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Das Telefon klingelt. Aus dem Gastraum kommend, stelle ich mein Tablett mit soeben abgeräumten Gläsern auf die Theke. Erst seit ein paar Tagen arbeite ich als Aushilfs-
kellnerin. Ich sah mich gezwungen, diesen Job anzu-
nehmen, die – wie man sie allerorts so allgemein be-
schreibt – Wirtschaftskrise hat uns eingeholt. Der Laden für Motorradzubehör, den ich zusammen mit meinem Freund Karl betreibe, wirft seit Monaten kein Einkommen mehr ab. Schweren Herzens haben wir uns entschieden den Laden zu schließen. Erst heute Morgen habe ich die schriftliche Kündigung des Mietvertrages für das Laden-
lokal in den Briefkasten geworfen. Das Immobilienbüro, das Karl ebenfalls noch hat, ist auch schon seit Wochen ohne Erträge. Schon seit einigen Tagen plagen uns die nackten Existenzängste.

Das Telefon klingelt noch immer. Da von den Eigentümern des Restaurants niemand in der Nähe ist, nehme ich den Hörer ab. „Restaurant El Sol. Hallo?“, sage ich in meiner freundlichsten Telefonstimme in die Muschel. „Hallo? Bist du es, Karen?“, erkenne ich die Stimme unserer Freundin Angela. Angela arbeitet ebenfalls hier im Restaurant und hatte mir diesen Job vermittelt. Heute hatte sie allerdings ihren freien Tag. „Ja, ich bin es!“, antworte ich ein wenig erstaunt. Sie weiß doch, dass mittags viel zu tun ist. Normalerweise würde sie um diese Zeit nicht anrufen. „Karen, du musst dringend zuhause anrufen. Karl hat schon mehrmals verzweifelt versucht dich auf deinem Handy zu erreichen.“, erklärt sie mir. Ich spüre wie meine Knie weich werden und wie mich eine dunkle Vorahnung beschleicht. Klar, dass ich mein Mobiltelefon nicht habe klingeln hören – es liegt in meiner Handtasche im Thekenschrank. „Ruf ihn an! Bei Euch zuhause ist eingebrochen worden!“, fährt Angela fort. „Es tut mir leid.“, fügt sie noch mit leiser Stimme hinzu. „Danke. Ich melde mich später bei dir.“, quetsche mit leichtem Entsetzen in der Stimme hervor und lege den Hörer mit fahrigen Bewegungen auf die Gabel.
Sekunden später wähle ich mit zittrigen Fingern die Mobilnummer meines Freundes. „Hi!“, meldet er sich nach nur zweimaligem Klingen. „Man hat bei uns eingebrochen. Die Diebe haben mit roher Gewalt die Tür aufgebrochen.“, erklärt er mir. Seine Stimme klingt resigniert. „Oh Gott!“, stammele ich hervor, „Ist viel weg?“ „Ich weiß nicht genau. Unsere Notebooks sind weg. Die Schränke sind alle aufgerissen und alles ist durchwühlt.“, berichtet er kurz. „Kannst Du nach Hause kommen? Wir müssen die Polizei rufen.“, fragt er nach einer kleinen Pause. Ich schaue auf die Uhr, es ist kurz vor halb drei mittags. Der größte Ansturm auf das Mittagessen ist bereits vorbei. „Ja. Ich komme so schnell ich kann!“, antworte ich und beende das Telefongespräch. Ratlos, geschockt und wie gelähmt stehe ich ein paar Sekunden im Raum, bevor ich mich bewegen kann. Als ich aufschaue, blicke ich in die besorgten Augen meiner Chefin. Sie ahnt bereits, dass ich soeben keine guten Nachrichten erhalten habe und fragt: „Alles in Ordnung?“. „Bei uns ist eingebrochen worden.“, antworte ich mit leiser, gepresster Stimme. „Ich muss nach Hause. Ist das in Ordnung?“, frage ich zugleich hinterher. „Ja, klar! Geh nur! Den Rest schaffen wir hier schon alleine.“, ist ihre Antwort. In ihren Augen liegt Mitleid.
Als ich eine Minute später, unter den erstaunten Blicken der Gäste, das Restaurant eiligst verlasse, ruft sie mir noch hinterher: „Hoffentlich ist es nicht so schlimm!“

Wie von der Tarantel gestochen fahre ich nach Hause und denke unterwegs immer nur „OhGottOhGott“. Tausend Gedankenfetzen jagen mir durch den Kopf und doch kann ich keinen klaren Gedanken fassen.
Eine Viertelstunde später parke ich mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz unserer Wohnanlage. Zweiundzwanzig Reihenhäuschen gruppieren sich um eine gemeinsame Gartenfläche und einen Swimming Pool. Es ist keine besondere Wohngegend, keine teuren Luxusvillen stehen hier, nur niedliche kleine Reihenhäuser ganz normaler Menschen. Viele der Häuser werden als Feriendomizile genutzt.

