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Liebesdienste

 

 

 

„Weißt du noch?“, klang die Stimme warm aus dem Interkom. „Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben?“

Vitja lacht leise auf.

„Und ob ich das noch weiß! Du warst dieser arrogante Schnösel, der keine Ahnung vom Weltraum, aber jede Menge theoretischen Quatsch in der Raumakademie gelernt hatte!“

„So habe ich auf dich gewirkt?“, fragte die Stimme entrüstet.

„Ach komm schon, Ivo! Das dachte hier jeder! Du kamst hier an, hattest keinen Schimmer davon wie es auf dieser Station läuft und fingst sofort an Neuerungen einzuführen, die keinen Sinn machten.“

„Du hast mich ja ziemlich schnell auf den Boden der Tatsachen geholt!“

„War ja auch bitter nötig. Wenn ich nur daran denke, dass du unbedingt Schleuse 7 öffnen lassen wolltest, damit wir mehr Transporter entladen können ...!“

„Ja, ja, schon gut! Ich hatte ja keine Ahnung, dass das Druckausgleichssystem kaputt war. Und woher sollte ich denn wissen, dass die blöde Kontrollleuchte ebenfalls kaputt war?“

Das ewig alte Problem … dringend benötigte Reparaturen konnten nicht ausgeführt werden, weil es an Geld und Ersatzteilen fehlte. Und das Geld fehlte, weil nicht genug erarbeitet werden konnte, da große Teile der Raumstation baufällig waren.

 

In dem kleinen Shuttle grinste Vitja. Er erinnerte sich noch zu genau, wie sauer Ivo reagiert hatte, als er sich einfach geweigert hatte, die Schleuse in Betrieb zu nehmen.

Noch ehe er damals eine Erklärung liefern konnte war der neue Stationskommandant an ihm vorbei gestürmt, hatte etwas von bösen Konsequenzen wegen Befehlsverweigerung gemurmelt und die notwendigen Schaltungen selbst vornehmen wollen.

Vitja hatte ihn gerade noch durch einen beherzten Ruck von der Konsole fortziehen können.

Nicht auszudenken, was mit der Station geschehen wäre, hätte Ivo das Schott geöffnet, ohne das Druckausgleichsystem..

Die beiden Männer hätten sich beinahe geprügelt. Ivo war niemand, der sich lange in Geduld üben konnte und seine Heißblütigkeit hatte ihn auch auf diese Station geführt.

Direkt von der Akademie in diesen abgelegenen Raumsektor strafversetzt … das musste ihm erst mal jemand nach machen.

Vitja lachte leise in sich hinein.

Doch nicht leise genug.

„Lachst du mich etwa aus?“, klang Ivos Stimme durch die dunkle Kälte des Alls in das Interkom des Shuttles.

„Nur ein bisschen!“, brummelte Vitja versöhnlich. „Du fehlst mir!“, sagte er dann leise.

Einen Moment war nur statisches Rauschen zu vernehmen.

„Du mir auch! Du ahnst nicht wie sehr!“

„Ich hasse Außeneinsätze. Es sei denn, du bist bei mir, dann ist es nicht so langweilig.“

„Es tut mir leid, dass ich dich da raus schicken musste, Vitja. Du bist der Einzige, der mit dem Sprengsystem umgehen kann. Wenn dieser Asteroid uns getroffen hätte ...!“

„Ich weiß. Aber wie sagt man so schön? Gefahr erkannt, Gefahr gebannt! Seid ihr sicher, dass die Bruchstücke euch nicht mehr gefährlich werden können?“

„Hundert Prozent! Du hast den Schweinehund weit genug außerhalb des gefährlichen Radius erwischt. Die Bruchstücke gehen an uns vorbei.“

„Gut, dann hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Der Umbau vom Shuttle war nicht ohne und hat unsere Ressourcen ganz schön belastet.“

Wieder schwieg das Interkom eine ganze Weile.

„Ivo?“

„Ja, entschuldige... ich war in Gedanken.“

„Woran hast du gedacht? An mich und unsere letzte Nacht?“ Vitjas Stimme klang mutwillig provozierend und in der Raumstation ging der Kommandant bereitwillig auf den Ton ein.

„Woran denn sonst? Du warst … unglaublich! Ich wünschte mir du wärst hier!“

Diesmal war es Vitja, der einen Moment für seine Antwort brauchte. Durch das Interkom konnte Ivo das schrille Pfeifen einiger Warnsysteme hören.

Vitjas Finger flogen flink über blinkende Sensorfelder und der Alarm verklang.

