Cover

Kapitel 1:Dem Tode entrissen



Seufzend stellte ich dem Typen vor mir seinen Longdrink hin und drehte mich weg, bevor er mich schon wieder dämlich anmachen konnte. Seit er ins Paradise Bar & Grill

gekommen war, bedachte er mich mit einem lüsternen Blick und war schon bei seinem 6. Drink und seiner 13. Anmache angekommen. Ich bediente die Kunden weiter, obwohl meine Schicht schon seit einer Viertelstunde vorbei war und die andere Bedienung, deren Schicht ich gerade arbeitete, einfach nicht kam. Wieder schaute ich auf die Uhr und wischte mit dem Lappen über den Tresen, als plötzlich die Tür aufging und Jazemine, auch Jazz genannt, endlich herein kam. Ich seufzte erleichtert und warf ihr einen bösen Blick zu, als sie zu mir herübersah. Sie zog den Kopf ein und lächelte mich entschuldigend an, dabei hielt sie ihre perfekt lackierten, blutroten Nägel hoch. "Tut mir leid, dass ich zu spät bin-"
"Schon wieder", unterbrach ich sie.
"-aber der Nagellack wollte einfach nicht trocknen.", beendete sie ihren Satz und pustete zum Beweis auf ihre Nägel. Kopfschüttelnd kam ich hinter dem Tresen hervor und umarmte sie zur Begrüßung. "Das kommt viel zu oft vor, Jazz."
Ich drückte ihr den Lappen in die Hand und machte mich auf ins Hinterzimmer, um meine Sachen zu holen. Als ich wieder kam und in meine Lederjacke schlüpfte, fuhr ich fort: "Wenn der Boss dich schon

wieder erwischt, bin ich bald mit Shan alleine hier."
Diese kam in diesem Moment hinter den Tresen und stellte schmutziges Geschirr in die Spüle. Shan, eigentlich Shaneela, war eine zierliche 19-jährige mit einer blonden Kurzhaarfrisur und einem ziemlich gewagten Look. Heute trug sie einen knappen Lederrock mit angenähtem Leder-Neckholder-Top und 12cm-High Heels. Sie war die dritte Bedienung des Paradise Bar & Grill und schon am längsten von uns dreien in dieser Stelle tätig. Mittlerweile arbeitete sie schon seit drei Jahren hier. Jazemine hatte ein halbes Jahr nach ihr angefangen und ich war erst seit einem Jahr mit dabei. Aber ich hatte mich auf Anhieb mit ihnen verstanden.
Shaneela bemerkte Jazemines zerknirschten Gesichtsausdruck und lächelte mitfühlend. "Na, schon wieder zu spät?", fragte sie spöttisch grinsend. Ich lachte, als ich Jazz' Miene sah und schnappte mir meine geliebte schwarze Gucci-Handtasche. "Ich bin dann mal weg." Ich drückte Shan kurz und trat dann durch die Tür auf die Straße hinaus. Ich atmete die feucht-kühle Nachtluft tief ein und machte mich auf den Weg nach Hause. Da ich nur drei Straßen von der Bar entfernt wohnte, hatte ich das Auto Zuhause stehen gelassen und war lieber zu Fuß gekommen, da es nicht besonders kalt war. Ich genoss die Ruhe und die kühle Luft, die mir nach der stickigen Atmosphäre der Bar ziemlich willkommen war und ließ meinen Gedanken freien Lauf.


Mein Name ist Destinee Faith Morgan. Ich bin knapp 1,75m groß, habe blutrotes(Naturhaarfarbe!), schnittlauchglattes Haar, das mir etwas länger als bis zum Kinn geht, und die wohl seltsamste Augenfarbe von ganz Amerika. Meine Augen sind von einem hellen Silbergrau mit einem Stich ins Fliederfarbene und mit violetten Einsprengseln. Wenn ich wütend bin, werden sie seltsamerweiseweise komplett dunkelviolett. Wie gesagt, so etwas habe ich noch nie zuvor gesehen oder gehört.
Obwohl ich erst 17 Jahre alt bin, wohne ich alleine in einem Haus mitten in Seattle, dass ich, zusammen mit einem ganz schönen Batzen Geld, von meinen Eltern vererbt bekommen habe, nachdem sie starben. Damals war ich noch 9 und habe so lange bei einer Tante am Stadtrand von Seattle gewohnt, bis ich endlich sechzehn wurde und ins Haus meiner Eltern ziehen konnte. Keiner wusste, wie meine Eltern gestorben sind. Nicht einmal ich selbst, obwohl ich dabei war und alles durch ein Loch in der Wand gesehen hatte. Ein seltsamer Mann mit goldenen Augen hatte sie spielend leicht enthauptet und die Wände des Raums mit ihrem Blut vollgespritzt. Die Nachbarn mussten wohl die Todesschreie gehört und die Polizei gerufen haben, denn bald hörte man die Sirenen der Streifenwagen näherkommen.
Der Mörder meiner Eltern wollte sich schnell aus dem Staub machen, sah mich aber, als ich
mich verstecken wollte. Einen Moment lang hat er mir in die Augen gesehen, bis ich ganz plötzlich ohnmächtig wurde. Als die Polizei dann da war, war er schon längst weg. Und weil ich ohnmächtig war, dachten sie, ich habe geschlafen und nichts mitbekommen. Falsch gedacht. Ich hatte alles gesehen, nur wusste das keiner. Seltsamerweise konnte ich aber nicht darüber reden. Jedesmal wenn ich über dieses Thema zum Sprechen ansetzte, schien sich eine unsichtbare Hand um meine Kehle zu legen und mir die Worte -und die Luft- abzuschneiden.
Später hatte ich mich oft gefragt, warum der goldäugige Mann meine Eltern einfach so mit den bloßen Händen hätte enthaupten können, oder warum ich das Bewusstsein verloren hatte, als er mir in die Augen sah. Ich hatte eigentlich nie an Übernatürliches geglaubt. Bis ich 12 Jahre alt war und langsam zu verstehen begann, dass das, was mir mit 9 passiert war, total unnormal gewesen war. Meine Vernunft sagte mir die ganze Zeit über, dass es kein normaler Mensch war, der meine Eltern umgebracht hatte, aber mein Verstand beharrte darauf, dass soetwas unlogisch war und es übernatürliche Wesen überhaupt nicht geben konnte. Doch tief drinnen wusste ich, dass die Vernunft Recht hatte und mein Verstand es nur nicht akzeptieren wollte.

Auf halbem Weg riss mich ein Geräusch aus meinen Gedanken. Ein ekliges Reißen, gefolgt von einem feuchten Schmatzen, dann ein schwaches Wimmern. Ich blieb mitten auf der Straße stehen und lauschte. Da. Wieder ein leises Wimmern. Es kam von links aus einer dunklen Gasse. Leise schlich ich näher, was nicht so leicht war auf High Heels, und spähte vorsichtig hinein. Als ich sah, was sich vor mir abspielte, riss ich entsetzt die Augen auf:
Ein blauhaariger Mann beugte sich über einen Jungen, der am Boden lag, und hatte ihm die Zähne in den Hals geschlagen. Seine Augen glühten unheimlich rot, als er dem Jungen das Blut aus den Adern saugte. Dieser wehrte sich verzweifelt, doch mit seinem Blut schwand auch langsam seine Kraft und er wurde immer schlapper im unnachgiebigen Griff des Blauhaarigen. Ein erneutes Wimmern riss mich aus meiner Starre und ich trat aus dem Schatten hinaus in die Gasse. Dabei klackten meine High Heels auf den Pflastersteinen. Bei dem Geräusch hob der Blauhaarige alarmiert den Kopf und sah mich mit blutroten Augen an. Er war kein Mensch, das wusste ich sofort. Er war eine Bestie, die Menschen zum Spaß umbrachte und ihnen das Blut aussaugte, während sie starben. Vampir

, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Und obwohl es absurd klingen sollte, weil es solche Geschöpfe eigentlich nicht gab, war ich mir plötzlich sicher, dass es einer sein musste. Ein Vampir. Der jemandem gerade auch noch das Blut ausgesaugt hatte. Das Opfer rührte sich nicht mehr, der Brustkorb hob und senkte sich kaum, aber ich konnte nicht mehr genauer hinsehen, weil sich der Vampir in mein Blickfeld blickte. Er erhob sich und kam bösartig grinsend auf mich zu, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, seine blutverschmierten Mundwinkel abzuwischen. Diese Provokation nahm ich nicht einfach so hin. Ich trat ein paar Schritte auf ihn zu, mir der Gefahr wohl bewusst, die er ausstrahlte. Seine Augen glimmten noch schwach rötlich und er leckte sich die blutigen Lippen, während sein gieriger Blick an mir hinunterwanderte. "Ich könnte noch etwas Blut vertragen, vor allem, wenn es so süß ist, wie deines."
Ich verdrehte die Augen. Sogar ein Vampir machte mich an. Hörte das denn nie auf? "Soll ich mich jetzt geschmeichelt fühlen?", gab ich schlagfertig zurück. "Geh lieber ein paar Tiere aussaugen. Die werden wenigstens nicht als vermisst gemeldet, wenn sie plötzlich verschwinden und nicht wieder auftauchen."
Der Vampir warf den Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Hals in die Nacht hinaus. Seine Augen funkelten wild, als er mich amüsiert ansah. " Du gefällst mir, Kleine. Ich würde zu gerne wissen, ob dein Blut so gut schmeckt, wie du aussiehst."
Oh, Himmel. Noch so ein schräges Kompliment.
Wieder musterte er mich, bis sein Blick an meinen blutroten Haaren hängen blieb. "Ich nehme an, die sind gefärbt?", fragte er interessiert. Langsam wurde ich echt sauer. "Sehe ich so aus, als würde ich meine Haare färben?", blaffte ich ihn an, gelangweilt von seinen Spielchen.
Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. "Oh, natur?", fragte er. "Das ist aber eine sehr ungewöhnliche Haarfarbe. Gefällt mir." Er nickte anerkennend.
Oh, Mann.
Komischerweise hatte ich überhaupt keine Angst vor ihm, obwohl er gerade das Blut eines Menschen vor mir gesaugt hatte. Ich war zu wütend, um etwas anderes zu empfinden, als das unbändige Verlangen, ihn aus dem Weg zu schaffen und dem gebissenen Typen, der übrigens immernoch bewegungslos auf den kalten Pflastersteinen lag, zu helfen. Der würde noch verbluten, wenn er überhaupt noch Blut in seinem Körper hatte. Ich hoffte es, denn sonst hätte ich mich umsonst mit diesem hässlichen Blutsauger vor mir angelegt.
Ach, du meinst ich bin hässlich?