Als ich das Tor zur Anlage aufschließe, erwartet Karl mich schon vor unserem kleinen Garten. Noch nie habe ich sein Gesicht so frustriert und verzweifelt gesehen! Er nimmt mich kurz in die Arme, doch dann muss ich wissen was passiert ist und frage: „Ist viel weg?“ „Ich weiß nicht genau!“, antwortet er, „Ich weiß doch gar nicht, was du alles in den Schränken hattest!
Gemeinsam gehen wir zum Haus. Unsere neue, gerade erst vor zehn Monaten eingebaute und angeblich einbruch-
sichere Sicherheitstür ist unter offensichtlich kräftiger Gewalteinwirkung aufgehebelt worden. Fünf schwere Bolzen sollten die Tür gegen solche Angriffe schützen und nun hat das Brecheisen genau an diesen Sicherungen daumendicke Einkerbungen hinterlassen. Die Tür ist komplett zerstört und das Schließsystem verbogen. Ich bezweifele, ob wir diese Tür überhaupt jemals wieder verschließen können.
Im Wohnzimmer auf dem Sofa liegenden die achtlos liegen gelassenen und nun gähnend leeren Schubladen meiner Kommode aus dem Flur im ersten Stock. Nichts Gutes ahnend stürze ich die Treppe hinauf. Mein Arbeitszimmer gleicht einem Schlachtfeld. Alle Schranktüren stehen offen und der Inhalt ist durchwühlt. Die Schubladen am Schreib-
tisch und von meinem Schubladenschrank sind heraus-
gerissen und ausgeleert. Mein Schreibtisch, wo heute Morgen noch mein nagelneues, gerade erst fünf Wochen altes Notebook stand, ist leer. Alles, was auf meinem Schreibtisch irgendwie nach Technik aussah, ist ver-
schwunden, einschließlich aller Kabel. Sämtliche Bilder-
rahmen sind umgeworfen und teilweise vom Tisch heruntergefallen.

Im Schlafzimmer sieht es nicht besser aus. Auch hier stehen die Schranktüren offen und der Inhalt ist durch-
wühlt worden. Die Türen unserer Kommode stehen auf, die Schubladen sind leer. Unsere Unterwäsche liegt auf dem Boden davor. Alle meine Schmuckschatullen sind ver-
schwunden und ebenso unser gesamtes Sammelsurium an Parfümflaschen. Entsetzt betrachte ich das Chaos.
Karl steht schweigend hinter mir. Mit Tränen in den Augen drehe ich mich zu ihm um. „Was fehlt denn von Deinen Sachen?“, frage ich ihn. „Mein Notebook ist weg, ebenso meine komplette Kameraausrüstung!“, berichtet er mit steinerner Stimme. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, wie er denn nun ohne die Kameraausrüstung mit den vielen verschiedenen Objektiven und dem Notebook die Exposés von den zu verkaufenden Häusern erstellen soll? Schlimmer hätte es fast kaum kommen können! Ich fühle unbändige Wut in mir aufsteigen, sie treibt mir die Tränen der Verzweiflung in die Augen. Ungehemmt heule ich los. Karl nimmt mich in die Arme, um mich wenigstens ein wenig zu trösten. Doch die sonst so vertraute Berührung beruhigt mich in dieser Situation leider nicht.

„Hast du schon die Polizei gerufen?“, frage ich ihn, mich aus seinen Armen windend. „Nein. Noch nicht.“, antwortet er, „Ich wusste die Telefonnummer nicht!“ Man kann zwar auch hier in Spanien die Notrufnummer 112 anrufen, doch in einem solchen Fall ist die lokale Polizei zuständig. Mit fahrigen Fingern suche ich nach der Telefonnummer der nächsten Polizeiwache, doch ich kann sie nirgendwo finden. Ich muss erst eine Freundin anrufen, die mir die Telefonnummer durchgibt.

Ein paar Minuten später ist die Polizei verständigt und uns bleibt nichts anderes übrig als nun zu warten bis die Beamten eintreffen. Wir trauen uns gar nicht irgendetwas anzufassen oder wegzuräumen, denn wir wollen keine etwaigen Spuren verwischen. Das kennt man ja aus den diversen Krimisendungen, die man sich so anschaut!
Um in der Zwischenzeit wenigstens etwas Sinnvolles zu tun, fangen wir an eine Liste der gestohlenen Gegen-
stände zu erstellen. Aber ich bin einfach zu nervös, fahrig, aufgeregt und durcheinander und kann mich kaum konzentrieren. Mir fällt noch nicht einmal ein, was ich alles in den verschiedenen Schubladen aufbewahrt hatte, die nun leer auf dem Boden herumliegen.

Um mich zu beruhigen gehe ich nach draußen um eine Zigarette zu rauchen. Eigentlich hatte ich mit dem Rauchen aufgehört, nur ab und an gönnte ich mir mal eine Zigarette wenn wir abends aus waren und das eine oder andere Glas Wein getrunken hatten. Meine Hände zittern, als ich mir die Zigarette anzünde. Doch auch das Nikotin vermag mir keine Beruhigung zu verschaffen. Bruchstückhaft fallen mir all die Gegenstände ein, die die Diebe entwendet haben. Alle meine Daten, Fotos und Texte auf meinen Notebook, die nun verschwunden sind. Und wieder steigen mir die Tränen in die Augen und tief in meinem Inneren spüre ich diese Wut! Ich muss an die Schmuckstücke denken, an denen ich besonders gehangen habe. Die alte, schmale, goldene Uhr von meiner Oma Lieschen, das antike, goldene Kreuz mit einer Jesusfigur, das sich nun schon seit Generationen im Besitz meiner Familie befand und das mir meine Großmutter väterlicherseits geschenkt hatte. Zahlreiche Schmuckstücke meiner vor sieben Jahren verstorbenen Mutter, die ich ganz besonders in Ehren gehalten und teilweise mit viel Aufwand hatte aufarbeiten lassen. Und schließlich die von mir in der ganzen Welt zusammengetragenen besonderen Stücke, wie mein aus Südafrika stammendes Citrinkollier mit passenden Ohrringen, oder der Amethyst-Ring den Karl mir zu Anfang unserer Beziehung geschenkt hatte. Ich besaß kein einziges Schmuckstück, keinen Ohrring, keine Kette mehr – nur noch die Dinge, die ich an diesem Tag getragen hatte. Das alles waren doch keine außerordentlich wertvollen Dinge, die sich schnell zu Geld machen ließen! Die Schmuckstücke hatten doch nur für mich einen emotionalen Wert, den mir nun keiner auf der Welt mehr ersetzen kann.
Ich stelle mir vor, wie einer der Diebe seine „chica“ nun mit dem Schmuck meiner verstorbenen Mutter behängt und sofort werde ich wieder wütend. So wütend, dass ich nun gut und gerne jemanden eine rein schlagen könnte! Solche Gedanken kenne ich normalerweise nicht von mir.

Inzwischen ist eine Stunde vergangen und die Liste mit den gestohlenen Gegenständen ist länger geworden. Noch immer ist keine Polizei in Sicht und wir rufen ein zweites Mal auf der Polizeiwache an. „Ja, ja“ erklärt man uns, „es kommt gleich jemand!“ Das „gleich“ dauert noch eine weitere Stunde. Es ist nach halb fünf, als endlich zwei Beamte der Guardia Civil eintreffen. Die haben natürlich erst einmal in aller Seelenruhe ihre Mittagspause zu Ende gemacht! Etwas lapidar und lustlos betrachten die beiden Polizeibeamten die beschädigte Eingangstür und lassen sich von uns berichten, was passiert ist und was fehlt. Schließlich stellt einer der beiden die Frage, ob der Schaden denn über der Summe von 10.000 Euro liegen würde. Ohne nachzudenken beantworten Karl und ich diese Frage mit einem „Ja!“. Dann müsste die Spurensicherung kommen, erklärt man uns. Schnell ist diese telefonisch angefordert und nun heißt es wieder warten. Die beiden Beamten lehnen den von mir angebotenen Kaffee ab und erklärten, dass sie lieber draußen warten wollten.

