„Na, mach schon!“, sagte sie in ihrer liebevollen und ruhigen Stimme. „Du willst es, dass weißt du!“.
Und mir war klar, dass sie Recht hatte. Sie hatte immer Recht. Ohne sie wäre ich wahrscheinlich nicht das, was ich bin. Sie half mir aus der tiefsten Depression, fischte mich aus den wütendsten Gewässern und zog mich bei einem berauschenden Höhenflug wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. Und noch immer, 17 Jahre später, kann ich mich voll und ganz auf sie verlassen. Sie ist meine gute Fee.
„Jetzt beeil dich! Komm endlich her!“ ruft sie, trotz ihres leicht gereizten Untertons kann ich das Lächeln hören, das ihre Mundwinkel umspielt.
Sie ist schrecklich ungeduldig, aber genau dieser Laster brachte uns zusammen, brachte mir das Glück der Welt.
Ich war damals 22, nicht mehr Junge aber auch noch nicht Mann, sie 20 Jahre alt. Es war Frühjahr und mal wieder an der Zeit für unseren jährlichen „Studium-Erholungsurlaub“. Mein damaliger Bekannter und ich nannten ihn so, er war es auch, mit dem ich immer eben diesen antrat. Wir ließen uns also ausführlich im Reisebüro beraten, als ich ein Tippen auf meiner Schulter wahrnahm. „Entschuldigung, aber könnt ihr mal n bisschen hinne machen? Ich hab heut noch was vor und wollte nicht den ganzen Tag hier verbringen, um euch zweien zuzusehen, ob ihr jetzt endlich ein Zimmer mit oder ohne Strandausblick wollt!“
Owei, was für eine Zicke!
, dachte ich. Ich drehte mich um und sah eine junge Frau. Sie hatte kaum Schminke im Gesicht, war natürlich schön. Sie sah mich mit einem genervten Blick aus ihren eisblauen Augen an, sodass ich beinahe Angst bekam. „Ja ist ja gut, wir sind gleich fertig!“, sagte ich behutsam zu ihr. Damit drehte sie sich wieder um und setzte sich auf einen der Stühle, die für die Wartenden an der Wand standen. Als wir endlich alles unter Dach und Fach hatten und hinaus trotteten, würdigte sie uns keines Blickes und stolzierte an uns vorbei, gerade so, als seien wir nur Luft. Voller Vorfreude schlenderten wir durch unser Dorf und unterhielten uns, planten unsere Reise schon im Kopf. „Hey, warte mal“ ertönte es plötzlich hinter uns. Ich schaute über meine Schulter und sah die zickige Frau aus dem Reisebüro. „Puh, gut, dass ich dich noch eingeholt habe. Ich wollte mich für meine Unhöflichkeit vorhin entschuldigen. Ich bin so furchtbar, furchtbar ungeduldig. Es tut mir leid!“. Ziemlich überrumpelt fiel mir nichts anderes ein als: „ Ist gut.“ „ Ich bin übrigens Eva“, plauderte sie unbeirrt weiter „und ich denke, du solltest mir deine Telefonnummer geben, irgendwie gefällst du mir und ich muss mich ja gebürtig bei dir entschuldigen! Also dachte ich, dass ich dich mal zu einem Kaffee einladen sollte.“ Ich war sprachlos. Leider bin ich eher der schüchterne Typ, deswegen griff glücklicherweise mein Bekannter ein und gab ihr meine Nummer, bevor ich etwas sagen, wegrennen oder im Boden versinken konnte. Sie verabschiedete sich gleich darauf und lief schon die Gasse herunter, wir hatten noch nicht einmal die Gelegenheit ihr Auf Wiedersehen zu sagen.
Das war der Anfang einer langen und glücklichen Beziehung.
Sie kümmerte sich so liebevoll und aufopfernd um mich. Sogar, als sie diesen schweren Unfall hatte, vor 3 Jahren, und im Koma lag, konnte ich, als ich an ihrem Krankenhausbett lag, ihre Stimme in meinem Kopf hören, wie sie mich fragte: „Und, Mark, hast du alles erledigt? Brauchst du Hilfe? Wie war die Arbeit? Erzähl mir davon! Isst du auch genug? Wie klappts mit dem Waschen?“.
Selbst in dieser Zeit kümmerte sie sich sozusagen um mich, ohne es zu wissen oder etwas zu tun.
„Och jetzt mach schon…oder willst du mich etwa warten lassen?“
Nein, dass will ich natürlich nicht. Ich liebe sie, sie hat mir so viel gegeben. Ich will sie nicht mehr warten lassen. Sie hat zu lange auf mich gewartet. Zu lange ist es her, dass sie ging, ganz alleine. Zu viel Zeit ist vergangen, seit ich sie das letzte Mal fühlen konnte, sie berühren konnte. Doch in meinem Kopf ist sie geblieben und hat mir den Trost gespendet, den ich am meisten brauchte. Ihre Stimme ist seitdem mein ständiger Begleiter und lenkt mich, dass ich auf dem rechten Weg bleibe. Sie war einfach da, als hätte sie sie mir vermacht.
„Es ist Zeit für ein Wiedersehen!“
Ja, dass ist es. Ich trete langsam an die Kante, ich habe keine Angst. Ich will in ihre Arme gleiten, wie ein Vogel in die Freiheit. Während ich falle sehe ich die schöne Zeit mit ihr. Vom Reisebüro bis ins Krankenhaus. Ich sehe sie und sie kommt mir entgegen, fängt mich auf. Ich sehe meinen Seelenlosen Körper auf der Straße zerschellen.
Er ist nichts mehr wert. Ich bin jetzt bei ihr…
Tag der Veröffentlichung: 18.01.2009
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