Der Kater hatte die Augen weit aufgerissen. Und doch wollte er nicht hinsehen. Das, was er da sah, riss ihm die Eingeweide heraus, so schmerzte es. Der kleine Junge hielt das Babykätzchen an einer Pfote in der Luft und schaukelte es hin und her. „Kleines Kätzchen, flieg!“ rief er begeistert und ließ das miauende Etwas los. Es flog durch die Luft und krachte an die Schrankkante. Kein Miauen war mehr zu hören. Der große Kater rannte entsetzt zum Schrank. Er stupste das Kätzchen mit der Schnauze an. Der Geruch von Blut stieg in seine Nase. Warmes, frisches Blut. Angst kroch in ihm hoch. Das Blut rann der kleinen Katze aus dem Hinterkopf und über den Rücken. Er stupste es nochmal an, ängstlicher, hektischer. „Rico wach auf. Jetzt wach auf!!!“
Der kleine Junge kam zu ihm. Er hob Rico achtlos auf und warf ihn hinter sich aufs Bett. „Jetzt schläft er. Wie langweilig.“ Da konnte der Kater sich nicht mehr halten. Er fuhr die Krallen aus, fauchte so laut er konnte. Sein ganzer Körper bebte und sein Fell stand ab wie elektrisiert. Er sprang den Jungen an und biss ihm so heftig in den Arm, dass das Kind schreiend und jammernd auf den Boden sackte, sich den Arm hielt und nach Hilfe schrie.
Eine alte Frau kam aufgeregt ins Zimmer rein. „Oh mein Gott, Jonas, was ist los.“ Jonas, der kleine Junge schrie nur noch lauter. Sein rotes Blut färbte den Teppich. Die Frau schrie entsetzt auf.
Sie sah sich um. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Sie sah nur den Kater, der aufs Bett gesprungen war, den toten Rico zwischen den Zähnen haltend, und dann erst auf die Fensterbank und dann raus in den Hof sprang. Im Hof saß noch ein Kätzchen, nicht älter als Rico.
Jonas schluchzte, die Frau stürmte in die Küche um Verband zu holen. Auch der Kater weinte. Er versteckte es nicht vor Samantha, der kleinen Katze im Hof. „Komm Samantha“, seine Stimme war nur ein Hauchen. Samantha sah, dass Rico tot im Maul des Katers hing und musste auch anfangen, jämmerlich zu weinen. „Bitte“, sagte der Kater, „hol Charlie. Wir hauen ab.“ Samantha nickte, verschwand hinter einer Mauer und suchte das letzte kleine Kätzchen.
Der Kater legte Rico ab, scharrte ein Loch im Garten und legte ihn rein. Tränen rannen auf das Blut des Kleinen, doch es machte nichts mehr aus. Er spürte nichts mehr und dort, wo er jetzt war, da konnte ihm niemand mehr weh tun.
„Patti, ich hab Charlie gefunden!“ Samanthas Stimme zitterte, doch sie wollte stark sein. Patti wandte sich von dem Grab ab und rannte mit den beiden Kätzchen davon.
Die Sonne war dem Horizont ganz nah. Ich saß auf einem warmen Fels. Auf einem dieser warmen Felsen, die hier überall verteilt sind. Ganz ruhig saß ich da. Der warme Wind wehte mit sanft durch mein helles Fell. Es war so wunderschön. Genau so, wie es sich eine Katze wünscht.
Und ich war nicht nur irgendeine Katze. Ich war Violett, die wohl hübscheste Katze in ganz Manhattan. Fühle dich geehrt, dass ich überhaupt mit dir Rede.
Bis zu dem Zeitpunkt an diesem einen Abend im Mai führte ich das ganz normale Leben einer Großstadtkatze. Das Leben in der Stadt ist nicht immer leicht für eine kleine Mieze wie mich. Ständig bestand die Gefahr, einfach von einem der tausenden Taxis totgefahren zu werden. Niemand beachtete dich, wenn du ängstlich zwischen den Füßen unzähliger beschäftigter Menschen umher huschst. Sie treten nach dir, stehen dir auf den Pfoten oder kicken dich in die nächste Ecke. Und sie bemerken es meist nicht einmal. Es ist traurig! Furchtbar! Wir Katzen haben etwas mehr Aufmerksamkeit verdient. Und ihr, ihr Menschen geht achtlos vorbei, wenn ein kleines Kätzchen schreiend zwischen den Häusern liegt. Vielleicht stirbt es bald am unerträglichem Hunger oder erstickt unter all den Abgasen aus euren lärmenden Autos.
Ihr lasst das leidende Etwas einfach liegen. Und wenn eure Kinder Mitleid haben und es aufheben, schreit ihr nur rum. Das Kätzchen könnte ja eventuell Flöhe haben. Das ist gemein!
Früher, da wurden wir Katzen vergöttert. Kleopatra, die wohl mächtigste Frau in eurer Geschichte, liebte uns. Es wurden Statuen und Grabstätten für uns gebaut. Hat nicht sogar die Sphinx den Körper eines Löwen; also einer großen Katze?
Gebt es doch zu. Ohne uns würdet ihr Menschen alle eingehen.
Glaube es mir ruhig. Ich kann es dir beweisen. Denn ich werde dir jetzt erzählen, wie es weiterging nachdem ich auf diesem wunderbar warmen Stein gesessen hatte.
Die Sonne wurde rot. Im Hintergrund hörte ich schon wieder das Brummen der gelben Autos. Ich sah das Aufblitzen der Werbeschilder im Augenwinkel. Und ich konnte mir ein Schmunzeln leider nicht verkneifen. Denn obwohl eure millionen und aber millionen Lichter und Maschinen unsere Welt zerstören, sind sie doch wunderschön.
Als die Sonne endgültig verschwunden war, drehte ich mich um und marschierte stolz über den schmalen gepflasterten Weg. Ich konnte die Kinder lachen hören, die Mädels kicherten vergnügt und die Jungs kamen auf ihren Skateboards angerattert. Die Erwachsenen gingen wie immer mit aufrechtem Kopf und schnellem Gang durch die Straßen. Es war Musik zu hören. Überall. Aus der einen Ecke kam der ruhige Klang einer Gitarre. Aus den Shops kam Elektro-Pop. Die Reifen der Autos quietschten und irgendwo hupte jemand. Polizeisirenen heulten, dass einem die Ohren schmerzten.
Für mich war das alles Musik. Denn ich liebte es. Es war meine Welt. Immer wieder dachte ich darüber nach, ob ich wohl die einzige war, die die Welt so wahrnahm. Gab es hier noch jemanden, der so genau alles in sich einsog, der jeden Sinn aktiviert hatte? Möglicherweise auch ein Mensch?
Die Tauben gurrten, ein Hund kläffte, ein paar coole Jungs drehten die Hip-Hop Musik voll auf. Ich schloss die Augen und genoss es einfach.
Der Wind wurde langsam kälter. Die ersten Sterne waren zu sehen. Ich entfernte mich immer mehr von der City und kam in die ruhigere Gegend. Und irgendwann war sie vor mir, eine der vielen endlos langen Brücken hier. Und über genau diese Brücke, vor der ich jetzt stand, ging ich fast jeden Tag. Autos rasten mit unglaublicher Geschwindigkeit unter meinen Pfoten vorbei. Bald würde ich zuhause sein. Dort wartete sicher schon Gabrielle. Gabrielle ist so jemand, den man als mein Frauchen bezeichnen könnte, wenn ich ein Hund wäre. Sie gab mir zu essen und zu trinken, falls ich im Haus war. Und sie erzählte mir immer all ihre Sorgen, während sie vorsichtig an meinen Ohren knotete.
Ich tappte über die Brücke. Und obwohl die Musik der Innenstadt schon weiter hinter mir lag, klang sie in meinem Kopf weiter und ich genoss die Stille um mich herum. Ich konnte sogar die Möwen kreischen hören.
So war ich eben, Violett, die Katze, die alles mitbekommt. Ich roch alles, ich sah alles, ich hörte alles und ich fühlte alles. Und ich hatte Sinne, die du dir nicht mal im Traum vorstellen kannst. Es waren diese ganz speziellen Katzensinne. Ich konnte das Magnetfeld der Erde spüren und ich merkte es, wenn jemand mit seinen Schritten den Boden vibrieren ließ.
Ich kam zuhause an. Hinter der Katzenklappe war es hell und warm. Draußen war es mittlerweile ziemlich eisig geworden- angenehm eisig. Trotzdem freute ich mich auf das cremefarbene Kissen, dass oben in Gabrielles Zimmer für mich bereit lag. Ich war gerade auf halbem Weg nach oben auf der Treppe, als ich Joanna schreien hörte. Joanna war Gabrielles Mutter. Sie war genauso wenig zuhause wie ich es war. Sie ging arbeiten. Seit George nicht mehr hier lebte, hatte sie ziemlich viel zu tun um mein Katzenstreu zu bezahlen. Soweit ich es wusste arbeitete sie als Touristen-Führerin in den Hochhäusern der Stadt. Sie war eine von denen, die den dicken Kerlen in den bunten Hemden erklärte, wo man hier das leckerste Essen herbekam und die kitschigsten Geschenke für die Verwandten im eigenen Land.
Doch ihre Stimme hörte sich in dem Moment, in dem ich auf der Treppe stand, nicht so an, als würde sie Gab irgendeine Bar empfehlen. Sie war total laut. Ich konnte nicht viel verstehen, sondern schnappte immer nur einzelne Worte wie „unmöglich“, „bezahlen“, „unerhört“, „Lüge“ oder „arbeiten“ auf. Jetzt wollte ich es genauer wissen. Ich machte kehrt und schlich in die Küche.
Dort stand Joanna. Die Hände in den Hüften und mit weit aufgerissenem Mund brüllte sie Gab an. Die schaute gerade zu Boden und seufzte. „Verdammt, ich war es nicht“, murmelte sie immer nur.
Joanna griff sich an den Kopf. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so eine schlechte Mutter bin. Scheinbar kann ich nicht mal meine Tochter richtig erziehen.“ „Du bist eine schlechte Mutter, weil du deiner Tochter nicht zuhörst!“, giftete Gab Joanna an. „Oder ihr besser gesagt nicht glaubst.“
„Pah“, machte Joanna, „ich soll dir glauben, dass dir jemand anderes die Sachen einfach so in die Tasche gepackt hat, weil er es lustig fand? Hältst du mich für blöd?“
Jetzt war es Gabrielle, die laut wurde. „Maria war auch im Kaufhaus. Sie hasst mich. Sie findet es bestimmt witzig, wenn ich verhaftet werde.“
Joanna sagte nichts. Sie schaute nur ohne Ausdruck auf Gabrielle. Nach einer scheinbaren Ewigkeit sagte sie: „Ich werde mal mit Marias Mutter sprechen. Und jetzt geh auf dein Zimmer und mach deine verdammte Katze sauber! Die stinkt ja erbärmlich!“
Charlie kauerte ängstlich auf der Straße. Die Autos um ihn herum sausten mit hoher Geschwindigkeit hin und her. Der kleine Kater jammerte kläglich. Immer wieder versuchte er, auf die andere Straßenseite zu kommen. Doch es war unmöglich.
„Spring auf ein Auto!“, rief Patti ihm vom Gehweg zu. „Und fahr, fahr bis es anhält.“ „Ich…ka-kann…..nicht.“ Charlies Stimme zitterte. „Du musst!“, schrie der große Kater. „Fahr mit, bis es an einer Ampel halten muss. Aber halt dich gut fest!“
Charlie miaute und jammerte lauter. Dann kniff er die Augen zu, gab sich einen Ruck und sprang. Er erwischte den Seitenspiegel eines Taxis. Er klammerte sich fest, mit aller Kraft, die er hatte. Doch das Taxi war schnell, Charlie war noch klein. „Gut“, rief Patti. Er rannte neben dem Taxi her, so gut es ging, um den Kleinen nicht aus den Augen zu verlieren. Aber das Auto wurde immer schneller. Charlies Pfoten rutschten langsam ab. Das Taxi düste um die Ecke ohne zu bremsen. Die Wucht der Kurve schleuderte Charlie endgültig vom Spiegel. Der kleine Kater flog auf die andere Fahrbahn. Er rappelte sich gerade auf, da kam ein Bus und fuhr mit Hupen und Rumpeln über genau die Stelle, wo das Kätzchen saß.
Patti fauchte auf und brach dann zusammen. Wie konnte er den Kleinen nur so im Stich lassen!
Gute Stimmung. Sommer. Es lag der Duft von Inspiration und Freude in der Luft. Die Schüler strömten von allen Richtungen her. Sie schnatterten hier, hörten dort Musik und berichteten sich aufgeregt, was sie am Wochenende erlebt hatten.
Ich saß vor der High School. Hier war es mindestens genauso schön, wie in der Stadt. Nur auf eine andere Art und Weise. Ich war gerne hier und beobachtete junge Menschen bei ihrem natürlichen Lebenslauf.
Ein Bus kam an, die Tür ging auf und zwei Mädels kamen zum Vorschein. Die eine war groß, braunhäutig und schwarzhaarig. Sie hatte einen gigantischen Pferdeschwanz mit Wellen auf dem Kopf. Direkt hinter ihr stand ein etwas kleineres und zierlicheres Mädchen mit Sommersprossen und beinahe goldenen Haaren. Sie trugen beide Sonnenbrillen. Das dunkle Mädchen hatte eine Schwarz-getönte. Das helle Mädchen trug eine mit gelbem Rand auf dem Kopf wie einen Haarreif. Sie lächelten beide und stiegen langsam aus. Und die Sonne schien nochmal heller zu werden. Eine riesige Gruppe von Mädels kam kreischend angerannt. „Maria! Maria! Wie geht es dir? Du siehst umwerfend aus!“ Sie riefen durcheinander und zappelten herum. Das große, schwarzhaarige Mädchen drehte sich zu einem der Umstehenden. „Heute ist ein toller Tag, um mal wieder richtig Spaß zu haben“, sagte sie zu einem etwas molligerem Exemplar von weiblichem Mensch. Die Mollige nickte eifrig. Dann zog die Dunkle mit der coolen Sonnenbrillen ihre taillierte schwarze Jacke aus. Zum Vorschein kam ein blutrotes Top ohne Träger mit einem funkelndem Pailettenband über der Brust. Die Sonnenstrahlen fielen auf das Top und ich war für einen kurzen Moment geblendet.
„Oh Maria, das Top ist der Hammer!“ Das Sommersprossen-Mädel warf einen staunenden Blick auf die Funkelpailetten. „Danke Nadja.“
Maria schnickte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie stolzierte auf hohen, ebenfalls blutroten Schuhen Richtung Eingang. Die ganzen Mädchen rannten ihr und Nadja hinterher, immer noch quietschend und kichernd.
Auch ich kicherte, als sie vorbeikamen. Warum taten sie das? Diese Maria musste ja echt cool sein. Doch war es nicht ihr Name, den Gab gestern Abend genannt hatte? Angeblich hasste Maria Gab. Mir hatte Gabrielle auf jeden Fall gesagt, dass Maria ihr eins auswichen will, weil Gab sie mal bei einem Lehrer verpetzt hat für etwas, das sie „Spicken“ genannt hat. Was auch immer das war, es musste etwas Verbotenes sein, denn Maria wurde dafür bestraft und gab meiner Gab die Schuld.
Wie dem auch sei. Wo war eigentlich Gabrielle? Sonst kam sie auch immer mit so einem Bus. Doch bis jetzt hatte ich sie noch nicht gesehen. Ich sprang von dem Stein runter, auf dem ich die ganze Zeit gesessen hatte. Mein Ziel war die Straße. Ich wollte warten, bis Gabrielle kam und schauen, wie es ihr ging. Doch ich sollte nie ankommen. Denn als ich quer über die Wiese lief, kam ein noch ziemlich junges Mädchen auf mich zu und rief begeistert : „Ui, eine Katze!“ Sie hockte sich vor mich und begann damit, mir das Fell zu kraulen. Zuerst war ich verärgert. Ich hatte keine Zeit für Kuschelstunden. Doch dann beschloss ich, dass ich auch von hier aus warten könnte, bis Gab kam. Es würde sie ja nicht davon abhalten in die Schule zu kommen, dass ich hier gestreichelt wurde. Also fing ich an zu schnurren und ließ die Prozedur über mich ergehen. Das Mädchen hatte aber scheinbar nicht viel Zeit, denn sie war gleich schon wieder fertig mit Kuscheln, stand auf und ging fort mit den Worten „Mach’s gut, Katze.“
Ich schüttelte mich kurz und wollte eben zur Straße gehen, als ich Gab sah. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte verstrubbeltes Haar. Die Arme waren vor der Brust verschränkt und in der Hand hielt sie ein Buch, das wohl schon einiges mitgemacht hatte. Sie rempelte gegen ein paar Jungs, die Cola tranken. Das braune Zeug schwappte aus der Flasche und floss ihnen über die Klamotten und ins Gesicht. „Ey mann, pass doch auf!“ Einer der Jungs war stinkig auf Gabrielle, warf ihr einen verachtenden Blick zu. Doch er trank sofort weiter, als Gab verschwunden war. Ich ging parallel zum Weg auf der Wiese in die selbe Richtung wie Gab und die meisten anderen Menschen. Doch die Eingangstür war Endstation für mich. Ich wusste genau, dass ich nicht in die Schule durfte. Es war schon mal passiert und damals wurde ich fast plattgetrampelt und irgendwann von einem Mann in einem schmutzigen grauen Anzug gepackt und rausgeschmissen.
Warum war Gabrielle so bedrückt? War es wegen Joanna, weil sie ihrer Tochter nicht glaubte und jetzt wütend war? Oder war es Maria? Oder die Jungs mit der Cola?
Mit der Zeit verschwanden alle Schüler im Haus. Es wurde immer ruhiger hier draußen. Nur noch ein paar einzelne Menschen mit glühenden Stöckchen in der Hand standen in kleinen Gruppen auf dem Weg. Es fing an, mehr und mehr zu stinken. Für mich war es Zeit zu gehen. Erst gegen Mittag, wenn die Sonne ganz oben stand, würden die Schüler wieder rauskommen, um nach einer Stunde erneut im Gebäude zu verschwinden. Und dann, nach einiger Zeit würden sie wieder rauskommen. Es war jeden Tag das Selbe.
Jetzt war erstmal Central Park angesagt. Ich freute mich schon tierisch auf die warmen Felsen und die Vögel und die Musik. Doch bis nach Manhattan war es von hier aus ein weiter Weg. Und Katzen können leider genauso wenig mit den unterirdischen Zügen fahren, wie sie in Schulen gehen können. Also musste ich laufen. Auch nicht schlecht. Die Luft war schön frisch und blumig. Ich atmete tief ein und aus und freute mich auf den Tag. Ich tappte gerade über die Straße, als ich das Knattern hörte. Eben war es noch nicht dagewesen und schon war es laut und dröhnend direkt neben mir. Blitzschnell schaute ich zur Seite. Da war es schon an mir vorbei. Ein winziges Auto ohne Dach und mit nur zwei Rädern. Ich glaube, dass es gar kein Auto war. Die Menschen hatten für so etwas einen extra Namen, doch er fiel mir gerade nicht ein. Was auch viel wichtiger war, war, dass es mich fast umgefahren hatte. Dann wäre ich ein kleiner, weicher, heller Wohnzimmerteppich gewesen. Ich rümpfte die Nase. Idiot.
Mit einem Mal verlies mich die Lust auf den Park. Ich wollte plötzlich alles, nur nicht so weit weg laufen. Hier war es doch auch ganz schön. Also beschloss ich, zu Olaf zu gehen. Olaf hatte einen Fischladen nicht weit von hier. Und Olaf war nett. Er nahm sich gerne Zeit für Katzen wie mich. Er hatte sogar selbst einen Kater. Der hieß T-Rex und war die coolste Katze, die ich je gesehen hatte. T-Rex war etwas, das man eine Glückskatze nennt. Er hatte vier Farben: Rot, Schwarz, Braun und Weiß.
Und er war echt einzigartig, ein wahrer Glücksgriff. T-Rex konnte Japanisch, Menschen- und Tierjapanisch. Er kannte jeden Fisch aus Olafs Laden mit Namen und Herkunft und er war ein richtiger Kunstkenner. Er liebte Jazzmusik und strich gerne abends durch die Viertel auf der Suche nach Cafés, in denen Musik gespielt und getanzt wurde, einfach um zuzuhören. Wenn er Finger hätte, würde er Saxophon spielen, hatte er mir mal gesagt.
Und außerdem gab es auf der ganzen Welt wohl keinen zweiten Kater, der so schusselig war wie T-Rex. Immer rannte er alles um, stolperte überall drüber und fiel überall runter. Doch er war äußerst geschickt wenn es ums Futterbesorgen ging, egal ob jagen oder klauen oder schnorren war. T-Rex war echt cool!
Ich konnte schon von Weitem den Geruch des Fisches riechen. Menschen sagen immer, der Fisch würde stinken. Wir Katzen haben eine viel feinere Nase und ich muss sagen: Fisch stinkt nicht! Fisch riecht nach der unendlichen, gefährlichen, beinahe ekligen Tiefe des Meeres, salzig und nass, exotisch und intensiv, aber lecker.
Olaf stand vor seinen ganzen Kisten aus Plastik und Holz, in denen er die Fische feinsäuberlich sortierte, damit die Kunden sie bewundern konnten. T-Rex lag zu seinen Füßen, den Kopf auf den Vorderpfoten gelegt und beobachtete mich, wie ich herbei getippelt kam. „Olala, einen schönen guten Morgen wünsche ich der Dame. Ohayo guitsimasai neko. Was darf’s denn sein?“ T-Rex räkelte sich und kam auf mich zu. Er hatte mich Dame genannt. Das war cool.
Jetzt stand er direkt vor mir. T-Rex war nicht sehr groß für einen ausgewachsenen Kater, aber er war groß genug um mit seiner Nase an meine zu stupsen. Wenn dir das seltsam vorkommen sollte: Das ist die Art, wie sich Katzen üblicherweise begrüßen. „Du riechst nach jungen Menschen“, stellte T-Rex fest. Ich nickte. „High School?“, fragte er. „Ja.“
Unsere Nasen lösten sich voneinander. Schade eigentlich, denn seine war so wunderbar warm und ein klein bisschen rau, es war richtig angenehm. „Olaf hat heute wieder Kaviar geliefert bekommen. Möchtest du haben?“, fragte mich T-Rex. Ich streckte die Zunge raus und schüttelte mich. Kaviar? Wie widerlich! T-Rex verstand sofort. „Dann halt nicht.“
Nun bemerkte auch Olaf, dass ich da war. Er begrüßte mich mit ein paar leichten Stupsen auf den Kopf. „Ihr seht so süß aus zusammen“, sagte er zu uns beiden. Wirklich?, fragte ich mich. Das wäre ja fantastisch. Ich glaubte aber, dass ich süßer war als T-Rex und er davon profitierte, wenn so etwas Hübsches wie ich neben ihm stand. Obwohl, eigentlich war T-Rex auch sehr hübsch mit seinen Flecken überall.
„Was gibt’s Neues?“, fragt T-Rex. „Oh“, antwortete ich, „Scheinbar ein ziemlich großes Problem.“ „Ziemlich?“ T-Rex legte den Kopf schief. „Ja, ich weiß es nicht genau“, gab ich zu. „Aber gestern wurde Gabrielle wohl beim Klauen geschnappt. Sie sagt aber, dass eine gewisse Maria ihr die Jacke in die Tasche geschmuggelt hat um sie zu ärgern.“ Ich setzte mich auf die Hinterbeine. „Ich hab echt keine Ahnung wer Recht hat. Diese Maria sieht aber schon so aus, als wäre sie nicht besonders ehrlich. Bei so vielen Menschen, die der hinterher laufen, muss irgendwas faul sein.“ T-Rex sah mich verwundert an. Ich musste lachen, denn ich wusste, dass T-Rex nicht sehr viel Ahnung hatte von jungen Menschen. Und er hatte wohl auch noch nie in seinem Leben etwas von Pubertät gehört. Es war ein schönes Gefühl, mal etwas besser zu wissen als er.
Interessiert schien er trotzdem. „Was hast du jetzt vor zu tun?“ Ich musste kurz überlegen. Ehrlich gesagt wusste ich es nämlich selbst noch nicht. „Beobachten und herausfinden, wer Recht hat.“ Das war alles, was ich tun konnte. „Soll ich dir helfen?“, bot T-Rex an. Ich musste mich zusammenreißen um nicht laut aufzubrüllen und vor Begeisterung zu hüpfen. „Ja“, war dann alles, was aus meiner Schnauze rauskam. T-Rex würde mir helfen bei meiner Mission. Das waren tolle Aussichten.
T-Rex und ich saßen auf dem Stein vor der Schule, auf dem ich auch am Morgen gesessen hatte und warteten auf das Läuten der Glocke. Dann würden viele Schüler aus dem Haus rauskommen um zu essen, sich zu unterhalten und ein bisschen Ball zu spielen.
In der Zeit erklärte ich T-Rex ein paar Dinge, wie zum Beispiel, warum die Menschen hier waren, was Schulbusse, Sportteams oder Cheerleader waren. Und er hörte mir aufmerksam zu, neugierig wie immer. Dann kam es, das laute Läuten. T-Rex jaulte auf. „Das hört sich schrecklich an.“ „Ach Quatsch, du gewöhnst dich dran“, meinte ich.
Die ersten Schüler kamen raus. Es war eine Gruppe von älteren Jungen, die sofort wieder ihre Stöckchen entzündeten. „Was machen die da?“, fragte T-Rex. „Ich weiß nicht“, antwortete ich.
Es war mir auch egal. Mein Blick hing starr an der Tür. Viele Schritte ließen die Erde erzittern. Fröhliche und traurige Menschen kamen heraus. Dort waren Maria und Nadja, mal ausnahmsweise ohne die Begleitung der kreischenden Mädchen. Sie setzten sich an einen der Holztische und holten ein Fläschchen mit pinker Flüssigkeit aus der Tasche und bemalten sich die Fingernägel. So etwas hatte Gab auch, aber in beige und hellblau und gelb. Die Jungs, die vorhin die Cola hatten, stürmten aus der Schwingtür und sprangen mit einem Satz die Treppen runter. Einer hielt einen orangenen Ball unter dem Arm. Er schwang sich neben Nadja auf die Bank und legte den Ball auf den Tisch. Ich konnte zwar nicht hören, was sie sagten, aber man konnte sehen, dass sie sich lebhaft unterhielten.
Gab war nirgends zu sehen. T-Rex achtete nicht auf Maria, sein Blick hing an einem alten Mann, der auf dem Rasen Papier einsammelte. „Das ist der Hausmeister“, erklärte ich T-Rex. Er macht hier alles sauber und repariert Dinge, die kaputt sind. Er hat immer was zu tun. „Der arme Mann“, stellte T-Rex fest. Er hatte Recht. Niemals half irgendjemand dem alten Hausmeister.
T-Rex erhob sich und ging auf den Mann zu. Er ließ seine Augen über den Rasen schweifen. Er hatte etwas entdeckt und ging zielstrebig darauf zu. Es war eine grüne Blechdose. Vorsichtig nahm T-Rex sie mit den Zähnen vom Boden und schleppte sie zum Hausmeister. „Miau, miau“ Der Hausmeister blickte zu T-Rex hinunter. Er lächelte. „Braves Kätzchen“, sagte er. Er griff nach der Dose und zog sie T-Rex aus dem Maul. Die Dose verschwand in einem blauen Sack. T-Rex hatte schon das nächste Stück Müll entdeckt. Diesmal war es ein zerfetztes Blatt Papier, auf dem viel schwarz und rot war. Der Hausmeister nahm es und schaute es sich genauer an. Dann sagte er: „Ha, da hat wohl jemand keinen guten Tag gehabt. Ein F. An seiner Stelle hätte ich sie auch ins Gras geworfen.“ Ich wusste, dass es sich um eine Prüfung handelte, die ein Mensch machen musste und, dass er sie verhauen hatte. T-Rex wusste es nicht. Er sah mich fragend an. „Komm her!“, maunzte ich. „Wir müssen Gab finden.“
Während T-Rex zu mir zurückkam fiel mir ein, dass Gab gar nicht unbedingt hier rauskommen musste. Oft blieben die Schüler drinnen in einem großen Raum in dem sie ihr Essen aßen. Das hatte ich schon vom Fenster aus beobachtet. Es war laut dort drin, die Stimmen hallten von den Wänden zurück und es roch nach warmem Fleisch, Reis, Obst und Milch.
T-Rex war jetzt bei mir angekommen. „Gabrielle ist nicht da“, sagte er. „Ich habe es auch schon gemerkt“, giftete ich zurück. Ich machte mir Sorgen um Gabrielle. Joanna war gestern echt hart zu ihr gewesen. Und ich wusste genug über Menschen. Ich wusste, dass traurige junge Menschen oft Dinge taten, die sie nicht tun sollten. Sie hassten sich selbst, wurden aggressiv oder nahmen irgendein weißes Zeug, das sie völlig durchdrehen ließ. Dieses Zeug roch ätzend und es war verboten. Kein Schüler dürfte es haben, aber das war ihnen egal. Selbst hier vor der Schule auf den Bänken hatte ich es schon gesehen.
Da Gabrielle nicht in Sicht war, beschloss ich, mir Maria mal näher anzusehen. Sie bemalte sich immer noch die stumpfen Krallen. Nadja und der Ball-Junge saßen ihr gegenüber und hielten sich bei den Händen. Maria sprach gerade: „Und du bist sicher, dass du in Mathe neben Gabilein sitzen wirst? Die lässt dich nämlich auffliegen. Dieses Biest!“ „Ganz sicher“, antwortete der Junge. „Ich sitze neben Tom. Der merkt das nicht mal, wenn ich bei ihm spicke.“ Spicken! Da war es, das Wort. Langsam wurde es interessant. T-Rex fragte mich: „Worüber reden die da?“ Ich wollte ihm grad sagen, dass ich leider auch nicht wusste, was Spicken war, doch Maria kam mir dazwischen. Sie musste T-Rex miauen gehört haben. Sie drehte sich blitzschnell zu uns um und schrie los. „Katzen! Igitt, Katzen! Haut ab! Ich bin allergisch gegen euch.“ Sie sprang auf, fuchtelte wild mit den Armen und rief immer wieder „Igitt, Katzen, widerliche Katzen!“ T-Rex erschrak und flitzte davon. Ich blieb fassungslos sitzen bis der Ball-Junge sich vor mir aufrichtete und nach mir trat. „Hau ab, du Biest!“ Ich duckte mich und miaute kläglich. Doch ich hatte es euch ja schon zu Beginn gesagt: Die meisten Menschen sind nicht sehr rücksichtsvoll was leidende Katzen angeht. Der Junge holte zu einem festen Schuss mit dem Fuß aus. Ich warf mich auf die Seite, rappelte mich auf und sauste davon, was meine Beine hielten. Fast hätte ich den Hausmeister umgerannt. Doch ich flitzte zwischen seinen Beinen hindurch. Bis zur Straße konnte ich Maria schreien hören. Erst als ich erschöpft hinter einem Mülleimer stehen blieb, war die Stimme verstummt. T-Rex stand auf der anderen Straßenseite und ich konnte den unglaublichen Schock in seinen Augen sehen. Er zitterte vor Angst und rührte sich kein Stück. Ich kam zu ihm rüber und strich sanft mit meinem Kopf über seinen Rücken. „Is ja schon gut. Menschen rasten öfters so aus. Nimm es nicht persönlich. Manche mögen einfach keine Katzen.“ Ich fühlte, wie T-Rex allmählich zur Ruhe kam. Doch ich schmiegte mich noch näher an ihn ran. Ich durfte ihn trösten und das machte mich stolz. Aber ich wusste, dass er mich so schnell nicht wieder auf meiner Mission begleiten würde. Er würde jetzt denken, Menschen seien allesamt verrückt. Doch das stimmte nicht. Gab, der Hausmeister, das kleine Mädchen von heute früh, sie alle hatten ein Herz für uns.
T-Rex hatte sich wieder gefangen. Doch er wollte nur noch nach Hause zu Olaf und seinem Fisch. Ich konnte ihn nicht zwingen, hier zu bleiben, also begleitete ich ihn.
Wir kamen zum Fischladen und ich sah, wie eine alte, gebrechliche Frau mit einer gelben Tüte von Olaf fortging. Olaf sah uns und obwohl er ein Mensch war, merkte er sofort, dass etwas mit T-Rex nicht stimmte. „Arme Kätzchen.“ Er beugte sich zu uns runter. „Wollt ihr ein Schluck Milch? Hä?“ Milch! Da war ich sofort dabei. Auch T-Rex schien froh zu sein. Olaf ging durch den Gang zwischen den Kisten in die Holzhütte rein. Nach wenigen Augenblicken kam er mit einer braunen Plastikschüssel und einer Tüte Milch wieder raus. Er stellte die Schüssel vor uns und goss die Milch ein. Von Joanna hatte ich oft gehört, dass Kuhmilch, die die Menschen so gerne tranken, schädlich für Katzen wäre. Doch Olaf gab T-Rex immer normale Kuhmilch und der war gesund. Wir schlabberten also die Milch aus dem Schälchen und dachten an den Moment zurück, in dem Maria aufgesprungen war und anfing, zu schreien.
Eine dicke Wattewolke schob sich vor die Sonne und ein Windstoß fuhr über den Platz. T-Rex hörte auf zu trinken und leckte sich sauber. „Ich wette, du willst nicht mehr mit zurück zur Schule kommen“, murmelte ich. T-Rex schnaubte: „Da geh ich bestimmt nicht mehr hin. Ich bin doch nicht lebensmüde.“ Das war schade. Ich hätte gerne T-Rex an meiner Seite bei meinem Kampf für Gerechtigkeit. „Wie gesagt, du darfst das nicht persönlich nehmen.“ „Tu ich doch auch gar nicht“, fauchte T-Rex, „Ich habe nur Angst taub vor Geschrei und totgeschlagen zu werden.“
Ich senkte den Kopf. Was sollte ich darauf antworten? Dass die Menschen so etwas nie tun würden? Das wäre aber gelogen. Es wurden schon oft Katzen von Menschen getötet. Gab erzählte mir immer wieder etwas von einem China, in dem Katzen sogar in maßgeschneiderte Glasbehälter gesteckt werden, als Dekoration; und zwar lebendig!
Doch es hatte alles keinen Sinn. Ich wollte unbedingt wissen, was da los war. Warum wurde Gab beim Stehlen erwischt? War sie es wirklich nicht gewesen? Und was war Spicken? Mir gingen tausend Fragen durch den Kopf. Und die Antwort würde ich nur an der Schule finden. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde und wie ich an die Informationen herankommen sollte. Doch Flügel bekommen und zu Olafs Fischladen fliegen, werden sie wohl nicht.
Ich nahm eine letzte Zunge voll Milch, strich mit dem Schwanz über T-Rex‘ Gesicht und verschwand ohne ein weiteres Wort quer über den Platz Richtung Straße. Wenn ich Glück hatte, waren die Schüler noch nicht wieder im Unterricht. Ich begann schneller zu laufen. Wäre ich ein Mensch, würde ich jetzt joggen. Aber ich bin eine Katze, und die können nicht joggen. Ich hüpfte eher über den Boden.
Ich kam an der Schule an. Weit über mir wehte das rot-blau-weiße Symbol mit den vielen Sternen drauf. Ich stellte mir die nächste Frage: Was hatte das Symbol zu bedeuten. Es war ja quasi überall.
Symbol hin oder her. Wo war Gab?
Ich ging über die Wiese, bis ich direkt vor dem Gebäude stand. Doch ich ging nicht hinein, sondern mehr nach rechts. Dort kam eine orangene Linie, die fast einen Kreis zog, zum Vorschein. Es war ein flacher Kreis, wie ein platter Ball, auf den sich jemand gesetzt hatte. Und in der Mitte des Kreises war wieder Rasen. Etwa zehn Jungs joggten, ja sie joggten, auf der Linie entlang. Sie waren ziemlich schnell. Alle trugen T-Shirts in Dunkelblau und Hosen in Türkis. Auf den Shirts war ein Hai mit weit aufgerissenem Maul abgebildet.
Ich fand Klamotten toll. Es war sozusagen das Fell der Menschen und sie konnten es jederzeit austauschen. Manchmal war es dünn, manchmal dick, damit sie nicht froren, meist war es schön und wenn nicht, dann wurden den Menschen verachtende Namen nachgerufen. Doch das war bei Katzen nicht anders. Wer kein sauberes, weiches Fell hatte, wurde verspottet. Im Gegenteil zu den Menschen, konnten wir unser Fell aber nicht einfach auswechseln. Nur in China, da zogen sie den Katzen das Fell, also die Klamotten, aus. Doch Neue bekamen sie nicht.
Ich kam den joggenden Jungs immer näher. Sie bemerkten mich Gott sei Dank nicht. Und was war das? Volltreffer! Jackpot geknackt! Da saß Gabrielle am Rand des platten Kreises. Sie war allein und sah den Jungs einfach beim Laufen zu. Ich überlegte, ob ich zu ihr kommen sollte. Doch dann war es mir doch lieber, sie aus der Entfernung zu beobachten. Sie würde nämlich bestimmt einen mega Aufstand machen, weil ich hier in der Schule war. Ich hockte mich auf einen Baum und sah Gab angestrengt ins Gesicht. Ich sah in ihre extrem hellblauen Augen, auf ihre sehr helle, klare Haut, und die widerspenstigen Haare, die ihr wild über die Schultern fielen. Sie rührte sich kein Stück.
Hinter mir hörte ich mehrere Stimmen. Ich drehte den Kopf und sah Maria, Nadja und ein Mädchen, das ich bisher noch nicht gesehen hatte. Dieses Mädchen war normal groß, hatte, wie es die Menschen nennen, richtige Kurven und trug eine pinke, sehr enge Lederjacke und einen pinken Hut. Die drei Mädchen gingen zu den Sitzen neben der orangenen Linie. Sie tuschelten leise, als sie in die Nähe von Gabrielle kamen. Dann löste sich Maria von ihren beiden Begleiterinnen und ging direkt auf Gabrielle zu. Gab schaute auf. Jetzt konnte ich Marias Gesicht nicht mehr sehen, weil sie mit dem Rücken zu mir stand. Doch ich hörte, was sie sagte.
„Deine Mutter hat gestern Abend bei mir angerufen. Die Alte spinnt total. Du hast ihr doch nicht wirklich gesagt, ich hätte dir die Jacke in die Tasche gesteckt!“ „Doch!“, sagte Gab, „Denn ich habe sie nicht selbst genommen! Wer sollte es denn sonst sein?“ Maria kicherte. „Dumme Nuss. Du kannst mir glauben, ich war es wirklich nicht.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber das ist ja auch egal. Jetzt ist meine Mami zwar stinksauer auf mich, weil sie deiner glaubt, aber ich habe eine Idee, wie wir das wieder in Ordnung bringen.“ Das Mädchen mit dem pinken Hut kam dazu. Sie sprach für Maria weiter: „Du Gab, gehst zu deiner Mutter und beichtest, dass du es doch geklaut hast. Und du gehst zu Direktor März und sagst ihm, dass du das mit dem Spicken nur erfunden hast.“ Da war es schon wieder, dieses Wort. Gab fragte empört: „Warum sollte ich das tun? Es wäre beides gelogen und dann sitz ich in der Scheiße.“ „Hihi“, machte Maria, „weil ich dann dafür sorge, dass du keine Strafe bekommst. Keine Geldstrafe, keinen Prozess, kein Hausverbot im Einkaufszentrum. Mein Bruder arbeitet bei der Polizei und würde die Sache erledigen. Dann würde keiner von uns bestraft werden.“
„Ich werde auch so nicht bestraft. Ich bin unschuldig und irgendwann kriegt die Polizei das raus.“ „Ich war es aber auch nicht Gab, das schwöre ich. Und mein Bruder kann auch ganz schnell ein paar Beweise finde, dass du es doch warst. Und dann bist du geliefert.“ Maria setzte sich neben Gab und schaute sie an. Gab schluckte. „Das ist gemein, Maria.“
Maria stand wieder auf und drehte sich weg. Sie lief mit stolzierenden Schritten über die Wiese, hoch zum Schulhaus. „Das Leben ist gemein, Gabilein. Entweder du gestehst und kommst ohne Strafe davon, oder du wirst bestraft, obwohl du unschuldig bist. Du hast die Wahl.“ Nadja spuckte Gab vor die Füße. „Wir lassen uns aber nicht von dir reinlegen. Keine faulen Tricks bitte.“ Sie kicherte laut und scheußlich, wie ein verrückter Wissenschaftler, der gerade eine Weltzertörungsmaschine erfunden hat. Die drei Mädchen verschwanden und Gab war wieder allein.
Gab warf sich auf ihr Bett. Es knarrte und quietschte.
„Ach, Violett, es ist schrecklich!“ Sie griff sich an den Kopf und seufzte so laut und hoch, dass es schmerzte. „Maria ist eine miese Schlampe. Schau mal, egal wie ich mich entscheide, am Ende stehe ich als Schuldige da.“ Sie stand auf und lief unruhig hin und her. „Ich glaube ihr nicht. Sie hat mir die Jacke untergejubelt, ich bin mir so sicher!“ Noch ein Seufzer. Diesmal erträglicher.
Ich hüpfte elegant auf das Fußende ihres Bettes. „Wenn du unschuldig bist, kann sie dir nichts beweisen, auch nicht ihr Bruder“, miaute ich. Es war zu doof, dass die Menschen unsere Sprache nicht verstanden. Gab lief immer aufgebrachter in ihrem Zimmer auf und ab.
„Miauuuu!“ Eigentlich sagte ich, sie sollte sich endlich mal hinsetzen und beruhigen. Aber für Gabrielle klang es nur nach ‚Miauuu‘. Wirklich zu ärgerlich.
Oder verstand Gab mich doch? Sie blieb jedenfalls augenblicklich stehen und starrte mich an. „Violett, was würdest du denn machen?“ Echt clever. Ich würde einfach versuchen, Beweise zu finden, die besagen, dass ich, also Gab, unschuldig war. Ganz egal, was Maria oder ihr Bruder machen würden. Doch liebe Gab, ich kann es dir nicht sagen, denn du kannst mich nicht verstehen. Und noch nicht mal diese Tatsache kann ich dir klarmachen. „Miau, miauau, miiiez.“
Gab ließ sich erneut auf ihr morsches Bett fallen. Es brauchte dringend etwas Öl.
Sie hatte eine neue Idee: „Ich werde einfach mit Mama reden. Ich werde ihr schwören, dass ich es nicht war. Und dann sag ich ihr, was Maria und Betty mir heute angedroht haben.“
Ah, Betty. So hieß das Mädchen mit dem Hut also. Aber keine schlechte Idee von Gab. „Mau.“
Gabrielle streifte sich die Klamotten glatt und ging zur Tür hinaus. Ich wollte mit. Schließlich wollte ich unbedingt wissen, wie die Story weitergehen würde. Die detektivische Neugierde hatte mich gepackt. Und ich, Violett, Katze aus Brooklyn, würde dieses Rätsel lösen – bis ins kleinste Detail.
Schnell schlüpfte ich durch die Tür, bevor Gab sie zumachen würde. Sie bemerkte mich nicht. Langsam ging das Mädchen die Treppe runter. In ihrem Kopf überlegte sie sich gerade wohl, wie sie anfangen sollte. Wir kamen unten an. Aus der Küche war Klimpern zu hören. Joanna musste mit dem Geschirr zugange sein. Ganz langsam und vorsichtig, als wäre sie in einem Porzellangeschäft mit wertvollen Antiquitäten, schritt Gab in die Küche. „Mami?“ Joanna drehte sich um. „Ja?“ „Du Mama“, fing Gab an, „Ich muss mal mit dir reden.“ Joanna setzte sich auf einen der Esstischstühle.
Gab tat es ihr gleich. Ich blieb in der Tür stehen. Gab sprach weiter: „Mama, du musst mir glauben. Ich habe diese Jacke nicht klauen wollen. Irgendwer muss sie in meine Tasche gepackt haben, als ich in der Kabine war…“ „Was? Du lässt deine Tasche vor der Kabine stehen? Mit all deinem Geld?!“ Joanna blickte ihre Tochter wütend an. „Nein!“ Gab war empört. „Mein Geld und mein Handy hatte ich in der Hosentasche. In der großen Tasche waren nur ein paar Zettel und ein Pullover. Und sie stand nicht vor der Kabine, sondern genau unter dem Vorhang.“ Sie schüttelte den Kopf. „Und darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass ich nichts Verbotenes getan habe. Aber Maria hat gesagt, dass ihr Bruder Beweise erfinden wird, die belegen, dass ich schuldig bin.“ Joanna verstand nicht ganz. „Wie will ihr Bruder das machen?“ Gab antwortete ohne die Miene zu verziehen: „Er arbeitet als Cop. Und was Maria sagt, das wird gemacht. Das ist immer so. Sie bekommt immer ihren Willen.“
„Jetzt reg dich mal ab“, mahnte Joanna, „so einfach kann er gar nichts beweisen.“ Sie schien kurz zu überlegen. „Es muss doch Überwachungsvideos geben in dem Kaufhaus.“
Gab riss die Augen auf. „Natürlich! Warum ist mir das nicht gleich eingefallen. Wenn die wirklich alles aufnehmen, muss da auch der zu sehen sein, der die Jacke…“ Sie brachte den Satz nicht zu Ende. Sie sprang gleich vom Stuhl auf. Sie sagte nur noch „Mama, ich geh zu dem Sicherheitspersonal“ und war schon aus der Haustür verschwunden.
Ich sprang durch die Katzenklappe. Gab bog gerade nach rechts um auf die Rückseite des Blogs zu kommen, wo die U-Bahn-Station war. Eigentlich durfte ich ja nicht in die Bahn. Aber zum Laufen hatte ich jetzt nicht genug Zeit. Ich musste es riskieren. Aber ich würde versuchen, Gab nicht unter die Augen zu kommen. Denn sie würde mich packen und nach Hause bringen mit den Worten „Ich will nicht, dass du auf die Gleise springst und überfahren wirst“.