In der Zwischenzeit versucht Karl noch einmal den Schreinermeister zu erreichen, der uns vor zehn Monaten die Tür eingebaut hat. Irgendjemand muss die Tür ja wenigstens notdürftig reparieren, wir können ja wohl schlecht die Haustüre die ganze Nacht offen stehen lassen! Außerdem ist morgen Gründonnerstag, ein Feiertag hier in Spanien, wenn uns heute keiner die Tür repariert haben wir hier fünf Tage lang eine nicht verschließbare Haustür! In einem zuvor geführten Telefongespräch war der Schreinermeister nicht sehr begeistert über unseren Notruf und hatte angedeutet, dass er niemanden schicken könnte weil er kein Personal habe. Fragend schaue ich Karl an. Sein Gesicht ist wie ver-
steinert. „Das Mobiltelefon ist abgestellt und unter der Festnetznummer ist kein Anschluss unter dieser Nummer!“, berichtet Karl. „Auch das noch!“, antworte ich schön wieder wütend, „Das spricht nicht gerade für seine Zuverlässigkeit!“.

Die Minuten verrinnen und werden zu einer Stunde. Noch immer sind die Leute von der Spurensicherung nicht eingetroffen. Mein Zigarettenvorrat ist aufgebraucht und ich fahre kurz in den Kiosk in der kleinen Einkaufsstrasse ein paar Strassen weiter, um eine neue Schachtel zu holen. Als ich ein paar Minuten später zurückkomme, haben die beiden Beamten von der Guardia Civil, die den Einbruch bei uns aufgenommen haben, an der Strasse hinter unserer Gemeinschaftsanlage eine Straßensperre errichtet und kontrollieren jedes vorbeifahrende Auto. Als sie mich erkennen, winken sie mich durch! Meine Gefühle über-
schlagen sich, als ich den Grund für diese doch wohl etwas verspätete Straßensperre erkenne. Wieder einmal werde ich wütend und gleichzeitig muss ich innerlich lachen! Im Rückspiegel sehe ich, wie die Beamten einen Autofahrer anhalten und kontrollieren. Den nun demonstrierten Eifer empfinde ich über drei Stunden nach dem Einbruch doch etwas unangebracht. Als ob die Diebe noch in der Nähe wären und beobachten würden, was nun bei uns passiert! Die könnten mittlerweile schon fast in Barcelona, auf dem Mond oder sonst wo sein!

Karl hat in der Zwischenzeit den Schreinermeister noch immer nicht erreichen können. In einem Kästchen in der Küche finde ich eine Visitenkarte eines Mitarbeiters des besagten Schreinermeisters. Der Mitarbeiter hatte damals die Tür und die Fenster bei uns installiert und uns die Karte gegeben. „Versuche es doch mal hier!“, sage ich und reiche Karl die Karte. Karl erreicht aber nur die Frau des Mit-
arbeiters, wenigstens verspricht sie ihrem Mann auszu-
richten, dass er dringend zurückrufen soll.

Wir warten und warten, auf die Spurensicherung, auf den Anruf des Schreiners. Unendlich zäh vergehen die Minuten. Karl ist fertig mit seiner Schadensliste. Ich kann mich noch immer nicht konzentrieren und bin fahrig. Nun machen sich auch noch Schuldgefühle in mir breit, weil ich meine Wertgegenstände nicht versteckt habe und an so offensichtlich normalen Stellen gelagert habe. Es vergeht noch eine weitere Stunde, bis endlich die Spurensicherung mit den beiden Beamten der Guardia Civil eintrifft. Mittlerweile ist es halb sieben und es sind vier Stunden vergangen, seit wir die Polizei gerufen haben! Die Zivilbeamten der Spurensicherung machen sich sofort daran den Schaden fotografisch festzuhalten. Sie foto-
grafieren jeden Winkel des Hauses und den Schaden an der Haustur, bannen das von den Dieben verursachte Durcheinander in eine Digitalkamera. In bester CSI-Manier werden die Haustür, sowie einige Schranktüren mittels einem dicken, quastigen Pinsel mit einem weißen Pulver bepudert. Staunend stehen Karl und ich daneben. An der Haustür sind die Spuren am deutlichsten zu erkennen – aber die werden uns nicht weiterhelfen. Denn die Ein-
brecher waren offensichtlich Profis und haben Gummi-
handschuhe getragen! Wie zum Hohn sind schöne, deutliche Abdrücke der behandschuhten Finger zu erkennen! „Da kann man nichts machen!“, stellen die Polizeibeamten fest und zücken die Schultern. Für den morgigen Tag werden wir zur Polizeiwache bestellt, denn dort müssen wir eine schriftliche Anzeige machen. Nach einem kurzen Händedruck sind alle vier Polizeibeamten wieder verschwunden. Keine Viertelstunde hat der ganze Zauber gedauert!

