24.12. – ein ruhiger, besinnlicher Heiligabend mit Freunden und Familie.
Dachte Sascha zumindest.
Hätte auch bestimmt geklappt wenn nicht – ja, wenn nicht ihr Warmwasserboiler ausgerechnet am Morgen des Heiligen Abend den Geist aufgegeben hätte. Okay, zugegebenermaßen war ‚Morgen‘ relativ. Sie hatten beschlossen lange zu schlafen, weil der Abend mit den Gästen nach ihrer Erfahrung eher später endete als früher.
Das hieß, keine Heizung, kein warmes Wasser und das kalte Haus am Abend voller Besuch.
„Wir verteilen einfach Rollkragenpullover, Wolldecken und Glühwein!“, schlug Sascha scherzhaft vor.
Da traf er bei seinem Freund Roman den falschen Nerv. „Was? Keine heiße Dusche nach dem Baum aufstellen? Mit Harz an den Händen und Nadeln in den Haaren? Ganz zu schweigen von dem Abwasch, der sich garantiert in der Küche stapelt, wenn ich das Essen zubereite? Die Töpfe passen niemals alle in die Spülmaschine und die Kristallgläser wollte ich noch mal durchspülen. Das geht nur per Hand. Du willst unseren Besuch doch wohl nicht in einer Müllhalde begrüßen? Der Boden im Wohnzimmer muss wegen der Holzspäne aufgewischt werden, wenn der Baum steht und ...“
Sascha, der seine Dramaqueen zu genau kannte, stoppte den Ausbruch der Hysterie.
„Komm mal wieder runter, Schatz. Du suchst im Internet einen Notdienst und ich stell schon mal den Baum auf, okay? Anschließend kochen wir gemeinsam. Ähm, soll heißen, ich helfe dir beim Schnipseln, zu mehr bin ich nicht zu gebrauchen. Alles andere können wir erledigen sobald der Monteur fertig ist.“
Sascha entging Romans Blick nicht und musste schmunzeln. Roman war der Skeptiker bei ihnen und er Optimist. Bis ihre Gäste kamen, dauerte es noch Stunden und ein bisschen Tannenbaum aufstellen und kochen, konnte kein Hexenwerk sein. Energisch wandte er sich um und holte die eingeschnürte, aber leider mittlerweile völlig eingeschneite Tanne von der Terrasse.
Mühsam zerrte er den Baum durch die schmale Tür und hörte seinen Schatz im Arbeitszimmer bereits mit dem ersten Handwerker telefonieren.
„Roman! Bring mir mal eine Schere, wenn du fertig bist. Ich bekomme das blöde Netz nicht ab.“
„Ich kann nicht, ich rede gerade mit Herrn Schustek.“, erwiderte der.
„Herr Schustek?“
„Installateur – und jetzt halt die Klappe. Nein, nicht sie Herr Schustek, ich sprach gerade mit meinem Freund.“
Während Sascha in der Küche in ihrer „Kramschublade“ nach der Schere suchte, fiel ihm die Schüssel mit dem eingelegten Sauerbraten ins Auge. Roman wollte ein neues Rezept ausprobieren. Neugierig öffnete Sascha die Schüssel, warf einen Blick hinein und hörte mit einem Ohr weiterhin Romans Gespräch zu.
„Freund? Ja ... Ja, im Sinne von Lebensgefährten.Was hat das mit unserer Heiz ... ?“ Erschreckt zuckte Sascha zusammen, als Roman plötzlich losbrüllte. „Unverschämtheit. Ist das Ihr Geist der Weihnacht? Schmor doch in der Hölle, homophobes Arschloch!“
Mit der Schere in der Hand stürmte Sascha in das kleine Arbeitszimmer, wo Roman kochend vor Wut am Schreibtisch saß.
„Was ist los?“
„Nichts, der Arsch wollte nur nicht bei Schwuchteln arbeiten. Wir könnten ihm ja auf den Hintern starren. Wäääh – so, wie der sich anhörte? Ich stell mir gerade das Bauarbeiterdekoltee vor.“
Er schüttelte sich kurz angeekelt, griff dann erneut zum Telefon und wählte die nächste Rufnummer aus einer Liste, die auf dem Monitor des PC´s aufgeblendet war.
„Und? Was macht der Baum?“ Er winkte jedoch direkt ab, als Sascha ihm antworten wollte. „Ah, Firma Schmolla? Guten Tag, mein Name ist ...!“
Schulterzuckend verließ Sascha den Raum und wollte dem lästige Netz zu Leibe rücken.
Im Wohnzimmer lag mittlerweile der ätherische Duft frischen Nadelholzes in der Luft, aber leider auch der Baum in einer großen Pfütze geschmolzenen Schnees.
Verdammt, wenn Roman das sehen sollte, gab es eine neue Panikattacke. Wo war der blöde Wischmopp, wenn man ihn brauchte?
Mh, nicht im Besenschrank. Etwa unten im Keller? Nein, keine Zeit zum Suchen. Das Wasser musste sofort vom Parkett.
Kurzentschlossen holte Sascha aus dem Gästebad die blauen Handtücher, die Roman gestern dort aufgehängt hatte, eilte zurück ins Wohnzimmer und wischte die gröbste Nässe fort.
Sorgfältig breitete er die verschmutze und feuchte Frotteeware unter dem Baum aus. Sollte Roman jetzt ins Zimmer kommen, könnte er noch nicht einmal mit ihm schimpfen. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt.
Fluchend, weil die Nadeln ihn piksten, versuchte er blind, den Stamm in den Christbaumständer zu stopfen.
Verdammt, warum passte das nicht?
Er wühlte sich durch dichtes Gezweig bis er sah, er hatte vergessen, die Schraubzwingen des Verschlusses weit genug aufzudrehen.
Also, musste der tropfende Baum wieder auf die Tücher. Natürlich kniete er sich prompt in eine Pfütze, als er seinen Fehler beheben wollte.
Mist!
Egal.
Jetzt musste der blöde Baum doch passen.
Pustekuchen, der Stamm war unten zu dick.
Was tun, sprach Zeus.
Die Axt musste her und die war ...?
Sascha stöhnte frustriert auf. „Na Klasse! Draußen im Gartenschuppen. Und jetzt führe ich schon Selbstgespräche. Hoffentlich läuft es wenigstens bei Roman rund, dann kann er mir gleich helfen“
Er öffnete die Terrassentür, wollte gerade den ersten Schritt machen, als er mehr zufällig nach unten sah.
Genau auf seine Hausschuhe.
Unmöglich mit ihnen durch den Schneematsch zu laufen.
Wenn er sich recht erinnerte, waren seine Gummistiefel, die er im Herbst für die Gartenarbeit nutzte unten im Keller. Direkt an der Tür zum Kelleraufgang nach draußen.
„Toll, jetzt muss ich doch noch in den Keller. Aber besser so, als das Roman gleich sauer ist, weil ich nasse Füße bekomme.“
Stöhnend, als würde ihm ein Marathon bevorstehen, wanderte Sascha die Kellertreppe hinunter. „Rein, raus, hoch, runter und Scheiße sind diese Stiefel kalt an den Füßen!“, brummte er ärgerlich, stampfte durch nassen Schnee zur Hütte und fand nach längerem Stöbern endlich die Axt in der hintersten Ecke.
„Im Frühjahr wird hier aufgeräumt!“ Das nahm Sascha sich fest vor. Im Geiste entschuldigte er sich bei seinem Liebsten. Hatte der nicht schon im vergangenen Sommer darauf gedrängt?
Zufrieden, dass die Sucherei ein Ende hatte, trottete er zurück zum Haus.
„Süß, die Katzentapsen im Schnee!“, dachte er, verfolgte die Spuren mit den Augen und sah die kleine, graugetigerte Katze gerade im Wohnzimmer verschwinden.
Oh, nein – das gab garantiert nasse Spuren. Er hastete hinterher, sah sich wild im Zimmer um, die Axt noch immer in der Hand und sah das kleine Tierchen zufrieden mit dem zerfransten Netz des Tannenbaums spielen.
„Komm schon Süße! Raus hier, ab nach Hause.“, sagte er und machte scheuchende Bewegungen mit den Händen, erschreckte das Kätzchen aber dermaßen, dass es fauchend davon schoß. Nur leider nicht zurück durch die offene Terrassentür, sondern in Richtung der Küche.
„Der Sauerbraten!“ Der Schreck durchzuckte Sascha. Hoffentlich fraß das Tierchen nicht von dem Braten, der in seiner Schüssel fröhlich vor sich hin marinierte.
„Miez, Miez ... liebes Miesekätzchen, schön weg da. Der Essig dürfte dir doch gewaltig stinken. Komm fein raus hier.“
Vorsichtig bewegte Sascha sich vorwärts auf die Katze zu, die ihn mit ihren grünen Augen anstarrte. Sie schien nicht sicher zu sein, ob sie einen potentiellen Futterspender vor sich hatte, oder einen verrückten Axtmörder.
Roman, der sich just diesen Moment aussuchte, um das Arbeitszimmer zu verlassen, wusste es genauso wenig.
„Hab jemanden gefunden, der in einer Stunde ... Sascha!“ Der Aufschrei klang eindeutig entsetzt.
„Was hast du mit der Axt vor?“
Dann wieder „Sascha! Deine Stiefel – oh Gott, dass ist die reinste Schlammschlacht.“
Sascha fuhr schuldbewusst zu Roman herum, die Katze entschied auf Axtmörder, und versuchte über die Arbeitsplatte der Küchenzeile zu entkommen. Dem Braten stieß dies sauer auf und verzog sich beleidigt auf den Fußboden. Der Essiggeruch wurde penetrant, während Zwiebel, Nelken, Pfefferkörner und Lorbeerblätter traurig in den Überresten ihres Bades schwammen und die gute Tupperschüssel beinahe beleidigt ob dieser groben Misshandlung schien.
Der Katze reichte es. Bei den Verrückten wollte sie keine Sekunde länger bleiben. Mit stolz erhobenem Schwanz stolzierte sie leise miauend an den beiden Männern vorbei, die ihren divenhaften Abgang stumm beobachteten.
Beide sahen der Katze hinterher, sahen sich an, wieder in das wüste Wohnzimmer, sich wieder und erst als Roman rot anlief, tief Luft holte, um seinem Unglauben Wort und Ton zu geben, realisierte Sascha die Spur der Verwüstung.
Noch bevor einer von ihnen auch nur ein Wort sagen konnte, klingelte es. Es folgte ein Klopfen und eine männliche Stimme rief: „Hallo? Jemand da? Mein Chef hat mich gerade angerufen. Ihre Heizung ist kaputt? Bin beim letzten Kunden schneller fertig geworden und war in der Nähe!“
Wieder starrten Roman und Sascha sich an. Der Austausch fand binnen Sekunden statt, und zwar stumm.
Romans Blick sagte verzweifelt: „Jetzt? Wirklich gerade jetzt? So können wir niemanden hereinlassen.“
Während Saschas Augen argumentierten: „Aber jetzt kommen die Weihnachtsfeiertage, wir finden niemanden mehr und sitzen die ganzen Zeit im Kalten. Ohne warmes Wasser erfrieren wir stinkend!“
Im Endeffekt gewann drohende Kälte gegen Scham.
Sascha öffnete die Tür und wunderte sich, warum der Installateur blass werdend zurückwich.
Puterrot wurde ihm bewusst, wie er auf dem Mann wirken musste.
„Oh!“, stammelte er. „Das ist nicht so wie es aussieht. Der Weihnachtsbaum, wissen Sie? Die Katze ist ... jetzt der Sauerbraten ... und ...!“
Ehe der Mann flüchtete griff Roman ein.
„Kommen Sie herein. Mein Freund ist heute nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Er will die Tanne passend für unseren Christbaumständer schneiden ... na, lange Geschichte. Kommen Sie, der Boiler ist unten im Keller.“
Roman schob den eindeutig widerstrebenden Mann einfach in Richtung der Kellertreppe, während sein böser Blick Sascha alle Strafen dieser Welt versprach.
Mit Gesten zeigte er die Richtung zum Heizungskeller, schloss dann besonders sanft und nachdrücklich die Tür und widmete dann Sascha seine geballte Aufmerksamkeit.
Der wurde ungefähr drei Meter kleiner, ja würde es sogar begrüßen sich tatsächlich in Luft aufzulösen.
Mit spitzem Finger deutete Roman in die Küche: „Du wirst jetzt diese Schweinerei beseitigen, während ich nachsehe, was noch zu retten ist. Und wehe du sagst nur ein Wort, dann garantiere ich für nichts mehr. Und ziehe endlich diese bescheuerten Stiefel aus!“
Gerade wollte Sascha sich pflichtschuldig auf den Weg in den Keller machen, als Roman ihn am Arm zurückhielt. „Wage es nicht. Der Mann rennt schreiend aus dem Haus. Stell sie auf die Veranda und leg die Axt erst mal dabei.“
Kleinlaut tat Sascha, was sein Schatz ihm sagte. Als er die Küche wieder betrat, war wie durch Zauberhand der Wischmopp da und ein Eimer mit Wasser. Zwar kalt, aber – wer wagte es schon, sich zu beschweren? Sascha sicher nicht.
Mit vereinten Kräften war die Küche recht schnell wieder in einem vorzeigbaren Zustand.
Der Braten ...
Nun ja – ordentlich abgewaschen und in neuem Essig/Rotweingemisch eingelegt, würde niemand der Gästen erfahren, dass ...
Der Rest war Schweigen.
„Okay!“, sagte Roman, musterte kritisch die Küche und schien zufrieden, mit dem, was er sah.
„‚Der Braten muss gleich in den Topf, aber vorher setzten wir den Tannenbaum auf!“
Er stöhnte, während er die matschigen Fußspuren betrachtete und er schrie, als er die verschandelten Handtücher auf dem Boden erblickte.
„Bist du irre? Die waren schweineteuer und ich wollte sie mir deshalb nicht selbst holen. Da hat Mama sie mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt.“
Gott, hatte Sascha heute morgen wirklich gedacht, es wäre ein Kleinigkeit den Tannenbaum aufzustellen?
Betreten ließ er den Kopf hängen und flüsterte entschuldigend.
„Die Tanne hat alles vollgetropft und der Wischmopp war nicht im Besenschrank und das Parkett ... ich wollte nur nicht das du schimpfst. Du hast doch schon so viel zu tun, weil ich dir beim Kochen nicht helfen kann.“
„Natürlich war der Mopp im Schrank, wo denn sonst? Nur weil er dir nicht gleich in die Arme fällt, wenn du die Tür öffnest, heißt das nicht, er ist nicht da. Verstanden?“
Plötzlich fing Sascha an zu giggeln, steigerte sich immer weiter und lachte schließlich laut auf: „Aber du mit der Axt und in Gummistiefel in der Küche. Die arme Katze anstarrend, das hatte was. Komm her du Kindskopf.“
Seltsam wie jäh sich die Atmosphäre eines Raumes ändern konnte, dachte Sascha. Denn auf einmal war das Chaos verschwunden, als er Romans Arme um sich fühlte. Und als er dann auch noch Romans Lippen an seinen eigenen spürte, schmeckte der wirklich und wahrhaftig nach Weihnachten.
Der Kuß dauerte immer länger und war doch nicht lang genug. Irgendwann lösten die beiden sich schweratmend voneinander, lächelten sich zu und gingen Hand in Hand zu der Tanne, die unschuldig auf blauem Frottee ruhte.
Und genauso arbeiteten sie Hand in Hand, bis das Bäumchen in seiner Ecke stand und darauf wartete von liebevollen Händen geschmückt zu werden.
Bald schon duftete es verführerisch aus der Küche. Wie versprochen half Sascha seinem Roman bei den Vorbereitungen. Während der Braten schmorte, widmeten sie sich erneut dem Baum.
Als der endlich geschmückt war, sprach Sascha das Wort aus, dass ihm die ganze Zeit durch den Kopf ging.
„Gemeinsam!“, sagte er. „Nur mit dir gemeinsam gelingt mir alles. Ich liebe dich!“
Und wieder umfingen ihn die Arme des Mannes, der ihm so viel bedeutete.
Er kuschelte sich näher an seinen Schatz.
„Puh, mittlerweile ist es echt ganz schön kalt hier!“
Sie sahen sich in die Augen „Oh Scheiße!“, sagten beide gleichzeitig.
Sie rannten beinahe in den Keller, wo der Installateur gemütlich auf einer der eingelagerten Gartenliegen saß, eine halb geleerte Flasche Wein neben sich, der heute zum Essen gereicht werden sollte.
„Sorry Jungs, ihr ward eben so schön am Knutschen. Da wollte ich nicht stören. Hab´s eh nicht eilig. Zu Hause wartet keiner auf mich. Übrigens, die Heizung könnt ihr wieder aufdrehen, funktioniert wieder alles!“
Und wie sollte es anders enden?
Ein Gast mehr am Tisch störte niemanden und keiner der Gäste fror, geschweige denn, dass die Gastgeber durch üble Körperdüfte auffielen.
Texte: Barbara Corsten
Satz: Barbara Corsten
Tag der Veröffentlichung: 23.12.2017
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