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Prolog


Keryon sah sich rasch um und betrat dann leise und unauffällig die Abkommenshalle.
Mit dem rabenschwarzen Haar und der dunklen Kutte, die er anhatte, verschmolz er mit den Schatten der unbeleuchteten Halle als er sich lautlos an der Wand entlangschob, bis er am Kopfende der Schattenjäger-Tafel ankam. Genau vor einem bestimmten Stuhl nahe am Kopf der Tafel blieb er schließlich stehen.
Über jedem einzelnen der Sitzplätze an den Tischen schwebten glühende Buchstaben über der Tischdecke. Die Initialen der jeweiligen Person, für die der Platz vorgesehen war, sowie das Wappen der Familie aus der sie stammte. Über diesem Platz glühten in einem überirdischen Orange die Initialen C.M.

, daneben das Wappen der Familie Morgenstern.
Keryon warf einen verstohlenen Blick über die Schulter auf die geschlossene Tür der Abkommenshalle und widmete sich dann beruhigt wieder seiner Aufgabe. Eine blasse Hand bedeckt mit dunkelgrünen Mustern und Symbolen zog etwas aus der Tasche der Kutte. Eine kleine, daumengroße Phiole, gefüllt mit einer durchsichtigen Flüssigeit, kam zum Vorschein. Ein letztes Mal schaute Keryon sich in alle Richtungen um, um sich zu vergewissern, dass er nach wie vor allein war, bevor er vorsichtig den Stopfen aus der Öffnung der Phiole zog und sie leicht über den Rand des Kelches neigte, der an diesem Platz stand.
Drei Tropfen hatte seine Herrin ihm befohlen, in den Kelch zu geben. Drei Tropfen und nicht mehr, denn sonst würde die Wirkung zu stark sein und sie würde keinen Spaß mehr an der Sache haben.
Gerade als er den dritten Tropen in den Kelch gab, hörte er, wie sich die Tür der Abkommenshalle knarrend öffnete.
Vor Schreck zuckte Keryon so heftig zusammen, dass die Phiole seinen Fingern entglitt. Etwa die Hälfte der klaren Flüssigkeit darin ergoss sich in den Kelch und sickerte mit einem tonlosen Blubbern in dessen Wände, verschwand, als wäre sie nie da gewesen.
Schnell schob Keryon den Stopfen zurück in die Öffnung und ließ die Phiole unauffällig in seinem Ärmel verschwinden, während er gleichzeitig einen Schritt von der Tafel zurückging. Dann tat er so, als würde er die gedeckten Tische begutachten, schob hier einen Teller und da eine Gabel zurecht.
In diesem Moment war er erleichtert, dass er zur Tarnung die giftgrüne Kappe trug, die ihn als Diener kennzeichnete. Das hieß, dass keiner ihn verdächtigen würde.
Als er Schritte auf dem glänzenden Granitboden der Halle näherkommen hörte, schaute er mit unbeteiligter Miene auf. Der Hexenmeister Magnus Bane kam auf ihn zu.
Keryon senkte den Kopf und tat das, was jeder Diener in einer solchen Situation tun würde: er senkte unterwürfig den Kopf und verließ mit festen, schnellen Schritten die Halle. Dabei fragte er sich, welche grausame Strafe ihn für sein Versagen erwartete.


"Clary, hörst du mir überhaupt zu?"
Simons Stimme riss Clary aus ihren Gedanken. Blinzelnd schüttelte sie den Kopf und schaute ihn an. "Entschuldige bitte, was hast du gesagt?" Simon seufzte kopfschüttelnd, widerholte aber: "Ich wollte nur mal Bescheid sagen, dass ich heute nach dem Fest zurück nach New York gehe." Er lächelte sie an. "Magnus wird mir ein Portal schaffen, sodass ich nach Hause kann."
"Aber warum denn?!", rief Clary bestürzt. "Warum wartest du nicht noch die Paar Tage und gehst dann mit uns zurück?"
Die Enttäuschung war ihr deutlich anzusehen. Das Leuchten in ihren Augen verlosch und wich einem traurigen Ausdruck, als sich ihr Gesicht unglücklich verzog.
"Weil...", begann Simon, unterbrach sich aber, um sich die Augen zu reiben, die ohne die Brille viel größer und dunkler wirkten. "Weil die Lightwoods tagsüber reisen wollen und die Sonne trotzdem noch meine Augen reizt."
Es war nur eine halbherzige Ausrede und Clary wusste, dass noch mehr dahintersteckte. Sie fragte jedoch nicht nach. Sie vertraute darauf, dass er es ihr von sich aus erzählen würde.
Und so war es auch.
Simon seufzte und griff nach ihrer Hand, eine Angewohnheit von früher, als ihr beider Leben noch unbeschwert und frei von jeglichem übernatürlichen Kram war.
"Es macht mich nervös, dass meine Mom sich nicht darum kümmert, ob ich da bin oder nicht. Sie kann

mich nicht einfach so vergessen haben, und wenn doch, dann hoffentlich nicht endgültig. Und wahrscheinlich versucht Yossarian jeden Tag irgendwie jaulend und kratzend in mein Zimmer zu kommen. Die Illusion wirkt nur bei Mom.
Clary versuchte sich vorzustellenn, wie Yossarian, Simons Katzer, der niemanden mochte, an der Zimmertür kratzte um hineinzuommen.
"Sie kann

unmöglich auch bei Yossarian wirken!", fügte Simon verzweifelt hinzu.
Er sehnte sich so sehr danach, wieder nach Hause zu gehen und den Bann, der auf seiner Mutter lag zu brechen. Er wollte so sehr wieder in sein normales, menschliches Leben zurückkehren, so sehr es als Vampir ging.
Widerstrebend gestand sich Clary ein, dass es so besser war. Wenn er zurückkehrte und die Sachen wieder in Ordnung brachte, die ihn quälten, dann wäre er bei ihrer Ankunft wenigstens nicht mehr so unglücklich. Das würde sie auch etwas erleichtern.
"Na gut", seufzte Clary müde. "Wir sehen uns in drei Tagen..."
Ein leises Flüstern, dass vom Wind hinweggetragen wurde.

Impressum

Texte: Kamizuka
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2012

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