, hörte ich die Stimme des Vampirs in meinem Kopf.
Dann schau doch bitte mal genauer hin.


Ich stöhnte innerlich frustriert auf und tat, was er mir sagte, weil ich hoffte, damit würde ich Zeit sparen. Sein blaues Haar hatte ich schon vorher gesehen. Jetzt merkte ich, dass seine Augen eigentlich so blau wie seine Haare sind. Ein blauhaariger, blauäugiger Vampir. Naja. Fast musste ich kichern.
Er war recht groß und muskulös. Man sah ein knackiges Sixpack durch sein enges T-shirt hindurch und seine Züge waren markant und männlich. Und unheimlich sexy, wenn ich ihm unter anderen Umständen begegnet wäre. Aber tja, Pech gehabt, dass er genau in diesem Moment von mir überrascht wurde.
Achja, außerdem konnte er meine Gedanken hören. Aber ich wollte nicht, dass er meine Gedanken hört. Du kannst aber nichts dagegen machen

, säuselte er in meinem Kopf. Ach echt? NA DANN SCHAU MAL HER! Ich kniff die Augen zusammen und konzentrierte mich darauf, ihm meine Gedanken unzugänglich zu machen.
Das kannst du nicht

, hörte ich ihn sagen. Erstens bist du nur ein Mensch und zweitens bist du viel zu schwach, um-


Seine Gedankenstimme brach abrupt ab und ich öffnete die Augen und sah, dass er mich entsetzt ansah. Ich fing an zu lachen, als sich sein Gesichtsausdruck in Unglauben verwandelte. "Tja, falsch gedacht, Vamp!", schleuderte ich ihm entgegen triumphierend, als ich mich wieder gefasst hatte.
"Aber...wie ist das möglich!?" Er redete mehr mit sich selbst, als mit mir.
Seine ratlose Miene war wirklich köstlich. Ich musste schon wieder lachen.
"Du kannst nicht mächtiger sein, als ich!", schrie er. "Du bist nur ein Mensch

!"
Das klang gerade wie eine Beleidigung. Und plötzlich konnte ich seine

Gedanken hören.
Wenn das jemand herausfindet, bin ich so gut wie tot! Ich muss sie vernichten.


"Nicht so schnell, mein Freund!" Er sah mich überrascht an und wollte dann auf mich zu kommen. Aber ich zog blitzschnell meine High Heels mit den dünnen, spitzen 10cm-Absätzen von meinen Füßen und hielt sie abwehrend vor meinen Körper. Er kam näher und seine Augen begannen wieder rot zu glühen. Er fletschte die Zähne und ich sah, wie seine Eckzähne länger wurden und in seine Unterlippe schnitten. Er ergriff mein Handgelenk und drückte mich mit seinem Körper gegen die Hauswand. "Tut mir ja leid, dass du sterben musst, Süße, aber es geht nun mal nicht anders. Du hast mir wirklich gefallen." Er wollte gerade zubeißen, als ich total im Adrenalinrausch mit meinen High Heels auf ihn einschlug. Zu meiner Überraschung hielt er inne und stieß einen Schmerzenslaut aus. Wir beide sahen an ihm herab auf den High Heel, dessen Absatz bis zum Anschlag in seiner Brust steckte und sein Herz durchbohrt hatte. Ich grinste unschuldig. "Tut mir ja leid, dass du sterben musst, Süßer, aber es geht nun mal nicht anders.", wiederholte ich seine Worte von eben mit zuckersüßer Stimme. Ich trat von ihm zurück und sah, wie er langsam an der Wand hinunterrutschte. Er sah mich immernoch an, diesmal flehend. Ich legte den Kopf schief und schaute zu, wie der Glanz in seinen Augen verlosch. Dann zerfiel er zu Asche und der nächste Windstoß wirbelte sie mir ins Gesicht. In dem Moment, als er weggeweht wurde spürte ich, wie sich etwas veränderte. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es war, als brenne sich etwas in meine Seele ein. Die Essenz des Vampirs, den ich getötet hatte. Wie ein Stempel heftete er sich an meine Seele und bezeugte, dass ich diesen Vampir getötet hatte. Woher ich das jetzt plötzlich wusste? Keine Ahnung, ich wusste es, ohne zu wissen, woher.
Ich ging zu dem am Boden liegenden Jungen hinüber und hievte ihn hoch, was erstaunlicherweise relativ einfach ging, vermutlich wegen des Adrenalins, das der kurze Schreckmoment durch meine Adern gejagt hatte, dann legte ich seinen Arm um meinen Nacken und schleifte ihn den restlichen Weg zu mir nach Hause. Dort angekommen legte ich ihn unten auf die Couch, flößte ihm etwas Wasser ein und fiel dann schließlich vollständig bekleidet in mein Bett. Sobald mein Kopf das Kissen berührte, schlief ich ein.

Kapitel 2: Das Leben geht weiter



Warme Sonnenstrahlen weckten mich. Ich blinzelte gegen das helle Licht an, das ins Zimmer fiel, und gähnte, als ich mich im Bett aufrichtete. Es war gerade mal zehn Uhr(normalerweise schlafe ich länger, wenn keine Schule ist), aber die Aussicht auf schönes Wetter lockte mich aus dem Bett. Ich erhob mich und streckte mich wie eine Katze. Ein schneller Blick an mir hinunter zeigte, dass ich gestern in voller Kleidung -inklusive Lederjacke und High Heels- eingeschlafen war. Stöhnend kickte ich diese von meinen Füßen und schälte mich aus meinen Klamotten, bis ich nur noch in Unterwäsche herumlief. Gut, dass heute Wochenende ist, dachte ich erleichtert, als ich ins Badezimmer ging, um mir ein Bad einzulassen. Dabei merkte ich, dass meine Handgelenke schmerzten. Die gestrigen Ereignisse stiegen vor meinem inneren Auge hoch und ich musste lachen, als ich mich an den Gesichtsausdruck des Vampirs erinnerte. Oh, das war reif für eine Oscar-Auszeichnung gewesen. Ich schüttete, immernoch leise kichernd, etwas von meinem Lieblingsbadezusatz mit Rosenduft in die riesige Eckbadewanne(hatte ich scho erwähnt, dass meine Eltern reich waren, bevor sie starben? Wahrscheinlich war auch das der Grund ihrer Ermordung gewesen. Tja, Geld wurde schon so manchen Leuten zum Verhängnis, weil sie unvorsichtig waren) und wartete ungeduldig darauf, dass es sich auflöste. Nach fünf Minuten ließ ich mich in das wundervolle heiße Wasser gleiten, dass jetzt sanft nach Rosen roch(ooooh, seufzte ich verzückt) und lehnte mich darin zurück.
Ich spürte förmlich, wie sich meine verspannten Muskeln lockerten und sich der Schmerz in meinen Handgelenken auf ein leichtes Brennen reduzierte. Schließlich stieg ich heraus und duschte mich ab.
Als ich fertig war, föhnte ich mein Haar und schlüpfte in frische Unterwäsche, einen kurzen Rock und ein ärmelloses blaues Top mit der Aufschrift JUST STAY COOL! Dann schminkte ich mich dezent.
Als ich gut gelaunt die Treppe ins Wohnzimmer hinunterlief(mein Zimmer lag im ersten Stock des Hauses), fiel mir schlagartig der Junge von gestern ein, den ich gerettet hatte. Natürlich hatte ich ihn nicht vergessen. Es war eher so, dass ich mit anderen Dingen(Schlafen, Duschen...) beschäftigt war. Und wenn, er hätte es bestimmt nicht gemerkt, weil er wie tot geschlafen hatte(wahrscheinlich, weil er gestern auch halbtot war).
Im Vorbeilaufen schaute ich in den Spiegel, der im Flur hing und sah, wie meine Augen plötzlich blau aufblitzten. Ich trat interessiert näher und schaute genauer hin. Sie wurden erneut für den Bruchteil einer Sekunde blau und nahmen dann wieder ihre eigentliche Farbe an. Ich blinzelte überrascht. Aber es war nicht irgendein Blau. Es war das gleiche, wilde Blau, wie es die Augen des Vampirs gewesen waren. Na, das war ja mal etwas Neues. Also ist doch nicht nur seine Essenz an mir haften geblieben. Und schon wieder einer dieser Momente, in denen ich etwas wusste, ohne zu wissen, woher.
Achselzuckend lief ich ins Wohnzimmer weiter, wo der Typ auf der Couch lag und an die Decke starrte. Wenigstens war er wieder aufgewacht. Als ich näher kam und mich räusperte, schreckte er hoch und schaute mich mit geweiteten Augen an. "Bin ich im Himmel?", fragte er erstaunt. Ich lächelte ihn freundlich an. "Nein, du bist noch am Leben", sagte ich ruhig, um ihn nicht zu erschrecken. Er war wirklich süß und musste ungefähr in meinem Alter sein. Er hatte blondes Haar und grüne Augen, die mich verwirrt ansahen, außerdem zeigten sich zwei niedliche Grübchen, als er zögernd zurücklächelte. "Mein Name ist Destinee.", erzählte ich ihm. "Ich bin Dan. Eigentlich Daniel, aber Freunde nennen mich einfach nur Dan." Der Name passte irgendwie zu ihm.
"Erinnerst du dich daran, was gestern passiert ist?", fragte ich vorsichtig.
Er schüttelte den Kopf. "Ich weiß nur noch, dass mich etwas angegriffen hat und ich dann ohnmächtig wurde." Ich nickte nachdenklich. "Ich habe gesehen, wie dich ein tollwütiger Hund angesprungen und dich am Hals gekratzt hat.", log ich. "Nachdem ich ihn vertrieben habe, habe ich dich zu mir nach Hause gebracht. Aber du hast ziemlich viel Blut verloren." Es war besser für ihn, wenn er nicht wusste, wer -oder vielmehr was- ihn angegriffen hatte.
"Dann hast du mir das Leben gerettet.", stellte er fest. Aber dann schien er verlegen zu werden. "Äh...danke!", stammelte er und wurde rot.
"Gern geschehen", gab ich lächelnd zurück. "Hast du Hunger?", fragte ich. "Komm mit!", rief ich ihm über die Schulter zu, als ich in die Küche hinüberging. Dort angekommen stellte ich den Herd an und briet ein paar Eier mit Würstchen, die ich dann vor ihn auf den Tisch stellte, nachdem er sich gesetzt hatte. Er lächelte dankbar und machte sich über das Essen her. Als er fertig wer, verkündete er, dass er gehen müsse und bedankte sich noch einmal bei mir. Auf meine Frage hin, ob wir uns wieder sehen, sagte er, dass es unwahrscheinlich sei, weil er mit seiner Familie nur für ein paar Tage hier war und dann wieder zurück nach New York gehen würde, wo er herkam. Wir verabschiedeten uns und er machte sich auf den Weg nach Hause.

