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Der Scheich




Der Wind pfiff uns um die Ohren als wir über die Klippen von Port du Raz wanderten. Dunkle Wolken türmten sich am Horizont. Es heulte und stürmte und meterhohe Wellen bewegten sich unter uns.

„Wir müssen hier weg“ rief Hans-Dieter dramatisch gegen den Sturm ankämpfend..

„Aber wir wollten doch zu dem kleinen Hotel....“, schrie Ingeborg, während ihr hennarotes dünnes Haar sich im Sturm zu einer bizarren Hochfriseur entwickelte

„Vielleicht sollten wir lieber umkehren“, bemerkte Gerald, trocken.

„Ja, lasst uns umkehren“, rief ich entzückt. „Lasst uns zu dem Schloss zurückgehen“.

Ich lief voraus und meine drei Reisebegleiter folgten mir unwillig.

„Da können wir aber nicht übernachten“, meldete sich Gerald

„Um Gottes Willen, dafür sind wir gar nicht angezogen“, kreischte Ingeborg.

„Warum denn das nicht?“, polterte Hans-Dieter. „Wenn ich das Geld habe, kann ich Essen und übernachten wo ich will, egal ob ich in Wanderkluft bin oder nicht“.

Hans-Dieter war ein leitender Ingenieur. Gerald auch – nur Gerald war noch im 68er Widerstand steckengeblieben und lehnte alles was luxuriös kapitalistisch war ab.

Und das Schloss, wo es mich hinzog, war ein Nobelhotel mit einer herrlichen Speisekarte und sicherlich wunderbaren Zimmern mit Meeresblick.

Es gab nur dieses Hotel in der Gegend. Ein Bus fuhr heute nicht mehr. Wir hatten vorgehabt ein paar Dörfer weiter in einem kleinen Gasthof zu übernachten, den Gerald kannte. Aber dort kamen wir an diesem Abend nicht mehr hin.

Als wir den Eingang des Schlosses erreichten prasselten dicke Regentropfen auf uns nieder.

Wir hatten es grade so geschafft, nicht wie begossene Pudel auszusehen. Unsere Rucksäcke waren zwar wasserdicht, aber wir mussten ja erst einmal in den Nobelladen rein, um uns einkleiden zu können.

„Leihst Du mir ein Kleid“, fragte Ingeborg mich atemlos.

„Wenn Du da reinpasst, klar,“ antwortete ich, indem ich sie kritisch musterte.

In dem Moment fuhren zwei Rolls Royces vor.

Ein Chauffeur stieg aus und hielt die Tür des ersten Wagens auf. Heraus kamen drei tief verschleierte Frauen. Ihre Burkas wehten im Wind, während eine nach der anderen das Hotel betrat..

„Wie praktisch und bequem doch diese Burkas sind“, sagte ich. „Niemand kann dich erkennen. Wahrscheinlich haben die eine Winter- und eine Sommerburka.....“

„Was für ein Quatsch“, fiel mir Hans-Dieter ins Wort. „Das ist doch frauenverachtend, wenn Frauen verschleiert rumlaufen müssen“.

„Was ist daran „frauenverachtend“?“ fragte ich bissig zurück. „Definier das mal...“

„Nun lasst uns endlich reingehen, eure Diskussionen könnt’ ihr auch drinnen weiterführen“, nörgelte Gerald.

In diesem Moment fuhr der zweite Rolls Royce vor und ein Mann mit wehenden Gewändern stieg aus. Auch er trug eine Art Kopftuch, aber sein Gesicht war unbedeckt. Er hatte einen Vollbart und glutvolle Augen, die mich intensiv musterten.

Ich erschauerte wollüstig unter seinem Blick. Schüchtern lächelte ich ihn an. Seine Augen blitzten und ich spürte wie er meinen Körper betrachtete.

Es dauerte ein paar Sekunden, bevor mich seine Augen los liessen und er mit grossen Schritten seinen Frauen ins Hotel folgte.

„Das war ein Sultan“, behauptete Hans-Dieter.

„Nein, ein Schah...“ belehrte ihn Ingeborg.

