Cover

Düster war es hier, die Luft trocken, auch roch es nach Erde, Blut und Tod.
Leise schlürfende Geräusche waren zu hören.
Mit ihnen kam das Licht und beleuchteten den düsteren Ort.
Was man zu sehen bekam, ließ einem das Blut in den Adern gefrieren.
Schatten wurden auf die Überreste der Lebewesen geworfen, die, die Wände, den Boden und die Decke bildeten. Zwischen Wurzeln gefangen, starrten sie einen an. Stumme Zeugen der Vergangenheit, aber nicht so alt wie dieser Ort.
Rasselnder Atem war zu hören und sobald die Gestalt den Raum betreten hatte, machte sie sich daran die Kerzen anzuzünden.
Mit jeder Kerze die mehr Licht verbreitete, sah man die Gestalt genauer.
Ein langer dunkelblauer Mantel verhüllte die krummgebeugte Gestalt.
Wie das Firmament bei Nacht, sah der Umhang aus, denn überall funkeltete es auf ihm, wie die Sterne am Himmel um die Wette leuchteten.


Der Mantel, gewoben aus der Zeit, schützte den alten
Mann, der so alt wie die Zeit selbst war.
Geboren mit dem ersten pulsieren der Zeit, wird er so lange leben bis diese stirbt.
Vielleicht war es bald so weit, vielleicht aber auch
später, oder nie.
Seufzend vor Erleichterung ließ er sich auf einem Stuhl nieder.
Müde war er geworden, aber nicht mehr lange und er konnte im Salkrkáhsee baden, der ihm die Lebensgeister wiedergab.
Das Wasser war der Ursprung allen Lebens.
Nimm einen Tropfen und lass ihn den unfruchtbaren Boden des Shuláh Mondes berühren und man sieht Flora und Faune entstehen.
Sterne wurden in ihm geboren, Sterne starben in ihm. Das machte das Wasser so kostbar.
Es brauchte eine Ewigkeit um sich zu regenerieren, eine Ewigkeit musste diese Heilung bei ihm reichen, bis er wieder vor Kraft und Energie strotzen konnte. Bald, bald war es so weit, bald war die Ewigkeit wieder vorbei.
Aber vorher musste er wieder ein Chalmeé auf das
Pergament bringen.
Die Zeit hatte es ihm langsam zugeflüstert. Ewigkeit, für Ewigkeit.
Jetzt war der letzte Teil des Chalmeé geflüstert worden.
Mit einer Feder aus Flammen hinterließ er es für die Zeit.
Mit dem letzten Strich leuchteten die Buchstaben auf wie Feuer, brannten sich ein in das Pergament und waren nun unwiderruflich.
Denn das Papier stammte aus dem Baum des Schicksals. Seufzend sah er zu, wie die Feuerfeder
erlosch und nur noch Asche übrig blieb.
Die Phönixfeder hatte seinen Teil getan. Das Pergament fing an zu summen.
Eine sanfte liebliche Melodie ging von ihr aus. Leise vor sich hinlächelnd rollte es zusammen und stand ächzend auf.
Langsam ging er auf eine kleine Schatulle zu, öffnete sie und ein sanftes blaues Licht entwich ihr und verbarg das Gesicht des Mannes vollkommen.
Er griff hinein und zog vorsichtig etwas heraus.
Ein Faden, gewoben aus Licht hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger.
Er spann ihn um die Pergamentrolle und legte sie in ein Regal, in dem viele, unendlich viele Rollen lagen. Schicksale, Geburten,
Chalmeé und vieles mehr lagen hier verborgen, für jede einzelne Welt.
Ein letztes Mal dachte er an das vollendete Chalmeé, bevor er es vergaß, wie all die anderen die er zu Papier gebracht hatte.
Der Wind des Vergessens nahm die Erinnerungen mit. Sobald das verschwinden des Wissens eingesetzt hatte, fühlte er sich besser, freier.
Bald war es soweit und die gepeinigten Knochen würden Linderung haben.
Schlürfend, das Licht löschend verließ er den Raum, wo das Schicksal gesponnen wurde.


Wenn der Herzschlag der Zeit Still stehen bleibt.
Drei leuchtende Sterne vom Staub
des Seins Sich zeigen seinem Zwilling,
wird geboren der Eine.
Lausche dem Flügelschlag der Zeit,
denn er bringt die Kunde,
ob beginnt der Finsternis Stunde.
Vereint müssen werden die Seelen,
wenn die Schatten des Anderen sich erheben.
Horche tief in dein Inneres,
weite deines Blickes Sicht,
ob irgendwo sich entzündet hat,
ein Funke des Lichts.
Tränen des Schmerzes, werden fließen,
heiß wie Feuer.
Sterbe,
um mit neuer Kraft geboren zu werden.