Für den Rest des Tages machte ich meine Hausaufgaben, schaute ein bisschen fern und legte mich schließlich mit einem Buch in den Garten. Ich war so vertieft in das Buch, dass ich garnicht bemerkte, wie dunkel es wurde. Erst als ich mich endlich losreißen konnte, ging ich wieder ins Haus und kochte etwas, da ich ziemlichen Hunger hatte. Nachdem ich gegessen hatte, lernte ich etwas für einen Französischtest, den ich am Montag schreiben würde und ging dann schließlich ins Bett(diesmal im Schlafanzug, versteht sich). Der Sonntag verlief nicht so eintönig. Vor Langeweile entschloss ich mich, joggen zu gehen und ging dann schließlich in die Bar, um Shaneela und Jazemine zu helfen(mir war so langweilig, dass ich sogar freiwillig arbeiten ging). Mit ihnen konnte ich wenigstens plaudern und musste nicht nur stumm herumsitzen und mich beschäftigen. Ziemlich erschöpft kam ich dann nach Hause(Gott sei Dank bin ich nicht noch einem Vampir begegnet) und lernte noch etwas für den Test morgen, bevor ich mich endlich schlafen legte.

Kapitel 3: Neuankömmlinge, die zu viel wissen



Das nervtötende Piepen des Weckers erklang für meinen Geschmack viel zu früh. Obwohl ich am vorigen Abend früh schlafen gegangen war, war ich noch ziemlich müde. Stöhnend haute ich die Hand auf den Wecker, um ihn zum Schweigen zu bringen, und ging duschen. Als ich nur mit Handtuch und nassen Haaren wieder ins Zimmer kam und mir meine Kleidung heraussuchte, fiel mein Blick auf das Tattoo auf der Innenseite meines linken Handgelenk, dass ich mir mit 16 habe stechen lassen. Ein Violinschlüssel aus zarten, filigranen Linien, die sich wie ein Armband um mein Handgelenk herum zogen und außen in einem wunderschönen schwarzen Herz endeten. Nur, dass der Violinschlüssel jetzt leicht bläulich schimmerte, wieder das gleiche Blau wie es die Augen des Vampirs oder meine Augen gestern gehabt haben. Das war jetzt wirklich interessant. Dass meine Augen für kurze Zeit eine andere Farbe angenommen haben, fand ich ja noch logisch(soweit so etwas logisch sein konnte), weil etwas von dem blauhaarigen Vampir auf mich übergegangen war, als ich ihn getötet hatte. Aber dass es soweit ging, auch noch mein heißgeliebtes Tattoo zu verfärben, wurde jetzt echt seltsam, da das Tattoo ja genau genommen nichts Innerliches ist, dass sich hätte verändern können(so wie meine Augenfarbe).
Nachdem ich es einige Zeit betrachtet hatte, kam ich zu dem Schluss, dass es doch nicht so schlimm war, wie ich zuerst gedacht habe. Ehrlich gesagt sah es sogar ziemlich cool aus. Das Blau war wirklich wunderschön und gab dem Tattoo etwas Mystisches, Geheimnisvolles. Dadurch sah es noch hübscher aus, als es war.
Nachdem ich mich abgetrocknet und in meine Klamotten geschlüpft war(schwarze Hotpants und ein rotes Spaghettiträger-Top, dazu schlichte schwarze Ballerinas), föhnte ich mein Haar und schminkte mich dezent. Dann packte ich meine Schultasche und schnappte mir einen Apfel und meine Schlüssel und ging hinaus zu meinem schwarzen Porsche(ja, ein Porsche, ihr habt schon richtig gehört).
Als ich das sanfte, tiefe Schnurren des Motors hörte, lächelte ich selig. Nichts ging über das wundervolle Geräusch meines Babys, wenn ich den Motor anspringen ließ. Ich fuhr los und ließ den Wind meine Haare zurückwehen. An der Schule angekommen suchte ich einen Parkplatz und fand sogleich auch einen, -direkt neben einem teuren roten Mustang. Dieses Auto hatte ich ganz sicher noch nie zuvor hier gesehen, also musste entweder jemand ein neues Auto bekommen haben, oder wir hatten einen neuen Schüler. Nachdem ich geparkt hatte, ging ich in den Raum, in dem ich jetzt Unterricht hatte. Kaum hatte ich meine Sachen ausgepackt, kam auch schon unsere Geographielehrerin Mrs. Reed herein, zwei Jungen im Schlepptau, ein Blonder und ein Dunkelhaariger. Noch bevor ich sie mir genau anschauen konnte, sprang Lydia, das beliebteste(oder selbstverliebteste) Mädchen der ganzen Schule, auf und warf sich ihnen an den Hals. Mrs. Reed hatte sie der Klasse noch nicht einmal vorgestellt, als sich Lydia neben sie stellte und sofort mit zuckersüßer Stimme fragte, ob sie sie herumführen und ihnen die Schule zeigen solle. Die Lehrerin dankte ihr und rief die Klasse zur Ruhe, um beginnen zu können: "Geht bitte alle auf eure Plätze! Ich würde gern etwas verkünden.", rief sie und alle Schüler kehrten gehorsam an ihre Plätze zurück. "Wir haben zwei neue Schüler. Das hier sind Jason Ravis und Ian Maverick." Sie zeigte erst auf den dunkelhaarigen, dann auf den blonden Jungen, die beide lächelnd winkten(die meisten Mädchen schnappten entzückt nach Luft und manche fächelten aufreizend mit ihren Heften herum). "Lydia wird euch herumführen und euch in den Pausen alles erklären. Habt ihr noch irgendwelche Fragen?" Auf ihr Kopfschütteln hin fuhr sie fort. "Dann sucht euch bitte einen freien Platz und setzt euch."
Die beiden setzten sich, der Blonde direkt neben Lydia und der Dunkelhaarige auf den Platz vor mir, und Mrs. Reed begann den Untericht. Der Geographie-Test(den die beiden neuen Schüler zu ihrem Glück natürlich nicht mitschreiben mussten), verlief einigermaßen okay(was bei mir so etwas wie total verhauen bedeutete) und in der Pause setzte ich mich zu Jazz, die übrigens mit mir in den meisten meiner Kurse war. Wir nahmen uns jede einen Salat und ein Wasser und setzten uns auf unseren Stammtisch neben den Eingang zur Cafeteria. Ich aß meinen Salat und merkte erst, an Jazz' Reaktion, dass etwas nicht stimmte. Ihre Gabel blieb auf halbem Wege zwischen ihrem Mund und dem Teller in der Luft stehen und sie starrte mit aufgerissenen Augen an mir vorbei zu Tür der Cafeteria. Ich folgte ihrem Blick und sah Lydia, gleich bei beiden Neuen auf einmal untergehakt, in die Cafeteria kommen. Sie hielt Ausschau nach einem freien Tisch, um sich mit den beiden hinzusetzen und machte dabei einen total hochnäsigen Eindruck. Ich konnte echt nicht verstehen, warum die beiden nicht schreiend vor ihr davonliefen, aber Lydia ließ diese Seite nur bei den Leuten heraus, die sie absolut nicht leiden konnte. So wie mich. Wir beide konnten uns auf die Haut nicht ausstehen(vielleicht lag das daran, dass ich hübscher war als sie und sie auf mich neidisch war), seit ich sie in der Grundschule(ja, wir kannten uns schon seit der Grundschule) erwischte, wie sie mit ihren Freundinnen über mich lästerte und ihr dann einen sezierten Fisch aus dem Biologielabor, dem die Eingeweide aus dem Körper quollen, ins Essen getan hatte. Und das mit voller Absicht. Ich hätte ja nicht wissen können, dass sie beim Anblick der verschrumpelten Organe einen Schreikrampf bekommen und dann ohnmächtig werden würde.
Jedenfalls verhielt sie sich den Anderen gegenüber wie ein Engel. Dabei war sie ein Wirklichkeit ein Teufel, der sich nur hinter der Fassade eines Engels versteckte. Also ich würde sagen, sie hatten schon mit der Hälfte der ganzen Jungs auf unserer Schule etwas gehabt, aber ich neigte auch oft zur Übertreibung, vor allem bei meinen Feinden(oder Feindinnen, von denen ich auf der Schule ziemlich viele hatte).
Diesmal konnte ich mir die beiden Jungs näher ansehen. Der Blonde hatte blaue Augen, war groß und muskulös und hatte den typischen Sunnyboy-Look drauf. Gegeltes Haar, Shorts, ein gelbes T-shirt, dass förmlich leuchtete und ein strahlendes Lächeln, dass jeden, der es sah ebenfalls zum Lächeln brachte. Der Dunkelhaarige hatte nicht schwarzes, sondern dunkelbraunes Haar und grüne Augen(soweit ich sie aus dieser Entfernung sehen konnte) und war genauso groß und muskulös wie der blonde Sunnyboy Ian. Aber er hatte eine ganz andere Ausstrahlung. Nicht so sonnig und gut gelaunt, sonder eher still und schweigsam. Aber nicht ein hilfloses Schweigen, sondern ein bedrohliches Schweigen, dass einen vertreiben würde, wenn er lange genug hinsieht, um es zu bemerken. Aber alleine schon wenn ich seinen Namen hörte(was ziemlich oft geschah, da mittlerweile die gesamte Schule über die beiden Neuen redeten), bekam ich eine seltsame Gänsehaut. Seltsam daher, da eine Gänsehaut eigentlich von etwas Schlechtem verursacht werden sollte(so wie in den Horrorfilmen), diese sich aber seltsam gut anfühlte.
Beide waren unheimlich sexy, aber ich fühlte mich mehr zu Jason(huh, wieder 'ne Gänsehaut!) hingezogen, als zu Ian. Ich hatte schon immer die Dunkelheit mehr dem Licht vorgezogen(das soll jetzt keine Anspielung auf Gut und Böse sein), und das gleiche galt bei Jungs. Fast alle meine vorherigen Freunde waren dunklehaarig gewesen, aber mit keinem von ihnen war ich länger als drei Monate zusammen gewesen.
Lydia fand einen Tisch und schleppte Ian und Jason hin, nachdem sie sich etwas zu Essen genommen hatten. Ian und Lydia unterhielten sich angeregt, während Jason still und schweigsam danebensaß und gelegentlich einen Schluck von seiner Cola nahm. Es überraschte mich nur, dass sein Blick die ganze Zeit über nur auf einen Punkt in der ganzen Cafeteria fokussiert war.
Auf mich.


