lukes Plattenladen und begrüßte Nancy stürmisch. "Guten Morgen, irgendwelche neuen Lieferungen?", fragte er und schwang sich dann auf den Stuhl am Computer, damit er die Wareneingänge überprüfen konnte. "Lee, ich muss dir etwas sagen.", begann Nancy mit zuckersüßer Stimme. Er sah sie an und nickte. "Lass mich raten. Du liebst mich und willst wissen, ob ich dich auch liebe, richtig?", gab er kühl zurück. Sie nickte langsam und sah ihn dann erwartungsvoll an. "Und jetzt? Soll ich dir, wie in den billigen Filmen, um den Hals fallen, dich küssen und dich fragen, ob du mich heiraten willst?", entgegnete Lee kalt wie Eis. "Nein, eigentlich würde ich nur wissen wollen, was du für mich empfindest.", antwortete Nancy verwirrt. "Nun, du bist eine sehr nette und liebevolle Frau und hübsch bist du auch, aber ich emfpinde nicht mehr für dich, als nur Freundschaft." Lee seufzte und setzte sich wieder hin und sah Nancy an. Er konnte direkt sehen, wie ihr Herz zerbrach und sie tat ihm sehr leid. "Warum lügst du sie an?", hörte er die Stimme, die ihn damals schon ermutigt hatte, Melissa zu küssen, in seinem Kopf. "Ich lüge sie nicht an!", dachte er missmutig. "Stimmt, du läufst nur einem Traum hinterher. Nimm sie, die andere wirst du nie wiedersehen.", sagte die Stimme wieder. Lee sah zu Nancy hinab, die schluchzend auf dem Fußboden kauerte. Ohne zu überlegen beugte er sich zu ihr hinunter und umarmte sie fest und zog sie vorsichtig auf die Beine. Sie stolperte in seine Arme und sah ihm aus tränenverschmiertem Gesicht in die Augen. Lee fing sie auf und lächelte nervös. Nancy kuschelte sich an ihn und Lee wirkte noch hilfloser als vorher. "Es tut mir leid.", flüsterte er leise und ließ sie los. "Nein, mir tut es leid.", antwortete sie und begab sich in den Aufenthaltsraum, um sich frisch zu machen. "Mach was!", herrschte Lee die Stimme in seinem Kopf, von der er glaubte, sie sei sein Gewissen, an. "Lad' sie doch zum Essen ein und gut ist's.", antwortete die Stimme leise und verstummte. "Gerade dann, wenn ich dabei bin, mich völlig in die Scheiße zu reiten, kommt diese Stimme und mcht's noch schlimmer.", dachte Lee genervt. "Und was jetzt?", fragte Nancy und sah Lee verwundert an. "Lade ich dich für heute Abend zum Essen ein.", antwortete er grinsend. "Und wenn du ablehnst, muss ich dich leider kidnappen.", fügte er lachend hinzu. Nancy nickte lächelnd und schien wieder die alte zu sein. "Und danach können wir ja tanzen gehen, wenn du magst.", schlug sie vor. "Klingt fantastisch.", antwortete Lee und setzte seine Arbeit fort. "Und dann sagst du ihr, dass du sie schön findest und sie läuft weg, oder was?", hörte er die Stimme in seinem Kopf erneut. "Ach halt die Fresse!", dachte er gereizt, während er am Bildschirm neue Bestellungen eingab. Nancy saugte Staub und tänzelte überglücklich durch den Laden. "Frauen, erst heulen sie Rotz und Wasser und dann tanzen sie herum, als sei nichts gewesen.", murmelte er grinsend.