Kapitel I


Das goldene, reife Korn bog sich sanft in der Sommerbrise.
Diese tat gut, denn es war unglaublich warm. Seit Tagen schon und keine Wolke ließ sich am Himmel blicken, die den erhofften und ersehnten Regen brachte.
Die paar Schleierwolken zählten nicht, denn sie konnten den hellen Feuerball nicht verstecken und selbst wenn die Sonne bei diesem Spiel mitgemacht hätte,
wäre nichts daraus geworden.
Nasihá lag unter einer Eiche, die auf einem kleinen Hügel sich erhob und wohltuenden Schatten spendete. Träge blickte das junge Mädchen über die Felder hinweg zum Wald.
Eigentlich müsste sie los, zum vereinbarten Treffpunkt, aber sie verspürte nicht die geringste Lust dazu.
Denn jede noch so kleinste Bewegung ließ einem das Wasser aus der Haut treten.
Aber anderseits lockte der See. Gähnend verschränkte sie die Arme hinter dem Kopf und starrte den Baumwipfel an.
Ein innerer Sinn erwachte zum Leben. Was war das? Plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Es war, als ob etwas sie mit Gewalt durchdrang und ihre Seele
mitnehmen wollte.
Schnell sprang sie auf und sah sich suchend um die Augen umherirrend.
Ihr blick irrte über die Felder, die sich zu allen Seiten erstreckten, dem Wald der die goldenen Ähren wie eine Sichel umschlossen und den endlos blauen Himmel.
Wusste sie doch das hier etwas war, aber sie sah nichts. Wind kam auf und zerrte an ihren Haaren und so schnell wie er kam verschwand er wieder und mit ihm das Gefühl nicht allein zu sein.
Misstrauisch blickte sie sich um und ging in Richtung Wald.
Den warmen duft der Erde und des Getreides sog sie in sich ein.
Einfach herrlich. Ein schmaler Rand halb vertrockneten Grases trennte die mächtigen Bäume von den kleinen Halmen.
Ein paar gelbe Butterblumen versuchten tapfer der heißen Jahreszeit standzuhalten und obwohl sie ziemlich mitgenommen wirkten, leuchteten ihre Blüten mit der sonne um die wette.
Kühle angenehme Luft empfing sie. Aufatmend schaute sie nach oben.
Die Kronen der Bäume ließen so gut wie kein Licht hindurch und wenn doch schimmerte das Laub wie grüne Smaragde.
Nasihá liebte diesen Wald, wie oft hatte sie sich hierhin verzogen, wenn es zu hause ärger gab.
Sie kannte ihn wie ihr Zimmer.
Keine Wurzel, kein Strauch war ihr unbekannt.
Er war riesengroß und es hat Jahre gedauert, ehe sie ihn komplett durchforstet hatte.
Aber ihre Entdeckerlaune war durch nichts zu bremsen gewesen.
Keine Schrammen oder wunden hatten sie abhalten können.
Sie wusste nicht wie der Wald von oben wirkte aber in ihrer Fantasie unendlich und in der Mitte funkelte es blau.
Aber Nasihá nahm an das man von oben den See nicht richtig sehen konnte,
da die Baumkronen um ihn mächtig waren und auf der kleinen Insel mitten im See, gab es nur eine kleine liegemöglichkeit, der Rest war mit drei großen bäumen bewachsen.
Nach kurzer Zeit die sie schnell gelaufen war, kam sie am See an. Dort wurde sie von ihren Freunden erwartet.
„ Hey da bist du ja endlich. Wir dachten schon du hättest dich im Wald verlaufen.“
Spöttisch sah Daráhmon sie an.
In seinen Augen leuchtete aber ein Lachen, das seiner ernsten Miene wiedersprach.
„ Wie, ihr habt auf mich gewartet? Ich dachte ihr könntet es nicht erwarten in den See zu springen.“ Lachend bemerkte sie dass alle drei noch ihre Sachen an hatten und es sich auf einer Baumwurzel,
die einen hohen Bogen über die Erde machte und in den See verschwand,
bequem gemacht hatten.
„ Ich war bei der Eiche und habe die Zeit vergessen, tut mir leid.“
Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern und ging auf Misa zu um sie zu umarmen.
„ Hallo Kleines, schön das du kommen konntest.“
„ Ich hab es geschafft mich von meinen Verpflichtungen loszueisen. Es ist schon sehr praktisch wenn man mehrere Geschwister hat.“ Grinsend blickte Misa Nasihá an.
Wissend und verstehend nickte sie.
Sie wusste das Misa ihre Geschwister fest im Griff hatte. Man konnte nur staunen,
wie viel Temperament und Durchsetzungsvermögen in dieser kleinen zierlichen Person steckte.
Sie reichte Nasihá gerade mal bis zum Kinn. Naja, fast jeder war größer als sie, daher musste sie sich auch anders wie Respekt verschaffen und das hatte sie geschafft.
Während die beiden sich anblickten umschlossen Nasihá zwei starke Arme von hinten und zogen sie an die feste Brust.
„ Daráhmon, was soll das? Lass mich los!“
Entrüstet versuchte sie sich aus dieser Umklammerung zu lösen, obwohl sie wusste dass es
unmöglich war.
Wenn er etwas in Händen hielt ließ er es fast nie mehr los, besonders wenn es sich um jemanden handelte, den er schätzte und mehr noch, liebte.
Lachend wirbelte er sie herum und kreischend wehrte sie sich noch heftiger, denn sie ahnte was nun auf sie zukam.
Abrupt endete der Schrei und kurz darauf kam eine prustende und sehr wütende Nasihá wieder zur Wasseroberfläche.
Er hatte sie doch tatsächlich in den See geworfen, dachte sie verwundert.
So schnell wie ihre Wut kam, so schnell verschwand sie wieder.
Ein kurzer Blick auf ihn reichte und schon verpufften alle Gefühle, bis auf eins. Ein Flattern im Bauch, das so schnell anwuchs, dass es sich kurz darauf anfühlte als ob hunderte, nein, tausende von Schmetterlingen in ihrem Bauch umherflogen.
Mit seinem Lachen und den dunklen Augen in denen oft der Schalk zu hause war betörte er jede Frau.
Sei sie nun gerade mal einen Monat, oder hatte sie schon ein sehr hohes Alter erreicht.
Seufzend schwamm sie zurück zum Ufer. Er hatte ihr noch nicht gesagt, dass er sie liebte,
aber er zeigte es oft, sei es nur durch kleine Gesten, wie einem warmen Lächeln, einer zarten Berührung oder seiner ganzen Aufmerksamkeit.
Das konnte schon ganz schön nervig sein, wenn er den ganzen Tag um sie war.
Er war ein Mensch der sich nicht gerne ignorieren ließ. Die Arme weit geöffnet empfing er sie am Ufer,
wo er allerdings mit einem triefnassen Schuh Bekanntschaft machte, der auf seiner Brust mit einem satten klatschen landete und einen Abdruck hinterließ. Auf einem Bein hüpfend zog sie den zweiten aus und kurz darauf lagen die nassen Kleidungsstücke daneben.
„ Hey Daráhmon musste das sein. Wie kannst du ein zartes Wesen einfach so ins Wasser werfen.“
Syroom baute sich vor ihm auf und blickte ihn böse an. Schmunzelnd blickte der gescholtene auf den Rotschopf hinunter.
„ Mmh, welches zarte Wesen. Ich sehe hier keines auf das deine Beschreibung passt.“
Den Kopf leicht zur Seite geneigt blickte er arrogant Syroom an.
Zwei empörte aufschreie waren zu hören und kurz darauf trafen Daráhmon noch zwei weitere Schuhe. Lachend knuffte er seinem Gegenüber auf den Oberarm und zog sich seine Sachen aus.
Schnell blickte Nasihá weg, denn er sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch einen tollen Körper.
Die viele harte Arbeit hatte ihn geprägt.
Um sich abzukühlen und um sich nicht zu verraten, sprang sie mit ihrem hochroten Kopf ins Wasser und schwamm auf die Mitte des Sees zu, wo sich die kleine Insel befand.
An den Geräuschen hinter sich hörte sie, dass die anderen ihr folgten.
Kurz bevor sie die Insel erreicht hatte, hatte sie etwas an dem linken Fuß gepackt und zog sie unter Wasser. Überrascht drehte sie sich um und blickte in die funkelnden Augen von Syroom.
Er zeigte mit dem Daumen nach link und nickend folgte sie ihm.
Etwas abseits kamen ihre Köpfe aus dem Wasser. Sie blickten zu den anderen beiden und bemerkten das Daráhmon sich immer wieder umdrehend nach ihnen suchte.
Grinsend schwammen sie unter die herabhängenden Zweige der Trauerweide. Von dort aus beobachteten sie ihn weiter. Der Blick war nun finster und verriet, das es ihm nicht gefiel das Nasihá mit Syroom zusammen verschwunden war.
„ Tja das hat er verdient. Wieso wirft er dich auch einfach in den See.“
Zufrieden mit sich selbst, blickte er Nasihá an.
„ Danke dir, aber wird dir das nicht ärger mit ihm einbringen? Ich meine, du weißt wie er auf andere in meiner Gegenwart reagiert.“
Schnaubend sah er wieder nach vorne.
„ Lass das mal meine Sorge sein. Der fängt sich schon wieder ein. Außerdem hat er kein Recht eifersüchtig zu sein. Ich meine, ihr seid nicht zusammen.
Er hat dir auch noch nicht seine Gefühle gestanden, also soll er mal ruhig bleiben.
Wenn er nicht bald was sagt, wird es jemand anderes versuchen und ehe er sich versieht, wirst du mit jemand anderem zusammen sein.“
Bewundernd sah sie ihn an.
Beide wussten allerdings, dass es nie geschehen würde. Kein anderer außer Daráhmon würde es, erstens wagen sich ihr zu nähern und zweitens sie fragen ob sie mit ihm gehen wöllte.
Ihr Herz gehörte allein ihm. Jeder wusste es, außer der Angebetete selbst.
Er war davon überzeugt dass er noch ihr Herz erobern musste.
„ Los komm, sonst stellt er noch den ganzen Wald auf den Kopf um uns zu finden.“
Seufzend tauchten sie unter der Weide auf und schwammen zu den anderen hin.
Misa versuchte Daráhmon zu beruhigen, was allerdings nicht gut zu klappen schien, wenn man die geballten Fäuste sah. Abrupt drehte er sich um als er sie aus dem Wasser kommen hörte.
„ Duuuu...“ sagte er nur und stürmte schon auf Syroom zu, packte ihn am Hals und zerrte ihn zum Stamm der Weide.
„ Daráhmon, lass das. Komm schon, was soll das werden.“
Beide Mädchen stürmten hinterher und umfasten seine Arme. Sie zogen daran um ihn daran zu hindern Syroom zu erwürgen.
„ Lass ihn los. Er hat doch nichts getan.“
Es half nichts, er hörte einfach nicht zu.
„ Nasihá tu was“, flüsterte Misa.
„ Was soll ich denn machen? Sieh ihn dir doch an, der hat auf Durchzug gestellt.“
Bittend sah Misa Nasihá an.
Seufzend ließ sie seinen Arm los und schlang ihre Arme um ihn. Sie hoffte dass es wirkte, denn sie sah wie ihre Freundin schon Tränen in den Augen hatte. Misa war heimlich in Syroom verliebt,
aber sie traute sich nicht es ihm zu sagen, daher wusste außer Nasihá niemand davon.
Ein Haufen verliebter und keiner wusste von anderen etwas.
Die Hand lockerte sich vom Hals und erschöpft sank Syroom auf den Boden. Schnell waren die Mädchen bei ihm.
„ Ist alles in Ordnung mit dir?“
„ Geht es dir gut?“
Nickend blickte er in die besorgten Gesichter der Mädchen. Wütend drehte sich Nasihá um und funkelte Daráhmon an.
„ Sag mal spinnst du? Was sollte das werden? Du kannst doch nicht einfach wie ein Irrer auf ihn losgehen, ohne Sinn und Verstand. Du hast doch keinen Grund gehabt ihn zu erwürgen. Mach das ja nicht noch mal, verstanden!“
Unter leicht gesenkten Lidern blickte er sie an.
„ So, ich hatte also keinen Grund, ja?“ fragte er leise.
„ Das sehe ich anders. Du warst mit ihm allein, das ist Grund genug für mich.“
„ Das soll ein Grund sein? Sag mal siehst du noch klar? Syroom ist dein bester Freund. Du kannst doch nicht aus diesen hirnlosen Grund einfach auf ihn losgehen. Ich versteh dich nicht. Was ist nur los mit dir? In letzter Zeit benimmst du dich so merkwürdig.“ Kopfschüttelnd wandte sie sich ab und setzte sich ans Ufer.
Die fröhliche Stimmung die noch am Anfang geherrscht hatte, war nun spurlos verschwunden.
Es herrschte eine bedrückende, leicht feindselige Atmosphäre. Syroom ging auf seinen besten Freund zu und sah ihn an.
„ Was soll ich nur mit dir machen?“ flüstere er leise.
„ Du wirst noch wahnsinnig, wenn du es ihr nicht sagst. So wirst du nie erfahren wie sie zu dir steht. Es wird immer schlimmer mit dir.
Ich kann dich verstehen das du zögerst,
aber ist es nicht besser endlich reinen Tisch zu machen und zu wissen woran man ist, als dieses ewige hin und her?“
Fragend blickte er ihn an und hoffte dass diese Worte etwas bewirkt hatten. Wenn nicht, musste er noch deutlicher werden.
„ Ich vergesse was gerade passiert ist, aber sprich mit ihr. Wenn du es nicht tust, dann wird irgendwann ein anderer kommen und sie dir wegnehmen, also mach es endlich.“
Er hatte gesagt was schon längst gesagt werden musste, aber ob es etwas gebracht hatte zeigten die nächsten Tage.
„ Komm die Mädchen warten schon auf uns.“
Die Schulter umfassend, zog er Daráhmon mit sich. Misa und Nasihá lagen in der Sonne und dösten vor sich hin.
„ Tut mir leid, was ich getan habe. Ich wollte die Stimmung nicht kippen lassen, aber ich habe für den Moment rot gesehen und nicht mehr nachgedacht.“ Entschuldigend blickte er die drei an und aufatmend lockerte sich die Stimmung.
Nach kurzer Zeit, war es so, als ob nie etwas gewesen wäre.
Fast nichts gewesen wäre, denn man merkte Daráhmon an das er nachdenklicher war. Anscheinend waren die Worte von Syroom auf fruchtbaren Boden gefallen.
Hier am See war es angenehmer als sonst wo.
Das Wasser hielt die Luft kühl, genauso wie die vielen Bäume,
die einen Schutz gegen die stechende Sonne bildeten.
Mit der Zeit aber wurde es Nasihá langweilig und nachdem sie den anderen Bescheid gesagt hatte, dass sie zur Grotte tauchen wolle, war sie auch schon im Wasser verschwunden und tauchte in eine andere Welt.
Mit offenen Augen konnte sie schwimmen, denn nicht umsonst hieß dieser See Kristaálasee.
Klares sauberes Wasser, ohne Schmutz oder Dreck. Dafür sorgten die Tiere in ihren Tiefen.
Korallenriffe in allen Farben konkurrierten um die Wette. Steine leuchteten aus der Tiefer herauf.
Die Lebewesen des Sees konnte man nicht sehen, denn sie lebten tiefer unten, wo sie geschützt waren.
Aber Nasihá konzentrierte sich auf den steinernen Felsen, der die Form einer Säule hatte.
Auf ihr befand sich die Insel, in ihr die Grotte. Sie schwamm auf den Eingang zu und aufatmend erreichte sie das Innere.
Überrascht hielt sie die Luft an. Sie hatte zwar viel von der Grotte gehört, aber so hatte sie, sie sich nicht vorgestellt.
Die Wände waren über und über mit Kristallen bedeckt. Kristallsäulen ragten bis zur Höhlendecke.
Manchmal sah es so aus, als ob Stufen nach oben führten und es gab drei kleinere Wasserfälle die leise vor sich hin plätscherten.
Neugierig hiefte sie sich aus dem Wasser und sah sich um. Fasste einzelne Kristalle an, bis sie vor einem riesigen stehen blieb.
Sie ging auf ihn zu und schaute ihn sich bewundernd an.
Erschrocken trat sie zurück. Im Kristall hatte sie sich nicht selbst gesehen, sondern ein fremdes Mädchen. Ihr Gesicht hatte sie nicht sehen können, denn lange Haare verbargen es.
Vorsichtig trat sie auf den Kristall zu und sah wieder dieses Mädchen.
Ihre Kleidung war merkwürdig. Neugierig berührte sie den Kristall und war erstaunt als das Mädchen ihn ebenfalls berührte.
Als Nasihá aber näher an das Mädchen trat, verschwand es einfach.
Nachdenklich sah sie sich auf der glatten Oberfläche des Steins an und drehte sich weg. Sie legte sich auf den Boden und war überrascht dass dieser nicht kalt war.
Es war angenehm hier und sie schloss die Augen. Nun bemerkte sie auch andere Dinge, die ungewohnt waren für diesen Ort.
Die Luft roch nach Blumen.
Nasihá konzentrierte sich darauf und nahm verschiedene war. Den Duft von Purpurblumen, Teichlilien und Loturoblüten.
Es duftete herrlich. Auch von Klängen war die Luft erfüllt.
Als ob mehrere Musiker leise, sanfte, fröhliche Musik spielten. Leise summte sie mit.
Hier hätte sie stundenlang bleiben können, aber sie musste zurück, bevor man sie vermisste.
Mit einem wehmütigen Blick zurück, sprang sie ins Wasser und tauchte kurz darauf an der Wasseroberfläche wieder auf. Überrascht bemerkte sie, dass nach ihr gerufen wurde.
Misa kam auf sie zu.
„ Wo warst du? Wir suchen dich schon seit Stunden.“ Panik schwang in ihrer Stimme mit. Verständnislos sah sie ihre Freundin an.
„ In der Kristallgrotte. Ich hab euch doch bescheid gegeben das ich dahin wollte.“
„ Kann nicht sein, Syroom und Daráhmon waren dort und haben dich nicht gefunden.“
„ Doch ich war in der Grotte, die ganze Zeit über. Vielleicht bin ich eingeschlafen und lag so versteckt, das die beiden mich nicht gesehen haben.“
Misa umarmte sie stürmisch.
„ Mach das nie wieder“, flüsterte sie.
Die anderen empfingen sie genauso.
Noch eine zeitlang lagen sie auf der Insel faul rum, ehe sie sich entschlossen zurück zum Ufer zu schwimmen, da die Sonne langsam den Himmel verließ.
Übermütig sprangen sie ins Wasser und schnell wurde ein Wettkampf daraus, wer als erstes am anderen Ufer ist.
Es war keine Überraschung dass es Daráhmon war. Mit den trockenen Sachen unter den armen liefen sie zurück zum Dorf.
Durch den Wald, wo die Nachttiere langsam aufwachten,
an den Kornfeldern vorbei, wo ab morgen die Ernte begann und immer den Pfad folgend.
Über die Brücke, unter dem ein Bach gemächlich lang plätscherte, dorthin, wo Rauch aufstieg,
der sich aus den Öffnungen im Dach einen Weg in die Freiheit bahnte.
Die Sonne war fast verschwunden, doch noch immer war es warm.
Sich voneinander verabschiedend trennten sich hier die Wege der vier Freunde. Nasihá schlich zum Gasthof.
Dort lauschte sie. Noch hatte sie nicht die Volljährigkeit erreicht.
Frustriert lugte sie durchs hellerleuchtete Fenster und sah Sablés den Hufschmied, Eremiehá den Heiler und auch ihren Vater.
Seufzend schüttelte sie den Kopf. Wenn das Mutter mitbekam, gab es wieder
gewaltigen Ärger und sie, Nasihá war die Leidtragende.
Sie spitzte die Ohren als über außergewöhnliche Dinge gesprochen wurde.
Sie hatte schon viele Gerüchte von den Nachbardörfern gehört.
Meistens durch Wiskeih. Aber was er erzählte entstand meistens aus seinem Glas Burlgash.
Ein Getränk das schnell zu Kopf stieg und wenn man zu viel davon trank und zu häufig wurde man süchtig und verlor den Verstand mit der Zeit.
Sie hielt den Atem an um zu verstehen was Stohrlehr zu berichten hatte.
Leider war es seine Angewohnheit leise zu sprechen, aber zum Glück hatte Mah Ehrdheé sie mit sehr guten Sinnen ausgestattet.
Er erzählte von seiner Reise in die Hauptstadt zum Herrscher von Aldacheé.
Unterwegs habe er gesehen wie ganze Wälder entwurzelt waren.
Wie der Reihe nach umgekippt sahen sie aus. Der See, der die Hauptstadt umgab, war ausgetrocknet, als ob das Wasser verdampft sei.
Er wollte sich den vielgelobten Blumengarten ansehen, doch über Nacht, so erzählten sich die Leute, seien die ganzen Blumen verblüht.
Keiner wisse wieso. Die Gemahlin des Herrschers war untröstlich, denn ihre preisgekrönten Schneerosen waren rabenschwarz.
Und das unheimlichste war, das überall dort wo etwas passiert war,
in der Mitte ein kleiner Krater war, der blutrot aussah. Man hatte versucht die Tiefe aus zu loten,
aber nach über 800 matre war immer noch kein Ende in Sicht.
Die Erde wurde abgetragen und lauter; wie blutrote Adern aussehende Linien kamen zum Vorschein.
Der Wissenschaftsstab hatte keine Erklärung dafür. Man hatte Proben der Erde genommen,
um sie in den Laboren der Wissensgemeinschaft zu untersuchen. Selbst die, die auf alles eine Antwort hatten, waren sprachlos.
Auch viele Bewohner von Aldacheé waren verschwunden.
Egal welcher Rasse sie angehörten. Sogar Elfeár – Angles, Lebewesen mit magischen Fähigkeiten.
Ihre Haut schimmerte blau, ihre Ohren waren länger, spitzer und wie Schmuck, saßen lauter Perlen am äußersten Rand der Ohren.
Die Perlen zeigten den Reifegrad der Magie an. Wenn die erste am Ohrläppchen so groß wie ein Nagelbett des kleinen Fingers war und die anderen nach oben hin zur Spitze immer etwas kleiner wurden, war dies ein hoher Reifegrad.
Sollten sie dazu in allen Regenbogenfarben schimmern war derjenige ein Magrahleeh. Die höchste Stufe der Entwicklung. Ansonsten waren die Perlen unterschiedlich groß und ab und zu fehlten welche. Eremiehá hatte solche
Wesen getroffen und von ihnen geschwärmt.
Ihre Augen fingen das Licht der Sonne ein so golden schimmerten sie.
Von aufrecht, schlanken Wuchs waren sie und ihre Haare schimmerten Silber – bläulich.
Die Frauen trugen viele Perlenketten im Haar. Eremiehá hatte eine Zeichnung von ihnen angefertigt und Nasihá war sprachlos von deren Schönheit und fasziniert von deren anders sein.
Auch gab es noch viele andere Lebewesen die dieses Land bevölkerten.
Wurzlinge, kleine Wesen in Wäldern lebend. Unförmig aussehend und scheu.
Skymanar, halb Mensch, halb Vogel. Ihre Gefieder schillerten in allen Farben. Sie waren ein sehr ruhiges friedliches Volk. Sie lebten in den Wolken auf den Splittern des Mondes.
Alle Völker aufzuzählen war gar nicht möglich, denn man wusste von vielen nicht, ob sie wirklich existierten, oder ob sie der Mythologie entsprangen.
Dunkle gefährliche Wesen, die den Frieden des Landes gefährdet hatten.
Die Besucher des Gasthofes fingen über die Geschehnisse an zu diskutieren, denen Nasihá gerne noch weiter zugehört hätte, aber es wurde langsam zeit nach hause zu gehen.
Das Abendessen musste gemacht werden. Aber vorher wollte sie sich noch waschen.
Die Hütte in der sie mit ihren Eltern lebte war dunkel,
also war ihre Mutter noch nicht zurück aus dem Gemeindehaus.
Ihr zuhause war eins der wenigen die einen kleinen Vorgarten hatten.
Überall blühte und duftete es.