Jason's Sicht



Sobald ich über die Türschwelle trat, spürte ich es. Jemand mit großer Macht befand sich in diesem Raum. Mein Kopf hob sich und mein Blick glitt über die einzelnen Plätze und suchte nach der Machtquelle. Ich blieb so abrupt stehen, dass Ian in mich hineinlief. Er schaute mich fragend an. Ich beachtete ihn nicht und sah mich stirnrunzelnd um. Wir standen in einem mittelgroßen Raum mit etwa 30 Schülern, die in Gruppen herumstanden und sich unterhielten. Nur eine einzige Person saß stumm da, betrachtete Ian und mich und kritzelte gedankenverloren auf dem Block herum, der vor ihr lag. Ein Mädchen, schätzungsweise 17 Jahre alt. Ungewöhnliches, blutrotes Haar umrahmte ihr Gesicht und fiel ihr aalglatt bis zum Kinn. Sogar von ganz vorne neben dem Lehrerpult konnte ich riechen, dass dieses nicht gefärbt, sondern ganz natürlich war. Mein Blick wanderte weiter zu ihrem Gesicht. Reine blasse Haut, eine gerade Nase und volle, sinnliche Lippen, hinter denen makellose schneeweiße Zähne hervorblitzten. Aber ihre Haarfarbe war noch lange nicht das Seltsamste an ihr: Ihre Augen übertrafen alles, was ich je zuvor gesehen hat. Ein helles Silbergrau, das etwas fliederfarben schimmerte, verziert von dunklen, violetten Einsprengseln.
Genau in dem Moment trafen sich unsere Blicke und verschmolzen miteinander. Ich hätte schwören können, dass ihre Augen für den Bruchteil einer Sekunde blau geleuchtet hatten. Noch in der gleichen Sekunde senkte sie hastig den Kopf und kritzelte etwas auf ihren Block. Zu spät, ich hatte es schon gesehen und ich kannte diese Farbe besser als mir lieb war. Genauso wie ich die leuchtend blaue Aura kannte, die um das Mädchen herum plötzlich aufflammte, als wäre das blaue Aufleuchten ihrer Augen der Auslöser dafür. Dieses Blau war das "Markenzeichen" von León, Ians Bruder, der auf die dunkle Seite übergewechselt war. León hatte sogar seine Haare in dieser Farbe gefärbt. Er war abgrundtief böse gewesen, als Ian und ich ihn zuletzt getroffen hatten, er hielt sich nicht daran, den Menschen nur wenig Blut abzuzapfen und ihnen danach die Erinnerung daran zu löschen. Nein, er saugte sie bis auf den letzten Tropfen aus und genoss ihre Todesqualen. Ian und ich hatten mehrfach versucht, ihn erst auf den Weg des Guten zurückzubringen und dann, als er sich weigerte, ihn zu töten. Aber da er mächtiger als wir beide und stets durch frisches Menschenblut gestärkt gewesen war, hatten wir es nie geschafft, ihn vom Antlitz der Erde zu tilgen. Und da saß auf einmal dieses menschliche Mädchen vor mir, mit der ungewöhnlichsten Augenfarbe, die ich je gesehen hatte(und glaubt mir, ich habe schon sehr, sehr viele Augenfarben gesehen) und bis auf die letzte Zelle durchdrungen von Leóns Essenz, was davon zeugte, dass sie ihn umgebracht haben musste. Anders hätte sie seine komplette Macht und Essenz nicht in sich aufnehmen können.
Ehrlich gesagt wunderte ich mich wirklich, dass Ian noch nichts davon bemerkt hatte. Ich wollte ihn gerade auf die Aura des Mädchens aufmerksam machen, als ich unterbrochen wurde. Eine zierliche Blondine kam angelaufen und hakte sich bei Ian unter. Sie fragte die Lehrerin -Mrs. Reed- mit zuckersüßer Stimme, ob sie uns herumführen und uns die Schule zeigen solle. Diese willigte ein und schickte uns auf unsere Plätze, damit sie den Unterricht beginnen konnte.
Als erstes hatten Ian und ich zusammen eine Stunde Geographie, darauf folgte Mathe(ebenfalls bei Mrs. Reed) und eine Doppelstunde Biologie bei einer krankhaft dürren Mrs. Cooper mit strengem Gesichtsausdruck, deren Brille immer herunterfiel, weil sie ständig niesen musste. Nach dieser Tortur kam endlich die Mittagspause in der riesigen Cafeteria der Schule.
Die Blondine hieß Lydia und zeigte uns den Weg hin, ihr Blick bleib währenddessen die ganze Zeit über an Ian kleben. Hin und wieder kam ihr ein kleiner bewundernder Seufzer über die Lippen, z. B. wenn Ian vor ihr eine Treppe hochstieg oder ihr eine Tür aufhielt. Als wir endlich in der Cafeteria ankamen, hatte ich das Gefühl, dass sie extra ein paar Umwege gelaufen war, um länger auf Ians Arsch starren zu können. Sie war so in seinem Anblick versunken gewesen, dass sie nicht einmal mitbekam, dass ich sie die ganze Zeit über belustigt beobachtete.
Sie suchte einen freien Tisch für uns und als wir uns setzten, fiel mein Blick natürlich sofort auf das Mädchen, dass León getötet hatte und dass uns ebenfalls gerade beobachtete. Obwohl inzwischen schon andere Mädchen an unserem Tisch saßen und versuchten, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, galt mein Interesse nur ihr. Ich konnte Ian immernoch nichts erzählen, da der Tisch jetzt komplett von Mädchen überfüllt war, die sich aufreizend räkelten und Ian und mir schöne Augen machten.
Direkt neben mir saß eine Blondine, die sich eine Haarsträhne um den Finger wickelte und mir lächelnd zuzwinkerte. Was mir auch nicht gerade bei der Operation Ian-einweihen weiterhalf, war die Tatsache, dass er sich in ein Gespräch mit Lydia vertieft hatte, das wohl erst zu Ende gehen würde, wenn es wieder zum Unterricht klingelte. Ich stöhnte innerlich frustriert auf und richtete dann das Wort an die Blondine neben mir. "Wie heißt du?"
Sie strich sich langsam durchs Haar und rutschte noch etwas näher an mich heran. "Jane", hauchte sie mir ins Ohr. "Ich bin Jane."
Sie war wohl eine von Lydias Freundinnen, denn sie tauschten kurz einen Blick und Lydia hielt ihr den Daumen hoch. Wahrscheinlich glaubte sie, dass sie ihre Freundin mit mir verkuppelt hatte. Nur zu schade, dass ich sie enttäuschen musste. "Kannst du mir sagen, wie dieses Mädchen da heißt?", fragte ich und nickte in Richtung der Rothaarigen, die mir einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Sie verzog enttäuscht den Mund, folgte aber meinem Blick. "Ach, das. Das ist Destinee Morgan.", sagte sie verächtlich. "Ihre Eltern sind tot und sie lebt alleine in einer riesigen Villa." Jetzt hörte ich deutlich Neid in ihrer Stimme, aber ich wusste nicht, ob er sich nur auf die riesige Villa oder auch auf die toten Eltern bezog. "Aber wollen wir nicht auf mich zurückkommen?" Sie war inzwischen so nah, dass sich ihr Busen gegen meinen Oberarm presste. Zum Glück erlöste mich in diesem Moment die Glocke, die zum Unterricht läutete.
Ich schnappte mir Ian und rannte mit ihm in den nächsten Kurs. Die letzte Stunde für heute war Geschichte bei einem rundlichen, kleinen freundlichen Glatzkopf namens Mr. Morrin, der die ganze Stunde lang ohne Punkt und Komma über die italienische Renaissance redete, ohne überhaupt jemanden dranzunehmen. Er war der Einzige, der sprach, was mir die Gelegenheit gab, Ian über die ganze Sache mit Destinee aufzuklären. Als die Stunde um war(übrigens hatte Destinee auch mit uns Geschichte gehabt), trafen wir Destinee auf dem Schulparkplatz und -oh was für ein Zufall- sie hatte direkt neben uns geparkt. Ich nickte anerkennend als ich sah, wie sie in einem glänzend schwarzen Porsche davonfuhr und stieg selbst mit Ian in meinen roten Mustang, um nach Hause zu fahren.

