Es schien als würde der ganze Wald die Luft anhalten, als das Dorf Abschied nahm. Die Bäume wiegten sich im Wind, die Blätter waren ihre Kinder. Mit jedem Windstoß fielen einige auf den Boden und das Jaulen der Wölfe in der Ferne klang wie das Weinen des Waldes. Eine Mutter, kaum 30 Jahre, hielt ihr Baby fest umschlungen. Sie zitterte in der Kälte des Winters und eisige Tränen liefen über ihre Wangen. Ein Mann legte schützend seine Arme, nur in einen dünnen Ledermantel gehüllt, um sie und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Die junge Frau schluchzte laut auf, dann legte sie das Kind in den Schlitten. Ein Rapphengst, so schwarz wie die Nacht, war davor gespannt und scharrte im Schnee mit den Hufen, auf der Suche nach Gras. Es fand natürlich nichts. Am Himmel kreiste der Beobachter dieser kleinen Trauerversammlung, ein Weißkopfadler, dessen Schwingen übernatürlich groß wirkten. Verängstigt sahen einige der Dorfbewohner zu ihm hoch, in der panischen Angst er könne sich vom Himmel fallen lassen und das bringen, wovor sie sich fürchteten. Während der Adler seine Kreise am grauen Himmel zog und die ersten Regentropfen fielen, legten alle Familienmitglieder die wertvollsten Dinge die sie hatten in den Schlitten. Decken, Kissen, Essen und Trinken. Aber auch goldene Kerzenhalter, Fackeln und Kleider. Alles in den verschiedensten Farben, Formen und Größen. So war ein Kleid dabei, das ursprünglich einer jungen Frau gehörte, sie es aber nicht mehr zu brauchen schien. Also schenkte sie es dem wundersamen Mädchen mit den rotbraunen Augen, das auf dem Schlitten lag, gebettet in den Reichtum des Dorfes und die Geschenke der Familie. Ein kleines Mädchen, dessen brauner Schafmantel voller Dreck war, trat näher an den Schlitten heran. In den grünen Kinderaugen glitzerten die Tränen, als es die kleinen Finger nach dem Geschwisterkind ausstreckte. Das kleine Mädchen umarmte das Kind und fuhr mit dem Finger die Zeichnungen um die Augen des Babys. Als die beiden sich wieder trennten baumelte eine Kette um den Hals des Babys mit einem Amulett als Anhänger. Darin befanden sich keine Bilder, für so etwas hatten die Dorfbewohner kein Geld, aber kleiner Ring war darin. Die Wangen des kleinen Mädchens glänzten feucht und erneut kullerten Tränen über die rosa Wangen. Seine gefrorenen Lippen bewegten sich, aber niemand außer dem Adler konnte verstehen was es sagte. Lebe wohl, kleine Schwester. Ich liebe dich.
Nach diesen Worten lief das Pferd los, es sprengte den Schnee förmlich zur Seite. Der Adler beendete seine Kreise und während das Dorf dem Mädchen mit den rotbraunen Augen nachtrauerte, flog er in die Berge hinauf. Seine breiten Schwingen streiften die Äste der Tannen und ließen den Schnee hinunter rieseln. Ein Eichhörnchen schimpfte dem Vogel verärgert hinterher, als es getroffen wurde. Mit jedem Flügelschlag wurde der Adler schneller und schoss wie ein Pfeil zwischen den Bäumen hindurch. Vor einer kleinen Blockhütte, weit oben auf dem Gebirge, stoppte er strauchelnd und fiel unsanft in den Schnee. Aus dem Schneehaufen kam kein Adler, sondern ein junger Mann hervor. Er trug die Kleidung eines Boten; schwarze Hosen, braunes Hemd und abgenutzte Schuhe. Er klopfte nicht erst an der Holztür, die den Eingang darstellte, sondern ging direkt hinein. „Südlich vom roten Zipfel, vor wenigen Minuten. Schwarzes Pferd, brauner Schlitten.“, rasselte er wenige Anhaltspunkte hinunter. Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte. Ohne dass er es aussprechen musste, verstand der junge Mann, dass es Zeit war zu gehen. Draußen hob der Mann seine Arme und als er in die Luft sprang schien er zu verschwinden. An seiner Stelle flog nun der Adler, der sich mit einem zufriedenen Kreischen in die Luft erhob.
Joana öffnete langsam ihre Augen und blinzelte in das warme Sonnenlicht. Geschmeidig wie eine Katze streckte sie sich und stieg aus ihrem riesigen Himmelbett.,,Uaaah“,gähnte sie und schaute sich nach ihrem flauschigen Morgenmantel um den sie so sehr liebte.,,Ciara! Ciara wo bist du? Ist das Frühstück schon fertig?“ Langsam lief sie auf die riesigen aus glänzendem Eichenholz angefertigten Flügeltüren ihres Schlafzimmers. Sie eröffneten ihr einen marmorbestückten Speisesaal mit weiteren Türen zu 2 Badezimmern, der Küche, den Zimmern der Bediensteten, dem Flur und, durch eine große Glastür, auch in ihren gepflegten Rosengarten.
Ein kleines Mädchen huschte zwischen den Stühlen und der großen Tafel des Speisesaals hin und her und verteilte noch letzte Speisen und Getränke. ,,Ohh es tut mir leid Mylady aber wir sind sofort fertig! Der Koch muss nur noch ihre geliebten Erdbeeren zuckern dann ist alles bereit.“, stammelte die Kleine. Joana musste in sich hinein lächeln. Die kleine Ciara versuchte es ihr doch immer recht zu machen mit allem was sie tat um die Schuld in der sie bei Joana stand auszugleichen. Joana hatte Ciara an einem kalten Wintertag aus den Fängen der Sklavenhändler gerettet und dafür würde Ciara ihr wohl immer dankbar sein. Joana liebte sie dafür, dass sie immer für sie da war und sie sich so nicht mehr so alleine in dem großen Haus fühlen musste. Sie war immer alleine gewesen schon seit sie klein war. Die Libraner hatten sich immer gut um sie gekümmert und so konnte sie Herzogin von Lamara werden aber sie hatte nie jemanden gehabt mit dem sie wirklich reden konnte.
Plötzlich flatterte ein Falke durch das geöffnete Fenster und landete auf ihrer Schulter. Und zerzauste ihr das sowieso nach dem schlafen schon strubblige Haar.,,Mian lass dass“, lachte sie. Mian überreichte ihr einen Brief den mit einer Klaue getragen hatte. Joana erkannte sofort das Siegel des Königs. Vorsichtig brach Joana das Siegel und zog das schwere Briefpapier aus dem Umschlag. Sie setzte sich an den Tisch und steckte sich eine Erdbeere in den Mund während sie den Brief las.
Sehr geehrte Miss Joana,
es ist mir eine Freude ihnen die Neuigkeit überbringen zu dürfen dass unser aller ehrenvoller König von Lamara sie zu einem Aufenthalt in seinem Schloss eingeladen hat.
Wir erwarten ihr baldiges Kommen.
Erwartungsvolle Grüße
Des Königs Sekretär
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2012
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