Frustriert mache ich mich ans Aufräumen und bringe die leeren Schubladen zurück in die Kommode im Flur. Die Unterwäsche, die auf dem Boden im Schlafzimmer liegt, stopfte ich angeekelt zusammen mit den in den Schub-
laden verbliebenen Resten in die Waschmaschine. Mich schaudert es bei dem Gedanken die Wäsche anzuziehen, die von fremden widerlichen Wurstfingern durchwühlt und angefasst wurde – auch wenn diese Schweine Hand-
schuhe getragen haben! Mein Arbeitszimmer, in dem ich immer so gerne geschrieben und gearbeitet habe, kann ich nicht betreten, geschweige denn die zerwühlten Sachen an Ort und Stelle zurücklegen. Es ist fast so als wäre mein ganz privates Heiligtum von fremden Menschen entweiht worden. Die Atmosphäre des Raums ist zerstört und ich fühle mich hier drinnen nicht mehr wohl. Gerade als ich unverrichteter Dinge den Raum wieder verlasse, klingelt Karls Mobiltelefon. Es ist der Mitarbeiter des Schreiner-
meisters, der wie versprochen zurückruft. Er berichtet, er sei mittlerweile ein ehemaliger Mitarbeiter des von uns so verzweifelt gesuchten Schreinermeisters, weil dieser seine Leute nicht bezahle. Er hätte sich mittlerweile selbstständig gemacht und würde natürlich sofort vorbei kommen und sich die Tür anschauen. Wenigstens ein kleiner Lichtblick! Denn der ursprüngliche Schreinermeister ist noch immer nicht erreichbar oder hat zurückgerufen.

Etwa zwanzig Minuten später trifft der Mann ein und betrachtet mit Entsetzen unsere zerstörte Eingangstür. Für ihn ist es erstaunlich, dass die Diebe die Tür überhaupt aufbekommen haben! Mit geübten Fingern schraubt er die total verbogene Schließleiste ab und hämmert über eine Stunde lang auf ihr herum, um sie einigermaßen gerade zu biegen. Er justiert die ebenfalls verbogenen Bolzen und nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen ist es schließ-
lich möglich, die Tür wieder zu schließen. Nach etwa eineinhalb Stunden überreicht uns der Mann die Rech-
nung für seine Arbeit. Nach einem kurzen Gespräch ob, wann und wie wir eine neue Tür bestellen können – denn es steht außer Frage, dass zumindest die Türflügel erneuert werden müssen – verabschiedet sich der Mann und wir alleine. Wenigstens die dringlichsten und notwendigsten Dinge sind für heute erledigt.

Völlig erledigt sinke ich auf einen Stuhl, mein Magen fühlt sich flau an. Es ist jetzt halb neun am Abend und mir fällt auf, dass ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe. Appetit habe ich zwar keinen, aber mein Körper braucht zumindest eine kleine Mahlzeit. „Willst du ein Bier?“, fragt Karl. „Ja.“, antworte ich knapp. Vielleicht hilft mir der Alkohol mich ein klein wenig zu entspannen. Mein Körper fühlt sich an, als würde er Tonnen wiegen. Schwer erhebe ich mich von dem Stuhl, gehe in die Küche und nehme mein Bier entgegen. Schon der erste Schluck tut seine Wirkung in meinem leeren Magen und ich fühle mich zumindest soweit gestärkt uns rasch ein paar Spagetti zu kochen. Die Stimmung zwischen Karl und mir ist gedämpft, wir reden nicht viel. Jeder von uns ist entsetzt, geschockt und hängt seinen eigenen Gedanken nach. Mir treibt es immer wieder die Tränen in die Augen, wenn ich an die Erinnerungs-
stücke meiner Mutter denke. Und dann werde ich wütend, unbändig wütend. Zwischenrein plagen mich die Schuld-
gefühle meiner Familie gegenüber, weil ich nun diese für uns wertvollen Dinge verloren und nicht besser darauf aufgepasst habe. Hätte ich die Sachen besser in ein Bankschließfach bringen sollen? Immer wieder frage ich mich, warum ausgerechnet uns das passieren musste. Haben wir nicht schon genug Sorgen mit unseren Existenzängsten, wie es nun weiter gehen soll ohne Einkommen? In Gedanken wünsche ich den Dieben die Pest an den Hals, sollen die doch an den mir so lieben Stücken meiner Großmutter ersticken! Wissen die eigentlich, welche Verzweiflung sie den Menschen bringen? Würde in diesem Moment einer der Diebe vor mir stehen, Gott steh mir bei, ich glaube ich wäre fähig einen Mord zu begehen!