Es war Weihnachten. Lee stand an der Theke und bediente einen Kunden nach dem anderen. Der Andrang war riesig und schien nicht abreißen zu wollen. Jeder wollte irgendwie noch Geschenke für Freunde, Familie und Bekannte ergattern. Gegen Mittag jedoch konnte Lee sich auf eine Zigarette loseisen und Nancy arbeiten lassen. Er stand auf dem Parkplatz in knietiefem Schnee, rieb sich die Hände und fluchte, dass es immer noch wie verrückt schneite. Er fror, obwohl er einen dicken, grauen Parka trug. Zitternd rauchte er und seufzte. Er würde wohl allein feiern müssen und das stimmte ihn traurig. Er starrte gedankenverloren zur Straße und verlor sich in Tagträumen. Wie sehr wünschte er sich Alison herbei. Melissa hatte nichts Brauchbares herausgefunden und war wieder nach Alabama zurückgeflogen, als Lee darauf beharrte, in Denver zu bleiben. Er schnippte die Zigarettenkippe weg und kämpfte sich seinen Weg durch den heftig fallenden Schnee und klopfte den Parka ab, als er in den Plattenladen ging. Nancy lächelte und Lee bemerkte, dass es endlich ruhiger wurde. "Noch eine Stunde, dann haben wir Feierabend.", bemerkte sie lächelnd. Lee lächelte nicht, sondern arbeitete weiter. Konzentriert sortierte er die letzten Kartons im Lager ein und empfahl Kunden diverse Alben. Endlich, als der letzte Kunde den Laden verließ, schloss Lee die Tür ab und seufzte. "Ich habe noch etwas für dich.", rief sie, bevor er sich zum Gehen wenden konnte. Er drehte sich um und hob eine Braue. "Das hier kann dich glücklich machen!", sagte sie und reichte ihm eine kleine, rechteckige Schachtel, an der ein kleiner Zettel mit vier Ziffern klebte. "Bitte nur benutzen, wenn du dich sehr, sehr einsam fühlst. Und frohe Weihnachten!", fügte sie ernst hinzu. Lee nickte und schlurfte ins Lager, wo er einen Umschlag hervorholte und ihn Nancy reichte. "Es ist nicht viel, aber es gehört dir.", gab er zurück und lächelte schüchtern. Sie öffnete den Umschlag und sah zwei Karten für ein Musical darin, sowie ein Armband. "Frohe Weihnachten.", murmelte er und ging zum Auto. Er stieg ein, legte das Paket auf den Baifahrersitz und fuhr durch die Stadt. Die Straßen waren Menschenleer und es fuhren nur wenige Autos. Lee schaltete das Radio ein und der Moderator verlas Weihnachtsgrüße und spielte Weihnachtslieder.
Lee fuhr und verzweifelte, je später es wurde. Er fuhr auf den Parkplatz eines kleinen Cafés und kehrte dort ein. Nachdem er Platz genommen hatte, bestellte er sich eine heiße weiße Schokolade mit zwei Marshmallows darin, sowie ein Stück Zimtkuchen. "Na, hast wohl auch keine Idee, was du an Weihnachten machen sollst, was?", fragte eine Bedienung freundlich und brachte ihm seinen Kakao und seinen Kuchen. "Nicht wirklich.", gab er zurück und steckte der Frau einen Zehner zu. "Stimmt so.", fügte er hinzu und kaute nachdenklich. An der Wand tickte eine runde, silberne Uhr aus Plastik und zeigte 16 Uhr an. Er aß seinen Kuchen auf, trank seine Schokolade leer und ging bekümmert zum Auto zurück. Es schneite noch heftiger und man konnte kaum noch etwas sehen. Vorsichtig fuhr er zu seinem Wohnhaus und schloss, nachdem er in seiner Wohnung war, die Tür ab. Er schaltete den Fernseher ein, kochte sich eine Kleinigkeit zu essen und legte sich mit seinen Käsemakkaroni auf das Sofa. Dabei schaute er sich "Kevin allein in New York" an und wurde noch betrübter. Es schlug mittlerweile 21 Uhr, als er Nancys Geschenk öffnete. Zum Vorschein kam ein schlankes, silbernes Handy, in dessen Schale "Freunde, was immer geschieht!" eingraviert war. Lee freute sich sehr und gab die PIN Nummer ein, die auf dem Zettel, der dabei war, geschrieben stand. Mit einer leisen Melodie meldete es, dass es betriebsbereit war und Lee schaute in das Nummernverzeichnis. Nancys Nummer war bereits vorgemerkt, sowie eine Nummer, unter der "Lees Weihnachtsgeschenk" zu lesen war. Neugierig wählte er die Nummer und wartete. Hank, der Kaufhauswachmann mit den weißen Haaren und dem schelmischen Grinsen meldete sich. "Frohe Weihnachten, Lee. Schön, dass du die Nummer gewählt hast. Du willst dein Weihnachtsgeschenk haben, hm?", rief er mit seiner rauhen, freundlichen Stimme ins Telefon und schien sich diebisch zu freuen, Teil eines großen Plans zu sein. "Ja, deswegen rufe ich an. Und jetzt sag mir bitte nicht, dass du mir irgendeinen Kirchenchor hierher schickst, Hank.", gab Lee belustigt zurück. "Nein, keine Panik, aber ich denke, du solltest in die St. James' Kirche, Ecke 23. Straße gehen.", riet Hank ihm. "Du weißt, dass ich Kirchen meide?", erwiderte Lee genervt. "Sicher, aber glaub mir, die Aufführung dort wird dir gefallen.", antwortete Hank und legte auf. Lee nahm sein neues Handy mit und spazierte im Schneetreiben zur Kirche. Sie war hell erleuchtet und wirkte so unwirklich und doch weckte sie Hoffnung. Lee betrat die Kirche, setzte sich hin und sah sich die Aufführung an. Es ging um zwei kämpfende Armeen im ersten Weltkrieg, die zusammen Weihnachten feierten. Er beschossen sie einander und dann feierten sie. Das Stück dauerte zweieinhalb Stunden und Lee gähnte, als er endlich wieder in den kühlen Abend hineintrat. Es schneite immernoch, jedoch nicht mehr so heftig wie vorher. Lee stapfte durch den tiefen Schnee, der im Takt seiner Schritte knirschte und sein Atem schwebte als Dunstwolke vor ihm her. Er fror und seine Nase lief, also beeilte er sich, nach Hause zu kommen. Er schloss seine Wohnungstür auf, schaltete das Licht an und blieb wie angewurzelt stehen. Ein großer Weihnachtsbaum stand in einer Ecke und es lagen Geschenke darunter. In der anderen Ecke standen Hank, Nancy, ihre Familien und, Lee traute seinen Augen kaum, Alison! "Frohe Weihnachten, Lee!", riefen alle wie aus einem Munde und Lee umarmte sie alle. Bei Alison angekommen, weinte er vor Glück und schloss sie in seine Arme. "Warum hast du mir das nur angetan?", fragte er weinend. "Lee, ich, es war falsch. Ich hatte... Ich wollte... dir so nicht unter die Augen treten. Hank hat mir immer wieder erzählt, dass du nach mir suchst. Und dann hatte er mich endlich soweit, zu dir zu kommen.", schluchzte sie nun ebenfalls. Lee war der glücklichste Mensch auf Erden und er hatte noch nie ein so wundervolles Weihnachtsfest wie an diesem Tag.

Ein Jahr später.
Lee lächelte, als er seine kleine Tochter in den Armen hielt. Sie saßen gemeinsam bei Melissa und Simon im Garten, grillten und hatten Spaß. Mittlerweile waren er und Alison verheiratet und er verdiente seine Brötchen in einer Filiale von Luke's Plattenladen in Two Arches, Alabama. Mittlerweile verstanden er und Simon sich miteinander und sie gingen gemeinsam einmal die Woche zum Baeball oder unternahmen etwas mit ihren Familien. "Weißt du, Lee. Alles in allem hat sich deine Reise doch gelohnt. Du hast eine Frau, ein Kind und...", lachte Simon. "Und einen neuen Wagen.", gab Lee lachend zurück und leerte sein Bier, die kleine Audrey im Arm.

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Tag der Veröffentlichung: 30.07.2011

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