 

Kapitel 4: Nur ein kleiner Unfall



Wie ich feststellen musste, hatten die beiden Neuen alle Kurse mit mir zusammen. Und nicht nur das, es stellte sich heraus, dass der rote Mustang, neben dem ich am Morgen geparkt hatte, Jason's war.
Als es am Ende der letzten Stunde dann endlich klingelte, wurde ich erneut mit Jason's dauerhaft an mir klebenden Blick konfrontiert. Die ganze Zeit über, als ich meine Sachen in die Tasche packte, den Raum verließ und schließlich in mein Auto stieg und den Motor anließ. Und die Gänsehaut, die ich währenddessen hatte, verschwand erst, als ich vom Schulparkplatz fuhr und er mich unmöglich noch sehen konnte.
Zuhause angekommen schmiss ich meine Tasche in die Ecke und schlüpfte schnell in meine kurzen Sport-Panties, ein Tanktop und Turnschuhe. Auf dem Weg nach draußen band ich mein Haar zu einem hohen Zopf und schnappte mir meinen iPod. Ein schneller Blick auf meine Armbanduhr verriet mir, dass ich noch etwa zwei Stunden Zeit hatte, bis meine Schicht in der Bar begann. Ich hoffte für Jazz, dass sie diesmal

pünktlich war, denn wenn der Boss mich schon wieder alleine antraf, würde er uns beiden

die Hölle heiß machen. Tja, so war er nun einmal, unser Boss. Inhaber des Paradise Bar & Grill, Steven Whaley. Mal so nett wie ein Engel und mal so böse wie der Teufel. Und wenn es ums Zuspätkommen zur Arbeit ging, ließ er den knallharten Chef(Teufel) raushängen.
Ich überlegte, ob ich Jazemine nicht einfach abholen sollte, um sicherzustellen, dass sie nicht zu spät kam, verwarf die Idee aber wieder als mir einfiel, dass ich wegen ihr womöglich auch zu spät kommen könnte. Seufzend schloss ich die Haustür hinter mir ab und stopfte ich mir die Kopfhörer ins Ohr. Begleitet von den schmetternden Klängen von Linkin Park joggte ich in Richtung Park. Stumm sang ich den Refrain von "Numb" mit und blendete meine Umgebung aus, dabei merkte ich nicht, dass ich -passend zum Beat des Songs- immer schneller wurde, inzwischen sogar fast sprintete. Meine Atmung beschleunigte sich, bald hechelte ich und schnappte hektisch nach Luft. Aber ich hörte trotzdem nicht auf, denn mittlerweile gab es nur noch mich, die Musik und den gleichmäßigen Rhythmus meiner Beine. Deshalb merkte ich nicht, wie ich den Park verließ und auf derm Bürgersteig weiterrannte. Ich merkte auch nicht, wie ich eine Straße überquerte, obwohl die Ampel leuchtend rot war. Erst ein lautes Hupen und das ohrenbetäubende Quietschen der Bremsen eines Wagens rissen mich aus meiner Trance. Vor Schreck tat ich einen Satz nach vorne. Keine gute Idee. Das Auto rollte wie in Zeitlupe weiterhin auf mich zu, da es in dieser kurzen Strecke nicht komplett zum Stehen kam, und das Adrenalin schoss durch meinen Körper, als die Stoßstange mein Knie traf. Mein Bein knickte weg und ich fiel auf meinen Hintern. Noch total benommen von dem Adrenalinstoß blieb ich geschockt sitzen und umklammerte mein schmerzendes Knie. Beim Fallen musste ich wohl meinen iPod verloren haben, denn er lag neben mir auf dem Asphalt.
Der Fahrer stieg aus und kam zu mir gerannt. Es war ein junger Mann, vielleicht um die Zwanzig, mit blondem Haar und schokobraunen Augen, die mich besorgt ansahen als er sich entschuldigte. "Es tut mir so leid, Miss. Ich habe Sie nicht gesehen, Sie sind so plötzlich aufgetaucht!"
Mein Kopf dröhnte und mir war schwindlig von dem schnellen Lauf davor. Mit zitternden Beinen versuchte ich aufzustehen, aber als ich das verletzte Bein belastete, durchzuckte ein stechender Schmerz mein Knie und ließ mich aufstöhnen. Ein paar Sekunden lang konnte ich mich darauf halten, aber dann gab es unter mir nach und der junge Mann fing mich auf und stellte mich aufrecht hin. Ich verlagerte mein ganzes Gewicht auf das unverletzte, rechte Bein und ließ das andere einfach in der Luft hängen, während ich mich an ihm festhielt. Er beeilte sich mir zu helfen, hob schnell meinen iPod vom Boden auf und reichte ihn mir. Ich stopfte ihn in die Tasche meiner Panties und hüpfte auf einem Bein herum, um das verletzte Bein nicht aus Versehen doch zu belasten. Ich winkte ab, als er den Mund öffnete, um sich nochmals zu entschuldigen. Stattdessen fragte er: "Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren?"
Keuchend schüttelte ich den Kopf. "Nach Hause wäre super."
Er nickte zustimmend und half mir auf den Beifahrersitz. Dabei bemerkte ich genau den schuldbewussten Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich nannte ihm meine Adresse und er schnallte sich an und fuhr los. Als wir nach zwanzig Minuten bei mir ankamen, merkte ich erst, wie weit und lange ich gelaufen war. Fast ans andere Ende der Stadt war ich gesprintet! Erschrocken stellte ich fest, dass meine Schicht in einer halben Stunde begann. Als ich ausstieg, begann der junge Mann sich wieder bei mir zu entschuldigen und ich beteuerte ihm tausend Mal, dass alles in Ordnung mit mir war(was eigentlich eine Lüge war, mir ging es alles andere als gut). Bis sein Gewissen endlich erleichtert war und er wegfuhr. Auf dem unverletzten Bein hüpfen, quälte ich mich die Einfahrt zu meinem Haus hoch und öffnete die Tür. Stöhnen machte ich mich daran, die Treppe ins Obergeschoss zu erklimmen und seufzte erleichtert auf, als ich endlich in meinem Schlafzimmer ankam. Dort entledigte ich mich der verschwitzten Sportkleidung und sprang rasch noch unter die Dusche. Nach zehn Minuten war ich fertig, schlüpfte schnell in Unterwäsche, eine schwarze Hose und ein violettes Glitzertop(Dresscode!). Dazu noch meine Lederjacke, meine Tasche und diesmal flache Schuhe, wobei ich hoffte, nicht wieder einem Vamp zu begegnen(keine gute Idee ohne Waffen xD). Da ich so gut wie garnicht laufen konnte, ohne zu humpeln, war ich gezwungen den Porsche zu nehmen. Ich schnappte mir meine Schlüssel und verließ die Villa. In der Bar angekommen, erwartete mich die nächste Überraschung: Jazz war vor mir da! Und zu meinem Pech Steven auch...
Sobald ich durch die Tür trat richtete sich seine hellblauen Augen erst auf mich und dann auf die Uhr an der Wand. Shit, ich wusste was er sah. Es war Viertel nach sieben. Ich war eine Viertelstunde zu spät. Zerknirscht humpelte ich hinein und zog meine Lederjacke aus. "Destinee..." Seufzend drehte ich mich zu ihm, als ich den bösen Unterton in seiner Stimme hörte. Schonmal kein gutes Zeichen. Ich zuckte zusammen, als ich aus Versehen mit dem verletzten Bein auftrat und sog scharf die Luft ein, als der Schmerz darin pulsierte. Ich hielt mich an der Theke fest, um das Bein zu entlasten und grub meine Finger in das dunkle Holz, bis der Schmerz vorüberging. "Destinee?" Diesmal klang es etwas weniger böse und dafür etwas besorgt. "Ja?", fragte ich atemlos. "Ist alles in Ordnung?" Diesmal hörte ich deutlich Besorgnis in seiner Stimme.

"Ja...alles gut"
Ich atmete tief durch, um mir nichts anmerken zu lassen und brachte die Jacke und die Tasche in den Hinterraum, dabei versuchte ich so wenig wie möglich zu humpeln. Als ich mich umdrehte, standen Steven und Shaneela mit verschränkten Armen vor mir und schauten mich vorwurfsvoll an. "Also, was ist los?", begann Steven. Ich versuchte nicht sonderlich ertappt zu wirken und zuckte gespielt gelassen die Achseln. "Was soll denn los sein?", fragte ich und lehnte mich gegen die Wand, darauf bedacht, mich nicht zu verraten. "Zu bist zum ersten Mal in deiner Zeit als Barkeeperin hier zu spät gekommen UND du humpelst. Was ist los?", wiederholte er mit Nachdruck. Steven ließ nicht locker und hatte sogar ein Beweis dafür, dass etwas nicht stimmte. Verdammt. Mir blieb nichts Anderes mehr übrig, als die Karten auf den Tisch zu legen. "Ähm..." Ich räusperte mich. "Ich hatte vorhin einen kleinen Unfall."
"Einen Autounfall?", fragte Shan sofort alarmiert. "Bist du verletzt?" Sie kam zu mir gerannt wie eine übervorsorgliche Mutter und wollte sich vergewissern, dass es mir gut ging. Als ich sie wegschieben wollte, stieß sie versehentlich gegen mein Bein und ich konnte ein schmerzerfülltes Aufstöhnen nicht unterdrücken. Bevor ich auf den Boden sinken konnte, schnappte sich Steven einen Hocker und bugsierte mich darauf. Dann hockte er sich vor mich auf den Boden und begann fachmännisch mein Bein zu untersuchen. Er hatte früher mal im als Krankenpfleger im Krankenhaus gearbeitet. Er rollte mein Hosenbein hoch und tastete meinen Oberschenkel ab, als er nichts fand, bewegte sich seine Hand auf mein Knie zu. Ich zuckte heftig zusammen und versuchte nicht zu schreien, als er mit den Fingern über mein Knie strich und leicht zudrückte. "Ah, hier haben wir das Problem." Er strich sich kurz durchs dunkelblonde Haar und schaute mich dann an. "Das Knie ist ziemlich stark geprellt. Sagst du mir, wie das passiert ist?" Ich seufzte und erzählte von dem Joggingunfall. Steve nickte und meinte: "Ich gebe dir frei, bis es geheilt ist. Sowas sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen." Ich wollte protestieren aber er schnitt mir das Wort ab. "Keine Widerrede, das braucht Zeit und muss richtig ausheilen, sonst könnte es schlimmer werden. Ich empfehle dir, die ersten zwei bis drei Tage auch nicht zu Schule zu gehen und vor allem kein Sport zu treiben." Ich stöhnte genervt auf, versuchte aber nicht wieder zu protestieren. "Du fährst jetzt nach Hause und schläfst aus. Und ich möchte dich vor Freitag hier nicht wiedersehen!", fügte er streng hinzu. Ich nickte müde und zog mich wieder an. Shan begleitete mich noch bis zu meinem Porsche. "Hör auf Steve", sagte sie. "Er kennt sich mit solchen Sachen aus." Sie drückte mich zum Abschied und ich fuhr nach Hause. Den ganzen Weg über hatte ich ein ganz mieses Gefühl wegen Shan und Jazemine, dass sie jetzt meine ganze Arbeit erledigen mussten. Als ich in meiner Einfahrt parkte, humpelte ich in mein Zimmer hoch und schlüpfte in Boxershorts und ein weites T-Shirt. Total ausgelaugt stieg ich ins Bett und fiel in einen erschöpften Schlaf. Dabei träumte ich, dass ich von einem roten Mustang überfahren werde, komischerweise von dem Neuen, Jason.

