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Wieder einmal öffnen sich die stählernen Tore der Fähre wie ein überdimensionales Maul einer Metallfratze, während Captain Pépe sein Schiff viel zu schnell und extra ruppig gegen die Kaimauer steuert.

 

Wieder einmal spuckt der Seelenverkäufer seine Fracht aus, als wäre er ein überdimensionales Lebewesen der Meere, dass froh ist, seinen ungesunden Mageninhalt los zu werden, koste es, was es wolle.

 

Captain Pépe steht in der Steuerbordnock neben der Brücke, grüßt mit einem Tippen an seine grünlich verfärbte, ehemals weiße Mütze, während er in das stinkende, brackige Wasser des Hafens spuckt.

 

Ich erwidere seinen Gruß, während ich meinen billigen Zigarillo ausdrücke und das Glas Vino Tinto herunterstürze. Ich greife mir den nächsten Stängel und Paolo gießt mir mein Glas wieder voll. „Heute beginnt die Saison, Senior. Viele neue Gesichter.“ Paolo erwartet keine Antwort. Er, Pépe und ich betrachten die Fracht, die der Klipper ausspuckt.

 

Ich betrachte die Menschen, durch den blauen Dunst meines Sargnagels verschleiert, die auf die Pier treten. Sehe die Insulaner; mit enttäuschten Gesichtern; zurück vom Festland, vom Markt, wo sie ihre Handarbeiten verkaufen wollten, die niemand dort mehr braucht. Die kleinen Laster und Lieferwagen, die das bringen, was die Insulaner brauchen, die sich in der Maschinerie des Tourismus prostituieren, um ihr Überleben zu sichern. Die Touristen, die planlos, mit dem Reiseführer in der Hand, die Eindrücke auf sich wirken lassen, um sofort umringt zu sein von denen, die erkannt haben, wo do das Geld ist und wie man es bekommt.

 

Und dann sind da noch die anderen. Diejenigen, die mit der Fähre die Hoffnung auf eine neue Zukunft mitbringen, die ein neues Leben beginnen wollen, denn das alte ist abgetragen vom Alltag und der Mühe, die der schwere Beruf, die Steuerlast oder Hartz IV so mit sich brachten.

 

Mit dem Nikotin, das ich tief in mich hinein sauge, kommt die Erinnerung nach oben. Die Erinnerung an mich und meine Freundin, als wir dort genauso ausgekotzt wurden. Beim ersten Mal war es die Liebe auf den ersten Blick. Dieses wundervolle Eiland! Diese Natur! Diese Menschen! Dieses Meer!

 

Dieses Meer. Es brachte uns zwei Jahre später wieder her. Mit der Hoffnung auf eine neue Zukunft, die Auffrischung unseres Lebens, unsere Liebe, den das alte war abgetragen: Ihr Friseurladen langweilte sie und meine Routine als technischer Angestellter im öffentlichen Dienst brachte schon lange keine Perspektive mehr. Warum also nicht alles hinter sich lassen und auf diesem Eiland das finden, was man nicht mehr hat? Was verloren scheint?

 

Ich spucke ein Stück billigen Tabak auf den dreckigen Boden von Paolos Hafenkneipe und spüle den schalen Geschmack mit dem Rotwein hinunter, wie sagte Harrison Ford einmal so treffen: „Dies ist eine Insel, Baby. Was man nicht mitbringt, das gibt es hier nicht!“[1] Tja. Ich schaue mir die hoffnungsvollen Gesichter an, die den Kai hochkommen und ich weiß, dass sie es lernen werden.

 

„Sehen Sie, Senior, Krollmanns nehmen die Fähre. Vor einem Monat haben sie den Laden wieder geschlossen den sie von ihrer Senorita gekauft hatten.“ Paolo füllt mein Glas auf und Pépe macht eine Geste vor seinem Hals, während er mit der Zigarette auf Herrn und Frau „wir machen das besser als Sie“-Krollmann deutet.

 

„Bien“, antworte ich durch die Zähne und ziehe an meiner Fluppe. „War zu erwarten bei der Lage!“

 

Diese Lage, traumhaft, einfach wundervoll. So hatte es uns der deutsche Makler damals angepriesen. „Die Kunden rennen Ihnen die Türen ein. Sie können die neuesten Stiles anbieten. So was gibt’s hier noch nicht!“

 

Hier war, wie sich herausstellte, der Block, in dem sich der Friseurladen meiner Ex dann befand. In der Straße gab es drei und im Ort 27. Und die neuesten Stiles waren englischer und deutscher 0815-Schnitt, der meine Ex nach drei Monaten langweilte und uns nach neun in den finanziellen Ruin trieb. Nach einem Jahr nahm sie die Fähre und, soweit ich weiß, arbeitet sie in einem Salon irgendwo in Schwaben. Dort macht sie auch 0815-Stiles. Aber wenigstens zu einem festen Gehalt.

 

Den Laden hat der Makler dann weiter vermietet. „Diese Lage, traumhaft, einfach wundervoll. Die Kunden rennen Ihnen die Türen ein. Sie können die neuesten Stiles anbieten. So was gibt’s hier noch nicht!“, hat auch den Krollmanns gefallen. Das ist jetzt zwei Jahre her. Sie haben es wohl länger ertragen als wir.

 

Während Paolo mein Glas füllt, sieht er mich an. „Warum haben Sie vor fünf Jahren nicht die Fähre genommen, Senior?“ Wir kennen uns jetzt seit acht Jahren und er nennt mich immer noch Senior. Seit ich damals als großer Geschäftsmann aus Alemania das erste Mal den teuersten Rotwein bestellte und noch heute.

 

Heute. Heute bestelle ich seinen „Vino tinto del casa“. Das Billigste, was er anbietet und ich bin immer noch Senior. Tja, warum bin ich nicht mit Pépes Seelenverkäufer zurück nach Deutschland? Vielleicht, weil ich zu stolz war? Vielleicht, weil mich dort auch kein besseres Leben erwartete? Vielleicht, weil ich froh war, dass meine Ex 5000 km von mir entfernt war? Vielleicht, weil meine Hoffnung auf dieser Insel starb? Vielleicht, weil Zigarillos und Rotwein auf dieser Insel so billig sind?

 

„Weil es dort nicht deinen vergammelten Fisch gibt, Paolo!“, antworte ich ihm. Der Wirt schlägt mir mit seiner fettigen Hand auf die Schulter, lacht laut und herzlich, dreht sich um und kümmert sich um die Neuankömmlinge, die seine Inselspezialitäten probieren wollen.

 

Pépe schließt die Pforten seiner schwimmenden Hölle, wirft die Kippe in das Hafenwasser, dass wie die Innereien eines seit Tagen toten Wales stinkt und das als „romantischster Flecken der Insel“ im Reiseführer steht. Er nickt mir zu und startet seine Diesel.

 

„Schreib's an Paolo. Wie immer zahle ich, sobald ich meine Heuer bekomme“ schreie ich in das Dunkel der Hafenbar, stürze den Vino Tinto herunter und zünde mir eine neue kleine Zigarre an. Langsam gehe ich zur Pier hinunter.

 

„Seniores, Senioras, wie wäre es mit einer Fahrt um die Insel? Sehen Sie die romantischsten Flecken des Eilandes vom wundervollen, majestätischen Atlantik aus!“

 

Der Atlantik! Das Meer! Irgendwann wird es mich töten. Oder das Nikotin! Oder Paolos billiger Wein! Oder das Heimweh! Oder ich nehme Pépes Fähre …

[1] Harrison Ford in "Sechs Tage, sieben Nächte", Caravan Pictures, USA, 1998

 

Impressum

Texte: Namen, Orte und Handlung sind frei erfunden. Etwaige Übereinstimmungen mit tatsächlich existierenden Personen sind Zufall und nicht beabsichtigt. Copyright by Simon Kahnert. Abdruck, Kopie und Veröffentlichung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2009

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