Cover

Die Ruhe im Sturm

 

 

„Bist du hergekommen, nur um mir das zu sagen?“, fragte ich, deutlich gereizt. Caiden stand bewegungslos vor mir, die Ruhe selbst blickte er mich aus seinen dunklen Augen an und wirkte ungerührt angesichts des deutlichen Missmuts, den ich bei seinem Anblick zeigte.„Ich bin hergekommen, um mich zu entschuldigen.“, wiederholte er sich und seine tiefe Stimme verklang in der Stille der weiten Felder und Wiesen, die um uns herumlagen und mein einsames Häuschen umgaben.

„Das hättest du dir sparen können. Erst recht, hier einfach vorbeizuschneien.“

Gerade zu Wochenendbeginn, als ich mich in Ruhe mit meiner Flasche Wein aufs Sofa vor den Fernseher setzten wollte und keine Menschenseele mehr zu Gesicht bekommen wollte – erst Recht nicht dich. Was glaubst du, warum ich so weit vor die Stadt gezogen war?

Kein Bus fuhr in die Nähe, es waren mehrere Kilometer bis zum nächsten Dorf. Ich hatte meinen silbernen Volvo in der Hofeinfahrt geparkt – doch von einem anderen Auto war weit und breit nichts zu sehen.„Ich wollte dir zeigen, dass ich es ernst meine. Und es gehört sich einfach, eine Entschuldigung persönlich vorzubringen.“

Ich schnaubte verächtlich.

Es gehört sich so, sagt er. Er hat schon immer zu viel Wert auf Konventionen gelegt.

Plötzlich legte Caiden den Kopf schief und sah nachdenklich zum Himmel.

„Vorbeischneien...“, murmelte er leise meine Worte. „Interessante Redewendung, findest du nicht?“

Ich sah ebenfalls zum grauen Junihimmel. Die Hitze der vergangenen Woche lastete schwer auf der Umgebung und machte das Atmen von Tag zu Tag schwerer. Schweißperlen rannen über meine Stirn und verklebten mein braunes Pony, während ich freudig feststellte, dass Wolken aufzogen.„In dieser Redewendung... bin ich da der Schnee?“

Er lächelte leicht, so wie er es immer tat, sanft und weich. Seine Mundwinkel hoben sich kaum, dennoch erreichte das Lächeln stets seine Augen und schien aufrichtig von Herzen zu kommen. Er war nicht nur die Ruhe selbst, er strahlte sie auch aus, übertrug sie auf alle in seiner Umgebung.Ich merkte, dass auch ich ruhiger wurde – auch wenn ich mich darüber noch mehr ärgern wollte. Wie konnte man mit jemandem streiten, der stur höflich und leise blieb?

Ich wollte nicht – ich wollte wirklich nicht! - aber ich konnte mich eines kleines Lächelns nicht erwehren und schabte verschämt mit dem Fuß auf dem Boden.

„Ist es nicht etwas zu warm für Schnee?“, fragte ich, als ich wieder hochsah.

Caiden bewegte seinen Kopf, mehr die Andeutung eines Nickens. Kaum merklich hob er die Augenbrauen und ich sah die Erwartung in seinen Augen.

Viele Leute hatten Probleme damit, Caidens Mimik und Gestik zu lesen oder mussten allzu genau hinsehen, aber für mich waren sie inzwischen wie große Leuchtreklamen. Ich nahm jede Veränderung in seinem Gesichtsausdruck wahr.

Ebenso viele Leute verzweifelten an seiner ruhigen und stoischen Art oder dachten, er bekäme einfach partout nicht den Mund auf. Tatsächlich hörte er aber genau hin, wenn jemand Anderes etwas sagte und konnte auch sehr gesprächig sein – so selten das auch vorkam.

Doch ich hatte stets die Ruhe mit ihm genossen. Er platzte nicht mit jeder Nichtigkeit hinaus, die ihm in den Sinn kam, sondern sprach bedacht und überlegt.

„Komm rein“, gab ich seufzend nach und machte einen Schritt zu Seite, damit er eintreten konnte. Er zog sich die Schuhe aus und lief ins Wohnzimmer. Ich schloss die Tür und murmelte: „Es regnet bestimmt jeden Moment.“ Ich hoffte es.

Caiden ließ sich auf mein graues Sofa fallen, ließ seine Unterarme auf seinen Beinen ruhen und sah mich abwartend an. Etwas verlegen kratzte ich mich am Kopf.Herrgott, ich war stinksauer auf ihn! Warum hatte ich ihn überhaupt reingelassen?Statt ihn sofort wieder hinauszuwerfen und damit meine Launenhaftigkeit deutlich zu machen, bot ich ihm was zu trinken an.

Er lehnte kopfschüttelnd ab.

Ich ließ mich seitlich des Sofas auf den dazupassenden Sessel fallen und sah nun ihn abwartend an.