Kapitel 5: Seltsame Begegnung



Warme Sonnenstrahlen, die auf mein Gesicht fielen, weckten mich. Ich öffnete die Augen und schielte verschlafen auf den blauen Wecker, der neben meinem Bett auf dem Nachttisch stand. Halb neun. Scheiße, ich bin zu spät!, dachte ich erschrocken. Hektisch schwang ich die Beine über die Bettkante und wollte aufstehen, als ein heißer Schmerz durch mein rechtes Bein schoss und dieses unter mir wegknicken ließ. Ich sank kraftlos zu Boden und die Erinnerungen an den gestrigen Tag kamen zurück. Ein Auto mit einem blonden Fahrer hatte mich zwar nicht überfahren, aber dafür angefahren. Steve hatte mich untersucht und festgestellt, dass mein rechtes Knie heftig geprellt war. Und ich sollte die nächsten Paar Tage nicht zur Schule gehen, sondern Zuhause herumhocken und mich langweilen. Na toll. Ich seufzte. Versteht mich nicht falsch, ich war zwar froh, nicht zur Schule zu müssen, aber in meiner Bewegungsfreiheit beschränkt zu sein, gefiel mir ganz und garnicht. Vor allem, da ich nicht der Typ war, der einen ganzen Tag lang auf der Couch liegen und fernsehen, oder ein Buch lesen kann. Da ich mich anscheinend nicht schmerzfrei auf beiden Beinen bewegen konnte, machte ich es wie gestern und hüpfte den Weg zum Bad auf meinem linken Bein. Dort angekommen duschte ich ausgedehnt und schlüpfte danach in Unterwäsche(was sich am Anfang als ziemlich schwierig erwies mit meiner Verletzung). Als dies endlich geschafft war, kam mir eine Idee und ich holte das Erste-Hilfe-Set aus dem Bad. Um mein Knie zu stabilisieren, wickelte ich einen festen Verband darum und klebte das Ende mit einem Stück Klebeband(das spezielle Zeug für Verbände) fest. Dann zog ich mir hellblaue Hotpants und ein weißes Top mit einem niedlichen Delphin vorne drauf an und stieg in bequeme Sneakers. Nachdem ich mein Haar geföhnt und mich etwas geschminkt hatte, humpelte ich in die Küche runter, um zu frühstücken. Ich füllte ein Glas mit Orangensaft und bestrich ein Toast mit Butter und Ananas-Marmelade(mmmmh!) und setzte mich dann an den Tisch. Als ich mir gerade ein zweites Glas Saft eingoss, ertönte der SMS-Ton meines Handys. Eine Nachricht von Jazz.

Warum warst du gestern nicht zu deiner Schicht in der Bar?
Ist etwas passiert?
Und warum bist du nicht in der Schule?

Seufzend schrieb ich ihr die Kurzfassung davon, was gestern passiert war. Kaum zwei Minuten später antwortete sie:

Sah der Typ wenigstens gut aus?

Ich verdrehte die Augen. Typisch Jazz. Wenn so etwas passiert, war das normalerweise immer ihre erste Frage. Mein Handy piepte erneut. Ab diesem Teil begann ich sie normalerweise immer zu ignorieren. Aber nicht heute.

Hast du die zwei Neuen gesehen? Heiß...Ian schaut mich die ganze Zeit an. Ich glaube er mag mich.

Nachdem ich das gelesen hatte, war ich schwer versucht, nicht doch in die Schule zu fahren, nur um zu sehen ob sie Recht hat. Jazz war nicht hässlich, nein, sie war eigentlich ziemlich hübsch. Aber seit sie mit mir befreundet war, hatte Lydia es auf sie(eigentlich uns beide) abgesehen und verbreitete überall die schlimmsten Gerüchte über sie. Von da an war es ziemlich selten vorgefallen, dass ein Junge aus unserer Schule offen zeigte, dass er Interesse an ihr hat. Er tat es nur nicht, um es sich nicht mit Lydia zu verscherzen. Dabei war es ziemlich schwierig, Jazz nicht zu mögen. Sie war witzig, klug, talentiert, hübsch und konnte manchmal echt liebevoll oder auch ein Bisschen verrückt sein. Aber das alles weiß man nicht, wenn man den Gerüchten glaubt, die irgendeine neidische, selbstverliebte blonde Barbiepuppe in die Welt gesetzt hat, nur weil sie Jazemine nicht leiden konnte.
Aber wenn ich ehrlich bin, fand ich dieses Getue wirklich idiotisch. Wenn ein Junge wirklich etwas für Jazz empfinden würde, sollte es ihn nicht kümmern, was Lydia sagt. Wenn er wirklich etwas für Jazz empfinden würde, wäre es ihm egal, was die Leute wegen irgendwelchen dämlichen Gerüchten denken. Er würde Vertrauen zu Jazz haben und den Gerüchten nicht glauben. Er würde sie wirklich von Herzen lieben und Lydia damit eins auswischen. Und das Wichtigste ist: Er würde Jazz zur Seite stehen und stolz von sich behaupten, ihr Freund zu sein. Alle Anderen, die nicht so dachten, könnten gleich zu Lydia kriechen und darum betteln, in ihren stetig wachsenden Harem aufgenommen zu werden.
Also es gab zwei Möglichkeiten: entweder sie bildete sich ein, dass er sie die ganze Zeit ansah, ODER er sah sie wirklich die ganze Zeit an und hatte Interesse an ihr. Wenn Möglichkeit Nummer zwei zutraf, dann hoffte ich für ihn, dass sein Interesse aufrichtig war. Ansonsten waren es eigentlich gute Neuigkeiten.
Ein erneutes, doppeltes Piepen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Ich öffnete die erste SMS und las:

Jason ist zwar auch ziemlich sexy, aber irgendwie seltsam...ist dir das auch aufgefallen??

Ich schrieb nichts dazu und öffnete die zweite SMS.

Er hat nach dir gefragt.