Ihre Mutter liebte Blumen und verbrachte die meiste Zeit im Garten.
Sie versuchte immer wieder Nasihá dafür zu begeistern, aber kapitulierte jedes Mal, wenn sie zusah wie lustlos ihre Tochter Unkraut jätete, pflanzte, die Blumen goss oder sich zu wenig darüber freute, wenn eine neue Pflanze im Garten Früchte trug.
Das war nichts für sie.
Sie fand es langweilig, öde um es genau zu sagen. Klar mochte sie Blumen oder die Früchte, die sie immer aus dem Garten aß, aber dieselbe Begeisterung aufzubringen wie ihre Mutter vermochte sie nicht.
Sie stromerte lieber durch die Gegend mit ihren Freunden, oder aalte sich in der sonne.
Das waren Dinge die sie mochte. Geschichten aus fremden Ländern, anderen Lebewesen faszinierten sie. Stricken, nähen oder Hausarbeit waren nie ihr Ding. Ihre Freundinnen waren genau das Gegenteil von ihr.
Sie interessierten sich für die schönen Sachen im Leben, wie schicke Kleider, Schmuck und Jungs.
Mit Jungs konnte man viele Abenteuer erleben, sie
brachten einem das kämpfen bei oder kerneweitspucken, wie man besser auf Bäume kletterte, aber für was anderes?
Nasihá verdrehte jedes Mal die Augen wenn sie beobachten konnte,
wie ihre Freundinnen kicherten, mit den Augen klimperten, wenn ein Junge in der nähe war. Besonders bei Syroom und Daráhmon war das der Fall.
Es war ihr peinlich zu zusehen wie die Mädchen sich benahmen. Und die beiden erst.
Mit stolzgeschwelter Brust liefen sie wie Gockel durch die Gegend und zwinkerten den Mädchen zu.
Nasihá zog die beiden immer damit auf, was darin endete das Nasihá lachend weglief.
Leider holten die Kerle, mit ihren langen Beinen, sie schnell ein und sie durchkitzelnd lagen sie am Boden. Lächelnd dachte sie an das letzte Mal,
denn da hatte Syroom ne Menge blauer Flecke davongetragen. Nasihá hatte den Überraschungsmoment ausgenutzt und sich vom Baum aus auf ihn geworfen und diesmal war Daráhmon ausnahmsweise mal auf ihrer Seite.
„ So viel Doofheit muss bestraft werden.“, meinte er feixend.
Tief atmete Nasihá ein und nahm den vertrauten Geruch ihres Zuhauses wahr.
Es roch nach getrockneten Kräuter, Rosen und Kerzen.
Die Fenster im Waschraum ließen das letzte Tageslicht herein und so wusste Nasihá ohne lange zu suchen, wo sich die Kerzen befanden, die sie anzündete.
Zwei standen rechts und links von der Waschschüssel, welche sich auf einer Kommode stand.
Die anderen fand man auf vier weiteren kleinen Regalen extra dafür an die Wand gebracht.
Neben der Waschschüssel befand sich eine Konstruktion aus Brettern, die halb so hoch war wie die Kommode.
Wenn man genauer hinsah konnte man erkennen dass es eine Toilette war.
Gegenüber befand sich eine kupferne Wanne, die ein langes schmales Regal zur Ablage hatte.
Daneben hingen leicht transparente Stoffe, die Nasihá nun beiseite schob.
Dahinter war ein riesengroßer lederner Sack versteckt, der von einer hölzernen Konstruktion gehalten wurde.
Unter dem Sack war eine metallschale, wenn diese beiseite schob, kam das Wasser aus vielen kleinen Löchern, des ledernen Sackes.
Das Wasser war immer warm, denn dafür sorgte die Feuerstelle, dessen warme Luft die Metallstangen erwärmten, die mit der Schale verbunden waren und mit der Halterung des Ledersacks.
Wenn das Wasser aufgebraucht war, gab es auch keine Probleme es wieder nachzufüllen.
Die oberste Metallplatte wurde einfach weggenommen und der offene Sack konnte nun wieder befüllt werden.
Die Konstruktion hatte Stohrlehr aus einem Nachbardorf mitgebracht und nun hatte jeder diese Waschmöglichkeit.
Nasihá liebte diese Art des Waschens und genoss es. Die Feuerstelle war natürlich nicht im Waschraum, nein, die befand sich im Wohnraum, wo gekocht wurde.
Die Metallstäbe gingen durch die Wand und wurden durch den Abzug versteckt.
Zusätzlich zum warmen Wasser sorgten sie auch dafür dass der Raum im Winter immer angenehm beheizt war.
Nasihá zog sich die Kleidung aus und legte sie sorgfältig auf den Hocker neben dem Badezuber. Sie öffnete den geflochtenen Zopf und schloss die transparenten Vorhänge hinter sich und zog am seil, worauf gleich darauf angenehm warmes Wasser über ihr Gesicht lief.
Genießerisch schloss sie die Augen und nahm die Seife um sich zu waschen.
Währenddessen sang sie leise ein Lied. Es war ein langsames, einfühlsames, in tiefen und hohen Tonlagen.
Sie sang gerne, aber heimlich. Sie hatte eine schöne klare Stimme und wenn man das mitbekam, musste sie in den Chor Dhehema´r und darauf hatte sie nun wirklich keine Lust.
Sie glaubte an das Übernatürliche und an die Göttin der Schöpfung, aber sie mochte nicht das ganze drum herum.
Jeden Tag vier stunden üben, immer auf Veranstaltungen singen, sie mussten immer ruhig, bescheiden, anständig und vorbildlich leben, da sie ja der großen Göttin dienten.
Bäh..., das war öde.
Nasihá müsste auf alles verzichten.
Auf das nächtliche baden im See, das streunern durch die Gegend, die Treffen mit Syroom und Daráhmon, denn junge Männer waren verboten für die Chorsängerinnen.
Die Sängerinnen hatten ein sehr langweiliges Leben. Naja jedenfalls bis sie das Volljährigkeitsfest erreicht hatten, denn da müssen sie Prüfungen ablegen, die über ihren weiteren Lebensweg entscheidet.
Was es für eine Prüfung war, wusste keiner, denn darüber schwiegen sie.
Die Wege die sie beschreiten konnten sind die der Heilerin, Priesterin und Magierin.
Die höchste Stufe war die Priesterin, aber die erreichte selten jemand. Sie konnten heilen, denn jede
Heilpflanze die es gab stand in ihrem Buch. Priesterinnen konnten mit ihrem Gesang Bäume wachsen lassen, den Menschen von innen reinigen, dafür sorgen das bestimmte Gefahren verschwanden oder Hindernisse überwunden werden können.
Magie konnten sie auch einsetzen.
Denn sie beherrschten die Elemente. Angriff, Verteidigung oder Heilung, alles konnten sie.
Sie lernten die Sprachen der anderen Wesen schneller.
Die Göttin der Schöpfung hatte diese wenigen mit fast allen Gaben wie sie, sie selbst beherrschte gesegnet. Denn sie sollten mit ihr den Frieden Gaias bewahren. Leider gab es immer weniger die diese Gaben empfingen, denn nicht jede war dafür geeignet. Diejenigen, die, die Gaben nicht verkrafteten wurden böse, wurden zu Dämonen.
Oh eine Priesterin beherrschte nicht alle Fähigkeiten und Elemente.
Jede Priesterin hatte die kraft nur eines der Elemente zu beherrschen.
Die Schreine der jeweiligen Priesterin lagen in einem Gebiet das deren Kraft stärkte. Windpriesterinnen lebten auf den Splittern des Shuláh Mondes, die überall über Gaia verteilt waren.
Feuerpriesterinnen hatten ihren Schrein im Inneren eines lebendigen Vulkans, Erdpriesterinnen in
Wäldern oder Bergen und die Wasserpriesterinnen, sie hatten ihre Tempel in den Tiefen der Meere oder Seen.
Der Weg zu diesen Schreinen war sehr schwer, denn niemand wusste genau, wo sie sich befanden.
Aber wenn sie gebraucht wurden, waren sie immer da. Die Priesterinnen wurden von den Bewohnern Gaias geachtet, denn jedes Volk hatte sie.
Allerdings wurden sie von den Dämonen und dem Bösen gejagt.
Mit jedem Tod einer Priesterin war der Friede Gaias gefährdet. Seufzend kam Nasihá aus ihrer Gedankenwelt heraus und beendete ihre Dusche.
Das große flauschige Laken hüllte ihren Körper ein als sie vor den Spiegel trat.
Er bestand aus einem Kristall, der leichtes sanftes Licht ausstrahlte.
Das bemerkte man nur wenn es dunkel war. Sie wischte das kondensierte Wasser von der glatten Oberfläche und betrachtete sich.
Große grüne Augen blickten ihr entgegen. Zu groß wie sie fand. Ihre Haare zu rot und zu lockig. Naja eigentlich mochte sie sich selbst nicht leiden. Ihre Mutter meinte sie sei die hübscheste junge Frau die sie jemals gesehen hatte.
Was soll sie sonst sagen, Nasihá war ihre Tochter und man wusste ja, dass Mütter ihre Kinder immer hübsch fanden. Okay es gab ausnahmen.
Mimi zum Beispiel.
Sie war supernett, hilfsbereit und so, aber so etwas von unattraktiv.
Das sagte selbst ihre Mutter immer wieder. Das fand Nasihá nicht fair.
Jeder lästerte über Mimis aussehen und machte sich über sie lustig, aber ihre Gutmütigkeit ausnutzen, das konnten sie.
Nasihá mochte Mimi und über ihr aussehen konnte man darüber wegsehen.
Sie hatte ein langgezogenes Gesicht, riesige blaugraue Augen, die aussahen, als ob sie gleich aus den Augenhöhlen fallen würden. Buschige Augenbrauen, eine Knollnase, die schon viel Spott abgekommen hatte.
Ihr Mund war breit und schmal, und ihre Vorderzähne schauten leicht unter der Oberlippe hervor. Ihr Haar war karottenrot und noch widerspenstiger als das von Nasihá.
Es sah so aus, als ob es noch nie gekämmt wurde, also wie verfilzte Wolle.
Mimi war groß, sehr schlank und schlaksig. Wenn sie ging sah es immer so aus, als ob der rechte Fuß nicht so recht wusste was der linke machte.
Außerdem war sie über und über mit Sommersprossen bestreut.
Oft hatte Nasihá erlebt, wie Mimi geweint hatte, wenn andere sie ausgelacht haben.
Nasihá meinte dann immer, das jede Sommersprosse ein Kuss von einer Fee sei und Feenküssen brachten Glück.
Nasihá selbst hatte auch welche, allerdings auf dem Rücken und mit etwas Phantasie sie sahen aus, als ob sie eine Ranke bildeten.
Überrascht sog Nasihá den Atem ein. Sie hatte im Spiegel hinter sich einen Schatten gesehen.
Schnell drehte sie sich um, aber da war nichts.
Keine Möglichkeit sich zu verstecken.
Die Augen leicht zusammengekniffen blickte sie wieder zum Spiegel und stieß einen Laut aus.
„ W... Was, soll das?“
Fragte sie sich leise und stockend.
„ Das kann doch nicht wahr sein. Hab ich Halluzinationen? Das gibt’s nicht.“
Wieder blickte sie in das Gesicht des Mädchens, das sie im riesigen Kristall in der Grotte gesehen hatte. Nasihá bemerkte wie sich die Lippen von ihr bewegten, aber Nasihá hörte nichts.
„ Was sagst du? Ich verstehe dich nicht. Was willst du?“
Laut und deutlich sprach sie zu der Gestalt im Spiegel und ehe sie es selbst bemerkte, berührten ihre Finger den Kristall.
Verwundert sah sie sich an und registrierte das Lächeln, auf den Lippen des Mädchens.
Ein kribbeln durchlief ihre Fingerspitzen, als das Spiegelbild ebenfalls die Hand ausstreckte und mit
den Fingerspitzen die ihren berührten.
Wärme durchströmte sie und eine Kraft durchfuhr sie, wie sie Nasihá noch nie erlebt hatte. Ihre ganzen Lebensgeister wurden geweckt.
Sie fühlte sich wie neu geboren.
Während sie diese Kraft durchströmte, verblasste das Mädchen mit der seltsamen Kleidung.
Als sie verschwunden war, hatte Nasihá das Gefühl etwas Wichtiges verloren zu haben.
Verwundert bemerkte sie die Tränen, die ihr über die Wangen liefen. Sie wusste nicht was sie von der ganzen Sache halten sollte.
Entweder wurde sie langsam verrückt, hatte Halluzinationen bedingt durch Übermüdung, oder aber es passierte wirklich. Nasihá tendierte eher zum zweiten.
Übermüdung. Seit zwei Tagen hatte sie nicht mehr geschlafen. Das nervende Geräusch des Webstuhls hatte es unmöglich gemacht.
Ihre Mutter hatte den Auftrag bekommen neue Stoffe für das Gemeindehaus zu weben.
Leider nahm sie den Auftrag zu ernst und wollte es so schnell wie möglich zu Ende bringen.
Eigentlich sollte sie bis Ende der Woche fertig sein, aber nein, Mom hatte einen neuen Rekord aufgestellt. In diesen beiden Tagen die Stoffe für den Sitz des
Ältesten, die Wandbehänge und den Mantel fertig zubekommen war Akkordarbeit.
Nasihá schreckte aus ihren Gedanken auf, als sie eine Tür zuklappen hörte.
Schnell band sie ihre nassen Haare zu einem Knäuel nach oben und zog ihr Hauskleid an.
Es war eine lange weite Tunika die bis zu ihren Knöcheln reichte und hatte am Stehkragen wunderschön gestickte Ornamente.
Ein Schal leicht um die Taille gebunden lies etwas von ihrer Figur erahnen.
Sie nahm einen Kerzenhalter in die Hand und löschte die restlichen Lichter.
Im Wohnraum wurde sie von ihrer Mutter empfangen die glücklich strahlte.
„ Du wirst es nicht glauben, aber Unáhnaár hat nur lobende Worte für die Stoffe übrig gehabt und dass ich so schnell fertig war wollte er auch nicht glauben.“ Selig lächelnd blickte sie vor sich ihn.
„ Vielleicht bekomme ich ja jetzt mehr Aufträge. Wäre das nicht toll.“
Vor sich hinsummend nahm sie eine große Pfanne und stellte sie auf die heißen Steine über der Feuerstelle. Wenn es nach Nasihá ginge, sollte alles so bleiben wie es war, denn so konnte sie ihr Leben so weiterführen wie bisher.
Wenn ihre Mutter jedoch mehr Aufträge bekommen sollte, hieß es winke, winke schönes Leben.
Sie müsste ihr dann helfen zu weben.
Eine monotone Arbeit, die zum einschlafen war. Klar wünschte sie sich, dass ihre Mutter mehr Beschäftigung hatte, die ihr Können und Geschick forderten, aber bitte soviel, dass Nasihá nicht helfen brauchte.
Klang egoistisch und faul, naja, war es vielleicht auch, aber das konnte sie nicht ändern.
Mit den Schultern zuckend half sie ihrer Mutter das Abendessen zu zubereiten.
Als alles in der Pfanne war und Nasihá das Essen mit Kräutern würzte, schaute sie kurz auf, als ihr Vater nach hause kam.
Sie registrierte den Blick ihrer Mutter. Die Augen fast zusammengekniffen, schaute sie ihren Mann misstrauisch an.
„ Wo warst du gewesen?“ fragte sie leise. Leicht schuldbewusst zuckte er zusammen.
„ Ich war mit Stohrlehr und Eremihat zusammen. Wir haben über alte Zeiten geredet, in Erinnerungen geschwelgt.“
Immer noch sah sie ihn misstrauisch an, was ihn langsam nervös machte.
„ War Wiskeih vielleicht auch da?“
„ Ähm, nur kurz, um hallo zu sagen.“
Oh Gott, ihr Vater konnte schon immer schlecht lügen und heute war er besonders miserabel. Er fing leicht
an zu schwitzen und seine Augen irrten leicht nervös umher. Oh das gab Ärger.
„ Saragán Mirtras LaWa, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht in den „Barth“ gehen.
Aber nein nie hörst du auf mich.
Ich dulde das nicht mehr. Absofort bist du pünktlich zum Abendessen zu hause und wehe wenn nicht, dann kannst du dein blaues Wunder erleben.“
Fasziniert sah Nasihá ihre Mutter an.
Man oh man, so sauer war sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.
Das letzte mal als eine Sängerin das Dorf besucht hatte und alle Männer ihr wie treudoofe Schafe hinterher liefen.
Nasihá und ihre Freunde fanden es amüsant, denn wenn man um die Schlafenszeit durch die Straßen lief, konnte man vor den Häusern Decken entdecken unter denen sich die Männer vor der Kälte zu verbergen versuchten.
Jede Frau hatte ihrem Mann verboten das Haus zu betreten.
Ihre Mutter sah damals genauso aus, wie heute.
Die Arme an die Seiten gestützt, ihr Busen bebte vom heftigem atmen und ihre Augen funkelten sehr böse. Wenn sie könnte, würde sie Feuer speien, aber leider
konnte sie es nicht, oder besser gesagt zum Glück nicht. Ihr Vater wurde immer kleiner.
„ Aber Liebling ich…. “ weiter kam er nicht.
„ Kein aber und erst recht kein Liebling. Du verbringst die Nacht vor der Tür und wehe du gibst einen Mucks, denn dann werden es zwei Nächte.“
Der Zeigefinger der auf ihn gerichtet war, zeigte nun auf die Tür.
Es war nicht schwer zu erraten, wer in diesem Haus die Hosen anhatte und das war bestimmt nicht ihr Vater. Es gab auch keine Widerworte.
Ein letzter sehnsüchtiger Blick auf das Essen und er schlurfte wie ein gescholtener Hund mit hängenden schultern nach draußen. Nasihá tat ihr Vater leid.
Okay er wusste das er nicht in den Barth gehen sollte, aber für die Männer gab es nicht viel zu tun und ein Besuch in der Kneipe war eine willkommene Ablenkung.
Still nahmen sie ihr Essen zu sich und mit einem tiefen Seufzer stand ihre Mutter auf und räumte den Tisch ab. „ Geh schlafen Kleines, morgen wird es ein langer anstrengender Tag werden.“
Sanft lächelte sie Nasihá an und schubste sie vorsichtig in ihren Schlafraum. Er war nicht groß und bestand nur aus einem großen
breiten Bett, einer Kommode für ihre Kleidung, einen Stuhl mit Tisch, auf dem Nasihá ihre Gedanken auf Papier brachte und zwei Regalen mit allem möglichen wie Bücher, Schatullen, Steinen, Kristallen und vielem mehr darauf.
Das besondere an diesem Zimmer war das zwei Wände fast nur aus großen Fenstern bestanden, die das Licht hereinließen.
Müde warf sie sich auf das Bett und zog sich umständlich aus.
Warf ihre Tunika auf den Stuhl und gähnte laut und herzhaft. Allerdings blieb sie wach und lauschte.
Sie hörte ihre Mutter noch im Wohnraum hantieren und kurz darauf in ihrem Schlafraum.
Jetzt lauschte sie noch angespannter und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie die leisen Schnarchgeräusche hörte.
Vorsichtig stand sie auf und betrat den Wohnraum. Dort nahm sie eine Schüssel und schöpfte etwas Suppe hinein.
Dann schlich sie zur Eingangstür, öffnete sie und schaute sich suchend nach ihrem Vater um. Sie entdeckte ihn unter einer Eiche, die neben dem Brombeerstrauch stand.
Ihr Lieblingsplatz, denn hier saß sie viel, las Bücher oder beobachtete den Himmel.
Oft mit ihrem Vater zusammen.
Sie ging neben ihn in die Knie und berührte sanft seine Schulter.
Langsam drehte er sich um und blickte seine Tochter erstaunt an.
„ Was machst du denn hier?“ flüsterte er leise, aus Angst seine Frau könnte es hören. Nasihá hob die Schüssel vor seine Nase.
„ Ich bring dir was zu esse. Mom hat dich doch ohne Essen vor die Tür geschickt und ich weiß, das du fast den ganzen Tag nichts gegessen hast.“
Voller Liebe sah sie ihren Vater an.
„ Du weißt doch das sie es nicht mag wenn du ins Barth gehst, warum tust du es doch. Beziehungsweise stell dich schlauer beim lügen an.“
Sie setzte sich neben ihren Vater auf das Gras, lehnte sich an den Baumstamm und beobachtete ihren Vater wie er das Essen verschlang.
„ Du weißt dass ich nicht lügen kann. Ich schaff das nicht, “ meinte er mit voll gestopftem Mund.
„ Mmmh okay lügen kannst du wirklich nicht, aber was ist wenn du die Wahrheit ein wenig änderst.
Hättest doch sagen können das ihr bei Eremihat zu hause ward, oder bei Stohrlehr.
Ja bei Stohrlehr, dort riecht es fast genauso schlimm wie in der Kneipe.
Ihr ward alle zusammen gewesen nur der Ort wäre ein anderer.
Versuch es doch das nächste Mal, denn nicht mehr lange und der erste Schnee fällt.“
Ihr Vater war fertig mit dem Essen und saß nun neben ihr, die Schüssel auf dem Boden etwas abseits stehend.
„ Ich weiß, hab es ja auch mal probiert, aber ich schaff es nicht.“
Leicht verärgert schüttelte Nasihá den Kopf.
Ihr Vater hatte so gut wie kein Rückrad.
Er war sehr beliebt und viele baten ihn um Hilfe, aber wenn es um wichtige Sachen ging und Entscheidungen getroffen werden mussten, fragte man ihn nie.
Es interessierte ihn auch nicht besonders, denn er war zu gutmütig und sehr einfach gestrickt.
Beide starrten stumm zu den Sternen hinauf. Nasihá liebte den Nachthimmel.
Der Gedanke das er unendlich sein sollte und der Planet auf dem sie lebten einer von unendlich vielen sein sollte flößte ihr einen Heidenrespekt ein.
Es gab Gegenden die sahen diese These als Blasphemie an, denn Mah Ehrdheé hat nur diesen Planeten erschaffen und mit ihm waren die Menschen die höchste Lebensform die es jemals gegeben hat. Da half es auch nicht dass der Wissenschaftsstab des Königs diese These veröffentlicht hat.
Dieser Stab bestand aus hunderten von Gelehrten die sich mit all dem beschäftigten was unerklärlich war oder was Neugierde hervorrief.
In der Hauptstadt hatten sie ihren eigenen Bezirk.
Dort gab es vieles unbekannte zu entdecken.
Noch nie war Nasihá dort gewesen, aber mit großen staunenden Augen hörte sie zu, wenn Eremihat von all den Wundern erzählte die er dort gesehen hat. Seufzend wünschte sie sich auch einmal durch die Straßen des Wissens und Forscherbezirkes zu gehen. Die Augen leicht geschlossen sah sie verträumt zum Nachthimmel.
Einmal im Jahr für ein paar Wochen sah man den silbernen Schweif am Firmament.
Das war eine Ansammlung von Sternen wie ihr Vater ihr einmal erzählt hatte, als sie noch klein war.
Er hieß der silberne Fluss im Volksmund. Man erzählte sich das die Göttin der Schöpfung in ihm bade. Nachdem sie einige Zeit zusammen unter dem Baum lagen, entschloss sich Nasihá aufzustehen und ins Bett zu gehen.
Sie gab ihrem Vater einen liebevollen Kuss auf die Wange und bekam einen auf ihre Stirn zurück.
„ Ich wünsche dir eine schöne Nacht und möge die Göttin über dich wachen, Vater;“ meinte sie leise und nahm die Schüssel mit zurück ins Haus.
Sie wusste das er nicht frieren würde, denn die Nächte im Sommer kühlten nicht ab und außerdem gab es hier keine gefährlichen Tiere, es sei denn man zählte Mücken und andere solcher Plagen dazu, dann ja.
Nasihá wusch leise die Schüssel ab und stellte sie getrocknet ins Regal.
Auf Zehenspitzen schlich sie sich am Elternschlafraum vorbei und legte sich wohlig seufzend in ihr Bett.
Sie hatte noch nicht mal einen Gedanken zu ende gedacht, als sie schon tief und fest schlief.


Kapitel II

Erschrocken wachte Nasihá auf, sah sich im Zimmer um, aber konnte nichts entdecken. Was war da, wer war das. Im Traum hatte jemand nach ihr gerufen und versucht sie zu wecken.
Sie spürte immer noch die Finger an ihrem rechten Oberarm und tastete die Stelle ab. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass es noch sehr früh am morgen war, denn die Vögel und Tiere schliefen noch.
Aber Nasihá konnte nicht mehr an Schlaf denken, stand aber trotzdem nicht auf.
Allerdings wuchs ihre innere Unruhe und etwas in ihr verlangte danach an den See zu gehen. Also schwang sie die Beine aus dem Bett, zog sich die Tunika über und verließ leise das Haus.
Grinsend hörte sie ihren Vater schnarchen, auch leichte Schmatzgeräusche waren zu hören. Das hieß also, dass er vom Essen träumte.
Nasihá hatte einmal ein Gespräch der Dorffrauen belauscht. Dort hatten sie sich über ihre Männer und deren Gewohnheiten ausgelassen. Wenn es stimmte was Mama da erzählte, dann tat er dies fast jede Nacht. Dabei bekam er viel und gutes Essen vorgesetzt, denn Mama zählte zu den besten Köchinnen im Dorf. Die Monde zeigten Nasihá den Weg zum See und bald schon stand sie vor ihm. Schnell zog sie sich aus und sprang vom vorstehenden Baum ins Wasser. Sie öffnete die Augen unter Wasser und sah sich um. Obwohl es dunkel war, schimmerte die Säule mit den Kristallen leicht bläulich.
Mit raschen Zügen schwamm sie auf sie zu. Nasihá erreichte die Grotte stieg aus dem Wasser und wanderte zwischen den Kristallsäulen hindurch und legte sich auf den Boden, der überraschend warm war und beobachtete das Lichtspiel des Wassers an der Decke der Grotte.
Langsam fielen ihr die Augen zu und kurz darauf war sie eingeschlafen, wobei die sanften Klänge die sie schon am Vormittag gehört hatte, ihren Teil dazu beitrugen. Traumlos schlief sie, bis sie langsam durch das tropfen von Wasser aufwachte. Gähnend streckte sie sich. So gut hatte sie schon lange nicht mehr geschlafen. Leicht benommen stand sie auf und berührte den Kristall in dem sie das Mädchen gesehen hatte. Er war warm und fühlte sich samtweich an. Sie hatte kein Zeitgefühl, aber langsam drängte es sie nach hause zu gehen. Vorsichtig stieg sie ins Wasser, denn es war kalt und sie wollte keinen Schock bekommen.
Trotzdem zog sie die Luft ein, denn nach dem aufstehen war es besonders kalt, aber es belebte sie und nun war sie wirklich vollkommen munter. Zügig schwamm sie an die Oberfläche, hin zum Ufer und nahm ihre Sachen.
Unterwegs trocknete die Sonne ihre nasse Haut und das Unterkleid. Bevor sie den Wald verlassen hatte, konnte sie schon ihr Überkleid anziehen. Schnell band sie den Gürtel um und machte sich auf den Weg zu den Getreidefeldern.
Denn so hoch wie die Sonne stand, waren alle schon dort und für Nasihá gab es kein Frühstück mehr. Seufzend dachte sie an das leckere Essen, denn ihr Magen knurrte wie auf Kommando.
„Später“, vertröstete sie ihn leise und sah leicht bedauerlich auf ihren Bauch.
In Gedanken versunken erreichte sie die Felder und blickte misstrauisch und überrascht zu ihnen hin. Unheimlich war die Stille.
Sie bemerkte auch, dass kein Vogel und kein Insekt zu hören war. Niemand befand sich auf den Feldern. Hatte sie sich geirrt? War vielleicht morgen erst der Erntebeginn? Grübelnd überlegte sie und starrte weiterhin auf das goldene Korn. Nein, heute war der erste Tag, denn sie hatten gestern noch über den heutigen Beginn gesprochen. Aber wo waren dann die Dorfbewohner? Warum war keiner hier? Sie beschloss schnell ins Dorf zu gehen, denn wenn der Erntebeginn nicht stattfand musste etwas Schlimmes passiert sein.
Sie lief den weg Richtung Dorf, als sie einen dunklen Schatten bemerkte. Stirnrunzelnd blieb sie stehen und starrte auf den Fleck. Sie konnte nichts mit ihm anfangen, er gehörte nicht dahin. Was also war es? Plötzlich riss sie die Augen auf, bei dem Gedanken der sie durchfuhr.
Nein, das durfte nicht wahr sein, dachte sie und rannte durch das Getreidefeld, auf den Fleck zu. Vor ihn stoppte sie und drehte sich im Kreis. Das Getreide war spiralförmig verbrannt, wie Narben zogen sie sich zum Krater hin und verschwanden dann in ihm. Teilweise sahen sie aus wie blutrote Adern. Je näher sie dem Loch kam umso mehr bemerkte sie ein pulsieren unter ihren Füßen. Sie kniete sich nieder und berührte die rote, verbrannte Erde. Warm fühlte sie sich an und, stellte sie überrascht fest, sie pulsierte. Schnell ließ sie sie wieder fallen und stand auf. Vorsichtig beugte sie sich über den Krater, aber zog schnell den Kopf wieder zurück.
Das pulsieren war dort sehr intensiv und tat in ihren Ohren weh. In Gedanken versunken ging sie weg vom Krater, in Richtung Dorf. Dorthin wurden ihre Schritte immer schneller. Zum Schluss rannte sie. Ihr war eingefallen, was sie in der Kneipe belauscht hatte. Sobald solch ein Krater auftauchte, verschwanden Menschen aus dem Umfeld. Ihr Dorf war das einzige und das würde heißen…., nein sie sprach den Gedanken gar nicht erst aus, denn schon jetzt hatte sie Angst, denn das Gefühl reichte aus, ihr Herz so heftig schlagen zu lassen, das es weh tat.
Da, da war das Dorf. Rauch stieg aus den Essen, das hieß, das die Dorfbewohner wohl auf waren. Aber als Nasihá in den Ort kam bemerkte sie die unheimliche Stille. Meine Eltern, blitze es in ihren Gedanken auf und rannte zum Haus.
„ Mom? Dad?“, rief sie schon, noch bevor sie die Haustür geöffnet hatte. Nichts regte sich in ihrem Heim. Sie rannte durch alle Zimmer, aber nichts, rein gar nichts, war von ihren Eltern zu sehen. Schluchzend lief sie auf die Straße vor ihrem Haus und drehte sich rastlos in alle Richtungen.
Verzweifelt fuhr sie sich durch die Haare. Keiner war zu sehen. Rufend lief sie durch das Dorf. Weder ihre Freunde, Eltern oder irgendjemand anderes antwortete ihr, trat auf die Strasse. Schluchzend drehte sie sich auf dem Dorfplatz im Kreis. Alle fünf Strassen waren leer. Was sollte sie nun tun? Wohin sollte sie jetzt gehen? Ihr Blick blieb am Tempel hängen. Hoffnung regte sich in ihr, vielleicht waren ja dort noch welche.
So schnell sie ihre Beine trugen, rannte sie den geschwungenen Weg entlang hinauf zum Tempel. Dort auf einer Anhöhe stand er, schlicht aus weißem Stein gebaut, von zwanzig Säulen umgeben, das halbe Dach aus blauem Glas. Das Einzig aufwendige, war die aus Schneebäumen geschnitzte weiße Tür. Blumenornamente, Vögel, Insekten schmückten sie, das Tor ins Reich der Göttin „Ashlareé no Werid“ nannte man es. Aber Nasihá achtete nicht darauf, nicht diesmal, denn ihre Angst war zu hoch. Sie riss die beiden Flügeltüren auf und trat ein. Ihre Schritte hallten
wieder in den schmucklosen Tempel. Der Boden war rot und die Wände strahlten in einem warmen gelb – orange. Die Decke hatte einen herrlichen azurfarbenden Ton. Die Säulen kreuzten sich zu einem Kreuzgewölbe, das wie die Säulen weiß war.
An den Wänden in Nischen eingelassene Bögen standen kleine Sträuße mit verschiedenen Blumen. Der Duft war berauschend, aber Nasihá nahm ihn nicht wahr.
Vor ihr erstreckte sich der Altar, wo der Priester seine Gebete zur Göttin der Schöpfung hielt. Hinter ihm stand eine Statue die fast die gesamte Höhe des Tempels einnahm.
Ein Abbild der Göttin. Aus edelstem weißem Stein gehauen, mit fließenden Gewändern und einem gütigen Blick auf ihre ausgestreckten Hände in denen sie eine wunderschöne blaue Kugel hielt die je nach Lichteinfall strahlte und leuchtete. Sie symbolisierte den Planeten Gaia.
Diese Statue war ein Meisterwerk der Bildhauerei wie sie jedes Mal bewundernd feststellte, aber heute war es ihr egal, heute zählte für sie etwas anderes. Keuchend stand sie vor dem Altar, drehte sich in alle Richtungen und rief nach ihren Eltern.
Ein schabendes Geräusch lies sie in Richtung Altar umdrehen.
Ein weißer Haarschopf kam zum Vorschein. Erleichtert stellte sie fest, dass es der Dorfälteste war. Es bestand Hoffnung das es auch noch andere gab die sich hier in der Krypta versteckt hatten. Nach ein paar Minuten befanden sich an die dreißig Menschen im Tempel. Wo war der Rest fragte sie sich. Hielt Ausschau nach ihren Eltern und Freunden. Aber keiner war zu sehen.
Vielleicht befanden sie sich woanders.
Nasihá ging auf den Dorfältesten zu und sprach ihn an.
„ Was ist passiert“, fragte Nasihá leise.
„ Ich weiß es nicht.“ Fassungslos schüttelte er den Kopf.
„ Heute Morgen, als ich ins Dorf kam, wunderte ich mich über die Stille. Ken Vogel sang und der Wind hielt den Atem an.
Die Dorfbewohner die für die Getreideernte eingeplant waren, befanden sich nicht auf dem Dorfplatz.
Das Etwas passiert sein könnte kam mir erst nicht in den Sinn, ich dacht nur das ich zu früh sei. Aber als dann, nach einiger Zeit sich immer noch keiner eingefunden hatte, wurde ich unruhig.
Suchend rannte ich durch die Straßen, klopfte an verschiedene Türen, aber keiner öffnete. Dann kam mir Sirgundh entgegen sie hatte panische Angst. Ihre Kinder waren nicht da. Viele andere Dorfbewohner fanden sich nun ein und erzählten, dass sie aufgewacht waren oder ihre Familie wecken wollten, aber keiner da war.
Einfach verschwunden. Bei einigen stand das Essen noch auf dem Herd. Wir beschlossen in jedem Haus nachzusehen.“
Leise seufzte er.
„Viele Häuser fanden wir verlassen vor. In den wenigen anderen fanden wir die jüngsten noch schlafen. Wir alle suchten in der Krypta Schutz, wenn noch einmal einige verschwinden sollten.“
Müde rieb er sich die Augen und fuhr fort zu erzählen.
„Kurz bevor wir das Dorf verließen hörten wir einen unheimlichen Klagelaut. Er fuhr uns bis ins Innerste und ließ alles gefrieren. Dazu kam ein Windhauch, der in unser innerstes eindrang und das Gefühl gab, uns unsere Seele mitnehmen zu wollen.“
Ruhig hörte Nasihá mit. Beim letzten Satz wurde sie unruhig. Sie kannte das Gefühl. Gestern als sie auf dem kleinen Hügel saß. Dort hatte sie dieselbe Erfahrung gemacht.
Die Gedanken wirbelten umher.
Blicklos sah sie sich um, tief in Gedanken.
Was wäre mit ihr passiert, wenn sie nicht aufgewacht wäre und in die Grotte gegangen wäre. Würde sie nun hier sitzen oder würde man sie auch vermissen. Am Alter kann es nicht gelegen haben, denn als sie über die restlichen Dorfbewohner ihren Blick schweifen lies, stellte sie fest, dass jede Altersgruppe vorhanden war. Zwar befanden sich viele Alte und sehr junge unter ihnen, aber auch in ihrem Alter waren noch welche da. Seufzend stand sie auf. Fahrig fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar.
Was nun?
Was sollte nun geschehen?
Was war genau passiert?
Wo befanden sich die verschwundenen?
Solche und viele andere Gedanken und Fragen spukten ihr durch den Kopf.
Sie half dem Dorfältesten auf und stützte ihn, als er langsam zum Ausgang des Tempels ging. Wie ein Trauerzug folgen ihnen die anderen Dorfbewohner. Keiner sprach, alle waren stumm, von dem was sie erlebt hatten. Jeder hatte Familienmitglieder verloren, oder dachten an jene Familien die komplett ausgelöscht waren.
Nasihá geleitete den Dorfältesten und konnte sich des Gedanken nicht erwehren, warum sie genau zu diesem Zeitpunkt in der Grotte war.
War es Zufall, oder musste es so sein. Sie erinnerte sich an das Gefühl geweckt worden zu sein und dem Zwang in die Kristallgrotte zu gehen. Das war kein Zufall, aber wer wollte das sie nicht im Dorf war, als das Unglück sie alle heimgesuchte.
Ein seufzen riss sie aus ihren Gedanken. Überrascht blinzelte sie.
Sie stand im Gemeindehaus.
Irritiert blickte sie sich um. Anscheinend war sie so in Gedanken versunken gewesen, dass sie den Weg nicht bemerkt hatte.
Der große bequeme Stuhl am Ende des Raumes war dem Dorfältesten vorbehalten. Dorthin begleitete sie ihn. Vorsichtig und mit einem tiefen Seufzer ließ er sich nieder.
So zerbrechlich hatte Nasihá ihn noch nie gesehen. Sie kannte ihn nur lächelnd, immer mit einem Scherz auf den Lippen. Tatkräftig konnte er trotzt seiner 87 Jahre zugreifen. Uns selbst bei dem Tod seiner Familie, war er nie so.
Gebrochen.
Ihr Herz tat weh, wenn sie ihn so sah. Es war noch nicht einmal so lange her, da jagte er sie durch das Dorf, als er sie bei Streichen erwischt hatte. Sein Lachen war überall zu hören.
Doch nun, erinnerte nichts mehr an diesen Mann.
Wehmütig ließ sie ihren Blick über die restlichen Dorfbewohner gleiten. Registrierte jedes vertraute Gesicht, doch dann blieb ihr Herz fast stehen um anschließend rasend schnell zu schlagen.
Zwischen den vielen bekannten Gesichtern fehlten die wichtigsten. Die ihrer Eltern und Freunde. Ihr Blick irrte umher. Vielleicht hatte sie doch noch ein paar übersehen. Aber nach mehreren umherirrenden Blicken, kam die Gewissheit, ihre Familie und ihre Freunde waren nicht da.
Ihre Beine gaben nach und sie sackte auf den kalten Boden des Gemeindehauses. Es war, als ob ihr Herz stehen geblieben wäre, eingefroren beim letzten Schlag um dann mit Schmerzen weiter zuschlagen.
Hinter ihren geschlossenen Augen brannten heiß die Tränen und sie musste sich zwingen zu atmen. Irgendetwas umklammerte sie. Etwas das sich schwer beschreiben ließ. Angst, Schmerz, Trauer, Kummer, Sehnsucht, Hoffnung und Schuldgefühle. Alles stürzte sie in ein Chaos.
Ein Schluchzer riss sie aus ihrem Chaos. Tränen rannen unaufhaltsam über ihr Gesicht, ließen sich nicht stoppen.
Eine warme Hand legte sich auf ihre Schulter. Ein Blick nachoben zeigte, das sich der Dorfälteste aus seinem Stuhl erhoben hatte und tröstend zu ihr hinunterblickte.
Nasihá wusste nicht ob es das war was sie wollte. Einerseits freute sie sich darüber, aber anderseits wollte sie alleingelassen werden mit ihrem Gefühlschaos. In einer Ecke sitzen und über nichts nachdenken. Vergessen das ihre Eltern und Freunde verschwunden waren. Wieder krampfte sich das Herz bei diesen Gedanken zusammen.
Aber sie war nicht die Einzige die hier viel verloren hatte. Ein Blick über die kleine Gruppe, ließ viel Verstörtheit, Trauer, Verzweiflung und vieles mehr erkennen. Genau dasselbe was sie, Nasihá, empfand. Seufzend und schwer rappelte sie sich auf und ging zu einer Gruppe älterer Frauen, die sich um die Kleinen kümmerten, die weinend nach ihren Müttern oder Vätern riefen.
Die nächsten Stunden war sie damit beschäftigt die Kleinen zu beruhigen und abzulenken.
Obwohl sie sehr gut mit Kinder umgehen konnte fiel es ihr heute schwer.
Auch wenn die Kinder nichts verstanden, wussten sie instinktiv dass etwas geschehen war und ihre Eltern nicht da waren.
Völlig erschöpft deckte sie den kleinen Mehard zu, der vor Erschöpfung vom vielen weinen eingeschlafen war.
Sanft und vorsichtig strich sie ihm über die heißen, roten, tränennassen Wangen und erhob sich.
Alle anderen Kinder schliefen schon, stellte sie nach einem Blick fest.
Von den Erwachsenen war nur wenig zu sehen, nur die, die auf die Kleinen aufpassten.
Die anderen befanden sich im Nebenraum um die Kinder schlafen zu lassen. Unentschlossen ob sie hier bleiben oder zu den anderen gehen sollte blieb sie stehen und ließ ihren Blick zwischen der Tür und den Kindern hin und her gleiten.
Die Entscheidung wurde ihr abgenommen, als die Tür sich leise öffnete und Stohrlehr sie hereinwinkte.
Leise schritt sie zwischen den improvisierten Betten hindurch und blinzelte als sie vom dunklen Raum in den hellen trat.
Überall waren Kerzen angezündet. Auf den paar Stühlen die im kleinen Raum vorhanden waren, saßen die Ältesten des Dorfes. Alle anderen standen an den Wänden gelehnt. Die Jüngsten saßen auf dem Holzfußboden.
In diesem Raum war sie noch nie gewesen. Er war allein dem Dorfältesten vorbehalten.
Aus hellem Holz geschreinert, standen hier raumhohe Regale, voll mit Büchern und Schriftrollen. Sie nahmen fast zwei Wände komplett ein. Vor dem großen Fenster stand ein Tisch mit Schnitzereien. Die Federn und das Tintenfässchen zeigten, das dies sein Arbeitsplatz war. Vitrinen, hinter denen kostbare, wichtige Bücher und Schriftrollen verschlossen waren, nahmen den Rest des Raumes ein, außer für einen Kamin ließen sie noch platz.