„Quatsch, das war ein Scheich“, rief ich.

„Obwohl vielleicht war es auch ein Scheich, der auch ein König ist.......“setzte ich verträumt nach.

„Ich geh’ jetzt rein, mir ist das egal, was der ist“, sagte Gerald und strebte von uns gefolgt ins Hotel.

Der befrackte Mensch an der Rezeption verzog keine Miene, als er uns in unserem Wanderaufzug sah.

Der Scheich stand mit seinen vier Frauen am Aufzug. Wieder trafen sich unsere Blicke. Ich überlegte, ob ich überhaupt so einen Augenkontakt mit ihm haben dürfte. Ob ihm das vielleicht beleidigte? Ich senkte meinen Blick..

„Wir können vier Einzelzimmer haben“. Gerald, der am besten französisch von uns konnte, hatte dieses schon gemanagt.

„Wir brauchen doch nur zwei Zimmer.....“, fing Ingeborg an. Ingeborg war in Hans-Dieter verliebt. Aber Hans-Dieter wohl nicht in sie. Sie hoffte mit ihm ein Zimmer teilen zu können oder mit mir?

„Nein, das ist super so“, rief ich dazwischen. „Ich will ein Zimmer für mich allein“.

„Ja, ich auch“, bemerkte Hans-Dieter.

„Dann hätten wir das geklärt“.

Wir bezahlten im Voraus und fuhren im Fahrstuhl zu unseren Suiten.

„Wir treffen uns in 2 Stunden bei mir im Zimmer“, hörte ich Gerald rufen.
„Wir können gemeinsam Abendessen....“

Was er danach noch sagte bekam ich nicht mehr mit. Ich war überwältigt vom Anblick meiner Suite.

Es gab ein riesiges sehr bequem aussehendes Bett von dem aus man einen fantastischen Blick auf das Meer hatte.

„Wahnsinn“, murmelte ich und entdeckte im Bad einen grossen Whirlpool.

Ich wusste, wie ich die nächsten zwei Stunden verbringen würde.

Als ich nach einer Stunde in einem flauschigen Bademantel das Bad verliess, klopfte es an der Tür. Ich dachte es wäre Ingeborg, die sich ein Kleid von mir ausleihen wollte.

„Herein“, rief ich.

Die Tür öffnete sich und ein Strauss mit 100 Rosen betrat mein Zimmer. Zumindest sah ich nicht mehr.

„Das ist für Sie, mit höflichen Grüssen von Scheich Muhammed Achmendi Dulores“, hörte ich den Hausdiener sagen.

Er nahm eine grosse Bodenvase, die in der Nähe der Tür stand.

„Ich mache das für Sie“, sagte er, als ich aufstand und ihm helfen wollte.

Er überreichte mir ein Päckchen mit einem Brief.

Neugierig öffnete ich den Brief.

„Darf ich Sie heute Abend zum Essen einladen? Meine Gemächer liegen gleich neben Ihnen.“

Aus dem beiliegendem Päckchen fiel eine goldenes mit Diamanten besetztes burkaähnliches Gewand.

Staunend faltete ich es auseinander.

Der Hausdiener hatte zwischenzeitlich die Blumen ins Wasser gestellt und mit einer devoten Verbeugung das Zimmer verlassen.

Ich lächelte. Eine Einladung von einem Scheich. Das war doch mal was anderes, als die immer gleichen Diskussionen und Psychospielchen mit meinen Wanderkollegen. Wo einer dem anderen imponieren wollte, weil er oder sie sexuelle oder sonstige unerfüllte Wünsche an den einen oder anderen hatte.

Ich griff zum Telefonhörer und rief zuerst Gerald an.

„Ich komme nicht zum Abendessen, weil ich eine anderweitige Einladung habe“.

„Wieso das denn?“, hörte ich Gerald fragen.

„Vom Scheich“, sagte ich.

„Du willst dich doch nicht mit diesen Leuten abgeben. Die beuten Frauen aus. Die entführen dich noch“, ereiferte sich der doch eigentlich sonst so politisch korrekte Gerald.