Ich bog um die Ecke. Gab war schnell. Sie war schon beinahe am Ende der Straße, dort, wo die Treppe zur U-Bahn hinab führte. Ich legte einen Zahn zu und schaffte es, sie bis auf wenige Meter einzuholen. Gab hüpfte die Treppe runter. Ihre Füße flogen so schnell die Stufen hinunter, dass sie zu gleiten schien. Ich machte mir einen Spaß daraus, mich aufs Gepäckband zu setzen und fuhr gemütlich unter die Erde. Bis jetzt noch keine katzenfeindlichen Bemerkungen.
Ich stieg vom Band ab und lief wieder Gab hinterher, die zielstrebig auf Gleis 3 zumarschierte. Er war der Gleis, von dem die Züge Richtung Downtown fuhren.
Gab hatte Glück. Gerade kam eine Bahn in die Station eingefahren. Sie flitzte die nächste Treppe hinunter und schlüpfte in die offene Tür. Ich legte einen Sprint ein und erreichte die nächste Tür. Ich durfte auf keinen Fall direkt neben Gab stehen.
Keine Sekunde, nachdem mein Hintern durch die Tür gekommen war, schloss sie sich mit einem lauten Piepsen. Ich atmete tief durch. Jetzt durfte ich Gabrielle nicht aus den Augen verlieren. Hier drin herrschte wie meistens großes Gedränge. Zum Glück waren die Leute mit allem möglichen beschäftigt. Keiner von ihnen blickte auf den Boden, wo ich zusammengekauert saß.
Wir kamen an den nächsten Bahnhof. Sterling Street. Ich wusste aus der Erinnerung, dass es ein weiter Weg war bis in die Innenstadt. Doch mit so einer U-Bahn ging es bedeutend schneller als zu Fuß. Leute stiegen aus, Leute stiegen ein. Wir fuhren weiter, Station um Station. Nichts besonderes passierte. Viele Menschen hörten Musik und hatten Kabel im Ohr, andere lasen die Zeitung, ein paar wenige unterhielten sich. Die mechanische Stimme, die die Stationen ansagte ging im Geratter des Zuges unter. Doch ich als Katze konnte sie trotzdem verstehen. Nach einer Ewigkeit sagte sie dann „Times Square“. Ratternd kam der Zug zum Stillstand. Ich sah, wie Gab’s Beine sich bewegten. Mehr als ihre weißen Schuhe und die fliederfarbenen Leggings konnte ich von ihr nicht sehen. Doch es reichte aus, um zu erkennen, dass sie hier ausstieg. Ich drängte mich zwischen den Beinen zweier ziemlich dicker Männer durch nach draußen. Und sofort kamen mir hundert andere Füße entgegen. Ich hatte Recht als ich sagte, Katzen sollten nicht in die U-Bahn gehen.
Zwischen all den Menschen war auch Gabrielle. Schnell wie zuvor ging sie auch hier ihren Weg. Der führte zur Rolltreppe. Ich entschied mich für die normale Treppe. Dort konnte ich jederzeit den Menschen ausweichen. Ich hatte mehr Platz. Ich kam oben an und wurde wie von Schlag getroffen. Es war bereits früher Abend und überall gingen die Lichter an. Musik war zu hören. Laut und einfach geil. Ich hörte wieder Kinder lachen und Touristen staunen. Gabrielle aber hatte keine Zeit, sich an den vielen Farben und Geräuschen zu erfreuen. Sie wuselte wie eine Ratte durch die Passanten. Ich immer hinterher. Gabrielle ging viele Blogs gen Süden. Wir kamen an atemberaubenden Hochhäusern vorbei. Sie waren aus ganz viel Glas und Stahl gebaut und funkelten und reflektierten die blinkenden Lichter. Frauen klapperten auf hohen Schuhen über das Pflaster. Viele von ihnen trugen Papiertüten in vielen bunten Farben.
Wir liefen weiter und es wurde nicht ruhiger. Endlich bog Gab nach links. Dort war es riesig groß: Das Macy’s. Mein Frauchen ging durch die Tür. Ich blieb zögernd stehen. Hier war eigentlich Endstation für mich. Eine Katze in einem Kaufhaus: nicht gut. Doch ich war wie in einem Rausch und ging einfach rein, als gerade eine der schicken Damen den Laden betrat. Hier war ich mitten im Glitzerparadies gelandet. Es funkelte überall golden, Flaschen standen in Regalen. Es duftete nach allem, was sich eine Nase vorstellen kann. Vanille, Rose, Asche, Curry, Schoko, alles kreuz und quer. Gab blieb abrupt stehen. Sie sah sich um. Dann stöhnte sie auf. Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und ging auf eine Frau in einem Polohemd zu. „Dürfte ich bitte zur Geschäftsführung?“, fragte sie mit seriös klingender Stimme. „Worum geht es denn?“, fragte die Dame zurück. Sie war sehr klein, ging Gab gerade mal bis zu den Schultern. Doch sie hatte Lippenstift, der für beide reichen würde drauf. Gab druckste herum. Das Seriöse in ihrer Stimme war verschwunden: „Ähhm…ich…ich… also es geht um Diebstahl. Doch es war eigentlich kein Diebstahl. Ich will die Überwachungsvideos sehen. Geht das?“ Die Dame neigte den Kopf zur Seite. Schwarze Locken baumelten ihr über die Schulter. „Mädchen, du musst mir schon genau sagen, was du willst. Der Chef ist sehr beschäftigt.“
„Nun“, fing Gab an, „es geht um den Diebstahl von gestern. Ich wurde erwischt mit einer teuren Jacke von Ed Hardy in der Handtasche, die ich nicht bezahlt hatte. Es hat angefangen zu piepsen als ich rausgehen wollte. Doch ich schwöre, dass ich die Jacke nicht klauen wollte. Irgendwer muss sie mir in die Tasche gesteckt haben. Ich vermute, dass es eine Mitschülerin war, die mich ärgern wollte. Jetzt will ich schauen, ob die Tat auf den Aufzeichnungen zu sehen ist, die hier gemacht werden. Ich meine mit den Sicherheitskameras.“ „Ich verstehe“, sagte die kleine Lockendame. „Doch ich bitte dich, Mädchen. Erzähl keine Lügen. Das macht alles nur noch schlimmer.“ „Ich…“ Gab sprach nicht weiter. Die Dame nahm sie an der Hand und zog sie durch all die Düfte zu einer Tür mit einer Milchglasscheibe. ‚Zutritt verboten‘ stand da in silbernen Lettern. Gab und die Dame verschwanden hinter der Tür. Ich hockte mich davor hin. Ich würde warten. Die Düfte schienen immer intensiver zu werden. Langsam begann es zu stinken. Ich rümpfte die Nase.
Plötzlich packte mich etwas im Nacken. Ich wurde unsanft in die Luft gerissen. Dann baumelte ich vor den grünen Augen einer rothaarigen Frau. Sie schaute mich wütend durch ihre Brillengläser an. Wäre sie eine Katze, hätte sie gefaucht. So sah sie aus. Mein Nacken schmerzte. Diese Frau hatte keine Ahnung vom Umgang mit Hauskatzen. Sie spuckte mich an als sie sprach: „Was machst du hier, du dreckiges Tier?“ Sie eilte durch die Menschen und machte die Tür auf. „Mach’s gut Mieze!“ Sie holte Schwung und schleudere mich nach draußen. Ich landete auf dem harten Stein und schlitterte noch ein Stück über den Boden, bis ich vom Bürgersteig plumpste. Ich hätte es geschafft, auf den Füßen zu landen, wie es jede anständige Katze tut. Doch ich war geschockt und lag reglos auf der Straße. Meine Beine taten weh und mein Hals fühlte sich an wie ausgerenkt. Ich konnte nicht aufstehen. Ich zitterte am ganzen Körper. Und dann rollte mir eine dicke Katzenträne über die rechte Backe. Warum mussten manche Menschen so grob sein?!?
Sightseeing! Wenn ich schon mal hier war, konnte ich auch mal so richtig die Sau raushängen lassen. Die Frau mit der Brille verachtete ich nur noch. Sie konnte mich mal sonstwas. Jetzt wird es unanständig, dachte ich mir. Ich wollte Abenteuer.
Der Schmerz war am verschwinden und ich rappelte mich auf. Ein kurzer Blick zu beiden Seiten. Ich war sicher. Die Frau war nicht mehr zu sehen. Sie war wieder drinnen im Kaufhaus, wo es so fürchterlich stank. Wahrscheinlich stank es nur wegen ihr so. Und da drinnen war auch noch Gab und die kleine Lockendame und der Chef. Doch solange ich nichts ausrichten konnte, brauchte ich mich auch nicht darum zu kümmern. Was brachte es mir jetzt, hier draußen zu warten. Irgendwann würde Gab rauskommen und nach Hause gehen. Möglicherweise erfolgreich. Möglicherweise hielt das Videoband eine Überraschung bereit, die zeigte, was wirklich geschehen war. Aber ich konnte nicht mehr ins Kaufhaus. Und erst recht konnte ich meiner Gab nicht helfen. Also, goodbye ihr Sorgen, hallo Times Square!
Ich sauste quer die Straße entlang mit einem überwältigenden Gefühl der Freiheit. Ich war eine Katze. Mir sagte niemand, wann ich zu Hause sein sollte oder, dass ich für die Schule zu büffeln hatte. Ich konnte abends ausgehen, wenn ich wollte. Katze sein hat viele Vorteile.
So rannte ich also die Avenue hoch. Ich war schneller als all die Autos, die sich im Stau drängten. Eine kleine, harmlose Mieze hatte freie Bahn. Übermütig rannte ich die Autos hoch und sauste über die Dächer um vorne wieder runter zu hüpfen. Manche Fahrer hupten, andere schrien, manche merkten es nicht einmal, dass etwas über sie huschte.
Die Musik wurde lauter und der Bass stärker. Boom-boom-booooom. Katzen brauchen, Katzen brauchen viel Musik… Huuup…come on, let’s dance…
Die Geräusche vermischten sich, meine Gedanken flogen von einer Ecke zur anderen. Ich war im Rausch. Die Schwingungen der vielen Menschen und all die Eindrücke mussten mein Hirn umgedreht haben. Das letzte, an was ich mich erinnern kann, war eine kleine Nebenstraße, in der eine Bande von Straßenkatzen hockte. Es waren auch Kater dabei. Ich bog in diese Straße ein. Die Musik dröhnte. Die Wolkenkratzer blinkten und zuckten im Licht. Dann sah ein gigantisches M&M auf mich herab. Halluzinierte ich schon oder gab es hier wirklich meterhohe grüne M&Ms auf Hauswänden?
Ich landete mit einem Satz zwischen den Straßenkatern. Dann setzte meine Erinnerung aus. Wahrscheinlich auch mein Bewusstsein. Denn ab dann war nur noch Schwärze.
Patti trug die schlafende Samantha in seinem Maul. Ganz behutsam hatte er die junge Katze gepackt und jetzt wollte er sie an einen ruhigen Ort bringen. Wie konnte er ihr nur erklären, dass Charlie nicht mehr mit ihnen nach Westen ziehen würde. Dort wollte Patti nämlich hin. Raus aus der schrecklichen Stadt, rein in die kleinen Dörfer und freundlichen Städtchen, von denen er so unzählige Male gehört hatte.
Es war tiefe Nacht und der Himmel war voller funkelnder Sterne. Patti erreichte eine Gegend mit alten, schmutzigen Mietshäusern. Hier gab es kaum Verkehr und viele gute Verstecke. Er beschloss, die Nacht in der am Boden ruhenden Baggerschaufel zu verbringen. Dort hatte er ein Dach überm Kopf, das vor kaltem Wind schützte. Weit und breit sah er keine Menschenseele und auch keinen Bagger, zu dem die Schaufel gehören könnte. Der Kater kugelte sich auf dem harten Metall zusammen. Es war unbequem. Aber es war sicher. Keine jugendlichen Menschen und keine Autos konnten ihnen hier etwas zuleide tun. Das kleine getigerte Fellknäul in Pattis Maul wimmerte leise. Er es an seinen Bauch. „Schlaf gut Samantha.“
Er schloss die Augen und fühlte die klare Nacht in jedem seiner Schnurrhaare. Dann schlief er ein.
Ein seltsam stinkender Geruch drang in Pattis Nase. Benommen schaute er sich um. Es war noch immer Nacht. Doch da war ein Geräusch, ein Knurren. Der Kater schlich aus der Baggerschaufel, um Samantha nicht zu wecken und sah sich um. Nichts war zu sehen. Nur der Geruch wurde deutlicher. Stille. Ein lautes Knurren, direkt hinter ihm. Patti drehte sich um – und sah einem riesigen, hässlichen, braunen Hund in die Augen. Samantha! Patti knurrte und fauchte. Er ging auf den Hund zu und ließ Ohren und Schwanz nach oben schnellen. Jeder Muskel war angespannt. Der Hund knurrte genauso. Patti fauchte: „Miau! Miaaau! Miiauuuuuuuu!!!“ Der Hund rührte sich nicht. Der Kater ließ die Zähne blitzen. Doch der Hund hatte keine Angst. Patti wusste, dass er schwächer war als der Hund. Er miaute noch lauter und zuckte mit dem Schwanz. Er wollte den Köter einschüchtern. Es half nichts. Ich muss Samantha retten, dachte Patti. Blitzschnell sprang er in die Baggerschaufel. Doch der Hund war ebenso schnell. Er schlug den Kater mit einem Pfotenhieb beiseite. Patti sprang auf die Beine, wollte den Hund anspringen und beißen. Doch der hatte schon Samantha im Maul. „Nein!“, schrie Patti. Er warf sich gegen die Seite des Hundes. Der Hund taumelte kurz. Patti kratzte ihm die Haut unter dem dünnen Fell auf. Blutspuren zogen sich über die braunen Flanken. Der Hunde jaulte, doch er fiel nicht hin, sondern rannte, was seine Beine ihn trugen, davon.
Ich öffnete die Augen. Alles um mich herum war hell, ganz hell weiß. Ich blinzelte. Hier, wo ich mich befand, roch es nach Blut, Reinigungsmittel und Chemikalien. Unter mir war es weich. Und ich war mindestens einen Meter über dem Boden. Ein Mann in einem weißen Gewand lief neben mir vorbei. Er hielt eine Flasche mit einem lilanen Zeug in der Hand. Seine Hände waren genauso weiß wie sein Gewand. Und sie schienen seltsam glatt.
Eine sehr junge Frau kam zu mir. Sie beugte sich über mich. Ihre Stimme war erstaunlich tief. „Katze, du bist wach. Das ist toll.“ Sie drehte den Kopf zu dem Mann. „Herr Rock, könnten sie mal kommen? Die Katze ist aufgewacht.“ Der Mann kam näher. Er hatte einen Bart. Er hatte eine seltsame Gabel in den Ohren und so etwas wie ein Amulett baumelte von der Astgabel herab. Er legt es auf meinen Bauch. Das Amulett war sehr kalt. Ich zuckte zusammen. „Alles okay“, sagte Herr Rock.
„Hat sich denn jetzt jemand gemeldet?“, fragte die Frau in ihrer tiefen Stimme. Herr Rock sagte gar nichts. „Dann müssen wir wohl warten, bis wir dich wieder auf die Straße setzen können. Dann musst du allein nach Hause finden, Katze.“ Die Frau seufzte. Sie zog etwas aus ihrer Jackentasche. Es war eine braune Schachtel. Daraus holte sie eine weiße Kugel hervor. „Achtung Katze. Das ist nicht schlimm“, sagte sie noch und schon hatte sie meinen Kopf gepackt und drückte meinen Mund auf. Schnell schob sie die Kugel rein. Sie schmeckte bitter und klebte an den Zähnen. Dann steckte mir die Frau einen kleinen Schlauch ins Mäulchen, aus dem langsam Wasser floss. Die Kugel wurde mir in den Hals gespült. Der ekelhafte Geschmack verschwand.
„Die ist für deinen Kreislauf, Katze.“
Warum Kreislauf? War es nicht besser, wenn ich geradeaus laufen würde? Egal, die Frau würde wissen, was sie tat. Denn sie tat alles mit einer großen Sicherheit und dem Anschein von Routine.
Mein Magen meldete sich. Ich hatte keine Ahnung, wie lang ich nichts gegessen hatte. Wie war ich überhaupt hier her gekommen? Und wo war ich? Es war nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben einen Tierarzt besucht hatte. Ich wurde schon öfter geimpft und untersucht. Doch diesen hier kannte ich nicht. Der, zu dem wir gingen, war nicht so weiß. Und er war nicht so groß. Die Frau hatte mich durch die Gänge getragen zu einem kleinen Käfig mit einem Bett und einer Schüssel Wasser. Auf dem Weg dorthin sind wir an vielen Tieren und Menschen vorbeigekommen. Ich hatte Hunde gesehen und Kaninchen und auch einen süßen schwarzen Kater. Er hatte so schöne grüne Augen gehabt. Doch die Ärztin hatte mich weitergetragen, bevor ich ihn begrüßen konnte. Er hatte eine Pfote mit eine weißen Band umwickelt gehabt. Welche Art von Verletzung ihn wohl plagte?
Ich jedenfalls saß hier in meinem Käfig und hatte eine Menge Fragen. Ein paar davon waren: Wie bin ich hier her gekommen? Was war mit mir passiert? Warum war ich am Times Square in diesen Rausch geraten? Und wie sollte ich hier wieder wegkommen aus dieser Praxis?
Ich war zwar kaum eine Stunde wach, da wurde ich aber auch schon wieder müde. Meine Beine gaben nach und ich sank in einen schrecklich tiefen Schlaf.
Meine Träume waren wirr. Die Autos, auf denen ich rumgehopst war, sie hoben von der Straße ab und flogen hoch, immer höher. Irgendwann konnte ich über die Dächer aller Hochhäuser sehen. Wie von riesigen Ballons getragen, stiegen die Autos in den Himmel. Sie schwebten allmählich gen Galaxie. Vögel flogen an uns vorbei. Ich hockte auf dem Dach eines Taxis und konnte bald bis zum Hafen sehen. Es war so schön. Immer höher ging es hinauf. Ich erblickte Miss Liberty. Ein Flugzeug landete am Flughafen. Die Autos unter mir in den Straßen wuselten wie Ameisen in einer Reihe über die Erde. Der Central Park sah so klein aus von hier. Und es ging stets höher und höher. Die Autos auf der Erde verschwommen ineinander und wurden zu einer einzigen, langen, roten Schlange. Die Schlange schlängelte sich über die ganze Insel und wurde von vielen Schlangen gekreuzt. Doch nur diese eine Schlange schlängelte sich wirklich ihren Weg. Die übrigen lagen da, ganz gerade. Dann konnte ich gesamt New York City sehen. Und diese eine Schlange zog sich immer noch durch die Stadt. Sie war so lang und leuchtete so bedrohlich. Sie wollte mich fressen. Ich war mir so sicher. Die Schlange schaute zu mir und den Autos hoch. Ihre Augen funkelten. Und in dem Moment passierte es. Die imaginären Ballons platzten. Die Autos stürzten ab. Der Wind zog sich eiskalt durch mein Fell. Mein Atem war wie erstickt. Ich sah die Schlange näher kommen und war umgeben von dieser unbarmherzigen kalten Stille. Die Menschen in den Autos saßen ruhig da, als wären sie Puppen.
In meinem Kopf war nichts. Ich dachte über nichts nach. Ich spürte nur – mit allen Sinnen. Ich roch die Wolken und die Stadt, ich sah die Schlange, ich hörte das Rauschen meines Falls, wie die Autos die Luft durchschnitten, ich fühlte den Windzug, der mein Fell zerzauste und ich schmeckte die betäubende Luft, die wirklich nur mit Mühe in meinen Mund strömte. Gleich würde ich in Ohnmacht fallen. Aber, Moment mal, das tat ich doch schon. Ich fiel in einer unglaublichen Ohnmacht zu Boden. Ich konnte nichts tun. Ich war den Gesetzen der Natur schutzlos ausgeliefert. Und ich fiel und fiel und fiel. Die Musik und das Autohupen schwollen an. Gleich würde es einen Schlag tun und mein Körper würde in tausend Stücke zerspringen, wie eine Glasplatte, die auf den Grund fiel.
Die Hochhäuser flogen an mir vorbei. Das hieß, ich war nicht mehr weit vom Boden entfernt. Es wurde alles wieder leiser. Ich wusste so sicher, dass mein Leben gleich vorbei sein würde. Die Welt um mich verschwamm. Ich blendete alle, zuvor so scharfen, Sinne aus und lies mich nur noch fallen. Die Zeit war so langsam, sie kroch wie eine lauernde Schlange daher. Ich sah noch einmal das heimtückische Funkeln in den Augen der Schlange. Ich war gleich da – dort wo alle Engel hingingen. Ich wartete, wartete auf diesen einen Schlag.
Ich riss die Augen weit auf. Über mir war eine graue Stahlwand. War das nun der Himmel? Wenn ja, dann roch der Himmel nach Hundepisse und Schnupfen. Nein, Fehlanzeige. Das war nicht der Himmel. Ich war immer noch beim Tierarzt. Was für ein Traum! Mir lief ein Schauer über den Rücken.
Hoffentlich würde mir so etwas nie in Wirklichkeit geschehen.
Auf einmal roch es nach Gab. Was machte Gab denn hier? Wusste sie, dass ich hier war?
Ich merkte, dass ich auf dem Rücken lag, alle Viere von mir gestreckt. Ungewöhnlich für eine Katze. Ich drehte mich auf meinen Bauch. Gab kam an das Gitter meines Käfigs. Er war etwa in der Höhe ihres Bauches und sie musste sich runter bücken. Sie schaute mir direkt in die Augen. Ihre waren so kühl, dass das Kopfweh, dass ich wohl schon die ganze Zeit hatte, sofort verschwand. Mir war gar nicht aufgefallen, wie sehr mein Schädel brummte. „Oh mein Gott, Violett! Du bist es!“ Gab strahlte. „Ich hab mir so Sorgen gemacht. Bei jedem Tierheim war ich und bei jedem Tierarzt. Ich hab dich gesucht.“
Ich blickte mit fragendem Ausdruck in ihre kühlenden Augen. „Ach Violett. Du hattest so Glück. Nicht jede kranke Katze wird von kleinen Jungen eingesammelt und zum Arzt gebracht.“ So war das also. Ich hatte auf der Straße gelegen und ein paar Jungs hatten mich entdeckt und hierher gebracht. Aber wie lang war das jetzt her? Gab schien meine Gedanken zu lesen, denn sie sprach just in diesem Moment weiter: „Drei Tage ohne dich. Ich hätte sterben können. Überall in der Stadt hängen Fotos von dir. Ich hatte ja solche Angst. Jeder hat nach dir gesucht. Ich war überall…“ Sie schnappte nach Luft. „Jetzt hab ich dich ja gefunden… bei Tierarztpraxis Nummer sieben.“ Gab schmunzelte.
Aber wie war sie auf die Idee gekommen, dass ich bei einem Arzt war? Ich hätte unter jedes Auto kommen können oder abgehauen sein. Wieder las Gabrielle meine Gedanken. „Ich weiß, dass du im Macy’s warst. So eine fiese Frau kam ins Büro und hat sich beschwert, dass eben eine Katze im Laden wäre und niemand etwas dagegen getan hätte. Sie hat die Katze ganz genau beschrieben. Du warst es. Und sie hat gesagt, dass sie dich rausgeschmissen hat. Richtig geschmissen. Ich bin gleich raus gerannt und hab nach dir gesucht. Aber ich hab dich nicht gefunden. Mir war aber klar, dass du bestimmt verletzt wurdest, als dich diese Tussi durch die Gegend geworfen hat.“ Gab musste noch einmal tief Luft holen. Sie überschlug sich fast beim Reden. „Du warst weg, total schnell. Und ich auch. Der Chef vom Macy’s musste mich anrufen. Und weißt du was, Maria war das nicht mit der Jacke. Das war eine alte verwirrte Frau, die sie mir einfach reingeschoben hat.“ Ich kicherte. Eine alte Frau, die nicht mehr wusste, wie ihre eigene Tasche aussah, hatte für so einen Wirbel gesorgt. Gab lächelte auch. „Alles ist wieder gut. Naja, fast alles. Ich hab noch Ärger mit Maria.“ „Was denn?“, fragte ich. Mir wurde sofort klar, dass Gab mich immer noch nicht verstand, auch jetzt nicht, hier in der Praxis. Doch sie antwortete trotzdem. „Sie ist total wütend, weil ich sie beschuldigt habe. Und jetzt muss ich das wieder gutmachen. Sie verlangt fiese Dinge von mir.“ Gern hätte ich Gab jetzt gefragt, was denn nun Spicken war. Doch ich ließ es sein. Wie bereits mehrfach erzählt, würde sie nicht wissen, was ich von ihr wollte. Mein Fall war noch nicht ganz gelöst. Ein paar Rätsel gab es noch immer. Und die würde ich schon noch lösen. Jetzt musste mich Gab erst mal aus dem Käfig befreien. Dann würde ich zu T-Rex gehen und ihm alles erzählen, was ich erlebt und gehört hatte. Ich musste mit jemandem darüber reden, der weiß, was ich sage.
In einem tragbaren Korb nahm Gab mich mit nach Hause. Inzwischen hatte ich eine Schüssel Trockenfutter bekommen. Immerhin etwas. Der Korb schaukelte unangenehm. Ich hatte das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Würg. Da war es schon passiert. Ich konnte es nicht verhindern und jetzt war mein Korb voller stinkender Flüssigkeit und Trockenfutterbröckchen. Ich hob angewidert den Kopf und fing an zu miauen, zu heulen und zu kratzen. „Ruhig“, sagte Gab nur. Ich machte weiter, nochmal ein bisschen heftiger. Der Korb wackelte immer mehr. Die Flüssigkeit spritzte. Ich wollte hier raus. Es war so eklig. Endlich stellte Gabrielle mich ab und öffnete die Tür. Dann sah sie die Sauerei. „Ach herrje, was hast du gemacht?“ Konnte sie das denn nicht sehen?
Vorsichtig griff Gab in den Korb und zog mich raus. Mein Schwanz schleifte durch die Bröckchen. Am liebsten hätte ich gleich nochmal gebrochen. Doch diesmal konnte ich es mir verkneifen.
Nun ging alles recht schnell. Ich wurde ins Haus gebracht und ins Bad eingeschlossen. Wenn ich nochmal brechen würde, könnte man es hier am einfachsten sauber machen, hatte Gabrielle mir erklärt. Nach wenigen Augenblicken kam sie zu mir rein. Sie spülte den Tragekorb aus, wusch mir den Mund ab. „Geht es dir nicht gut?“ Sie sah mich besorgt an. Sie ging wieder aus dem Bad raus und kam mit dem Telefon in der Hand zurück. Sie wählte eine Nummer, wartete kurz und meldete sich dann: „Ja, hier spricht Gabrielle Blaerbird. Ich habe vorhin meine Katze bei ihnen abgeholt. Sie hat sich eben gerade übergeben. Wissen sie nicht, was sie hat?“ Aus dem Telefon kam eine Stimme, doch ich verstand nicht, was sie sagte. Gab machte immer wieder ‚mh‘ oder ‚ja‘ oder ‚achso‘. Nach einer Zeit ergriff sie nochmal das Wort: „Gut, mache ich. Vielen Dank.“ Sie legte auf.
„Okay, der Arzt hat gesagt, du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Er meinte, sie wäre total harmlos. Du solltest dich allerdings schonen und ich sollte dir warmes Wasser zur Beruhigung des Magens geben.“ Oh, das war ja wunderbar. Ich verdrehte die Augen und ärgerte mich. Warum konnte dieser dämliche Arzt das nicht gleich sagen, als wir noch in der Praxis gewesen waren? Womöglich hatte er es einfach nur vergessen. Dem süßen Kater ging es bestimmt schlechter als mir. Um den musste sich der Arzt kümmern, nicht um mich.
Die Gehirnerschütterung erklärte vielleicht auch, warum ich am Times Square plötzlich wie eine Verrückte losgerannt war und warum ich diesen wirren Traum gehabt hatte. Und daran war einzig und allein die Brillenschlange schuld, die mich aus dem Macy’s herauskatapultiert hatte. Bei der Landung auf der Straße muss ich mir den Kopf gestoßen haben ohne es zu merken. Deshalb hatte ich auch diese Kopfschmerzen. Mit der Zeit wurde mir einiges klar.
Doch wenn ich mich jetzt ausruhen musste, dann konnte ich nicht zu Olaf und T-Rex. Dabei würde ich dem Glückskater zu gerne erzählen, was ich erlebt hatte. Er wäre sicherlich beeindruckt.
„Ich mache mir was zu Essen“, sagte Gabrielle. Sie schloss die Badezimmertür auf und lief die Treppe runter. Ich trottete in ihr Zimmer. Auf die Fensterbank fiel ein schmaler Streifen Sonnenschein. Ich ließ mich auf ihr nieder. Es war wunderbar warm. In meinem Kopf drehte sich alles. Die Erschütterung musste heftig gewesen sein. Und ich wäre wohl besser im Bad geblieben. Denn es rumorte in meinem Bauch und erneut kam ein Schwall stinkender Magenflüssigkeit zum Vorschein. Ich schämte mich sofort, weil ich Gab’s Fensterbank verunstaltet hatte. Das Zeug floss runter und quer über die Heizung. Eingeschüchtert schlich ich ins Bad. Hier würde ich warten, bis Gab hochkam, in ihr Zimmer gehen würde und einen Schock bekommen würde. Dann würde sie mit mir schimpfen und das Bad wieder abschließen. Ich war eine böse Katze. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht, mein Frauchen zu verfolgen. So oft hatte ich mich darüber beschwert, dass man als Katze schwer in Geschäfte und U-Bahn reinkam. Doch es hatte seinen Grund und ich hatte das einfach missachtet.
Schäm dich Violett. Jetzt hatte ich den Salat. Ekelhaften, stinkenden Magensalat. Iiihhhh.
Mehrere Tage vergingen und ich wurde immer fitter. Bald sprang ich quer durchs ganze Haus und spielte übermütig auf dem Sofa bis es zerkratzt war. Irgendwann hatte Joanna die Schnauze voll und ließ mich aus dem Haus hinaus. Es duftete so schön dort draußen. Mein Kopf hatte sich beruhigt. Gestern war nochmal ein Arzt vorbeigekommen. Er hatte mir Tabletten und eine spezielle Futtermischung gegeben, die besonders schonend war. Mir ging es blendend. Und als Gab sich eines Morgens aufmachte um in die Schule zu gehen, konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich folgte ihr. So sehr hatte ich meinen Alltag vermisst. Ich wollte gar nicht zählen, seit wie vielen Tagen ich nicht mehr im Central Park gewesen war. Und ich vermisste T-Rex.
Der Weg zur Schule war so weit wie zuvor. Doch ich genoss es. Es war so schön, über eine autoleere Straße zu laufen. Die Vögel zwitscherten. Die Skyline von Manhattan war weit entfernt.
Ich sah aus der Ferne die Dächer, die in der Sonne glitzerten. Im Sommer und am Tag war New York genauso schön wie an Weihnachten oder in der Nacht. Vielleicht noch schöner. Die Stadt wirkte dann immer so friedlich und es konnten so viele Lastwagen hier herumfahren wie wollten, doch im warmen Sonnenschein war hier alles voll entspannend und beruhigend. Auch die Menschen lächelten mehr, wenn die Sonne schien. Das war toll. Ihre Ausstrahlung war dann warm, weich und leicht. Und ich kam heute an vielen glücklich strahlenden Menschen vorbei.
Noch bevor ich zur Schule ging, wollte ich bei T-Rex vorbeischauen. Ich eilte durch die Straßen, meine Krallen klackerten auf dem Pflasterstein. Dackadackadacka.
T-Rex musste mich gerochen haben, denn er kam auf mich zu. „Violett! Wo warst du?“ Er rutschte über den Bürgersteig und konnte sich nur mit Mühe an einem Stein festhalten, der etwas schief im Gehweg steckte. Er war total außer Atem. „Violett.“ „Ja, ich bin’s“, nickte ich. T-Rex roch heute gar nicht nach Fisch. Ich beschnüffelte ihn unauffällig. „Was machst du da?“, fragte er trotzdem. Ich hockte mich hin. „Gibt’s heute keinen Fisch?“ Ich vermute mal, dass T-Rex nicht wusste, worauf ich hinauswollte. Er legte seinen Kopf schief und glotzte mich an. Das war so knuffig, wenn er das tat. Er blickte dann wie ein zurückgebliebener Hund. „Ich meine, warum riechst du heute kein bisschen nach Fisch?“ Das war deutlich genug.
Eine kurze Zeit schauten wir uns nur an. Dann brach T-Rex in einen Lachkrampf aus. Er rollte sich über den Boden, kugelte sich und konnte gar nicht mehr aufhören. „Er“ T-Rex kicherte so arg, dass ich kaum etwas verstand. „Er hat seine Schlüssel verschlampt. Er kommt nicht in die Hütte rein. Jetzt steht er vor seinem verschlossenem Laden und fragt sich, wie er reinkommen soll, ohne das ganze Häuschen zu zerstören.“ Ich musste auch loslachen. So war Olaf. Wie er leibt und lebt. Manchmal fragten wir uns, ob er wohl alleine eine Hose anziehen könnte, ohne irgendwas falsch zu machen, kaputt zu machen, zu verlieren oder zu vergessen.
„Wir sollten ihm helfen“, schlug ich T-Rex vor. „Und wie?“, fragte er. Ich hob meine Pfote und ließ meine scharfen Krallen raus. „Einen Versuch wäre es wert.“
Wir gingen gemeinsam zu der Holzhütte. Sie war nicht groß und nicht sehr stabil. Aber sie reichte aus, um viele tote Fische und ein wenig Geld darin unterzubringen. Auch das Türschloss musste ziemlich einfach sein. Ich meine, wie viel Hightech kann man bei ein paar Holzbrettern erwarten, die zusammengenagelt worden waren.
Olaf ging langsam um seinen Laden herum. Er tastete die Nägel ab und fuhr über jedes kleine Loch im Holz. Keine Ahnung, was ihm das brachte. T-Rex und ich gingen lieber direkt zur Tür. Sie war aus genau demselben Holz wie die ganze Hütte und man konnte sie nur daran erkennen, dass ein Griff dran war. Ich stellte mich vorsichtig auf die Hinterpfoten. Lange würde ich nicht so stehen können. T-Rex kam mir zu Hilfe und stützte mich von hinten. Ich streckte den Arm ganz hoch. Gerade so kam ich an das Schloss. Meine Krallen suchten das Gehäuse ab und ich fand den Schlitz. Da drin war die übliche Schlossmechanik. Mein Rücken tat weh. Er war diese Haltung nicht gewöhnt. T-Rex musste ganz schön drücken, damit ich nicht einfach umfiel. Drei meiner Krallen steckten jetzt in dem Schloss. Ich schaffte es, sie wie die Zinken des Schlüssels zu platzieren. Sie passten in die Rillen und ich konnte den Riegel zur Seite schieben. Es machte klack. „Okay“, sagte ich zu T-Rex. Sein Druck ließ langsam nach und ich konnte mich auf alle Pfoten sinken lassen. Autsch! Schmerzen. Ich machte einen Buckel und in mir knacksten alle Knochen.
Olaf hatte von unserer Aktion nichts mitbekommen. Erst jetzt, wo sich die Tür knarrend öffnete, bemerkte er, dass wir ihm geholfen hatten. Er klatschte die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte: „Sogar meine Katze ist fähiger als ich.“
„Jetzt aber nichts wie los zur Schule!“, sagte ich unternehmungslustig. T-Rex war eher skeptisch. „Nach dort, wo man uns anschreit und hasst? Warum denn, verdammt nochmal?“ „Oh meine Güte, du kleiner Angsthase. Ich bin einfach neugierig. Ich will nach Gab schauen und außerdem sitze ich immer dort. Es ist doch nicht schlimm.“ „Eben doch“, knurrte der Kater. Er hüpfte in die offene Hütte und ließ sich auf dem Hocker sinken, auf dem Olaf sonst auf Kundschaft wartete. Es war einer von den Hockern, die sich drehen. T-Rex machte eine langsame Runde. Dann blieb der Stuhl stehen. T-Rex rührte sich auch nicht mehr. Er starrte mich mit finsteren, ein wenig verärgerten Augen an. Ich wusste, dass er mich in diesem Moment für verrückt hielt. Schnippisch verabschiedete ich mich: „Okay. Wie du willst. Ich geh trotzdem und du kommst mir nicht hinterher.“ Ich warf meinen Kopf in den Nacken, machte eine schwungvolle Wende und stolzierte davon. Trottel. Er war so feige und faul.
An der Schule angekommen blieb ich ehrfürchtig vor dem Gebäude stehen. Es war so groß und imposant. Und es hatte eine so schöne Ausstrahlung. Da drin mussten die Schüler echt glücklich sein. Alles war hell und modern. Ich konnte Stimmen und Musik hören. Hinten auf dem Rasen spielten ein paar Jungs Fußball.
Gabrielle, Maria, Nadja, Betty, sie mussten alle drinnen sein. Ich wollte so unbedingt da rein. Gab erzählte immer von vielen bunten Plakaten, dem Schullogo und die Stimme hallte angeblich durch den ganzen Flur, wenn er leer war. Durch die kleinen Fenster mussten schöne Lichtstrahlen fallen, in denen der Staub tanzt. Poster an den Spinten, angeregte Diskussionen in den Sälen und der Geruch von Pizza, die es zu Mittag geben wird. Schule musste doch total schön sein. Gab hatte mir viel berichtet und ich war eine Katze, die gerne fern sah.
Ohne mir darüber im Klaren zu sein, schob ich die Schwingtür auf und schlüpfte durch die Spalte. So schwer war das gar nicht gewesen. Hier drinnen war es hell. Gelb, weiß, beige, grau. Es war auch etwas kühler als draußen. Aber es war schön. Der Flur lag absolut ruhig vor mir. Über der Treppe hing ein riesiger Hai, der seinen Betrachter böse angrinste. Links und rechts waren kleine, schmale Schränke in allen Farben des Regenbogens. Einige waren auch verziert. Aus einer Tür links vorne hörte ich die kräftige Stimme einer Frau, die gerade über Ozeane sprach. Ich konnte sie klar und deutlich verstehen. Es ging um die drei Weltozeane, um Kanäle und Korallenriffe. Die Stimme eines Jungen sprach auf einmal von Anemonen. Er zählte auf, wo es sie überall gab. Australien, Karibik… mehr hörte ich nicht mehr. Ich tappte weiter. Der Boden war gefliest und frisch gewischt. Ich wollte eben nach links in den nächsten Gang abbiegen. Da ertönte ein lautes Schellen. Es war das Schellen, das den Schülern sagte, dass sie rauskommen durften aus ihren Sälen. Ich bekam Panik. Gleich würden all diese Massen hier durch die Gänge rennen. Hilfe. Ich machte kehrt und rannte auf den Ausgang zu. Die ersten Leute kamen aus den Türen an den Seiten. Ein paar liefen die Treppe runter. Ich schaffte es bis zur Tür. Von innen war sie viel schwerer aufzumachen. Ich drückte mit meinem ganzen Gewicht dagegen. Hinter mir wurde es lauter. Drücken, drücken und geschafft. Ich purzelte die Stufen vor der Tür runter. Ich war eine sehr dumme Katze. Wann lernte ich endlich, dass manche Orte für mich tabu waren. Direkt hinter mir kamen die Schüler aus der Tür. Mit Leichtigkeit ließen sie sie aufschwingen und wieder zufallen. Gab war eine von ihnen. Sie kam richtig mit Elan die Treppe runtergesprungen. Ihr Gesicht strahlte. Nach ihr kamen Maria und Betty. Betty hatte heute keinen Hut auf. Sie hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden und dann hochgesteckt. Es sah aus, als ob sie heiraten wollte.
Gab setzte sich mit Schwung auf eine der Holzbänke. Elegant ließ sich Maria neben ihr nieder. Betty gegenüber. Sie fingen an zu tratschen. Und ich konnte erkennen, dass Gabrielle kein wenig eingeschüchtert oder unterwürfig war. Sie sprach laut, selbstbewusst und frech. Und das Funkeln in ihren Augen war zurück. Ich fand das jetzt sehr interessant. Gab verstand sich plötzlich super mit Maria. Hatten sie sich nicht noch letzte Woche angegiftet und erpresst? Es schien vergessen.
Ich sah den drei Mädels beim Quatschen zu. Alle waren glücklich. Maria war wieder perfekt gestylt. Ihre Haare waren in viele schmale Flechtzöpfe getrennt. Sie trug ein weißes Minikleid mit Blümchenmuster, eine ganz hellblaue, enge Jeans drunter und goldene Heels. Und Gab erst. Sie sah ganz anders aus als sonst. Ihre Haare fielen ihr in goldenen Locken über die Schulter, sie glänzten richtig. Sie trug Lippenstift und ihre Augen waren viel schwärzer umrandet als sonst. Ihr hautenges Spaghetti- Top war dunkelblau wie ein nächtlicher Himmel. Eine khakifarbene Schlabberhose schmückte ihre dünnen Beine. An den Füßen waren pinke Treter, fett, cool und nagelneu. Nichts war mehr zu sehen von den braven Bluejeans oder Stoffhosen, von den einfach geschnittenen T-Shirts mit Ärmeln oder dem Pferdeschwanz. Und sie sah so glücklich darin aus. Sie bewegte sich sicher und selbstbewusst. Und sie quatschte immer noch mit der coolen Maria. Betty knabberte an ihrem Salat und puderte sich das Gesicht. Ich riskierte erneut Kopf und Kragen. Ich duckte mich und lief unter all den Bänken und Tischen hindurch. Zwischen den Beinen eines kugelrunden Jungens blieb ich hocken. Ohne Probleme könnte ich mich im Ernstfall hinter seinen weiten Hosen verstecken. Sie waren breiter als mein Körper. Und von dieser Position aus hörte ich Gab und die anderen reden. „Das heute Abend wird ja so geil!“, quietschte Maria. „Um Vier habe ich zwar noch Tanzprobe bei Miss Spark, aber um Fünf geht’s los.“ „Ist okay“, antwortete Gabrielle, „ich muss auch noch an meinem Sozialkunde-Projekt arbeiten.“ „Oh“, Betty guckte interessiert. „Worüber denn?“ Gab antwortete: „Über Sterbehilfe. Ich muss die verschiedenen Arten aufzählen und zu jeder ein reales Beispiel oder einen Vorfall, eine öffentliche Diskussion, ein Experiment oder sonstwas nennen.“ Betty nickte. „Is ja cool. Ich würde sowas später auch machen. So einsame Rentner tun mir schon Leid.“ Maria packte ihr angebissenes Sandwich in eine Tüte. „Dann wäre ja alles geklärt. Heute um kurz nach Fünf in der Canal Street am Eiscafè. Und bitte Leute, zieht weite Sweatshirts oder so an.“ Dann stand das Mädchen auf. „Ich gehe auf die Toilette mir die Haare neu machen. Kommt ihr mit?“ Die anderen beiden schüttelten den Kopf. Sie wollten lieber noch etwas essen. Maria war es egal. Sie lächelte und verschwand in der Schule. Erst jetzt fiel mir Nadja auf. Sie saß bei dem Jungen, der letzte Woche den Ball dabei hatte, auf dem Schoß. Sie hielten sich in den Armen und lachten verliebt. „Ach Manuel, hör auf!“ Nadja konnte sich nicht mehr halten vor Gekicher. Sie schüttelte ihre Haare auf und strahlte ihren Manuel an. Anders als die übrigen Schüler hockten sie nicht an den Tischen sondern auf der Treppe. Trotzdem hatten sie etwas zu essen. Manuel zog einen Apfel aus seiner Tasche. Er war ganz grün und sicherlich schön sauer. Zuerst biss er ein großes Stück ab, dann hielt er ihn Nadja hin. Sie schnappte danach, doch er zog ihn zurück. Wieder mussten sie lachen. Achja, verliebte Menschen waren so unterhaltsam.
Ich wurde auf einmal ganz neidisch. Ich wollte auch mit Freunden in der Stadt verabredet sein. Ich wollte auch mit einem Kater um einen Apfel ranken. Und ich wollte etwas über die Ozeane lernen. Oh, warum war ich bloß kein Mensch? Oder besser: Warum gab es keine Katzenschule?
Mein einziger wirklicher Freund war ein Hosenscheißer. Er wollte nichts mit mir unternehmen, weil er Angst hatte vor allem und jedem.
In Gedanken strich ich um den Kater aus der Tierarztpraxis herum. Wir schnurrten um die Wette und beobachteten gemeinsam die Menschen, die durch den Central Park liefen. Wir verfolgten uns und rannten durch raschelndes Laub. Ich fing an, in Wirklichkeit zu schnurren. Wie peinlich. Und schlimmer noch: der dicke Junge hatte mich bemerkt. Er blickte nach unten. Entsetzt starrte er in mein verträumtes Gesicht. „Oh du Katze, du kriegst nix ab. Alles meins.“ Ich glaube, er meinte das Essen. Ich wollte nichts davon. „Blödmann“, miaute ich.
Es war fünf Uhr. In kurzer Zeit würden Gabrielle und Maria und vielleicht noch ein paar andere Mädchen hier erscheinen. Ich hatte keine Ahnung, was sie tun würden. Doch ich wollte es wissen. Wenn du sie nicht fragen kannst, musst du ausspionieren. Ist doch logisch.
Maria war die erste, die ankam. Das süße Kleid war verschwunden. Sie trug jetzt einen dunkelbraunen Pullover mit einem springenden Puma drauf. Ha! Das kannte ich! Gab hatte eine Hose mit diesem Puma-Bild. Das Logo sah schön aus. So stark wie der Puma wollte ich auch sein.