Der Geruch von gedrucktem, altem Papier hing in der Luft, mischte sich mit dem Ruß der Kerzen. Als sie eintrat sah keiner auf. Alle saßen schweigend da, hingen in ihrer Gedankenwelt. Nur der Dorfälteste blickte Nasihá an und scheiterte kläglich an einem Lächeln. Sich zwischen den Menschen hindurchbewegend setzte sie sich neben dem Dorfältesten auf den Boden. Still beobachtete sie die Dorfbewohner. Sah sich ihre Minen an, versuchte aus ihnen zu lesen. Manche starrten mit leerem Blick auf einen Punkt, andere wiederum ließen sich eine Vielzahl von Gefühlen ablesen.
Fasziniert starrte sie diese Leute an.
Überrascht zuckte sie zusammen, als sich der Dorfälteste neben ihr räusperte. Alle Blicke im Raum flogen zu ihm. Mit leiser Stimme, man musste sich anstrengen zu zuhören, sprach er.
„Was heute, hier im Dorf geschehen ist, ist sehr tragisch für uns. Viele unserer Familien sind entzweit, oder verschwunden. Jeder wird sich um den Nachwuchs in unserer Mitte kümmern. Ihnen das Gefühl geben nicht allein zu sein.
Außerdem werden wir für die vermissten morgen einen Gebetspala abhalten um….“
Wütend wurde er unterbrochen.
„Einen Gebetspala? Sie sind verschwunden nicht tot. Es ist unerhört überhaupt daran zu denken, dass sie alle tot sind. Wir müssen sie suchen, Ausschau nach ihnen halten und hoffen das sie zurückkommen.“ Sedamáhar war aufgesprungen und funkelte den Dorfältesten empört an. Überrascht sahen ihn alle an. Noch nie war er wütend geworden, egal was passiert war, oder wie schlimm. Aber man konnte es ihm nicht verübeln. Außer ihm war niemand mehr von seiner Familie da. Seine Frau, seine vier Kinder und seine Eltern waren unter denen die vermisst wurden.
Barbusla, eine der ältesten Frauen legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Sedamáhar, beruhige dich, es br…“
„Ich soll mich beruhigen? Meine Familie, sowie viele andere aus unserem Dorf sind verschwunden, einfach so, ohne Vorwahrnung und wir sitzen hier, drehen Däumchen, reden über ein Gebetspala. Da kann man nicht ruhig bleiben.“
Er atmete schnell, so aufgebracht war er.
Ohne mit der Wimper zu zucken, drückte sie ihn auf den Stuhl zurück auf dem er gesessen hatte.
„Was bringt es dir dich aufzuregen. So kommt deine Familie auch nicht zurück. Jeder hier ist wütend und verlangt Antworten, die wir aber nicht geben können. Niemand kennt sie. Lass uns in Ruhe über eine Lösung nachdenken. Ein kühler Kopf weiß mehr als ein hitziger.“
Ruhig sprach sie zu ihm, aber jeder wusste dass diese Worte auch an alle anderen gerichtet waren.
Sie gab ihm einen Klaps auf den Oberarm, als sie zu ende sprach.
„Und bitte, unterbrich Unáhanár nicht. Das gehört sich nicht. Lass ihn aussprechen und gib danach deine Meinung preis.“
Leise nuschelte er eine Entschuldigung und blickte wieder auf den Dorfältesten.
Als ob nichts geschehen sei fuhr er fort.
„Wir werden morgen einen Gebetspala halten, um unsere Hoffnungen an die Göttin weiter zuschicken, dass unsere Familien wohlbehalten zu uns zurückkehren.
Wir werden auch einen Boten zum König schicken, damit er erfährt was hier geschehen ist.
Selbst nach unseren Freunden zu suchen wird nichts bringen, denn jedes Dorf, oder Stadt, die dass gleiche Schicksal ereilt hat, sucht heute noch nach den missten, ohne jeden Erfolg.
Wenn es euch beruhigt, können ein paar unserer Männer sich auf die Suche begeben, aber bedenkt, jeder der sich der Gruppe anschließt, die unsere Angehörigen sucht, wird hier fehlen.
Wir werden angreifbar sein. Der Schutz und die Unterstützung werden fehlen. Wir sind zum größten Teil älter oder sehr junge Zurückgebliebene. Was geschieht, wenn wir noch einmal mit dem Unbekannten konfrontiert werden. Keiner wird uns dann unterstützen. Zwingen kann ich keinen hier zu bleiben, aber überlegt es euch gut.“
Sofort, nach dem er seine Worte an die Dorfbewohner beendet hatte, fing ein durcheinander an. Alle diskutierten, was nun zu tun sei. Was am wichtigsten war. Der Dorfälteste saß da, die Finger ineinander verschränkt und beobachtete still.
Einer saß auch still da, lauschte den Gesprächen. Eremihat.
Ruhig, als ob es ihn nichts anginge, saß er auf einem Stuhl etwas abseits. Nasihá betrachtete ihn. Ehrfurcht, Respekt und ein bisschen Angst rumorten in ihrem Bauch, wenn sie an ihn dachte. Er war noch viel älter als der Dorfälteste. Keiner wusste sein wahres Alter, nur das er schon da war, als der Dorfälteste noch ein Kind war. Er lebte etwas abseits des Dorfes, in einem kleinen Wald. Obwohl Wald zuviel gesagt war. Als Nasihá das letzte Mal die Bäume gezählt hatte mit ihren Freunden, waren es fast dreißig Stück. Die Zahl änderte sich ständig. Immer kamen ein paar neue dazu. Einfach so, als ob sie schon immer da gestanden hätten. Ihr Blick traf sich mit dem von Eremihat, aber sie wollte sich keine Blöße geben. Daher blickte sie ihn an und nickte leicht. Kühl und gelassen sah sie aus, aber ihr herz raste. Warum eigentlich?
Er tat ihr nichts, war immer freundlich zu ihr. Aber trotzdem, etwas angst blieb.
„Es wird nicht noch einmal geschehen, nicht in diesem Dorf.“
Rau, brüchig hörte sich seine Stimme an, als ob er seit langem wieder, die ersten Worte sprach
Es wurde still. Alle sahen ihn überrascht an. Viele bemerkten ihn erst jetzt.
„Warum meinst du, dass wir nicht noch einmal heimgesucht werden“, warf einer der Anwesenden in den Raum.
„Weil, was immer es war, was uns hier passierte, schon alle mitnahm die es brauchte.
In keiner anderen Gemeinde, passierte das Geschehen zweimal.
Alle die nützlich waren“, er hob die Hände abwehrend als manche den Mund öffneten um Proteste und Fragen kundzutun, „für was auch immer, wurden geholt. In den Dörfern in denen es war, sind wie hier wahllos Menschen verschwunden. Es gab kein Schema, das erklären würde warum sowohl Ältere sowie Kleinkinder nach den Zeichen verschollen sind.
Wie Unáhanár schon sagte, wir werden ein Boten in die Hauptstadt schicken, damit er den Herrscher Bericht erstatten kann.“
Damit gab er das Wort an den obersten des Dorfes zurück.
Dieser nickte und blickte in die Runde.
„Gut. Nach dieser Meldung sollten wir schnell einen Boten schicken.
Aber bevor wir das tun“, er machte eine kurze Pause, „gehen die jungen bitte schlafen. Es war ein langer anstrengender Tag.“
Ohne zu protestieren oder zu murren, standen sieben Jugendliche auf unter denen sich auch Nasihá befand.
Sie wurden von zwei Erwachsenen begleitet, zu ihren Schlafstätten. Sie warteten so lange bis jeder von ihnen unter einer Decke lag. Danach gingen sie zurück zu den anderen im Raum nebenan.
Die sieben warteten ein paar Minuten und lauschten. Doch so sehr sie sich anstrengten, kein Wort drang vom Zimmer neben an zu ihnen.
Es war noch nicht viel zeit vergangen, als leise Atemgeräusche, die dem Schlaf gehörten, den Raum erfüllten. Nasihá konnte nicht schlafen. So sehr sie es auch versuchte, es klappte nicht. Immer wenn sie die Augen schloss sah sie das leere Dorf und ihr leeres zuhause.
Hunderte von Gedanken spukten durch ihren Kopf. Aber fassen konnte sie keinen.
„Nasihá, schläfst du schon“, flüsterte eine Stimme neben ihr. Aus den Gedanken gerissen, drehte sie sich nach rechts und blickte Masúlda an. Das Mondlicht spiegelte sich in ihren traurigen Augen.
„Nein“, flüsterte Nasihá zurück.
„Gut“. Erleichterung war zu hören.
„Meinst du, dass wir unsere Eltern wieder sehen können“?
Hoffnung klang in der Stimme. Nach kurzem überlegen sagte Nasihá,
„Ja“, obwohl alles in ihrem Inneren nein sagte. Ein Funken Hoffnung, oder besser gesagt ein Strohhalm, an den sie sich klammerte, war noch vorhanden. Aber das nein überwog.
„Wo könnten sie sein? Geht es ihnen gut?“
ein leises rascheln war zu hören.
„Ach, es gibt so vieles was ich wissen will, aber keiner kennt die Antwort, oder?
Ich habe gehört, dass sogar die königlichen Gelehrten überfragt sind. Das gibt wenig Hoffnung. Ich meine, das sind doch die besten Wissenschaftler die es gibt, wenn sie keine Antwort wissen, wer sollte es denn sonst.“
„Weißt du, Nasihá, “ kam es nach einem stillen Moment, „Ich wünschte ich wäre auch nicht mehr hier. Das, was unsere Eltern geholt hat, mich mitgenommen hätte.
Es ist nicht schön allein zu sein oder alle zu vermissen.“
„An so etwas darfst du gar nicht erst denken. Du bist nicht allein. Du hast noch Mehard und Anatrá. Was würden sie denken, wenn sie wüssten wie du fühlst oder denkst.
Wenn auch du nicht mehr da wärst, hätten sie auch keine Familie mehr.“
Mehard war Masúla´s kleiner Bruder, eher Stiefbruder, denn nach dem Tod ihrer Mutter hatte ihr Vater neu geheiratet. Anatrá.
Masúlda kam sich verraten vor von ihrem Vater, da er eine neue Frau genommen hattte, die Mutters Platz einnehmen wollte.
Sie hatte kein gutes Verhältnis zu Anatrá, mied sie wo sie ur konnte und sprach nur das nötigste mit ihr . auch Mehard den sie mitbrachte wurde mit Nichtachtung bedacht.
Seit zwei Jahren lebten sie nebeneinander her und ihr Vater, tja den interessierte es nicht besonders, da er in Mehard den Sohn hatte den er immer haben wollte, auch wenn er nicht sein eigener war.
„Pah…was interessiert es Anatrá wie ich mich fühle. Ihr ist es doch egal ob ich da bin oder nicht.
Wahrscheinlich wünscht sie sich, das Vater hier wäre und ich verschwunden.“
Ihre stimme war leise, aber deutlich.
Das was sie gerade gesagt hatte, hielt sie für wahr.
„Meinst du“, überlegte Nasihá.
„Ich glaube, das Anatrá bestimmt nicht diesen Gedanken hat und ihr ist es bestimmt auch nicht egal was du denkst.
Weißt du, ich denke sie würde sich freuen, wenn du auf sie zugehen würdest. Ich habe sie beobachtet. Sie mag dich. Sie blickt dich manchmal wehmütig an. Ich denke, dass es ihr wehtut, dass du sie ignorierst und beleidigst. Sie ist lieb. Sie lacht sehr viel und was auch nicht zu verachten ist, sie verwöhnt uns andere. Sie hat immer etwas Süßes für uns da. Und ihre Kekse….mmmh, die sind lecker.“
Bei den Gedanken daran schloss sie genießerisch die Augen.
„Die sind sogar besser als die von Mom.“
Leise lachte sie, welches abrupt endete, als ihr einfiel, dass sie nie wieder welche von ihrer Mutter essen konnte.
„Weißt du, geh einfach auf sie zu, sprich sie an. Du hast noch jemanden, andere nicht. Sei froh darum. Setz es nicht aufs Spiel. Nach zwei Jahren wird es zeit, dass du dich mit ihr anfreundest und jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Ihr braucht einander. Ihr vermisst jemanden der euch sehr am Herzen liegt. Gebt euch die Stütze. Versuch es einfach.
Sie kann entweder ablehnen, oder dich in ihre Arme nehmen.“
Auf der anderen Seite herrschten Stille. Dann ein leiser Seufzer.
„Vielleicht hast du recht, aber zwei Jahre sind eine lange Zeit, die man so einfach nicht überbrücken kann. Ich werde morgen zu ihnen gehen, mal sehen was passiert.“
„In solchen Momenten spielt die Zeit keine rolle, da ist man nur froh jemanden zu haben, an den man sich lehnen kann, der einen hilft über das Geschehene zu sprechen und in Erinnerungen schwelgen.
Geh, ich glaube sie wird dich mit offen Armen empfangen.“
„Danke dir Nasihá“, flüstere sie leise.
„Wofür, dankst du mir. Wegen dem gerade?
Glaub mir, dafür brauchst du dich nicht danke zu sagen.“
Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen, das man auch hörte.
„Und nun schlaf. Morgen wird ein langer Tag.“
„Ich weiß. Trotzdem danke. Ich fühl mich nun besser.“
„Schlaf gut Nasihá“, flüsterte sie leise dazu.
Nasihá drehte sich auf die andere Seite und obwohl sie dachte sie könne nicht schlafen, wache sie am nächsten Morgen ausgeruht auf.
Sie gähnte herzhaft und streckte sich. Ein Blick zeigte ihr das viele der Kinder noch schliefen.
Leise, um keinen zu wecken, stand sie auf und verließ das Gemeindehaus. Es war ungewohnt um diese Zeit nichts zu hören.
Kein Kinderlachen, kein Geschwatze der Erwachsenen und auch kein anderes alltägliches Geräusch.
Das Hämmern in der Schmiede, kein sägen in der Schreinerei und das fröhliche falsche singen von Makkuras dem Bäcker.
Alles fehlte.
Fröstelnd schlang sie die Arme um sich, obwohl es sehr warm war.
Vor dem Brunnen stand keiner. Normalerweise drängelten sich hier die Frauen um Wasser für das Essen, die Wäsche zu holen, doch nun…..
Seufzend zog sie einen Eimer mit Wasser aus dem Brunnen und nachdem sie ihr Oberkleid abgelegt hatte, wusch sie sich.
Zitternd stand sie in der Sonne. Das Wasser war wirklich kalt. Der Brunnen bildete das Zentrum des Platzes. Um ihn herum war ein flaches rundes Becken angelegt. Dieses wurde von einem etwas breiterem Weg durchbrochen. So das man an den Brunnen konnte. Das Becken hatte verschieden Zwecke. Außer im Sommer wurde es bepflanzt, mit den jeweiligen Blumen und Pflanzen die, die Göttin der Schöpfung erblühen lies.
Auch traditionelle Feste hatten ihre Blumen. Es änderte sich ständig das Bild des Platzes.
Im Sommer wurde das Becken nur einmal bepflanzt, bei dem Fest des Sonnenweges. Hier wurde es für zwei Tage keine Nacht. Die Sonne war die ganze Zeit präsent und kündete die Zeit es Hochsommers an. Was es für ein Fest war, wusste keiner mehr genau, aber es wurde trotzdem traditionell gefeiert.
Danach wurde das Becken gesäubert und mit Wasser gefüllt. Für die kleinen Kinder, die hier einen kühlen Kopf bei der Hitze bekamen.
Aber nun, Nasihá schaute zurück, als sie wieder zum Gemeindehaus ging, lag das Becken verlassen da, nur das Glitzern der Sonne im Wasser war lebendig.
Schweren Herzens betrat sie den kühlen Raum und stellte fest, das viele Kinder schon auf gewacht waren. Frauen aus dem Dorf kümmerten sich um die Kleinen. Masúlda stand am Rande des Raumes und faltete die Decken zusammen. Ihr Gesichtsausdruck war konzentriert und nachdenklich.
Sie überlegte bestimmt, wie sie den ersten Schritt machen sollte, dachte Nasihá.
Weinend kam ein Kind auf sie zugerannt.
„Nasiiiii,“ schluchzte es und klammerte sich an ihr Bein.
Goldene Locken hüpften auf und ab, bei den Schluchzern und dem Schluckauf.
Vorsichtig nahm Nasihá Syramon auf den Arm.
Er erwürgte sie fast, so fest schlang er seine Ärmchen um ihren Hals. Sie drückte ihn fest an sich und sprach leise auf ihn ein.
Syramon, war der kleine Bruder von Syroom und hatte außer seiner Großmutter keinen mehr.
Der Gedanke schmerzte. Gestern hatte sie ihn kaum bemerkt, so beschäftigt war sie gewesen. Sie sah sich im Raum um und bemerkte seine Großmutter, wie sie sich um andere kümmerte.
Seufzend drückte sie ihn noch fester an sich.
Es war kein Zufall, dass sie ihren Enkel nicht beachtete. Sie war nicht einverstanden gewesen mit der Hochzeit ihres Sohnes, also brach sie jeden Kotakt ab. Selbst jetzt in dieser Zeit, wo er als einziger aus ihrer Familie übrig geblieben war, ignorierte sie ihn.
Aber sie fand das Syramon ohne sie besser dran war.
Wenn man sich nach über 18 Jahren immer noch nicht mit der Schwiegertochter anfreunden konnte, dann hatte man kein Mitleid mehr mit dieser Person, sondern nur Unverständnis.
Aber bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, wurde sie von Syramon abgelenkt.
Den restlichen Vormittag kümmerte sie sich um ihn und andere in seinem Alter.
Warum konnten Erwachsene nicht genauso unkompliziert sein.
Ein Großteil der Erwachsenen war nicht da.
Nasihá vermutete das sie sich um die Vorbereitungen des Gebetspala kümmerten. Als es um das Mittagessen ging, musste sie auch mithelfen. Kochen und Nasihá waren zwei Welten und die passten nicht zusammen. Daher brauchte sie nur das Gemüse schälen und klein schneiden.
Seufzend starrte sie vor sich hin. Ihr fehlte das muntere Schwatzen der Frauen und das Lachen der Kinder. Es wurde nur das Nötigste gesprochen, was man verstehen konnte, denn Nasihá verspürte auch nicht die Lust sich zu unterhalten und hing lieber in ihrer Gedankenwelt.
Das Essen schmeckte nach nichts. Der letzte Tag hat alles abstumpfen lassen. In Gedanken versunken schlang sie einen Löffel nach den anderen runter.