„Und ausserdem ist das nicht fair der Gruppe gegenüber. Wir sind als Gruppe in den Urlaub gefahren und sollten von daher auch zusammen bleiben“.

„Quatsch“, sagte ich. „Ihr westlichen Männer beutet Frauen wahrscheinlich noch mehr aus......wenn ihr eure Frauen erwerbsarbeiten und dazu kostenlos eure Unterhosen bügeln lasst – aber ich will mich jetzt nicht mit dir streiten, sondern wollte nur Bescheid sagen.“

„Ich finde das nicht gut. Du bist nicht besonders teamfähig“, hörte ich ihn sagen.

„Na und?“, raunzte ich.

„Gut. Wenigstens hast du dieses Mal Bescheid gesagt“, murmelte Gerald resigniert, darauf anspielend, dass ich schon öfters in diesem Urlaub meinen eigenen Weg gegangen bin.

„Wir sehen uns dann morgen beim Frühstück“, sagte ich und legte auf.

Als ich das Gewand des Scheichs angezogen hatte, klopfte es erneut.

Es war Ingeborg.

„Wie siehst du denn aus“, rief sie.

„Toll, nicht wahr?“

„Ja, schon, aber was soll das?“

Ich klärte sie auf. Auch sie versuchte mich mit diesen Gruppenzwangargumenten umzustimmen, bevor sie mit einem Kleid von mir abrauschte.

Ich verstand sie nicht. Wann bekam man je so eine Gelegenheit neues Spannendes kennen zu lernen. Nie im Leben hätte ich diese Einladung abgesagt.

Aufgeregt stand ich ein paar Minuten später vor der Suite des Scheichs.

Der devote Diener von vorhin öffnete mir. Mit beflissener Unterwürfigkeit führte er mich durch mehrere Räume bis zu dem Zimmer, wo das Essen stattfinden sollte.

Bevor ich den Scheich und seine vier Frauen wahrnahm, wurde mein Blick von der mit köstlichen Lebensmitteln bestückten Tafel gefesselt. Mein Auge fiel auf exotische Früchte, buntes Gemüse und es roch wunderbar nach frischem Brot. Mir lief das Wasser im Munde zusammen..

Dann fiel mein Blick auf den Scheich, der mich wieder mit glühenden Blicken musterte. Ich lächelte ihn schüchtern an.

Wie begrüsste man so einen Scheich? Sollte ich mich verneigen...?

Da kam er auch schon auf mich zu, nahm meine Hand und berührte sie sanft mit seinen Lippen. Ein wohliger Schauer erfasste mich. Er sprach perfekt deutsch.

„Ich freue mich sehr dass Sie gekommen sind“.

Er führte mich an meinen Platz. Es gab keine Stühle, sondern um die Tafel waren Kissen grosszügig auf dem Boden verteilt.

„Darf ich Ihnen meine drei Frauen vorstellen?“

Eine nach der anderen stand auf und begrüsste mich. Keine von ihnen schien Araberin zu sein.

Miranda war eine glutäugige Schwarz-Afrikanerin, Pat, eine wunderschöne Asiatin und Shana sah aus wie eine verschleierte Indianerin.

Sie sprachen perfekt deutsch.

„Sprachen lernen ist unser Hobby“, erklärte mir Shana.

Ich setzte mich auf den mir zugewiesenen Platz und fühlte mich gleich sehr wohl. Es war viel bequemer so halb liegend in Kissen gekuschelt zu essen, als steif auf einem Stuhl zu sitzen.

Die Frauen erzählten mir, wie sie lebten. Ich war fasziniert.

Sie lebten in einem Palast in der Nähe von Dubai. Ihre Aufgabe war es nur schön auszusehen, jederzeit für den Scheich und ihre Kinder da zu sein. Sonst mussten sie nichts tun. Sie mussten keine Hausarbeit leisten, keine Erwerbsarbeit. Finanziell waren sie gut versorgt. Sie bekamen jeden Monat einen Betrag zur Verfügung gestellt, der mein derzeitiges Gehalt um ein 10-faches überschritt. Dafür kauften sie Kleider, gingen ihren Hobbys nach und investierten in ihre Schönheit.

