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Der Wind schlägt ihm ins Gesicht, die feuchte Kälte dringt durch seine Kleider. Ein Duft, denn er vorher nie gerochen erfüllt seine Nase. Er atmet tief ein und beginnt zu husten.

 

Es ist Dezember.

 

Im Dezember riecht er normalerweise den Duft von frischem Schnee auf den kahlen Feldern. Der Wind trägt Düfte von Freiheit und Weite zu ihm her.

 

Doch hier? Hier schlagen sich der Duft von Autoabgasen, menschlichen Ausdünstungen und Müllhaufen auf seinen Lungen nieder, kratzt in seiner Kehle und raubt ihm den Atem.

 

Verlassen steht er auf diesem grauen Bahnhofsvorplatz. Zwei Koffer neben sich und die Gitarre auf dem Rücken.

 

Sein neues Leben liegt auf der anderen Seite der Straßenbahntür, die sich vor ihm auftut wie der Schlund zur Hölle.

 

Seine großen Worte klingen ihm noch in den Ohren.

Ich will hier raus! Weg aus diesem Kaff. Das Leben fühlen.

 

Nun fühlt er es. Es ist kalt, dunkel und hart.

 

Es war ein Kampf gegen seine Eltern. Weg aus der ländlichen Idylle. Rein in die große Stadt. In das Leben.

 

Er kämpfte mit ganzem Herzen. Und gewann.

Oder nicht?

Der Kampf beginnt jetzt.

Sobald er diesen Waggon betritt.

So wie er in den Ring steigt.

Die Bahn führt ihn direkt dorthin.

 

Seine eigene Wohnung. Im 10. Stock eines Hochhauses. Na ja immerhin mit Fernsicht, denkt er sich, als er die Tür aufschließt.

 

Mit fünf Schritten durchmisst er sein Reich.

Oder ist es eher eine Zelle?

In die er sich selber gesperrt hat?

 

Ein Bett, ein Schrank, Tisch, Stuhl und eine Küchenzeile. Wenigstens ist die Toilette in einem extra Raum.

 

Der Blick aus dem Fenster. Graue Wolken bis zum Horizont. Sie drücken sich auf die Dächer der Häuser.

Häuser.

 

Bis zum Horizont. Dort liegt es. Das Reich seiner Kindheit, seiner Jugend seiner Freiheit.

Doch kein Weg zurück.

 

Er öffnet den Koffer. Nimmt seine Kleider heraus.

Der neue Anzug. Er legt ihn aufs Bett.

Schürt seine Schuhe auf. Sieht sie an.

 

Seine Schuhe. Feste Schuhe. Schmutzig und ausgelatscht. Doch sie tragen den Duft der Erinnerung.

Was haben sie alles mit ihm erlebt?

 

Er stellt sie auf den Boden neben das neue Paar.

Schöne Schuhe. Glänzend, sauber. Werden sie in ein paar Jahren auch so etwas für ihn sein? Wo hin werden sie ihn tragen?

 

Er zieht seine Hose und sein Hemd aus.

Schlüpft in den Anzug. Starrt in den Spiegel.

Wer ist das? Werden wir uns kennenlernen?

Werden wir uns mögen?

 

Er schaut auf die Uhr. In einer Stunde muss er in seiner neuen Firma sein. Er zieht die Tür zu und ist bald wieder am Hauptbahnhof.

 

Noch ein Kaffee ein Blick auf die Uhr. Die Wolken reißen auf. Er schließt die Augen.

 

Komisch. Der Duft ist der Gleiche, doch er stört ihn nicht mehr so.

 

Er öffnet die Augen, sein Blick fällt auf die Abfahrtstafel. In zwei Stunden geht ein Zug nach Hause, denkt er sich.

 

Er lächelt, weiß jetzt, dass kein Abschied für immer sein muss. Weiß, dass jeder Neubeginn auch mit Schmerzen verbunden ist. Er schaut auf seine Schuhe. Sie sind Schlamm bespritzt und drücken.

 

Mit einem Lächeln dreht er sich um, tritt in eine Pfütze und geht, den Bahnhof im Rücken.

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Tag der Veröffentlichung: 15.04.2009

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