Der Nachmittag verlief ruhig. Die Kinder schliefen und die Erwachsenen zogen sich zurück zur Beratung. Wie sie erfahren hatte, konnte man sich letzte Nacht nicht einigen.
Nasihá schaute noch mal kurz nach den Kleinen und verließ das Dorf.
Sie hatte das Bedürfnis allein zu sein und hatte daher beschlossen zum See zu gehen.
Auf einem Felsen setzte sie sich hin und blickte auf das Wasser.
Hier war alles wie immer. Die Vögel sangen, der Wind rauschte in den Baumkronen und das Sonnenlicht brach sich auf der Wasseroberfläche.
Vor zwei Tagen noch war ihre Welt heil gewesen.
Vor ihren Augen sah sie sich mit Misa, Syroom und Dahramon hier am See, dort auf der kleinen Insel liegen.
Vor ihren Augen verschwamm die Insel. Wütend, weil sie weinte, wischte sie sich die Tränen weg, aber es half nicht, sie liefen weiter. Auf einmal kam alles über sie herein.
Ihre Familie war weg und ihre Freunde.
Sie wusste nicht ob sie, sie jemals wieder sehen würde. Wusste nicht ob sie noch am leben waren. Wie es ihnen ging, ob sie litten. All das baute einen Druck in ihrem Inneren auf, der den Schmerz unerträglich machte.
Weinend barg sie ihr Gesicht in den verschränkten Armen. Keiner war mehr da, keiner.
Sie, war allein. Masúlda hatte noch jemanden, sie, Nasihá nicht.
Masu sollte sich darum kümmern mit ihrer Familie zusammenzukommen. Schluchzend saß sie allein in einer einsamen Gegend. Mitleidig dachte sie daran.
Am liebsten würde sie hier bleiben. Es brauchte sie doch keiner.
Niemand würde sie vermissen.
Entschlossen stand sie auf, zog sich aus und sprang in den See.
Der Atem stockte ihr. Wie trügerisch doch das warme Wetter und die Sonne sein konnten. Das Wasser war eiskalt. Nachdem sie tief genug Luft geholt hatte, tauchte sie unter und schwamm zur Grotte.
Sie sah genauso schön aus wie am Tag davor als sie hier war stellte sie fest, nachdem sie sich aus dem Wasser gezogen hatte.
Sie ließ sich auf einem Kristall nieder, legte sich hin und schloss die Augen. Hier fühlte sie sich wohl. Es war, als ob sie keine Probleme und Sorgen hatte.
Sie wurden einfach abgestreift. Irgendwann bemerkte sie, dass sie leise eine Melodie summte.
Nachsummen kam eher hin, da sie diese auch hörte. Friedlich und lächelnd summte sie weiter. Sie mochte diese Klänge, wenn sie den Text dazu kennen würde, würde sie mitsinge.
In ihr herrschte ein Gefühlschaos.
Glück, Freude, Liebe wirbelten durcheinander, schäumten auf.
„Anúre láderu,
chole famlur.
Masladé ah yáde mafurlá
Hadelá maralufur Anr´uar”,
Wisperte sie leise mit.
Sie kannte den Text nicht und die Bedeutung der Worte ebenso wenig, aber mitsingen konnte sie.
Die Stimme die es sang war klar, hell und warm.
Nasihá hätte stundenlang weiter hören können, doch der Gedanke nach hause ins Dorf zu gehen schlich sich ein.

Sie setzte sich auf und überlegte ob sie wirklich gehen sollte. Es vermisste sie doch niemand. Alle kamen auch ohne sie klar, sie war doch niemand.
Sie klatschte sich die Hände auf die Wangen.
„Aufwachen Nasihá, nicht so denken. Komm schon, nicht runterziehen lasse, “ sagte sie sich laut. Ihre Stimme und das klatschende Geräusch hallten leise durch die Grotte.
Sie verzog das Gesicht, autsch, dachte sie sich und rieb sich die Wangen.
„Wohl etwas zu doll geschlagen“, murmelte sie.
Als sie sich entschlossen hatte zu bleiben, spiegelte sich in einer der Kristallsäulen die Gestalt von Syramon wieder, wie er weinend zwischen den Kindern saß.
Erschrocken stand sie auf. An ihn hatte sie nicht gedacht, aber dabei brauchte er sie.
Sie beschloss so schnell wie möglich zum Dorf zurück zukehren.

Im Dorf erwartete sie Stille. Ihr Herz schlug schneller. Vielleicht kam das Phänomen zurück und hatte die anderen Bewohner geholt. Schnellen Schrittes rannte sie zum Gemeindehaus und stellte fest, dass alle am Tisch saßen und die Vorbereitungen für das Gebetspala machten. Nur in der Ecke mit verschränkten Armen saß Syramon im Schneidersitz. Seine verweinten Augen blickten sie klagend an.
Schnell sprang er auf und rannte auf sie zu. Bei ihr angekommen, trommelte er auf sie ein.
„Du warst nicht da als ich aufgewacht bin. Du hattest versprochen immer bei mir zu bleiben. Ich hatte Angst, dass du genauso wie Mama, Papa und Syr verschwunden bist."
Schniefend wischte er sich die Tränen weg.
„Ich hab doch niemanden außer dir. Du darfst nicht weggehen.“
Alle hatten den Gefühlsausbruch von Syramon mitbekommen und nun herrschte noch mehr Stille als sonst.
„Ich verspreche dir, dass ich nie mehr wegzugehen und dich allein zu lassen. Okay?
Tut mir leid, dass ich nicht da war als du aufgewacht bist, aber das passiert nicht mehr.“
Vorsichtig nahm sie ihn in die Arme und drückte ihn liebevoll. Sie bemerkte betretenes Schweigen und heimliche Blicke die unter den Erwachsenen ausgetauscht wurden.
Ihr Blick fiel auf seine Großmutter, die seelenruhig, ohne Mitgefühl zuschaute.
Diese Hexe, dachte sie, am liebsten würde ich ihr die Meinung sagen, dachte Nasihá, aber leider traute sie sich nicht, denn Syramons Großmutter war bekannt für ihre scharfe Zunge.
Daher blickte Nasihá sie verächtlich von oben bis unten an und lenkte dann ihre ganze Aufmerksamkeit den kleinen Jungen zu.
Zusammen mit ihm gestaltete sie ihr Geschenk an die Göttin.
Die Zeit verging wie im Fluge und bald standen die ersten auf und verließen mit einer leisen Verabschiedung das Gemeindehaus.
Alles in Nasihá sträubte sich dagegen sich ebenfalls auf den Weg zumachen um sich für das Gebetspala umzuziehen.