Ich riss erstaunt die Augen auf. Warum zum Teufel sollte er nach mir fragen? Vom ersten Tag an hatte Lydias Clique sich ihn(die beiden) gekrallt, und trotzdem fragte er nach MIR? Warum DAS denn? Grübelnd beendete ich das Frühstück und schlenderte gedankenverloren zu meinem Porsche. Da ich nicht vorhatte, den ganzen Tag lang Zuhause zu bleiben, fuhr ich mit offenem Autodach(ja, mein Auto wird zum Cabrio!) in die Stadt und setzte mich in mein Lieblingscafé. Ich nickte Nancy, der Bedienung, zum Gruß zu und sie brachte mir meinen üblichen Vanilla Latte Macchiato mit extra viel Schaum obendrauf. "Oh-oh, was ist denn mit dir passiert?", fragte sie und setzte sich kurz zu mir an den Tisch. "Knie ist geprellt", meinte ich achselzuckend. Sie machte ein mitleidiges Gesicht. "Du Arme", sagte sie. "Wie konnte das denn passieren?" Ich nahm einen Schluck von meinem Vanilla Latte und erklärte: "Wurde von einem Auto angefahren." Ich unterdrückte ein Lachen, als sie entsetzt nach Luft schnappte und mich fassungslos ansah. "Ich soll ein Paar Tage nicht zur Schule gehen und mich schonen."
"Achja, und das tust du indem du einfach in die Stadt fährst und dich mit geprelltem Knie in ein Café setzt?" So wie das klang, hielt sie mich für ein Bisschen verrückt.
Ich lächelte sie entschuldigend an. "Du weißt doch, dass ich einfach nicht den ganzen Tag lang Zuhause bleiben kann." Seufzend murmelte sie etwas vor sich hin, dass verdächtig nach einem "Was soll ich nur mit dir machen" anhörte. Grinsend schaute ich ihr hinterher, als sie aufstand um andere Kunden zu bedienen. Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken hatte, bezahlte ich und ließ Nancy ein großzügiges Trinkgeld da. Sie hielt nichts davon, weil wir befreundet waren, aber ich hörte nie auf sie und ließ trotzdem etwas da. Ich verzog mich schnell, bevor sie wieder mit mir darüber zu diskutieren konnte und winkte ihr auf dem Weg nach draußen kurz zu.
Je länger ich auf den Beinen war, desto mehr tat mein Knie weh, obwohl ich meist darauf achtete es so wenig wie möglich zu belasten. Also entschloss ich mich irgendwo hinzugehen, wo ich mich hinsetzen und ausruhen konnte. Aber auf keinen Fall nach Hause. Also fuhr ich zum Green Lake am Rand des Woodland Park. Wenn es ein heißer Tag wie heute war, kamen die Jugendlichen meistens hierher um zu schwimmen. Aber da zu dieser Zeit alle in der Schule waren, hatte ich meine Ruhe.
Dort angekommen legte ich mich etwas entfernt vom Wasser unter einen Baum, um nicht direkt der Sonne ausgesetzt zu sein, und streckte vorsichtig die Beine aus. So hatte ich freie Sicht über den ganzen See. Eine Zeit lang beobachtete ich die Enten, die quakend hin- und herschwammen, dann wurde ich schläfrig und die Augen fielen mir zu. Ich fiel in einen leichten Schlaf und träumte von meiner Begegnung mit dem blauhaarigen Freak-Vampir. Haargenau durchlebte ich noch einmal die ganze Szene mit allen Details. Von den unheimlichen Geräuschen, die ich auf dem Weg von der Bar nach Hause gehört hatte bis zu der Stelle, wo ich den Möchtegern-Vamp gepfählt(besser gesagt geheelt XD) hatte -und ich musste zugeben, es zum zweiten Mal zu tun ist viel schockierender. Erst jetzt wurde mir wirklich klar, dass ich jemanden UMGEBRACHT hatte.
Wie ich den bewusstlosen Dan mit zu mir nach Hause schleppte, kam im Traum nicht vor.
Mein Unterbewusstsein analysierte währenddessen die Gesichtszüge von Mr. Ich-bin-ein-Vampir-und-meine-Haare-sind-blau und verglich sie mit Ians. Wie mein Hirn darauf kam? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass es, als ich aufwachte, Ians Gesicht mit dem des Möchtergern-Vampirs in Verbindung setzte.
Ich hatte wohl ziemlich lange geschlafen, denn die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und schien erbarmungslos auf mich herunter. Der Schatten des Baums unter dem ich saß war weitergewandert und hatte mich den Strahlen der Sonne ausgesetzt, sodass ich jetzt blöderweise ziemlich rot im Gesicht war. Ausgeruht streckte ich mich und gähnte herzhaft. Meine Armbanduhr sagte mir, dass es fast zwei Uhr war, die Schule war also bereits vorbei. Bald würden die ersten Leute zum Schwimmen herkommen. Wie auf Stichwort hörte ich die ersten Jugendlichen am See herumschreien, gefolgt vom Geräusch spritzenden Wassers. Seufzend stand ich auf, was sich mit steifen Gliedern Dank des unbequemen Bodens und der Prellung als wirklich schwierig erwies, doch letztendlich schaffte ich es doch, indem ich mich am Baum hochzog.
Zurück in meinem Porsche wusste ich nicht, was ich als Nächstes zun sollte. Ich spielte mit dem Gedanken trotz Stevens Beurlaubung doch in die Bar zu gehen und Jazz zu helfen, verwarf den Gedanken aber wieder, als mir klar wurde, dass Shaneela mich sofort hinauswerfen würde, wenn ich mich dort blicken ließe. Also fuhr ich einfach wieder in die Stadt. Ich beschloss, etwas essen zu gehen. Meinem Instinkt folgend ging ich also zu Pete's Imbissbude, einem kleinen Lokal, das die besten Burger in der ganzen Stadt machte. Ich bestellte einen Cheeseburger mit Pommes und eine Cola und schaute mich etwas in dem Lokal um, während ich auf das Essen wartete.
Viele Jugendliche aus meiner Schule kamen häufig hierher. Gleich am Tisch neben der Tür, wo ich stand, saßen zwei Jungen aus meinem Biologie-Kurs mit ein Paar Freunden und verhielten sich nicht gerade leise. Ihr Gejohle reichte bis zu mir herüber und bescherte mir Kopfschmerzen.
Kurze Zeit später war meine Bestellung fertig und ich ging mit meinem Cheeseburger und der Cola nach draußen an einen der Stehtische. Ich war halb verhungert, da ich seit dem Frühstück am Morgen nichts gegessen hatte.

Als ich mit dem Essen fertig war -ich muss wohl nicht erwähnen, dass der Burger köstlich gewesen war? Der Laden machte seinem Ruf alle Ehre- humpelte ich zum Mülleimer und warf meinen Abfall hinein. Auf dem Weg zurück zu meinem Auto stieß ich aber mit jemandem zusammen und wäre beinahe hingefallen -hätten mich nicht ein Paar starke Arme wieder auf die Füße gezogen. Ich schaute erstaunt auf.
Vor mir stand Jason Ravis.
"Ähm, tut mir leid.", entschuldigte ich mich etwas verlegen. "Ich habe dich nicht gesehen."
Erst jetzt sah ich seine Augen richtig und konnte ihre Farbe erkennen. Ein helles Grün mit einem dünnen orangen Ring um die Pupille und braunen Einsprengseln überall im Grün verteilt. Die außergewöhnlichsten Augen, die ich je gesehen hatte. Außer meine eigenen.
"Schon gut", erwiderte er belustigt. Von seiner wundervollen, tiefen Stimme bekam ich Gänsehaut. Mir fiel auf, dass er mich immernoch um die Taille gepackt hielt, also befreite ich mich aus seinen Armen und trat ich einen Schritt zurück, wobei ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg. "Äh, danke. Du hast mir einen bösen Sturz erspart." Ich lächelte ihn an und als ihm wieder in die Augen sah, fühlte ich es zum ersten Mal.
Ein immenser Druck in meinem Kopf, als würde mir jemand mit einem Hammer kräftig gegen die Schläfen schlagen. Es kam plötzlich und unerwartet, aber so heftig, dass ich fast aufgeschrien hätte. Vom Schmerz angetrieben machte ich einen Schritt auf Jason zu und ging leicht in die Knie.
Es war fast so, als wollten mich die Schmerzen zwingen, Jason anzugreifen.
Nur der stechende Schmerz in meinem verletzte Knie, der durch die starke Belastung ausgelöst wurde, brachte mich wieder zur Besinnung. Dieser fühlte sich anders an, als das dumpfe Pochen in meinem Kopf. Schärfer. Durchdringender.
Ich unterdrückte ein Keuchen und verzog das Gesicht, dann trat ich langsam einen Schritt zurück, wobei meiner Kehle ein gequältes Stöhnen entwich.
"Ist alles in Ordnung?"
In dem Moment, wo ich wieder seine Stimme hörte, war es vorbei. Mein Kopf war mit einem Mal wieder klar, die Schmerzen weg. Ich schaute ihn an und sah den Ausdruck tiefer Besorgnis auf seinem Gesicht. Ich atmete tief durch um mich zu beruhigen.
"Ja", krächzte ich. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathonlauf durch die Wüste gemacht. Meine Kehle war trocken und ich war unendlich durstig. Ich hätte einen ganzen Swimmingpool voll Wasser austrinken können.
"Ich muss los. Bis dann"
Ich drehte mich abrupt um und ging, ohne ihn noch einmal anzusehen, zurück meinem Porsche.

Kapitel 6: Adrenalin



Neuer Tag, neues Glück.
Na, hoffentlich.
Ich war es leid, allein in der großen, leeren Villa herumzusitzen und nichts tun zu können. Ich war es leid, bei jeder noch so kleinen Bewegung vor Schmerz zusammenzuzucken und in meiner Bewegungsfreiheit beschränkt zu sein, und ich war es leid, dass ich nicht arbeiten durfte und deshalb nicht wusste, wie ich mir anders die Zeit vertreiben sollte.
Ich erinnerte mich nur noch entfernt an die Ereignisse des vorherigen Abends. Als wären sie nur ein Traum. Nach der Begegnung mit Jason war ich wie betäubt nach Hause gefahren und völlig verwirrt und durcheinander ins Bett gefallen, wo ich, von Erschöpfung überwältigt, sofort eingeschlafen war.
Am nächsten Morgen humpelte ich als allererstes ins Bad und schluckte zwei Paracetamol mit einem Glas Wasser. Mein Kopf tat furchtbar weh, ein heftiger, unangenehmer Druck hinter den Schläfen wie nach zu viel Alkohol. Ein unbestimmtes Gefühl, nennt es weibliche Intuition oder einen sechsten Sinn, sagte mir, dass das etwas mit Jason zu tun hatte, der nach dem gestrigen Zusammentreffen und anschließender Schmerzattacke die ganze Nacht lang in meinen Träumen herumgegeistert war. Fragt mich nicht, warum. Anscheinend wurde es langsam zur Gewohnheit, dass ich ganz mysteriöserweise irgendwoher

