Mit 13 ließen inmitten des ewigen Streits seiner Eltern Philips schulischen Leistungen nach. Sie bemerkten das nicht einmal, denn seine Zukunft war ihnen mehr oder weniger wurscht. Doch im Fußball blieb er gut. So traf es sich, dass sein Stiefvater und seine Mutter eines Tages zu einem Fußballspiel erschienen, obwohl sie eigentlich zu der Sorte Eltern gehörten, die nie kamen, um sich an dem, was ihre Schutzbefohlenen so alles konnten, zu erfreuen. Er konnte sich an kein Lob aus ihrem Munde erinnern. Sie waren in ihre kleines, dummes Leben verbissen wie zwei tollwütige Rotweiler, zu sehr damit beschäftigt sich selber die Hölle heiß zu machen. Deshalb staunte Philip, als er sie eines Tages am Spielfeldrand stehen sah, scheinbar einträchtig, zwischen anderen Eltern. Scheinbar: denn sie gehörten nicht zusammen, sie standen nur nebeneinander. Jedes Nachhausekommen, sei es von der Schule, oder vom Fußball war für Philip ein Abstieg von guten Gefühlen in üble, von Blumenwiesen in ein gefährliches Sumpfgebiet, vom Licht in ein von Asmodis, jenem Dämon, der die Menschen paarweise zugrunderichtet, bewohntes Dunkel. Nun standen sie dort, die ihn nicht liebten, die selbsthasserischen Störenfriede seiner Kindheit und Jugend. Und seltsam: ohne, dass er er es gewollt hätte, beflügelte ihn dieser Umstand mit einem Mal. Er wollte den beiden einmal zeigen, was er drauf hatte! Und das Schicksal war gnädig! Sie spielten gegen einen harten Gegner, der ihnen meistens Schlappen beibrachte, und auch diesmal stand es nach der ersten Halbzeit 0 zu 2. Andere Elternteile riefen vom Spielfeldrand: »Geht schon, nicht aufgeben. Das schafft ihr schon.« Seine Eltern sagten nichts. Stiefvater rauchte eine Zigarette nach der anderen und Mutter blickte peinlich berührt. In der zweiten Halbzeit, teilten sich die Wolken, ein Stück stahlblauer Sommerhimmel zeigte sich, und die Sonne kam wärmend, ja heiß zum Vorschein. Sofort nach dem Wiederanpfiff zog Kapitän Kieser, drei Gegner überspielend, bis zur Toroutlinie, schlug einen perfekten Stanglpass und rief zu Philip, der eingeschneit von Verteidigern im Fünfmeterraum stand: »Hinein!« Er hielt den Fuß hin, und das Leder rollte lässig ins Tor. Freude schöner Götterfunken!
Während ihm auf die Schulter geklopft wurde, linste Philip zu seinen Eltern. Mutter schien leicht zu klatschen, Stiefvater bewegte sich nicht. Warum auch. Philip war ja nicht sein Fleisch und Blut. Zehn Minuten später gab es ein Gestochere im Strafraum, und irgendwie gelang es Philip den Ball zum Ausgleich ins Tor zu spitzeln.
»Bravo! Das war ein Kabinettstückerl!«, rief sein Trainer erfreut. Seine Eltern riefen nichts. Gegen Schluss rollte ihm der Ball vor die Füße, als er an der Strafraumgrenze stand. Er hielt drauf: und die Kugel passte genau ins Kreuzeck. Erbost rief der gegnerische Goalie: »Wie kann man so einen Mann nur ungedeckt am Strafraum stehen lassen!«
In der Kabine klopfte ihn Kapitän Kieser, der ansonsten mit Lob kargte, weil er sich selbst für den Besten hielt, auf die Schulter: »Das war heute dein Tag.« Verteidiger Gredenzi, der Philip eigentlich nicht mochte, schüttelte den Kopf: »Macht der einfach einen Hattrick.« Lob nicht gewöhnt, wurde Philip verlegen und verbarg seine Verlegenheit. Frisch geduscht trat er vor das Clubhaus, hinaus in einen blendenden Sommernachmittag. Er blinzelte ins Licht. »Gut gemacht«, riefen ihm zwei Mütter zu, die auf ihre Sprösslinge warteten. Er bedankte sich und sah sich nach seinen Eltern um. Sie waren weg. Doch die Sonne war da: groß und mächtig, ein blendendes Feuerrad.
Tag der Veröffentlichung: 04.07.2011
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