Vor ihrer Haustür blieb sie stehen. Es graute ihr sie zu öffnen. In Gedanken sah sie ihre Mutter am Herd und ihren Vater am Tisch sitzen. Aber ihr Kopf sagte ihr, dass keiner da war. Kein heimisches Feuer und keiner der summend kochte. Tief durchatmend, streckte sie die Hand aus und öffnete langsam die Tür.
Dunkelheit und kalte Luft kamen ihr entgegen, ließen sie leicht zurücktreten.
Zitternd atmete sie ein und trat durch die Tür und zündete eine Kerze auf dem Tisch an.
Die Stille war unheimlich und beklemmend.
Sie strich sanft über das Werkzeug ihres Vaters, welches über dem Esstisch verstreut war. Eine fast fertig geschnitzte Figur lag neben dem Schnitzmesser. Ein Pandreon.
Farbenprächtig schillerte er in den verschiedensten Rottönen. Wie Flammen sahen die Federn aus wenn er mit seinem Schwanz ein Rad schlug. Der Vogel war selten und scheu. Als kleines Kind hatte sie einmal ein Pandreon gesehen. Die Federspitzen schimmerten in so vielen rot Schattierungen wie Nasihá es noch nie gesehen hatte. Wie eine kleine Flammenkrone sah es aus. Es war schwer zu beschreiben denn die Erinnerungen verblassten. Fasziniert von diesem Vogel, bettelte sie so lange bis Mandarúr ihr eine wunderschöne Farbzeichnung anfertigte. Aber selbst er, der ein Meister seines Faches war, konnte das Farbspiel der Schwanzfedern nicht einfangen.
Wenn man ihr Zimmer betrat fiel es auf, das überall dieser Vogel zu sehen war. Im gewebten Teppich, der riesig gestickten Tagesdecke, den Bildern an der Wand und eine lebensgroße Wandzeichnung. Sie fiel nicht direkt auf, denn der Kleiderschrank versperrte die Sicht darauf. Vom Bett aus hatte man die perfekte Sicht. Auf einem Regal neben ihrem Tisch standen eine Vielzahl von geschnitzten Figuren. Alles Pandreons in verschiedenen Positionen.
Seufzend legte sie die halbfertige Figur zurück und ging in ihr Zimmer. Schniefend zog sie ihr langes dunkelgrünes Kleid heraus. Es war mit silberner Spitze versetzt und hatte komplizierte silberne Stickereien mit vereinzelten Perlen.
Das Oberteil lang eng an und hatte einen hochgeschlossen Kragen. Die Ärmel fielen ab den Ellenbogen weit und locker nach unten und berührten fast den Boden.
Der Rock fiel fließend, bauschte sich bei jedem Schritt und ließ dadurch die Stickereien vorne und hinten blitzen.
Eine silberne Spitzenschärpe locker um die Taille gebunden, vervollständigte das Outfit.
Die Perlen in den Stickereien waren der einzige Schmuck.
Die Haare steckte sie sich hoch, was gar nicht so einfach war, denn sonst hatte dies immer ihre Mutter getan. Ihre Arme schmerzten schon vom hochheben, aber gleich war sie ja fertig, dachte sie.
Sich kritisch von allen Seiten betrachtend blies sie sich eine Locke aus dem Gesicht, die sich jetzt schon gelöst hatte.
Seufzend nahm sie die Kerze vom Regal und verließ das Zimmer. In der Wohnstube blieb sie stehen. Sie hoffte immer noch dass ihre Eltern gleich zur Tür hineinkamen und blickte erwartungsvoll zur Tür.
Doch dann kam der Gedanke der ihr die Wahrheit ins Ohr flüsterte.
Sie kommen nicht, deshalb trägst du das traditionelle Gewand.
Geh zu den anderen, sprich die Gebete der Hoffnung und glaube.
Nachdem sie die Haustür geöffnet hatte, blies sie die Kerze aus.Ein wehmütiger Blick zurück und dann bog sie den Weg ab.
Vor dem Gemeindehaus hatten sich alle versammelt. Jede Frau trug den gleichen Kleiderstil nur die Farbe war anders und das Motiv der Stickerei, diese war das Symbol der Familie.
Die Männer trugen eine schlichte schwarze Hose und das Hemd passend zum Kleid der Lebensgefährtin. Auf dem Rücken des Hemdes war die Stickerei zu sehen.
Die Kinder schliefen schon und wurden von denen behütet die keinen aus der Familie vermissten. Es waren nicht viele nur zwei Familien.
Der Rat hatte es so beschlossen und jeder hatte zugestimmt.
Nasihá erblickte Masúlda und ging zu ihr hin.
„Hallo“, flüsterte sie leise.
Masúlda lächelte sie zaghaft an.
„Hallo“, kam es leise zurück. Keiner sprach laut, denn es passte nicht zur Stimmung und war irgendwie unpassend.
„Ich hab dich heute mit Anatrá sprechen sehen. Ist alles in Ordnung?“ fragte sie leise.
„Heute Vormittag, als die Vorbereitungen begannen bin ich zu ihr hin und hab sie gefragt ob ich ihr helfen kann. Ich hatte den Satz noch nicht einmal ausgesprochen, da hat sie mich schon umarmt und halb erwürgt.“
Ein kaum hörbares lachen war zu hören.
„Sie hat die ganze Zeit geheult und du weißt ja wie ich darauf reagiere. Zum Schluss standen wir beide da und heulten. Marelur wusste nicht warum wir weinten, also fing er auch an.
Zum Schluss saßen wir alle zusammen und bereiteten unser Geschenk für die Göttin vor.
Danke dir Nasihá. Ich glaub, wenn wir uns gestern Nacht nicht unterhalten hätten, wäre ich heute nicht auf die beiden zugegangen.
Anatrá ist total lieb und Marelur so süß. Ich könnte ihn die ganze Zeit über knuddeln.“
Sie umarmte Nasihá fest und flüsterte ein leises
„Danke“.
Danach ging sie zu Anatrá.
Nasihá kam sich einsam vor. Egal wo sie hinblickte hatten sich Grüppchen gebildet, nur sie stand allein da.
Leere breitete sich in ihr aus. Fast keiner der ihr nahe stand war noch da.
Die sicht verschwamm vor ihren Augen.
Schniefend wischte sie sich die Tränen weg. Sie hasste es zu weinen, es zeigte Schwäche.
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Ein Blick zurück zeigte ihr das es der Dorfälteste war.
„Liebes, alles in Ordnung?“ fragte er mit leiser warmer stimme.
Sie nickte, aber währenddessen flossen ihre Tränen unaufhaltsam. Wenn sie ihre Tränen zurückhielt und jemand sie mitleidig, oder tröstend ansah, oder in den arm nahm, konnte sie die Dämme nicht mehr halten, unaufhaltsam flossen sie.
Sie schmiegte sich an ihn, suchte Wärme und fand Geborgenheit.
Leise summte er eine Melodie, die Nasihá vertraut vorkam, wusste aber nicht woher.
Als sie sich beruhigt hatte, schniefte sie noch einmal laut und lächelte ihn etwas missglückt an.
„Geht es wieder“, fragte er besorgt, den Kopf leicht zur Seite geneigt.
Ihre Locken wippten auf und ab, lösten sich teilweise aus ihren Klammern, als Nasihá nickte.
„Ja“, flüsterte sie heiser.
„Es tat gut richtig zu weinen. Danke.“
Sie blickte auf die weiße Tunika des Dorfältesten.
„Oh nein jetzt hab ich sie vollgeweint.“
Erschrocken kramte sie in dem kleinen Beutel, das aus dem gleichen Stoff wie ihr Kleid war, nach einem Taschentuch.
„Ist schon in Ordnung, Nasihá, die Tränen trocknen wieder.
Viel wichtiger ist, das es dir wieder etwas besser geht.“
Er legte seien Hände auf Nasihás, die immer noch suchten.
„Geh lieber und hol dein Geschenk für die Göttin, wir brechen gleichauf.“
Er blickte hoch zum Himmel wie zur Bestätigung.
Nasihá folgte seinem Blick.
Die Sonne hatte das Firmament verlassen und die ersten Sterne erstrahlten den Himmel.
Es wurde wirklich zeit.
Nach einem Kuss auf die Stirn, raffte sie ihren Rock und schnellen Schrittes lief sie in das Gemeindehaus.
Auf einem Tisch standen nur noch ein paar vereinzelte Kerzen.
Vorsichtig nahm sie ihre in die Hand.
Es war ein filigranes Kunstwerk, aus Papier, zartem Draht und Blüten.
In der Mitte stand eine Kerze mit Symbolen eingraviert.
Es waren Segensprüche für die Göttin.
Um die Kerze rankten, wanden sich der Draht und das Papier. Die Blüten waren von zartem feinen Draht umwickelt und an Spiralen befestigt.
Das ganze Werk stand auf dem Papier. Ein silbernes schmales Band war am unteren Ende der Kerze verknotet und die Enden wedelten fröhlich im Wind als Nasihá nach draußen trat.
Schnell wurden die restlichen Geschenke geholt und dann ging der Zug los. Den schmalen Weg entlang zum Tempel liefen sie leise summend entlang, aber anstatt den Weg weiter nach oben zu folgen bogen sie ab.
Der Pfad war kaum zu erkennen und doch kannten ihn alle.
Für Außenstehende war es ein unglaubliches Bild. Zwischen den Bäumen blitzte das Licht der Kerzen hindurch. Das leise Summen ließ es unwirklich erscheinen. Die silbernen Stickereien glitzerten im Schein der Kerze des Hintermannes.
Der Weg führte in den Berg hinein. Das Echo der Stimmen hallte unnatürlich von den Felswänden wieder. Sie schimmerten silbern im sanften Schein der Kerzen. Die Feuchtigkeit lief manchmal in kleinen Rinsaalen die Wände hinunter.
Vor einem unterirdischen See lieben sie stehen.
Stalagmiten und Stalaktiten wuchsen hier und bildeten ein bizarres Muster. Richtig kunstvolle Gebilde waren dabei. Das interessanteste aber an dieser Höhle waren die Wände. Sie funkelten und glitzerten, als ob man in einem Raum mit Millionen von Sternen eingeschlossen wäre.
Seit Ewigkeiten, keiner wusste seit wann, es war auch nicht niedergeschrieben, stand auf der anderen Seite des kleinen Sees ein Abbild der Göttin. Keiner wusste wie sie dahin gekommen sein könnte, denn das Wasser war zu tief um dorthin eine Statue zu bringen. Sie stand auch auf einem schmalen Felsen, dessen Form an einen Blütenkelch erinnerte.
Daher war es ein gesegneter Ort, von der Göttin selbst auserwählt.
Alle versammelten sich am Rand des Wassers und sahen zum Dorfältesten.
Da der Priester, der sonst immer die verschieden Gebete zur Göttin sprach, ebenfalls verschwunden war, oblag es dem Dorfältesten diese Aufgabe zu übernehmen.
Da es eine außergewöhnliche Situation war wusste keiner wie das Gebetspala klang.
Generell wurden alle Gebete in einer Sprache abgehalten die als vergessen galt. Man fand sie vor einem Jahrhundert wieder und nachdem Gelehrte sie übersetzt und untersucht hatten, kam man zur Erkenntnis, dass dies die wahre Sprache war, mit der man zur Göttin sprach. Fortan lehrte man sie allen Priestern, Magiern und Hütern.
Aber wie kam man auf den Gedanken dass diese Sprache die der Göttin sei, überlegte Nasihá. Was gab den ausschlagenden Grund dafür?
Nur weil sie alt war und man sie nicht kannte und erforschen musste ist das doch noch lange kein Grund anzunehmen das sie es sei. Nasihá verstand es nicht, für sie war es nicht logisch. Es könnte genauso gut die jetzige Sprache sein mit der man am besten mit der Göttin sprach. Oder brauchte man überhaupt eine Sprache um mit ihr zu sprechen?
Sie war doch allgegenwärtig und konnte doch somit sehen was gerade geschah, wie man sich fühlte, was man dachte. Reichte das nicht aus?
Okay mit der gefundenen Sprache konnte man Magie wirken, aber nicht jeder konnte es.
Was machte den Menschen aus, der mit ihr wirken konnte? Lag es wirklich an der Sprache oder war es eine Gabe?
Nasihá schwirrte der Kopf. Immer wieder stellte sie sich diese Fragen, aber sie wusste die Antwortet nicht und jemanden fragen traute sie sich nicht, denn das hieße die Wissenschaft zu hinterfragen und damit auch den König, denn dieser stand hinter seinen Wissenschaftlern.
Sie selbst durfte die Sprache nicht lernen, ihr und jedem anderen Normalsterblichen blieb diese verwehrt.
Es hieß wenn jeder sie kenne würde er die Göttin mit seinen Gedanken und Problemen belästigen.
Aber ist die Göttin nicht dafür da um uns zu helfen, um und den Weg zu weisen wenn wir nicht weiterwissen?
Nasihá verstand das alles nicht und so wie es aussah würde sie es auch nie verstehen.
Es war also eine Heilige Schrift und sie würde es bleiben.
Gedankenversunken starrte Nasihá auf ihr Spiegelbild im Wasser.
Ihre Haare hatten sich noch mehr aus der Frisur gelöst.
Leise seufzte sie und blickte zum Dorfältesten auf, der auf einer kleinen Felszunge stand, die in den See hineinragte.
Er räusperte sich und fing leise an das Gebet zu sprechen. Obwohl man seine eigne Stimme kaum vernahm, hörte man sie durch die Akustik der Höhle genau.
Sie kannte das Gebet nicht. Vielleicht lag es daran, dass der Grund dafür noch nie vorhanden war.
Der Klang der Worte hatte etwas Beruhigendes an sich, so das Nasihá die Augen schloss und nur noch lauschte. Als nach einer weile Stille eintrat öffnete Nasihá die Augen, irritiert aus ihrer Welt herausgerissen.
Der Dorfälteste trat in das Wasser und ließ sein Geschenk sacht auf das Wasser gleiten.
Nach und nach taten es ihm die Dorfbewohner gleich. Jeder der seine Gabe an die Göttin abgegeben hatte, fing an, leise ein Lied zu singen. Mit den Blicken folgte Nasihá ihrem Geschenk das sie gemeinsam mit Syramon gestaltet hatte, wie es sanft über das Wasser glitt.
Rückwärts trat sie zu den anderen und fing leise an mit zu singen.
Obwohl es verschiedene Stimmen waren, viele davon ungeübt, klang dieses Lied wunderschön.
Sanft, voller Hoffnung hallte es durch die Höhle und hoffte dass es die Göttin erreichte.
Sie verließen die Höhle nachdem der letzte Ton verklungen war. Nasihá ging als letzte mit. Zusammen mit Masúlda und deren Stiefmutter.
Ein letzter Blick zurück zeigte ihr ein Meer aus Kerzen das hinter einer leichten Biegung verschwand. Die Bänder schlängelten sich wie träge Flossen hinterher.
Nachdem sie den Berg verlassen hatten gingen sie nicht zurück zum Dorf, sondern stiegen auf den Berg, folgten einem kleinen Pfad der kaum sichtbar war. Die Natur hatte angefangen ihn zurück zu erobern.
Von oben aus, hatte man einen herrlichen Blick auf die Landschaft. Die Wälder und Felder voller Mohnblumen, die trotzt der Dunkelheit die nun herrschte, leuchteten.
Die Monde tauchten die vielen Farben in einen sanften Glanz. Aber die ganze Aufmerksamkeit beherrschte ein kleiner See, der gespeist wurde von einem kleinen Bach.
Wie ein Meer aus Sternen funkelten dort die Kerzen, die ihren Weg aus der Höhle gefunden hatten. Sie schlängelten sich der Reihe nach, um auf dem kleinen Bach weiter zu schwimmen. Es sah phantastisch aus. Bis jetzt hatte Nasihá dieses Bild nur selten gesehen. Denn nur zu bestimmten Anlässen wurde dieses Meer aus Lichtern erweckt.
Das letzte mal, als es einen kalten und sehr harten Winter gab, der schon zu lange angehalten hatte.
Die Nahrungsvorräte waren schon fast aufgebraucht gewesen und wegen der klirrenden Kälte war es so gut wie unmöglich für längere zeit nach draußen zu gehen um Feuerholz zu schlagen. Ein paar hatten es trotzdem versucht und kamen mit erheblichen Erfrierungen zurück. Die Heiler hatten es schwer diese zu heilen.
Nasihá erinnerte sich ungern an diese Zeit, dazu verdammt im Haus zubleiben, ohne wirklich etwas tun zu können.
Die Zeit die sie draußen war, um Wasser aus dem Brunnen zu holen war schlimm. Die Luft war so kalt, das man das Gefühl hatte es friere einen die Atemwege ein. Jeder Atemzug schmerzte. Der Schal vor dem Mund brachte nicht viel und war unangenehm.
Das Wasser im Brunnen fror nie. Der Segen der Göttin lag über ihm.
Als es immer schlimmer wurde mit dem Winter und kein Ende in sicht kam, traf man sich im Gemeindehaus und beschloss die Göttin dazu zu bitten, das der Winter von seiner Härte abnahm.
Die Gaben an die Göttin wurden gefertigt und geweiht.
Es wurden keine Festtagsgewänder angezogen, denn sonst wäre man auf der Stelle erfroren. In unendlich viel Kleidung, alles was der Schrank hergab, zog die Gruppe von erwachsenen los. Alle anderen hielten sich im Gemeindehaus auf, da man hier nur einen Raum heizen musste und selbst das wenig, da die Menschen sich gegenseitig wärmten.
Als nach einem halben Tag der Priester und die Erwachsenen noch nicht zurück waren, begann man sich sorgen zu machen.
Nasihá wusste noch das sie wahnsinnig nervös war, da ihre Eltern in der Gruppe waren. Sie tigerte durch den Raum und fauchte jeden wie eine gereizte Katze an, der sie ansprach.
Sie hasste sich selbst dafür aber, was wenn ihre Eltern nicht mehr zurück kamen? Was wenn sie von nun an allein bleiben müsste. Der einzige der ihr noch bleiben würde, wäre Granpa. Aber sie kamen zurück. Es war schon dunkel und die Temperaturen waren noch tiefer gesunken. Ein erleichtertes seufzen ging durch den Raum, als die Tür sich öffnete und mit der eisigen Luft, die lang ersehnten kamen.
Die Kleidung steif vor Kälte, schälten sie sich aus ihnen und nahmen zitternd vor dem großen Kamin platz.
Sie erzählten, dass von den Talorbergen ein Schneesturm aufgezogen war und sie daran hinderte die Höhle zu verlassen. Zum Glück war es in Ihr immer angenehm warm, egal wie kalt oder heiß es draußen war. Auch berichteten sie, das der Weg zugeschneit und der Höhleneingang fast zugedeckt war. Man musste bergab gehen um zur Grotte zugelangen. Der Eingang an sich war mit Reben bedeckt. Nur ein schmaler Gang blieb offen um hineinzukommen.
Die Dorfbewohner hatten Glück gehabt das der Schneesturm nur ein paar Stunden sein Unwesen getrieben hatte, denn sonst kam nichts Gutes von den Talorbergen.
Das dass Unwetter das Dorf nicht erreicht hatte war normal. Viele von ihnen zogen am Dorf vorbei. Es war als ob es eine Grenze gab, oder einen Schutzwall, der die Ortschaft umschloss. Wenn anderswo heftige Gewitter wüteten, schien bei ihnen die Sonne. Sie sahen die dunklen Wolken am Himmel und wussten was anderswo geschah, aber sie selbst erreichte nichts.
Nasihá war erleichtert das ihre Eltern wieder da waren und umklammerte sie so, als ob sie die beiden nie mehr loslassen wöllte.
Die Kälte, die sie ausströmten ignorierte sie.
Die Gebete der Dorfbewohner wurden anscheinend erhört, denn am nächsten Tag war es schon wärmer und zwei Tage später schaute die Sonne schon zwischen den dicken grauen Wolken hindurch.
Später erfuhren sie, dass in den Dörfern um sie herum schon längst der Frühling angefangen hatte.

Seufzend tauchte sie aus ihren Erinnerungen auf.
Ein letzter Blick hinunter auf den See und dann folge sie der Gruppe die schweigend den Pfad zurück zum Dorf folgten.

Die Nacht verging schnell und noch halb schlafend stand sie auf.
Gähnend und mit leicht geschlossenen Augen stand sie vor dem Brunnen. Immer wieder fielen sie ihr zu. Nasihá hatte Schwierigkeiten sie offen zu halten. Sie tauchte kurz entschlossen ihren kopf in das klare kalte Wasser zum munter werden und es half.
Das Handtuch um das Haar gewickelt ging sie zurück.
Die Kinder wurden gerade geweckt und Nasihá half dabei. Auch beim waschen griff sie den Erwachsenen unter die Arme.
Emsiges treiben herrschte vor dem Frühstück und diesmal unterhielten sie sich auch während des Essens. Meistens ging es um die Route derjenigen, die sich entschlossen hatten auf die Suche nach den verschwundenen Dorfbewohner zu gehen.
Nasihá verstand sie, aber wo sollten sie suchen. es gab keine Hinweise auf irgendetwas. Es war eine Suche ins blaue hinein. Sie hoffte dass etwas gefunden wurde, selbst der kleinste Hinweis ließ hoffen dass man die anderen fand.
Nach dem Frühstück standen zehn Männer gepackt mit Lebensmitteln, Decken, Feuersteine und was sonst benötigt wurde für die Reise auf dem Marktplatz. Sie wollten in Zweiergruppen durch Aldacheé ziehen. So hofften sie eine bessere Chance zu haben eine Spur von den Vermissten zu finden. Jede Gruppe handelte aus eigenem ermessen, jeder Spur zu folgen. Leider konnte sie sich untereinander nicht verständigen, denn die Botenvögel wussten nicht wohnin, also beschloss man das Nachrichten direkt ins Dorf geschickt wurden. Damit die Vögel auch wussten wohin, wurde ihnen ein magischer Talisman aus dem Dorf um den Hals gebunden, in das dafür vorgesehene Gefäß.
Es gab verschiedene Arten von Talismanen. Manche hatten Blätter von ihren typischen Bäumen, die nur in dieser gegen wuchsen. Andere Edelsteine, Muscheln, Blüten oder was es sonst noch gab. Meist schlichte Gegenstände, typische der Gegend, die in Tempel geweiht und mit einem Bann belegt wurden.
Für ihr Dorf war der typische Talisman eine gold-gelbe Getreideähre. Seit vor über hundert Jahren diese Art der Luftpost eingesetzt wurde, gab es diese Ähren. Immer noch sahen sie wie frisch gepflückt aus, denn durch den Bann waren sie zeitlos.
Warum es Ähren waren war einfach. Egal in welche Richtung man blickte funkelte es golden.
Riesige Getreidefelder umschlossen das Dorf.
Neben den gewebten Teppichen, Wandbehängen war Getreide die Haupteinnahmequelle.

