„Hei – kannst du mir mal erklären, was der Frosch in unserem Kühlschrank macht?!?“, fragte Lisbeth mit lauter Stimme, als sie früh morgens in Titus Zimmer gepoltert kam. Titus schreckte bei diesem Lärm dermaßen auf, dass er aus dem Bett fiel. „Aua! Sag, mal hast du ‘nen Knall?!?“ Nachdem er sich schwerfällig wieder in sein Bett gehievt hatte, fing er an seine Beine und die verhedderte Bettdecke zu sortieren.
„Was macht der Frosch im Kühlschrank?!? Wird’s bald!“ wiederholte Lisbeth ihre Frage.
Mit einem Seufzer ließ Titus sich wieder in die Kissen sinken und fragte: „Wie spät ist es?“
„Halb sieben“, sagte sie kurz und gereizt, „aber dass hat nichts damit zu tun, dass ein widerlicher, kleiner, grüner Frosch im leeren Kühlschrank sitzt und quakt“, giftete sie weiter.
„Woher soll ich denn wissen, was ein grüner Frosch in unserem Kühlschrank macht. Schon gar nicht morgens um halb fünf.“
„Halb sieben“, gab Lisbeth schnippisch zurück.
„Man, sieh zu, dass du hier rauskommst. Denn ich kann, darf und will noch ein weinig weiterschlafen.“
„Beweg dich! Du kommst jetzt mit in die Küche, siehst dir gefälligst diesen Frosch an und erklärst mir, was der im Kühlschrank zu suchen hat!“
Grummelnd und fluchend quälte Titus sich aus seinem Bett und ärgerte sich, dass sie ihn um seinen wohlverdienten Schlaf brachte.
Sie war Lisbeth Müller und nicht nur eine Lerche der besonderen Art, sie stand jeden Morgen gegen fünf Uhr auf, ging eine Stunde joggen und duschen, frühstücken und zur Arbeit fahren gingen dermaßen ineinander über, dass ein Außenstehender die Wechsel gar nicht mehr mitbekam; sondern auch ein penetranter Rohrspatz, der zu jederzeit etwas fand, um darüber lauthals zu meckern.
Titus trottete ihr barfuß hinterher und das Deckenlicht in Flur und Küche blendeten ihn so sehr, dass er die Augen zusammenkniff und quasi blind lief. In der Küche angekommen riss Lisbeth die Kühlschranktür auf und tatsächlich saß auf der untersten Ablage ein grüner Frosch.
„Das ist ein Apfel!“ blaffte er, knallte die Kühlschranktür wieder zu, drehte sich um, um wieder in sein Zimmer und ins warme Bett zurückzukehren.
„Der Apfel kann aber hüpfen! Und er quakt!“, brüllte Lisbeth ihm in den Rücken.
„Neue Sorte“, flüsterte er und ging.
Kopfschüttelnd kringelte er sich wieder unter seiner Bettdecke ein und hoffte auf einige weitere Stunden ruhigen Schlaf. Das Letzte, was er hörte, war die Wohnungstür, die Lisbeth mit voller Wucht ins Schloss fallen ließ.
Warum war er nur zu einer Lerche gezogen, die im Allgemeinen bereits morgens fröhlich pfeifend durch die Welt flatterte? Er, Titus, war eine echte Nachteule und hatte als solche den perfekten Arbeitsplatz. Die meiste Zeit trieb er sich auf Vernissagen, Theater- oder Filmpremieren herum, traf Stars und Sternchen oder jene, die sich dafür hielten, verbrachte anschließend den zweiten Teil der Nacht im Büro, um die Kolumnen für die kommende Ausgabe zu schreiben und konnte dann ruhigen Gewissens den Vormittag verschlafen. Er liebte sein Leben als Schleiereule.
Als er Stunden später wach wurde, hatte er den Frosch schon fast wieder vergessen. Verschwommen hüpfte er als Traum in seinen langsam munter werdenden Gehirnwindungen noch herum und quakte nach einer Fliege.
Schmunzelnd stand er auf, schlurfte zunächst ins Bad und schritt anschließend munter, gut gelaunt und hungrig in die Küche. Für Brot und Butter öffnete er den Kühlschrank und staunte. Denn auf der untersten Platte, über den Schubfächern für Obst und Gemüse, hockte tatsächlich ein grüner Frosch, der leise vor sich hin quakte. Er machte die Kühlschranktür wieder zu, glaubte für einen Moment noch zu träumen, machte selbige wieder auf, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er hellwach war und nicht mehr träumte, und starrte erneut auf einen quakenden grünen Frosch.
„Wie kommt ein Frosch über Nacht in unseren Kühl-schrank?“, fragte er ins Leere.
Er rief eine Arbeitskollegin an und sagte ihr, dass er heute nicht zur Arbeit kommt. Gründe gab es viele, angefangen von Überstunden abbummeln, über, er habe Sachen mit nach Hause genommen, zur Vorbereitung für die anstehenden Termine in der kommenden Woche, bis hin zu privaten Problemen, die ihn zu Hause festhielten. Irgendwie hätte alles gepasst, genannt hatte er keinen und wegen eines grünen Frosches konnte man sowieso nicht zu Hause bleiben.
Nachdem er in seinem Zimmer einen Pappkasten gefunden und Löcher hineingestanzt hatte, zog der Frosch endlich aus dem Kühlschrank aus! Es wurde auch Zeit, denn Titus hatte das ungute Gefühl, dass der grüne Frosch allmählich blau wurde.
Unterwegs zur Zoohandlung verschaffte er sich mit Hilfe seines Smartphones erste Informationen über Frösche allgemein und wie man sie zu Hause hielt. Im Geschäft hielt er dem nächststehenden Mitarbeiter ein schnell geschossenes Foto vor die Nase und bat um Hilfe.
Eine halbe Stunde später war Titus wieder auf dem Weg nach Hause und nach einer weiteren Stunde zog der Frosch erneut um, diesmal in eine angeblich artgerechte Behausung. Danach wischte er den Kühlschrank aus und füllte ihn mit neuen Lebensmitteln.
Als Lisbeth an diesem Abend nach Hause kam, schnippelte Titus Karotten. Trotz des Gebrülls am Morgen wollte er für sie beide das Abendessen kochen.
Er kochte gern und wann immer es ihm möglich war, auch für beide zusammen. Sie war ihm stets dankbar dafür. Denn der Fraß ihrer Firmenkantine konnte selbst bei einem Hund kaum für Schwanzwedeln sorgen, weshalb sie meistens hungrig nach Hause kam. Manchmal auch in leiser Hoffnung, dass Titus für sie mitgekocht hatte. Denn Kochen, das konnte er wirklich.
Doch der Frosch im Kühlschrank, und wie er mit ihr am Morgen umgegangen war, brachte sie erneut in Rage, daher keifte sie, kaum dass sie ihn in der Küche gesehen hatte: „Wo ist der Frosch?!?“
„Brutzelt in der Pfanne“, knurrte er kurz zurück. Grinste sie danach aber an, um ihr zu signalisieren, dass er nur Spaß machte. „Hör zu, mir ist nicht nach Spaßen zumute! Also, wo ist der Frosch und verdammt noch mal, wo kommt das Vieh her, beziehungsweise, was hat ES im Kühlschrank verloren?!?“
„Der Frosch sitzt in einem Terrarium in meinem Zimmer“, sagte er langsam, denn wo der Frosch tatsächlich herkam, wusste auch er nicht. Den ganzen Nachmittag hatte er bereits überlegt, wer ihm diesen Streich gespeilt hat, doch er hatte keine Ahnung.
„Ich warte!“, kiekste Lisbeth kurz auf, woraufhin Titus zu stottern anfing: „Dein Ex-Mann war gestern Nachmittag hier und hat auf dich gewartet. Einen Grund für sein Auftauchen hat er nicht gesagt und ich muss ehrlich sagen, dass ich auch keine Lust hatte, mich mit ihm zu unterhalten. Außerdem hatte ich noch zu arbeiten, schließlich musste ich mich ja noch auf die Premiere am Abend vorbereiten, da habe ich ihn halt allein gelassen. Als ich die Wohnung dann verließ, war er bereits weg. Ich weiß nicht, was er in dieser Zeit getan hat. In den Kühlschrank habe ich beim Weggehen nicht geschaut, und als ich spät nachts wiederkam, bin ich gleich ins Bett gefallen.“ Grinsend fügte er dann hinzu: „Der Frosch könnte also auch von Dir kommen.“
„Sehr witzig!“, blaffte sie zurück.
Das Erscheinen ihres Ex-Mannes war ihm spontan gekommen, denn er wusste, dass die Beiden noch so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis miteinander verbindet, was ein loses sich-hin-und-wieder- sehen mit einschloss. Dies war zwar eine glatte Lüge, aber er hatte das merkwürdige Gefühl, dass ein einfaches ‘weiß ich auch nicht‘ ihr als Erklärung nicht gereicht hätte. Er war sich nur nicht sicher, ob sie ihm Glauben schenkte, und hoffte inständig, dass sie ihren Ex-Mann nicht gleich anrufen würde, um ihm die Hölle heiß zu machen, was denn ein Frosch in ihrem Kühlschrank sollte. Aber nach einem Augenblick schien es, dass sie ihm seine Erklärung zumindest vorübergehend abnahm, denn sie schritt kopfnickend aus dem Zimmer und war bis zum Abendessen nicht mehr gesehen.
Nur, woher kam der Frosch wirklich?!?
Einige Tage vergingen, ohne dass einem der beiden auch nur eine Idee gekommen wäre, wer ihnen diesen Streich gespielt hatte, als es an der Wohnungstür klingelte. Vor der Tür stand Titus bester Freund Tomtom, mit einem Präsentkorb voller merkwürdiger und fremder Leckereien.
„Tomtom?!?! Was machst du denn hier? Ich denke du bist noch bis Ende des Monats in Ecuador?“, fragte Titus völlig überrascht und schlagartig wurde ihm klar, wer ihnen den Frosch in den Kühlschrank gesetzt hatte.
Tomtom, der eigentlich Thomas hieß, aber nie anders ge-rufen wurde, war ein Hobby-Experte für Reptilien, insbesondere für Frösche. Die kleinen quakenden Viecher hatten es ihm schon in Kindertagen angetan und haben so manches Mädchen und auch den einen oder anderen Lehrer ordentlich erschreckt. Nun hatte sich ihm eine Möglichkeit geboten, Urwaldfrösche in Ecuador in ihrem natürlichen Lebensraum zu erforschen. Überstunden hatte er genug, sodass er sich eine Sabbatzeit von drei Monaten nehmen konnte, in den nächsten Flieger stieg und sich mächtig freute.
„Ich bin vor ein paar Tagen wieder gekommen“, begann er. „Ich musste leider früher zurück, als geplant, denn die Firma hat mächtig Druck gemacht. Mein Chef faselte etwas von Aufträgen über Aufträgen, sodass sogar eine weitere Stelle ausgeschrieben werden kann. In diesem Zusammenhang würden auch Umstrukturierungen in der Firma stattfinden. Kurz, wenn ich nicht zurückgekommen wäre, wäre ich auch nicht befördert worden. Daher blieb mir nichts anderes übrig, als den Rückweg anzutreten.
Aber Ecuador war toll, da solltet ihr unbedingt im nächsten Urlaub hinfahren.“
„Wir?!?“, fragte Titus überrascht, der bis dahin noch nicht einmal in Erwägung gezogen hat mit seiner Mitbewohnerin gemeinsam in den Urlaub zu fahren. Für sie zu Kochen machte ihm nichts aus, denn er stand ja gerne in der Küche, aber gemeinsam in den Urlaub zu fahren war für ihn was ganz anderes.
„Das Land hat noch viel mehr zu bieten als Dschungel und Frösche. Wir könnten im nächsten Jahr alle zusammen hinfahren, denn meine Firma hat mir versprochen, dass ich die ausgefallenen Wochen im nächsten Jahr nachholen darf und …“
Tomtom ignorierte Titus und fing an über seine Zeit in Ecuador zu berichten und er schien kein Ende zu kennen. Er steigerte sich sogar noch weiter hinein, als er auf die Frösche kam, die er zunächst im Dschungel in freier Wildbahn gesehen hatte und anschließend im Froschzentrum erforschen konnte.
Beim Thema Frösche wurde Titus wieder hellhörig und warf ein: „Tomtom, deine Erzählungen sind ja wunderbar und ich kann deine Faszination für diese Tierchen durchaus verstehen, aber wir hatten vor ein paar Tagen einen grünen Frosch in unserem Kühlschrank. Hast du dafür irgendeine Erklärung?“
„Der Frosch. – Ja“, fing Tomtom an. Stockend fuhr er fort: „Also, den Frosch habe ich zu Euch in den Kühlschrank gesetzt, weil ich ihn ja schlecht auf den Tisch hätte setzten können, da wäre er ja weggehüpft und das sollte er ja nicht.“ Langsam fuhr er fort: „Der Kühlschrank war ja auch im Grunde leer: Ein kläglicher Rest Butter, keine Wurst, kein Käse, von Obst und Gemüse ganz zu schweigen und das halb leere Glas Marmelade habe ich mitgenommen.“
„Tomtom“, warf Titus ein, „komm zum Punkt!“
„Ja. Ich habe eigentlich gehofft, dass einer von Euch beiden den Frosch küsst und dann seinen Traumprinzen beziehungsweise Prinzessin finden würde. Denn ich finde, ihr beide passt wirklich gut zusammen.“ Tomtom überschlug sich fast beim Sprechen der letzten Worte, so sehr war er von ihnen überzeugt. „Jetzt, da mein Plan ja offensichtlich nicht geklappt hat, du aber dem armen Tierchen dankenswerterweise ein so wunder- schönes Terrarium besorgt hast, kann ich ihn ja wieder mitnehmen.“ Er hatte den Satz noch nicht beendet, da stand Tomtom auch schon auf und ging auf das Terrarium zu, welches inzwischen aus Titus Zimmer ins Wohnzimmer umquartiert worden war.
„Nix da!“, brachte Titus noch heraus, aber ansonsten war er für einen Moment sprachlos.
Dann aber dämmerte es ihm: Sein bester Freund hatte sich aus Ecuador wahrscheinlich einen wunderschönen Frosch für seine Sammlung zu Hause mitgebracht, um auch hier weiterhin für die Erforschung der Dschungelfrösche tätig sein zu können. Für diesen Ehrengast hatte er nun aus dem Nichts heraus ein Terrarium gebraucht! Da hatte so ein heimischer Laubfrosch natürlich das Nachsehen! Auch erinnerte sich Titus daran, dass er Tomtom in einer E-Mail mitgeteilt hatte, dass er zu ebenjener Premiere mit diesem neuen Startenor gehen darf, und sich im Anschluss daran noch die halbe Nacht im Büro herumtreiben muss, um die Kritik über Sänger und Stück zu schreiben. In ebenjener Mail erwähnte er auch, dass Lisbeth ebenfalls nicht zu Hause sei – aus welchen Grünen auch immer. Darüber hinaus besaß Tomtom einen Wohnungsschlüssel, weil er einfach sein bester Freund war und auch von Lisbeth sehr geschätzt wurde. Er hatte also am besagten Abend sturmfreie Bude!
Titus platzte fast der Kragen, als er daran dachte, dass ihr schöner Kühlschrank vorübergehend von einem Reptil bewohnt wurde, weil sein Besitzer keine Unterbringung für das Vieh hatte, und wollte schon loswettern.
Aber wie er seinen Freund da auf dem Sofa sitzen sah, und in völliger Überzeugung von Prinz und Prinzessin sprach, blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als zu lachen und immer lauter zu lachen. Prustend betonte er nur noch mal: „Der Frosch bleibt hier!“
Tag der Veröffentlichung: 12.09.2011
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