In dieser Nacht schlafe ich so gut wie gar nicht. Nur für wenige Stunden nicke ich in den frühen Morgenstunden ein. Zu meinem Gefühlswirrwarr aus Traurigkeit, Ver-
zweiflung, Wut und schlechtem Gewissen gesellt sich nun auch noch die Angst. Ich fühle mich nicht mehr sicher in dem Haus, das mein zuhause war. Die Haustür ist zwar zu und lässt sich auch verschließen, aber sie wackelt und hat so viel Spiel, dass sie wahrscheinlich mit nur ganz wenig Kraftaufwand aufgedrückt ist. Karl versucht mich mit dem Argument zu beruhigen, dass die Diebe ganz sicher nicht zurückkommen. Ja, die vielleicht nicht – aber was ist mit den tausend anderen Diebesbanden? Nachts wandere ich leise durch das Haus und weiß gar nichts mit mir anzu-
fangen. Zur Ablenkung schaue ich mir irgendeinen Mist im Fernsehen an. Und irgendwann schlafe ich vor lauter Erschöpfung auf der Couch ein.

Am nächsten Morgen sind wir schon früh auf den Beinen und sind gleich nachdem die Polizeiwache geöffnet hat dort. Über eine Stunde brauchen wir, um dem Polizei-
beamten in einem deutsch spanischen Kauderwelsch zu vermitteln was gestohlen wurde. Der Beamte braucht ewig, um die Liste mit dem Ein-Finger-Suchsystem in seinen Computer einzutippen. Hinter uns staut sich bereits eine kleine Schlange von Menschen, die ebenfalls eine Anzeige aufgeben wollen. Dem einen ist das Auto zerkratzt, der anderen die Handtasche gestohlen worden. Ich wusste gar nicht, dass in unserem kleinen Moraira an der spanischen Küste so viele Dinge in Sachen Kriminalität passieren! Spontan fällt mir das Wort „Moburg“ ein, in Anlehnung an die südafrikanische Stadt Johannisburg mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der Welt.

Später laufen wir durch den Ort, zurück zu unserem Auto. Ich ertappe mich dabei, wie ich einen jeden Menschen, der uns begegnet, prüfend anschaue. Vielleicht trägt die Frau in der grünen Jacke ja meine Ohrringe, oder das Mädel vor uns das Amethystkollier meiner Mutter. Schlagartig wird mir klar, dass die Diebe mir nicht nur einfach Wert-
gegenstände gestohlen haben, sondern auch mein Vertrauen in die Menschheit! Werde ich jemals wieder durch die Straßen laufen und Menschen begegnen können ohne Misstrauen und ohne mich zu fragen, ob nicht vielleicht dieser Mann etwas mit dem Einbruch bei uns zu tun hat? Ob er nicht gerade seiner Freundin oder Frau den Diamantring meiner Mutter geschenkt hat oder erst heute Morgen mein Notebook mit aller meiner Arbeit und all meinen Texten für ein paar Euro verscheuert hat? Werde ich mich jemals wieder sicher und entspannt zuhause wohl fühlen können? Und werde ich jemals wieder diese unbändige Wut auf diese rücksichtslosen, egoistischen, selbstsüchtigen Unbekannten los, die andere Menschen für ein paar Euro ins Unglück stürzen? Irgendwann vielleicht, aber ein bitterer Beigeschmack und die Traurigkeit über den schmerzvollen Verlust einiger weniger Dinge werden wohl für immer bleiben.

Impressum

Texte: Copyright by Karen Keiper
Tag der Veröffentlichung: 01.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen, die ähnliches erlebt haben.

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