Der Abschied war tränenreich und alle Zehn wurden mit Glücksbringern überhäuft.
Eine Münze mit einem großen Loch in der Mitte. Vom Inneren zum Äußeren Rand war zartes schmales blaues Band gewickelt, die Farbe der Hoffnung.
Auf dem Kupferreif waren Zeichen eingraviert die bedeuteten „Glück ist, wenn du Glauben in dir trägst“.
Geweiht, trugen die Dorfbewohner alle immer einen bei sich. Selbst Neugeborenen wurde dieser schon angelegt.
Viele begleiteten die Männer noch ein Stück, bis sie das Dorf hinter sich gelassen hatten.
Nasihá gehörte nicht zu ihnen. Sie blieb bei den jüngsten und lenkte sie ab.
Ein paar von den Suchenden ließen ihre Kinder zurück. In der Obhut der anderen. Mit Syramon an ihrer Seite, spielte sie mit den kleinsten des Dorfes.
Eine wehmütige Stimmung herrschte, trotzt der Hoffnungen, die in die Männer gesetzt wurden.
Viele Fragen lagen in der Luft, viele auf die es keine Antwort gab und manche auf die man keine wissen wollte.
Während des Mittagessens blickte Nasihá in die Runde der übrig gebliebenen.
Überwiegend Frauen und Kinder saßen am Tisch. Der Rest waren ältere Dorfbewohner und ein paar Männer.
In ihrem Alter waren es nicht viele. Man konnte sie an einer Hand abzählen. Sie überlegte wer zum König geschickt werden würde. Von den Frauen wurden eigentlich alle gebraucht für die Älteren war der Weg zu weit und auf die paar Männer die noch hier waren konnte man auch nicht verzichten.
Also bliebe nur noch die handvoll übrig die in ihrem Alter waren.
Aber wer?
Ein Räuspern riss sie aus ihrer Grübelei. Der Dorfälteste erhob sich mühsam von seinem Platz.
Die Erwachsenen tauschten Blicke untereinander aus.
Jetzt also wurde derjenige genannt der zum König reisen würde. Irrsinniger weise hoffte Nasihá das sie es war, aber auf der anderen Seite nicht.
Der Gefühlswechsel setzte so schnell ein, das ihr leicht schlecht wurde.
Gebannt blickte sie den Dorfältesten an, der seinen Blick über jeden schweifen ließ.
Nach einem tiefen Atemzug fiel sein blick auf Nasihá.
Ihr wurde heiß. Das Blut raste und ihr Herz flatterte.
Eine innere Stimme flüsterte „Bitte nicht, bitte nicht“ „doch, doch“ „bitte nicht“, flüsterte eine zweite Stimme dazwischen. Sie wusste nicht welche von beiden lauter schrie. Die, die hoffte dass sie hier bleiben konnte oder die, die jauchzend ja schrie.
„Nasihá, kommst du bitte mit in mein Arbeitszimmer“, fragte er leise.
Ein gewaltiger Druck hatte sich in ihrer Brust aufgebaut. Eine der Stimmen war erloschen. Jetzt gab es nur noch eine, „ich will nicht“, schrie sie die ganze Zeit über.
Mit zittrigen Beinen stand sie auf und folgte ihn ins Zimmer nebenan.
Der sonst so vertraute Geruch konnte sie nicht wie sonst beruhigen.
Leise schloss sie die Tür und trat zum Schreibtisch hin.
Sie fühlte sich, als ob sie vor dem Richter stand und ihr Urteil verkündet wurde.
Seufzend ließ er sich schwer auf seinen Stuhl fallen. Stützte sein Kinn auf die ineinander verschränkten Hände, nachdem er sie mit einer Geste bat, auf den anderen Stuhl platz zu nehmen.
Fahrig fuhr sie sich durch die Haare. Was kam, konnte sie sich denken, doch noch immer hoffte sie, dass sie nicht mit der Aufgabe betraut wurde zum König zu reisen.
„Du weißt warum ich dich hierher gebeten habe, nicht wahr“, fing er leise an.
Stumm nickte sie.
„Nachdem ihr alle vorgestern zu Bett geschickt wurdet, saßen wir noch lange hier und haben überlegt, wer am besten geeignet sei zum König zu reisen. Nach langem hin und her, fiel unsere Wahl auf dich.
Es sind nicht viele übrig geblieben aus unserem Dorf und die wenigen werden gebraucht.
Selbst die Zehn, die heute auf die Suche gegangen sind, fehlen hier. Ob wir wollen oder nicht, der normale Tagesrythmus muss weitergehen, denn die Ernte muss trotzdem eingeholt werden.
Dafür sind die restlichen Männer zuständig. Auch die Frauen werden helfen müssen. Die Ältesten werden sich derweilen um die Kinder kümmern.
Das hieß für uns, dass nur ein Jugendlicher übrig blieb.
Aber welcher?
Unsere Wahl fiel auf dich, denn unter allen die übrig geblieben sind, bist du diejenige, der wir es am meisten zutrauen würden.
Masúlda, Amdren, Philsorn und die anderen sind zwar in deinem Alter, aber sie sind noch nicht reif genug für diese Verantwortung.“
Bin ich denn reif genug, schrie es in ihr laut auf.
Ist die Verantwortung nicht auch für mich zuviel?
„Du warst unser erster gemeinsamer Gedanke. Dir trauen wir es zu diese Reise zu machen.
Wir wissen das es für dich schwer wird, aber wenn wir einem die Verantwortung anvertrauen können, dann dir.“
Er hielt inne und wartete auf Nasihás Antwort.
Eigentlich war keine Antwort von Nöten, denn ob sie wollte oder nicht sie musste gehen.
Es war so beschlossen worden und man hielt sich daran.
So war es schon immer und so wird es auch immer bleiben.
„Ich war noch nie außerhalb des Dorfes, in einem anderen Ort. Nur wo ich kleiner war und mit Eremiehá.“ Meinte sie leise, den Blick auf die Schreibfeder vor sich auf den Tisch betrachtend.
„Ob ich das schaffe weiß ich nicht. Eigentlich würde ich sagen dass ich nicht genug Verantwortungsgefühl habe für diese Aufgabe.
Ich stromer lieber durch die Gegend, als Mama zu helfen.“
Schmerzlich verzog sie das Gesicht.
Nie mehr eine Moralpredigt, weil sie sich vor ihren Aufgaben gedrückt hatte. Ein seufzen ließ sie aufblicken.
„Ich vermisse sie auch, Nasihá. Die gemütlichen Abende, die wir gemeinsam in der Stube saßen. Deshalb ist unsere Hoffnung groß das wir sie finden und sie wieder in unsere Arme schließen können.
Und darum ist es auch wichtig, dass unser König davon weiß. Damit er seine Suche und Forschungen stärker, intensiver vorantreibt.
Das du seit langem nicht mehr das Dorf und die nähere Umgebung verlassen hast wissen wir und werden dich bestimmt nicht einfach aus dem Dorf rauschubsen.“ Ein schwaches schmunzeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
„Eremiehá holt seine Karte und wir erklären dir den Weg.
Auch worauf du achten musst.
Bis er mit seiner Karte zurück ist kannst du schon einmal deine Tasche packen.
Lass dich von den Frauen beraten und nimm dein Gewand mit.
Du repräsentierst unser Dorf, daher ist ein offizielles Gewand bei einer Audienz beim König erwünschst.
Deine Reise wirst du erst morgen antreten können, denn so schnell wird er nicht zurück sein.
Nachdem du deine Tasche gepackt hast, kannst du dich um Syramon kümmern. Für ihn wird es auch schwer sein, wenn du gehst.“
Er blickte sie an und man sah, das es ihm leid tat das sie gehen musste.
Ohne weiter darüber nachzudenken stand sie auf und umarmte ihn.
Ein paar Minuten befanden sie sich in dieser Umarmung, ehe Nasihá ihn los ließ.
Mit einem leisen, „Ich gehe jetzt packen“, verließ sie das Zimmer.
Auf der anderen Seite der Tür saßen noch alle am Tisch und blickten Nasihá erwartungsvoll an.
Mit einem kläglichen Lächeln ließ sie auch diesen Raum hinter sich und trat tief einatmend in die Sonne hinaus.
Die Augen geschlossen, den Kopf im Nacken harrte sie in dieser Haltung ein paar Minuten aus.
Ein leises Rascheln und eine kleine zarte kalte Hand, die sich in ihre legte, sagten ihr das Syramon neben ihr stand.
Langsam gingen sie den Weg entlang zu ihrem Elternhaus.
Nasihá hatte gestern Abend, nachdem sie ihr Gewand wieder in den Schrank gehängt hatte, die Fensterläden weit geöffnet.
Einladend sah es aus, als sie vor dem Gartentor stand. Es erweckte den Anschein, das ihre Mutter jeden Augenblick ihren Kopf aus dem Fenster steckte und Ausschau nach ihrem Vater hielt. Abe sie würde es nicht tun. Vielleicht nie wieder.
Die Hand fest um Syramons geschlossen, trat sie ins Haus ein.
Der kleine Kerl stürzte sofort auf den Tisch zu und betrachtete staunend das Werkzeug und die Holzfigur.
Sie ließ die Zimmertür offen stehen, damit Syramon wusste wo sie war, aber ein Blick zurück zeigte ihr, das er vertief ins spielen war.
Oben im Schrank, in einem Fach, lag eine große braune Umhängetasche.
Auf Zehenspitzen und gerade so fassend zog sie diese aus dem Fach.
In ihr war massig viel platz.
Neben dem Gewand legte sie noch eine Decke, eine Hose, ein Hemd, Feuersteine, ein Messer in einer festen Hülle, Nähgarn und Nadel, in ein Tuch gewickelten Topf mit einem Becher und Besteck dazu.
Das Essen und die Wasserflasche wurden später in die äußeren Fächer der Tasche verstaut.
Sie stellte sie auf den großen Tisch, an dem Syramon immer noch saß und spielte, lief zurück in ihr Zimmer und kam mit einem flachen Päckchen und zwei Holzfiguren wieder.
In dem Päckchen das sich aufklappen ließ waren zwei Bilder vorhanden.
Auf dem rechten war ihre Familie zu sehen. Ihre Mutter, ihr Vater, ihr Großvater und sie selbst.
Von der linken Seite blicken sie ihre besten Freunde an.
Syroom, Daráhmon, Misa, Syramon und sie.
Seufzend steckte sie es in eine Seitentasche, ebenso die beiden Figuren. Mit Syramon auf dem Arm und nachdem sie die unfertige Figur eingesteckt hatte ging es wieder zurück zu den anderen.

Der Hauptraum des Gemeindehauses war fast leer, bis auf die Kinder und die Älteren, die auf sie aufpassten. Die Erwachsenen waren auf den Feldern um das Getreide einzuholen. Es würde länger dauern als sonst, da zwei Drittel des Dorfes fehlte.
Die im Gemeindehaus zurückgebliebenen kümmerten sich auch um das Essen. Neben einer Gemüsesuppe, Brot, Käse und Wurst wurden Kupfertassen für die warme Mahlzeit und Obst in die großen Körbe gepackt. Als es kurz vor der Mittagszeit war, kamen die Jugendlichen und trugen alles zum Ernteplatz.
Neues frisches Wasser aus dem Brunnen nahmen sie auch mit.

Mit jeder Stunde die verstrich wurde Nasihá unruhiger. Mit einem lächeln beantwortete sie Syramons Blick. Sie versuchte sich zusammen zu reißen, aber es fiel schwer, denn der Abschied rückte immer näher und sie hatte noch nicht Syramon gesprochen.
Die ganze Zeit schon grübelte sie, wie sie es ihm sagen sollte, aber jeden Gedanken verwarf sie wieder.
In Abschied nehmen war sie noch nie gut gewesen und diesmal fiel es ihr besonders schwer, denn wenn sie weg war, hatte er keine Bezugsperson mehr und die brauchte er.
Da kam ihr ein Gedanke. Sie könnte Masúlda fragen, ob sie sich um Syramon kümmern könnte. Marelur war fast im selben Alter wie Syramon un soweit sie wusste spielten die beiden ab und zu miteinander.
Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr, das sie nicht mehr lange warten musste.
Beim Abendessen brauchte sie nicht mithelfen, da die Gemüseplatten schon fertig waren und sich zwei um das Fleisch kümmerten, dessen angenehm gebratener Duft durch das Haus zog. Den Tisch zu decken war die Beschäftigung der Kinder, die sich freuten und mit leuchtenden Augen die Holzbrettchen, Teller, Gläser auf den Tisch stellten. Manche von ihnen konnten noch nicht einmal auf den Tisch sehen, nur wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellten. Kurz nach dem alles fertig gedeckt war, kamen sie, laut, plaudernd und doch zeigte sich die Erschöpfung deutlich an der Körperhaltung und dem gelegentlichen gähnen.
Während des Essens wurde über die Ernte gesprochen, was sie schon geschafft hatten und noch geerntet werden musste. Nach dem beenden der Mahlzeit wurde es merklich stiller. Die Erschöpfung und das wohlige Gefühl des satt seins machte sich bemerkbar.
Als alles abgewaschen war saßen alle gemeinsam vor dem riesigen Kamin. Die Kinder kuschelten sich an die Erwachsenen und lauschten gebannt der Geschichte die Barbusla spannend erzählte.
Nasihá stand auf und ging zu Masúlda, die zusammen mit Marelur und Anatrá in einer Ecke saß.
Sie schauten auf und lächelten sie an.
Sich zu ihnen setzend, überlegte sie, wie sie das Gespräch anfangen konnte, als Anatrá sie anblickte und einfach „Ja“, sagte.
Verdutzt blinzelte sie die Frau an.
„Ja, wir werden uns um Syramon kümmern,“ erweiterte sie ihr einfaches ja.
„Was,….wieso…..woher,“ stotterte sie.
„Wir wissen das du zum König reisen wirst und da du dich um Syramon kümmerst und ihn schlecht mitnehmen kannst, brauchst du doch jemanden dem du ihn vertrauensvoll anvertrauen kannst.
Wir machen es gerne und Marelur freut sich jetzt schon die ganze Zeit mit Syramon spielen zu können.
Du kannst also beruhigt sein. Wir werden uns sehr gerne um ihn kümmern.“
Sie lächelte Nasihá beruhigend an.
Erleichtert schloss sie die Augen. Es war gut zu wissen, das er sicher aufgehoben sein würde.
Mit einem leisen „Danke“ stand sie auf und ging zu Syramon hinüber der ihr schon wartend entgegen blickte.
Leise forderte sie ihn auf mit ihr nach draußen zu gehen.
Vertrauensvoll folgte er ihr.
Die Luft war angenehm warm und das leise Zirpen der Grillen wurde vom Wind zu ihnen herübergetragen.
Leichte Wolkenfetzen verhüllten die Monde und ein sanftes Licht erhellte den Marktplatz.
Am Brunnen nahm sie ich hoch und setzte ihn auf dessen breiten Rand. Sich neben ihn setzend blickte sie in das Becken vor ihren Füßen und betrachtete die Spiegelung der Monde.
„Weißt du Syramon,“ fing sie leise an.
„Ich wurde gebeten zum König zu reisen, damit er weiß das wir unsere Eltern vermissen. Der Weg zur Hauptstadt ist weit und dauert ziemlich lange. Ich weiß nicht was unterwegs alles passiert, daher muss ich allein reisen.“
Sie blickte ihn in die Augen und sah, wie sich mit Tränen füllten.
„Du willst mich alleine lassen?“ wisperte er leise.
„Nein das möchte ich nicht. Am liebsten würde ich hier bei dir bleiben und mich um dich kümmern, aber die anderen vertrauen mir und möchten, das ich diese Aufgabe übernehme.
Du weißt selbst was für eine Zeit das ist. Da wird jeder Erwachsene gebraucht und alle waren der Meinung das ich am besten dafür geeignet sei zum König zu reisen.“
Traurig wischte sie ihm die Tränen weg die über seine Wangen liefen.
„Masúlda und Anatrá möchten, das du in dieser Zeit bei ihnen bist und Marelur freut sich schon auf dich. Ich werde mich beeilen und so schnell wie möglich zu dir zurückkommen.“
Nasihá kramte in ihrer Tasche herum und zog die unfertige Figur heraus, an der ihr Vater gearbeitet hatte.
„Ich möchte, das du auf diese Figur aufpasst. Sie ist das letzte an der mein Papa gearbeitet Hat. Sie ist mir sehr, sehr wichtig und vertraue sie nur dir an. Denn wenn mein Papa zurückkommt, muss er sie fertig schnitzen. Sie ist nämlich mein Geburtstagsgeschenk.“
Feierlich übergab sie die Figur Syramon, der sie ernst entgegennahm.


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Tag der Veröffentlichung: 17.05.2009

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