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Kapitel 1

Die hier handelnden Charaktere sind geistiges Eigentum von Nathan Jaeger, der mir eine Ausnahmegenehmigung für die Veröffentlichung dieser Geschichte auf fanfiktion.de und hier bei bx gegeben hat.
Danke dir sehr, Nathan, dass ich mir dein "Graues Meer und blaue Sonnen" ausleihen durfte!



Dieser Traum, den du Leben nennst, oder … für immer Juli
(von calypso, August 2015)

In mir war unendlich viel Bedauern, so viel Trauer.
Ich wusste, dass ich starb, nun da alle Farben verblassten, und doch galt mein ganzes Fühlen und Denken ihm.
Meinem Herz, meiner Seele.
Denn er war alles, was mich ausmachte. Er war es, der mir Wurzeln und Flügel verlieh, und nun musste ich ihn verlassen, sah den Schmerz in seinen schönen Bernsteinaugen, hörte seine Schreie und wollte nichts anderes tun, als ihn trösten, ihm beistehen. Doch das Leben floss in leuchtenden Strömen aus mir heraus, nahm alle Kraft aus meinen Armen, bis ich nur noch seinen Namen flüstern konnte und hoffen, dass er mich verstand. Verstand, wie leid es mir tat ihn jetzt alleine lassen zu müssen.
Nur noch ein Mal wollte ich seinen Namen sagen, wollte den Klang dieses Wortes mit mir nehmen in diesen einen, ewigen Tag.
„Juli!“
Ein letzter Hauch … und ich verging, war schwerelos, schwebte bar jeglichen Gewichts. Ich trieb, ich schwamm oder flog, es gab keine Worte für dieses zeitlose Empfinden.

Es war nicht wie eine Wiederauferstehung, wie ein Leben nach dem Tod, es war eher das Auftauchen aus einem intensiven Traum, als ich meine Augen öffnete.
Alle Dinge, die mir wichtig waren, waren plötzlich nichtig und klein.
Ich besaß eine Stadtvilla in der schönsten Gegend Berlins?
Nicht wichtig.
Ein tolles Apartment, war ein bedeutender Architekt?
Egal!
Alles verlor seinen Wert, seine Stellung, nahm mit einem Ruck eine andere Wertigkeit an.
Alles, nur meine Gefühle nicht.
Es spielte keine Rolle, wann ich diese Gefühle erlebt hatte, es spielte keine Rolle, ob sie gut waren oder schlecht.
Ob ich sie als Kind erlebt hatte oder als Erwachsener. Neid, Trauer, Hass, Liebe, Mitgefühl, Vertrauen...
Es war, als ob alle Emotionen, alle Gefühle begutachtet wurden und gegeneinander aufgewogen.
In Sekundenschnelle erlebte ich sie gebündelt, sie überrollten mich in einer Woge, durchliefen meine zitternde Seele und mit Trauer und Entsetzen nahm ich wahr, wie oft ich unbewusst Menschen verletzt hatte, unachtsam oder gleichgültig das Leiden anderer übergangen oder übersehen  hatte.
Aber auch das verging, alle Scham wurde mir genommen, alles Übel wurde getilgt.
Nur eines blieb, tief in mir verankert.
Ein Name, ein Gefühl ... meine Liebe!
Und obschon von ihm getrennt, konnte ich ihn spüren, seine alles überwältigende Trauer, sein offensichtliches Leid.
Ich fragte mich keine Sekunde, wo ich war, wer mich da gewogen und für gut befunden hatte. Wer es geschafft hatte, die Schuld eines vergangenen Lebens von mir zu tilgen.
Diese Fragen blieben zurück hinter dem Wissen, dass Juli starb.
Und obwohl eine wohlmeinende Stimme, die wusste, wie es in mir aussah, mir versicherte,  er sei körperlich unversehrt, spürte ich es tief in meinem Inneren, mit dem Teil meiner Seele, der immer noch mit ihm verbunden war.
„Weißt du, nicht nur er muss dich aufgeben, um weiterzumachen, auch du musst loslassen, ihn gehen lassen! Damit auch du weiter gehen kannst.“
Wie konnte diese Stimme das nur von mir verlangen? Meinen Juli loslassen? Ihn verlieren, so wie er bereits mich verloren hatte?
Würde dann nicht auch der letzte Teil meiner Existenz verloren gehen? Der letzte Teil, der mich an ihn band, der letzte Teil von mir, der versicherte, es gab einmal einen Mann mit dem  Namen Tim.
Würde er mich denn ohne dieses Band wiederfinden, in der Stunde, in der er mir folgte? Würden wir den einen ewigen Tag  gemeinsam verbringen können, wenn ich jetzt zuließe, mir dieses letzte Gefühl, meine Liebe zu ihm, nehmen zu lassen?
Gequält stöhnte ich auf.
Es war als würde mich jemand kurz umarmen, mich tröstend an sich ziehen. Verstehen umhüllte mich.
„Liebe stirbt nie!“
Eine Wahrheit, ein Flüstern, in mir, in meiner Seele, um mich herum … allumfassend. Voller Verständnis, ohne Wertung. Eine Feststellung!
„Du hast gelernt zu lieben. Die wichtigste Lektion, die alle Seelen lernen müssen. Manche früher, manche später. Aber du hast noch nicht ganz durchschaut, wie weitreichend Liebe ist.“
Die Stimme war freundlich, war wie ein sanftes Licht, in dem ich badete.
„Ich wünschte, ich könnte dir helfen! Doch lernen kannst nur du alleine.“
Dann waren die Wärme und das Licht plötzlich verschwunden und ich befand mich seltsamerweise in einem Zimmer.
Ein Krankenzimmer, wie ich nach einem kurzen prüfenden Blick feststellte; und der Mann, der so reglos, so verloren und zu einem Ball zusammengerollt in seinem Bett lag, war mein Juli, mein über alles geliebter Juli!
Warum war er hier? Hatte diese eindringliche Stimme nicht gesagt, es ginge ihm gut? Und warum war ich hier? Sollte ich ihm helfen? Seine Trauer besänftigen?
Ich setzte mich an sein Bett, strich mit einer Hand sanft durch sein Haar. Ergriffen flüsterte ich seinen Namen, doch er hörte mich nicht, reagierte nicht auf meine Gegenwart oder meine liebevolle Berührung. Egal was ich tat, er bemerkte mich nicht. Ich erschrak, als ich registrierte, wie weit das Licht seiner Seele verblasst war, wie müde und erschöpft sein Geist war.
In seinem Schlaf gefangen, seufzte er leise, ein Zittern erfasste seinen Körper.
Eine Träne rann an seiner Wange hinab und er krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen.
„Warum bist du alleine gegangen, Tim? Warum hast du mich nicht einfach mitgenommen?“
Gewisperte Worte in der Stille der Nacht, gesprochen im Traum, mit einer Sehnsucht, die schrecklich und entsetzlich hoffnungslos klang.
In diesen paar Worten lag ein ungeweintes Tränenmeer. Einzig diese einzelne, salzige Perle hatte es geschafft heimlich der Umklammerung eines versteinerten Dammes aus Emotionen zu entkommen.
Oh, Juli! Mein lieber, süßer Juli. Ich wollte dich nie alleine lassen
Doch meine Worte brachten keinen Trost, erreichten nicht sein Ohr. Bestenfalls das, was von seinem Licht, von seinem inneren Leuchten noch vorhanden war.
Seine Einsamkeit, seine unendliche Verlassenheit hüllte ihn ein wie ein Kokon und ich konnte nichts anderes tun, als hilflos neben ihm sitzen und ihn und seine Berührung ebenso vermissen, wie er mich vermisste.
Die Türe öffnete sich, doch Juli sah nicht auf, wollte und konnte nicht die Person begrüßen, die nun stumm und voller Leid auf ihn nieder sah.
Nein, da lag kaum Mitleid in dem Blick, in diesen Augen, die Juli nun zu streicheln schienen, sondern einfaches pures, unverhülltes Leid, meinen Geliebten in dieser Agonie zu sehen.
Da waren diese hellen, blauen Augen mit einer dunklen Korona um die Pupillen.
Ich kannte die Augen, hatte damals in unserer Jugend gesehen, wie sie Juli musterten, mit der gleichen Intensität und der gleichen Liebe, die nun in ihnen glänzte.
Phil!
Ich hatte Juli nie davon erzählt, ahnte, dass es in Phils Sinne war, diese Liebe geheimzuhalten, denn er wusste, Juli und mich verband mehr. Wollte Juli das schlechte Gewissen ersparen angesichts dieser Entsagung.
Er wollte kein Mitleid, wollte Juli und da er ihn nicht haben konnte, erfreute er sich einfach an Julis offensichtlichem Glück.
Wie ein Stein, beschwerte plötzlich etwas meine Seele.
Was hatte die Stimme gesagt?
Ich hatte noch nicht verstanden, was Liebe alles beinhaltete?
Dann war Phil sichtlich weiter in diesem Wissen.
Doch ich konnte es nicht, wollte meinen Juli behalten. Er war mein, so wie ich sein war. Es gab nur ein uns, ein wir … nicht mein und dein, kein du und ich!
Es schmerzte, es tat so weh.
Mein Juli! Mein süßer Geliebter, mein vergötterter Mann. Ich brauche dich so sehr! Du bist mein Anker, mein letzter Halt. Wie könnte ich jemals ohne dich sein?
Alleine, so alleine darf ich nicht sein! Ich würde vergehen, wir würden vergehen, wie ein Hauch im Wind, wie ein Duft der verweht.
Ich hörte, wie Phil mit ihm sprach, sah wie er etwas neben Juli legte und bemerkte ebenso, dass Juli gar nicht wirklich auf ihn reagierte, ihn tatsächlich nicht erkannte und es erleichterte mich. Oh ja, ich schäme mich dafür, doch ich hatte einen Platz, an den ich gehörte, einen Ort, der warm war und voller Liebe. Ich wohnte in Julis Herzen, meine Heimat war bei ihm. Wo denn auch sonst?

Zeit verstrich, war für mich nicht verifizierbar, einzig messbar an Julis Atemzügen, die er ohne mich tun musste.
Es tat so weh, ihn zu sehen, zu beobachten, wie seine lebendige Vitalität, seine vibrierende Präsenz ihn verlassen hatte. Wo war mein strahlender Julius? Der Julius, der alle mitzog, mit seinem Enthusiasmus, mit seiner strahlenden Persönlichkeit?
Ich alleine war für sein Leid verantwortlich!
Oh, Juli!
Es tut mir so leid, so furchtbar, furchtbar leid. Ich liebe dich so sehr.
Ich war hilflos, entsetzlich hilflos, mir waren die Hände gebunden, es gab nichts, aber auch rein gar nichts, was ich für Juli tun konnte.
Egal wie sehr ich darunter litt, egal wie sehr er darunter litt. Unsere gemeinsame Trauer änderte nichts an der Realität.
Und ich begriff:
Ich war nichts als ein Schatten!
Ein Schatten, der verhinderte, dass er die Sonne wieder sah.
Eine omnipräsente Erinnerung, die ihn abhielt, wieder Schönes zu sehen, zu erleben.
Mein Erschrecken erschütterte meine Seele. Zog wie kleine, doch beständige Ringe, die ein Stein in einem ruhigen Teich verursachte, weit über das, was nun meine Existenz war.
Brach sich an fremden, mir unbekannten Ufern.
War meine Liebe das Gift, das Juli tötete?
Nein, nein!
Das durfte nicht sein, das konnte nicht sein.
Wie konnte das, was einst kostbar und gut war, ins Gegenteil umschlagen?
Würde ich bleiben, würde das Gold unserer Liebe plötzlich nur noch wertloser Tand sein? Glänzend, aber lediglich aus Blech ... ein billiger Abklatsch von dem, was war.
Wieder holte das Begreifen mich ein.
Wir hüllten uns ein in eine Liebe, die nicht lebendig war, die nicht wuchs, sich nicht erneuerte, die stagnierte in einem Vakuum.
Was wollte ich wirklich?
Wollte ich bei Juli bleiben, für jeden Preis, den er dafür bezahlen musste?
Oder wollte ich den Juli, den ich kannte, der mir alles bedeutet hatte?
Den Juli, der mich glücklich gemacht hatte mit dem wunderbaren Licht seiner Seele, auch wenn es hieße, dass er mich vergaß - es mich nicht mehr gab?
Aber - würde das wirklich geschehen? Hatte diese Stimme nicht gesagt, Liebe würde nie vergehen?
Wurde es nicht langsam Zeit, dieser Stimme zu vertrauen?
Es gab keine Fragen mehr, kein wenn und aber.
Wenn es bedeutete, dass mein kostbarer Geliebter weiter leben durfte, wieder Glück empfinden konnte, dann durfte ich nicht zögern.
Mit schweren Herzen, aber ohne jeden Zweifel, zog ich mich zurück, beobachtete Juli quasi aus der Ferne.
Und tatsächlich langsam, ganz langsam schien er sich wieder etwas zu erholen. Endlich erkannte er Phil, verließ sogar das Zimmer, das Schutz und Gefängnis zugleich gewesen war.
Doch noch immer ließ er mich nicht los, ich spürte dieses Band, das mich immer wieder zu ihm zog.
Es lag nicht nur an mir!
Eines Tages kam er in das Zimmer gestürzt, das er verlassen hatte, um Phil aufzusuchen. Ich vermied es immer bei diesen Begegnungen dabei zu sein, denn im Gegensatz zu Phils Großmütigkeit damals, war ich eifersüchtig.
Entsetzt musste ich mit ansehen, wie er sich in eine Ecke seines Zimmers verkroch. Er zitterte und bebte, haltlose Laute verließen seinen Mund.
Er glühte vor Fieber, doch er nahm es nicht wahr, war gefangen in einem Entsetzten, in einer hilflosen Trauer, die einen Teil seines gerade erst erneuerten Leuchtens wieder mit sich nahm.
Endlich, endlich erschien Phil, war genauso erschrocken wie ich, nur … im Gegensatz zu mir, konnte er etwas für Juli tun.
War in der Lage, ihm die Hilfe zu geben, die ich nicht geben konnte.
Ich weinte, weinte so sehr, so laut, dass es schmerzte. In meiner Kehle, in meinen Augen und tief, so tief in meinem Herzen, dass ich dachte, es würde mich zerreißen.
Und mein Juli, mein wunderbarer, wunderschöner Juli war mir mit einem Mal näher, als er es sein sollte. Der Schleier zwischen uns war dünn, oh, so dünn!
Und ich flehte ihn an mir nicht zu folgen, bettelte, dass er leben sollte. Sein Licht sollte nicht so früh verlöschen wie meins.
Es gab so viel, das es noch zu tun galt für ihn, so viel, dass er noch erleben sollte und musste! So viele Geheimnisse warteten auf ihn, so viel Liebe konnte er noch geben und empfangen. Es sollte nicht enden … nicht auf diese Weise!
Und meine einzige, meine letzte Hoffnung auf Julis Leben wurde Phil.
Ich zog mich noch weiter zurück und mit jedem kleinen Stückchen Weg, dass ich zurücklegte, gelang Juli ein weiterer Schritt nach vorne.
Mittlerweile hatte Phil ihn überredet ans Meer zu fahren, einige Wochen Auszeit zu nehmen. Das Band zwischen Juli und mir, zog mich mit.
Zugegebener Maßen nicht ganz unfreiwillig. Ich wusste, was nötig war, wusste, was wir beide brauchten, doch keiner von uns war in der Lage, entsprechend zu handeln.
Während der Kopf klar die Notwendigkeiten, die nötigen Schritte erkannte schrien unsere Herzen ein lautes beständiges NEIN!
Noch immer beschäftigten sich Julis Gedanken fast die ganze Zeit mit mir, doch immer öfter stellte er sich infrage, stellte sich ein schlechtes Gewissen mir gegenüber ein.
Liebling, wie dumm! Weißt du denn nicht, dass ich dir alles Glück dieser Welt wünsche?
Ich spürte, wie er mich ganz langsam gehen ließ, doch noch immer füllte ich fast jede Sekunde seiner Gedanken.
Bis zum Tag des großen Sturms.
Juli verließ in den frühen Morgenstunden das Haus, seine Sehnsucht nach mir trieb ihn ans Meer. Er war ebenso aufgewühlt wie die Elemente, die um ihn herum tobten.
Für einen Moment hatte ich Angst, Angst er würde mir nun endgültig folgen wollen, doch dann erkannte ich seine Absicht, spürte das Zittern seiner Seele, die nun bereit war Abschied zu nehmen.
Er sehnte sich sehr nach mir, ebenso, wie ich mich nach ihm, und dennoch wollte er nun sein Leben annehmen und wenn es bedeutete, die nächsten Jahre ohne mich zu verbringen, so nahmen wir es in Kauf … beide!
Ich sah seine Tränen fließen, sah wie sie die größte Pein mit sich nahmen, hörte ihn nach mir rufen und sich gleichzeitig verabschieden.
In mir löste sich ein Knoten, das Band zwischen uns blieb, würde nie vergehen, doch nun war es unendlich dehnbar, es würde nie zerreißen. Wir würden uns wiedersehen … irgendwann, wenn er diesen Traum beendete, den er Leben nannte. Wenn er die Augen aufschlagen würde, zu dem einen, diesen ewigen Tag seines Erwachens, würde ich dort sein und ihn wieder in meine Arme schließen.
Warmes, lebendiges Licht umfing mich, nahm alle Trauer, alles Bedauern, zurück blieb nur Liebe … und für immer Juli!


Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 14.09.2016

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