Pat erzählte mir, dass sie für ihr Leben gern kochte und das meiste Geld für kostbare Zutaten verwendete. Sie liebte es für die Familie zu kochen, obwohl es im Palast genug Köche gab, erzählte sie mir.

Muhammed Achmendi sagte nicht viel, sondern beschränkte sich darauf, mich gelegentlich mit begehrlichen Blicken anzuschauen.

Nach dem ausgiebigen Mahl, dass mit einer Tasse des besten Tees meines Lebens endete, verabschiedeten sich die Frauen.

Der Scheich lächelte und setzte sich, nachdem der devote Diener die Tafel abgeräumt hatte, zu mir.

„Willst du auch meine Frau werden“?, frage er.

„Ich?“, damit hatte ich nicht gerechnet.

„Ich liebe dich, von dem Augenblick an, wo ich dich das erste Mal gesehen habe. Du sollst meine vierte Frau werden.“

„Als du mich vor dem Eingang des Hotels vorhin gesehen hast?“, fragte ich ungläubig.

„Ja, von dem Moment an. Du bist schön, süss und europäisch. Du bekommst eine Millionen Euro zur Hochzeit von mir. Das ist bei uns so üblich.“

„Aber“ ...fing ich an.

„Überleg es dir. Ich lasse dich eine Stunde allein. Dir wird es gut gehen. Ich sorge für dich und wenn du willst auch für deine Eltern und Geschwister. Sie können alle mit kommen.“

„Ich liebe und begehre dich“, sagte er als er sich erhob und den Raum verliess.

Ich begehrte ihn auch, aber wollte ich gleich mein ganzes Leben verändern und ihn heiraten?

Andrerseits war es verlockend. Wenn das alles stimmte. Was für ein Leben im Gegensatz zu dem was mich sonst erwarten würde. Ich hasste meinen Büro-Job abgrundtief, ich ging Männern aus dem Weg, da ich eine Beziehung nicht leben wollte, wie sie in europäischen Breitengraden üblich war. Ich wollte keine Doppel- und Dreifachbelastung. Ich wollte, wenn ich ein Kind bekam, nur für das Kind da sein und nicht noch Hausarbeit machen und erwerbsarbeiten.

Als der Scheich wieder kam, sagte ich „ja“ zu seinem Angebot.

Wir flogen noch am gleichen Abend nach Arabien und in den nächsten Tag gab es eine prunkvolle Hochzeit.
Ich hatte einen eigenen kleinen Palast für mich mit einem wunderschönen Garten, mit exotischen Pflanzen und Tieren.

Ich hatte Diener.

Ich hatte eine Millionen Euro auf meinem Konto und jeden Monat kam mehr dazu.

Ich hatte Zeit alle meine Wünsche und Träume zu verwirklichen.

Meine Herkunftsfamilie war in einen eigenen Palast in meine Nähe gezogen.

Ich bekam drei Kinder und hatte den ganzen Tag Zeit bei ihnen zu sein und sie grosszuziehen.

Ich hatte einen liebevollen Mann, der mich mit Respekt behandelte. Seine anderen Frauen wurden meine besten Freundinnen.

Es war ein glückliches Leben.

Und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch heute.

Nachtrag:
Hans-Dieter, Ingeborg und Gerhard waren mir sehr böse, als ich am morgen in Port du Raz nicht zum Frühstück erschien. Ich liess ihnen von dem devoten Diener ausrichten, dass ich nach Arabien geflogen war.

Aber zu meiner Hochzeit sind sie dann doch erschienen.

Gerhard und Ingeborg haben mittlerweile geheiratet und haben zwei Kinder. Wir sind immer noch lose befreundet und besuchen uns gegenseitig...





Impressum

Texte: Maria Skorpin
Bildmaterialien: Zerfe - Pixelio
Tag der Veröffentlichung: 22.01.2013

Alle Rechte vorbehalten

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