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Und wieder war sie allein


Nein. Das konnte gar nicht wahr sein. Nicht sie auch noch. Nicht sie auch noch verlieren.
Als sie erfuhr, das diese Freundin auch noch gehen würde, einfach abhauen wird, da war sie so kurz davor loszuschreien und ihr ins Gesicht zu schlagen. Ganz kurz davor.
Sie wusste, dass sie ungerecht war.
Warum? Sie auch noch?
Zu erleben wie die eine Freundin geht war schlimm genug. Warum mussten die anderen das jetzt auch noch tun?
Leise weinend lag sie im Bett. Ihr ganzer Hass, ihre Wut, ihre Trauer und die riesengroße Angst machten die Bettdecke nass.

Angefangen hatte alles vor fünf Jahren. Auf die weiterführende Schule war sie gekommen, zu lauter neuen Menschen, von der kleinen Dorfschule auf das große Gymnasium. Die erste Freundin entglitt ihr. Die sie noch kannte, aus Grundschulzeiten. Sie zog um. Einfach so. Ohne ihr die neue Adresse zu sagen. Und das, nachdem sie davor vier Jahre jeden zweiten Tag zusammen waren. Die ganze Grundschulzeit hatten sie zusammen fröhlich durchlebt. Waren beste Freundinnen. Und dann zog sie um. Weg. Ohne Verabschiedung. Ohne nichts. Dass sie umgezogen war, hatte sie auch nur von der Mutter der "besten Freundin" erfahren.
Und sie konnte nicht mal zu ihrer Mutter gehen und sich ausheulen, die "Mutter" konnte mit nichts belastet werden. Psychisch krank. Mit ihr konnte man über gar nichts normal reden, ohne danach Tagelang angeschrien zu werden.
Das machte sie beides total fertig, aber sie versuchte neue Freunde zu finden. Neue Schule, neues Glück. Sie fand auch welche, sogar in ihrer Klasse. Doch so Richtig hatten sie nie zusammengepasst. In den folgenden Schuljahren koppelte sie sich immer mehr ihnen ab, da im Laufe der Zeit keine mehr auch nur ein Wort mit ihr wechselte.
Das war allerdings nicht besonders schwer gewesen. Einfach umdrehen und weggehen. Denn eine richtige Freundin, die hatte sie in ihrer Parallelklasse gefunden. Sie passten wunderbar zusammen, hatten ähnliche Hobbys, oft gleiche Interessen- doch im Wesen, da ähnelten sie sich kaum. Das war irgendwie eine perfekte Mischung. So verbrachten sie viel freie Zeit zusammen, teilten Geheimnisse und waren füreinander da. Stritten auch manchmal. Beste Freundinnen eben. Sie halfen sich darüber hinweg, in ihren eigenen Klassen keine richtigen Freunde zu haben.
Manchmal war es für sie aber trotzdem schwer von fast allen "Klassenkameraden" gemobbt zu werden.
Doch dann kam die achte Klasse und alles wurde anders. Eine Neue. Zuerst hatten sie keinen Kontakt. Doch dann merkte die Neue, wie schlecht es ihr in der Klasse ging, kam auf sie zu, sprach mit ihr. Das überraschte sie. Sonst hatten immer alle erwartet, dass sie auf die Leute zukam, die war jemand auf sie zugekommen. Also hatte sie auch aufgehört auf andere zuzugehen. Endlich hatte jemand erkannt, dass ihre nach außen so still wirkende Art nur eine Vorsichtsmaßnahme war. Die sich nur dadurch entwickelt hatte, dass sie so vielen falschen Menschen vertraut hatte und von so vielen fertig gemacht worden war. Das sie teilweise nur ein Wrack war.
Diese Neue belebte sie neue wieder. Zeigte ihr das kleine tägliche Glück im Leben. Gab ihr die Kraft, in der Schule weiterzumachen. Nun war sie auch in ihrer Klasse wieder Glücklich, nicht nur noch in den Pausen bei ihrer besten Freundin.
Doch die Neue veränderte sie auch noch anders. Mit ihr klaren Weltansichten. Zeigte ihr die Realität die harte Realität des Lebens. Öffnete ihr die Augen und zeigte ihr, wie die Welt wirklich aussah. Doch die Veränderungen waren nicht nur Gut. Sie bekam zum Beispiel plötzlich bei Selbstmordgedanken kein schlechtes Gefühl mehr im Bauch. Sie musste aufpassen, um jetzt nicht gefühllos und komplett gleichgültig zu werden.
Und dabei half ihr eben ihre beste Freundin aus der Paralellklasse. Ihre Freundschaft wurde durch die Neue nicht weniger.
Und dann das. Ein Flyer. Ein einfacher Flyer von einem evangelischen Gymnasium mit musikalischem Zug. Der sollte alles verändern. Ihre beste Freundin informierte sie plötzlich darüber, dass sie sich dort für die Prüfungen angemeldet hatte.
Ihr erster Gedanke war : Ich komm mit. Doch das würde sie nicht schaffen, noch eine Sprache. und dann auch noch Altgriechisch. Außerdem konnten ihre Eltern die Schule auch fast nicht bezahlen. Dadurch müsste wahrscheinlich die ganze Familie auf viel verzichten um ihr das zu ermöglichen. Und das konnte sie nicht verantworten, bei so einer Mutter. Und sie konnte ihren Vater und ihre kleine Schwester nicht mit der Mutter allein lassen. Wer würde dann die Kleine in die Arme schließen und trösten können, wenn ihre Mutter wieder durchdrehen würde?
Also blieb ihr nichts anderes übrig als nicht mitzukommen. Sie musste dableiben.
Die nächsten Monate wurden sehr schwer für sie. Einerseits war sie so richtig wütend, weil ihre beste Freundin einfach wegging und sie zurückließ. Doch andererseits wusste sie, wie ungerecht sie war, und das sie, wie eine beste Freundin eigentlich die andere unterstützen sollte und sich für sie freuen. Doch sie schaffte es nicht. Und dafür machte sie sich große Vorwürfe. Das bekam auch die Freundin zu spüren, da die Wut blind machte und sie so die Zeit, die sie noch zusammen hatten nicht ausnützte, sondern Ignorierungswochen oder ähnliche Aktionen startete. Sie fühlte sich so schlecht deswegen.
Nun war es das Mädchen in ihrer Klasse, das sie so stärkte. Sie verbrachte immer mehr Zeit mit ihr und ihren Freunden. Und veränderte sich mehr und mehr. Vor allem als dann das neue Schuljahr anbrach veränderte sich so viel. Ihre beste Freundin sah sie nur noch ein bis zweimal im Monat. Eigentlich müsste sie sich darüber freuen, da der Zeitrau so "kurz" erscheint. Das war er aber nicht. Und bei den Treffen redete sie immer über ihre ach so tolle neue Schule. Und sie saß daneben und bemühte sich nicht zu eifersüchtig zu sein. Versuchte sich für die Freundin zu freuen. Warum war sie nur so unfair und konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie weg war? Nun in einer anderen Welt lebte? Sie hatten sich beide sehr verändert.
Und dann auch noch das, die Freundin in ihrer Klasse stürzte immer mehr ab. Fing Rauchen und trinken an. Ritzte sich. Was konnte sie nur dagegen tun, das diese nicht immer mehr abstürzte? Sie hatte keine Ahnung. Versuchte es mit der Vorbildfunktion, was nicht wirklich klappte. Denn eins wusste sie: Diesen ganzen Scheiß würde sie nicht auch anfangen. Egal wie schlimm alles noch kommen würde. Und sie hielt durch. Bis heute.
Ihre Freundin war allerdings nicht so dumm wie die ganzen anderen Raucher die da auch immer waren und wusste wenigstens, was für eine Scheiße sie machte. Und sie hörte mit Ritzen und Saufen auf. Das war gut. Immerhin.
Sie lernten sich immer besser kennen. Erzählten sich immer mehr gegenseitig. Wurden richtig gute freunde, obwohl sie komplett verschieden waren.
Und dann das. Eine Mittagspause, in der sie mal so richtig Zeit zum reden hatten. Alles war super. Und dann das. Der eine Satz, der alles änderte. " Ich bin nächstes Schuljahr wahrscheinlich nicht mehr da." Das wahrscheinlich wurde schnell ein sicher. Und da wurde ihr erst so richtig klar, was passiert war. dieses Mädchen hatte sich auch so richtig tief in ihr Herz eingeschlichen. War eine weitere beste Freundin geworden.

Nein.
Warum gehen alle?
Warum war sie immer noch nicht damit klargekommen, das ihre beste Freundin nicht mehr da war?
Nun gut, sie hatte nicht wirklich die Wahl. Mit der Mutter nach Polen, eine neue Grammatik lernen, noch mal Klassen wiederholen. Und dann gegen ihren Willen studieren. Oder zurück zu ihrem Vater nach Frankreich, von wo sie vor zwei Jahren gekommen war. Und dann die Zwischenlösung, das Angebot ihres Vaters in eine WG in Freiburg ziehen zu dürfen.
Und dann war die Angst wieder da. Nächstes Jahr wieder alleine dazustehen. Schule wechseln? Nächstbeste Möglichkeit wäre täglich zwei Stunden Busfahrt. Unterhalb von der Alb.
Würde sie das schaffen? Doch vor allem stellte sich die Frage- würde dort alles auch wirklich besser werden?
Sie lag im Bett und weinte. Und dachte an dass Lied von LaFee, das so gut auf ihre Situation passte. Auch sie lag abends im Bett, hatte sich total verändert, wollte aus ihrem Leben raus und weinte abends im Bett.
Es tat gut zu wissen, doch nicht ganz alleine zu sein. Ein kleiner Trost.

Impressum

Lektorat: La Fee´s Lied " Der Regen fällt"
Tag der Veröffentlichung: 03.07.2012

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