Sachen zu wissen schien.
Während ich mich also im Badezimmerspiegel betrachtete und meine dunklen Augenringe bewunderte, fasste ich einen Entschluss:
Ich würde gegen Mittag ins Paradise

zu Shan und Jazz fahren, erstens, um nicht allein sein zu müssen und zweitens, um dort zu Mittag zu essen. Zweitens war gleich doppelt praktisch, weil ich es als Ausrede benutzen konnte, um nicht von Steve und Shan sofort wieder hinausgeschmissen zu werden, kaum dass ich dort aufkreuzte(der Kunde ist ja bekanntlich König) UND weil ich absolut nicht

den Nerv dazu hatte groß zu überlegen, was oder wo ich heute essen wollte. Warum also sich den Kopf zerbrechen, wenn es viel einfach geht?
Plötzlich konnte ich es nicht mehr ertragen, in der großen Villa gefangen zu sein. Nachdem ich mich rasch angezogen und geschminkt hatte, verließ ich eilig das Haus und stieg in meinen Porsche. Nachdem ich die Fahrertür zugezogen hatte, lehnte ich mich im Sitz aus weichem, blutroten Leder zurück und atmete tief den vertrauten Geruch nach Lederpolitur ein. Nach einigen Minuten himmlischer Ruhe drehte ich den Schlüssel im Zündschloss um und ließ den Motor anspringen, der zuerst wild aufknurrte als ich Gas gab, dann aber zu einem volltönenden Schnurren wurde, als ich den Gang einlegte und den Wagen geschmeidig aus der Einfahrt rollen ließ.
Ich hatte kein bestimmtes Ziel. Ich fuhr einfach los und schaltete mein Hirn auf Autopilot, damit nicht ich diesmal diejenige war, die jemanden überfuhr und ihm ein Paar Wochen schrecklicher Eintönigkeit und Langeweile bescherte.
Obwohl es einen Wetterumschwung gab und es nun regnete, öffnete ich das Verdeck und raste in meinem geliebten Porsche -nun ein Cabrio- mit 220 Sachen auf der Interstate 5 Express Richtung Süden. Wind und Regen peitschten mir das Haar aus dem Gesicht und stachen auf meiner Haut wie tausende winzige Nadeln, die aus den fluffigen Wolken am Himmel fielen. Alle quälenden Sorgen und Gedanken waren verschwunden, ich fühlte mich frei und lachte voller Freude auf, während ich bei strömendem Regen mit geöffnetem Verdeck weit über der Geschwindigkeitsbegrenzung fuhr.
Ich drosselte mein Tempo erst, als ich an der Ortsbegrenzung von Tacoma vorbeifuhr.
Dort hielt ich am Straßenrand, um erst wieder zu Atem zu kommen.
Unglaublich! Ich war die Strecke, die eigentlich(wenn man sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung hielt) um die 50 Minuten dauerte, in nur einer halben Stunde gefahren! Zwar nicht wirklich auf legalem Weg, aber hey! Dieser Adrenalin-Kick war besser als Bungee-Jumping! Fand ich zumindest(ja, ich war Bungee-springen! Ein netter Zeitvertreib bei Langeweile...).
Mein Haar war pitschnass, meine Kleidung vom Regen durchweicht und der Innenraum des Wagens sah aus, als hätte man versucht ihn als Boot zu benutzen. Nur gut, dass ich wasserfestes Make-up aufgetragen hatte, denn sonst würde ich jetzt wie ein rothaariges Streifenhörnchen aussehen, das jemand zu ertränken versucht hat. Aber das war es mir wert. Die komischen Zwischenfälle waren für kurze Zeit vergessen gewesen und als Nachwirkung vom Adrenalin dass durch mein Blut gerauscht war, spürte ich kein Bisschen Schmerz mehr in meinem Knie.
Leider war es viel zu bald schon wieder vorbei, denn ich musste mich langsam auf den Rückweg machen, um noch rechtzeitig vor dem Mega-Andrang zur Essenszeit da zu sein. Das Paradise

war tagsüber ein heißbegehrtes Restaurant und von spätabends bis in die frühen Morgenstunden hinein eine der angesagtesten und bestbesuchtesten Bars der Stadt.
Auf dem Weg zurück ließ ich mir Zeit, sodass ich in den für diese Strecke vorgesehenen 50 Minuten zurück in Seattle war. Allerdings diesmal mit geschlossenem Verdeck. Ich fuhr schnell noch nach Hause um meine durchweichte Kleidung zu wechseln und meine Handtasche zu holen, die ich am Morgen in meiner Hast aus dem Haus zu kommen vergessen hatte. Dann machte ich mich auf dem Weg ins Paradise

.
Ich parkte den Porsche auf meinem Parkplatz im Mitarbeiter-Carport. Während ich meine Lederjacke fester um mich zog, lief ich an und betrat rasch das Paradise Bar & Grill

, nachdem ich Noah, dem Riesen von Türsteher, lächelnd gewunken hatte. Nicht, dass Steve und Shan ihn darauf angesetzt hatten, mich von der Bar fernzuhalten. Anscheinend war dem nicht so, denn er nickte mir nur knapp zu und ließ mich kommentarlos passieren.
Drinnen rannte mich eine hektische Shan mit zwei vollen Tabletts fast über den Haufen. Sie hatte es aber so eilig, dass sie mich zuerst nicht erkannte und nach einer rasch gemurmelten Entschuldigung einfach weiterlief. Ich wollte schon erleichtert aufatmen und weitergehen, als sie ein Paar Schritte weiter abrupt stehen blieb und sich mit zu Schlitzen verengten Augen zu mir umdrehte. "Destinee Faith Morgan. Was hast du hier zu suchen?!"
Ihre Stimme klang so herrisch, dass ich mich ängstlich duckte und zu einer kleinlaut gestammelten Antwort ansetzte. "Ich...ähm-"
Sie unterbrach mich sofort. "In Steves Büro.", fauchte sie. "Warte dort. Ich hole ihn und komme dann." Mit diesem knappen Befehl drehte sie sich um, stellte die Tabletts auf einem mit Gästen vollbesetzten Tisch ab und verschwand anschließend mit wehendem schwarzen Glitzertop in der Menge.
Steves Büro war nicht wirklich groß, aber dafür sehr stilvoll eingerichtet. Überall hingen Urkunden und Auszeichnungen aus seiner Zeit als Profi-Barkeeper und eine teure, cremefarbene Leder-Couch stand an der Wand, gegenüber von einem kleinen Flachbildfernseher, der auf einem Beistelltisch aus robustem Holz stand. Über der Lehne der Couch hing eine braun-beige Patchwork-Decke und auf dem glänzenden, dunklen Parkettboden war ein ovaler flauschiger Teppich aus beigem Schafsfell. Außerdem gab es einen großen Schreibtisch mit einem schwarzen Chef-Drehstuhl davor.
Ich setzte ich mich auf einen der Stühle vor dem imposanten Schreibtisch aus massivem Mahagoni und bereitete mich mental schon mal auf die Gardinenpredigt vor, die mich todsicher erwartete. Würde Steve mich feuern? Das würde mich noch mehr umbringen, als das geprellte Knie! Ich würde verzweifeln, zu Hause vor Langeweile umkommen und als elende Stubenhockerin enden, wie diese Reichen Leute, die alles auf der Welt hatten, außer Freude oder Glücklichkeit! Ich würde mich noch umbringen mit meiner verzweifelten Suche nach etwas, womit ich die Langweile vertreiben könnte, wie die wilde Spritztour nach Tacoma heute, oder das Bungee-Jumping! Ich würde-


Meine verzweifelten Gedanken wurden beendet, als die Tür des Büros aufflog und Steve gefolgt von Shan den Raum betrat. Ich wand mich und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, während ich nervös beobachtete, wie Shan sich auf die Couch fallen ließ und Steve sich hinter den Schreibtisch setzte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war streng und Verärgerung blitzte in seinen Augen auf.
"Hi", murmelte ich in einem schwachen Versuch, das unangenehme Schweigen zu brechen. Ich traute mich nicht, ihm in die Augen zu sehen, also schaute ich auf die Spitze meines Turnschuhs, mit der ich imaginäre Muster auf dem Parkett zeichnete. "Destinee." Ich zuckte zusammen. Seine Stimme war emotionslos, bis auf einen warnenden Unterton, bei dem ich am liebsten davongelaufen wäre. "Du hast die Anweisungen missachtet.", fuhr er drohend fort. "Gerade zu dieser Zeit können wir es uns nicht leisten, eine unserer Mitarbeiterinnen zu verlieren, da es gerade sehr hektisch ist. Deshalb werde ich dich nicht suspendieren, weil du hier gebraucht wirst."
Erleichterung machte sich in mir breit und ich sprang auf, um direkt in den Hinterraum hinüberzulaufen und mein Arbeitsoutfit anzuziehen. Seine nächsten Worte ließen mich jedoch innehalten.
"Aber nicht heute. Du bist verletzt und musst dich ausruhen, also wirst du jetzt nach Hause gehen und dich für die nächste Woche lang nicht hier blicken lassen."
Seine Stimme war mit jedem Wort weicher und versöhnlicher geworden. Am Ende lächelte er sogar leicht. "Oder ich überlege mir das mit dem Suspendieren nochmal.", fügte er am Ende mit scherzhaft strengem Ton hinzu. "Aber es geht mir gut!", protestierte ich empört. "Ich kann schon wieder arbeiten! Mein Knie tut nicht mal mehr weh!"
Eigentlich hatte ich vorgehabt das nur so zu sagen, um wieder arbeiten zu dürfen, aber erstaunt bemerkte ich, das es wahr war. Seltsamerweise waren der Schmerz und die Steifheit verschwunden, als wäre es nie geprellt gewesen. Mein Knie tat nicht mehr weh. Ich konnte mich wieder schmerzlos bewegen. Ich konnte wieder arbeiten!
"Na, dann wolen wir mal sehen." Steve kam auf mich zu und kniete sich vor mich, dann nahm er sanft mein Knie in die Hand und tastete es ab. Nichts tat weh. Alles war normal.
Grinsend schaute ich ihn an. Er schaute ungläubig zurück, blickte mir forschend ins Gesicht um irgenwelche Anzeichen unterdrückten Schmerzes zu finden, während er auf die ehemals geprellte Stelle an meinem Knie drückte. Nichts.
Ich lachte auf, als ich sah, wie sein Gesichtsausdruck von Unglauben zu Erstaunen und wieder zu Unglauben zurück wechselte. "Aber...es war erst gestern noch stark geprellt! Wie kann das sein?" Er schaute hilfesuchend zu Shan, die ergeben die Schultern hob und schließlich sagte:
"Nun gut. Lass sie arbeiten. Anscheinend war ihr Knie doch nicht so stark verletzt, wie wir dachten."
Steve seufzte gespielt resigniert auf, zuckte dann aber lächelnd die Achseln. "Na, gut. Du darfst arbeiten. Wir können jede Hilfe gebrauchen."
Mit einem Freudenschrei rannte ich hinüber in den Hinterraum und schlüpfte in Glitzertop und High Heels. Dabei bemerkte ich nicht den merkwürdigen Blick, den Shaneela und Steve hinter meinem Rücken tauschten.

Impressum

Texte: Kamizuka
Bildmaterialien: Cover: sonnenblut
Tag der Veröffentlichung: 29.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /