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Wir haben auf der schmalen Holzbank Platz genommen, nachdem uns der Fahrer, der uns vom Hotel abgeholt hat, über die Stelling geholfen hat. Wir sind gleich hier oben auf der Poop geblieben und schauen zu, wie sich das Deck langsam mit anderen Touristen füllt.

 

Touristen wie wir. Touristen, die auch den Lockungen der Werbeplakate und den Flyer-Verteilern auf der Strandpromenade erlegen sind: „Kommen Sie an Bord! Ein unvergesslicher Tag auf dem Meer!“ Also haben auch wir diese „Passage“ gebucht. „Passage“. Pff. Vom Hafen und wieder zum Hafen zurück.

 

Ich sitze nun also hier und betrachte das Schiff. Sie ist eine alte Lady. Über 100 Jahre hat sie schon auf ihrem Kiel. Ein portugiesischer Schoner. Ich schaue über das alte, messingbeschlagene Steuerrad hinweg, über die Takelage, zum Bug. Zweimastig. Ich höre das Knarren der Taue, der gerafften Segel, die nach dem Wind gieren, der dieses Schiff über den Atlantik trug. Doch ihre Wünsche werden unerfüllt bleiben.

 

In meiner Fantasie sehe ich den alten Captain hier stehen, wie sein Blick in die Ferne schweift, während die „Nummer 1“ die Befehle zum Setzen des Hauptsegels gibt. Dann gleitet mein Blick wieder ins Hier und Jetzt und bleibt an dem Skipper hängen.

 

Der Skipper heißt Diego, trägt Flip-Flops und telefoniert mit seinem Handy, während er auf dem digitalen GPS-Gerät rumtippt, das neben dem alten, mit Gusseisen verkleidetem Kreiselkompass in einer schräg in die alte Holzverkleidung gebohrten Halterung steckt.

 

Da erzittern die Segel als würden sie von einem Fieber befallen. Vielleicht spüren sie, dass es hinausgeht. Hinaus auf die unendliche Fläche des Meeres, das seit jeher ihr Zuhause ist.

 

Tatsächlich sind es nur die Vibrationen des Diesels, den jemand nachträglich in den alten hölzernen Bauch gepflanzt hat wie einen Herzschrittmacher. Ein Herzschrittmacher, der mit 20 Umdrehungen eine Welle antreibt, die den Segeln den Sinn genommen hat.

 

Doch dann werden sie von der Crew, einer Frau und einem Mann in bunt geringelten T-Shirts, doch noch gesetzt. Allerdings nur um den Namen der Reederei und des Schiffes weithin sichtbar zu machen. Leinen klatschen in das brackige Hafenwasser, werden eingeholt und aufgeschossen, während der Abstand zwischen Pier und Poller größer wird. Der Bug dreht sich, zwar nicht in den Wind, dafür aber gen offenen Ozean.

 

Wir ziehen vorbei an modernen Glasbodenbooten und hippen Katamaranen von denen Partysounds dröhnen und junge „erfolgreiche“ Menschen uns mit Cocktails zu prosten. Als wir an einem abgewrackten Fischkutter vorbeiziehen, streiche ich über das Holz der Reling und denke: Du hast doch ein besseres Schicksal erhalten, alte Lady.

 

Mein Blick gleitet jetzt über das Deck des Schoners. Dort, wo sich einst Fässer mit Rum, Gewürzen, Zuckerrohr oder Cochenille stapelten, ist jetzt eine Back angeschlagen. Auf den Bänken sitzen Deutsche, Engländer, Franzosen und Spanier. Das gleiche Bild auf den Bänken an der Bordwand.

 

Während ich sie mir so anschaue, wie sie da hocken in ihren Bermudas, Muscleshirts und Sandalen umspielt ein Lächeln meine Lippen. Dafür bekomme ich von meiner Frau wieder einen Stuppser in die Rippen. Zu meiner Tochter sagt sie, „Schau, der Herr Admiral glaubt wieder zu wissen, was kommt.“ Das bekam ich schon in der Früh zu hören, als mein Blick auf die See fiel und ich die weißen Kronen auf den Wellen sah. „Neptun wird heute wieder das eine oder andere Opfer bekommen“, konnte ich mir nicht verkneifen. „Ein schöner Seegang da draußen!“

 

Genau das sehe ich jetzt wieder, als mein Blick über die jetzt schon roten Köpfe der Touristen schweift, die ja keines Schutze bedürfen, da auf dem Meer ja eh „eine Brise weht“. Wir werden sehen.

 

Ich genieße den Anblick der See, die sich hebt und senkt; des aufschäumenden Meeres, als der Bug klatschend eintaucht, während wir durch die Wellen rollen. Der Skipper versteht sein Handwerk gut und stellt das Schiff so, dass es erträglich bleibt. Noch eine halbe Stunde und wir können eine Schule Pilotwale bestaunen, doch den Ersten ist der Blick bereits getrübt.

 

Wir laben uns am Meer und dem Anblick der Bettenburgen offshore. Nach eineinhalb Stunden laufen wir in eine ruhige Bucht. Der Anker wird fallen gelassen und wir haben die Möglichkeit zu schwimmen während an der Theke, die das alte Deck besonders verschandelt, Getränke ausgeschenkt werden. Einigen würde ein großer Schluck Rum gut tun, aber vielleicht sollte man ihn gleich Neptun und seinem Gefolge weihen. Die ruhigere See wird genutzt um das Deck und die Füße einiger Passagiere abzuspritzen und wir geben uns der Sonne und dem Seegang hin, die unseren Seelen schmeicheln.

 

Nach einer halben Stunde werden die Anker gelichtet und mit verminderter Schlagzahl wird Kurs auf den Hafen genommen. Die Geschwindigkeit wird deshalb reduziert, dass der Smutje das Essen aufbacken kann. Das Essen ist im Preis inbegriffen, doch da die Hälfte der Reisenden auf ihre Ration verzichtet, freut sich die Backschaft über jeden, der Nachschlag holt. Neptun erhält seine letzten Gaben, als wir das Fahrwasser einer Fast-Ferry kreuzen, die gerade den Hafen verlassen hat.

 

Leinenkommandos werden gegeben und der Rumpf der alten Lady schlägt gegen die Pier, gedämpft durch die Poller aus alten Reifen. Die Stelling wird aufgelegt und alle verlassen glücklich das Schiff. Die einen, weil sie einen wunderschönen Tag auf See verbringen durften und etwas von dem Gefühl erleben konnten, das die Piepels auf ihren Fahrten in der guten alten Zeit der Seefahrt unter Segeln erleben konnten. Die anderen, weil sie endlich wieder festen Beton unter ihren Flip-Flops spüren und jetzt großspurig erzählen können, dass es halb so wild war, während sie sich den Schweiß und das Erbrochene aus dem Gesicht wischen.

 

Bevor ich als Letzter über die Stelling trete, lege ich meine Hand noch einmal auf das alte Holz. Atme tief ein. Der Duft von Leinöl, Seetang, Fischen, Brackwasser, Diesel, Holz, Segeltuch, Erbrochenem und dem weiten Atlantik erfüllt mich.

 

Während einige für das Geld heute die Hölle ihres Lebens erfahren durften, fällt mir das alte irische Volkslied ein:

 

„Wrap me up in my oilskins and jumpers,

No more on the docks I’ll be seen.

…”

 

“Komm, Admiral!”, reißt mich meine Frau aus meinen Gedanken. Ich trete auf die Pier und steige in das Taxi, das uns zurück zum Hotel bringt. Mein Blick fällt noch einmal auf die alte Lady, ehe sie hinter den Rümpfen der modernen Schiffe verschwindet. Dann blicke ich durch die Windschutzscheibe und sehe ein großes, hölzernes Schild. Der Lack blättert ab und in großen Lettern steht dort „Tavern Fiddler’s Green“.

Impressum

Texte: Namen, Orte und Handlung sind frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit tatsächlich existierenden Personen sind Zufall und nicht beabsichtigt.Copyright by Simon Kahnert.Abdruck, Kopie und Veröffentlichung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors
Tag der Veröffentlichung: 07.09.2009

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