„Es tut mir leid. Es tut mir wirklich leid. Ich hätte das nicht tun sollen.“ Caiden sprach die Worte mit solch einer Ernsthaftigkeit aus, dass ich schwer schlucken musste und sofort wieder die ganze Szene vor Augen hatte.Eigentlich hatte ich total überreagiert – auch wenn er das gar nicht wusste. Er wusste nicht, dass ich den Bilderrahmen in einem tränenüberströmten Wutanfall an der Wand zerschmettert hatte, dabei versehentlich noch eine Vase umgeworfen hatte, und dann wütend versucht hatte, die Tränen zu unterdrücken, während ich mich zitternd in die Ecke des Sofas gekauert hatte, gleich neben der Stelle, an der Caiden jetzt saß.

Er wusste nur, dass ich vor vier Tagen abends plötzlich einfach verschwunden war und ihm geschrieben hatte, dass ich mich nicht mehr mit ihm treffen wollte.

Ich hatte gesagt, es gäbe einen Anderen. Das zwischen uns war nichts Ernstes gewesen, nichts Offizielles. Wir trafen uns seit einigen Monaten immer häufiger, doch ich kannte niemanden aus seinem Leben und umgekehrt war es genauso. Oft redeten wir auch nicht viel.

Ich hatte einfach nur die Ruhe in seiner Gegenwart genossen, es genossen, mich so entspannt und frei von Sorgen zu fühlen, wenn ich bei ihm war.

„Ich sagte doch, es ist vorbei. Es gibt einen Anderen.“ Ich sah zur Seite und hoffte, dass ich nicht schamrot anlief bei dieser dreisten Lüge. Ich merkte nur, dass meine Stimme zitterte und hoffte, dass Caiden es nicht merken würde – aber aus Erfahrung wusste ich, dass Caiden keine Kleinigkeit entging.

Ein Blitz erhellte das Wohnzimmer in ungewohnt grellem Licht, das der ganzen Szene eine gewisse Skurrilität verlieh, als wolle er zeigen, wie absurd ich mich verhielt.

„Du hast dich parallel mit uns beiden getroffen?“ Keine Spur von Ärger oder Verletztheit in Caidens Stimme, nur eine sachliche Frage.„Ja“, stieß ich hervor.

Regentropfen begannen aus das Dach zu prasseln, erst, als würde jemand vereinzelt Kieselsteine auf das Dach werfen, dann immer heftiger.

Wir beide schwiegen eine gefühlte Ewigkeit und ich verschränkte meine Arme vor der Brust und sah durch die hohen Fenster nach draußen auf die Veranda. Ich hatte das Gefühl, dass es bereits kühler wurde... Oder ruhte die unheimliche Gänsehaut von etwas Anderem her?

„Das glaube ich dir nicht“, schallte in der aufkeimenden Stille Caidens beherrschte Stimme durch das Wohnzimmer.„Wieso nicht?“, fragte ich, interessiert, beinahe trotzig.

Caiden schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf, musterte das Parkett.„Weil ich dich dafür schon zu gut kenne. Wir sind über die Zeit hinaus, in der man mehrere Leute datet.“

Weil da mehr zwischen uns beiden war?

Als ich nichts erwiderte, seufzte er und fügte hinzu: „Ich hatte mich zu Beginn noch mit einer anderen getroffen. Sie war hübsch, klug, nett... Wir haben uns gut verstanden. Ich habe mich einige Male mit ihr getroffen. Aber bereits nach dem zweiten Treffen mit dir, habe ich ihr gesagt, dass ich sie nicht mehr treffen kann.“

Ich hielt die Luft an – nicht wegen der Worte an sich, sondern weil sie von Caiden kamen. Von jemandem, der es vermied, mehr als nötig von sich zu geben. Von sich preiszugeben.

Caiden hob langsam den Blick und sah mich hoffnungsvoll an. Er wollte, dass ich meine Worte zurücknahm. Sagte, dass es nur ihn gegeben hatte. Und nur ihn gab. Keinen Anderen außer ihm.

Donnergrollen erfüllte die zurückhaltende Stille vor dem offenen Wohnzimmer und ich zuckte zusammen, merkte, dass ich nicht geatmet hatte und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Caiden blickte stirnrunzelnd nach draußen und ich folgte seinem Blick.

„Oh mein Gott, die Wäsche!“, rief ich entsetzt aus und eilte nach draußen. Plötzlich stand ich im prasselnden Regen. Ich senkte den Kopf und zog die Schultern ein, kniff die Augen zusammen. Der Regen strömte nur so an mir herunter und durchnässte mich in Sekunden.Ich griff nach einer Seite des Wäscheständer und versuchte, ihn über die Schwelle durch die Terassentür zu ziehen, da hob er sich von der anderen Seite.Caiden stand mir gegenüber in der Sturmflut und schob mich mitsamt Wäscheständer Richtung Haus.

Ich stolperte über die Schwelle und zog den Ständer beiseite. Caiden schloss bereits die Tür, durch die der Regen auf das Parkett tropfte.

