Cover

Joshua

Köln, 10.09.2001

 

Mein Liebling,

eine schwierige Zeit liegt hinter uns, und ich weiß, dass auch die nächsten Wochen und Monate nicht einfacher werden. Aber ich fühle es! Es ist einfach an der Zeit Dir Danke zu sagen. Danke für die vielen Jahre an Deiner Seite, für die Liebe die Du mir gibst. … die wir teilen!
Es war bestimmt nicht immer leicht für Dich, mit mir, dem verdrehten Künstler zu leben. Mit meinen so gegensätzlichen Seiten. Introvertiert, bis hin zum Eremitentum in den Schaffensphasen und mehr als extrovertiert, beinahe exhibitionistisch, in den Zeiten nach der Vollendung eines Bildes.
Es gab nur selten ein Dazwischen, ich weiß wie anstrengend ich bin und dennoch hieltest Du durch.
Wegen mir hast Du Dich damals mit Deiner Familie überworfen.
Der Sohn aus gutem Hause, mit abgeschlossenem Jurastudium, outet sich als homosexuell und liebt diesen schrillen Nichtsnutz mit künstlerischen Ambitionen.
„Lass ihn fallen!“, haben Deine Eltern damals gesagt. „Es ist nur eine Phase nach Deinem anstrengenden Studium. Lebe es aus und dann werde wieder normal! Er ist ein Nichts und wird niemals etwas werden. Wie sollte er auch, ohne sicheren Beruf, ohne sozialen Stand?“
Dir war mein Stand egal!
Du hast meine Bilder gesehen und Dich in sie verliebt und erst dann in mich, wie Du mir später gestanden hattest.
Wer konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass es einmal so grundlegend anders werden würde?
Ich bestimmt nicht!
Aber Du!
Du hast wie ein Besessener an mich geglaubt. Mich in den Momenten aufgebaut, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Ich weder Geld für Farbe noch für Leinwände hatte, geschweige denn für etwas zu Essen im Kühlschrank. Ich kann es bis heute nicht fassen, kann Dir nicht sagen wie wichtig Dein Rückhalt, Dein uneingeschränkter Optimismus für mich war. Du hast den Lebensunterhalt für uns beide verdient, hast Dich nie beschwert.
Oh, ich höre noch die Telefonate, als Du Dich noch verpflichtet fühltest Dich zu rechtfertigen, Du beinahe verzweifelt versucht hast, Dich zu erklären, Deine Gefühle für mich zu erklären, Deinen Glauben an mich. Nein - Deine Gewissheit!
Die Menschen um Dich herum, sie haben es nie verstanden, nicht wahr?
Unsere Liebe lag so weit außerhalb ihres kleingeistigen Verstandes.
Sie waren so festgefahren in ihren Ansichten, in ihrem Weltbild. Künstler war für sie ein Schimpfwort, kein Beruf.
Ich wette in ihrer Fantasie gab es nur schlichtes schwarz oder weiß. Eventuell noch verschiedene Grautöne, doch alles Bunte, alles Lebendige war ihnen fremd. Es machte ihnen dermaßen Angst, dass sie Dich ziehen ließen. Dich, den wunderbarsten und kostbarsten Sohn, den unglaublichsten und liebevollsten Menschen.
Wenn ich Dich ansehe, sehe ich Licht. Immer und immer wieder habe ich versucht es zu malen. Und es will mir einfach nicht gelingen, Dein Leuchten zu fassen.
Ich verzweifle an den Versuchen etwas Perfektes mit unzureichenden Mitteln auf diese Leinwand zu bannen. Es gibt keine Textilstruktur, keine Farbe, egal ob Öl, Acryl, oder einfache Kohlestifte, es gibt keinen Weg Dich so wiederzugeben, wie mein Herz Dich sieht. Meine Finger werden wund, wenn ich versuche mein unzureichendes Talent zu zwingen, Dich in Deiner wahren Person einzufangen.
Mein Geliebter, mein einzigartiger, wunderbarer Geliebter! Verzeih mir meinen Dilettantismus, mein Unvermögen. So viele Bilder von mir in Galerien und Museum rund um den Erdball, doch die Bilder dieser speziellen Ausstellung im MET werden Dir nicht gerecht. Egal wie sehr die Presse sie lobt, denn sie alle sehen nicht, was ich sehe. Sie betiteln Dich als meine Muse, meinen Ruhepol, als den Mann hinter dem kreativen Geist.
Sie sehen ja nicht was ich sehe, sie sehen nicht was fehlt, was nicht auf Leinwand zu bringen ist, egal wie sehr ich es versuche. Deine Loyalität und Dein immerwährender Rückhalt. Deine unglaubliche Liebe zu mir, die so wunderbar ist, so rein.
Wie können sich meine Bilder daran messen?
Sie sind nichts im Vergleich zu Dir.
Nicht vollkommen!
Alles nicht perfekt! Unbrauchbar! Und hättest Du mich nicht überzeugt, dem Museum diese Bilder zu überlassen, ich hätte sie verbrannt und es immer und immer wieder von vorne versucht.
Als ich es Dir erzählt habe, hast Du nur gelächelt, hast mich in Deine Arme geschlossen, wie Du es immer tust, wenn die Zweifel mich überfallen.
Du bist mit mir zusammen an den Bildern vorbeigegangen.
Vor jedem Einzelnen bist Du stehen geblieben, hast mir erzählen können wann und wie es entstanden ist.
Hast gelacht: „Es ist eine Galerie der verstreichenden Jahre. Ich sehe, wie meine Falten mehr werden!“
Wenn ich Dich ansehe, dann sehe ich keine Falten, dann sehe ich Liebe. Ich sehe Wärme in der ich bade. Ein starkes Band, ein Vertrauen, das mich im Hier und Jetzt hält. Eigentlich ist es in Wirklichkeit Deine Hand, die meine Kunst auf leere Leinwände bringt, die den Pinsel führt damit das entstehen kann, was in mir ist.
Was bin ich ohne Dich?
Wo wäre ich heute ohne Dich?
Wahrscheinlich würde ich mit Kreide, Bilder in irgendeiner Fußgängerzone auf den Bürgersteig malen. Einen Pappbecher neben mir, mit der Bitte um ein paar Cent.
Dass es heute anders ist, ist Dein Verdienst. Wir leben noch immer in dem alten Haus, das wir umgebaut haben, damit ich ein großes, helles Atelier habe. Wir könnten heute überall in dieser Welt leben, mit Appartements in jeder berühmt, berüchtigten Stadt, wo sich der Boheme trifft. Ich will nicht woanders hin, will nie woanders sein, als da wo Du bist und Du liebst diese Stadt.
Also bleibe auch ich hier, hier wo mein Anker ist, mein Herz.
Es fällt mir schwer zu gehen. Ich will nicht fliegen, auch wenn das Museum mit mir angeben will, wie Du es so schön nennst.
Am liebsten würde ich nörgeln, wie ein kleines Kind. Warum kommst Du nicht mit? Blödes Timing ... Ich will nicht ohne Dich nach New York, lieber bleibe ich bei Dir. Außerdem bist Du das Motiv dieser Bilder. Ist das nicht wichtiger, als nur derjenige zu sein, der das Glück hatte ein wenig Talent in die Wiege gelegt zu bekommen? Dass ich es kann, habe ich mir nicht ausgesucht, zu etwas besonderem hast erst Du es gemacht.
Wenn ich kommende Woche zurück bin, müssen wir schon nach London für die nächste Ausstellung in der Tate Gallery, aber immerhin wirst Du dann an meiner Seite sein.
Du schläfst noch, also lege ich diesen Brief hier einfach neben Dich aufs Kopfkissen.
Stellvertretend werde ich ihn küssen, damit ich Dich nicht aufwecke.

 

Ich liebe Dich, ich liebe Dich so sehr!

 

Dein

 

Joshua

 

Impressum

Bildmaterialien: Privataufnahme Caro Sodar (c)
Tag der Veröffentlichung: 14.10.2015

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Danke Caro Sodar, für dieses wundervolle Cover!

Nächste Seite
Seite 1 /