Nadja und Gabrielle kamen Hand in Hand und gackernd aus dem Untergrund. Sie begrüßten Maria. Es war eine sehr flüchtige aber aufgeregte Umarmung mit der sie sich willkommen hießen. Betty fehlte noch. Die drei Mädchen setzten sich auf einer Bank hin. Sie schienen etwas zu planen, denn sie sprachen leise, sie blickten nach unten und Maria machte erklärende Gesten. Dann kam Betty von hinten. Sie trug eine rosa Handtasche, fast größer als ihr Oberkörper. Was hatte sie da drin? Eine Stereoanlage? Sie tippte Maria von hinten auf die Schulter. Maria zuckte kurz zusammen und machte dann Platz zwischen sich und Gab, damit Betty sich setzen konnte. Wieder planten sie. Nadja sah sich öfter mal ängstlich um. Was hatten sie vor? Mein Posten hinter einem Hydranten war nicht gut. Ich sah mal wieder die Gesichter nicht und hörte nichts. Kurz bekam ich ein schlechtes Gewissen. Gab durfte ihr Leben doch so leben, wie sie wollte. Ich aber lief ihr hinterher und wollte über jeden Schritt in ihrem Leben Bescheid wissen. Doch andererseits war ich so stets zur Stelle. Wenn Gab etwas passieren sollte, ich konnte ihr helfen. Und ich verstand besser, was sie für Sorgen hatte. Sogar ein wenig Neid mischte mit. Manchmal wäre ich gerne ein Mensch. Dann könnte ich Sachen kaufen, mit jedem reden, in Häuser gehen und zur Schule. Ich könnte U-Bahn fahren und tanzen. Schon immer wollte ich tanzen lernen. Jeder Mensch ging dabei auf, erstrahlte in voller Blüte. Sie lachten und sangen und schwangen die Haare. Auch ich wollte etwas von dieser Fröhlichkeit abhaben.
Oh, verdammt, Violett! Pass doch auf! Wenn du immer so in Gedanken über dich und die Welt versinkst, bekommst du nichts mehr mit.
Die Mädchen waren weg. Ihre Planstunde war beendet. Da, da war sie. Ich konnte das Leuchten von Gabrielles Haaren sehen. Die vier waren die Straße hoch, Richtung Chinatown gelaufen. Und hinterher. Chinatown war mir unheimlich. Schließlich hatte ich schon so viele Geschichten gehört von bösen Tiermördern und Schändern. An jeder Ecke konntest du geschnappt und in die Küche geschleift werden. Horrorvorstellung. Doch leider muss ich dazu etwas beichten: Wenn wir Katzen Mäuse jagen, sind wir auch nicht gerade zimperlich…
Die Mädchen bogen in einen der kleinen Läden die es hier zu dutzenden gab. Die Eingangsglocke klingelte. Ich blieb vor der Tür…wie so oft. Nadja sagte etwas als sie das Geschäft betraten. Es war leise, nur ein Flüstern. Es klang in etwa wie: „Und die alte Frau ist die, die kaum Englisch kann.“
Ich hatte Glück. Man konnte durch ein Fenster von draußen reingucken. Ich hatte gute Sicht. Gabrielle ging zielstrebig auf einen Ständer voller Schlüsselanhänger zu. Die übrigen irrten vorsichtig durch den Laden und sahen sich alles genau an. Gab drehte das Gestell einmal rum. Dann winkte sie eine alte chinesische Frau herbei, die hinter der Theke saß. Sie sagte etwas. Ich hörte nichts. Dann fing Gab an zu reden. Sie drehte dabei ständig den Ständer, zeigte erst auf den einen, dann auf den anderen Anhänger. Sie gestikulierte wild. Immer wieder schien die Frau etwas zu fragen. Dann schüttelte Gab den Kopf und der Spaß ging von neuem los. Mittlerweile hatte ich erkannt, dass auf den Schlüsselanhängern Namen standen. Was Gab wollte, wusste ich allerdings nicht. Die alte Frau genauso wenig. Sie stampfte bald auf den Boden, griff sich an den Kopf und rief nach hinten durch einen Vorhang. Ein junger Mann kam heraus. Auch er war Chinese. Wütend zeigte die Frau auf Gab die wie ein Unschuldslamm zu dem Mann starrte.
Gab’s Freundinnen blieben von den beiden Chinesen unbemerkt. Sie zogen zusammengefaltete T-Shirts aus den Regalen. Die Shirts waren blau, weiß, grau, schwarz, mit Aufdrucken von New York, seiner Skyline oder der Miss Liberty. Betty öffnete ihre Tasche. Sie schien etwas darin zu suchen. Keine Wunder, so groß, wie die Tasche war, brauchte man dafür sicherlich lange. Doch Betty fand nichts. Sie steckte etwas hinein. Nämlich die T-Shirts. Ich schluckte. Diebe?
Inzwischen gingen Gab und der Chinese Stück für Stück alle Schlüsselanhänger durch. Sie schauten sich jeden an. War es denn so schwer einen Namen zu finden? Die alte Chinesin war im Raum hinter dem Vorhang verschwunden. Maria streckte sich hinter dem Rücken des Mannes nach einer Jacke, die ganz oben auf dem Regal lag. Langsam zog sie sie herunter. Ganz vorsichtig. Nadja dagegen steckte Armbänder, Postkarten und Zeitschriften unter ihren Pullover. Er war, wie Maria gesagt hatte, weit. Und er hatte unten ein Gummiband, das verhinderte, dass all die Sachen einfach wieder rausfielen.
Dann tippte Betty den Chinesen an. Er drehte sich von Gab weg. Sie gingen zusammen zur Kasse und Betty kaufte vier bunte Becher mit einer Amerika-Flagge. Sie bezahlte die Sachen. Währenddessen liefen die drei anderen Mädchen aus dem Laden. Sie verhielten sich so, als hätten sie einfach nichts gefunden. Gab lächelte entschuldigend und machte sogar noch eine Art Knicks als sie am Chinesen vorbeiging. Der lächelte gequält zurück. Doch er sagte nichts. Er gab Betty die Becher in einer Tüte über die Theke zurück. Dann ging auch sie raus.
Die Mädchen blieben nicht stehen. Sie liefen gleich weiter. Niemand sprach ein Wort. Doch alle hatten zu kämpfen, nicht loslachen zu müssen. Ihre Köpfe wurden rot. Erst, als sie sich auf ein Steingeländer setzten, prusteten sie los. Stolz zog Betty die ganzen Shirts aus der Tasche. Es waren bestimmt acht Stück. Für jeden zwei. Wenn nicht noch mehr. Maria holte die zusammengeknüllte Jacke unter ihrem Sweatshirt hervor. Sie zog das Sweatshirt aus und die Jacke an. ‚I love NY ‘, stand da drauf. Nadja kramte am meisten Zeug hervor. Es waren ganz viele Kleinigkeiten, wie Touristen sie immer mitnahmen. Nadja war zwar kein Tourist, doch ein Feuerzeug konnte man beispielsweise immer gebrauchen.
Sogar Gab griff in ihre Känguru-Tasche. Vier Schlüsselanhänger waren darin. Ich konnte schon erahnen, welche Namen draufstanden. Doch ich konnte mich nicht erinnern, dass Gab sie eingesteckt hatte. Ich konnte es überhaupt noch nicht fassen, was Gabrielle gerade getan hatte. So etwas hatte sie bisher noch nie gemacht. Ich erkannte meine Gab nicht wieder. Sie sah jetzt so hübsch aus und sie hatte ein unvorstellbares Leuchten in den Augen und erst recht in den Haaren. Sie war so glücklich. Auch wenn man eigentlich nicht stehlen durfte, ich konnte nicht sagen, dass Gab ein schlechtes Gewissen hätte. Sie ließ nicht unsicher die Mundwinkel hängen. Sie sah sich nicht einmal um, ob auch keiner folgte. Einmal, einmal drehte sie sich um. Doch sie war nicht eingeschüchtert oder so. Sie blickte zuerst in den Himmel, dann schloss sie die Augen und lächelte, als ob sie schnurren würde. Dann schlug sie die Augen wieder auf. Und darin blitzte etwas auf, das ich sonst nur von mir kannte. Es war ein gefährliches Blitzen, ein Blitzen der Gerissenheit, Macht und Sicherheit. Und vor allem ein Blitzen der Freude. Ein Blitzen der Unternehmungslust und der cleveren Gedanken, die sich warm im Kopf ausbreiteten und dir sagten, dass du tun kannst was du willst. Und niemand wird dich davon abhalten, es sei denn, du ziehst einen Nutzen daraus, wenn du es lässt; einen wirklichen Nutzen.
Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte mich. Das konnte nicht sein. Wo hatte Gab meinen Blick her?!
Ich sprang durch die Katzenklappe. Ich musst vor Gab zuhause sein. Sie durfte nämlich auf gar keinen Fall ahnen, dass ich sie verfolgte. Wenn ich aber auf ihrem Bett lag und so tat, als ob ich seit Stunden warten würde, dann wäre das im Ernstfall vielleicht meine Rettung. Mit Ernstfall meine ich, falls ich mich ungeschickt anstelle und Gab mich nochmal auf der Straße entdecken würde. Wenn ich dann ganz schnell heim kam, dann würde sie denken, das in der Stadt wäre nur eine Katze, die mir sehr ähnlich sah. Verstehst du?
Gab kam kaum zwei Minuten nach mir. Sie wummerte die Tür zu und plumpste auf den Schreibtischstuhl. Sie lächelte immer noch. „Oh Violett, heute war so ein schöner Tag!“ Ich strich ihr um die Beine. Sie roch immer noch nach Chinatown. Ich versuchte, diesen Gedanken zu verdrängen. China war gruselig. Doch Gab war noch gruseliger. Sie erlebte mit ihrer ehemaligen Feindin einen schönen Tag? Aber wie war das möglich?
Gab holte zwei von den neuen T-Shirts aus ihrer Tasche. Es war ein schwarzes, mit einem Adler und ein rosanes mit glitzerndem Schriftzug: ‚New York City‘.
Hübsch, aber gestohlen. Das Mädchen schaute in den Spiegel. Sie zog mit einem Stift eine Linie über ihren Augen nach. Sie wurden nochmal ein Stück dunkler. Der Stift verschwand wieder. Gab schaute zu mir und fing an zu strahlen. Sie hüpfte im Zimmer herum. „Ich glaub’s net. Violett, ich bin jetzt in Marias Clique. Das war so easy.“ Sie machte ganze Pirouetten in der Luft. „Kannst du das glauben? Marias Mutter war fest davon überzeugt, dass ich Recht hatte und Maria diejenige war, die die Jacke bei mir hereingeschmuggelt hat. Sie hat ihrer Tochter Hausarrest und andere schlimme Strafen gegeben. Jetzt komme ich mit dem Video von der Omi und Marias Mutter entschuldigt sich dafür, dass sie ihre Tochter unnötig bestraft hat. Maria hat echt eine niegelnagelneue Musikanlage geschenkt bekommen! Und sie meint, das hat sie mir zu verdanken.“ Hä? Ich kam nicht mehr hinterher. Gab kam meiner Dummheit entgegen und erklärte: „Hätte ich Maria nicht zur Verdächtigen gemacht, wäre ihre Mutter nie böse auf sie gewesen. Und dann hätte sie auch keine Anlage als Entschädigung bekommen. Sie hat das coole Teil mir zu verdanken.“
Menschen. Sie schafften es doch immer wieder, unerwartete Wendungen in eine Geschichte zu bringen. Doch ich freute mich für Gabrielle. Endlich hatte sie mal wieder Glück. Jetzt gehörte sie zur coolsten Clique ihrer Stufe. Nur die sogenannten Darksharks waren noch cooler. Aber wer die sind, das erzähl ich dir lieber gar nicht erst. Du würdest vor Angst unter die Bettdecke kriechen.
Gabrielle legte eine CD in ihre (schon ältere) Musikanlage und drehte auf volle Lautstärke. „From Zeeeerou to heeerou…“ Gab krisch sich dich Kehle aus. Mir dröhnte es im Kopf. Mein Hirn hatte sich wohl noch nicht richtig erholt. Denn eigentlich liebte ich ja diese Musik.
Dann tanzte Gab. Sie schwang die Hüften, die Haare und pfefferte die Arme um sich. Die hüpfte, kickte, schlug, drehte und schüttelte sich. Ich wollte auch tanzen!!!
„MIAUUUU!!!!!“ Ich konnte mich einfach nicht mehr zurückhalten. Ich war so wütend und so traurig. Augenblicklich machte Gab die Musik aus. Sie starrte mich entgeistert an. Was war ich nur für eine böse Katze. Ich war neidisch. Neid war eine der sieben Todsünden. Und ein Katzenleben war bestimmt im Großen und Ganzen cooler als ein Menschenleben. Obwohl….warte mal. Sieben Todsünden sagte ich? Ha, ich hatte neun Leben. Das heißt, ich konnte alles, was verboten war, einmal tun und hätte immer noch zwei Leben übrig. Es sei denn, ich würde nach Europa fliegen. Dort hätte ich laut der Legende nur sieben Leben und wäre nach den Sünden tot. Ein hoch auf Amerika also!
Gab machte die Musik wieder an und sang mit Sarah Connor um die Wette.
Joanna stand in der Tür. Unangekündigt stürzte sie ins Zimmer. Gab zuckte zusammen und gab einen Quietsch-Laut von sich. „Mach mal leiser“, brüllte Joanna über die Musik hinweg. Sofort tat Gab das, was ihr gesagt wurde. „Hier, für dich. Eine Nadja.“ Joanna gab Gabrielle das Telefon in die Hand. „Ähhm, danke“, sagte Gab schnell, dann machte sie ihrer Mama die Tür vor der Nase zu.
Sie setzte sich auf ihre Bettkante und redete leise mit ihrer Freundin.
„Ist das dein Ernst?“ Schweigen. Nicken. Aufstehen. „Ich verstehe…aber ich hab Angst.“ Rascheln aus dem Hörer. „Schon mal getan sagst du???“ Mund weit aufreißen. Gekicher. „Wir werden alle eingebuchtet…ja, wirklich.“ Nicken. „Wenn du meinst.“ Lautere Stimme aus dem Hörer. „Bis Morgen.“ Klick. Aus war das Gespräch. Ich musste ehrlich zugeben, dass ich nicht wusste, worum es ging.
„Violett, ich muss jetzt Hausaufgaben machen. Hausaufgaben über pflegende Sonnencreme. Chemie hat was Praktisches.“
War ich so froh, dass ich als Katze keine Sonnencreme benutzen musste. Bäh. Das Zeug stinkt widerlich.
Gabrielle machte zwar bloß ihre Hausaufgaben, doch sie schien unglaublich nervös. Ganz anders als vor dem Anruf. Die Stimme aus dem CD-Player war nur noch leise im Hintergrund zu hören. Der Anruf hatte irgendwas mit kriminellen Dingen zu tun. Gab hatte doch etwas von ‚wir werden alle eingebuchtet‘ gesagt. Einbuchten heißt soviel wie ins Gefängnis kommen. Doch was sollte Gab denn so Schlimmes tun? Für ein paar geklaute Souvenirs gab es keine große Bestrafung. Gabrielle war auch keine Gangsterin. Sie war eine anständige Bürgerin. Dachte ich zumindest.
Mein Frauchen kritzelte die Hausaufgaben ungewohnt schnell auf die Blätter. Nach wenigen Minuten waren ein paar einfache Stichpunkte aufgeschrieben und ein paar Pfeile gezogen. Die konnte sie so aber nicht abgeben. Ich hüpfte auf ihren Tisch und miaute. Dabei tippte ich mit der Pfote immer wieder auf das Notizblatt. Aber Gab beachtete mich nicht. Sie drehte sich nervös auf ihrem Stuhl. Und dann redete sie mit mir. Eher mit sich selbst, aber naja. „Ich hab so Angst. Das kann doch nicht wahr sein. Maria hascht. Und Betty kennt Dealer. Und jetzt will Nadja mir auch was verkaufen. Alle sagen, dass das nicht schlimm ist. Wenn Mama das hört, bin ich tot.“ Sie stützte den Kopf mit den Armen. „Ich muss Maria sagen, dass ich da nicht mitmache. Bei Drogen hört der Spaß auf. Lieber raub ich tausend Chinesen aus.“ Jetzt sprach sie wirklich mit mir. „Kannst du mir helfen Violett?“ Nein Gab, ich kann es nicht, denn ich weiß nicht, was Drogen sind. „Wie soll ich das Maria sagen? Ich bin ja schwuppdiwupp wieder der Loser.“ Sprich mit Joanna, dachte ich zuerst. Doch aus Erfahrung wusste ich, dass Joanna nicht diejenige war, die man für solche Sachen brauchte. Sie kochte, kaufte ein brachte Gab ihre Wäsche. Doch sie war nicht der einfühlsamste oder hilfreichste Mensch. Sie meinte, dass alles was sie sagte, richtig sei. Oft ohne Gründe. Sie sagte einfach etwas, das wurde dann gemacht. Und sich mit Gab beschäftigen gehörte auch nicht zu ihren Aufgaben.
Ich will Joanna nicht schlecht machen. Sie ist nicht unnötig böse zu jemandem. Sie hilft ihrer Tochter bei Schulaufgaben und kauft mir Katzenfutter. Aber sie ist einfach keine Freundin für mich oder Gab. Ihr könnte ihr kein Geheimnis anvertrauen.
„Ich rufe Maria an“, riss Gab mich aus meinen Gedanken.
Sie wählte eine Nummer und wartete. Ungeduldig kaute sie auf ihrer Hand herum. Die meisten Leute knabbern an den Nägeln, Gab kaut auf der Hand. „Ja…“ Jemand meldete sich am anderen Ende der Leitung. „Ja, also, ich bin’s, Gabi.“
Die Person am anderen Ende sagte ein paar Sätze. Es musste Maria sein. Gab sprach wieder: „Ich bin mir bei der Sache nicht ganz sicher. Vielleicht bin ich da ein Spießer, aber ich hör immer nur Schlechtes über sowas. Und ich hab eh keine Ahnung davon.“ Gab hatte ziemlich zu kämpfen. Sie druckste herum, drehte sich und seufzte. Aber zum Fiasko kam es nicht. Plötzlich hellte sich Gab’s Gesicht auf. „Meinst du echt? Das wäre ja so cool! Was muss ich für dich machen?“ Erwartend starrte sie in die Luft. „Nur? Das ist ja einfach.“ Gab lachte. Sie war sichtlich erleichtert. Was hatte Maria ihr vorgeschlagen? „Ist gar kein Problem. Aber bitte nur ganz, ganz wenig. Ich hab so Muffensausen.“ Sie legte auf.
Ich wurde in die Luft gerissen, geschleudert und fast erdrückt. „Violett!“ Der Druck wurde stärker. Gab sah mir in die Augen. „Maria ist so nett. Wenn ich erwischt werden sollte, nimmt sie alle Schuld auf sich. Alles, was ich machen muss, ist sie am Montag bei Spanisch abschreiben zu lassen. So easy kann’s gehen.“
Es war also wirklich etwas Kriminelles, wobei man erwischt werden konnte. Drogen. Was war das? Ein Licht ging mir in diesem Moment auf jeden Fall auf: ‚Spicken‘ musste so etwas wie abschreiben sein. Ja, so musste es sein. Es hatte was mit Schule zu tun, mit Tests und es ist etwas, das Maria hilft. Etwas, das man nicht machen sollte, und etwas, das ein gewisser Tom nicht bemerkt, wenn es mit ihm gemacht wird. Ich hatte nun also zwei Rätsel gelöst: Die Sache mit der Kaufhausjacke und das Rätsel des Spickens. Nächste Aufgabe: Drogen identifizieren und dafür sorgen, dass Gabrielle nicht ins Gefängnis kommt.
Ich wurde wieder auf den Schreibtisch gesetzt. Mein linkes Hinterbein schmerzte. An ihrem einen Arm trug Gab ein Armband. Es hatte kleine, stachelartige Steine. Sie hatten sich in mein Fell gebohrt und alles zerkratzt. Wer schön sein will, muss andere leiden lassen.
Mein täglicher High-School-Wachtposten lief. Diesmal war T-Rex dabei. Ich hatte es geschafft, ihn zu überreden. Mit spannenden Storys, süßen kleinen Tierliebhabern und leckeren Essensresten hatte ich ihn gelockt. Und nicht zuletzt mit meinem unwiderstehlichen Katzencharme. In Wahrheit hatte ich ihn ziemlich überrumpelt und gebettelt. Er lies sich bereitschlagen und folgte mir. Jetzt standen wir auf dem Dach des Gebäudes und blickten zu den Schülern hinunter, die nur vereinzelt über den Hof liefen. Türen knarrten, Lehrer redeten, Bälle wurden auf dem harten Turnhallenboden geschlagen; von überall kamen gedämpfte Geräusche her. Hier oben war es so idyllisch. Ich setzte mich ganz nah an T-Rex ran. Der kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Was es von hier alles zu sehen gab. Da war das große Baseballfeld, die wunderschönen Parkanlagen auf der anderen Straßenseite, die Skyline von Manhattan ganz weit in der Ferne. Wo ich so weit oben über dem Boden saß, musste ich an meinen wirren Fiebertraum denken, in dem ich erst auf einem Auto in den Himmel geflogen und dann wieder runtergefallen bin. Das kam mir alles so echt vor. Ich brach unser gedankenverlorenes Schweigen: „T-Rex, siehst du das Auto da unten? Wenn ich ein Mensch wäre, würde ich so eins fahren. Ich meine, das ist pink.“ T-Rex musste grinsen. Er mochte kein pink. „Also wenn ich ein Auto hätte, dann wäre es weiß. Ein langes, flaches, edles Auto mit dunklen Scheiben und richtig krassen Felgen.“ Auch nicht schlecht. „Aber pink ist cooler. Das rockt.“ „Du weißt doch, dass ich kein Fan von Rockmusik bin“, bemerkte der Kater. „Du hast echt keine Ahnung von Teenager-Sprache“, warf ich ihm an den Kopf. T-Rex war beleidigt. Zumindest tat er so. Demonstrativ ließ er die Ohren sinken und knurrte. Das sah ja süß aus. Ich sprang auf ihn zu, warf ihn um und rollte laut fauchend mit ihm das Dach hinunter. T-Rex ließ einen panischen Schrei raus. Ich lachte. Wir stoppten, als das Dach die Richtung änderte. Wir waren in eine Art Ritze gefallen. Links und rechts ging das Dach nach oben. Wir waren zwischen zwei Kuppen. T-Rex schnappte nach Luft. Er zitterte. Ich wollte ihn nicht erschrecken. Ich wollte mit ihm spielen, ihn ärgern, den vorlauten, eingebildeten Kater, der von nichts eine Ahnung hatte und doch so nett war. „Grrrr“, knurrte ich verspielt. Ich hüpfte nach links, ich hüpfte nach rechts. Die Ziegel waren glatt. Manchmal rutschte ich weg. T-Rex schaute erst mal nur entgeistert zu, dann machte er mit. Er überwand seine Angst sehr schnell und tollte mit mir über das High-School-Dach. Ich war bald außer Atem. So viel Ausdauer und Geschwindigkeit hätte ich T-Rex gar nicht zugetraut. Er war kräftig und konnte weite Sprünge machen. Er kam schneller das Dach hoch als ich und schaffte es immer wieder, sich in den Ziegeln festzukrallen und nicht wegzurutschen. Ich blieb irgendwann reglos liegen. Mein Puls jagte, mein Gesicht lächelte und ich selbst war total geistesabwesend. Ich hörte nur noch die Vögel, sah die Linien der Flugzeuge am Himmel und roch meinen und T-Rex‘ Schweiß. Ich miaute keuchend. „Auszeit. Ich kann nicht mehr. Du bist gut. Zu gut für mich.“ „Ha!“, machte der Kater triumphierend. „Ich wusste schon immer, dass du ein Weichei bist.“ Es gab seinem Ego einen großen Kick. Sonst war ich immer die, die alles besser konnte, wusste, machte. Ich gönnte es ihm. Auch kleine Kätzchen brauchen etwas Glücksgefühl.
Wuff. Tatü-Tata. Surr. Es wurde laut, unerträglich laut. Eine ganze Schar von Polizeiautos sauste herbei. Sie blieben quietschend vor der Schule stehen. T-Rex und ich starrten völlig gebannt nach unten. Gab! Sie war mein erster Gedanke. Wurde sie jetzt eingebuchtet?
Ein Mann stieg aus dem vordersten Auto aus. „Achtung, hier spricht die Polizei. Bitte bleiben Sie alle genau dort, wo sie gerade sind. Keiner geht weg, bis wir alles kontrolliert haben!“ Er sprach es in einen Plastiktrichter und seine Stimme war so laut, dass die Schallwellen T-Rex und mich fast vom Dach fegten. Unter uns im Schulhaus wurde es laut. Viele Männer kamen aus den Autos raus. Unter ihnen war ein Hund. Es war ein großer, dunkler Hund mit kurzem Fell und einem bösen Gesichtsausdruck. Er war sehr unruhig und zog sein Herrchen hinter sich her. Die Polizeimänner gingen in das Haus. Ich konnte von oben sehen, wie unzählige Köpfe von Schülern aus den Fenstern nach unten schauten. Mitten in den uniformierten Personen war jemand, der ein blaues Shirt und eine Schürze trug. Ich musste zweimal hinschauen um mir sicher zu sein, wer das war. Ich dachte zuerst, dass ich mir das einbildete. Doch es war T-Rex, der meine Gedanken bestätigte: „Da, da ist Olaf!“ Uns beiden blieb der Mund offen stehen. Olaf?!? Bei der Polizei?!?
„Ich möchte eine Durchsuchung machen. Jeder Schüler und jeder Lehrer bleibt so lange im Gebäude, bis wir fertig sind.“ Die Stimme aus dem Trichter dröhnte. Dann verschwanden alle Polizisten und Olaf im Haus.
„Ich muss gucken, was das passiert!“, rief T-Rex. „Ja, ich auch“, antwortete ich. Gut zu wissen, dass auch T-Rex die Neugier gepackt hatte. Wir sprangen fast mit einem Satz auf das Vordach über dem Eingang. Nur kurz rutschten wir an der Regenrinne runter. Die Landung war unsanft. So in etwa stellte ich mir den Fall von einem Hochhaus vor. Hart, kalt, erschütternd. Der zweite Sprung war kleiner. Gerade noch so kamen wir durch die Tür. Sie fiel hinter uns zu. Drinnen herrschte Chaos pur. Der Hund schnüffelte jeden Schrank ab und kratzte manchmal an einem. Doch immer wieder ging er nach kurzer Zeit weiter. Türen zu Klassenzimmern wurden aufgerissen. Geschrei war zu hören. Lehrer eilten durch die Gänge. Jeder, der nach draußen wollte, wurde von zwei schweren Männern festgehalten. Ich flitzte durch den Gang, immer dem Suchtrupp hinterher. Ich glaube, sie suchten diese Drogen. Ich machte mir solche Sorgen und bekam richtig Bauchkribbeln. Wenn ja, dann waren sie auf direktem Weg zu Gab. Würde Maria ihr Wort halten und ihre neue Freundin beschützen? Doch was ergäbe das für einen Sinn? Dann wären wir ja wieder am Anfang. Eine neue Straftat, an der Maria angeblich schuld ist. Was noch viel komischer ist: Was hat Olaf mit all dem zu tun? T-Rex rannte mir hinterher. Ich sah die blanke Angst in seinen Augen. Er machte sich sicherlich Sorgen um Olaf. Und außerdem war er noch nie hier gewesen. Bestimmt war ihm der ganze Aufruhr nicht geheuer. Das war mir jetzt egal. Ich ließ mich in eine Art Trance fallen, in der ich schlichtweg handelte, nicht mehr dachte. Die Polizisten wurden immer schneller. Einige fragten sich hektisch durch die Schülermengen. Immer wieder stellten sie dieselben Fragen: „Habt ihr was versteckt?“, „Kennt ihr jemanden, der schon mal Marihuana genommen hat?“, „Wollt ihr uns etwas sagen?“ Es war nichts als wirres Zeug. Auch der Hund wurde immer aggressiver. Er zerkratzte die Wände und Plakate und fiel Schüler an. Sie alle hatten Angst und schlugen wild um sich. Doch dadurch wurde es noch schlimmer. Eine alte Lehrerin stand verwirrt im Gang und fing an zu schluchzen. Ihren Augen bot sich ein grausames Massaker.
„Sind sie sich ganz sicher?“, fragte ein großer, bärtiger Polizist Olaf. Olaf nickte: „Ja, ganz sicher. Sie standen zu dritt hinter den Containern. Zwei junge Mädchen und ein etwas älterer Kerl mit langen blonden Haaren.“
Was? Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Hatte Olaf Gab dabei gesehen, diese Illegalen Sachen zu tun? Er hatte also die Polizei gerufen. Und wenn es ganz schlimm kam, war Olaf daran Schuld, dass meine Gab bestraft wurde. Für etwas, das sie selbst eigentlich nicht tun wollte. Etwas, wozu sie überredet wurde. Wusste Olaf, was er da tat? Das letzte, was ich sah, waren zwei aggressiv leuchtende, orangene Augen und viele spitzen Zähne hinter einer schwarzen Schnauze. Dann war es um mich herum stockdunkel.
Es wurde wieder hell. Ich war immer noch in der Schule. Auch die Polizisten waren immer noch da. Doch es war merklich ruhiger geworden. Nur noch wenige Schüler standen auf dem Gang. Sie alle schauten angsterfüllt und aufgeregt auf eine graue Plastikkiste, in der sich seltsame Dinge sammelten. Spritzen, Flaschen, Tüten voller Puder und Zigaretten. Das Puder kannte ich doch.
Der dunkle Hund, der mich wohl eben angefallen hatte, schnüffelte nach und nach an jedem Schrank. T-Rex? Wo war er? Und wo war Olaf? Es war wohl das Dümmste, das ich je getan hatte. Aber das war mir egal. Ich ergriff meine einmalige Chance. Ich ging langsam zu dem Hund und fragte ihn: „Warum hast du mich angegriffen? Und was suchst du hier?“ Der Köter guckte mich angewidert an. „Ach Kätzchen, ICH bin ein Drogenspürhund und DU hast hier nichts zu suchen. Eigentlich wollte ich dir alle Knochen brechen aber Dieter sagte, ich solle die Mieze in Ruhe lassen. Wir hätten Wichtigeres zu tun.“ „Na danke, sehr nett“, schnaubte ich. An wen mein Danke gerichtet war, wusste ich selbst nicht. Ich hatte noch eine Frage: „Was sind Drogen genau?“ Der Hund lachte mich aus. Sein Lachen war tief und bebend. „Drogen? Du weißt nicht, was Drogen sind? Ich sag’s dir: Drogen sind seltsame Substanzen, die gerne von jungen Menschen gebraucht werden. Manche machen dich schneller, manche ruhiger, andere lassen dich süße Träume träumen.“ „Und warum sind sie dann verboten?“, fragte ich. Der Köter antwortete verachtend: „Weil sie die Schüler unberechenbar machen. Sie verlieren ihren Verstand, sie bekommen Krankheiten und sie werden abhängig. Sie wollen immer mehr und mehr. Bald fangen sie an, dafür Geld zu stehlen und heimlich zu dealen. Sie betäuben Mitschüler und schummeln bei Sportwettbewerben oder Tests, indem sie sich leistungsfähiger machen. Und am Ende können sie nicht mehr damit aufhören, das Zeug zu nehmen. Dann werden sie aggressiv und irgendwann sterben sie.“
Uiuiui! Das waren Gründe, warum Gab nichts damit zu tun haben wollte und froh war, Maria die Schuld in die Schuhe schieben zu können. Drogen waren also das, was ich als ‚weißes Zeug‘ bezeichnet hatte; mitunter. Ich musste Gab finden. Wenn sie so etwas bei sich trug, würde es in die Plastikkiste kommen und sie anschließend hinter Gitterstäbe. „Du, Hund…“, fing ich an. „Ich heiße Gabbro“, schnauzte er mich an. „Also Gabbro. Hast du schon was bei einem Mädchen entdeckt, das ganz hellblaue Augen und wellige goldene Haare hat?“ Gabbro verdrehte die Augen: „Meinst du, ich merke mir jeden von diesen Verbrechern? Falls du aber die kleine Heulsuse da hinten meinst, dann ja.“ Er schnickte den Kopf in Richtung der an der Wand stehenden Schüler. Mein Blick schweifte über alle drüber. Unter ihnen war tatsächlich Gabrielle. Sie hockte fast auf dem Boden. Das Gesicht war in ihren Händen verschwunden. Ihr Körper zuckte immer wieder. Sie weinte. Ich wusste, dass das dumm war, doch ich rannte zu ihr hin. „Miau miau miau.“ Ich sprach sie leise an. Gab erhob sich und blickte mich direkt an. „Bist du es Violett?“ Ich strich um ihre Beine und schnurrte. Sie sollte mich ruhig erkennen. „Violett! Du darfst hier nicht sein. Du wirst wieder rausgeworfen.“ Das war mir egal. Bis jetzt hatte es noch niemand vorgehabt – außer Gabbro.
Gab wollte mich in den Arm nehmen. Sie streckte ihre Hände nach mir aus. Gern wäre ich einfach auf sie zugesprungen und hätte sie getröstet. Eine Razzia war wirklich nicht das, was Gab verdiente. Oder doch? Der Polizist, der Gabbro an der Leine hielt, schrie mich an: „Dummes Katzenvieh. Du hast hier nichts zu suchen. Warum bitteschön ist eine Katze in dieser Schule? Das ist nicht ordnungsgemäß.“ Ein andere Polizist regte sich noch mehr auf: „Schafft das weg, schafft das weg! Ich bin allergisch.“
Er spuckte verachtend auf den Boden. T-Rex, ich hatte in dem Moment rein gar nicht mit ihm gerechnet, fauchte laut. Er sprang den wütenden Polizist von hinten an. Der Mann hatte keine Haare und T-Rex konnte ungehindert auf seiner Kopfhaut herum kratzen. Der Polizist schlug nach dem Kater, der tänzelte geschickte umher und so schlug sich der arme Mann immer wieder selbst. Dann schüttelte der Geplagte seinen ganzen Kopf. Doch das wurde ihm sofort zum Verhängnis. Im wahrsten Sinne des Wortes. T-Rex hatte sich in seiner Haut verkrallt und hing an seinem Kopf. In welche Richtung der Mann ihn auch schnickte, er wurde ruckartig hinterher gezogen und die ersten Blutspuren rannen ihm über die Ohren. „Macht- es- weg…“ Er japste nach Luft. Dann gab er auf. Alle Polizisten, alle Schüler, alle Lehrer, Gabbro und ich starrten ihn an, als er glühend vor Wut und Schmerz, die Augen schloss und auf den Flur glitt. Der Anblick war dem eines Horrorfilms ähnlich. T-Rex knurrte wie ein Tiger, in seinen Augen funkelte Hass, Blut floss von seinen Krallen und der Mann lag reglos gegen die Wand gelehnt. Er war nicht tot, man konnte seinen keuchenden Atem hören, doch es war traumatisierend. Gab schluchzte. Dann war es totenstill. Erst, als ein Lehrer meinte, man solle dieses angriffslustige Wesen auf Tollwut untersuchen, regte sich wieder jemand. Ich war paralysiert. So war T-Rex doch sonst nicht. Der Mann hatte mich beleidigt. Sonst nichts. Als Katze war ich das gewöhnt. Und doch hatte er ihn angefallen wie ein… der Glückskater hatte seinem Namen alle Ehre gemacht.
Der Lehrer nahm T-Rex vorsichtig mit Arbeitshandschuhen vom Kopf des Bewusstlosen. Erst jetzt erkannte man das Massaker, das T-Rex wirklich angerichtet hatte.
„Ruft einen Krankenwagen!“, befahl eine alte, kleine Lehrerin. Ein junger Schüler neben ihr kramte sein Handy hervor und wählte die drei Ziffern. Drei Ziffern, die hier in Manhattan ohnehin für Unglück stehen. Er erklärte dem Mann am anderen Ende der Leitung stockend, was passiert war. Er musste immer wieder ansetzen, da seine Story scheinbar nicht ganz einfach nachzuvollziehen war. Schließlich legte der Schüler auf und nickte. „Sie kommen gleich.“
Mich hatte man mittlerweile völlig vergessen. Olaf kam mit einem Mann im schwarzen Anzug um die Ecke. Sie waren in ein Gespräch vertieft. Der Anblick des blutenden Polizisten ließ sie stehenbleiben. „Wer war das?“, fragte Olaf fassungslos. „Vielleicht ein außer Rand und Band geratener Schüler, der gedealt hatte?“, meinte der Mann mit dem Anzug.
Die alte Lehrerin war es, die antwortete: „Nein, Direktor Messing, es war eine Katze. Sie hat den Beamten grundlos angegriffen. Herr Limmer bringt ihn weg. Das Tier muss krank sein.“ Der Direktor schüttelte fassungslos den Kopf. „Diese Katze?“ Er blickte auf mich. „Nein. Sie war vierfarbig. Weiß und rot und schwarz und braun.“
Jetzt war es Olaf, der fassungslos war. Doch er sagte nichts. Ob er T-Rex verdächtigte?
Die nächsten Menschen kamen herbei. Es waren ein Polizist, Maria und Nadja. Nadja hatte trotzig die Arme verschränkt und knurrte wie ein hungriger Hund. Maria blickte nur auf den Boden. „Hier sind die beiden, die in der Straßenecke gedealt haben“, sagte der Polizist mit extrem tiefer Stimme.
Nadja zuckte und versuchte, sich loszureißen. Ihre Haare flogen. „Woher wollen Sie wissen, dass wir das waren?!“ „Ich habe euch erkannt“, sagte Olaf. „Ihr Kinder müsst lernen, dass ihr solche Dinge nicht machen dürft. Ich habe euch beobachtet.“ „Sie alter Sack!“, schrie Nadja. Ihre Augen funkelten jetzt ähnlich wie die von T-Rex als er den Polizisten angesprungen hatte.
Einen kurzen Moment herrschte Ruhe im Gang, dann hörte ich die Sirenen des Krankenwagens.
„Sie sind da. Ich hole sie rein.“ Die alte Lehrerin kämpfte mit ihren flattrigen Nerven. Sie tippelte davon. Die Polizisten hingegen setzten ihren Kollegen aufrecht hin und prüften schon mal den Puls. Herr Limmer kam zurück. In der Hand hatte er einen kleinen ausgeräumten Hamsterkäfig. Darin lag zusammengekauert T-Rex. Der Hass aus seinen Augen war noch nicht verschwunden. Doch sie glänzten verdächtig. T-Rex weinte. Er musste Hass, Angst und Trauer zugleich fühlen. Er war bestimmt total enttäuscht. Von mir, von Olaf und von sich.
„T-Rex…“ Ich flüsterte es. Er konnte es eigentlich gar nicht gehört haben. Doch T-Rex blickte kurz auf, sah mir mit verschleierten Augen in meine und flüsterte genauso leise: „Violett. Es tut mir leid.“ Sofort kniff er die Augen wieder zusammen und eine dicke Katzenträne rannte ihm die Backe hinunter. Ich sank in mich zusammen wie ein Häuflein Elend. Wo war ich hier nur hineingeraten?
Die Polizisten nahmen alle Schüler, die noch im Gang waren mit Handschellen gefangen. Die Ärzte aus dem Krankenwagen hievten den Bewusstlosen auf ein tragbares Bett. Er zuckte manchmal und schnaufte. „Bald kommt er zu sich“, meinte einer der Ärzte.
Es hing eine Schwere in der Luft, die es schwierig machte, zu atmen. Wo waren eigentlich all die anderen Schüler? Es war so ruhig hier. Ich könnte wetten, sie wurden alle nach Hause geschickt und hatten jetzt eine spannende Story zu erzählen.
Auch die alte Lehrerin wurde von einem Arzt versorgt. Die Arme. Für sie war das hier zu viel.
Jetzt wurden Gabrielles Hände zusammen gebunden und sie musste den Zivilmännern folgen. Sie waren grob zu ihr und den anderen, etwa einem halben Dutzend Schülern. Nadja wehrte sich immer noch heftig, Maria hatte längst jeden Widerstand aufgegeben. Manuel und noch weitere Schüler starrten mit leeren Blicken zur Tür. T-Rex war längst fortgebracht worden. Es wurde immer leerer im Gang und irgendwann war ich völlig allein. Ich setzte mich hin und ließ den Kopf sinken. Dann jaulte ich laut, erfüllt von Schmerz, Hass und Ratlosigkeit, dass es die gesamte Schule erfüllte. Bis in den obersten Stock hallte das Geräusch. Der große, blaue Hai lachte spöttisch auf mich herab. „Lach nur“, giftete ich ihn an, „Du hast es leicht. Du hängst tagein tagaus im Treppenhaus, alle freuen sich, dich zu sehen. Du verbindest sie. Du hast keine Pflichten außer immer und überall anwesend zu sein und bewundert zu werden.“ Eine Bö durchzog den Gang und ließ das Tuch mit dem Hai leicht flattern.
Und dann saß ich da und ärgerte mich. Wie konnte ich nur in so etwas hineingeraten? Und was war das überhaupt genau, was mir gerade passierte? Ich hatte angefangen mein Frauchen zu verfolgen und seitdem passierten nur noch dumme Dinge. Ich fuhr mit der U-Bahn, ich lag tagelang beim Tierarzt, hatte eine Hirnerschütterung, nach mir wurde getreten, mein Frauchen wurde verhaftet und mein Freund zur Bestie. Felix bedeutet Glück. Und es bedeutet in irgendeiner anderen Form auch Katze, ich glaube, es war „felicia“ oder so. Ist aber auch egal. Ich hatte nämlich kein Glück und dabei war ich eine Katze. Von heute heißt Felix für mich Hund und Unglück…ach nein, das ist ja schon Gabbro. Dieser Drogenspürhund war eine Schande. Wobei, er tat ja bloß seinen Job. Aber er hatte mich attackiert.
Noch einmal schaute ich zu dem Hai hinauf. Sein Lachen war versteinert und er knurrte wieder, wie vorher auch. Ich wollte höflich sein. „Auf Wiedersehen.“ Oh mein Gott, ich sprach mit einem Plakat.
Zuhause war alles dunkel. Joanna war diese Woche verreist und hatte Gab das Haus überlassen. Ich kroch durch die Katzenklappe. Hier duftete es, anders als sonst, nicht nach leckerem warmen Essen. Alles war dunkel und kalt. Ich war zwar nur eine kleine Katze, doch ich konnte Lichtschalter betätigen. Ein zielgenauer Sprung und schon war die Küche erleuchtet. Doch kochen konnte ich nicht. Also saß ich auf der Küchentheke und hatte nichts zu essen. Schon blöd. Den Kühlschrank konnte ich auch nicht öffnen. Mist. Wenigstens war noch ein bisschen Wasser in meiner Schüssel.
Ich schlabberte. Das kalte Wasser tat gut. Ich fragte mich, wann Gabrielle zurückkommen würde. Sie war mit den Polizisten weggefahren. Und wer weiß, vielleicht würde sie einfach in eine Zelle gesteckt werden. Joanna käme erst in vier Tagen zurück. Was sollte ich die ganze Zeit tun? Mir fiel ein, dass es hier in der Küche einen Brotkorb, eine Obstschale und ein Gemüsefach gab, das ich mit der Pfote aufmachen konnte. Ich hatte also etwas zu essen. Ein paar warme Fleischstückchen wären mir aber lieber. Vielleicht schaffte ich es, den Fernseher einzuschalten. So einsam in einem Menschenwohnhaus zu sein war schlimmer, als alleine in der Schule zu sein. Ich wusste aber selbst nicht warum. Mit den Krallen angelte ich mir eine Birne aus der Obstschale. Ich nahm sie mit ins Wohnzimmer. Die Fernbedienung lag wie erwartet auf der Armlehne des Sofas. Ich fuhr die Krallen aus und suchte mit den Augen die einzelnen Knöpfe ab. Soweit ich wusste, drückte Gab immer den Blauen ganz oben links. Ich richtete das Teil mit der Pfote in Richtung TV und tippte mit der Kralle drauf. Zu wenig Druck. Der Knopf rührte sich nicht. Ich drückte fester. Aber eine Katzenkralle ist nicht sehr feinfühlig. Sie knickte nach hinten und die Fernbedienung fiel klappernd auf den Boden. Ich sprang mit einem Seufzer vom Sofa. Die Birne legte ich erst mal ab. Dann nahm ich die Fernbedienung ins Maul und startete oben auf dem Sofa einen neuen Versuch. Mit dem Schwanz umwickelte ich sie. So konnte sie eigentlich nicht runterfallen. Ich drückte und tippte und kratzte, doch es geschah nichts. Nur kurz nahm ich den Schwanz weg, damit der Laser einen freien Weg hatte. Da fiel das dumme Ding schon wieder zu Boden. Es klapperte und die Batterien rollten einzeln über den Fußboden. Violett, heute ist nicht dein Tag.
Nach etlichen Versuchen und geschätzten drei Stunden schaffte ich es tatsächlich, den Fernseher anzubekommen. Nicht schlecht für eine Katze, die keine Finger, so wie Menschen hat. Ich hatte sogar die Batterien hereinbekommen. Auf dem Bildschirm erschien ein Mann im Anzug, der Zettel in der Hand hatte. Er erzählte von irgendwelchen wichtigen Leuten, Politik, Geld, Banken und anderen seltsamen Dingen, von denen ich keine Ahnung hatte. Das Bild hinter ihm änderte sich und…! Ich traute meinen Augen kaum. Ein Stück Birne, an dem ich eben gekaut hatte, fiel mir aus dem Maul. Das waren Gabrielle und Maria und noch ein Mädchen mit zwei langen Zöpfen, heulend und auf einer Holzbank sitzend. „Heute früh wurden in der Mandela-South-High acht Schüler verhaftet, die in Besitz von Heroin waren. Den entscheidenden Hinweis gab ein Mann, der die Jugendlichen dabei beobachtet hatte, wie sie in einer Seitenstraße mit dem Rauschgift handelten. Die Polizei wurde alarmiert und führte eine Durchsuchung in der Schule durch. Die Schüler stritten zuerst alles ab, später auf dem Polizeirevier gestanden sie. Zuvor war in ihrer Schule aber noch einiges los. Eine wilde Katze fiel einen der Beamten an und zerkratze ihm den Kopf. Der Mann musste mit Blutungen ins Krankenhaus gebracht werden. Woher die Katze kam, weiß niemand. Eine unter Schock stehende Lehrerin der High-School berichtete von einer zweiten Katze. In wie weit die Tiere mit den Drogen in Verbindung stehen ist ungeklärt. Man geht allerdings von einem Zufall aus. Und nun zu den News aus der Promi-Welt.“ Mein Maul hing bis zum Boden runter. Ich konnte es nicht fassen. Es war im Fernsehen. Joanna würde es sehen, die halbe Welt würde erfahren, dass ich eine geheimnisvolle Rauschgift-Mieze war und dass mein Frauchen kriminelle Dinge tut. Was, wenn die Chinesen vom Souvenirladen die Sendung sahen? Würden sie zur Polizei gehen und sagen, dass ihnen diese Mädchen bekannt vorkamen? Ich wollte Gab helfen, doch es gab zwei Probleme. Erstens konnte ich nicht wirklich viel machen. Ich saß hier fest, ohne zu wissen, wo das Polizeihauptquartier ist oder ob Gab sich dort noch aufhielt. Ich könnte nichts für sie tun, wenn ich es finden würde. Die Beamten würden mich schnappen und auf diverse Krankheiten und psychische Probleme untersuchen. Oder sie würden mich einfach ins Tierheim stecken. Zweitens hatte Gab sich das selbst zuzuschreiben. Sie hatte Maria nachgegeben und zugestimmt, die Drogen zu kaufen. Jetzt musste sie ihren Mist selbst ausbaden. Drittens, und das fiel mir erst eben ein, habe ich keine Lust mehr auf weitere Abenteuer. Für den Rest meines ersten Katzenlebens habe ich genug Aufregung gehabt. Und kaum dachte ich diesen Gedanken, war ich auch schon eingeschlafen. Der Fernseher lief noch. Und wäre ich aufgeblieben, hätte ich ein Interview mit Olaf gesehen. Doch ich verpasste es. T-Rex würde mir am nächsten Tag davon berichten. Und er würde mir beichten, warum er den Mann so zugerichtet hatte.
Ich schlenderte langsam die Straße entlang. Mein Rücken tat weh und ich war ganz steif. Die Nacht auf der Sofalehne hatte mir nicht gut getan. Ich war schon immer eine Katze, die Probleme mit ihrem Rücken oder ihrem Hals hatte. Vielleicht sollte ich mal zum Arzt gehen.
Der Morgen war frisch und jung, die Luft klar. Ein paar Vögel flogen zwischen den Dächern hin und her, Autos fuhren gar keine. Heute war Samstag. Das heißt, heute gab es keinen Unterricht. Den würde es wohl eh nicht geben, nach dem, was gestern geschehen war. Die Schüler saßen jetzt alle zuhause am Frühstückstisch und erzählten ihren kleinen Geschwistern in reißerischen Sätzen und maßlosen Übertreibungen, was an ihrer Schule so los gewesen war. Ja, das konnte ich mir gut vorstellen.
Ich näherte mich der High School und somit auch dem Straßenplatz mit der Holzhütte. Ich hoffte, dort T-Rex anzutreffen. Ich musste unbedingt mit ihm sprechen. Immerhin hatte er gestern fast einen Menschen getötet. Und mich beschlich der Verdacht, dass er das wegen mir getan hatte. Er hatte gehört, wie der Glatzkopf mich beleidigt hatte und ist dann erst wütend geworden. Er wollte sich dafür rächen und vielleicht wollte er mir auch zeigen, dass niemand mich ärgern durfte. Und ich muss gestehen… das wäre süß. Ich bin sarkastisch?! Oh, dann möchte ich dich mal erleben, wenn jemand für dich und deine Ehre töten würde.
Die Pflastersteine unter meinen Pfoten wurden kleiner und glatter. Ich war auf dem runden Platz gekommen. Die Holzhütte war zu. Kein Geruch von exotischem Fisch, kein Olaf und – kein T-Rex!
„T-Rex?“ Ich fragte in die Stille hinaus. Er musste doch irgendwo hier sein. „T-Rex!“
Nein, er war ganz sicher nicht hier. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich gar nicht wusste, wo Olaf wohnt. Meistens ist er hier an seinem Fischstand. Ich war noch nie bei ihm zuhause gewesen. Genauso wenig, wie T-Rex in Joannas Haus war.
Ich seufzte. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo ich hingehen sollte. Ich vermutete, dass sie im Polizeirevier waren. Mit „sie“ meinte ich Olaf, T-Rex oder zumindest Gab und ihre Gang. Nur wo befand sich dieses Polizeirevier? Jedenfalls nicht hier.
Wenn ich hier sitzen bleiben würde, würde ich es auch nicht finden. Aufstehen Violett, beweg dich! Na wenn du meinst, sagte ich in Gedanken zu mir selbst. Autsch. Mein Rücken. Schon wieder. Wie eine Eidechse, die noch nicht genug Sonne getankt hatte, rappelte ich mich auf und tapste Schritt für Schritt zur Hauptstraße.
Ein paar wenige Autos und Fahrräder fuhren hier entlang. Alle Richtung City. Ach Mensch, jetzt ist es sowieso egal, was ich tu. Mit diesem Gedanken sprang ich vom Boden hoch und klammerte mich an den Kofferraum eines recht langsam fahrenden Autos. Stück für Stück zog ich mich bis aufs Dach und hielt mich an der Antenne fest, die unsicher im Wind wehte. Die Häuser flogen links und rechts an mir vorbei. Schön hier oben. Ich wusste nicht, wo der Fahrer des Autos hinwollte. Doch er fuhr wie alle anderen auch, mitten in die Stadt hinein. Und dort wollte ich nach dem Polizeirevier suchen.
Das Auto fuhr über die schöne lange Brücke. Unter mir glitzerte das Meer. Es roch nach Salz. Vor mir bauten sich die Wolkenkratzer auf. Ihre verspiegelten Fenster glitzerten mit dem Meer um die Wette. Kaum auf der Insel angekommen, bog das Auto nach rechts. Logisch. Was wollte es auch links? Es war schließlich Samstag und samstags hatte kein Mensch etwas im Finanzviertel verloren.
Das Auto wurde immer langsamer. Mir passte das gar nicht. Zwar war es einfacher, die Antenne unter Kontrolle zu halten, doch ich wollte noch ein Stück weiter kommen. Ich konnte nichts tun, das Auto hielt an. Ich sprang auf den Gehweg. Auf der anderen Seite stieg eine Frau aus. Sie trug ein sonnengelbes Kostüm. Ohne mich anzusehen verschwand sie in einem winzigen Vorgarten eines heruntergekommenen Hauses. „Danke für’s Mitnehmen“, miaute ich. Die Frau drehte sich nicht um.
Ich blieb auf dem Bürgersteig sitzen und lies den Kopf hängen. Gerade wollte ich überlegen, wie ich zur Polizeistation finden sollte, da hörte ich hinter mir eine Stimme.
„Na, hast du dich verlaufen?“ Ich drehte den Kopf. Auf der anderen Straßenseite hockte ein Kater. Er war grau und groß. „Ich kenne dich nicht. Du wohnst nicht hier, stimmt‘s?“ Ich nickte. „Das hatte ich mir gedacht“, schnurrte der Kater und kam über die Straße. „Weißt du“, fragte er mit ein wenig Hochnäsigkeit, „es ist nicht gut für eine Mieze wie dich, ganz allein hier zu sein. Hier wohnen ein paar böse Straßenköter, die dreckige Fantasien haben.“ Ich sagte gar nichts. „Hey, warum so schweigsam Mäuschen?“ Seine Stimme klang wunderschön. Warm, schmeichelnd, geheimnisvoll, mit einem Unterton wie schwarzes Sandpapier. Und eitel.
Ich konnte immer noch nichts sagen. Ich wüsste gar nicht, was ich sagen sollte. Ihm erzählen, dass ich die Polizeistation suche? Vielleicht kennt er ja den Weg.
„Na was ist?“, fragte er mit seiner wunderschönen Stimme. Er schlich um mich herum, schaute mich mit durchdringenden Augen an.
„Ich bin auf der Suche nach dem Polizeirevier. Mein Freund ist dort. Ich muss zu ihm.“
„Zu deinem Freund. Das ist interessant. Wie heißt der Glückliche denn?“ „Er ist nicht mein Freund, so wie du es meinst. Er ist eher ein Kumpel. Ein Kumpel, der sich für mich eingesetzt hat.“ Der graue Kater nickte. Und er grinste. Das Grinsen passte zu ihm. Es war genauso angenehm und undurchschaubar wie seine ganze Art. „Mäuschen, wenn du willst, zeige ich dir den Weg zu deinem Ritter.“ Mein Ritter? Er nannte T-Rex einen Ritter. Diese Bezeichnung wäre mir im Traum nicht eingefallen. War ich überhaupt wach? Dieser graue Kerl verwirrte mich.
Er schlich wieder um mich herum. Diesmal enger. Ich spürte sein Fell an meinem und bekam eine Gänsehaut.
„Soll ich ihn dir zeigen?“ Ich hatte völlig vergessen, zu antworten. Ich nickte kurz und heftig. Der Kater musste erneut grinsen. Er machte sich über mich lustig. Ich spürte das. Aus der sonst so schlagfertigen und schlauen Violett war ein stumm nickendes, paralysiertes Dummchen geworden.
„Okay.“ Ein bisschen was von dem geheimnisvollen Ton der Stimme verschwand. Aber das warme Sandpapier blieb.
„Wer bist du?“, fragte ich. Toll Violett, du hast einen Satz gebildet! Der Kater antwortete: „Ich bin Chester. Und wer bist du, mein kleines hübsches Mäuschen?“ „Ich bin Violett.“ Meine Stimme zitterte.
„Nein“, lachte Chester. „Du bist beige.“ Ich wusste, dass er sich dumm stellte. Also sagte ich nichts.
„Du willst zur Polizei um deinen Freund, entschuldige, Kumpel zu finden. Wurde er verhaftet? Seit wann verhaften die Katzen?“ Jetzt musste ich die Zähne zusammenbeißen und durch. Ich musste ganze Sätze bilden, mehrere sogar, um Chester die Geschichte erzählen zu können.
„Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass gestern in der High-School die Polizei nach Drogen gesucht hat. T-Rex und ich waren dort und“ Ich musste erst mal Luft holen. „Und einer der Polizisten wollte, dass man mich rausschmeißt. Da ist T-Rex auf ihn losgegangen. Er hat ihm den Kopf blutig gekratzt. Der Mann war bewusstlos. Sie denken, dass er Tollwut hat.“ Nochmal atmen.
„Der Polizist soll Tollwut haben?“ Chester machte große Augen und ich wurde ein bisschen wütend, weil er mich so auf die Schippe nahm. „Nein!“, fauchte ich. „T-Rex, mein Kumpel soll Tollwut haben. Die haben ihn mitgenommen. Jetzt wird er bestimmt in einen Käfig gesteckt.“ Chester nickte mehrmals und blickte nachdenklich auf den Boden.
„Weißt du Mäuschen, ich helfe dir. Aber nur, weil du so hübsch bist.“
Meinte er das ernst oder war das nur so ein Spruch, den er sagte, um cool rüber zu kommen?
Egal. Darüber konnte ich mir später Gedanken machen. Jetzt musste ich T-Rex finden. Und achja, Gab existierte ja auch noch.
11. Kapitel
Ich tappte Chester hinterher. Er lief zielstrebig gen Norden. Seit wir losgelaufen waren, hatte keiner von uns mehr ein Wort gesagt. Chester grinste fast die ganze Zeit vor sich hin. Und ich lief hinterher und dachte die meiste Zeit einfach gar nichts. Links, rechts, meine Beine bewegten sich und der Boden flog unter mir vorbei. Mehr dachte ich in diesem Moment nicht. Manchmal klang die Stimme von Chester in meinem Kopf und ich merkte immer aufs Neue, wie schön sie klang.
Plötzlich blieb Chester einfach stehen und ich wäre ihm beinahe von hinten rein gerannt.
„Da stehen die Polizeiautos. Hier müssen wir richtig sein.“ Er blickte hinauf zu einem großen Haus aus grauem Stein, das mit vielen kleinen Fenstern versehen war. Es war hoch, aber kein richtiges Hochhaus. „Warst du schon mal da drin?“, fragte ich. Chester schüttelte den Kopf. „Aber manchmal laufe ich hier vorbei und sehe, wie sie gruselige Männer mit Zeichnungen auf der Haut oder alt aussehende Frauen aus den Autos zerren und zur Tür schleppen. Ab und zu hört man auch Schreie. Nachts ist es jedenfalls äußerst gruselig.“ Ich merkte, dass Chester vor mir angeben wollte. Und obwohl ich es durchschaute, funktionierte es. Ich glaubte, dass Chesters Leben voller irrsinniger Stories und dunkler Geheimnisse war.
„Ich glaube es ist zu gefährlich für dich, dort alleine reinzugehen, Mäuschen“, meinte Chester. „Warum nennst du mich immer Mäuschen?“, fragte ich neugierig. „Na“, grinste Chester, „weil du klein und süß und lecker bist. Wie ein Mäuschen.“
Das war nichts weiter als ein billiger Anmachspruch. Ich guckte ihn skeptisch an. „Lecker.“
„Ach Mäuschen“, säuselte Chester, „Ich nenne dich einfach Mäuschen, weil es so schön klingt. Findest du den Namen nicht schön?“ Und schon war ich wieder hin und weg. Dieser Chester musste mich hypnotisieren. Ich war ihm absolut verfallen.
Chester guckte erst links, dann rechts die Straße entlang. Dann ging er los. Er sagte nichts. Auf der anderen Seite angekommen hüpfte er spielerisch über die Grenze zum Polizeigelände. Ich kam hinterher. Wir liefen ehrfürchtig über den Parkplatz auf dem viele Autos standen, allesamt groß und dunkel. Es waren nicht die offiziellen Polizeiautos. Trotzdem sahen sie sich alle ähnlich. Chester sprang von Autodach zu Autodach, immer darauf bedacht, cool zu wirken. Ich suchte das Gebäude nach einer Eingangstür ab. Doch ich fand nur massive Betonmauer. „Der Haupteingang ist auf der anderen Seite“, sagte Chester, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Wir sind jetzt genau auf der gegenüberliegenden Seite. Und wenn wir dort vorne nach rechts abbiegen, kommen wir zur Tiefgarage, wo die ganzen Dienstautos stehen.“ „Woher weißt du das?“, fragte ich. Chesters schmunzelndes Lächeln machte sich breit. „Ich lebe auf der Straße und ich erkunde alles hier in der Gegend.“ „Das heißt du hast kein Zuhause?“ Das klang irgendwie spannend. Aber auch ziemlich ungemütlich. „Nein“, antwortete Chester, „Ich bin ein Straßenkater. Von Menschen halte ich mich lieber fern. Geboren wurde ich im Norden der Stadt. Dort, wo feine Mäuschen wie du besser nicht hingehen.“
Inzwischen hatten wir das Betonhaus beinahe umrundet. Ich konnte die Eingangstür mit dem Dach darüber sehen. Sie lag einsam und trügerisch still da. Als wir vor der Tür die Treppenstufen raufgingen, fragte Chester: „Hast du Angst?“ Nunja, dachte ich, es war nicht unbedingt Angst. Es war eher eine bohrende Neugier und vor allem die Ungewissheit, was dort drinnen geschehen wird. „Nein“, sagte ich.
„Also gut.“ Der Kater lehnte sich gegen die Tür und unter einem Ächzen öffnete sie sich. Im Haus war es sehr kalt. Die Wände waren gefliest und alles sah abweisend aus. Die Türen waren schwer und aus Metall. Es gab keine Bilder und keine Farben hier. Ab und zu standen ein paar Holzstühle auf der linken Seite. Die Tür fiel hinter uns zu und es hallte laut. Ich zuckte zusammen. „Na, doch Angst?“ Chester amüsierte sich. Und er war entweder ein äußerst talentierter Schauspieler oder er hatte tatsächlich keinerlei Angst. Von irgendwo waren die gedämpften Stimmen von Menschen zu hören. Das eine war ein Mann, seine Stimme war tief und unfreundlich. Die andere war hoch, zittrig und wurde immer wieder von Schluchzen unterbrochen. Chester horchte angestrengt. „Das kommt von oben“, sagte er. Und schon war er losgerannt. Weiter hinten im Gang war ein Treppenhaus. Ich blieb erst einmal am Fuß der Treppe stehen und blickte nach oben. Das Geländer wund sich nach oben und schien nicht mehr aufzuhören. „Komm schon!“ Chester war bereits im 2. Stock. Ich rannte hinterher. Jede Etage sah gleich aus. Und an jedem Treppenabsatz prangte eine dunkelblaue Zahl. Ich vermutete, dass sie das Stockwerk angab, in dem man sich befand. Zwei, Drei, Vier. Die Zahlen wurden höher, die Stimmen deutlicher. Im fünften Stock blieben wir stehen. Man konnte die Menschen jetzt ganz genau hören. Der Mann fragte mit einem genervten Unterton: „Woher habt ihr das Geld für solche Aktionen, verdammt?!“ Die hohe Stimme, es war ein Mädchen, schluchzte und schnäuzte. „Wir… haben gespart.“ „Ihr wollt damit sagen, dass ihr das Geld also nicht gestohlen habt?“, hakte der Mann nach. Die Mädchenstimme fiepte: „Ja.“ „Ihr könnt mir nicht weißmachen, dass Jugendliche wie ihr so viel Geld haben!!!“ Der Mann brüllte fast. „Das können sie gar nicht wissen!“, schnauzte das Mädchen zurück. „Vielleicht haben wir ja reiche Eltern.“ „So seht ihr nicht gerade aus“, spottete der Mann verächtlich. „Ich seid nur kleine Straßengangster.“
„Ist das dein Frauchen?“, fragte mich Chester. Ich schüttelte den Kopf. Gab war es nicht. Doch ich vermutete, dass es Maria war. „Ich glaube, es ist ihre Freundin.“ Chester und ich saßen da und wussten nicht recht, was wir tun sollten. Wir saßen nur da und lauschten angestrengt. Was würde der Mann als nächstes fragen?
„Wie heißt du, Mädel?!“, donnerte die Stimme des Mannes. „Maria.“ „Und weiter!“ Ein Fußstampfen ließ den Boden erschüttern. „Ich will deinen Nachnamen!!“ Maria weinte. „Ich heiße Maria Barkley.“ Der Mann lief hin und her. Ich spürte jeden seiner Schritte. „Also, Barkley. Du willst mir also sagen, dass du und deinen Freundinnen über eine lange Zeit Geld gespart haben um sich dieses Teufelszeug leisten zu können. Wie kamt ihr denn mit den Dealern in Kontakt?“ Maria antwortete überraschend selbstsicher: „Betty kennt den Dealer. Er ist ihr Cousin. Und er hat uns das Teufelszeug billiger verkauft, als es sonst ist.“
Mir fiel gerade auf, dass Marias Bruder nirgends zu sehen war. Sagte sie nicht, er sei Cop? Dann müsste er irgendwo in diesem Haus sein. Und er half seiner Schwester nicht aus der Patsche. Der zornige Mann würde bei Marias Mutter anrufen und ihr eine Strafe geben, das war sicher. Vielleicht würde sie sogar eingesperrt werden. Und wenn Maria eingesperrt wird, dann auch Gabrielle. Und was war überhaupt mit T-Rex? Was, wenn sie ihn einschläfern würden? Ich zitterte. Chester bemerkte es. „Hey. Ganz ruhig mein kleines Mäuschen. Wir finden dein Frauchen und befreien sie.“ Wie er das sagte, klang das alles, als sei es ein Film. Ein Film, in dem sowieso alles gut ausgehen wird und bei dem man sich keine Sorgen machen musste. Nur hallo lieber Chester, wir sind nicht in einem Film.
„Kann es sein, dass du nicht sehr viel gewohnt bist?“ Chester sah mich skeptisch an. Ich wusste, dass er mich für ein verhätscheltes Weichei hielt. Hallo Chester zum zweiten Mal, ich bin ein Weibchen. Und Weibchen sind nicht aus Stein.
Ich schreckte zusammen. Die eine Tür, direkt vor uns, sie öffnete sich. Heraus kam zuerst ein dicker, speckiger Arm, dann ein ganzer Mann. Der Mann war hässlich und übel gelaunt. Er stemmte die Tür weiter auf und schleifte Maria an Handschellen hinter sich her. Sie blickte mit verheultem Gesicht zu Boden und lies sich mitnehmen. Ihre Haare, die sonst so wunderschön glänzten, sahen im Neonlicht blass und gespenstig aus. Ihre Schminke war verwischt, der Jackenärmel ganz feucht von den Tränen und schwarz vom Kajal.
Weder der Mann, noch Maria sahen die beiden Katzen, die wie Statuen hinter der Tür kauerten. Sie gingen auf einen Fahrstuhl zu. Der Mann hämmerte gegen den Knopf und ein Licht leuchtete über seinem Kopf auf. Dann verschwand er in der Kabine und war fort.
„Meinst du, er fährt hoch oder runter?“, fragte ich Chester. Der ging zwei Schritte auf den Fahrstuhl zu und sagte dann: „Nach oben.“ Woher er das wusste war mir egal. Ich wollte dem Mann hinterher. Wir hechteten die Etagen hoch. Dreimal stieß ich mir die Pfote an den Treppenstufen, die mir ungewöhnlich hoch vorkamen. Chester stieß sich gar nichts. Er jagte die Treppe hoch, als ob er es gar nicht täte. Seine Gedanken schienen weit weg, sein Atem war absolut ruhig. Nach weiteren drei Stockwerken hörten wir ein Klicken. Es bedeutete, dass der Lift angekommen war. Wir sprangen unter eine seltsame Vorrichtung, auf der ein Wasserbehälter stand. Ich presste mich gegen Chester. Für einen kurzen Moment konnte ich seine raue Wärme genießen, dann mussten wir weiter. Der Mann und Maria gingen den Flur hinunter. Das Licht war ausgeschaltet und es war sehr dämmrig hier. Aber auf dieser Etage waren mehrere Leute. Man hörte ihre zum Teil leisen, zum Teil lauten Stimmen von überall. Wumm. Eine der schweren Türen fiel ins Schloss. Es vergingen nur Sekunden, dann öffnete sie sich wieder und etwa 20 Leute kamen aus der Tür. Es waren die acht Schüler aus der Mandela-South-High und viele Beamte in Arbeitskleidung. Alle Schüler waren mit Handschellen an den Arm eines Polizisten gebunden. Vor und hinter der Truppe liefen zwei kräftige dunkle Frauen, die Waffen bei sich trugen. Die Karawane lief an unserem Versteck vorbei. Da waren auch die Beine von Gab dabei. Ich kannte doch diese zerfetzte Hose mit der Blumenstickerei am Schlag. Die vielen Schritte wurden zu einem nervenden Lärm. Alle Personen gingen die Treppe runter. In den Lift hätten sie gar nicht erst gepasst. Chester putzte sich. Er war total gelassen. „War da jetzt dein Menschlein dabei?“ „Ähm..ja.“ „Dann los!“ Chester preschte aus dem Versteck und sauste auf die Treppe zu. Wie ein wilder Tiger sprang er die Stufen in Zehnersätzen hinunter. „Chester!“ Ich wollte ihn zurückrufen. Zu spät. Ich war kaum eine Etage weiter unten, als ich Fauchen, Fluchen und Schreie hörte. Es klang fast so, wie in der Schule, als T-Rex dem Glatzkopf die Haut zerkratzt hatte. Aber es war lauter, hysterischer und weiter entfernt. Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Wenn Chester eines nicht war, dann zimperlich. Ein Mädchen schrie laut auf. „NEIN! Nicht schon wieder so ein Vieh!“ Ein Schuss ertönte. Er durchschlug meine Ohren und ich jammerte. Katzen hören alles sehr laut.
Ein Mann stotterte wirre Worte. Hilfe, weg, Katze, Samantha. Mehr brachte er nicht heraus. Noch ein Stockwerk, dann wäre ich da. Ich kniff die Augen zu. Wollte ich wirklich sehen, was Chester angerichtet hatte. Aus einer Tür über mir kamen eilige Schritte. Ein Mann mit weißem Hemd, Brille und einem Käfig unter dem Arm kam herangeeilt. „Was ist los?“ Er blieb abrupt stehen. Genau neben mir. „Oh mein Gott“, kam wie gehaucht aus seinem Mund. „Das muss ein neues Virus sein.“ Ein Virus? Was hatte das denn zu bedeuten? Dann roch ich es. T-Rex!
„Violett? Bist du es?“ Aus dem Käfig unter dem Arm des Mannes kam eine vertraute Stimme. Und schon war sie wieder weg. Der Mann rannte den letzten Absatz hinunter zu der Gruppe. Ich nahm mich zusammen und wagte einen Blick. Es war fast, wie ich es erwartet hatte. Gab, Nadja und noch ein Mädchen hockten wie versteinert auf dem Boden. Ein Junge, der kleiner war als der Rest, weinte. Eine der dunklen Frauen hatte ihre Pistole in der Hand. Zwischen ihnen lagen zwei Polizisten auf dem Boden. Und auf dem Brustkorb des einen, der den Arm seltsam verdreht von sich gestreckt hielt, saß mit vom Wahnsinn erfüllten Augen Chester. Er schnaufte und seine Muskeln zuckten. Der eine Polizist auf dem Boden hatte eine zerrissene Jacke. Der anderen Blutete am Mund. Warum hatte Chester das getan? Jetzt sah ich etwas, das der Grund sein könnte. Gab und zwei andere Schüler waren nicht mehr gefesselt. Ihre Handschellen lagen auf dem Boden. Chester musste sie geknackt haben mit seinen Krallen. So, wie ich Olafs Hütte geöffnet hatte. Die Polizisten wollten den Kater wahrscheinlich verscheuchen. Doch Chester hatte sich gewehrt.
Nur woher wusste Chester, welches der Mädchen ‚mein Menschlein‘ war? War es Zufall, dass er Gab befreit hatte? Oder war er nach Geruch gegangen und hatte all die Schüler befreit, die nach Katze rochen? Ein Wunder war es auf jeden Fall, dass er in dieser Windeseile gleich drei Häftlinge befreien konnte. Alle Achtung, Chester. Das hätte T-Rex nicht geschafft.
Der Mann mit der Brille reagierte blitzschnell. Er klemmte T-Rex fester unter die Achseln. Mit den Händen griff er gezielt nach Chester. Erst packte er ihn am Hals, so dass der Kater ihn nicht beißen könnte, dann an den Hinterbeinen, damit er nicht strampeln konnte. Chester hatte keine Chance. Der Mann nahm ihn mit hoch. Der Polizist mit der zerfetzten Jacke stöhnte. „Hilft mir mal jemand auf?“ Ein Kollege kam ihm zu Hilfe. Eine Politesse sagte: „Ich befürchte, wir müssen eine Seuchenwarnung aufgeben. Jede Katze muss untersucht werden. Wie unser Laborleiter gesagt hat muss es sich um ein neuartiges Virus handeln, das Katzen aggressiv gegenüber Menschen macht. Vielleicht sogar noch mehr.“ Die Polizisten nickten. Der böse Mann, der Maria verhört hatte, zückte ein Funkgerät. „Hey, hier Polizeistation Manhattan. Geben Sie bitte eine Seuchenmeldung bekannt. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um eine Krankheit, die Katzen angriffslustig macht.“
Ich schüttelte seufzend den Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein. Waren die Menschen immer so voreilig? Zwei Angriffe von Katern auf Menschen und die vermuten gleich eine lebensbedrohende Invasion?! Meine Frage erübrigte sich im nächsten Moment. Die kräftigste der Frauen lachte ein lautes Lachen: „Endlich mal was los in diesem Saftladen.“
Aha, dachte ich, es war also nichts weiter als Sensationsgier und Abenteuerlust.
Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, Gab zu trösten und ihr schnurrend um die Beine zu laufen. Doch das klang jetzt nicht sehr clever. Sobald mich einer der Polizisten bemerkte, würden sie auch bei mir diese Krankheit vermuten und ich würde in das Labor…ha! Das war die Idee. So kam ich ins Labor zu T-Rex und Chester. Hör zu Gab, ich benutze dich jetzt aus egoistischen Gründen. Bitte verzeih mir. Ich muss meine Freunde etwas fragen. Du kommst schon allein klar. „Miau, mau.“
Der kleine Junge schaute zuerst. „Ah! Noch eine!“ Er zeigte panisch auf mich. Ich lief seelenruhig den Treppenabsatz runter. 30 Augen starrten mich fassungslos an. Niemand tat etwas. Ich glaube, ich sah zu friedlich aus. Ich ging zu Gab. Sanft schnurrte ich ihr ins Ohr. Mein Frauchen wischte sich eine Träne weg. „Das Zeug ist nicht gut für mich. Überall sehe ich meine Katze.“ Also bitte, jetzt hältst du mich schon für eine Rauschvorstellung. Na warte, wenn ich dich in die Krallen kriege!
Ich sprang Gab auf den Schoß. Eine Halluzination konnte man nicht spüren. Sie musste mich also als echt erkennen. Ich hatte Recht. Gab merkte, dass ich echt war. Sie war total überrascht und ließ einen spitzen Schrei durch den Flur schallen. Jetzt handelten die Zivilbeamten. Ein alter Mann mit hässlichen Augenbrauen und leuchtend grünen, argwöhnischen Augen schnappte mich am Schwanz. Es tat weh. Aber es erfüllte seinen Zweck. Ich tat, als ob ich mich fürchterlich wehren würde. „Halt still!“, zischte der Mann. Und schon lief er mit mir die Treppe hoch. Sekunden später wurde ich unsanft auf einen Metalltisch geworfen. Hier roch es total beißend und nach übler Medizin, nach Essig, Hustensaft und Urin. Ekelhaft. Chester lag neben mir mit Gurten auf eine Fläche gekettet flach auf dem Bauch. „Sieht unbequem aus.“ Er antwortete nicht. Auf einer langen Theke voller fremdartiger Geräte und Behälter stand der Käfig mit T-Rex.
„T-Rex. Wie geht es dir?“ „Oh…“, maunzte T-Rex giftig, „sehr gut, weißt du.“
„Ich habe dich nicht in diese Lage gebracht. Du hast den Polizisten fast umgebracht.“ „Danke“, schnauzte T-Rex mich an, „dass du mich daran erinnerst. Ich habe es wegen dir getan. Ich wollte dich verteidigen. Der alte Sack! Was hat der sich erlaubt? Und ohnehin, ohne deine verfluchte Neugier wäre ich nie in diese Menschenanstalt gegangen.“
T-Rex war wütend. Auf mich, auf sich, auf die Polizei. Und er war verwirrt. „Ach Junge, ich kann doch nichts dafür. Ich wollte wissen, was Drogen sind und ich wollte Gab helfen. Als Olaf kam, wolltest du auch unbedingt wissen, was los ist.“ Ich bot ihm den Frieden an. „Ich kann auf deinen Frieden verzichten. Du sagtest, dass du Gab helfen willst. Ja und wobei, wenn ich fragen dürfte? Du hast ihr noch nie geholfen. Und das kannst du auch nicht. Wir sind nur Katzen. Alles was du kannst, ist sie verfolgen und dich in ihr Privatleben einmischen. Sag mir, was hast du bisher für sie getan, dass ihr wirklich geholfen hat?“ Stille. T-Rex‘ Worte brannten in meinen Ohren und in meiner Brust. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Der kleine, sonst so ahnungslose Kater hatte Recht. Ich hatte mir immer eingeredet, dass ich für Gabrielle zur Stelle sein wollte, wenn es brenzlig wird. Jetzt war es brenzlig und ich hatte noch gar nichts getan, das ihr half. Weder im Macy’s noch in der Schule. Immer nur hatte ich sie beobachtet. Ich war so sensationsgierig wie die dicke Polizistin. Mein Leben war mir zu öde, also warf ich mich in Missionen und Abenteuer. Ich half Gab nicht, ich beneidete sie um ihr Menschendasein. Gab konnte zur Schule gehen, sie konnte einkaufen und sie konnte tanzen.
Menschen beneiden Katzen um ihre scharfen Sinne oder ihr sorgloses Leben. Aber ich wünsche mir, ein Haus zu haben, einen Fernseher und Klamotten. Ich will Grillfeste feiern oder zu Veranstaltungen gehen, ohne getreten oder geknuddelt zu werden.
Aber ging es nur mir so, oder hatten T-Rex und Chester ähnliche Sorgen?
„Ähhm, T-Rex, ich habe eine etwas komische Frage: Bist du froh, eine Katze zu sein oder wärst du manchmal gerne ein Mensch?“ T-Rex lachte kurz und verächtlich. „Ein Mensch? Also ich will nicht in diese gruselige Schule gehen müssen oder arbeiten um Geld zu verdienen. Und ich will nicht von dir verfolgt und pseudobehütet werden.“
„Chester?“ Ich fragte zaghaft nach der Meinung des coolen Straßenkaters. „Ich weiß es nicht. Ich denke, beides ist cool. Wie du aussiehst ist egal. Hauptsache du lebst ein freies Leben ohne Grenzen oder Verantwortung.“ „Aber als Mensch wärst du jetzt nicht mit Gurten gefesselt.“ Chester nahm die Situation mit Humor: „Also ich find’s cool. Dieses Labor hat eine geile Aura.“
T-Rex schnupperte demonstrativ die Laborluft. „Hier stinkt es.“ „Hab ich gesagt, dass es hier gut riecht? Nein. Ich finde es hier auch ekelhaft. Es ist kalt, die Luft ist schwer und alt. Und überall sieht man Dinge, mit denen man Gott weiß was anstellen könnte. Aber es hat was.“
Wir verstummten alle, als der Labormann zu der Platte mit Chester kam. In der Hand hielt er ein leeres Rohr mit einem langen Stab vorne. Es sah fast aus wie die Spritzen von Tierarzt, nur größer, schwerer und schmerzhafter. Der Mann drückte von hinten einen Stopfen in das Rohr. Dann stach er Chester in den Rücken. Der Kater zuckte kaum. Er biss bloß die scharfen Zähne zusammen. Der Mann zog den Stopfen langsam wieder nach hinten und das Rohr füllte sich mit warmen, dunklen Blut. Ich konnte nichts dafür und ich schämte mich auch sofort. Aber der Geruch und Anblick des Blutes ließ den Appetit in mir ansteigen. Ich leckte mir über das Mäulchen und sog den Geruch in mir auf. Ich hatte lange kein warmes Fleisch mehr gefressen. Immer nur Dosenfutter, altes Brot, Gemüsereste. Nicht übel aber auf Dauer langweilig. Chester hatte den Kopf in meine Richtung gedreht. Er musste in meinen Augen erkennen, was ich dachte. „Wenn wir hier raus sind, gehen wir gemeinsam auf die Jagd, Mäuschen.“ Ich miaute wild und verspielt zugleich. T-Rex fauchte: „Keine Zeit für solche Gedanken! Ich will hier raus. Sofort! Violett, hol mich raus!“ Ich hörte sein Klagen nur gedämpft. Ich war gefesselt von Chesters Blick. Seine Augen waren braun und sie durchbohrten mich. Ich blickte Chester nicht normal ins Gesicht. Ich war nur auf dieses geheimnisvolle Funkeln fixiert. Mein Schwanz zuckte. Ich konnte meine Augen nicht von denen des grauen Katers abwenden. T-Rex jammerte weiter. Ich hatte keine Ahnung, was er sagte. Ich lief vorsichtig über den Tisch. Meine Pfoten tasteten den Untergrund ab. War da eine Spalte oder etwas Spitzes? Ich konnte nicht nachsehen, denn mein Blick wollte sich nicht bewegen. Ich kam bei Chester an, ohne mich verletzt zu haben. Er knurrte wie ein zufriedener Tiger. „Oh Mäuschen“ Der Kater starrte mich jetzt fast genauso an, wie ich ihn. Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Am liebsten wäre es mir, wenn sie stehenbleiben würde. T-Rex zerstörte die Atmosphäre mit einem wütenden „Violett, wenn du nicht sofort herkommst und mich hier rausholst, dann kannst du meine Freundschaft vergessen!“ „Jetzt halt mal die Luft an, Mieze“, zischte Chester zurück. „Violett hat dir nie gesagt, dass du wie ein wilder auf einen Mann losgehen sollst. Mir hat sie es auch nicht gesagt. Sie trifft keine Schuld.“
T-Rex versuchte vergeblich, seinen Kopf durch die Käfiggitter zu stecken. Er und Chester konnten sich nicht in die Augen sehen. Und das war gut so, denn es soll ja Blicke geben, die töten können.
„Du hast hier gar nichts zu sagen, dreckiger Penner! Du willst dich doch nur bei ihr einschleimen!“ „Und wenn schon“, pfefferte Chester zurück. „Ich sage trotzdem die Wahrheit. Du bist doch nur mit deinen Nerven am Ende und musst dich an irgendwem abreagieren. Und, achja, du denkst du bist ein ganz großer Held, weil du dich für deine Freundin eingesetzt hast.“
T-Rex schnappte nach Luft. „Du bist doch auch nicht so cool, wie du tust. Du würdest dich sicherlich freuen, wenn irgendeine alte Dame dich findet und vor den Kamin legt und dir Milch gibt. Du bist einsam und machst dich an meine Violett ran.“ „Deine Violett? Ich dachte, ihr seid nur Kumpel.“ Chester machte sich sichtlich über T-Rex lustig. Ich war in diesem Moment nur froh, dass sie in einem Käfig bzw. auf eine Platte geschnallt waren. Sonst würden sie jetzt kämpfen. Und ich meine nicht spielen, ich meine richtig kämpfen. Bis aufs Blut.
„Ruhe ihr Dreckstiere!“ Der Labormann hatte das Fauchen gehört. Er kam mit Handschuhen an den Händen zu uns zurück.
„Seid still Jungs. Je aggressiver ihr seid, desto eher denkt er, ihr wärt krank. Bitte.“
Sie beachteten mich nicht. Der Labormann zurrte die Schnallen an den Gurten noch enger. „Ich glaube, die Lage ist ernst. Ihr seid nicht krank, ihr seid besessen.“
Chester ächzte und schnaufte. Er konnte sich nun gar nicht mehr bewegen. Er versuchte, sich aus den Halterungen hinauszuwinden, doch er hatte keine Chance. T-Rex schleuderte sich immer wieder gegen die Wand seines Käfigs. Er kam der Thekenkante näher. Plumps. Der Käfig fiel hinunter. Es schepperte und klirrte. Ich wirbelte herum. T-Rex war frei. Er hatte den gesamten Käfig zerstört. Er kam zu mir auf den Tisch gesprungen und baute sich vor dem ohnmächtigen Chester auf. „Du armseliger kleiner Aufreißer. Gefällt es dir da unten? Ich hoffe, du endest als Versuchstier.“ In T-Rex Augen loderten Flammen. Dann spuckte er Chester ins Gesicht, genau ins Auge. „Das hast du verdient. Unterschätze niemals einen Tyrannosaurus Rex.“ Chester kniff die Augen zusammen. Ich konnte sehen, wie er litt. „Hör auf“, flehte ich T-Rex an. T-Rex sprach einfach weiter. „Rex, das bedeutet König. Und das heißt, dass die Prinzessin mir gehört.“ „Ich dachte…“ Chester mühte sich mit jedem Laut ab. Er war kurz vor dem Zusammenbrechen. Die Gurte saßen extremst fest. „…du bist wütend auf das Mäuschen.“ T-Rex sagte gar nichts. Er spuckte noch einmal. Diesmal noch heftiger und mit noch mehr Speichel.
Der Labormann, der in der Zwischenzeit wohl irgendetwas geholt hatte, kam zur Tür herein. Ich sprang vom Tisch und verschwand zwischen seinen Beinen nach draußen. Ich weiß nicht, ob er noch etwas sagte. Und in diesem Moment wusste ich auch nicht, was T-Rex mit Chester anstellen würde. Alles was ich sah, war ein grauer Schleier, ein feuchter Schleier, direkt vor meinen Augen. Meine Beine suchten sich den Ausgang selbst. Die Schüler waren längst fort. Die Tür war schwer zu öffnen. Mir war es egal. Ich musste raus. Die Mittagssonne fiel warm auf meinen Rücken. Nach der Kälte im Gebäude brannte sie regelrecht. Der Schleier wurde dichter, ich sah und hörte nichts mehr. Und dann fiel die erste Katzenträne vor mir auf den Asphalt. Du glaubst nicht, dass Katzen weinen können? Ich kann es.
Der Schleier wurde durchsichtiger. Und mittlerweile hatte ich mich an die warmen Sonnenstrahlen gewöhnt. Ich war lange einfach geradeaus gelaufen. Zwischen Menschenbeinen hindurch, quer über die Straßen. Jetzt war ich am Rande des Central-Parks. Es war alles recht hektisch hier. Samstags waren viele Berufstätige shoppen. Die Straße war voll von schlendernden oder eilenden Frauen. Mich beruhigte das Treiben. Alles war mir lieber als das sterile Labor. Stopp, Violett, du darfst nicht an das Labor denken. Dort drinnen sind, soweit du weißt, dein ehemaliger bester Kumpel und ein geheimnisvoller Kater, der dich verzaubert hat. Doch du weißt nicht, wo sie jetzt sind oder was bei ihnen passiert ist. Sie könnten sich vertragen haben. Sie könnten sich aber auch gegenseitig umgebracht haben. Meine Augen brannten von den salzigen Tränen und der Sonne. Ich kletterte auf einen der warmen Felsen, die hier überall verstreut waren. Sie hatten Furchen und waren leicht zu bezwingen. Diesen Fels hatte ich ganz für mich allein. Ein Menschenpärchen saß ein paar Meter weiter auf einer Bank und rangelte um ein Sandwich. Sie hatten ihren Spaß, wussten nicht, dass irgendwo ein paar Straßen weiter sich zwei Kater um mich stritten. Dem einen war ich die Prinzessin, dem anderen das Mäuschen. Den einen kannte ich seit vielen Jahren sehr gut, der andere war mir heute zufällig über den Weg gelaufen. Der eine war klein, chaotisch und verträumt. Der andere war groß, selbstsicher und frech.
Früher hatte ich schon oft genau hier gesessen, wenn ich Sorgen hatte. Meine damalige beste Freundin Susi hatte mir manchmal Gesellschaft geleistet, wenn mich etwas bedrückte. Dann redeten wir über Gott und die Welt, machten Witze und tratschten. Nach ein paar Stunden war der Kummer vergessen. Doch wie groß kann der Kummer eines jungen Kätzchens schon sein? Es waren meist nur belanglose Sachen. Manchmal ging es darum, dass man uns wieder irgendwo nicht geduldet hatte, mal stritten wir mit anderen Tieren um Essen und ab und zu gab es Sorgen im Hause unserer Menschen.
Susi und ich haben immer viel zusammen gelacht. Unser Lieblingsthema waren die Cheerleader bei den Sportveranstaltungen der Menschen. So wollten wir auch sein. Susi wollte genauso gerne tanzen wie ich. Dann saßen wir immer in den früher Abendstunden im Park und stellten uns vor, wie es wäre auf dem Spielfeld zu stehen und mit glitzernden Pompons zu wedeln und Pyramiden zu bauen. Wie oft hatten wir versucht, uns auf den Rücken der anderen zu stellen oder zu springen wie ein Mensch. Es war hoffnungslos. ‚Für die Katz‘ würde ein Mensch sagen.
Irgendwann zog Susi weg. Die Großmutter ihres Frauchens war gestorben und dann wollte dessen Vater das Land erkunden und mit der Familie umziehen. Mit Susi ging eine gute Freundin fort. Ab dann war ich eine Zeit lang sehr einsam. Ich wurde in dieser Zeit sehr feinfühlig und gewöhnte mir an, alles in meiner Umgebung zu bemerken zu speichern und zu überdenken. Ich erkundete die Stadt studierte die Menschenwelt. Doch ich war immer einsam. Es gibt keinen allgemeinen Treffpunkt für junge Katzen. Keine Schule, keine Clubs, keine Vereine und keine Büros. Ich traf immer nur auf Straßengangs in denen Katzen und Kater wie Chester lebten. Damals machten sie mir Angst. Und all die süßen kleinen Hausmiezen wurden mir bald zu albern. Ich war jetzt schlau und erfahren und hatte keine Lust auf die, die sich mit Meerschweinchen um Zwiebeln kloppten. Ja, ihr habt richtig gehört. Meine Nachbarskatze hat das oft getan. Letztes Jahr hat sie eines der Meerschweinchen totgebissen. Alles nur, wegen irgendwelchem Futter. Einfach nur armselig.
Jetzt hockte ich also da auf diesem außerirdisch anmutenden Stein (ich hatte immer das Gefühl, die Steine seien nicht von dieser Welt) und wusste beim besten Willen nicht, wie mein Leben weitergehen würde. Mein Frauchen war eine Straftäterin. Sie würde ins Gefängnis müssen oder Sozialdienst leisten. Für ein Haustier wäre da keine Zeit.
Mein bester Freund war wütend auf mich und gleichzeitig in mich verliebt. Möglicherweise war er aus der Stadt geflüchtet oder ihm wurden etliche Flüssigkeiten eingespritzt. Sein Herrchen jedenfalls würde ich auch nicht besuchen. Er hatte die Polizei alarmiert. Sicher war es nicht böse gemeint. Aber ohne ihn gäbe es jetzt deutlich weniger Probleme. Und es gab noch ein Wesen auf dieser Welt, das etwas mit mir angestellt hatte, dass ich so nicht kannte.
Es war nicht wirklich verliebt sein. Nein, das konnte es nicht sein. Es war eher wie ein Fluch, wie ein Verlangen. Ich wollte in diesen Augen verschwinden und am liebsten in einem Paralleluniversum landen. Und ich wollte dieses warme und angenehm raue Fell fühlen. Ich wollte mich in es hinein kuscheln und es gleichzeitig wie eine Irre zerfetzen und zerreißen.
Solche Wünsche sind nicht normal, Violett. Du wirst verrückt. Du merkst, dass dein Dasein keinen Sinn und keine Richtung mehr hat und jetzt wirst du wahnsinnig. Nein, so konnte es nicht sein. Dieses Verlangen hatte ich ja bereits, bevor ich wusste, dass T-Rex und Chester sich streiten würden.
Wenn ich also nicht verrückt geworden bin, dann muss ich es schon längst sein. „Ich bin verrückt“, lachte ich. In meinen Ohren klang das ulkig. Violett, die irre Psychopathin. Man müsste mich mal in eine Therapie schicken. Ich grinste dumm, miaute mich selbst an und stampfte auf den Fels ein. „Ich bin verrückt.“
Die folgenden Tage waren das, was ich mein neues Leben nannte. Von Gabrielle, T-Rex oder Chester hörte ich kein Wort. Ich war eine allein lebende Straßenkatze, die den Alltag auf ihre ganz eigene Art und Weise meisterte. Mein Zuhause war eine dreckige Nische in einer U-Bahn-Station. Ich hatte mich umgesehen und festgestellt, dass diese diejenige war, die am wenigsten stank und in der man am besten atmen konnte. Es gab hier ja Stationen in denen man regelrecht Angst hatte an Sauerstoffmangel zu ersticken. Ein paar älteren Damen und Herren, sowie einem kleinen Kind war das auch schon passiert.
Meine U-Bahn-Station war sehr weit westlich, doch den Namen konnte ich mir nie merken. Es war mir auch egal. Ich fand immer wieder heim. Zu meinem neuen Leben hatte ich mir auch neue Prinzipien gesetzt. Das erste war, dass ich einfach mal auf Durchzug schalten musste, wenn nichts Wichtiges passierte. Ich beschloss, mir nicht mehr alles zu merken, allem Namen zu geben und die Gerüche und Bilder und Geräusche in ihre Bestandteile zu zerlegen. Ich musste den Kopf frei haben für andere Sachen. Zum Beispiel für die Jagd. Ich hatte wieder angefangen, Ratten und Vögel zu jagen. Und ich wurde zur Diebin. Ob in Chinatown, an den Hotdogbuden oder in den Nobelrestaurants. Kein Essen war vor mir, Violett, sicher. Und obwohl ich mit der Zeit eine Menge Tricks beherrschte, um in Küchen einzudringen oder den Touristen die Brötchen aus der Tasche zu ziehen, wurde ich Tag für Tag dünner, dreckiger und zerzauster. Bald sah ich aus wie eine richtige Straßenkatze. Das machte mich auf eine seltsame Art und Weise stolz.
Ich war oft im Park und trainierte mir dort an, wilder zu sein. Ich killte unzählige Schmetterlinge, Eichhörnchen und Fische, ich schärfte mir oft die Krallen und wetzte quer durch den Park um im Falle eines Falles schnell wegrennen zu können. Ich wurde immer stärker, beweglicher und skrupelloser, mein Magen wurde unempfindlicher und ich merkte es bald nicht mal mehr, wenn ich mir die Pfoten blutig gelaufen hatte.
Ob ich wirklich glücklich war, konnte ich nicht sagen. Manchmal hatte ich meine frohen Momente, wenn ich es zum Beispiel auf Anhieb auf einen glatten Stein geschafft hatte oder mal wieder eine kleine Maus hoffnungslos zwischen meinen Zähnen baumelte. Doch ich hatte mir ja abgewöhnt, auf Kleinigkeiten zu achten. Also hörte ich auch nicht mehr in mein Herz oder meine tiefsten Gedanken. Ich lebte oberflächlich, folgte meinen Instinkten und war froh, wenn ich bei einem Gewitter nicht draußen sein musste.
So ging das etwa zwei Wochen. Dann wurde mir das ständige Training zu dumm. Ich wollte anwenden, was ich gelernt hatte und entschloss mich, in das Stadtteil zu gehen, in dem ich Chester getroffen hatte. Mein Weg richtete sich gen Südosten. Ich machte mir einen Spaß daraus, den Broadway entlangzugehen. Früher hatte ich gerne hier gesessen und mir die bunten Lichter angesehen. Dann hatte ich die Augen geschlossen und von den wunderschönsten Dingen geträumt. Ich hatte immer die ganze Musik, die hier lief, geliebt und die Menschen beobachtet wie sie lachten und staunten. Wie kitschig, dachte ich jetzt nur noch. Ist ja erbärmlich. Wenn ich heute eine verträumt grinsende Katze hier gesehen hätte, hätte ich sie ausgelacht. Aber es war keine da. Schade.
Ich lief weiter, dachte fast an gar nichts. Manchmal hörte ich den Menschen zu, die über den Verkehr fluchten oder ihren Abend planten. Und dann schaute ich wieder nur geradeaus, ohne zu wissen, was mir gleich passieren wird und ohne mich überhaupt dafür zu interessieren.
Die Lichter wurden weniger. Hier unten, mitten in den Hochhäusern war es einsam und dunkel. Fast so, wie ich es haben wollte. Nur bitte noch etwas weniger Glanz. Dann war die Umgebung wie ich mich gerade fühlte. Ich wollte aus der Finanzgegend raus, mehr nach Westen noch, dort, wo die Hochhäuser kleiner waren und brauner.
Der Wind wehte lauwarm, ab und zu auch etwas kälter. Es war absolut still hier. Dann ein Rascheln. Kurz darauf eine leise Stimme. Ich konnte nicht sagen, von wem oder was die Stimme gekommen war. Nur, dass sie hinter mir war. Egal. Waren bestimmt nur zwei Frauen, die tratschten. Ich dachte wieder gar nichts und ging meinen Weg. Nochmal ein Rascheln. Lauter. Ein bisschen anders. Stille. Ein Windzug. Dann das Rauschen einer Fähre, die durch die leichten Wellen fuhr. Stille.
„Hallo Katze.“
Ich erschrak. Da war die Stimme eines Katers gewesen. „Ja, guten Abend meine Gute.“ Das war die Stimme einer Katze. Süßlich und gespielt schlich der Klang um mein Ohr. Ich konnte nirgends Katzen sehen. „Was machst du hier so ganz allein?“, fragte die Stimme des Katers.
„Hallo? Wo seid ihr?“ Ich wartete auf Antwort. Und ich bekam ein plötzliches „Grrahh!“ Direkt neben mir war ein dicker, hässlicher Kater mit nur einem Ohr gelandet. Er hatte eine dumpfe Stimme. Rechts vor mir raschelte es wieder und aus dem Gebüsch kam eine gertenschlanke weiße Katze mit extrem kurzem Fell. „Guten Abend nochmal.“ Sie lächelte ein aufgesetztes Lächeln.
„Wie geht es dir an diesem wunderschönen Abend?“ Diese Stimme war nun ganz deutlich hinter mir. Es war die Stimme des Katers. Ich drehte mich um. Er schaute mir keinen Meter von mir entfernt eindringlich in die Augen. Sie waren grellorange und ganz klar. Wer waren diese Katzen? Was wollten sie von mir? In diesem Moment merkte ich, dass ich wieder die Alte war. Ich analysierte Stimme und Körper der Katzen und stellte mir Fragen. Kurz war ich über mich selbst irritiert und schüttelte den Kopf, quasi um diese nutzlosen Gedanken ‚wegzuschütteln‘.
„Wer seid ihr?“, fragte ich die weiße Katze. Sie sagte nichts. Nur ein kurzes „Mh“ kam über ihre Lippen.
„Wir sind eine Bande, die hier in diesem Gebiet umherzieht ohne Zuhause und ohne Menschen.“ Ich bekam fast einen Herzinfarkt. Diese Stimme kannte ich. Ich jappste nach Luft. Chester!!!
Wie auf Kommando kam er in diesem Moment neben der weißen Katze aus dem Gebüsch. Er schnickte sich die Blätter aus dem Fell und baute sich in voller Größe vor mir auf. „Ich heiße dich herzlich bei meinem Clan willkommen, Mäuschen. Hast du Hunger?“ Ich schüttelte nur verdutzt den Kopf. „Du wunderst dich bestimmt“, fing Chester an und schlich um mich herum wie bei unserer ersten Begegnung, „warum ich hier bin und was wir von dir wollen.“ Ja, genau so war es. „Nun“, fuhr der graue Kater fort, „dein kleiner Dino und ich sind wieder frei und wir sind jetzt Freunde.“ Das konnte ich nicht glauben. „Du und T-Rex?“, fragte ich verwundert nach. Chester antwortete: „Aber ja, mein schönes Mäuschen. Der komische Labortyp hat nach etlichen Untersuchungen gemerkt, dass wir gesund und wohl einfach nur besonders aggressiv sind und hat uns in ein Tierheim gebracht. Du glaubst nicht, wie leicht es ist, dort auszubrechen.“
Die weiße Katze kam zu uns: „Und dein Freund hat auch gesagt, dass es ihm Leid tut, was er dir an den Kopf geworfen hat. Er war wirklich mit seinen Nerven am Ende und wollte irgendwem die Schuld geben. Er ist nach Hause zurückgekehrt und wartet auf dich.“
Ich zog die Augenbrauen hoch. Diese Story klang seltsam. Ob sie mich veräppeln wollten und irgendetwas im Schilde führten? „Achja, und warum habt ihr euch wieder vertragen?“ Ich fragte Chester, mit einem herausfordernden Unterton. „Wir mussten. Sei du mal drei Tage mit einem Kerl eingesperrt, der dich am liebsten töten würde. Wir haben uns geeinigt, dass du entscheiden sollst, zu wem du gehören willst.“
„Und deshalb“, erklärte der Kater mit den orangenen Augen, „sind wir hier. Wir wollen dir die Chance geben, in unsere Bande zu kommen. Chester meinte, du seist ein taffes kleines Kätzchen.“ „Er sagte immer, ich sei ein Mäuschen“, gab ich keck zurück.
Jetzt schaltete sich der dicke Kater ohne linkes Ohr ein: „Chester denkt jeden Tag an dich. Er ist total traurig geworden und spielt nur noch mit Blumen.“ Er lachte und das Lachen klang dumpfer als seine Stimme. Und irgendwie auch heiser, als hätte er eine ganze Nacht gegrölt und gesungen.
„Habt ihr denn auch einen Namen?“, wollte ich wissen.
Die Katze setzte sich neben mich: „Unsere Bande hat keinen Namen. Das finden wir kindisch. Aber ich bin Luna. Das ist Torero und der Dicke da heißt einfach Stone. Chester kennst du schon.“
Wir saßen unter dem Vordach einer Garage. Alle nebeneinander. Von vorne müssen wir echt ulkig ausgesehen haben. Ganz links saß Stone. Er starrte mit gedankenlosen Glubschaugen in die Dunkelheit. Neben ihm war ich. Stones Nähe war mir irgendwie unangenehm. Doch sein Fell wärmte wunderbar. In der Mitte hockte Chester. Wie ein Wächter beschützte er seine Kätzchen links und rechts von sich. Wie fast immer lag ein nachdenkliches Grinsen in seinem Gesicht. Auf der rechten Seite unserer Katzenreihe waren Luna und Torero. Luna zitterte extrem und drängte sich immer enger an den schwarzen Torero ran. Der fluchte und rückte Stück für Stück zur Seite. Doch Luna folgte ihm, mit den Worten:“Was kann ich dafür, dass ich so ein zurückgezüchtetes Fell habe? Mir ist total kalt.“ Torero schnaufte genervt. „Kauf dir einen Mantel.“ „Haha…“ Luna rollte die Augen. Dann schloss sie sie und lehnte sich noch ein bisschen näher an Torero.
Es regnete in Strömen. Ich hatte Angst, dass es jederzeit anfangen könnte, zu hageln. Hallo, es war Mai! Eigentlich müsste es warm sein. Der Sommer stand bevor. Pustekuchen. Wir fünf armen Straßenkatzen mussten vor einem Menschenhaus Unterschlupf finden. Ich merkte, wie sehr ich das Wort Mensch jetzt verachtete. Es war weniger ein Verachten, eher eine Herablassung. Die Menschen waren alle so unbedacht und zurückgeblieben. Und sie hatten seltsame Lebensgewohnheiten. Dass ich vor nicht allzu langer Zeit noch in der Badewanne geschrubbt wurde und fern gesehen hatte, vergaß ich.
„Ich befürchte, wir müssen hier schlafen“, stellte Chester fest. „Der Weg bis zum Container ist zu weit.“ „Bis zum Container?“ Ich guckte fragend zu Chester hoch. Stone antwortete für ihn: „Da wohnen wir. Er steht immer auf, aber nur zur Hälfte. Die andere Hälfte hat einen Deckel. Man kann also immer rein und hat trotzdem immer ein Dach.“ Luna erklärte weiter: „Es ist so ein Ding, wo die Menschen ihren Müll reintun. Aber unser Container ist… außer Gebrauch.“ Luna hatte Recht, das Wort ‚außer Gebrauch‘ hörte sich für einen Abfallbehälter befremdlich an. „Jedenfalls ist der Deckel immer halb offen, sodass man auf der einen Seite problemlos herein hüpfen kann. Wir schlafen dort, wenn es draußen zu kalt ist.“ „Aber ist es da drinnen nicht genauso kalt, wenn der Deckel auf ist?“ „Hast du Ahnung von Chemie?“, fragte Torero. Ich verneinte. Leider nicht wirklich. „Es ist so: Jedes Tier hat Wärme im Körper und strahlt diese aus. An Wänden prallt die Wärme wieder zurück. Je enger der Raum, desto eher bleibt die Wärme bei dir und desto länger bleibt sie bestehen. Die Containerwände spielen Wärme-Ping-Pong.“ Er grinste. Scheinbar freute er sich über diesen gebildeten und zugleich gewitzten Satz. Luna kicherte. „Das hat doch nichts mit Chemie zu tun. Das ist Physik! Lehre der Energie und der Strahlen.“ Torero war eingeschnappt: „Tut mir Leid, dass ich nicht ganz so viel von den Menschenthemen weiß.“ Er hielt es für eine Beleidigung. Scheinbar war es in den Augen dieser Katzen eine Sünde, sich mit Menschen auszukennen. Luna konnte über Toreros Spruch nur lachen. „Ob du’s willst oder nicht, die Menschen leben im gleichen All und mit den gleichen Naturgesetzen wie wir.“
„Hört auf!“ Chesters Stimme brachte die beiden Streithähne zum schweigen. „Ihr wisst doch, Regel Nummer eins: nicht Streiten.“ Torero und Luna wurden ganz klein.
Ich war baff. In diesem Clan von wilden Straßenkatzen herrschten Regeln. Chester war in Gedanken schon wieder ganz wo anders. „Wenn morgen die Sonne aufgeht, gehen wir nach Norden in die Nobelgegend. Dort soll eine Tierschau sein, besonders für Katzen, aber auch für Hunde und so weiter.“ Die drei Clanmitglieder schienen zu verstehen. Ich wusste nicht, was ein wilder Kater wie Chester auf einer Tierschau wollte.
„Was willst du da?“, sprach ich meine Gedanken aus.
„Die armen gequälten Geister befreien.“ Chester sagte das erst ganz ernst, dann grinste er. Breiter als sonst. „Was denkst denn du? Dass ich mich da anmelden will? Oh nein, wir sorgen immer dafür, dass kein Tier mehr glitzernde Krönchen aufgesetzt bekommt.“
Torero hatte dazu eine ganz eigene Meinung. „Ich finde, Luna würde so ein Glitzerding bestimmt stehen. Passt zu ihrem Zuchtfell.“ Luna rammte ihren Kopf in Toreros Seite. Er jaulte und schlug zurück.
„Unsere beiden Giftsäcke“, flüsterte Chester mir zu. Ich musste kichern. Und was war mit Stone? Er hatte sich seit einiger Zeit nicht mehr gerührt. Ich stuppte ihn an: „Stone?“ Ein leises Schnarchen war seine Antwort. Und in diesem Moment fragte ich mich, ob Stone wirklich so doof war, wie er wirkte. Aber dann würde sich Chester niemals mit ihm abgeben. Er war, neben mir, die klügste und undurchsichtigste Katze die ich kannte. Entschuldige, Kater.
„Wir sollten uns alle schlafen legen“, meinte der Katzen-Kater. „Ich schlafe nicht neben Luna!“, fauchte Torero giftig. „Hat einer gesagt, dass du das tun sollst?“, keifte Chester zurück. Torero sagte nichts. Er hockte ein paar Momente reglos da. In der Zeit rollte sich Luna zu einer weiß schillernden Kugel zusammen. Chester stützte seinen Kopf mit den Vorderpfoten und blickte in die Dunkelheit hinaus. Ich schabte den gröbsten Dreck von meiner Schlafstelle und machte es mir gemütlich. Es war viel kälter als in der U-Bahn. Der wärmende Körper von Chester bewegte sich zu seinen Atemzügen und sein Herz pochte. Ich lauschte dem Schlagen und schätzte bei jedem Atemzug, wie lange er dauern würde. Das beruhigte mich. Nun legte sich auch Torero nieder. Zuerst lief er um die ganze Gruppe herum und wollte sich an Stone lehnen. Davor blickte er prüfend in die Runde. Er seufzte und lief wieder zurück um sich doch neben Luna zu legen. Mit einem breiten Grinsen auf der Schnauze schlief ich ein. Ob Torero wusste, dass ich noch wach war?
Die Sonne kitzelte meine Nasenspitze. Ich hörte einen Vogel krächzen und roch die feuchte Morgenluft. Mein linkes Hinterbein war taub und ich brauchte eine Zeit, um meinen steifen Rücken aufzurichten. Ich sollte wirklich mal zum Arzt gehen.
Ich blickte mich um. Chester war nicht zu sehen. Stone lief im Vorgarten des Hauses herum, vor dem wir lagen und durchstöberte die nasse Erde. Luna saß auf einer Mauersäule oder so etwas und Torero schlief noch. Ich beschloss, zu Luna zu gehen. Sie leckte sich ihr Fell und räkelte sich in der wärmenden Sonne.
„Guten Morgen“, begrüßte ich sie. „Guten Morgen“, kam es freundlich zurück. Luna schaute auf mich hinab. Ihre Laune war sonnig, das sah ich. „Wollten wir nicht zur Upper East Side?“ Luna legte den Kopf schief. Das heißt, sie wusste nicht was ich meinte. „Nach Norden. Hat Chester doch gestern gesagt.“ „Achso“, schmunzelte sie, „Er ist allein gegangen. Die Show ist klein und findet draußen statt. Das macht der in fünf Minuten klar.“ „Und wie?“ Meine Neugier war geweckt.
„Zuerst schleicht er unauffällig von Teilnehmer zu Teilnehmer und sagt ihnen, was er vorhat. Die meisten machen mit, ein paar finden seine Pläne doof. Aber das ist egal. Dann, wenn er alle durchhat, veranstaltet er auf irgendeine Art und Weise einen Aufruhr unter den Besitzern der Tiere. Chester hat schon Preise von Regalen geräumt, alte Damen angesprungen oder den Feueralarm ausgelöst. Ihm fällt echt immer was ein.“ Luna musste bei dem Gedanken lachen. „Ja und dann ergreifen die Tiere ihre Chance und flüchten. Kaum einer wird zurückgehalten. Die Menschen haben in diesem Moment andere Probleme. Und wenn Ruhe eingekehrt ist, finden sie nichts vor, als eine chaotische Bühne oder eine zerstörte Inneneinrichtung. Chester hofft, dass die Menschen irgendwann die Veranstaltungen einstellen, weil sie Angst vor einer neuen Katastrophe haben.“ Ich nickte immer wieder. „Ein paar der Tiere kehren nach ein paar Tagen wieder zu ihren Menschen zurück. Sie kommen nicht alleine klar oder wollen einfach nicht anders leben. Aber keiner von denen wird so schnell wieder zu einer Ausstellung müssen.“
Jetzt lachten wir beide. Ich stellte mir vor, wie kleine Möpse, Papageien und Perserkatzen wie Irre durch einen Ballsaal hüpften und Frauen in schicken Kostümen schrien und um die Wette jammerten. Fiffy, bleib hier! Chantal, sei ein braves Hündchen! Minka, so etwas darfst du nicht tun!
„Fällt es den Veranstaltern nicht auf, dass sich solche Vorfälle häufen?“ „Ach liebe Violett. New York ist groß, Veranstalter gibt es viele. Sicherlich spricht man in den Fachkreisen über diese ominösen Vorfälle, doch keiner weiß, wie oft sie geschehen. Und du musst bedenken, dass es solche Shows hier beinahe jede Woche gibt. Wir wissen nicht von allen und somit gibt es auch immer wieder Shows, die ‚gut‘ ausgehen.“
Ich wusste nicht so recht, was ich jetzt denken oder sagen sollte. Musste ich auch gar nicht. Torero kam mir zuvor. Er war inzwischen aufgewacht und hatte sich von hinten angeschlichen. Mit einem ‚Buh!!!‘ hatte er dafür gesorgt, dass Luna von der Steinsäule gefallen ist. Sie hatte nicht schnell genug reagiert und war unsanft auf den Boden geplumpst. Torero konnte sich kaum halten vor Lachen. Luna rappelte sich auf. Sie knurrte und scheuerte Torero eine. Der hielt sich die Pfote an die schmerzende Backe und zog die Ohren zurück. „Mistvieh!“, fluchte er. „Aber du!“ Luna hob den Kopf hoch in die Luft und machte einen auf arrogant.
Stone musste es gesehen haben. „Nun seid doch friedlich. Ich habe Hunger.“
„Sei still, Stone“, sagte Luna. „Du hast immer Hunger.“ Stone machte ohne eine Bemerkung kehrt und widmete sich wieder seiner Gartenarbeit. „Chester wird bestimmt was zu Fressen mitbringen“, meinte Luna, die nun doch Mitleid mit Stone hatte. Stone reagierte nicht. Er war gekränkt und knabberte an einer Pflanze herum. „Warum jagt er nicht einfach?“, wollte ich von Luna wissen. „Er kann es nicht gut. Wegen seinem Ohr hört er kaum etwas und besonders schnell ist er auch nicht. Das ist ein Teufelskreis. Je weniger er jagt, desto dicker wird er und desto schlechter wird es mit seinem Beutefangen.“ Armer Stone. Chester hatte solche Probleme bestimmt nicht. Er war kräftig gebaut aber keineswegs dick. Und ich vermutete, dass er sehr stark und geschickt war. Allein wie er die drei Handschellen geknackt hatte, das war schon ein Kunststück gewesen.
„Wie findest du eigentlich Chester?“ Ich wollte das jetzt unbedingt von Luna wissen. Sie musterte mich amüsiert: „Chester ist unser Bandenboss und cool. Aber mich nervt seine Heroische Art. Er denkt, er sei der Allerbeste und bildet sich was auf seine Schützlinge, also auf uns, ein. Wehe, du widersprichst ihm. Dann kommen ewige Reden über Bandenzusammenhalt, Gehorsam oder Lebensunfähigkeit. Ganz schön anstrengend.“ „Aber du bist immer noch hier“, bemerkte ich. „Klar“, antwortete Luna, „was soll ich auch sonst tun. Ich würde zurecht kommen, aber ich will nicht.“ Nach einem kurzen Schweigen fragte sich zurück: „Und was denkst du von ihm?“ Da ich jetzt keine Lust hatte auf extrem tiefgründige und mystische Gespräche über mein fragwürdiges ‚Verlangen‘ nach Chester antwortete ich kurz und knapp: „Ich weiß nicht genau, deshalb hab ich dich ja gefragt. Chester ist so undurchschaubar und kompliziert. Und irgendwie seltsam, aber dann auch wieder cool.“ Okay, so kurz war’s nicht. Aber eine Grundsatzdiskussion wurde zum Glück auch nicht draus.
Ich hatte vorerst keine Fragen mehr an Luna. Ich setzte mich neben sie und begann, einfach nur mein Fell zu säubern. Dabei beobachtete ich Stone und Torero, wie sie den ganzen Vorgarten umgruben und Würmer und Spinnen zum Vorschein brachten und aßen. Hätte ich keine zwei Wochen Wildkatzenkurs gemacht, fände ich das jetzt ekelhaft. So überkam mich bei dem Anblick auch ein wenig Hunger. „Wollen wir uns was jagen?“ Luna war einverstanden.
Wir schlichen leise um die Häuser. Keine Menschenseele war zu sehen. Ich wusste nicht warum. Aber es war besser so. Menschen hatten die furchtbare Angewohnheit, jegliches Futter zu vertreiben.
Lunas Schritte waren selbst beim besten Willen nicht zu hören. Meine, die ich immer für so vorsichtig und perfekt gedämpft gehalten hatte, knallten im Vergleich dazu mit einem Höllenlärm in der Gegend herum. Es war nur ein leises ‚Tap tap tipp‘ aber Luna sah mich immer wieder warnend an machte „Pschhhd“.
Sie kroch wie ein Waran dicht am Boden entlang. So warf sie nun nicht mal mehr einen Schatten. Ich duckte mich ebenfalls und blieb auf der Stelle stehen. Wir hatten beide ein Geräusch gehört. Wenn ich mich nicht getäuscht hatte, war es von ganz weit rechts gekommen. Dort vorne war eine winzige Wiese auf einer Verkehrsinsel. Verkehr herrschte aber keiner. Luna glitt nun wie eine Schlange über den feuchten Asphalt. Lustig sah das aus. Jetzt bloß nicht lachen. Ich schnupperte. Es war sicherlich keine Maus. Ich roch im Moment überhaupt kein Tier außer uns beiden. Luna war schon viel weiter vorne. Ich konnte nicht länger stehen bleiben. Ich musste weiter. So behutsam wie sonst nie setzte ich meine weichen Ballen auf. Ein winziges Restgeräusch blieb leider. Ich war gerade dabei, den absolut perfekten Schritt zu machen, als Luna einfach aufsprang und ihre Gliedmaßen schüttelte. „Falscher Alarm. Da ist nix. Muss der Wind gewesen sein.“ Ich ließ die angehobene Pfote enttäuscht sinken. „Ich dachte, du seist ein Profi.“ Luna stand lächeln vor mir: „Auch Profis können sich mal irren. Weißt du, sogar Chester hat manchmal keinen Erfolg.“ Mit diesem Satz zerstörte sie ein wenig meine Fantasien über Chester. Aber es war gut zu wissen, dass er doch noch was von dieser Welt hatte.
Wir suchten weiter. Unterwegs begegnete uns ein kleiner schwarzer Junge, der mit einem Gummiball spielte und mit einem imaginären Freund sprach. „Der ist für dich!“, rief er und pfefferte den Ball gegen eine Hauswand. Der Ball kam exakt zu ihm zurück. „Super Pass!“ Ich ging zu dem Jungen. Er sah aus, als könnte er ein wenig realistische Gesellschaft gebrauchen.
„Was tust du da?“, fragte Luna panisch. „Ich will mit dem Jungen spielen“, antwortete ich, „Der sieht total nett aus.“ Luna packte mich am Fell und zog mich zurück. „Bist du wahnsinnig?“ „Warum?“
Ihre Krallen schmerzten ein wenig in meinem Fleisch, doch ich ließ mir nichts anmerken. „Wenn seine großen Geschwister kommen ist es aus mit uns. Kinder in einem gewissen Alter experimentieren unheimlich gerne.“ Ich verstand nur Bahnhof. „Wenn Chester merkt, dass du nach Mensch riechst, schmeißt er dich raus.“ Das war mir neu. „Chester hat mich kennengelernt als ich nicht länger als eine Stunde aus einem Menschenhaus heraus war.“ Lunas Krallen wurden immer spitzer. Ich hatte zumindest das Gefühl. „Das verstehe ich auch nicht genau. Vielleicht hat er dich gesehen, bevor er dich gerochen hat. Jetzt wäre es schlimmer, wenn du nach Mensch riechst. Denn jetzt wäre es Verrat.“ Ich riss mich aus Lunas Griff. „Du kannst mir doch nicht sagen, was ich tun oder lassen soll!“ „Ich nicht“, meinte Luna keck, „aber Chester wird eine Verräterin nicht dulden und dich wieder zu einer freien, schutzlosen Katze machen.“ Das wollte ich nicht. Alles, nur keinen enttäuschten Chester. „Du hast die Wahl“, sagte Luna noch, dann zog sie davon. Schnell wie der Wind war sie verschwunden. Jetzt saß ich da, ganz allein. Der Junge hatte den Ball unter seinen Arm geklemmt und hüpfte auf einem Bein umher. Er lachte und rief immer wieder „Ja!“ oder „Oh, Mist!“, wenn er am torkeln war. Meiner Meinung nach war er ganz harmlos. Und dass Jugendliche gerne ‚experimentieren‘ wusste ich von Gab und ihren High-School-Geschichten. Gab! Ich hatte sie völlig vergessen. Ich wusste wirklich nicht, ob sie bereits wieder zur Schule ging oder noch immer an Handschellen gekettet war, ob sie gerade hart arbeitete oder mit Freundinnen in einer Wiese lag. Mich ging es aber auch gar nichts an. Sie schien mich nicht zu suchen, sonst hätte sie erneut überall Schilder aufgehängt, wie damals, als ich beim Tierarzt war. Und ich durfte sie auch nicht suchen, denn dann mischte ich mich in ihr Privatleben ein. Das wollte ich nicht mehr tun. Ich hatte jetzt mein Leben. Mein Leben, das ich wegen einem einsamen Kind gefährdete.
Ich entschied mich für das Leben in der Gang und lief zurück zu unserem Nachtlager. Ich sah schon von weitem, dass Luna und Chester miteinander sprachen und dass Torero auf dem Dach des Hauses umher spazierte.
„Hallo.“ Ich fing leise an. „Hallo, ich bin wieder da!“
„Na endlich“, rief mir Torero entgegen. Luna kam zuerst zu mir. Sie schnupperte an mir. „Sie ist clean“, meinte sie ganz trocken zu Chester. Chester machte eine ernste Miene. Er schien nicht erfreut über meine Wiederkehr zu sein.
Er ließ sich ein paar Schritte von mir entfernt nieder, eiskalte Miene, erhobenes Kinn. „Ich möchte nicht, dass du mit Menschen in Kontakt trittst, wenn es nicht sein muss. Das ist unnötig und bringt in 99 Prozent der Fälle nichts als Ärger.“ Ich senkte meinen Blick: „Entschuldigung.“ „Nichts da ‚Entschuldigung‘“ , bellte Chester. „Es ist in deinem Interesse, nicht in meinem.“ Jetzt hatte ich gar keine Ahnung mehr, wie ich reagieren sollte. Ich wendete meinen Blick Hilfe suchend an Luna. Sie half mir auch: „Ich glaube, Violett hat verstanden.“
Chester nahm den Kopf ein kleines Stück runter. Ich hoffte auf das ganz spezielle Grinsen. Doch ich bekam keins. Ohne mit der Wimper zu zucken, drehte Chester sich weg und sprang mit einem Satz auf das Garagenvordach.
Luna streifte ihren Kopf über meinen Körper. „Weißt du warum er so gegen Menschen ist?“ Nein, ich wusste es nicht. „Ä-äh.“ So sagen Menschen manchmal für ‚Nein‘.
„Dann werde ich es dir erklären“, meinte Luna.
„Also…“ und dann kam eine Erklärung, die mir so ziemlich alles erklärte, was ich über diesen mysteriösen Clan wissen musste. „Chester war mal selbst eine Hauskatze. Er hatte noch drei Geschwister. Und er hatte sie alle sehr lieb. Eines Tages hat eine Gruppe von jungen Menschen die kleinen Katzen entdeckt und sich einen Spaß daraus gemacht, alles Mögliche an ihnen zu testen. Sie steckten die Kätzchen in Wasserbäder, bis sie zu strampeln anfingen, warfen sie sich wie Bälle zu testeten, aus wie vielen Metern Höhe, eine Katze auf allen Vieren landen konnte. Eines von Chesters Geschwistern starb bei diesen wüsten Spielchen. Aus Trauer und Zorn verstümmelte Chester dem jüngsten Kind die Hand. Mit den übrigen beiden Kätzchen rannte er davon und riss von seinem Zuhause aus. Und im Laufe der Monate verlor er auch diese beiden Gefährten. Der eine starb im Kampf mit einem Hund, der andere verschwand spurlos.“ Chester tat mir in diesem Moment unglaublich Leid. Ich stellte mir vor, an seiner Stelle zu sein und mir wurde ganz schwindelig. „Nun war Chester also ganz allein. Und dann, in einer verregneten, kalten Winternacht begegnete er einer hochträchtigen Katze, die in dieser Nacht Junge gebar. Chester beschützte sie und brachte ihr Fressen und eine halbwegs warme Ecke zum Gebären. Aus Dankbarkeit überließ die Katze eines ihrer Jungen an ihn – Torero. Er zog den kleinen Kater auf wie ein eigenes Kind und brachte ihm die Kunst des Tierschau-Zerstörens bei. Auf einer ganz besonders noblen und aufwändigen Veranstaltung fand Chester einen weiteren Schützling – mich.“ Hier machte Luna eine kleine Pause. Sie schaute nach hinten zu Chester und Torero, die auf dem Dach saßen und seufzte. „Ich bin ihm immer noch unheimlich dankbar, dass er mich aus dieser Anstalt befreit hat. Mein Herrchen war ein schrecklicher, alter, grummeliger Mann, der mit mir sein Geld verdiente. Von da an zogen wir zu dritt weiter. Stone ist der Kater einer griechischen Einwandererfamilie. Er lebte in einem verwilderten Innenhof in New Jersey, der Nachbarstadt. Die Kinder dort behandelten ihn ähnlich, wie Chester früher behandelt wurde. Ihm rissen sie das Ohr ab. Doch Stone hat nicht so starke Nerven wie Chester und ist daher schon fast immer ein wenig seltsam und zurückgezogen. Chester hat ihn trotzdem, oder gerade deswegen aufgenommen. Der arme Kater hatte damals nicht einmal einen Namen. Torero nannte ihn immer Stone, weil er so schweigsam ist.“
Am Tag war nichts Besonderes mehr geschehen. Ich habe heute den Container kennengelernt, den Luna aus einem unverständlichen Grund ‚Indien‘ nannte. Sehr exotisch schien er mir nicht. Und auch nicht, als hätte er sich verirrt.
Der Container passte total in die Gegend hier. Von den glänzenden Wolkenkratzern des Finanzdistrikts waren wir in die Gebiete der älteren Steinhochhäuser gelaufen. Hier gab es nichts als Feuerleitern, Pfützen, Müll, surrenden Hubschraubern und noch mehr elenden Feuerleitern.
Ich hatte mir den gesamten Tag Gedanken über die Vergangenheit der Gang gemacht. Chester musste wirklich ein goldenes Herz haben – und ein Dauertrauma vor den Menschen. Ich bezweifelte, dass ihm der Anblick der am Boden liegenden Polizisten etwas ausgemacht hatte. Wahrscheinlich war er glücklich über seine kleine Rache. Doch die kaputten Klamotten des Beamten waren rein gar nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen ihm angetan hatten.
Chester musste meine geistige Abwesenheit bemerkt haben. „Hey Violett, könntest du mit Torero auf die Jagd gehen? Er würde sich über Hilfe freuen.“ Ich nickte.
„Ich helfe Stone“, rief Luna. „Okay“, meinte Chester. Er ging alleine. Das hätte ich mir jetzt fast gedacht.
Ich ging Seite an Seite mit Torero durch die dämmrigen Gassen. Also wenn es hier keine Ratten gab, war ich der Weihnachtsmann.
„Kannst du am besten riechen oder sehen oder hören?“ „Was?“, fragte ich verdutzt. „Ja, welcher deiner Sinne ist der beste?“ Ich überlegte kurz. Ich konnte alles gut. Am besten war aber das Sehen. „Meine Augen sind sehr scharf“, sagte ich.
Torero hatte einen Plan: „Also, du kletterst ein paar Feuerleitern hoch und hältst Ausschau nach Futter. Egal was. Ratten, Eichhörnchen, Vögel oder Echsen, was du findest, meldest du mir. Mach aber nicht zu viel Lärm. Am besten du zeigst einfach nur in die Richtung, wo du was gesehen hast. Ich fange das dann.“
Na, von mir aus. Ich fand diese Methode zwar nicht sehr sinnvoll, doch was sollte ich tun. War bestimmt lustig. Ich kletterte auf eine Feuerleiter, von der ich die Kreuzung gut im Blick hatte. Ich suchte wie mit Scannern in den Augen die Gegend ab. Jede kleine Bewegung würde mein Laser erfassen. Es rührte sich aber nichts. Einmal, da bewegte sich ein Ast und dann fuhr ein Auto vorbei. Sonst geschah nichts. Da! Da war doch was. Es befand sich im äußersten Eck meines Blickwinkels. Es war dunkel gewesen. Ich drehte den Kopf. Da war es wieder. Es war eines dieser grauen Hörnchen. Ich guckte nach unten zu Torero. Der starrte abwartend zu mir. Also streckte ich die Pfote in die Richtung, in der das Hörnchen gelaufen war. Torero fragte nichts. Er schlich ein paar Schritte in diese Richtung, dann setzte er zum Sprint an und kam nach wenigen Sekunden und ein wenig Geklapper mit einem grauen Bündel im Maul zurück. „Wow!“ Ich pfiff anerkennend. „Dasch wa net scher.“ Ich konnte Torero nicht verstehen. Er legte das Tier ab. „Das war nicht schwer“, wiederholte er überdeutlich. „Wenn ich erst mal eine Beute entdeckt habe, kriege ich sie immer. Ich finde nur nie welche, weil ich zu unruhig bin und alles verjag.“ Er stöhnte ein wenig über seine eigene Dummheit.
Wir machten uns auf den Weg nach ‚Indien‘. Das hatte gar nicht so lange gedauert. Torero lud den Fang im Container ab. Nachher wird gegessen. Jetzt suchen wir weiter. Wir liefen also wieder los. Diesmal wollten wir eine Kreuzung nördlicher jagen. Ich begann wieder, die Leiter hochzueilen, da hörte ich Luna rufen: „Stone! Stone, komm schnell her!“ Ich lauschte. Torero rannte schon los: „Luna, was ist los?!“ Ich lief hinterher.
„Stone, jetzt komm!“ Luna klang verzweifelt. Torero war um eine Ecke gebogen. Hinter der Ecke saß Luna. Ihr Blick war starr auf die Straße gerichtet. Auf der Straße hockte seelenruhig Stone und putzte sich die Schulter.
„Stone, doch nicht auf der Straße!“, jammerte Torero. Luna schaute links und rechts, dann ging sie hoppelnd zu Stone. Sie tippte ihn an und sagte: „Jetzt komm! Man hockt nicht auf der Straße rum. Die ist mehr befahren als die andere.“ Kaum hatte sie den Satz gesagt, rauschte ein Auto an ihnen vorbei. Gott sei Dank auf der anderen Seite. „Mensch, du bist so unfähig!“, rief Torero. Ich wusste nicht, wem das galt.
Luna packte Stone mit den Zähnen und versuchte, ihn hinter sich her zu schleifen. Sie hatte nicht die geringste Chance. Stone war zu schwer.
„Du kannst doch mit Stone nicht an dieser Straße jagen. Du weißt, dass er sehr eigen und stur sein kann. Der weiß wohl gar nicht, warum du dich so aufregst.“ Torero machte gut gemeinte aber in diesem Moment nutzlose Kommentare. Noch ein Auto. Luna durchfuhr ein Schock. Sie rannte panisch von der Straße weg. „Stone!!!“, rief Torero nochmal eindringlich. Ich hörte, wie ein neues Auto sich näherte – von rechts!
Der Rest war etwas, woran ich nur ungern zurückdachte. Mein Verdacht bestätigte sich. Ein Auto kam von rechst. Es fuhr schnell und war silbern und groß. Luna riss die Augen weit auf. „STOOONE!!“ Dann riss sie ihren Blick mit verzerrtem Gesicht zu Boden, ganz so, wie man sich vor einem nahenden Wasserschwall wegdreht.
Es gab ein kleines ‚Bumm‘, viel zu leise und angenehm von Ton her, für das, was es angerichtet hatte. Das Auto fuhr weiter. Der Fahrer hatte wohl nichts gehört. Und auf der Straße lag weit ausgebreitet ein dicker Kater, blutig, unübersichtlich verknotet und….tot! Luna schrie einen Schmerzensschrei aus. Torero war wie eingemauert stocksteif. Ich konnte mich auch nicht bewegen. Ich konnte nicht schreien, nicht weinen, nicht flüchten. Ich konnte nur auf Stones Leiche schauen, die eben noch selenruhig ihre Schulter geleckt hatte. Luna schrie ein zweites Mal. Leiser aber immer noch schmerzerfüllt. Ich sah Chester vom Dach eines Hauses herunterschauen. Er war ganz plötzlich dort aufgetaucht und so reglos wie Torero und ich. Er prüfte den Boden unter seinen Augen und ohne weiter zu zögern sprang er. Bei dem Sturz hätte auch er sterben können. Nur sowas war Chester egal. Er fing sich halbwegs ab und humpelte dann zu Stones Körper. „Mach’s gut mein Dicker“, hauchte er. Dann kam er zu uns. Luna heulte wie ein Schlosshund. „Ich wollte das nicht. Ich wollte ihn retten. Ich konnte nicht. Ich…“ Chester sah sie warmherzig an. „Niemand macht dir einen Vorwurf.“ „Doch!“, schluchzte Luna, „Torero.“ Jetzt schaute Chester Torero an, um einiges weniger warmherzig.
„Aber Luna. Du bist nicht schuld. Ich wusste nur, dass das nicht gut ist wenn…“ Chesters eiskalter Blick ließ ihn schweigen. Torero sagte nichts mehr. Er blickte traurig zu Boden. Dann kam Chester zu mir. Er sagte kein Wort und er verzog auch keine Miene. Er legte einfach nur seinen Arm um mich und atmete mir die warme Luft ins Fell. Ich war gelähmt. Und ich wusste nicht, ob ich heulen sollte.
Heute war ein schöner, sonniger Tag. Ich lag gemeinsam mit Luna auf den Aliensteinen im Park und beobachtete ein paar Kinder beim Spielen. Ich hatte Luna ein bisschen was von meinem alten Leben erzählt und sie hatte sich einsichtig gezeigt, dass es auch gute Menschen geben musste. Olaf zum Beispiel war immer ein netter Kerl gewesen. So lange, bis er Gab bei der Polizei verpetzt hatte. Doch das war in guter Absicht geschehen. Also war Olaf ein guter Mensch.
Ich hatte Luna auch den Park gezeigt, ihr beigebracht, wie man Hotdogs von den vielen Buden klaute oder sich von Tierfreunden streicheln ließ. Die schneeweiße Rassekatze wurde mir sogar oft noch bevorzugt.
Wir lagen auf unseren Bäuchen und freuten uns über die warme Sonne. Verliebte Pärchen hielten Händchen, Männer und Frauen gingen mit ihren Hunden Gassi. Zwei Jungs fuhren Roller-Blades.
Torero und Chester spazierten in diesem Moment auf den Wolkenkratzern herum. Sie genossen ihre Narrenfreiheit als Katzen und betrachteten das Treiben der Menschen von weiter oben. Seit Stones Tod waren sie viel aktiver und flexibler, da sie nicht mehr auf das schwache Tier Rücksicht nehmen mussten. Trotzdem vermissten sie den verwirrten, dicken Kater oft. Er hatte bis zum Schluss eine unglaubliche Ruhe ausgestrahlt und dafür gesorgt, dass sie sich nicht übernahmen und jeden Tag schlafen gingen. Jetzt waren Chester und Torero echte Partytiere geworden.
Ich war stolz darauf, ihnen die Vorteile meiner Welt zeigen zu können. Luna liebte seit einiger Zeit Punkrock und Torero schwärmte von den Essensresten aus Little Italy. Chester hatte meine menschlichen Neigungen ebenfalls akzeptiert.
„Ich habe Hunger“, schnurrte Luna. Ich würde sagen, sie hatte eher Appetit als richtigen Hunger. „Okay, dann essen wir was“, sagte ich.
Wir machten es uns einfach. Hier im Park liefen die Mülleimer fast über vor halb gegessenen Sandwichs, Hamburgern und Äpfeln. Einer, an einem Platz mit einem runden Springbrunnen, war immer ganz besonders voll und man musste sich nicht mal hineinsetzen, um an das Essen zu kommen. Das war deutlich hygienischer als die Eimer, in die man reinspringen muss. Wir trotteten steif vom langen Dösen die schattige Treppe runter auf den Platz. Die Menschen saßen hier zu Dutzenden und genossen das wunderschöne Sommerwetter. Von einem belauschten Gespräch wusste ich, dass nächste Woche die großen Sommerferien beginnen würden.
Und diese Stimmung machte sich in der Luft breit wie ein großes, angenehmes Seidentuch, dass die Sonnenstrahlen durchließ und wie ein Schmetterling über den Himmel flatterte; ja, genau so fühlte sich das an.
„Hey! Mäuschen warte doch!“ Chester! Mein Herz machte einen kleinen Luftsprung. Ich hörte von hinten sein Hecheln. „Ich rufe dir schon die ganze Zeit hinterher. Wo geht ihr hin? Warum bleibt ihr nicht stehen?“ „Wir holen uns was zu essen“, antwortete ich. „Habt ihr auch Hunger?“ Die beiden Jungs schüttelten bestimmt den Kopf. Dann halt nicht. Aber immerhin waren sie hier. „Und, wie gefällt euch Manhattan von oben?“, fragte ich neugierig. Toreros strahlendes Gesicht war mir Antwort genug. „Genial!“, hauchte er.
„Wann kommt ihr? Mein Magen knurrt.“ Luna war schon am unteren Ende der Treppe angekommen und wartete ungeduldig.
„Wir kommen ja gleich du Vielfraß!“ Torero verdrehte die Augen.
„Dann geh ich halt schon mal vor.“ Mit diesen Worten wandte sich Luna ab und ging. Torero rannte ihr, immer drei Stufen auf einmal nehmend, hinterher. „Vielfraß, warte, ich will auch was.“
Also vor zwei Sekunden hatte er noch die Augen verdreht. Typisch Torero.
Ich saß jetzt also mit Chester alleine mitten auf der langen Treppe. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. Chester brach das Schweigen: „Ich dachte, du wolltest auch was essen.“ Ich nickte heftig. Ja genau. Essen, das war gut. Wer den Mund voll hat, kann und muss also auch nicht sprechen.
Wir liefen nebeneinander die Treppe runter. Ich bewunderte Chester immer wieder. Und wie er da jetzt die Stufen hinunterlief musste ich mich wieder zusammennehmen um nicht einfach seitlich umzukippen. Dazu neige ich nämlich, wenn ich ihn sehe und merke, wie cool er ist. Dann will ich mich nur noch fallenlassen. Schlechte Idee auf der harten Treppe.