„So ein Mist!“ Ich stieß einen wütenden Laut aus und warf zwei große Handtücher aus dem Schrank auf den Boden, kniete mich hin und wischte über den klitschnassen Boden.

Verärgert und durcheinander erhob ich mich wieder, da spürte ich, wie sich etwas um meine Schultern legte. Ich griff danach und spürte das weiche Flanell eines Handtuchs.

„Deine Haare tropfen“, bemerkte Caiden leise.

Ich drehte mich um rubbelte mir gedankenverloren die Haare trocken, die mir jetzt wie einem nassen Pudel auf dem Kopf liegen mussten.

„Deine auch“, murmelte ich. Caiden hob nur eine Augenbraue, machte jedoch keine Anstalten sich zu regen. Ergeben seufzte ich, griff nach einem weiteren Handtuch und warf es ihm gegen den Kopf. „Nicht, dass du mir das Parkett versaust...“, grummelte ich.

Caiden zerstrubbelte seine Haare und stand mit zerzausten Strähnen vor mir. Er wirkte fast fünf Jahre jünger.

Erneut zuckte ein Blitz vor dem Fenster und als hätte er mich nach vorne gestoßen, schoss aus meinem Mund: „Es gibt tatsächlich keinen Anderen.“Ich riss meine Augen und meinen Kopf zur Seite. Das Blut schoss mir ins Gesicht.

Ich hatte ihn dreist belogen und nun zugegeben, dass mehr dahintersteckte – hinter allem.

„Ich meine... Ich...“ Ich suchte nach den Worten , wollte die Worte zurücknehmen und konnte nicht, musste mich erklären.„Es tut mir wirklich leid.“Stirnrunzelnd warf ich ihm einen kurzen Seitenblick zu.

„Ach ja? Was tut dir leid?“ Er sagt das doch nur, weil er denkt, er müsste das sagen. Er weiß überhaupt nicht, weshalb ich mich so dumm verhalten habe.

„Dass ich dich verletzt und verunsichtert hab.“Draußen grollte der Donner, innerlich zersprang mein Herz fast bei diesen Worten und pochte schmerzhaft in meiner Brust.

„Du... schienst mir vorschlagen zu wollen, einen Abend mit dir und deinen Freunde zu verbringen. Aber ich hab nichts dazu gesagt, dich fast schon ignoriert. Und mich dann mit dieser anderen Frau unterhalten.“Ich starrte ihn ungläubig an, und der Regen vor dem Fenster klang wie weißes Rauschen in meinem Kopf.

„Eine Stunde lang. Länger vielleicht. Ich weiß nicht einmal mehr ihren Namen. Ich wollte mir einen Drink holen und hab ihr auch einen ausgegeben. Und dann warst du weg. Da erst ist mir aufgegangen, wie dämlich ich mich verhalten habe.“

Ich dachte, er interessiere sich nicht mehr für mich. Ich dachte, er wolle mir zeigen, dass er sich umorientieren möchte. Ich dachte... ich hätte ihn verloren.

„Mir ist gar nicht aufgefallen, wie mein Verhalten gewirkt hat.“, sagte er so leise, dass es in dem prasselnden Regen und dem immer lauter werdenden Donnergrollen beinahe nicht zu hören war.

„Du hast das nur gesagt, weil ich dich enttäuscht hab... hab ich Recht?“ Nasse Strähnen hingen in Caidens Stirn und ein Tropfen perlte auf seine Wange.

Ich nahm meinen letzten Funken Stolz und Mut zusammen und nickte kurz und heftig.

Seine Mundwinkel hoben sich zu seinem Caiden-Lächeln und er kratzte sich verlegen am Kopf. Es sah so untypisch aus. „So unsensibel bin ich sonst gar nicht.“Ich musste lächeln, auch wenn ich wusste, wie traurig ich dabei aussehen musste.

„Ich hab wohl nur übertrieben...“, meinte ich ebenso verlegen. Er schüttelte den Kopf.„Ich seh's einfach als Kompliment. Weil du sonst nie übertreibst.“„Dann sehe ich es als Kompliment, dass du extra zum Reden hergekommen bist.“ Er lächelte mich immer noch warmherzig an. Ich bemerkte gar nicht, dass meine Kleidung kalt und nass an meinem Körper klebte. Ich lächelte zurück und sah nach draußen in den strömenden Regen.

Wasser lief an den Fenstern hinab und nahm die klare Sicht. Es blitzte immer heller, in immer kürzeren Abständen und der Donner grölte und polterte.

Draußen stürmte es, doch in mein Innerstes kehrte die Ruhe zurück, die erst Caiden mir geschenkt hatte.

„Schade, dass es draußen in Strömen regnet. Wenn du nicht durch dieses Unwetter nach Hause laufen willst, musst du wohl hier drinnen abwarten, bis es aufklärt.“

 

 

 

 

Impressum


Cover: eigenes Foto
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2014
Alle Rechte vorbehalten.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.06.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /