Autor: Hanna Schnur
Copyright Texte: Hanna Schnur
Copyright Bildmaterialien:
Cover: woopy.com - eslwinshot
sonstige Bildmaterialien: monirapunzel
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2013
Alle Rechte vorbehalten
Spiritus flat, ubi volt
Der Wind bläst wo er will
(Luthers Üersetzung Johannes 3,8)
Ich kämpfte mich durch das Unterholz. Es raschelte. Ein leiser Wind war aufgekommen. Trotzdem schwitzte ich an diesem Spätsommertag. Ich zog meine Jacke aus und knotete sie um meinen Bauch.
Je näher ich meinem Ziel kam um so lauter wurde der Lärm.
Ich hatte ein Haus von meiner verstorbenen Freundin Heide geerbt. Es lag direkt an einer Bundesstrasse die vorwiegend als Autobahnzubringer benutzt wurde.
Ich hatte mein neues Haus schon vom Bus aus gesehen. Es schien Bestandteil einer ehemaligen Stadtmauer gewesen zu sein.
Von der Bushaltestelle aus musste ich ein paar Meter laufen. Auf der stark befahrenen Strasse, wäre es lebensgefährlich gewesen, darum hatte ich den Weg durch den dahinterliegenden Wald gewählt.
Endlich stand ich vor dem Haus. Es war alt und schien lange Zeit unbewohnt gewesen zu sein. Ich wusste nicht, warum Heide es grade mir vererbt und wozu es ihr zu Lebzeiten gedient hatte.
Ich steckte den Schlüssel in die kleinere der beiden Türen. Es war nicht abgeschlossen.
Der Vorraum war dunkel und es gab nur ein kleines Fenster.
Meine Augen gewöhnten sich langsam daran.
Neugierig schaute ich mich um. Unten gab es eine kleine Bank und in dem oberen Stockwerk fand ich mehrere Kartons mit alten Büchern. Dazu ein rotes Sofa mit einem dazu passenden Lesesessel.
Es war sonderbarerweise nicht staubig.
Ich liess mich erschöpft auf das Sofa fallen, holte meine Thermoskanne mit stark gesüssten Ostfriesentee heraus und stöberte in den Kartons.
Es waren alte Mädchenbücher. Wahre Schätze wie „Nesthäkchen“, „Pucki“ und Enid Blyton-Bände. Ich vergass die Zeit und den Raum..
Plötzlich hörte ich ein lautes Klappern, welches das stetige Rauschen des starken Verkehrs unterbrach. Ich erschrak und stand auf. Ich sah durch das Fenster und stellte fest, dass ein Unwetter aufzog.
Ein Blick auf meine Uhr zeigte mir, dass ich meinen Bus verpasst hatte und der nächste erst in drei Stunden fuhr.
Es gab kein Licht und keine Elektrizität in diesem Haus.
Dann hörte ich Schritte auf der Treppe.
Ich holte meine Waffe aus meinem Rucksack. Ich hatte immer irgendeine Art Waffe bei mir. Das hatte mich das Leben gelehrt.
Die Tür ging auf und ein älterer Mann mit einer zerfetzten Jacke stand vor mir. Er sah ungepflegt aus. Er schien sich schon längere Zeit nicht mehr rasiert zu haben. Sein volles graues Haar fiel auf seine Schultern.
Wir standen uns gegenüber und starrten uns an.
Er schien genauso erschrocken zu sein, wie ich.
„Was machen Sie hier?“, brach er das Schweigen.
„Das ist mein Haus“, antwortete ich.
„Ich habe es geerbt“, fuhr ich erklärend fort, als er stumm blieb.
„Entschuldigung, es ist nur.....“stammelte er.
Draussen hatte es angefangen zu stürmen. Es blitzte und donnerte. Regen prasselte auf das Dach.
„Ich weiss nicht wohin, ich habe ab und zu hier übernachtet“.
„Obdachlos?“, fragte ich.
„Ja, genau“, sagte er und liess sich in dem Lesesessel nieder.
Ich wusste nicht was ich machen sollte. Ich stand immer noch mit meiner Waffe in der Hand da. Angst machte er mir nicht. Sollte ich ihn bei dem Wetter wieder hinaus jagen?
„Sie sollten mich anzeigen wegen Hausfriedensbruch“, bemerkte er. „Vielleicht komme ich dann wieder in den Knast. Es ist kein Leben für mich draussen. Drinnen war alles geregelt. Es gab etwas zu Essen, die Arbeit wurde gut bezahlt und ich hatte Freunde.“
Ich umklammerte meine Waffe fester.
„Für Hausfriedensbruch kommen Sie nicht in den Knast“, sagte ich.
„Nein“, er lachte. „Nein, keine Angst ich tue Ihnen nichts. Ich war Bankräuber. Eigentumsdelikte. Keine Gewalt gegen Menschen“.
„Ist es nicht besser in Freiheit zu leben?“ fragte ich, indem ich mich auch setzte. Mein Gefühl sagte mir, dass ich keine Angst vor ihm haben musste. Mein Verstand ermahnte mich zur Vorsicht.
„Freiheit“, wiederholte er. „Freiheit heisst, dass ich gezwungen werde jeden Tag eine Arbeit zu machen, wofür ich hier draussen weniger Lohn bekomme, als es im Knast der Fall war. Dass ich schikaniert werde von meinem Chef, dass wenn ich das nicht mitmache, ich kein Geld vom Job-Center bekomme. Dass mir Leistungen so gestrichen werden, dass ich auf der Strasse leben muss, nichts zu Essen habe, keine Freunde, kein Geld“...
Er schaute mich vorwurfsvoll an.
„Haben Sie Hunger?“, fragte ich und holte aus meinem Rucksack ein Paket selbst gebackenen Apfelkuchen.
Er fiel über den Kuchen her und reichte mir eine Tasse, die ich mit meinem gesüssten Tee füllte.
So sassen wir eine Zeit lang in Eintracht zusammen unser Mahl geniessend.
„Köstlich“, murmelte er.
„Wo mussten Sie zuletzt arbeiten?“, fragte ich
„In einem Call-Center. Es war die Hölle. Abgesehen davon, dass wir ausgenutzt wurden, war mein Arbeitsauftrag andere Menschen zu verarschen. Wir arbeiteten für verschiedene Firmen und Behörden. Die Leute riefen an und hatten ein Problem und wir wussten nie wie man das lösen konnte Wir hatten keine Ahnung. Wir sollten sie abwimmeln, ruhig stellen. Egal, ob der Computer kaputt war oder die Versicherung nicht zahlte, oder eine Lieferung nicht angekommen war.“
Er erhob sich mit einer Backe seines Hinterteiles aus seinem Sessel.
Alarmiert ging ich sofort in Abwehrhaltung im Geiste die verschiedenen Kampftechniken durch gehend, die ich in meinem letzten Selbstverteidigungskurs gelernt hatte.
Ein lauter Furz hallte durch den Raum.
Erschrocken schaute ich ihn an.
Dann musste ich lachen.
„Das ist nicht lustig. Entschuldigung Laktoseintoleranz.“, erklärte er, und setzte sich wieder.
„Mein Kuchen“...fing ich an.
„Nein, ich habe heute morgen bei der Tafel gefrühstückt. Die machen ab und zu Veranstaltungen für Obdachlose und Hartzer. Da kann ich nicht wählerisch sein. Ich nehme was ich kriege. Im Knast war das anders. Es gab laktosefreie Milch und Jogurt und so.“
„Das ist übel“, sagte ich. „Ich verstehe sowieso nicht, warum in Lebensmitteln so viele Stoffe drin sind, die nur wenige vertragen. Ich brauche Stunden um einzukaufen, weil ich alle Etiketten genau durchlesen muss. Ich vertrage auch vieles nicht,“ fügte ich hinzu..
Ich war aufgestanden und hatte das Fenster geöffnet. Frische Luft wehte mir entgegen. Eine Wohltat nach der Schwüle dieses Spätsommertages. Regen prasselte auf das Dach und ab und zu erhellte ein Blitz den Himmel begleitet von lautem Donner, der den Autolärm kurzzeitig unterbrach.
„Mit den Hartz4lern machen sie es genauso wie damals mit den Juden“, sinnierte mein Gast hinter mir.
„Hier“, er griff in eine der Kisten mit den Büchern und hielt das Buch „Anne Frank“ in die Höhe.
„Naja...“versuchte ich seine Weltsicht zu relativieren.
Aber mir fiel nichts ein. Er hatte recht.
„Die ganze Hetzerei in den Medien. Zwangsarbeit, Sanktionen, Enteignung – was ist daran anders?“
„Ja“, ich setzte mich wieder hin. „Wie ist das eigentlich alles entstanden?“, überlegte ich.
„Die Grünen und Schröder waren das“, sagte er.
„Die Grünen bestehen zu 80 % aus Lehrern und Sozialpädagogen, die meinen sie hätten einen Erziehungsauftrag, um Menschen zum Erwerbsarbeiten zu zwingen.
„Genau“ stimmte er mir zu.
„Was völlig unlogisch ist. Wenn man bedenkt, dass es nicht genug Arbeitsplätze gibt. Es ist reine Schikane, was mit einer bestimmten Bevölkerungsgruppen betrieben wird.“
„Schuld daran, dass es keine richtig bezahlten Arbeitsplätze mehr gibt, seid ihr Frauen“, sagte er.
Irritiert schaute ich ihn an. War er ein Frauenhasser?
„Warum musstest ihr Euch unbedingt in die Erwerbsarbeit drängen?“, fragte er mich.
„Vielleicht weil „wir“ nicht mehr von dem Geld eines Mannes abhängig sein wollten“, plapperte ich die These aus diversen Emanzenbüchern alla Alice Schwarzer nach.
„Das war ein Eigentor“, sagte er.
„Das stimmt“, sagte ich nun meine schon lange gehegten eigenen Gedanken vor ihm ausbreitend.
„Anstatt, dass „wir Frauen“ dafür gekämpft haben dass die Arbeit, die wir letztendlich unentgeltlich verrichten – wie Hausarbeit und Mutter sein – endlich von der Gesellschaft gewertschätzt und entlohnt wird, müssen wir nun beides tun. Erwerbsarbeiten und Hausarbeit – Mutter sein – zusätzlich dazu, dass wir immer sehr gut aussehen und dem Mann eine feurige Geliebte sein müssen.“
„Wow, ein wahres Wort“, applaudierte mein Gast. „Das sagen sie mal so ihren „Schwestern“.
„Das habe ich schon versucht, aber die meisten Frauen sind wie borniert, in der Beziehung. Die meinen es ist ein Segen arbeiten zu gehen und ihre Kinder in Kinderkrippen abzuschieben“.
Irgendwann kamen wir auf die phantastische Möglichkeit eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu sprechen
Wir malten uns aus, was wir alles machen würden, wenn unsere Lebensexistenz nicht mehr davon abhängen würde, dass wir für einen gierigen Großkapitalisten arbeiteten mussten.
Wir schwelgten in unseren Vorstellungen von einem besseren Leben ohne Zwang, Erniedrigung, strukturelle Gewalt, Hierachien, Konsumterror und Neoliberalismus.
Wir redeten und redeten und es bestand eine ungewohnte Übereinstimmung unserer Meinungen für mich.
Fusion......
Der Regen hatte aufgehört und ein Sonnenstrahl durchstreifte den Raum.
Wir sassen und tranken zusammen stark gesüssten Tee.
Vor uns standen zwei Kisten mit Büchern.
Ich fühlte ich mich entspannt und glücklich.
Als ich nach drei Stunden ging, weil mein Bus kam, gab ich ihm einen Schlüssel für das Haus.
Ich weiss nicht, was aus ihm geworden ist. Ab und zu fuhr ich zu dem Haus, um nach dem Rechten zu sehen. Oft nahm ich mir Bücher aus den Kisten mit und tauschte sie gegen andere aus.
Begegnet sind wir uns nie wieder.
Als ich vor einiger Zeit bemerkte, dass niemand mehr kam, verkaufte ich das Haus.
Vergessen habe ich diesen Nachmittag nie.
Die Zeiten haben sich geändert und mittlerweile begegne ich immer mehr Menschen, die ähnlich denken wie er und ich...
Autor: Hanna Schnur
Copyright Texte: Hanna Schnur
Copyright Bildmaterialien: Cover: woopy.com - eslwinshot, sonstige Bildmaterialien: monirapunzel
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2013
Alle Rechte vorbehalten
Texte: Maria Skorpin
Bildmaterialien: Cover: whoppy.com - eslwinshot sonstiges Bildmaterial: monirapunzel - bookrix
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2013
Alle Rechte vorbehalten