Ich konnte Torero auf dem Rand des Mülleimers hocken sehen. Luna saß daneben und schaute zu ihm hoch. „Ist da auch was Süßes drin?“, fragte sie den schwarzen Kater. Torero angelte mit der Pfote im Eimer herum. „Ich hab Hunger auf was Deftiges. Du kannst dir deine Schoko ja selbst holen.“ Luna sprang auch auf den weißen Rand und durchsuchte den Abfall. Chester schlich extrem langsam um den Platz. Ich fragte mich, was er da tat.
Er kam Torero von hinten näher, blieb unter ihm stehen und ließ einen plötzlichen kurzen Schrei raus. Torero erschrak fürchterlich und plumpste in den Abfall hinein. Chester konnte sich kaum noch halten vor Lachen, Luna drohte jeden Moment zu ersticken. Sie war in einen regelrechten Lachkrampf ausgebrochen. Ich musste auch kichern. Toreros Kopf kam zum Vorschein, bedeckt von Ketchup, Servierten und einer Bananenschale. Er blickte erst wütend und angriffslustig auf Chester, dann musste er auch lachen. Luna half ihm, sich von dem Müll zu befreien. Den Ketchup leckte sie sogar von seinem Fell. „Lecker schmeckt das“, sagte sie. Dann musste sie wieder loslachen.
„Wer hat Lust auf was Richtiges zum Essen?“, fragte ich in die fröhliche Runde. „Was denn?“, wollte Torero wissen.
Ich hatte mir schon was Tolles überlegt: „Wie wär’s mit gebratenem Hähnchen?“ Die anderen waren hellauf begeistert. Chester schmunzelte mich an: „Oh ja, mein Mäuschen hat gute Ideen. Ich könnte jetzt einen ganzen Hühnerhof vertragen.“ Sein Mäuschen? Das war mir neu. Aber es gefiel mir. Jetzt bitte noch ohne Hähnchen. Danke.
Ich zeigte meinem Rudel den Weg zu einem typischen Restaurant in Chinatown, wo die Grillhähnchen hinter der Theke hingen oder am Fenster. Und ich erklärte ihnen meinen Plan. Luna und ich würden in den Laden gehen und irgendwas kaputt machen, sodass die Verkäufer uns jagen werden oder das Zerbrochene wegräumen. Dann könnten die beiden Kater hinter die Theke springen. Ich erklärte Torero, wo der Schalter für das Bratgerät ist. Den musste er aus machen, sonst würde Chester sich verbrennen. Der sollte nämlich die Hähnchen von den Stangen ziehen. Natürlich kühlt das Ding nicht sofort ab. Also müssen wir Mädchen die Chinesen lange auf Trap halten.
Die anderen waren einverstanden.
Ich betrat mit Luna den Laden. Sofort strömte uns der warme, saftige Geruch von Fleisch und Gemüse in die Nasen. Man hörte Geschirrklappern und leise Musik von der Decke her. In dem Laden gab es viel, was man kaputt machen konnte. Wir fanden, es musste etwas Großes sein, das die Chinesen beschäftigen wird. Und ich hatte eine geniale Idee. Das Fischaquarium. Wenn das ganze Wasser rausläuft, werden die Verkäufer schrubben müssen, vielleicht gehen ein paar Gäste fort, weil sie das unverschämt oder unhygienisch finden. Und die Fische müssen gerettet werden.
„Ach Gott! Du willst so viel Schaden anrichten für ein paar Hähnchen?“ Luna wunderte sich über meine Gerissenheit. „So macht es mehr Spaß“, versuchte ich zu erklären. „Und ich will Chester beeindrucken. Er ist doch total gut in solchen Dingen und ich will das auch können“, sagte ich meiner Freundin die volle Wahrheit. Luna musste grinsen. „Chester beeindrucken? Da gehört eigentlich mehr dazu.“ „Ich weiß“, gab ich zurück, „aber ich muss irgendwo anfangen.“ Luna hatte Recht. Chester war unser Alphakater und er hatte schon mehr coole Dinge getan als wir alle zusammen.
„Na dann los!“, miaute Luna fröhlich. Sie freute sich sicher auf das kommende Massaker genauso wie ich. „Miaauuuu!“ Wir sprinteten los und krachten mit vollem Schwung und lautem Lachen ins Aquarium. Es bekam nur einen kleinen Riss und ein paar Gäste drehten sich verwundert um. Wumm. Noch einmal schmetterten wir gegen das Glas. Der Riss wurde größer. Noch ein drittes Mal. Es knackte und splitterte, eine Frau rief verwundert chinesische Worte. Dann sprang das Glas mit einem lauten Knirschen und das Wasser floss in alle Richtungen davon. Die Fische passten nicht durch den Riss, doch sie wurden vom Wasserstrom umher gewirbelt. Und meine Rechnung ging auf. Ein Chinese kam schon hinter der Theke hervor, ein anderer ließ sein Tablett stehen und rannte in ein anderes Zimmer. Ein junges Mädchen sprang erschrocken auf, als sie das Wasser sah, ein Mann beschwerte sich und bald riefen und rannten alle durcheinander. Luna und ich machten uns auf den Weg zur Tür. Keine kümmerte sich um uns, alle versuchten die Fische in Eimer zu tun und das Wasser zu stoppen. Einen hatte Luna mitgehen lassen. Einen Kleinen, der durch den Ritz geschwemmt worden war.
Und dann rannten wir raus, alle zu viert. Chester und Torero hatten sich die Hähnchen von den heißen Stäben gezogen. Sie hatten auf den Schalter verzichtet und auf der Theke auf uns gewartet. Die Hähnchen hingen ihnen groß und fettig aus dem Maul. Ein wenig doof sah das schon aus. Aber egal. Wir ließen Chinatown hinter uns und rannten zum Wasser. Erst dort blieben wir stehen. Die Jungs ließen die Hähnchen fallen, wir lachten und aßen und kicherten und erzählten bis spät in die Nacht. Chester lobte mich sogar für meine Idee mit dem Wasser. Doch dass er sich gegen den Schalter entschieden hatte und es Torero abgeschwätzt hatte ihn zu drücken, das war mal wieder typisch. Ich war ihm auch nicht böse. Alles hatte perfekt funktioniert und es war eben nun mal Chesters Art, alles auf seine Art zu machen.
Als es dunkel wurde, waren die Federtiere verschwunden, vier Katzen waren satt. Luna meinte, sie hätte noch nie so gut gegessen und Chester hatte sogar die Knochen gefressen. Er meinte, sie schmeckten sehr gut und würden die Zähne und den Magen stärken. Um das letzte Stück hatten sich Torero und Luna gestritten und es schließlich fair aufgeteilt. Torero hatte mir später gesagt, er hätte gerne das ganze Stück gehabt, gegen die fesche Luna aber keine Chance. Sie hätte es ihm wenn nötig aus dem Hals gezogen.
Und dann lagen wir da, friedlich und aufgedreht auf den Steinen am Ufer und sahen den Menschen zu, wie sie ihre Cocktails tranken. Es war wunderschön entspannend. Ich konnte sogar meinen Kopf auf Chesters Bauch legen, als er eingeschlafen war. Luna und Torero fielen irgendwann erschöpft zu Boden und blieben in verrenkten Positionen liegen – heute weit voneinander entfernt.
Es war ein Tag wie viele in der letzten Zeit. Es war Sommer, die Sonne brannte fast jeden Tag, der Park war voll, es gab genug zu essen, ab und an befreite Chester ein paar arme Zuchttiere und wir erkundeten die Stadt und die Wesen, die in ihr lebten.
Luna war bald ein Musikfan und hatte sich in die Menschenwelt integriert. Aus der scheinbar kaltherzigen starken Straßenkatze wurde ein lustiges Kätzchen, das die allnächtliche Leuchtreklame bewunderte und jede Menge verrückte Dinge tat. Ihre kleinen Auseinandersetzungen mit Torero blieben aber. Und Chester blieb auch in seiner Rolle, als durchtriebener schlauer Bandenboss, dem niemand hinter die Stirn blicken konnte.
Doch dieser Tag sollte sich noch ändern. Wir jagten gerade ein paar Singvögel, als ich eine mir bekannte Stimme hörte. Ich konnte sie im ersten Moment nicht zuordnen. Doch als ich ihren Eigentümer sah, blieb mir das Maul offen stehen. Es war T-Rex. Wie lang hatte ich ihn nicht mehr gesehen? Es war auf jeden Fall eine lange Zeit. Er sah aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte: bunt, klein, knuffig. Doch er war nicht allein.
„Luna, den Kater da vorne, den kenn ich“, sagte ich und zeigte auf T-Rex. „Das ist der, von dem ich dir schon erzählt habe, T-Rex.“ „Der, der mit Chester im Labor war?“ „Ja der.“
Ich konnte meinen eigenen Augen nicht trauen. Direkt neben T-Rex lief ein Hund, ein winzig kleiner, scheinbar weiblicher Hund. Ein Chihuahua. Ich hatte ein wenig Angst, T-Rex anzusprechen. Unser letztes Treffen war sehr hart. Doch laut Chester hatte sich T-Rex beruhigt und war wieder zu Olaf zurückgekehrt. Ich ging auf meinen alten Freund zu.
„Hi“ Mehr brachte ich vorerst nicht über die Lippen. T-Rex schaute auf. Ich sah in sein verdutztes Gesicht und wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Mich entschuldigen? Aber wofür? Ich hatte ihm persönlich nichts getan. Wir waren gemeinsam in dieses Abenteuer hineingeschlittert. Er hätte das alles nicht tun müssen.
„Hi“, antwortete T-Rex. Er war erstaunlich locker. „Das ist Cindy.“ Er stellte mir die Chihuahua-Dame vor. Sie roch sehr süßlich und lächelte ein freundliches Hundelächeln. „Hallo Cindy.“ Mir war das unangenehm. „Was hast du alles ohne mich gemacht?“, fragte mich T-Rex. „Oh, sehr viel“, meinte ich. Ich blickte nach hinten zu Luna. Die starrte mich nur an. „Das da hinten ist Luna. Ich bin jetzt in ihrer Bande.“ Es tat weh, das zu sagen. Ich merkte, wie sehr ich mich doch von T-Rex entfernt hatte. Und dass ich nur selten an ihn gedacht hatte. T-Rex tat gar nichts weh. „Oh wie cool! Eine richtige Katzenbande? Das ist ja toll. Also ich bin zu Olaf zurückgekommen. Dieser Chester hat es dir sicher erzählt. Ist er auch in der Bande?“ „Es ist seine Bande“, sagte ich. „Er ist eigentlich ganz nett. Es tut mir Leid Violett, aber ich dachte, du wärst meine beste Freundin und der Kerl war mir nicht geheuer.“
„Violett heißt du? Das ist ein schöner Name. Ich liebe violett“, sprach Cindy dazwischen. Ich war froh drum. So musste ich nichts wegen Chester sagen. Sie war süß und passte gut zu T-Rex. Sie wirkte genauso tapsig wie er es ist.
„Weißt du Violett, Cindy ist meine Freundin. Das kommt jetzt ein bisschen komisch, aber es ist so. Sie ist klasse. Sie gehört einem reichen Bankier. Und im Gegenteil zu dir ist sie vorsichtig und bedacht.“ Er ärgerte mich und schien nicht im Geringsten verunsichert zu sein. Ich fand das lustig. T-Rex und eine Hündin? Das war echt zu ulkig.
„Was macht ihr hier? Sucht der Bankier denn nicht seinen Hund?“ Upps, hoffentlich hatte Cindy das nicht beleidigt. „Nein. Der nimmt das gechillt. Der kennt Olaf und mich.“ Gechillt gehörte eigentlich nicht in T-Rex‘ Wortschatz. Und ein Bankier nicht in Olafs Fischbude.
„Magst du denn diesen Chester?“ Cindy fragte das frei heraus. „Ich meine, er hat wegen dir gegen T-Rex gekämpft. Er wollte es jedenfalls, aber er war ja gefesselt.“
„Ja, ich mag ihn“, sagte ich, stocksteif vor Angst, jetzt könnte ein noch unangenehmere Frage kommen. „Oh wie toll. Ich wünsch euch viel Glück.“ T-Rex sagte den Satz ohne Ironie oder so etwas. Er drehte sich um und lief Schulter an Schulter mit Cindy fort. Ich blickte ihnen hinterher, unsicher darüber, was ich überhaupt denken sollte. Luna kam von hinten. „Was war denn das?“
„Ich hab keine Ahnung. Ein kleiner Kater und ein noch kleinerer Hund würde ich sagen.“ Luna konnte es nicht fassen. „Und den fandest du so süß? Also ich finde, der ist seltsam.“ Ja, seltsam war T-Rex. Aber er war doch ein guter Kerl und er war nicht so ein Macho und wenn er so ahnungslos in die Welt blickte, war er auch süß. Aber das, was er da tat, war echt die Spitze des Eisbergs. Er war mit einer reichen Hündin zusammen. Und die Titanic, also ich, ist gerade mit voller Wucht an die Eisbergspitze gekracht.
Luna erzählte am Nachmittag Torero von T-Rex und Cindy. Sie lästerte über die beiden. Torero stimmte ihr zu und machte miese Witze über Cindy. „Ach kommt schon, es gibt schwule Wesen und lesbische und die muss man auch akzeptieren. Und sowas eben auch.“ Ich versuchte, meinen Kumpel zu verteidigen. Keine Chance. Torero und Luna lachten sich schlapp und äfften das junge Pärchen nach. Luna kläffte mit piepsiger Stimme und Torero schmachtete sie an und guckte wie eine dämliche Kuh. Die beiden konnten echt gemein sein. Chester nahm’s gelassen. Er meinte nur, man könne nichts dagegen tun und sollte auch nichts tun. Mein Kamerad sollte machen was er wollte und wenn er glücklich ist, ist alles gut.
Den grauen Kater beschäftigte an diesem Tag eher der Zoo. Er hatte oft gesagt, wie schrecklich er ihn finde. Am liebsten würde er alle Tiere befreien, doch er wusste, dass das unmöglich war. Löwen, Nashörner und Flamingos sollten nicht in den Straßen herumlaufen. Er wollte aber heute Abend noch auf eine Ausstellung – mit mir. Ich sollte ihn begleiten. Ich war natürlich sofort einverstanden.
Luna und Torero mussten alleine im Park unter den Bäumen bleiben. Dort schliefen wir seit einiger Zeit.
Als Chester und ich uns verabschiedeten, diskutierten sie darüber, ob Kaulquappen Zähne haben. Luna sagte ja, Torero nein. Ich hatte keine Ahnung und es war mir auch egal. Ich durfte mit Chester auf Mission gehen. „Komm, beeil dich, dann können wir heute Abend noch feiern“, sagte Chester. Ich sagte Tschüss zu Luna und ging mit Chester über die Wiese.
„Die Show ist sehr klein, deswegen wirst du das heute übernehmen. Das wird bestimmt geil.“ Chester war fröhlich. Er hatte einen seiner Freak-Tage. Da war er dann immer noch cool, jedoch nicht mehr so undurchdringbar und abwesend. „Oweh, das geht sowieso schief“, scherzte ich. „Ach was“, meinte Chester, „Du machst das schon Mäuschen.“ Ich lächelte. Wenn er mich Mäuschen nannte an einem Freak-Tag, dann war das ganz toll. Ja, das war es. Und so gingen wir zu der Ausstellung und ich klaute einer Dame den Rock und sorgte dafür, dass all die armen Kaninchen, die dort vorgezeigt wurden, fliehen konnten. Sie werden jetzt ein freies Leben in den Wiesen führen.
„Chaos, Panik und Unordnung – mein Job ist hier getan“, nuschelte ich vor mich hin. Das hatte ich mal irgendwo gelesen.
Ich fühlte mich großartig nach dieser Aktion. Auf dem Heimweg scherzten Chester und ich viel und bewunderten die M&Ms-Werbung am Times-Square. Chester fand auf dem Boden eine Fünf-Dollar-Note und schenkte sie mir. „Kauf dir was Schönes“, hatte er gesagt. Und dann führten wir eine endlose und sinnlose Debatte darüber, wie eine Katze sich als Mensch verkleiden und etwas kaufen könnte.
Ich wachte am nächsten Tag auf und mein Schädel brummte. Ich war sehr lange mit Chester unterwegs gewesen. Wir haben es auch nicht mehr in den Park geschafft, sondern waren vorher in einem Ladeneingang eingeschlafen. Das war echt cool, gerade weil es so spontan und unbequem war. Wir hatten Unfug erzählt, bis ich ins Land der Träume entflohen bin und noch wirrere Dinge geträumt hatte, als wir an diesem Tag gemacht hatten. Es ging um Flüsse und Nilpferde und mehrfarbige Stifte. Ich weiß, das ist dumm. Aber ich habe es nun mal geträumt.
Wir machten uns torkelnd auf den Weg zu unseren Bäumen und amüsierten uns über den gestrigen Abend. Wir hatten halbnackte, tanzende Cowboys an der Straße gesehen und Steine-in-Gullys-spucken gespielt. Als wir zu unserem eigentlichen Schlafplatz kamen, sahen wir Luna und Torero friedlich nebeneinander liegend. Es war immer wieder schön zu sehen, dass sie sich so gut verstanden, trotz des ständigen Neckens und der Meinungsverschiedenheiten.
Ein paar Tage später trafen wir Cindy und T-Rex erneut. Die beiden lagen auf der kleinen Steinbrücke, die über den Bootchen-See führte. Der Himmel war grau und wilde Wolken jagten und fraßen sich und spielten miteinander. Das Wetter wirkte sich direkt auf Chester aus. Heute war er der eiskalte und gedankenverlorene Anführer. Seine Stimme klang so schön, wie sie nur an einem solchen Tag klingen konnte, als er die etwas unnormalen Turteltäubchen sah. „Da ist ja dein Dinokater mit seiner Schickimickihündin.“ Wir wollten T-Rex besuchen. Chester lief voraus. Ich sprang ihm hinterher. „Wuff Wuff“, neckte er T-Rex. T-Rex ignorierte es. Er unterhielt sich mit Cindy über Spaghetti. Ein sehr romantisches Thema meiner Meinung nach.
„Du musst zugeben, je mehr Käse, desto besser“, verkündete T-Rex. „Nein, zu viel Käse ist unfein. Echte Italienische Pasta kommen mit wenig Käse aus.“ Ich musste die Augen verdrehen. Das konnte doch nicht wahr sein.
„Hi T-Rex. Wie geht es dir?“, fragte ich stattdessen. „Gut“, antwortete T-Rex. „Naja, vorhin ist Cindy ins Wasser gefallen und ich hab’s nicht gepackt sie rauszuholen.“ Chester musste innerlich grölen. Er hätte wahrscheinlich auch einen Menschen aus dem Wasser bekommen. Aber nach außen blieb er ganz ruhig. Jetzt waren auch Luna und Torero da. Sie hatten in den letzten Tagen wenig gestritten. Und auch sonst hatten sie nicht viel gemeinsam getan. Es lag eine unangenehme Spannung zwischen ihnen. Ich hatte gehofft, sie würden sich mögen und irgendwann verstehen. Es sah so aus, als läge ich falsch. Luna kam zu mir, mit hängendem Gesicht und lahmen Gang wie schon die ganze Zeit. Sie wollte mir aber einfach nicht sagen, was los war. „Hi Cindy, hi T-Rex.“ Sie begrüßte die beiden, dann legte sie sich wieder hin. Torero schaute sie besorgt an und leckte ihr übers Fell. Vielleicht würden sie sich doch noch zusammenraffen.
„Wollt ihr auch schwimmen?“, fragte T-Rex. „Ich liebe das Wasser.“ Cindy guckte ganz ungläubig: „Was?! Das Wasser ist kalt und dreckig und tief. Da sind riesige Fische.“ „Für einen Fisch ist es keine Kunst, größer als du zu sein“, meinte Chester scherzend. In der nächsten Sekunde war er im See und schüttelte das Wasser aus seinem Gesicht. Die meisten Katzen waren wasserscheu. Chester und T-Rex nicht.
Würg. Warg. Buah. Ich drehte mich verwundert um. Es klang, als würde sich jemand übergeben. Und es roch auch so. Und ich hatte Recht. Vor Luna floss eine üble Flüssigkeit die Brücke runter. Ihr Gesicht war angewidert verzogen. Torero hatte einen Schritt zurückgemacht. Gwuarg. Noch ein Schwall kam aus Lunas zarter Schnauze. Es war ekelhaft.
„Pfui. Unreinliche Katze!“, quiekte Cindy. Luna schaute drein, als ob sie gleich heulen würde. „Ich hab doch gesagt, du wirst krank“, warf ich ihr vor.
Chester kam aus dem Wasser, auf die Brücke und versuchte, das Wasser aus seinem Fell auf das Erbrochene zu schütteln. Er wollte es in den See spülen. „Sollen doch die Fische dran verrecken“, meinte Cindy. Sie hob den Kopf in den Nacken und rief T-Rex zum gehen. T-Rex wollte nicht unbedingt von uns weg. Aber Cindy und der üble Mief trieben ihn fort.
Dann kam noch eine dritte Portion Verdautes aus Luna. „Mensch hör auf!“, maulte ich. Das war ja schlimm. Torero half der armen Luna auf die Beine und schleppte sie ins Gebüsch. Ich folgte ihm. Chester bemühte sich, mit großen Blättern das ekelhafte Zeug vom Stein zu schaben. Er schmiss reihenweise Grasbüschel ins Wasser, alle voll von Lunas Magenflüssigkeit.
Im Gebüsch kam nichts mehr aus Luna heraus. Ihr Magen hatte sich beruhigt. „Mir geht’s gar nicht gut“, murrte sie. „Torero, ich will mich ausruhen.“ „Okay Luna. Es wird schon wieder gut, Schatz.“
Schatz?!? Ich glaubte, mich verhört zu haben. Torero nannte Luna Vielfraß, Nervensäge oder Katzilein. Aber nicht Schatz. Ich grinste. Ich wusste, dass er sie mag. Aber die Lage war nicht zum freuen. Luna war krank. Ich wusste von früher, dass es Medizin gab. Sie half bei allen möglichen Krankheiten. Katzen haben aber keine Medizin.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich Chester. Chester roch ganz gewaltig nach dem Erbrochenen. „Wir bringen sie zum Tierarzt“, meinte er cool. „Kennst du einen Guten?“, fragte er mich. „Ja.“ Ich wollte ihm zu dem führen, der mich bei meiner Gehirnerschütterung behandelt hatte. „Okay.“ Chester koordinierte unsere Mission. Er und Torero stemmten die schlaffe Luna hoch und trugen sie auf dem Rücken während ich ihnen den Weg zum Tierarzt wies. Es war eine harte Reise. Luna rutschte hin und her. Ihr wurde immer wieder schlecht, doch es kam nichts Ekelhaftes aus ihrem Maul mehr. Für Torero war das Gewicht irgendwann auch ein wenig zu viel. Er schnaufte heftig, bemühte sich aber, Luna nicht fallen zu lassen.
Wir kamen beim Arzt an. Es roch nach Chemie und Krankheit, fast noch schlimmer als Lunas Verdautes. Wir konnten nicht an die Theke und uns anmelden. Also legten wir Luna einfach im Gang ab. Jemand würde sie finden und gleich zum Arzt bringen. Wenn wir mitkommen würden, würde er uns auch untersuchen. Darauf hatten wir keine Lust. Also blieb Luna völlig alleine liegen. „Es wird alles wieder gut“, beruhigte Torero sie und berührte sie zart am Bauch. Ein gequältes Lächeln kam über ihren Mund. Luna hatte gesagt, es ginge ihr bereits besser. Aber jetzt, wo wir schon mal hier waren, musste sie auch verarztet werden. Wir versteckten uns am Treppenabsatz und mussten nicht lange warten, bis eine Mutter mit ihrem Sohn und dessen Hamster aus der Praxis kam. Sie sah die kranke Katze auf dem Boden und nahm entsetzt die Hand vor den Wund. „Schau mal, das arme Tier!“ Sie machte mit dem Jungen an der Hand kehrt und schickte eine Arzthelferin raus. Die Helferin nahm Luna hoch und sah ihr ins Gesicht. „Die sieht aber gar nicht gut aus“, meinte sie. „Danke für den Hinweis. Das ist aber nicht ihre Katze oder?“ Die Mutter schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Ich will heim, Pipa braucht jetzt Ruhe“, drängte der kleine Junge. Pipa war ein geiler Name. Vor allem für einen Hamster.
Die Tür fiel ins Schloss. Luna war verschwunden. Torero schluckte. Er war ganz verkrampft. „Was machen die hier mit ihr?“, fragte er. „Nichts Schlimmes hoffe ich. Auf jeden Fall nichts Böses.“ „Und du bist dir sicher?“ Torero war skeptisch. Ja, ich war mir sicher.
Es verging eine gefühlte halbe Ewigkeit. Irgendwann fiel mir ein, dass Luna vielleicht gar nicht mehr rauskommen würde. Die Ärzte würden sie in einen Käfig tun und warten, dass sich der Besitzer meldet oder ein Tierheim suchen. Um Luna rauszuholen, mussten wir da rein. Als ich Torero und Chester die Lage erklärte, wurde der schwarze Kater noch nervöser. Er sagte zu mir, ich sei verantwortungslos, weil ich Luna in diese Lage gebracht hatte. Ich wollte ihr doch nur helfen.
„Beim nächsten Kunden gehen wir rein.“ Bald kam eine Gruppe von Mädchen kichernd die Treppe hoch. Sie hatten kleine Babykätzchen dabei, die aufgeregt fiepten. „Ich hab Angst!“, miaute eine. „Ich auch. Ich will nicht mehr gepiekt werden.“ „Ihr müsst, sonst werdet ihr Krankheiten bekommen“, beruhigte ich die kleinen Miezen. Sie hörten sofort auf zu schreien und guckten sich verwirrt an. Das Wort ‚Krankheiten‘ war ihnen scheinbar nicht geläufig. Und Impfen erst recht nicht.
Die Mädchen machten die Tür auf und gingen zum Tresen um sich anzumelden. Wir huschten zwischen ihren Beinen direkt ins Wartezimmer. Hier saß niemand. Es war ein ruhiger Tag.
Aus einem der Zimmer hörte ich Stimmen, die sich fachmännisch über Gott weiß was unterhielten. Nur ein Wort hörte ich ganz klar: „Junge.“ Ging es um die kleinen Kätzchen? Das waren Junge. Aber die waren doch noch gar nicht im Behandlungssaal. Torero eilte voraus. Er hielt an einer Milchglastür an. „Kann ich da rein?“, fragte er. „Nein!“, zischte ich. „Bist du verrückt?“ „Du hast gesagt…“ Toreros Stimme zitterte, „…dass die Menschen nichts Böses tun.“ „Nichts Böses. Aber sie werden dich rauswerfen oder auch untersuchen, wenn sie dich sehen.“ Torero überlegte nicht mehr. Er schlüpfte unter der Tür durch. Auch Chester passte durch die Lücke. Was blieb mir übrig als zu folgen.
Ich sah Luna auf einem dieser Plastikflächen liegen. Sie hatte die Pfoten weit von sich gestreckt und eine Schüssel Wasser neben sich. Die Arzthelferin entdeckte uns. „Was machen denn die ganzen Katzen hier?“ Ein Mann mit einem weißen Kittel, ebenfalls Arzt, zuckte mit den Schultern und rollte mit seinem Stuhl durch den Saal um ein Holzstäbchen zu holen. Er steckte es Luna in den Hals und leuchtete mit einer Lampe rein. Die Frau bückte sich zu uns herunter. Torero hüpfte neben Luna, Chester schnurrte wie ein kleines Kätzchen. „Wie süß.“ Die Ärztin war ganz entzückt. „Ihr seid aber niedlich. Wem gehört ihr denn?“ Ich sprang auf die Fensterbank. Demonstrativ um zu zeigen, dass wir freie Katzen waren. Chester schmiegte sich um ihre Beine. „Ihr müsst wieder ins Wartezimmer zu euren Herrchen.“ Keiner von uns rührte sich. Die Frau machte die Tür auf und fuchtelte mit der Hand: „Kusch kusch, raus mit euch.“ Niemand tat einen Schritt. Sie ließ die Tür wieder zu schwingen und setzte sich hin. „Dann halt nicht. Ihr könnt ja zugucken, wenn ihr friedlich seid.“ Wir waren friedlich. Torero flüsterte Luna etwas ins Ohr. Sie sah ihn mit ernster Miene an. Dann nickte Torero und kam wieder zu Chester auf den Boden. Mir bedeutete er mit einer Kopfbewegung, dass ich auch kommen sollte. Die Ärztin schmierte Luna eine Paste auf den Bauch. Als wir vor ihm saßen, schaute Torero betrübt zu Boden. Er atmete ein paar Mal tief durch. Die Ärztin legte ein Metallding auf Luna. Ich kannte sowas nicht. Hoffentlich fand sie etwas gegen Lunas Krankheit.
„Ich muss euch was sagen…“, fing Torero an. Er schnaufte nochmal.
„Ich glaube“, sagte die Ärztin, „die Katze ist trächtig.“
Torero wirbelte herum. Mir fiel die Kinnlade runter. Chester guckte wie ein Schaf aus der Wäsche, dann kicherte er verunsichert, dann starrte er genau so wie ich auf Torero. Der stand stocksteif da und glotzte die Ärztin, Luna und das seltsame Metallgerät an.
Der Arzt nickte und sagte: „Kann schon sein. Wie lange denn schon?“ „Noch nicht lang“, sagte die Ärztin. „Haben wir noch Platz für sie?“, fragte der Arzt. „Wir wissen ja nicht, wem sie gehört.“
„Ich würde sagen, sie gehört dir“, meinte Chester zu Torero. Und dann brach er in ein spöttisches Gelächter aus. Ich konnte meinen Mund noch immer nicht schließen.
„Du bist schwanger?! Von dem da?!“ ,rief ich zu Luna hoch.
„Lass sie in Ruhe, ihr geht es nicht gut“, fuhr Torero mich an. Ich schüttelte ungläubig den Kopf: „Warum hast du das nicht gesagt, dass ihr…na du weißt schon. Ist doch logisch, dass sie kotzen muss, wenn sie schwanger ist!“ „Ich wusste das doch auch nicht“, verteidigte Torero sich. „Nein“, sagte ich abwertend, „du standest unter Hypnose, da denkt man nicht an solche Folgen. Stimmt‘s?“ Spöttisches, abgehacktes Kichern und ein breites Grinsen machten sich in meinem Gesicht breit.
„Jetzt hört aber auf!“ Chester stellte sich knurrend zwischen uns. „Die Welt ist noch nicht untergegangen.“ Leiser fügte er hinzu: „Und wenn man’s wissenschaftlich betrachtet, stand Torero wirklich unter Hypnose.“
Das war Chester wie er leibt und lebt. Immer den dümmsten Kommentar parat. „Das ist doch keine Wissenschaft. Luna und Torero haben“ Meine Stimme versagte. „Warum habt ihr uns nichts gesagt?“ Luna war doch meine beste Freundin.
Inzwischen war die Ärztin auf unser aufgeregtes Miaue aufmerksam geworden. „Seid doch bitte still.“
Am Arsch lecken kann sie mich. Luna war meine Freundin und sie hatte mir nicht mal ansatzweise gesagt, was sie in der Nacht, in der Chester und ich auf einer Ausstellung waren, getan hatten.
„Ihr hättet uns doch ausgelacht“, sagte Torero.
„Nein.“ Chesters Miene wurde ernst. „Wir hätten euch nicht ausgelacht. Ich nicht und Violett auch nicht.“ Er hatte Recht. Ich hätte Luna niemals ausgelacht. Und genau genommen…
„Ähhh, darf ich was sagen?“, fragte ich plötzlich in die Runde. Wenn ich jetzt von Luna und Torero enttäuscht war, musste ich auch was sagen, das verhindert, dass sie irgendwann von mir enttäuscht sein werden. Ich hatte auch Angst, dass sie lachen würden. Genau deswegen hätte ich sie nie ausgelacht. Was du nicht willst, was man dir tut, das füg auch keinem andern zu.
„Also…“
Weiter kam ich nicht. Eine große Hand packte mich unterm Bauch, riss mich hoch und trug mich in den Gang raus. Die Welt wackelte und schwankte. Ich sah aus dem Augenwinkel graues Fell neben mir. Höchstwahrscheinlich Chester.
Die Praxistür näherte sich, ging auf und – plumps – ich landete auf dem Boden. Auf allen Vieren, so wie es sich für eine Katze gehört. Doch der Boden war glatt. Ich schlitterte kurz auf meinen ausgefahrenen Krallen, dann lag ich flach auf dem Bauch.
Die Tür hinter mir ging wieder zu.
„Ich hoffe, der Arzt bringt Torero auch gleich raus.“ Müde reckte ich den Kopf und guckte Chester an. Ich musste echt dämlich aussehen. Halboffener Mund, unelegant am Boden liegend, verrenkt. „Ist mir ehrlich gesagt egal. Er hat ein Recht, bei seinem Weibchen zu sein“
„Was wolltest du eben sagen?“, fragte Chester.
„Vergiss es.“ Mein Kopf sackte wieder nach unten. Was ein Tag.
Torero kam nicht aus der Praxis. Chester und ich hatten beschlossen, draußen vor dem Haus zu warten. Es war kalt draußen. Ich schlotterte leicht und lief hin und her.
Chester redete unaufhörlich auf mich ein: „Wir müssen das positiv sehen. Unsere Gruppe bekommt Zuwachs. Wir werden stärker und bestimmt wie eine Familie. Mäuschen, das ist gar nicht so übel.“ Meine Antwort war ein Bibbern. „Ich weiß, dass dich das durcheinander bringt. Ich hätte auch nicht damit gerechnet. Aber wer kann die beiden denn zwingen, etwas zu tun oder nicht zu tun, zu sagen oder nicht zu sagen?“
Chester hatte ja Recht. Ich war im Moment am sauersten auf mich selbst. Ich feiges, kleines Huhn. Und was sollte ich denn jetzt tun, jetzt, in diesem Moment? Mich Chester an den Hals werfen? Vor allen dreien eine kleine Rede halten? Einfach still sein? Ihnen meine Gedanken morsen? Kurz, lang, lang, lang, kurz, kurz, lang. Oder so ähnlich.
Ich lief schneller auf und ab. Warum konnte Torero nicht endlich da raus kommen? So schlimm war es nun wirklich nicht. Ich liebe kleine Kätzchen. Ich würde ihre Tante sein. Alles schön und gut nur… ich werde noch verrückt! „Grrrrr“, kam aus mir raus. Grrr. Knurr, fauch und kratz.
Nach gut einer halben Stunde hin und her Rennen und vor dem Haus Warten, blieb ich schnaufend stehen. „Was macht Torero da oben?“, fragte ich Chester.
Der antwortete cool: „Willst du das wirklich wissen? Dann würdest du aber wieder hier hin und her rennen.“ Er schmunzelte. Männer! „Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Nicht jetzt. Ich hoffe auf jeden Fall, Luna geht es wieder besser. Ich will mich bei ihr entschuldigen.“
„Ich würde sagen, wir gehen in den Park zurück. Wer weiß, was jetzt mit Luna passiert. Und wer weiß, wie lange das dauert.“ Er lief vorne weg. Ich blieb sitzen. „Jetzt komm schon! Was willst du denn jetzt hier tun?“
Ich drehte mich um. Ich lief und lief, ohne aufzusehen, ohne etwas zu denken. Die Welt flog an mir vorbei. Menschen, Autos, Hubschrauber, ich hörte alles, aber es lief einfach an mir vorüber. Eine ganze Zeit lang war Chester mir nachgelaufen. Er hatte gerufen und er wollte, dass ich stehenbleibe, ihm erkläre, was ich tue.
Aber ich habe ihn ignoriert, bin einfach nur weitergelaufen. Jetzt saß ich vor der Haustür. Ein kalter Abendwind wehte mir um die Nase. Ich war den ganzen Weg gelaufen, habe auf die U-Bahn mit ihrem Gedrängel und Gedrücke verzichtet. Ich blickte an der Hauswand hinauf. Es sah aus wie damals, vor vielen Wochen, als ich es verlassen hatte. Oben in Gabs Zimmer brannte Licht. Noch einmal atmete ich ganz tief durch, dann streckte ich den Kopf durch die Katzenklappe. Im Flur war es dunkel, genauso im Wohnzimmer und in der Küche. Dort roch es nach gebratenen Kartoffeln und Bohnen. Der Eigengeruch des Hauses lies in meinem Kopf automatisch Bilder ablaufen von vergangenen Weihnachten und Geburtstagen und anderen Situationen. Violett mit Kochhandschuh auf dem Kopf, Joanna mit ihrem Staubsauger, der nicht mehr ausgehen wollte und Gab, wie sie mit ihren Freundinnen kicherte und Filme schaute. Ich schüttelte den Kopf. Raus, ihr Erinnerungen!
Ich lief Schritt für Schritt die Treppe hoch. Was würde Gab sagen, wenn sie mich jetzt wiedersah? Und wer sprach da? Ich hörte zwei Stimmen von oben. Gab und noch ein Mädchen. Ich ging noch drei Stufen hoch. Es war Nadja, die da redete. Sie sprach leise und ernst. Gab sagte immer mal wieder ‚ja‘ und ‚hmhm‘.
Mir fiel noch ein weiterer Geruch auf. Einer, der mir noch nie begegnet war. Zumindest nicht in diesem Haus. Warum zum Teufel roch es hier so stark nach – Hund?! Knurr! Gab hatte sich einen Hund angelegt? Ich war mir sicher, der Geruch stammte von einem Hund. Er war noch jung, ein Welpe. Da hörte ich ihn auch schon kläffen. Das Kläffen war laut und genau so, wie man sich das Kläffen eines Hundewelpens vorstellt.
„Was hast du denn Furby?“, fragte Gabrielle mit süßlicher Stimme. „Sei doch still.“ Furby bellte weiter. Gab stand auf und ging auf die Tür zu. Ich schloss die Augen. Würde Furby auf mich stürzen? Die Tür öffnete sich. „Das ist doch…“ Gab brach im Satz ab. Sie sah auf mich hinunter. „Violett?“ Ihre Augen wurden groß vor Erstaunen. Zwischen ihren Beinen sah ich Furby’s hellen Kopf schief hervor linsen. Ein Labrador. „Violett, du bist wieder da?!“ Gab blieb der Mund offen stehen. Nadja war herbeigekommen und guckte mich an.
Sie tätschelte Gab auf die Schulter: „Da ist ja deine Katze wieder.“ Gab sagte nichts. Ich ging ins Zimmer und begrüßte Furby: „Hallo. Ich bin Gabrielles erstes Haustier. Du hast nur meinen alten ehrenwürdigen Platz eingenommen.“ Ich hatte keine Absicht, mich dem Hund freundlich zu nähern. „Aber Gabi hat mich doch lieb. Sie nennt mich Mäuschen.“ „Oh“, meinte ich spöttisch, „Mich nennt auch jemand Mäuschen. Nur falls es dich interessiert: Ich habe ihn heute verlassen. Wie wär’s, wenn du Gab auch verlässt.“ Furby bellte mich böse an.
Ich wendete mich von ihm ab und kuschelte mich an Gab. Sie streichelte mich nur sehr vorsichtig. „Du bist total schmutzig“, sagte sie. „Wo warst du so lange?“
„Wann bist du hier her gekommen?“, wollte ich von Furby wissen. „Ich bin noch nicht lange hier. Gabi sagte, es seien jetzt vier Wochen.“ „Weißt du, wo sie vorher war? Im Gefängnis vielleicht?“ „Wo soll sie gewesen sein?“ Was ein blöder Köter. Ungebildet wie ein Sofakissen.
Aber immerhin war der Hund neugierig: „Wen hast du denn verlassen?“ „Ich glaube“, antwortete ich, „das verstehst du nicht.“ „Ich will’s aber wissen“, kläffte Furby.
„Okay, ich erklär es dir. Er heißt Chester und ist ein Straßenkater. Sagen wir, ich mag ihn sehr sehr sehr gerne. Und ich habe eine Freundin. Die hat jemand anderen sehr sehr sehr gerne. Ich war wütend auf sie, weil sie mir das nicht gesagt hat. Dabei war ich selbst genauso feige und habe es bis zum Schluss niemandem verraten. Und dann war ich da ganz alleine mit dem, den ich so gerne hab und ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Furby nickte bestätigend. „Wie gerne denn?“
Ich schmunzelte: „Ganz schön arg. Und das will ich jetzt vergessen. Ich will wieder in mein normales Leben zurück und Chester…“ Ich stockte. Mir kam eine Träne. Emotionen sind böse. Sehr böse. Du kannst sie nicht stoppen und sie ändern sich so schnell, dass einem schwindelig wird.
„Chester hat dich Mäuschen genannt?“ Ich antwortete nicht, sondern schmiegte mich an Gabs Beine. Die war wieder in ihr ernstes Gespräch mit Nadja vertieft. Später fand ich raus, dass ich besser hätte zuhören sollen. Aber ich versank in einen Halbschlaf voll wirrer Träume und Fantasien. Die meisten handelten von Chester.
Eine feuchte Zunge strich über mein Fell. Was ich zu aller erst merkte: Diese Zunge gehörte nicht Chester. Es war Furby, der fröhlich lächelnd um mich herumlief. Ich hatte die Nacht durchgeschlafen und war immer noch hundemüde. Ich streckte die Pfoten und den Schwanz, machte einen Buckel und schüttelte mich von vorne bis hinten.
Unten in der Küche saßen Gabrielle und Nadja am Frühstückstisch. Sie tratschten über Jungs. Nadja hatte vor, mit Manuel in den Sommerferien auf gut Glück durch das Land zu trampen. Ihre Mutter war von der Idee nicht sehr begeistert. Gabrielle erzählte von einem Lukas, der sie zum Prom eingeladen hatte, total gut tanzen konnte, aber jetzt nicht mehr aufhören wollte, sie zu nerven.
„Seit diesem Abend rennt er mir hinterher und er setzt sich in jedem Kurs und draußen in der Pause zu mir.“ „Mensch, freu dich doch! Wenn du ihn weiter so abblitzen lässt, is er irgendwann fort. Flutsch, einfach weg. Und dann komm nicht zu mir und heul!“ Sie lachten beide.
Gab stand vom Stuhl auf und holte eine meiner alten Futterschüsseln. Sie guckte sich um: „Ich hab gar kein Katzenfutter mehr. Nimmst du auch Toast?“ Schon warf sie Scheiben von ungetoastetem Brot in den Napf. „Violett, ich wünschte, du würdest mir mal sagen, wo du warst. Ich musste schon wieder zu allen Tierärzten und nach dir fragen.“ Sie nahm noch Käse, schnitt ihn in Stücke und mischte ihn unter das Brot. „Hier bitte schön.“
Und ich wüsste gerne, wie du aus dem Gefängnis rausgekommen bist. Aber ich kann dich nicht fragen. Und was du mich fragst, das kann ich nicht beantworten. Das ist unser Problem.
„Geh doch mit Lukas aufs Empire. Das is voll cool da oben. Und…romantisch.“ Nadja grinste verschmitzt. Gab schnickte ihr Haferflocken ins Gesicht. „Ich will nix von dem Kerl, wirklich“, sagte sie. „Nimm du ihn doch mit da hoch.“ „Und Manuel?“ Gab verdrehte die Augen. Dann lachten wieder beide.
Furby kam die Treppe runter, die Leine im Maul. Die Metalhaken kratzten über den Boden.
Nadja streichelte Furby und erklärte ihm: „Wir gehen jetzt nicht Gassi. Wir gehen jetzt in die Stadt. Ist er nicht süß?“, fragte sie Gab. Auch Gab streichelte Furby.
Sie packten ein paar Marmeladenbrote und Mandarinen ein. Dann warfen sie sich ihre Schultertaschen über und verschwanden durch die Tür. Joanna war schon längst weg. Jetzt saß ich allein mit dem Welpen in der Küche. Mein Käsetoast war leer. Es hatte gut geschmeckt. Doch es war nicht das, was ich gewöhnt war. Es war besser als Müll und labbriges rohes Fleisch, aber es war eben so fremd. Und Luna, Torero und Chester waren nicht dabei.
„Hast du mich auch ganz arg lieb?“, fragte Furby in mein Schweigen. Ich schüttelte den Kopf. Bis jetzt hasste ich Furby noch nicht. Aber wie lange noch? „Warum nicht?“ Halt die Schnauze, hätte ich am liebsten gesagt. Aber das wäre unfreundlich. Also stellte ich stattdessen eine Gegenfrage: „Kennst du einen Kater, einen vierfarbigen, der höchstwahrscheinlich immer mit einer kleinen Hundedame unterwegs ist? Hast du den hier schon mal gesehen?“ „Nein“, kläffte Furby, „ich kenne gar keinen Kater. Nur eine schwarze Katze, die immer im Garten ist.“ Das war Titanic, die arroganteste Katze, die mir jemals begegnet war. Ich hoffte immer, sie würde irgendwann untergehen; genauso wie die echte Titanic.
Ich sagte nichts mehr zu Furby, ich ging einfach raus. Es war ein extrem heißer Tag. Die Sonne brannte vom Himmel. Ich beschloss, T-Rex und Cindy zu suchen. Sicher, es würde nicht einfach für mich werden, meine Zeit mit einem glücklichen Pärchen zu verbringen. Aber immerhin besser als alleine oder mit diesem Fellknäuel von Hund.
Also lief ich den altbekannten Weg zur Schule. Titanic lag faul auf der Hollywoodschaukel unserer Nachbarn herum und blinzelte mich feindselig an. „Guten Morgen Violett. Lange nicht gesehen. Was macht der Glückskater?“ „T-Rex“, sagte ich bemüht freundlich, „ist mit einer Chihuahua-Hündin zusammen. Ich wollte ihn gerade suchen und ihm Hallo sagen.“
Titanic sah mich ungläubig an. „Mit einer Hündin?! Ich wusste immer, dass dieser Kater einfach nicht normal ist. So tief würde ich niemals sinken können.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ist doch seine Sache oder.“ „Würde ich nicht sagen. Wenn die Menschen das herausbekommen denken sie, New Yorker Katzen würden der Natur dieser Welt wiedersprechen.“ „Sagen sie“, fragte ich neugierig, „das auch über Schwule? Oder über Blinde? Vielleicht manche. Aber so eine willst du doch auch nicht sein, eine, die andere diskriminiert nur für…“ „…Ist ja gut!“, unterbrach Titanic, „Beruhig dich. Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“ Sie schloss die Augen und räkelte sich in der Sonne. Sie war genau diese Art von Katze, die Chester und seine Denkweise nie verstehen würde. Sie würde ihn hassen mit seiner rebellischen, eigensinnigen und tiershowfeindlichen Art. Und sie würde seinen Humor nicht lustig finden. Dummschwätzer würde sie ihn wohl nennen. Titanic war so langweilig.
Stopp Violett! Sie hat dir doch gar nichts getan! Und Chester wird sie dir auch nicht wegnehmen. Also hör auf über sie zu urteilen und sie zu hassen. Eine Freundin würde dir eigentlich viel besser tun.
Ich ging weiter.
Vor der Schule war es ruhig. Es waren ja auch Ferien. Nur zwei turtelnde Vögel hüpften über die Holzbänke. Das Gras war trocken und warm. Es stank nach Müll und Schweiß, nach vielen Menschen und allem möglichen. Keine Wolke war am Himmel. Erschöpft von dem Marsch lies ich mich ins Gras plumpsen. Ein Schmetterling, blau und groß, schwirrte um meine Nase. Ich fühlte mich trotzdem ziemlich allein. Ich blickte hoch zum Dach der Schule, auf dem ich damals mit T-Rex herumgerannt bin, glücklich und nicht so allein.
Ich könnte ein Rudel von wilden, fantastischen Katzen um mich haben. Ich bin selbst Schuld an meinem Alleinsein. Aber ich hätte es nicht mehr lange ausgehalten. Jetzt hätte ich immer so ein mulmiges Gefühl gehabt, wenn ich Zeit mit Chester verbrächte. Ich würde denken, sie beobachten mich. Ich würde eine endgültige Aussage machen müssen, ein Geständnis. Oder ich hätte die Sache mit Chester vergessen müssen. So war es besser. Ein bisschen Abstand half sicherlich. T-Rex und Cindy könnten mein neues Rudel werden.
In ein paar Wochen werde ich wieder mein altes Leben haben, mein ganz altes. Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es schön war. Und jetzt vergiss Chester. Oder freu dich, dass du ihn kennenlernen durftest, dass du seine – Oh weia! Ich hatte ganz vergessen, dass Chester ja nicht aus der Welt war. Und ich war es auch nicht. Er würde mich finden. Er musste nur meiner Geruchsspur folgen oder noch einfacher: T-Rex fragen, falls er ihn im Park sehen würde. T-Rex würde ihn zu meinem Haus führen. Kurz lächelte ich, in der Hoffnung, Chester würde wirklich nach mir suchen und zu mir kommen und etwas sagen wie ‚Mäuschen, ich habe dich vermisst‘.
Jetzt war es diese Unruhe und Ungewissheit, die mich zittern lies. Möglicherweise werde ich Chester mein Leben lang nicht mehr begegnen. Und möglicherweise steht er morgen in der Tür. Denn weiter als drei Stunden wohnte er nicht weg.
Ich trottete um die Schule herum. Es wurde immer heißer. Hochsommer.
Ich dachte so an dies und das, da sah ich ein buntes Etwas in meinen Augenwinkeln. Es war T-Rex.
„Violett?“ „Jaaa?“ Ich saß zusammengekauert auf der Wiese. „Warum bist du hier?“ Cindy kam hinter T-Rex hervor gehopst.
„Ich…“ Ich wusste gar nicht recht, was ich sagen sollte. „Ähhm, ich bin halt hier, weil ich nicht mehr bei den anderen sein wollte.“ Cindy zog die Brauen hoch. „Nicht mehr bei ihnen sein?! Ja warum denn?“ „Luna ist schwanger“, brachte ich dann über die Lippen.
„Hat sie deswegen so erbrechen müssen?“ „Ja.“
„Und warum“, fragte T-Rex, „bist du jetzt hier her gekommen? Ist doch geil, dass ihr kleine Kätzchen in euer Rudel bekommt.“
„Ja schon“, wieder wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Gott, lass Wörter regnen!
„Feigheit.“, platschte es mir auf den Kopf. „Hey komm, Vio, das musst du uns jetzt schon erklären. Sollen wir dir alles aus der Nase ziehen?“
Warum nicht? Ich wusste eh nicht, was jetzt kam. Ob Chester mich suchen würde, ob er ein neues Mäuschen finden würde oder ob ich in einer halben Stunde von einem Auto überfahren werden würde. Also erzählte ich davon, wie Luna schwanger wurde, dass sie sonst immer mit Torero gezankt hatte, aber klar, was sich neckt, das liebt sich. Ich erzählte, dass ich neidisch auf meine Freundin wurde, weil sie ihren Kater erobert hatte und ich immer noch nur eine Freundin für Chester war. Aber ich wollte seine Freundin sein. Als ich anfangen wollte, von der Wärme seines Atems zu erzählen, brach ich meinen Bericht ab. Genug ist genug.
„Ist ja geil!“, sagte Cindy. „Sowas hört man sonst nur in Daily Soaps im TV.“ „Ach, dann bist du also normal?“, spottete ich zurück. Cindy tat, als hätte sie das nicht gehört.
„Was macht ihr jetzt?“, fragte ich, um das Thema zu wechseln. „Wir wollten eigentlich an den Strand laufen. Da ist es in der Abenddämmerung immer so schön. Nur ich glaube nicht, dass du mitkommen willst.“ Aber warum denn eigentlich nicht. Okay, vielleicht, weil ich dann die romantische Stimmung zerstören würde. Aber dann wäre es Cindy, die mich nicht dabei haben wollte, nicht ich, die nicht mitkommen wollte.
Ich wollte den beiden nicht ihre Zweisamkeit zugrunde richten. Also lehnte ich ab und drehte mich weg. „Man sieht sich doch hoffentlich“, sagte ich noch zu T-Rex. Der nickte. Dann ging ich fort. Ich konnte quasi spüren, wie sich die beiden hinter mir die Nasen leckten. War es nicht schwierig für so ein Pärchen nonverbal zu kommunizieren? Immerhin war ein wedelnder Schwanz bei einem Hund Zeichen für Freude, bei einer Katze bedeutete es Anspannung, Aufregung bis Aggression, Unruhe eben.
Ich vergaß Cindy und T-Rex und lief ziellos durch die Straßen. Im Moment hatte ich gar nichts zu tun. Ich hockte mich in den Schatten einer Mülltonne, grub darin nach etwas zu Essen und fand tatsächlich ein paar angenagte Chicken Wings.
Ein Mädchen kam die Straße entlang, blieb stehen und lockte mich, wie Menschen Katzen locken. „Miez Miez.“ Ich kam auch zu ihr. Dann streichelte sie mich und war glücklich. „Du bist aber ein süßes Kätzchen. Wünsch mir viel Glück, ich habe jetzt ein Vorstellungsgespräch und darf es einfach nicht verkacken. Aber ich muss Gott danken, dass er mir diese Chance gibt. Bei einem der größten Modemagazine des Landes arbeiten – meine Güte, das ist der Wahnsinn…Hilfe, ich rede mit einer Katze. Oh, Annika!“
Sie stand aus ihrer Hocke auf, streifte ihr Shirt glatt und setzte die Sonnenbrille vom Kopf auf die Nase. Ihr Gürtel glänzte silbern in der Sonne, ihre Schuhe waren knalltürkis.
Sie erinnerte mich ans Macy’s und Gabs angeblichen Diebstahl.
Annika stöckelte den Weg entlang. Hübsch war sie. Hinter der nächsten Straßenbiegung verschwand sie. Es wurde noch ein Stückchen wärmer. Ich blieb am Boden liegen. Der Stein war heiß.
Mir wurde dämmerig im Kopf und ich schlief ein.
In meinem Traum war es eiskalt und windig. Ich stand auf einem der höchsten Häuser der Stadt.
Es war Winter. Um mich herum wirbelte Schnee. Ich zitterte leicht, aber der eisige Wind tat gut. Meine Sinne waren klar und ich dachte an nichts außer an die atemberaubende Aussicht. Weihnachtliche Lichter unten in den Straßen, Schnee im Park, weise leichte Flocken überall. Über mir, unter mir, vor mir, hinter mir, überall.
Ich atmete ganz tief die kristallklare Luft ein. Dann hörte ich ein Tapsen hinter mir. „Mäuschen.“ Chesters warme, schmirgelnde Stimme durchbrach die Stille. Ich drehte meinen Kopf. „Ist dir nicht kalt?“ Seine Augen waren so warm, dass mir in diesem Moment kaum noch kalt war. „Nein.“ Ich schaute wieder nach vorne: „Es ist so wunderschön hier.“ „Ich weiß, was noch wunderschön ist“, fing Chester an. Aber in diesem Moment fing der Boden an zu schwanken. Alles wackelte. Es krachte und klirrte. Überall um uns herum erzitterten die Häuser. Dann wurde es ohrenbetäubend laut und unter Ruckeln und Krachen stürzte auch unser Hochhaus zusammen. Schnee, Stahl, Stein, alles flog um mich herum und es wurde immer lauter, aber ich spürte keinen Schmerz.
Ich kniff kurz die Augen ganz fest zusammen. Dann blickte ich schlagartig auf. Wo war ich? Immer noch auf der Straße in Brooklyn. Es war wieder warm und Sommer. Die Sonne stand jetzt aber tiefer. Ich hatte doch recht lange geschlafen. T-Rex und Cindy liefen jetzt in diesem Moment eng nebeneinander über den Strand.
Ich konnte mir ein lautes Aufschreien nicht verkneifen. Ich schrie allen Ärger in einem spitzen Schrei heraus. Jetzt ging es mir schon besser. Aber die Welt war ungerecht, ungerecht, ungerecht.
Ich war hier. Allein. Mein ehemals bester Freund war nun glücklich vergeben. Mein Frauchen hatte mich durch ein Labradorbaby ersetzt und mein Rudel war mit völlig anderen Problemen beschäftigt.
Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich jetzt machen sollte. Einen Pokerclub gründen vielleicht? Oder doch eher in einen Gospelchor einsteigen? Oder für ein Modemagazin arbeiten? Ja, als Mensch könnte ich das.
Ich könnte ja mal schauen, was Gab und Nadja trieben. Sie hatten gesagt, sie würden heute in die Stadt gehen. Es war zwar schon fast Abend, aber ich konnte mir gut vorstellen, dass sie irgendwo Party machen würden. Nadja war 16. Sie konnte Auto fahren. Sicher würden die Mädels in irgendeine Jugenddiskothek gehen. Oder in ein Musical oder einen Film.
Ein bisschen Stadttrubel konnte auch mir nicht schaden. Und so beschloss ich, noch heute wieder zurück nach Manhattan zu gehen und durch die Schlangenstraße zu ziehen. Und heute würde ich mal wieder U-Bahn fahren.
In der Schlangenstraße wimmelte es von Leuten. Es war nicht sehr laut, aber voll. Die Lichtplakate überall um mich herum kamen noch nicht so gut zur Geltung. Aber bald würde es dunkel sein und dann ging die Post ab.
Eine ganze Gruppe junger Mädchen in paillettenbesetzten Shirts stöckelte kichernd an mir vorbei, ein Obdachloser saß neben mir an der Hauswand und spielte Mundharmonika. Ein dünner grauer Boxermischling schlief neben ihm.
Jetzt flog ein Hubschrauber durch die Häuserschluchten und die reichen Menschen darin machten große Augen. Manhattan von oben, wirklich sehenswert!
Ich lief so hin und her. Es duftete nach leckerem Essen, nach Curry und Fisch und Karotten.
Aus einem kleinen Mülleimer zog ich ein Päckchen mit chinesischem Entenfleisch hervor. Dem Menschen, der es gekauft hatte, hatte es sichtlich nicht geschmeckt. Es war noch fast voll.
Nachdem ich gegessen hatte, lief ich zu einer der Seitengassen, in denen die verwegenen Straßengangs hausten. Ob Menschen, Hunde, Katzen oder Ratten. In den dunklen Nischen der Stadt fand man all die, die unehrlich oder alleine waren. So wie ich.
Ich der ersten Gasse, die ich fand, war absolut niemand. Ich der zweiten kauerten drei Menschenjungs auf dem Stein. Sie trugen graue T-Shirts und Rucksäcke mit Camouflage-Muster.
Daraus holten sie Bier und ein Gerät, das Musik macht. Sie sahen mich nicht. Ich ging trotzdem diese Seitenstraße entlang, an den Jungs vorbei, die übel nach Alkohol stanken, und über eine Feuerleiter hoch aufs Dach. Dieses Haus war ziemlich klein im Vergleich zu den Hochhäusern. Aber man konnte trotzdem das Treiben der Menschen von oben sehen und es sah lustig aus. Ich schaute bestimmt ein, wenn nicht zwei Stunden den Menschen zu, als ich ein bekanntes Gesicht sah, vier bekannte Gesichter. Da waren Gab, Nadja, Maria und Becky. Die Mädels waren schick, in schwarz und weiß gekleidet, trugen wilde Frisuren und knallig Handtaschen. Gab hatte sich die Haare hochgesteckt und pinke Bänder und Strähnen in ihren Zopf geknotet. Maria hatte die langen schwarzen Haare offen und perfekt gewellt, Nadja hatte den Pony golden eingesprüht und Becky trug so viele Plastikketten, dass sie bestimmt vorne überkippen musste. Sie liefen nebeneinander her und erzählten und lachten. Maria machte wilde Gesten, Gab musste sich den Bauch halten vor Lachen.
Sie gingen in einen Musikladen. Ich wollte spontan mit. Also sprang ich die Feuerleiter absatzweise hinunter und lief an den stinkende Jungs vorbei, über die Straße und in den Laden. Mir kam ein Schwall weiblicher Balladengesang entgegen, ein langer, klarer Ton. Die Streicher spielten, die Bässe wummerten. Der Ton wurde immer höher bis er abbrach und die Frau wieder Text sang, jetzt kam noch ein Keyboard dazu, das elektronischen Sound machte. Oh yeah, wumm wumm wumm. Maria wackelte cool mit den Hüften im Rhythmus des Songs. Becky durchstöberte die langen Regalreihen klappernd. Sie zog eine der CDs raus und hob sie hoch in die Luft: „Wie geil, sie haben sie noch!“ Gab und Maria tanzten jetzt zusammen. Sie gingen voreinander in die Hocke und schleuderten ihre Haare wild herum, bis sie mit fuchtelnden Armen wieder hochkamen. Ein großer Junge mit Haaren wie Igelstachel und Jeansjacke tippte Maria an: „Du tanzt echt hammer.“ „Oh danke,“, antwortete Maria kein bisschen scheu. „Kannst du das auch? Dann zeig’s uns!“ Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich und tanzen? Ne, ne, ich bin da eher der Typ, der die Platten auflegt.“ „Du bist D-J?“, fragte Gab. „Manchmal. Zumindest immer auf Partys meiner Kumpels und wenn jemand in der Family Geburtstag hat.“ „Wie cool“, schnurrte Maria, schwang die Haare zurück und durchsuchte ebenfalls die Regalreihen. Die Junge ging ihr hinterher, schaute ihr über die Schultern, was sie sich wohl ansah und ging dann fort. Maria nahm eine Scheibe, legte sie in den Player zum Probehören ein und reichte Gab einen der Kopfhörer. „Jetzt hörst du mal echten Dance-Hip-Hop.“ Und schon wippten sie mit den Köpfen im Takt der Musik. „Jaah, das ist geil!“ Gab gefiel der Song.
Jetzt kam das, was kommen musste, was ich aber gar nicht so schlimm fand. Eine Frau, die gerade aus dem Laden ging, sah mich und rief sofort: „Was hat diese Katze hier zu suchen?“ Eine mollige, kleine Verkäuferin scheuchte mich. Ich blieb unbeeindruckt sitzen. Sie fuchtelte herum, trat mit dem Fuß in meine Richtung und sagte immer: „Jetzt geh. Mach dich weg hier.“ Ich ging einfach noch weiter in den Laden rein. Jetzt griff sie nach mir. Aber ich zeigte ihr meine Krallen. Sie zog die Hand zurück und überlegte. „Gut, wenn du nicht raus willst, dann hol ich Herrn Millersens, der wird dich schon rausschaffen.“ Und so ging sie zur Kasse und sprach einen Mann an. Ich fand es in dem Moment einfach witzig, mich unter einem breiten Regal mit alten CDs zu verstecken. Herr Millersens kniete sich vor dem Tisch nieder und langte nach mir. Aber sein Arm war zu kurz. Ich konnte ungestört auf dem Teppichboden liegen und ihn auslachen. Er legte sich flach auf den Bauch, robbte langsam unter das Regal. Ich stand auf und ging auf der anderen Seite raus. Herr Millersens musste erst wieder zurück. Dann stand er auf, schickte die mollige Frau auf die andere Seite und blieb selbst stehen. Er wollte mich einkreisen. Jetzt bekam ich aber Angst.
Gab bemerkte nichts. Sie und Maria tanzten noch immer. Die Frau kam zu mir. Ich machte einen Satz und sprang hoch, mitten in die ganzen alten, reduzierten Platten hinein. Es klapperte und kratzte auf dem Plastik. Ich zog die Krallen ein um mehr Halt zu bekommen. Herr Millersens schnappte nach mir. Blitzschnell hatte ich mich weggeduckt und war in eine Kuhle zwischen den CDs gesunken. Jetzt kam Herr Millersens von der Seite, sah, dass ich mich erst wieder hochkämpfen musste. Er lehnte sich weit über die Kante und fluchte, als ihn anfauchte und die Zähne zeigte. Mit der Pfote schnickte ich ihm eine CD an den Kopf. Klapper, fiel sie wieder auf den Tisch. Es war eine Beatles-CD. Ich kannte dieses Bild da vorne drauf. Joanna hörte gerne Beatles. Ich strampelte mich frei von Plastikquadraten und hüpfte federleicht umher. Dann sprang ich auf eines der höheren Regale. Die Kante war schmal und ich musste gut die Balance halten. Aber ich war eine Katze. Elegant hüpfte ich von einer Reihe zur nächsten, auch an Nadja vorbei, die mir verdutzt nachguckte. „Oh Gott, ich hätte nicht so viel Rauschgift nehmen sollen.“
Beim nächsten Sprung warf ich ein paar CDs runter auf den Boden. Die Hüllen gingen auf, die Scheiben rollten herum. Es brachte mir nichts, aber ich fand es lustig. Hinter mir rannten Herrn Millersens und die Frau herum, beruhigten die Kunden und sammelten die CDs wieder ein, die überall verstreut waren. Dann kam eine dritte Angestellte mit einem Besen. Sie wollte mich von dem Regal schubsen aber ich sprang hoch und direkt über mir hing ein Plakat das anzeigte, dass es unter mir reduzierte Ware gab. Ein großes weißes Prozentzeichen war meine Schaukel und Rettung hoch in der Luft. Die Frau stieß mir mit dem Besenstiel ans Bein. Ich klammerte mich fester an das Zeichen. Ich schaukelte immer mehr hin und her, ich nahm selbst Schwung, ließ los und landete zielgenau auf der Kassentheke. Jetzt wurde Herr Millersens rot im Gesicht und die meisten Kunden schauten fassungslos zu, wie ich erst die Kasse öffnete, dann die Geldschein zu Boden warf und zum krönenden Abschluss über den Kopf der kleinen Verkäuferin wieder auf die Regalreihe sprang, mir wahllos eine CD schnappte und zur Tür raus rannte. Die Alarmanlage piepste, als ich durchlief, aber die Menschen kamen mir sowieso nicht hinterher. Im Getümmel der Einkäufer verschwand ich und hörte wie Herr Millersens noch rief „Haltet die Katze!“, dann merkte, wie sinnlos diese Aufforderung war und wieder in sein Geschäft zurückschlurfte. Mein Frauchen Gab hatte Dank ziemlich lauter Kopfhörer gar nichts gemerkt. Die Show hätte sie sich ansehen sollen. Und als ich gerade merkte, was für ein tolles Kunststück mir darin gelungen war, stieß ich mit der Nase an ein knutschendes junges Pärchen, das mitten auf der Straße stand. Ich war von hinten in den Mann hineingelaufen. Er merkte gar nichts. Er war beschäftigt und ich war eifersüchtig. Weil ich hatte keine Beschäftigung außer CDs zu klauen.
Ich ließ den Kopf wieder sinken, frustriet über mein Los der Einsamkeit, als ich schon wieder etwas rammte. Diesmal war es kein Pärchen. Es war gar kein Mensch, es war eine Katze: Luna.
„Hi“, sagte sie zaghaft. Ich murrte. „Geht es dir gut?“ „Na, wie seh ich denn aus?“, fragte ich scharf. Luna tapste mir hinterher. „Ich habe gerochen, dass du in der Nähe bist. Ich habe dich schon gestern den ganzen Tag gesucht.“ „Schön.“ Musste sie mich gerade jetzt finden, wo ich so deprimiert darüber war, dass ich so alleine war? „Hey, es tut mir Leid.“ „Ich weiß…“ Ich wollte sie nicht verletzen. „Ich weiß, dass es dir Leid tut. Aber das muss es eigentlich nicht. Ich hätte das an deiner Stelle auch nicht sagen können.“ „Wirklich?“, fragte Luna erstaunt. Ich nahm die CD wieder ins Maul und führte Luna zu der Gasse, an den Jungs vorbei, die jetzt laut über einen Witz lachten, die Feuertreppe hoch auf das niedrige Dach. Dort legte ich das Plastikteil ab und wandte mich an meine Freundin: „Es tut mir Leid, dass ich abgehauen bin. Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das getan habe. Ich habe es nur einfach nicht mehr ertragen. Dir ging es schlecht, wir wussten nicht, was die Ärzte mit dir machen, es kam alles so plötzlich und es hat mir gezeigt, wie blöd ich selbst bin.“ „Das versteh ich nicht“, sagte Luna. „Aber verzeihen tu ich dir auf jeden Fall.“ Und sie leckte mir freundschaftlich über die Backe.
„Nunja, ich meine“, fing ich an, „dass aus dir und Torero ein Paar wird, das hatte ich schon von Anfang an vermutet und gehofft. Ich dachte nur, ich würde es merken, wenn es soweit wäre.“ „Tut mir wirklich Leid. Ich dachte, du hältst mich für eine Heuchlerin, wenn ich es dir sage oder zeige. Immerhin habe ich Torero vorher ja scheinbar so arg gehasst, dass…“ „Genau deshalb ja“, unterbrach ich sie. Luna grinste.
Ich sprach langsam weiter. Jetzt kein falsches Wort.
„Ich habe schon früh gedacht, dass ihr beiden gut zusammenpassen würdet. Hast du so etwas jemals von mir und…und noch jemand anderem gedacht?“ Ich wollte die Sache vorsichtig angehen.
„Chester hat dich immer Mäuschen genannt. Ich dachte, er mag dich. Nur ist Chester zu stolz um zu zeigen, dass er ein kleiner Romantiker ist.“ Der Klang des Namens traf mich wie ein Eisstachel. So früh sollte Luna nun auch wieder nicht auf des Rätsels Lösung kommen.
„Chester ist ein Romantiker?“, fragte ich unsicher.
„Ja, total. Letztes Jahr war er mit dieser Schleife zusammen.“ „Schleife?!“ „Ja, die Katze wurde von ihrem Frauchen Schleife genannt, weil sie sie damals zu Weihnachten mit einer dicken roten Schleife um den Hals geschenkt bekommen hatte. Aber das ist nicht die Sache. Es geht darum, dass Chester ihr bis in die Bronx gefolgt ist, wo sie gewohnt hat und uns, seinen Clan allein im Container gelassen hatte. Angeblich war er fast jeden Tag auf Tierausstellungen und hat den armen geschminkten Kötern geholfen, ein neues Leben anzufangen. Aber die ganze Zeit hat nie ein Mensch oder ein Tier über diese häufigen Vorfälle ein Wort verloren.“ „Er hat gelogen? Chester hat gelogen?“ Das konnte ich mir bei ihm nur schwer vorstellen. „Ganz genau, er hat uns belogen. Mich, Torero und Stone. Eines schönen sonnigen Wintertages sind wir ihm gefolgt und haben gemerkt, dass er sehr weite Strecken, teilweise auch mit der U-Bahn, auf sich genommen hat, um nach Norden zu kommen. Nach ewigem Nachlaufen und Verstecken haben wir beobachtet, wie er sich auf einem Skateplatz mit dieser silbergrauen Katze getroffen hat. Sie haben stundenlang auf der Half-Pipe gesessen, erzählt, sich das Fell geleckt, gespielt und er hat ihr unzählige Komplimente ins Ohr gesäuselt, ihr Schneeflocken gefangen und noch viel mehr.“ Ich stellte mir alles bildlich vor. Nur war die Katze an Chesters Seite nicht silbergrau, sondern beige.
„Stone hat das wenig interessiert. Er fand die Half-Pipes unglaublich gemütlich zum hinlegen und freute sich für Chester, dass er seinen Spaß hatte. Aber Torero und ich waren stinksauer. Er hatte uns nie erzählt, dass er eine Freundin hatte. Dabei waren sie schon mehrere Monate zusammen gewesen. Als er sich abends von Schleife verabschiedet hatte, haben wir ihn aus dem Gebüsch überrascht und zur Rede gestellt.“ Luna musste bei ihren Erinnerungen grinsen. „Ich habe den coolen Chester noch nie so kleinlaut und verunsichert gesehen. Er gestand uns, dass er Schleife auf Beutestreifzügen kennengelernt hatte und sofort von ihren klaren, silbernen Augen fasziniert war. Er schwärmte eine Weile von ihr. Davon, dass sie wie kein anderer die Stadt kannte, dass sie so viel wusste, dass sie so ein immer winterlich-kalt duftendes Fell hatte und von Natur aus aussah, wie die frisierten und gezüchteten Rassenkatzen. Ja, er hatte Recht, unser Anführer. Schleife war faszinierend. Nur hatte er uns nie von ihr erzählt, weil er wollte, dass wir ihn als Autoritätsperson sehen. Aber wie er da mit der Katze flirtete und spielte und Liebeserklärungen säuselte, wirkte er eher wie ein kindlicher, hormongetriebener Gassenkater. Was er im Grunde ja auch ist.“ Ich nickte. Natürlich war Chester nicht ganz so cool, wie er vorgab. Aber seine Aura hatte trotzdem diese undurchdringbare Art.
„Und dann?“ „Dann“, fuhr Luna fort, „dann wusste er nicht, was er tun sollte. Wir hatten ihn erwischt bei seinem süßlichen Gehabe und er wusste, dass wir enttäuscht von ihm waren.“
In diesem Moment fiel mir auf, dass wir alle diese Eigenschaft gemeinsam hatten, nicht vor jedem für unsere Gefühle gerade stehen zu können.
„Noch ein, zwei Mal hatte er sich mit Schleife in der Bronx getroffen. Dann hat er sie mit zum Container genommen und ihr unser Leben gezeigt. Nach weniger als einer Woche erwies sie sich als untauglich. Das taffe, kluge Kätzchen fror in der Nacht, war von Stone angewidert und war ständig eifersüchtig auf mich. Sie meinte, ich könnte ihr Chester ausspannen.“
„Hattest du das denn vor?“ „Nein, natürlich nicht! Nichts gegen Chester. Aber er war für mich immer wie ein Vater gewesen, dann hatte er sich als doch nicht so stark erwiesen, wie er tut und dann hasste ich ihn zwar nicht, aber unsere Verbundenheit war eher die einer Familie. Wie ein großer Bruder wurde er plötzlich. Irgendwann hat Schleife aufgegeben und ist zurück in ihre Heimat. Ich habe sie seither nie wieder gesehen.“ „Hat Chester das ausgehalten?“ „Ziemlich gut sogar, möchte ich meinen. Er war in den letzten Tagen so angepisst gewesen von ihrem zickigen Verhalten, dass er froh war, als sie fort war. Von daher hatte er nie wieder ein Wort über sie verloren. Seit du da bist glaube ich aber, dass er öfters an sie denkt.“ Ich wusste nicht, ob ich dies nun als Kompliment oder Niederlage sehen sollte. Auf jeden Fall erinnerte ich Chester an sie.
„Irgendwie ist es total ehrenhaft, wie T-Rex und Cindy zueinander stehen. So ulkig das auch aussehen mag. Sie zeigen sich der Öffentlichkeit, sogar ihren Freunden und lachen über die, die sie verlachen.“
Damit hatte Luna völlig Recht.
Wir saßen lange nebeneinander ohne ein Wort zu sagen. Als der erste kühle Windzug aufkam, sagte ich: „Und was macht Chester jetzt? Sucht er mich?“ Luna senkte den Blick: „Ich weiß es nicht. Er ist fort.“ Was?!? Das hatte gerade noch gefehlt. „Seit wann?“ „Seit heute Morgen. Gestern hatte er an den Steinen auf uns gewartet. Die Ärzte hatten mich zwar in so einen Käfig sperren wollen, aber Torero hat sie gebissen, die kleinen Kätzchen, die geimpft werden sollten, haben mitgemacht und dann sind Torero und ich geflohen. Chester hat auf uns gewartet. Er hat kein Wort zu den Vorfällen gesagt. Weder, wo du bist, noch, was er von den Neuigkeiten denkt. Er hat uns nur angeschaut, in Gedanken weit weg, hat sich schlafen gelegt und ist am Morgen, als ich gerade aufgewacht bin, weggelaufen. Dann standen wir zu zweit da und wussten nicht, was wir tun sollten.“
Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie ratlos die beiden gewesen sein mussten. „Torero ist jetzt im Park. Er hat vor, den ganzen Tag Essen zu sammeln, sodass ich, wenn ich zurückkomme, nicht mehr jagen oder klettern muss. Ich habe ihm gesagt, dass ich dich suchen will, oder Chester. Dich hab ich auch ziemlich schnell gefunden. Ich weiß doch, wie sehr du den abendlich Broadway liebst.“ Sie schmunzelte. Ich schmunzelte zurück.
„Was hast du da überhaupt?“, fragte sie und deutete auf die CD. „Das ist Musik, von Menschen gemacht. Ich habe sie vorhin in dem Laden gestohlen, in dem Gab war.“ „Du warst bei Gab? Du musst sie mir unbedingt zeigen!“ Ich erzählte Luna kurz, dass ich nach Brooklyn gegangen war. Dass Nadja bei Gab gewesen war, dass Gab sich einen Hung gekauft hatte und dass ich absolut keine Ahnung hatte, wie sie aus der Drogengeschichte rausgekommen war. Luna hörte mir genauso fasziniert zu, wie ich ihr. Nach meiner Erzählung hatte sie die CD und den Grund dafür, dass ich sie gestohlen hatte, ganz vergessen.
„Wollen wir in den Park zu Torero? Er hat ja jetzt was zu Essen. Und morgen suchen wir Chester. Versprochen.“ Und sie zwinkerte mir zu, auf eine Weise, die mir sagte, dass sie verstanden hatte. Luna wusste, dass ich unbedingt wissen wollte, wo Chester war. Und sie wusste, dass es mein sehnlichster Wunsch war, den alten Platz von Schleife einzunehmen, so wie Furby für mich eingesprungen war. Ich wollte mit Chester zusammen sein. Und ich wollte, dass Luna ihre Jungen bekam und wir eine glücklich, große Gang werden würden. Vielleicht würden T-Rex und Cindy ja auch dazukommen. Auf jeden Fall war es doch um einiges schöner hier in der Stadt bei meiner besten Freundin, als allein zuhause, dort, wo mich jetzt ein sabbernder, dummer Babyhund ersetzt hatte. Das war nicht mein Zuhause. Das dachte ich mal. Selbst heute Morgen dachte ich noch, ich könnte mein altes Leben weiterführen. Aber jetzt fiel mir auf, dass das Leben, das ich hier hatte, viel besser war. Auch dadurch, dass immer etwas los war, dass es immer Probleme gab, war es immer noch besser als ein sorgloses All-Inklusive-Leben auf einer einsamen Insel, auf der man langsam aber sicher an Unterforderung zu Grunde geht.
Ich schlief sehr unruhig diese Nacht. Ich hatte mittags zu lange gedöst und war daher kein bisschen müde. Mir tat schon langsam der Kopf weh, aber ich wälzte mich unruhig hin und her. Der Boden, auf dem wir schliefen war unbequem und meine Gedanken waren noch unbequemer. Dauern sah ich Chester und Schleife auf der Halfpipe turteln. Ich stellte mir vor, wie er zärtlich seinen Schwanz um sie legte, mit seinen kräftigen Pfoten auf ihre tippte, ganz sanft. Ich stellte mir vor, wie er um sie herumschlich, ganz eng an ihr und sie schnurrte. Dann sah ich dieses Funkeln in seinen Augen und bekam einen erneuten Zitter- und Knurranfall. Als würde Schleife direkt vor mir stehen und ich würde so richtig mit ihr abrechnen. Wo war diese mysteriöse Katze heute? Wo lebte sie? Die Bronx war groß, graue Katzen gab es viele. Es würde mir auch gar nichts bringen, sie zu suchen. Weil, was konnte ich ihr schon vorwerfen? Sie hatte mir nichts getan.
Ich reckte den Kopf und legte mich in eine andere Position. Geschätzt zum millionsten Mal in dieser Nacht. Torero wurde von meinen Bewegungen wach. Er hob den Kopf von Lunas Schultern und blinzelte mich müde an. „Was machst du denn dauernd?“, fragte er verschlafen. „Nichts. Ich kann nicht einschlafen“, flüsterte ich zurück.
Er ließ den Kopf wieder sinken und weil ich ihn nicht weiter stören wollte, beschloss ich, mir einen anderen Schlafplatz zu suchen. Ich machte mich auf in den nächtlichen Central Park. New York wird auch die Stadt genannt, die niemals schläft. Das sah man jetzt ganz deutlich. Überall im Park saßen Gruppen von Jugendlichen, glückliche Pärchen oder einsame Obdachlose. Vögel zwitscherten komische Melodien, Autos rauschten durch die Straßen, schneller noch als tagsüber, da die Straßen freier waren. Aus einem Pub kamen Stimmen, ein Cabrio mit Unterbodenbeleuchtung und lauter, wummernder Musik fuhr an der Straße am Parkrand entlang. In dem Auto saß ein Mann, der eine Sonnenbrille trug, die absolut silbern erschien vor Spiegelung. Hinter ihm saßen drei Mädchen in schillernden kurzen Kleidern, die sich angeregt über irgendwas unterhielten. Ich vermute mal, dass es sich nicht um wissenschaftliche Studien über die Raumzeit handelte. Aber das erwartete ich auch gar nicht. Ein paar ältere Jungs aus Gabs Schule liefen am Bürgersteig entlang. Ein schwarzer, zerzauster Hund trottete ihnen hinterher, ohne richtig zu ihnen zu gehören. Ich war hellwach. Ich konnte einfach nicht schlafen. Die kühle Nachtbrise tat mir gut. Auf einem Hochhaus im Schneegestöber zu stehen, wäre aber auch nicht schlecht. Weihnachtsmusik und Glühweinduft, Gerassel und Lebkuchengeschmack vermischten sich in meinen Gedanken. Aber es war Juli. Ich glaube, ich wollte, dass Weihnachten ist, weil es das Fest der Liebe und der Familie ist. Luna würde bald ihre eigene Familie haben. Für sie war jetzt schon Weihnachten. Und so lief ich, in sinnlosen und sich drehenden Gedanken, wie ich sie so oft hatte, durch New York. Es war mitten im Sommer, aber ich dachte an Weihnachten. Das war mein ganz persönlicher Sommernachtstraum.
Am Tag darauf suchten Luna und ich stundenlang nach Chester. Ohne Erfolg. Auch am Tag darauf und auch drei Tage später liefen wir durch die Stadt und schnupperten nach dem Geruch, den ich so gar nicht richtig beschreiben konnte. Jedenfalls war er nirgendwo zu finden. Erst am vierten Tage (Luna war schon ganz erschöpft und blieb deshalb bei Torero im Park) roch meine Nase diesen nicht wirklich lieblichen aber doch so geliebten Geruch. Chester war im Norden der Insel gewesen. Ich roch ihn an einem Baum, der in einem kleinen Vorgarten stand. Er musste etwa vor einem Tag dort gewesen sein. Das war leider eine ziemlich lange Zeit. Er könnte längst wieder fort sein. Ich beschnupperte den Baum genauer. Da war noch ein anderer Geruch, ein frischerer, der leicht blumig roch. Schleife kann es nicht gewesen sein. Sie roch laut Lunas Geschichte nach eiskalten Winterstunden voll Sonnenschein.
Eine alte Frau kam gerade aus der Haustür. Sie ging gebückt und fing an, im Garten die Blumen zu gießen. Sie war klein, ihr Rücken war krumm und sie trug eine Schürze, ganz so, wie man sich ältere Frauen vorstellt. Sie goss die Blumen und summte ein beschwingtes Lied vor sich hin. Ich leistete ihr Gesellschaft.
„Oh, hallo Katze. Du bist aber eine Feine. Ich gieße die Blumen, damit sie weiterhin so schön blühen und den Sommer zu dem machen, was er ist. Man weiß ja nie, wie lange man noch auf dieser Welt sein wird. Und ist es nicht schrecklich, wie die Hochhäuser hier die schöne Natur zerstören. Ich bemühe mich, sie zu bewahren.“ Und dann trällerte sie das Lied laut und fröhlich vor sich hin, doch ich verstand kein Wort.
„Oh, ihr Katzen seid alle so wundervoll. Mein Patti ist auch so eine nette Katze. Naja, er ist ja eigentlich ein Kater…“, sie sprach langsam und mit einem Lächeln. „…Aber ich nenne ihn Katze, weil er sich so fein benimmt. Er war so lange Zeit fort. Ich dachte schon, er wäre mir verloren gegangen. Aber jetzt ist mein Pattichen wieder da.“
Und sie ging wieder ins Haus, die Gießkanne schwenkend, langsam aber heiter. Ich sah, dass ihre Tür eine Katzenklappe hatte.
„Oh Kätzchen, komm doch mit rein. Ich habe leckere frische Milch. Ich stelle dich Patti, meinem Schatzi, vor. Er ist so ein artiger, verschmuster Kater. Ach, ich bin ja so froh, dass er wieder da ist, nach all diesen Jahren. Was er wohl getrieben haben mag?“ Sie zuckte die Schultern, stellte die Gießkanne in eine Besenkammer und ging behaglich in die Küche hinein. Porzellan und die Farben blau und weiß dominierten hier alles. Die Teller waren wie handbemalt, die Tischdecke kariert. Es sah fast ein wenig traditionell europäisch aus. Das hatte ich schon im Fernsehen gesehen.
Es roch hier aber nicht nur nach alter Frau, Kartoffeln, warmer Milch und Sonne. Da war noch etwas anderes in der Luft, das mir erst auffiel als ich merkte, wie bekannt und selbstverständlich es mir vorkam. Ich konnte gerade nur nicht sagen, was das war. Ich war zu beschäftigt mit dem Betrachten all dieser Kunstwerke. Tassen, Krüge, Töpfe, alles hatte Blumen und Kringel, manchmal sogar Hühner oder Kätzchen als Verzierung. Echt ulkig.
„Komm doch Patti“, fing die freundliche Dame wieder an, „wir haben Besuch. Ein junges Kätzchen ist da. Ihr könntet doch ein wenig spielen. Nun komm schon, nicht so schüchtern!“
Aber Patti war sehr schüchtern. Er erschien nicht.
„Nun, das tut mir Leid, meine Kleine. Patti ist doch eigentlich ein ganz Artiger. Und er liebt es, zu toben. Er kann ganz wild sein. Aber er tut nie jemandem etwas zu Leide.“
Sie setzte einen Topf, der ausnahmsweise nicht blau-weiß, sondern braun war, auf den Herd und fing an, Gemüse zu schneiden. Wieder summte sie ihr Lied.
Ich schaute mir das Wohnzimmer an, alt und gemütlich, keinen Fernseher, dafür ein großes Radio und viele Zeitschriften. Ich ging durch eine weitere Tür und kam in ein Treppenhaus. Die Treppe war aus Holz, die Stufen waren dort, wo man auftritt viel heller und sie knarzte schon beim bloßen Anblicken. Hinter mir waren Schritte. Die Frau kam.
„Komm Kätzchen, Patti ist da. Er ist gerade heim gekommen. Er war gar nicht da. Jetzt komm schon, ich mache euch gleich was Leckeres zu Essen.“
Ich folgte ihr und ging durch das Wohnzimmer und durch die Küche und in den Flur und – Oh Mein Gott!!!
Ich glaube, in diesem Moment hätte nicht viel gefehlt und ich wäre ohnmächtig geworden. Mir wurde kurz schwarz vor Augen, doch eine kräftige Pfote stützte mich, sodass ich nicht in mich zusammenfiel.
„Patti, das ist eine Katze, die vorhin hier her gekommen ist. Sie hat mich beim Blumengießen beobachtet. Sie sieht sehr nett aus.“
Sollte ich nun lachen oder heulen oder doch ohnmächtig umkippen? Ich konnte mich nicht ganz entscheiden. Aus einem offen hängenden Maul wurde ein unsicheres Grinsen, dann ein schmerzlich und skeptisch verzogener Ausdruck und schließlich zog ich die Brauen hoch und mir wurde wieder schwarz vor Augen.
„Jetzt guck nicht so blöd“, forderte Chester. Ich lachte ein gehauchtes, bitteres Lachen.
„Ich kann dir das erklären. Jetzt bitte, komm wieder runter.“
Ich schnickte meinen Kopf hin und her, um ihn frei zu bekommen. Das konnte ich nicht glauben.
„Bitte sei nett zu Rosa und mach ihr keinen Kummer. Sie ist alt und sehr zart.“
„Ach nein. Ich dachte, sie sei achtzehn und Topathletin.“ Der hämische Unterton, den ich anschlagen wollte, gelang mir nicht recht.
„Ich meine es ernst. Wenn du jetzt umgekippt wärst, wäre Rosa überfordert gewesen und panisch geworden. Das darfst du ihr, und mir, nicht antun.“
Jetzt setzte sich mein Grinsen durch. Ich hatte mich einigermaßen gefasst. „Dein Name ist eigentlich Patti?“ „Ja“, fing Chester unsicher an, „ganz früher und jetzt wieder.“
„Aha.“ Mehr brachte ich nicht raus. Ich wollte, dass er weitererzählte.
Und Chester (oder Patti, wie auch immer) sagte: „Bei Rosa bin ich aufgewachsen. Ihre Enkel haben mich und meine Geschwister gequält, als wir noch klein waren. Und Rosa hat das furchtbar leid getan.“
„Und dann bist du mit den beiden Jüngeren geflohen“, setzte ich die Geschichte fort.
„Ja“, sagte Chester, „Ich habe versucht, die beiden zu retten.“
„Okay, die restliche Geschichte kenne ich einigermaßen. Und da wir schon bei der Vergangenheit und der Wahrheit sind: Ich weiß von Schleife und ich liebe dich.“
Jetzt hing Chester der Mund offen. Upps, so schnell sollte das eigentlich nicht über meine Lippen kommen. Violett, du bist eine dumme, dumme Katze.
„Wollt ihr Karottenbrei und Klöse?“, kam es aus der Küche. Keiner reagierte. Rosa brachte uns eine Plastikschüssel in den Flur. „Na, was habt ihr denn? Patti, keine Angst. Sie ist doch ganz harmlos.“ Und mit einem Kopfschütteln ging Rosa wieder in die Küche.
Chesters Mund schloss sich wieder, meine Augen waren immer noch weit aufgerissen und abwartend. Er legte zärtlich seinen kräftigen Schwanz um meinen Bauch und streichelte mir durchs Fell. „Falls du es wissen willst: Ich bin nur hier her gekommen, weil ich nicht mehr draußen leben konnte ohne dich. Es war nicht mehr das Selbe. Ich konnte nicht anders, ich musste zurück um mir einzubilden, es hätte dich nie gegeben.“ „Das versteh ich nicht.“ „Ich dachte, du seist fort, für immer. Und das fand ich schrecklich. Und was Schleife angeht: Sie ist mit ihrer Familie weggezogen in den Süden.“
„Und warum nennst du dich Chester?“, war meine letzte Frage. „Na weil“, Chester grinste sein verlegenes Killerlächeln, „weil der alte Name doof ist. Das merkst du doch selbst oder?“
Wir sahen uns ein paar Momente nur in die Augen und ich hatte mehr denn je das Gefühl, dass ich meinen Kopf nie wieder von diesem Funkeln abwenden wollte. Nie wieder.
Chester schnurrte tief und unruhig, sein Schwanz zuckte. Ich zitterte ganz leicht und starrte in seine Augen und es hätte mich nicht gewundert, wenn sein Fell Flammen fangen würde, so intensiv war mein Blick. Und dann leckte er mir lange und zärtlich den Hals entlang und knabberte ihn an wie ein Vampir. Es fühlte sich seltsam an, fremdartig und rau. Aber es war schön.
Also, liebe Leute, wenn es Märchen mit einem Happy End gibt, dann ist dieses hier eines.
So zumindest dachte ich in diesem Moment, als ich alles um mich herum vergaß. Sogar die Schüssel mit heißem Karottenbrei, in den ich unsanft plumpste, weil meine Beine sich anfühlten wie Pudding.
Ich wünsche euch allen, dass ihr niemals bis zum Halse in Karottenbrei steckt. Oder wenn, dann zumindest in einer anderen Situation.
Ich sah an mir herunter. Der heiße Brei klebte mir im ganzen Fell. Ich roch von oben bis oben nach Karotten und Chester fand das sehr amüsant. Er befahl mir, mich hinzusetzen. Und dann begann er, den Brei aus meinem Pelz zu zupfen. Er leckte ihn runter oder zupfte ihn mit der Pfote heraus. Hier und da ließ ich ein paar Haare. Aber nach ein paar Minuten war ich frei von Brei.
Ich wollte, jetzt wo ich es endlich gesagt hatte, jeden Augenblick mit Chester genießen. Wir gingen durch das Wohnzimmer auf die Terrasse, ignorierten Rosa völlig, die vergnügt Tee kochte und setzten uns in die warmen Sonnenstrahlen.
Ich schnurrte, als die Wärme mir auf der Nase kitzelte. Chester putzte sich das Gesicht. Und dann saßen wir Stunden einfach nur nebeneinander, schauten den Flugzeugen am Himmel zu und Chester erzählte viele Geschichten, die er früher mit seinen Schützlingen erlebt hatte und ich erzählte von meinem Leben bei Gab, von der High-School, Olafs Fischladen und davon, was ich mit T-Rex erlebt hatte und, dass ich ihn und Cindy für ihren Mut bewunderte. Ich erzählte von Joanna, meinen vergangen Tagen als Hauskätzchen mit Fernsehen, Kühlschränken und Ostern.
Ich erfuhr sehr viel von Torero und Luna. Luna war eigentlich eine tausende von Dollar teure Rassekatze, irgendwas Französisches. Aber sie war noch nie stolz auf ihren Stammbaum gewesen, denn er zeugte nicht von Liebe, sondern von Zwang, von Geldmacherei und Eitelkeit der Menschen.
Die Sonne ging unter und mein Magen fing an zu knurren.
„Hast du Hunger Mäuschen?“ Chesters Stimme klang so intensiv, frech und süß wie noch nie.
„Jaaaa…“ Ich wäre fast wieder umgekippt. Bei mir brannten allmählich die Synapsen durch. Schmor, kokel, fackel. Chester war ein Monster!
Verwirrt und verliebt ließ er mich auf der Terrasse zurück und ging jagen. Ich schaute nur hoch in den Himmel, der sich in der Abendsonne jetzt in allen Farben des Regenbogens färbte.
Obwohl ich total hungrig war, blieb ich nicht mehr wach, bis Chester zurückkam. Ich schlief vorher ein. Glücklich und vollkommen zufrieden auf dem warmen Holz von Rosas Terrasse.
Rosa bewirtete uns mit voller Hingabe, sie kochte uns die leckersten Menüs, kraulte uns durch das Fell und ließ uns raus, wann immer wir wollten. Ich könnte mich an das Leben bei ihr gewöhnen. Aber ich musste zumindest kurz in den Park, um Luna zu erzählen, was los war, dass ich Chester gefunden hatte und, dass…na, alles eben.
Ich wollte alleine zu ihr. Und so machte ich mich noch am Mittag auf den Weg zum Central Park. Ich fand Luna und Torero an unserem Schlafplatz. Sie kuschelten selig unter einem Baum. Ein graues Hörnchen beobachtete sie von oben.
„Violett?“ Luna war erfreut, als ich ankam. Sie blickte mich mit großen Augen an: „Und? Hast du ihn gefunden?“ „Ja, hab ich.“ Ich grinste. Ich hatte viel zu erzählen. „Und wo war er?“
„Hättest du gedacht, dass Chester eigentlich Patti heißt und einer alten Dame gehört, die am Stadtrand in einem Haus mit Garten wohnt?“ Lunas Augen wurden groß. „Nein. Echt?!“
„Ja.“ „Und ist er jetzt noch da?“, wollte Torero wissen.
„Er ist dort, ja, ich wollte alleine kommen und dir, Luna, erzählen, was passiert ist.“
„Dann bequatscht mal euren Frauenkram“, neckte Torero uns. Luna verdrehte die Augen und wir verzogen uns hinter einer Bühne, die für irgendein Konzert aufgebaut wurde.
„Was ist denn los?“ Ich plapperte los wie ein Wasserfall: „Ich hab Chester gerochen, das war an einem Haus im Norden von Manhattan. Dann kam diese Frau aus dem Haus, hat Blumen gegossen und mich zu sich reingelassen. Sie ist total nett und hat Essen für mich gekocht. Und dann, dann hat sie immer von ihrem feinen Kätzchen Patti erzählt. In dem Haus roch es überall nach Chester, aber die Frau hat mich so verwirrt, dass ich das nicht gecheckt hab. Irgendwann kam Patti heim. Rosa hat mich zu ihm in den Flur geschickt. Weißt du was: Patti ist Chester!“ „Ich weiß, hast du schon gesagt.“
„Ach, stimmt ja“, ich lachte, „und dann war ich völlig neben der Spur. Ich wusste nicht, was ich denken sollte, ich hab ihn nur doof angeglotzt und noch doofere Fragen gestellt. Er hat mir erklärt, dass er halt dort bei Rosa als kleiner Kater gelebt hat und dann hab ich ihn überrumpelt.“ Ich machte eine Pause. Es ist nicht falsch, auch mal zu atmen beim Erzählen.
„Womit hast du ihn überrumpelt?“, fragte Luna ungeduldig.
„Damit, dass ich ihn liebe.“ Eine unangenehm lange Pause entstand. Bitte Luna, sag was, irgendwas Witziges. Bitte!
„Und dann?“ „Dann, dann muss ich dir sagen, dass Karottenbrei nicht sehr romantisch ist.“ „Hä?“ Luna war verdattert. „Egal. Vergiss das. Er hat’s cool genommen, hat mich abgeleckt und jetzt sind wir…..“ Das war so schwer auszusprechen. „Ihr seid zusammen“, beendete meine beste Freundin den Satz für mich. Ich nickte nur.
„Das ist ja toll!“ Sie war sichtlich begeistert. „Das müssen wir feiern. Violett, stell den Sekt kalt. Wir machen Party!“ Sie hüpfte ein paar Schritte vor und stellte sich mir in den Weg.
„Hey, Vio, ich freu mich für dich. Aber – früher oder später musste es sein.“ Ich bemerkte die Anspielung auf meine Prophezeiungen über sie und Torero.
„Willst du immer noch zu deinen Menschen zurück?“ „Nein, ich glaube nicht. Ich will mit euch im Rudel leben. Wenn deine Jungen erst mal da sind, oh das wird so toll!“ „Im Herbst ist es soweit.“
Ich freute mich wirklich auf den Nachwuchs. Noch mehr würde ich mich über eigene Kätzchen freuen, aber das durfte ruhig noch dauern.
„Ich hab dein Frauchen und ihre Freundinnen vorhin hier gesehen.“ „Gab?“ „Ja, sie haben etwas Großes geplant. Sie haben ewig auf den Steinen gesessen und sind einen Plan durchgegangen. Alle müssen bunte Jacken und Accessoires mitbringen. Und große Handtasche. In die müssen Plastiktüten reingepackt werden. Es hat etwas mit dem Versaceshop in der Fünften zu tun. Ich hoffe, sie wollen nicht wieder was klauen, aber hat sich ganz so angehört.“
Ich seufzte. Gab hatte die Kriminalität noch nicht satt. Waren sie denn nicht lang genug mit Polizisten und Gefängnissen gequält worden. Und was war eigentlich mit Joanna? Wusste sie überhaupt von der Drogensache? Ich hatte sie seitdem nicht mehr gesehen.
„Wann wollen sie ihren Plan umsetzen?“, fragte ich.
„Morgen Abend um Sieben. Sie treffen sich am Eingang zur U-Bahn südlich des Times Squares.“
„Dann werden wir auch da sein. Ich bin ihr noch was schuldig.“ „Was denn?“ „Hey komm, ich bin einfach abgehauen, zweimal sogar. Ich glaube, sie war schon oft verzweifelt wegen mir. Und ich hatte mal vor, immer für sie da zu sein, wenn ihr etwas passiert. Nur ein Problem gibt es.“ „Welches denn?“ „Na, ob ich das Klauen unterstützen oder verhindern soll. Es ist falsch, aber ich will meiner alten Freundin so helfen, dass sie glücklich wird, nicht so, dass es moralisch richtig ist.“
„Kennst du Robin Hood?“, sagte Luna. „Nein.“ „Hat Gab viel Geld?“ „Nein.“ „Dann helf ihr, diese Tat zu begehen. Wird bestimmt lustig.“
„Na wenn du meinst“, sagte ich und dann gingen wir zurück zu Torero. Er sollte es auch mitkommen. Genau wie Chester und alle, die ich sonst noch auftreiben konnte. Jetzt wollte ich alles dafür tun, damit mein Frauchen bekommt, was es will. Ich kann ja auch nicht behaupten, ich hätte weiße Handschuhe an.
24. Kapitel
Torero war gleich bereit, Gab zu helfen. „Ich werde den Cops so richtig ins Bein beißen, wenn es sein muss“, grinste er. Aber er war strikt dagegen, dass Luna mitkam. Sie würde ihre Jungen gefährden. Luna wehrte sich: „Ich bin eine Straßenkatze. Tigerinnen müssen mit Jungen im Bauch Hirsche jagen. Da werde ich ja wohl ein paar Menschen kratzen dürfen.“ Dagegen konnte Torero nichts sagen. Also kam auch Luna mit. Sie freute sich schon und redete ihren ungeborenen Kätzchen zu, dass sie bald was erleben werden.
Torero machte sich auf den Weg nach Brooklyn, um T-Rex und Cindy zu holen.
Ich und Luna gingen zu Rosa und Chester. Ich wollte meiner Freundin ohnehin mal zeigen, wo Chester lebte.
Wir kamen auf die Veranda und durch die Wohnzimmertür rein. Rosa saß in ihrem Sessel und las die Zeitung. Chester fraß Fisch von einem Teller. Als er mich und Luna sah, kam er vom Tisch gehüpft. Er begrüßte Luna mit einem Nasenstupser und mich damit, dass er seinen Kopf auf meinen Rücken legte und schnurrte. „Hallo Mäuschen.“
Wir erzählten Chester von dem Gespräch, das Luna belauscht hatte. Und er war auch begeistert von der Idee, ihr bei der Aktion zu helfen. „Wird n fettes Ding“, meinte er ganz cool. „Im Chaosstiften bin ich gut. Ich könnte alle Leute in dem Versace-Teil ablenken und die Mädels müssen nur noch rausmaschieren.“ „Gute Idee, aber das Teil hat Kameras und die werden Gab und die anderen verfolgen bis weiß Gott wohin. Vielleicht erkennen sie die Drogenmädels ja wieder“, meinte Luna.
„Ich weiß, das wird bestimmt nicht einfach“, sagte ich, „aber ich freu mich jetzt schon darauf, meine Gab in einem schicken Designerkleid zu sehen.“
„Ohnehin verarbeitet die Firma bestimmt auch Fell und Leder“, sagte Chester. „Ich weiß es nicht.“ „Schade. Sonst hätten wir nen triftigen Grund, denen alles kaputt zu machen.“
Das war wieder typisch Chester. „Schade?! Mensch, sei doch froh. Dann müssen erst gar keine Tiere getötet werden.“
„Wir haben nicht viel Zeit“, unterbrach Luna. Wir müssen zurück in die Stadt. Chester strich kurz zum Abschied um Rosas Beine herum. Dann verließen wir das Haus durch die vordere Katzenklappe und rannten bis nach Manhattan.
Als wir an den Felsen ankamen, war Torero noch nicht da.
Wir stahlen einem Pärchen, das ein Picknick auf der Wiese machte, die Wurst aus dem Korb. Luna hatte entsetzlich viel Hunger, seit die Jungen in ihrem Bauch wuchsen und fraß fast genauso viel wie Chester.
„Das sind aber viele Babys in dir“, neckte ich sie. Luna schupste mich zur Seite. Ich fiel auf Chester. Ich landete weich, direkt in seinem warmen Bauchfell. Chester fraß im Liegen weiter und ich kuschelte mich in seinen Pelz hinein. „Scheinbar macht die Wurst auch stark“, lächelte ich Luna an. Sie hatte mich ziemlich heftig umgestoßen. Im nächsten Moment flog mir ein Stück Wurst an den Kopf. Ich lachte los und Luna lachte mit und Chester futterte weiter.
Torero kam hinter Luna durchs Gebüsch. Ihm folgten T-Rex und ein Hund. Aber es war zu meiner Verwunderung nicht Cindy. Es war Furby.
„Habt ihr gesoffen?“, fragte Torero, der unser Gekicher schon von weitem gehört hatte. „Hm-hm.“ Luna brachte keinen Satz raus. Sie musste schon wieder lachen. T-Rex blickte Chester lange und durchdringend in die Augen. Er musste sehen, wie wohl ich mich an Chesters Bauch fühlte. Doch wo war Cindy?
„Wo ist Cindy?“, fragte Luna genau das, was ich wissen wollte.
„Sie ist mit ihrem Herrchen weggezogen“, kam T-Rex’ Antwort. „Für immer?“, fragte Luna weiter. „Und du konntest nicht mit?“
„Ist doch egal“, sagte T-Rex. „Ich mag Cindy total, aber ich glaube, ich sollte doch besser mit einer Katze zusammen sein. Und sie ist eine verdammt verwöhnte Göre.“ Er grinste. So viel schien es ihm wirklich nicht auszumachen.
„Ich bin da! Ich bin da!“ Furby war aufgedreht wie immer. „Ja“, sagte ich genervt, „ich seh’s. Und bitte sei ruhig, sonst darfst du nicht mitmachen. Du machst uns alles kaputt.“ „Jetzt sei nicht so streng mit dem Welpen“, sagte Luna. „Da hab ich ja Angst, dir meine Kleinen anzuvertrauen.“ Ich verdrehte die Augen. Ich glaubte kaum, dass Lunas Kätzchen mich so nerven würden.
„Ruhen wir uns erst mal aus.“ Chester sah zum Himmel hoch. Der wurde allmählich dunkelblau. Morgen um sieben Uhr abends war der Diebstahl angesetzt. Bis dahin mussten wir alle ausgeschlafen sein und wenigstens ein bisschen überlegt haben, was wir tun könnten.
Furby rollte sich im Gras zusammen, T-Rex schlief auf einer Holzbank. Torero legte sich um Luna herum, die schon nach ein paar Minuten eingeschlafen war und ich und Chester schliefen in den Zweigen eines Baumes über dem Steinweg. Es raschelte, wenn wir uns bewegten. Ich hielt ganz still und Chester leckte mir so lange die Ohren, bis ich einschlief.
Er beobachtete, was unten auf der dunklen Wiese geschah und plötzlich sah er eine Katze. Sie war getigert, jung und dürr. Sie scharrte im Boden und zog Insekten heraus. Chester legte den Kopf schief. Die Gangart der Katze kam ihm bekannt vor. So eine Gangart hatte er schon oft vor oder neben sich gesehen. Doch die Katze selbst erkannte er nicht. Er beschloss zu schlafen. Das war bestimmt nur Einbildung.
Ich wurde vom Vogelgezwitscher und in den Armen meines Freundes wach. Kann es schöner sein?
Ich kletterte vom Baum und sah mich in unserer ungewöhnlichen Runde um. Furby schnarchte zufrieden, Lunas Atem rasselte gleichmäßig und leise, von Torero hörte ich nur ein kurzes Grummeln. Er drehte sich im Schlaf um.
Der einzige, der außer mir schon wach war, war T-Rex. Er hockte alleine auf einem kleinen Felsen.
„Guten Morgen mein Dino.“ „Was ist denn Violett?“
Als Morgenmuffel hatte ich T-Rex nie in Erinnerung. „Gar nichts. Ich wollte dir nur Guten Morgen sagen. Ist das falsch?“ „Nein, es tut mir Leid“, entschuldigte sich T-Rex. Er drehte sich weg von mir. So stark war er nicht. Er dachte an Cindy. Das merkte ich ihm an.
„Wollen wir was frühstücken?“ Ich lud ihn freundlich ein. T-Rex schüttelte den Kopf. „Geh doch mit Chester frühstücken.“ Er rannte fort. Der Arme. Umgeben von Pärchen war es für den so sensiblen Kater bestimmt nicht einfach.
Ich machte mich alleine auf die Suche nach etwas zu Essen. Als ich so durch die Avenue spazierte, erinnerte ich mich an meinen Traum, in dem ich ganz oben auf einem Hochhaus gestanden hatte und die Schneeflocken um mich herumwirbelten. Im Traum war Chester bei mir gewesen. Jetzt war Juli. Würden wir bis zum Winter zusammenbleiben? Ich hoffte es doch. Der Gedanke, jetzt ohne Chester leben zu müssen, machte mich verrückt. Lieber wäre es mir gewesen, weiterhin nur im Stillen an ihn zu denken und ihn sonst wie einen großen Bruder zu behandeln, als dass wir getrennte Wege gingen.
Ich schaute hoch zu den Dächern der Hochhäuser. Keine Schneeflocke war zu sehen. Doch heute Morgen war der Himmel blau und klar, es war kalt.
Meine Nase führte mich zu einem verlassenen Teller mit Hähnchenstücken und Salat. Ich packte den ganzen Teller und trug ihn durch die noch menschenleere Straße zum Park. Kaum ein Auto fuhr. Keine Musik, keine Kinder. Hier eine Joggerin, da ein Mann auf dem Weg zur Arbeit, da eine schwarze Katze, die ich kannte. Die Katze war Titanic. Titanic kam zu mir, lachte und schlug mit der Pfote vorne auf meinen Teller, sodass alles herunterfiel. Sie trat noch ein paar Mal rein und machte sich wieder aus dem Staub. „Hast du sie noch alle?!“ Ich rannte ihr hinterher.
„Du kleines Biest! Machst dich an Chester ran, ohne mich zu fragen.“ Sie peitschte mit dem Schwanz hin und her. Ich lief im Zickzack, wisch ihren wilden Schlägen aus. Als ich sie beinahe eingeholt hatte, sprang ich und landete auf ihrem Rücken. Ich grub meine Zähne tief in ihr Fell. Titanic fiel auf die Straße. „Was soll ich dich da fragen? Bist du etwa neidisch?“ Titanic fauchte. „Chester gehört mir.“ „Hahaha, dass ich nicht lache. Wer sagt das?“ Die schwarze Katze wälzte sich hin und her, doch meine Zähne steckten zu tief in ihrem Pelz, als dass sie mich abschütteln könnte. „Woher kennst du Chester überhaupt?“, fragte ich. „Ich dachte, du hockst immer nur in deinem Garten. Ich wusste gar nicht, dass du Manhattan kennst.“ „Meinst du, eine Katze wie ich sei nie auf Tierwettkämpfen und Ausstellungen. Meinst du, ich hätte noch nie diesen Kater gesehen, der Kopf und Kragen riskiert um den alten Tanten zu zeigen, was Sache ist.“ Mein Biss lockerte sich. Titanic sprang augenblicklich auf und rannte weg. Ich blickte ihr verwirrt nach. Nur wenige Sekunden, dann war sie hinter einem Taxi verschwunden. Sollte sie mir jetzt Leid tun? Irgendwie tat sie es mir schon. Ich meine, wäre es umgekehrt, ich weiß nicht, wie ich reagieren würde. Im ersten Moment wahrscheinlich gegen eine Wand laufen, dann denken, es sei Halloween und anschließend wie ein Huhn gackern und singen ‚Ich bin eine Banane, ich bin eine Banane‘. Kurz: Ich würde durchdrehen, verrückt werden.
Das durfte doch nicht wahr sein. Was jetzt?
In meinem Maul hingen noch ihre Haare. Ich spuckte eines nach dem anderen aus. Das erinnerte mich daran, dass ich jetzt nichts mehr zu Essen hatte. Ich kratzte schnell ein paar Nudeln mit Fleischsoße aus einem Kunststoffbecher, der achtlos auf den Gehweg geschmissen worden war.
Im Park warf ich die Nudeln nur schnell vor die Bank. Ich ging gleich zu Luna, die sich putzte.
„Luna, ich hab ein Problem…“ „Geht’s um diese schwarze Katze?“, unterbrach sie mich. „Ja. Woher weißt du…“ Luna unterbrach mich wieder: „Die war grad vorhin hier. Die hat Chester gefragt, ob er mit ihr durch die Häuser streifen wolle, nur zu zweit. Aber Chester hat halt gesagt, dass er ne Freundin hätte.“ Ich schluckte. Oh Gott, was hatte ich getan. Damit, dass ich mit Chester zusammen war, hatte ich ihn jeder anderen Katze versperrt. „Luna?“, fragte ich panisch, „was soll ich denn jetzt machen?“ „Gar nichts. Du bleibst mit Chester zusammen. Komm mir bloß nicht auf die Idee wieder feige abzuhauen. Du hast ein Recht auf ihn.“ „Ach ja, und warum, wenn ich fragen dürfte?“ „Weil, weil…“
„Wauuu, wau, wuff wuff wuff!!!“ Furby rannte einem Stock hinterher und stürmte mitten zwischen mir und Luna durch. Er stank ganz fürchterlich. Im nächsten Augenblick raste ein Junge auf Inline-Skates vor mir vorbei. Als nächstes preschte T-Rex hinter einer Bank hervor und stürmte hinter dem Jungen her, mit einem Lächeln im Gesicht.
„Oh bitte Jungs, hört auf.“ Luna lachte los.
„Lass sie. Die brauchen das.“ Das kam von Chester. Neben ihm lief Torero, hocherhobenen Hauptes. Er flüsterte Chester was ins Ohr, der grinste und gab Torero eine Kopfnuss. Dann fielen sie brüllend und lachend zugleich übereinander her.
„Die brauchen das wirklich, diese Spielkinder.“ Luna nahm das leicht. Aber ich dachte an T-Rex, der die Ablenkung nur wegen Cindy brauchte und an Titanic, die irgendwo ganz allein und traurig in einer Ecke saß, weinte und an ihrem eigenen ich zweifelte. Ich dachte mich kurz in ihre Gedanken hinein, sah alles dunkel und trostlos, mich packte eine Wut auf mich selbst. Doch ich durfte diese Gedanken nicht Überhand gewinnen lassen.
Wir hatten uns alle vor dem Versace-Shop positioniert. Luna, Torero, Chester, Furby, T-Rex und ich. Es war ein sehr heißer Frühabend heute. Chester leckte mir beinahe ununterbrochen über den Rücken. Sein Speichel kühlte mein Fell im Wind. Doch er machte mich nervös. „Lass das jetzt!“ Beleidigt drehte er sich weg.
„Worauf warten wir?“ Furby blickte mich voller Tatendrang an. „Ich will nicht mehr hier rumhocken.“
„Wir“, erklärte ich dem Hund, „warten auf Gabrielle und ihre Freundinnen. Wir vermuten, dass sie etwas aus diesem Laden stehlen wollen.“ „Aber man darf doch nicht stehlen.“ „Ich weiß, aber ich will auch nicht, dass Gab wieder zur Polizei muss. Das bedeutet: Zuerst versuchen wir, die Mädchen von dem Diebstahl abzuhalten. Aber wenn das nicht klappt, müssen wir ihnen helfen, nicht erwischt zu werden. Weil das wäre noch viel schlimmer.“ Furby nickte langsam. Er schien zu verstehen. „Darf ich jemanden beißen?“, fragte er. „Ähhhm…“ Was sollte ich dazu jetzt sagen?
„Vielleicht“, meinte Luna. Wir lachten, alle außer Furby. Der blieb todernst und machte sich bereit für seinen Einsatz.
In diesem Moment sah ich sie die Avenue hochlaufen. Maria, Nadja, Gab und Betty. Doch hätte ich nichts von den bunten Klamotten gewusst, ich hätte sie nicht erkannt. Maria hatte einen gigantischen, bildschönen Sonnenhut mit einem rosafarbenen Band auf, eine lange, orangene Plastikkette, einen genauso orangenen Taillengürtel und ein langes weißes Strandtuch als Rock. Die anderen waren ähnlich sommerlich und auffällig gekleidet. Gab zum Beispiel trug die größte Plastiksonnenbrille, die ich je gesehen hatte. Und ihr Rand war knalltürkis. Und sie hatte einen Pailettenponcho an, Nadja trug giftgrüne Netzhandschuhe, die bis zum Ellbogen reichten. Torero lachte. „Wie sehen die denn aus?“ „Das sind sie“, sagte ich, ganz gefesselt von den bunten Farben.
„Wie läuft dein Frauchen denn rum?!“ Torero konnte sich kaum noch halten. „Das is Tarnung, du Depp!“, kläffte Luna ihn an. „Tarnung? Die ist aber nicht sehr unauffällig.“ „Ja, aber so erkennt sie niemand. Und man wird vergeblich nach ihnen in der Stadt suchen, denn diese Klamotten werden sie nie wieder tragen. Also ich glaub zumindest, dass es so ist.“ Luna war sich nicht mehr ganz sicher. Torero zog die Augenbrauen hoch. „Ihr habt ja alle nen Vollknall. Frauen.“
Die Mädchen waren jetzt kurz vor dem Laden. Sie stöckelten auf hohen Schuhen über den Gehweg.
„Okay“, sagte ich zu den anderen, „wir stellen uns jetzt alle nebeneinander vor sie auf den Bürgersteig. Gab wird mich und Furby wiedererkennen. Und wir lassen sie nicht so leicht vorbei.“
Gesagt, getan. Die Gruppe gehorchte mir. Wir hockten uns nebeneinander hin. Eine kleine Chinesin, die an uns vorbeiwollte, fluchte und ging außen rum über die Straße. Als Nadja das auch tun wollte, rückte Luna, die am Rand saß, weiter zur Seite. Nadja blieb stehen. „Geh fort Katze!“
„Das ist doch…“ Gab nahm ihre verspiegelte Sonnenbrille hoch. „Violett?“ Ich maunzte wie ein niedliches Kätzchen maunzt, wenn es gestreichelt werden will. Chester strich um Marias Beine. „Was machen die?“, fragte sie ihre Freundin. Gab zuckte mit den Schultern. „Die sind total süß“, sagte Nadja und streichelte Furby. „Sieht der nicht aus wie deiner?“ Jetzt guckte Gab Furby an. „Stimmt. Furby?“ Furby bellte. Gab kratzte sich am Kopf. „Was zur Hölle tut ihr hier?“ Ich stellte mich demonstrativ vor den Eingang des Nobelmarkengeschäfts. Ein älterer Herr wäre beim Hinausgehen beinahe über mich gestolpert.
„Gabi deine Tiere sind mir unheimlich. Erst verschwinden sie alle immer wieder und dann wissen sie noch, was du so vorhast.“ Gab hockte sich auf den Boden und sprach leise zu mir: „Bitte Violett, lass mich da rein. Joanna hat ihren Job verloren und ich brauche was richtig Cooles zum Anziehen, damit ich Jake beeindrucken kann und die Leute von der Musikuniversität.“ Aha, hier geht’s also um Prestige. Trotzdem kann das Ärger geben, also Nein. Ich machte mich auf der Eingangsstufe noch breiter. „Bitte Violett. Wie auch immer du das rausgekriegt hast, lass mich jetzt da rein und steh mir nicht im Weg.“
„Was is jetzt Gab? Kann’s los gehen?“, fragte Betty. Sie würdigte uns Tieren keinen Blick. Chester knurrte leise: „So geht das nicht. Lass mich mal machen.“ Und er fing an zu fauchen und zu knurren und er schlug mit der Pfote Richtung Maria. Sie wich erschrocken zurück, doch dann gab sie Chester einen Tritt, ganz schnell und genau in den Magen. Er kugelte sich zusammen.
„Mir reicht’s.“ Maria zog ihren Hut tiefer in die Stirn und machte einen großen Schritt über mich hinweg. Ich streckte mich nach oben, erwischte ihr Schienbein und hinterließ einen langen, tiefen Kratzer. Doch auch das hielt Maria nicht auf. Sie ging einfach in den Laden. Furby bellte. Er rannte um Gab herum. Die war nur noch verwirrt. Aus Reflex drängte sie Furby zur Seite und kämpfte sich bis zur Tür. Nach und nach kamen alle vier Mädchen rein. Ich wollte ihnen nicht wehtun. Aber friedlich hatten sie sich nicht aufhalten lassen. Wir hockten uns nebeneinander ans Schaufenster und beobachteten gespannt, was drinnen passierte. Viel konnte man nicht sehen, da das Glas ganz übel spiegelte. Doch erkennen konnte man genug. Maria schaute langsam die Kleiderständer durch. Sie blickte immer wieder über die eigene Schulter zu der Verkäuferin, die eine Frau im mittleren Alter, die ein rosanes Jackett mit leichtem Blumenmuster trug, beriet. Diese Frauen passten viel mehr in den Laden, als die vier Mädels, die aussahen, als kämen sie aus einer kleinen Beachbeautique aus Miami. Die Welt der Mode ist aber eine Welt für sich. Betty zog ein goldenes Minikleid und einen Wollschal von der Stange und verschwand in der Umkleide. Sie hatte wieder ihre große Tasche dabei. Genau wie die anderen drei. Jede Handtasche war riesig groß und bunt. Gab betrachtete mit gespieltem Kennerblick ein langes, tiefblaues Kleid, das einen Ausschnitt bis zum Bauchnaben hatte. Es war aber sehr schön. Chester neben mir kuschelte sich an mich und leckte mich am Ohr. Normalerweise liebte ich das, aber jetzt nervte es. „Hör auf! Bitte!“ „Das ist doch langweilig. Das sind vier verzogene Gören, die shoppen gehen.“ „Nein. Gab kann sich sowas nicht leisten. Du weißt doch, dass sie es klauen will.“ „Ja, ich weiß“, sagte Chester, „so blöd bin ich nicht. Ich meine nur, dass das ewig dauern kann, bis die was gefunden haben.“
Doch genau in diesem Augenblick stopfte Maria ein schwarzes, seidenes Etwas in ihre Tasche. Ganz schnell tat sie das. Die Verkäuferin hatte es nicht gesehen. Und auch auf eventuellen Kameras würde man es nicht unbedingt merken, denn Maria tat so, als ob sie etwas in ihrer Tasche suchen würde, nicht, als hätte sie etwas hineingesteckt. Dann kam Betty aus der Kabine und hängte den Wollschal zurück auf den Bügel. Doch ich konnte sehen, dass sie unter ihrem Rock das goldene Kleid trug. Von unten sah ich den Rand aufblitzen. Auch bei Gab merkte ich plötzlich, dass ihr T-Shirt enger anlag als zuvor. Auch sie hatte etwas drunter gezogen. Das blaue Kleid? Nadja konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen. Doch als Maria kurz mit dem Kopf nickte, kam Nadja auf die Verkäuferin zu, zeigte ihr ein Paar Leggins und sprach mit ihr. Die junge Frau lächelte, nickte und verschwand hinter einem Vorhang. Im nächsten Moment sprang Betty nach draußen. Sofort fing das laute Piepsen der Diebstahlsicherung an. Betty rannte los. Ihr folgten die anderen drei. Die Kundin, die in der Kabine gewesen war, warf ihr Jackett auf den Boden und stolperte den Mädchen hinterher. Doch ich wusste jetzt schon, dass sie zu langsam sein würde.
„Los, hinterher!“, befahl ich. Wir rasten die Straße hoch. Vor uns liefen die Mädchen im Slalom durch die Menschen. Plötzlich trat ich in Marias Sonnenhut, im nächsten Moment verhedderte sich Furby in Gab’s Poncho. Mir ging ein Licht auf. Die Mädchen würden nach und nach all ihre verrückten Accessoires abwerfen und danach völlig anders aussehen. „Rennt schneller!“, hörte ich Maria keuschen. In hohem Bogen flogen Stöckelschuhe in einen Container. Einer fiel auf die Kante und der Absatz brach ab, flog klappernd auf die Straße. Alle Klamotten, die sich trugen, waren total billig. Der Verlust sollte so gering wie möglich sein. Barfuß rannten sie weiter. Chester links von mir, Luna rechts rasten wir über den Asphalt. Furby bellte.
Hinter mir hörte ich Autohupen. Aus dem offenen Fenster lehnte sich die Verkäuferin und schrie raus: „Haltet die Diebe! Haltet sie auf!“ Nadja drehte sich um. Ich hörte Torero, der in eine der Sonnenbrillen gelaufen war. Es knackte. Eine Dame vor uns beschwerte sich: „Mädchen, hebt doch eure Sachen auf.“
Das Auto mit der Verkäuferin kam näher an die Diebinnen ran. Sie sahen inzwischen total anders aus. Fast nur schwarze und graue Sachen trugen sie unter ihren bunten Dingen. Nadja pfefferte ihren Gürtel auf die Straße, der blieb auf einem Auto liegen und verschwand mit ihm.
„Bleibt stehn! Ich weiß, dass ihr das seid!“ Die Diebinnen blieben tatsächlich stehen, doch sie schauten sich um, dann rannte Gab in ein Hotel an der Seite und zog Maria mit sich rein. Das Auto blieb quietschend stehen, die Verkäuferin sprang aus der Tür, auf der anderen Seite kam der Fahrer, ein großer, dunkelhäutiger Mann, heraus. Die beiden jagten den Mädchen nach. Auch ich bog in das Hotel ab. Hinter mir rasten T-Rex und Luna her. Der Boden der Eingangshalle war mit Marmor ausgelegt und jeder Schritt der Versace-Verkäuferin klapperte und wir rutschten immer wieder weg. Die schuhlosen Füße der Mädchen trampelten dumpf bis zur Rolltreppe. Sie rannten die Stufen hoch, als wäre der Teufel hinter ihnen her. „Halten Sie diese Mädchen an!“, schrie die Verkäuferin weiter. Ein Mann griff nach Betty, doch sie schlüpfte aus ihrer Jacke und rannte im Top weiter.
„Wo rennen die hin?“, fragte T-Rex ganz außer Atem. „Keine - Ahnung“, antworte ich. Der dunkelhäutige Mann drängte ein Pärchen auf der Rolltreppe zur Seite und rief: „Bleibt sofort stehen! Wir werden euch kriegen. Ergebt euch lieber sofort.“
Er holte auf. Wir Katzen sprangen auf den Handlauf der Rolltreppe, Furby mitten durch. Der Mann holte Betty und Nadja fast ein. Es war Zeit, etwas zu unternehmen.
Chester schien meine Gedanken gelesen zu haben. Er drehte sich um und hüpfte der quiekenden Versace-Frau ins Gesicht. „Kleine Tussi“, zischte er. Die Frau ließ einen spitzen Schrei fahren. Sie schlug um sich. Doch Chester landete auf ihrem Kopf, zog ihr an den Haaren. T-Rex sprang sie von hinten an, genau in die Kniekehle. Die Frau knickte ein und landete auf dem harten Marmor. Hinter ihr fuhr eine sehr kräftige Frau die Rolltreppe hoch. Sie sah das Hindernis vor sich nicht und fiel mit einem Plumps auf die zappelnde Verkäuferin. Die schrie nochmal.
Chester und T-Rex grinsten sich an, fauchten und rannten weiter. Dann blieb Torero stehen. „Luna!“
Ich drehte mich um. Luna kam nur mit Müh und Not den Handlauf hoch. Sie atmete schwer. „Luna, oh mein Gott, bleib sofort stehen“, sagte Torero besorgt. Er lief zu ihr. „Furby, bleib bei Luna. Pass auf sie auf. Ich vertraue dir.“ „Ich will aber jemanden beißen“, weigerte sich der Welpe. „Furby, sie ist schwanger. Sie kann nicht mit rennen. Und sie braucht jemanden, der groß und stark ist. Jemand wie du.“ Das gefiel Furby. Er streckte den Kopf hoch, ganz stolz. „Ich komm bald wieder, Luna.“ Luna stöhnte nur. Sie fiel auf den Boden. Torero half ihr auf, gab ihr einen zarten Katzenkuss und kam zu mir. „Wo sind sie?“ Ich schaute mich um. Da! Gab und die anderen waren auf der linken Seite den Gang entlang gelaufen. Der Mann hatte Betty und Nadja erwischt. Er hielt sie fest. Ich lief los, rammte meinen Schädel in die Kniekehlen des Mannes und biss ihm anschließend heftig in seinen Allerwertesten. Er ließ die Mädchen augenblicklich los. Sie packte ihre Sachen und rannten zu ihren Freundinnen. Betty schwitzte, Nadja humpelte. Die Jagd war noch nicht vorbei. Der Mann rappelte sich auf, wollte hinterher. Ich lag erschöpft auf dem Hotelflur. Ich konnte nicht mehr rennen. Doch Chester konnte noch. Er kletterte an dem Mann hoch und machte dann etwas, das so geschickt war, dass mir der Atem stockte. Er zog dem Rennenden die Jacke aus, packte sie mit seinem Zähnen, sprang auf das Geländer, das den Flur von der Halle trennte und machte einen Satz ins Nichts. Das ganze Stockwerk flog Chester nach unten. Die schwarze Jacke flatterte wie ein Umhang neben ihm, trug ihn scheinbar ein Stückchen, dann krachte Chester auf einen Blumentopf.
„Mein Portemonnaie!“, rief der Mann, machte kehrt und lief zur Rolltreppe zurück. Ich kletterte auf das Geländer, schaute nach unten. Chester war unverletzt. Er ließ die Jacke aber nicht liegen, sondern schleuderte sie in einen kleinen Teich an der Marmorwand. Der Mann fluchte. Er raste die Stufen nach unten, zum Teich und griff nach der Jacke. Da stürzte sich Torero mit Geschrei auf ihn und der Mann fiel vornüber ins Wasser. Es spritzte und Chester, der noch am Rand stand, wurde pudelnass. Die Verkäuferin, die sich inzwischen befreit hatte, kam in die Halle gestöckelt und rief aufgeregt nach Personal und nach der Polizei. Ihre strenge Knotenfrisur war zerzaust und ihr Make-up verwischt.
Die vier Mädchen starrten total verdutzt nach unten. „Und jetzt?!“ Sie konnten nicht zum Eingang raus. „Wir müssen nen anderen Ausgang finden.“ Sie liefen an mir vorbei, an der Rolltreppe bogen sie ab. Weg von der Halle, in der Chaos tobte. Der pitschnasse Mann schimpfte, er habe sich diesen Tag anders vorgestellt und wollte doch eigentlich zu einem Geschäftstreffen. Die Verkäuferin entschuldigte sich immer wieder. Ihre Stimme war panisch. Sie wusste, dass sie einen Diebstahl zugelassen hatte und dass sie die Mädchen jetzt nicht mehr erwischen würde.
Sie vielleicht nicht, aber der Mann, der Betty’s Jacke in der Hand hielt, war noch auf der oberen Etage. Er sah die Flüchtenden und verfolgte sie. Es war nicht viel Abstand zwischen Maria und ihm. Ich wollte nicht, dass sie jetzt nach all dem noch erwischt werden würden. Also gab ich mir einen Ruck und rannte nochmal los. Ich holte sie ein, ging an dem Mann vorbei und tat etwas, das ich von Chester gelernt hatte. Ich kletterte an einer langen Pflanze, die am Rand des Gangs stand hoch. Ich wippte und hüpfte und dann fiel die Pflanze um. Ihr Topf zerschellte, die Erde flog auf dem Boden rum und der Mann bekam die großen Blätter auf den Kopf und verfing sich. Er fluchte laut mit Worten, die ein Kind nicht unbedingt hören sollte. Dann hörte ich Furby, der begeistert kläffend angelaufen kam und dem Fluchenden in die Wade biss. „Mistviecher!“ Ich musste grinsen. Ich sah, dass Gab und die andere hinten ein Treppenhaus runter liefen.
Nur Maria hatte es nicht geschafft. Sie lag auf dem Boden, ausgerutscht auf dem Marmor. Sie hielt sich den linken Arm und hatte Tränen in den Augen: „Scheiße!“ Der gebissene Mann schlug die Blätter von sich und kam auf Maria zu, packte sie am verletzten Arm und zerrte sie hoch. Maria schrie. „Was wollen Sie? Lassen Sie mich los!“ Sie drehte und wendete sich und ruckelte an der kräftigen Hand. „Du bleibst schön hier“, sagte der Mann bestimmt. Furby kam von hinten und biss ihn noch ein zweites Mal. Jetzt erst sah ich, dass Maria ihre Tasche nicht mehr hatte.
„Was auch immer du geklaut hast, gib es her!“ Der Mann blickte böse auf das Mädchen runter. „Ich hab nichts. Ich habe nichts mit diesen Dieben zu tun.“ Der Mann schaute an ihr runter. „Aber du bist doch mit ihnen weggerannt.“ „Nein!“ Maria hatte keine Ausrede, aber sie hatte auch keine Beute.
Dann hörte ich Polizeisirenen. Sie waren vor dem Hotel, würden Gab und ihre Freundinnen also nicht erwischen. Die waren längst über alle Berge. Aber was war mit Maria?
Ein Polizeibeamter kam die Rolltreppe hochgestürzt und den Gang entlang. Er sah Maria. „Du, Mädchen, weißt du, wo die Diebe sind?“ „Nein!“, rief sie nochmal. „Und hast du sie gesehen? Kennst du sie?“ „Ich habe nichts mit ihnen zu tun, verdammt! Ich bin nur weggerannt, weil dieser Hund hinter mir her war.“ Sie zeigte auf Furby. Der knurrte den Polizisten drohend an.
Der Polizist musterte Maria. „Du, ich kenne dich. Du warst vor nicht allzu langer Zeit bei uns. Du bist vorbestraft.“ Maria schluckte. Der Polizist packte sie an der Schulter: „Mitkommen! Und ich glaube dir kein Wort.“ Sie ließ den Kopf hängen und folgte ihm.
Da kam Chester von hinten gerannt und sprang mit voller Wucht in eine Scheibe des Friseursalons, der zum Hotel gehörte. Es klirrte, Glasscheiben flogen durch die Luft. Der Polizist und der Mann bekamen die ganze Ladung ab. Sie duckten sich erschreckt. Maria riss sich los und rannte, als wäre der Teufel hinter ihr her. Ich saß fassungslos im Flur, um ein Haar hätte auch ich die scharfen Splitter abbekommen. Dann sah ich Chester, der sich aufrappelte. Er blutete an der ganzen Flanke. Doch er lächelte mich an und miaute: „Keine Angst Baby, ich bin Profi.“ Ich wollte nicht, doch ich musste grinsen.
Ich drehte mich noch einmal zu Maria, die schon fast an der Treppe war. Sie drehte aber noch den Kopf und rief zu uns zurück: „Macht’s gut Freunde. Ich liebe euch alle.“ Dann war sie fort.
Ich lag auf dem Bauch auf den warmen Felsen. Luna lag neben mir und wir säuberten uns gegenseitig das Fell. T-Rex spielte mit ein paar Stöckchen und Torero brachte angeknabberte Sandwiches mit sich mit. Ich ließ mir die Sonne auf den Rücken scheinen. So ein schöner Abend. Der Himmel war wolkenlos und bunt. Am Horizont lila, dann orange, dann blau. Ein warmer Sommerwind wehte.
Von den Strapazen gestern hatten wir uns noch alle nicht richtig erholt. Doch wir waren glücklich. Es war, im Nachhinein betrachtet, ne ziemlich coole Aktion. Wir waren jetzt eine richtige Gang. Furby war mit Gab zurück nach Brooklyn gegangen. Ihm war das Straßenleben zu dreckig und er liebte seine Kuschelkissen und das Futter aus der Werbung. Mir war es nur recht. Ich mochte den naiven Köter, doch auf Dauer hätte er uns das Leben nur erschwert. Dafür hatten wir T-Rex, der von Chester zum festen Mitglied ernannt wurde. Und bald würden wir noch mehr sein. Luna überlegte sich schon Namen für ihre Kleinen. Sie sollten Kaschmir, Leonardo und Emerald heißen. Oder Cassandra und Roxanne, falls es Mädchen werden. Es waren schöne Namen, sie klangen elegant und kräftig. Für kleine Fellknäuel waren sie bestimmt eher unpassend. Aber für erwachsene Kater und Kätzinnen wären sie perfekt. Von einem sollte ich auf jeden Fall Patentante werden.
„Wie würdest du denn deine Jungen nennen?“, fragte mich Luna. „Ich weiß nicht“, sagte ich, „deine Ideen sind auf jeden Fall sehr schön.“ „Also ich“, sagte Luna, „fände es toll, wenn du sie nach Farben benennst, so wie dich selbst. Also Yellow und Blue und Silver. Das fänd ich schön.“
„Danke für den Tipp. Gefällt mir.“ Luna lächelte. Ich zog ein kleines Blatt aus ihrem Fell. „Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber ich könnte was zu Essen vertragen.“ „Ich auch.“
Also gingen wir zu Torero mit seinen Sandwiches und knabberten an Salat und verbranntem Brot. Die Menschen hatten es weggeschmissen, weil es ihnen zu verkohlt war, ganz sicher. Aber uns schmeckte es köstlich. Verkohlt heißt Feuer. Und Feuer heißt Wärme, Schutz und Temperament.
Wie aufs Stickwort kam Chester über die Wiese gelaufen. Er winkte mich zu sich. Ich lief zu ihm, auf einer Tomate kauend und brachte ihm ein Stück Sandwich mit. Er beachtete es nicht, sondern leckte mir gleich über die Schnauze. Es war so schön rau und feucht. „Ich hab was für dich Mäuschen.“ „Ja? Und was?“ „Mach die Augen zu.“ Ich tat es und dann fühlte ich etwas Warmes an meinem Hals und wie er an meinem Nacken zugange war. „Augen auf.“ Ich machte sie auf und sah an meinem Hals runter. Da hing ein schwarzes Halsband mit einem Anhänger. Es war ein Herz mit gekreuzten Knochen darunter. Er war süß und irgendwie gefährlich zugleich. Es gefiel mir.
„Danke. Wie hab ich das verdient?“, fragte ich Chester neckisch. „Das habe ich für meine Maus aus einem sehr feinen Designerladen entwendet. Mir war die halbe CIA auf den Fersen, aber ich habe sie alle besiegt, nur um dir diese Kette zu bringen.“
Ich wusste, dass er sie nur von einem kleinen Souvenirstand hatte und dass er es auf unehrliche Weise genommen hat. Doch es war mir total egal. Ich wusste, dass Chester kein böser Kater war. Er war einfach mein kleiner Meisterdieb und Chaosstifter. In seinem Fell waren noch die Narben, die die Glassplitter ihm eingeritzt hatten und ich wünschte, sie würden für immer Narben bleiben. Narben erzählen nämlich Geschichten und den Sprung in das Schaufenster, mit dem er Maria vor der Inhaftierung gerettet hat, der sollte nie vergessen werden.
Ich kuschelte mich an ihn. Er roch nach Großstadt. Ich fühlte mich richtig wohl, da wo ich gerade war. Und jetzt frage ich euch, ob ihr vielleicht ein paar schöne Farben wisst. Anthrazit klingt doch gut, oder?
Tag der Veröffentlichung: 02.08.2012
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