Dann endlich antwortete er.

„Ja, das wäre schön. Aber wir haben alle unsere Prioritäten. Ist es wirklich schon zehn Jahre her, Ivo? Vor zehn Jahren habe ich bemerkt, dass mein neuer Kommandant einen verdammt geilen Arsch hat und Lippen, die mich immer zu locken schienen. Du ahnst nicht, wie oft ich in Versuchung war mich einfach über deinen Schreibtisch zu lehnen und dich zu küssen, wenn wir morgens unsere Tagesablauf koordiniert haben“

„Warum hast du es eigentlich nicht gemacht?“

„Ich bitte dich! Du warst mein direkter Vorgesetzter und ich hatte keine Lust vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.“

„Das wäre niemals passiert. Mir ging es doch genauso!“

„Was, du fandest deinen Arsch auch geil?“

„Vitja!“, tadelte ihn die Stimme teils scherzhaft, doch konnte sie den ernsteren Unterton nicht vollständig herausfiltern.

„Ja, das weiß ich, jetzt. Aber damals ...“, antwortete Vitja endlich.

„Verschwendete Zeit, mh?“

„Haben wir aber doch gut nachgeholt. Glück für uns, unsere Kollegen auf der Station sind sehr nachsichtig mit uns und unserer Liebe. Bis jetzt hat sich niemand über den Lärm beschwert“, antwortete Vitja

„Doch, Emmi, meine Sekretärin! Die hat mal gemeckert. Aber aus einem anderen Grund. Das war vor fünf Jahren, als wir unseren großen Streit hatten und du überlegtest, dich versetzen zu lassen. Erinnerst du dich an diesen riesigen Krach? Meine Güte, haben wir uns angeschrien! Du bist wütend rausgerauscht und hast im Vorbeigehen ihre Blumentöpfe vom Tisch gefegt. Ich wusste nicht, dass du so eine Dramaqueen sein konntest.“

Vitja sah förmlich das breite Grinsen auf den schönen Lippen seines Geliebten vor sich.

„Pft! Ich? Eine Dramaqueen? Ich bin die Ruhe in Person!“

Plötzlich änderte sich die Stimmung spürbar.

„Ja!“, klang es leise und sanft aus dem Lautsprecher. „Das bist du wirklich!“

„Ivo, ich …“, wieder wurde das Gespräch unterbrochen, als erneut ein Signal seine Warnung in das stille Shuttle hinausplärrte.

Ivo hörte das Klicken von Relais, stellte sich vor, wie die geschickten Hände seines Chefingenieurs über die verschiedensten Bedienfelder huschten. Erinnerte sich, wie geschickt diese Hände mit seinem Körper spielen konnten und seufzte leise.

Genauso plötzlich wie der Alarm ertönt war, erlosch er nun und in der einsetzenden Stille hörte der Kapitän der Raumstation ein herzhaftes Gähnen.

Zärtlich sagte er: „War ein langer Tag für dich, nicht wahr? Wie fühlst du dich?“

„Bin müde. Werde mich gleich für die Dauer des Rückflugs ein wenig in meine Koje legen.“

„Vitja! Kannst du nicht …?“

„Erzählst du mir noch ein bisschen von unserem geplanten Urlaub?“, unterbrach dieser seinen Vorgesetzten.

Aus dem Interkom erklangen Schritte, dann ein leises Rascheln und Ivo wusste, sein Geliebter lag nun in seiner Koje.

„Bitte, Ivo, ich würde gerne mit deiner Stimme im Ohr einschlafen.“

„Natürlich!“, antwortete Ivo und er fing an zu erzählen. Erzählte von den Plänen die sie für ihren ersten gemeinsamen Urlaub seit Jahren gemacht hatten, welche Besuche sie beide eingeplant hatten.

„Wir fahren zuerst zu deiner Mutter und anschließend besuchen wir meine Eltern auf der Marskolonie. Ich muss dir unbedingt die Schule zeigen, die ich damals besuchte. Ich glaube, dieses blöde Graffiti existiert noch immer. Beinahe hätten die mich deswegen rausgeschmissen. Ich hatte doch keine Ahnung, dass es eine Permanentfarbe war, die sich nicht überdecken ließ.“

Eine leise Frage erreicht sein Ohr. „Wirst du da sein, wenn ich zurückkomme?“, erschöpft klang es ... nur gehaucht.

„Was für eine Frage? Wo sollte ich sonst sein?“, antwortete er zärtlich.

Seine Stimme ebenso leise wie die des anderen Mannes

In der Raumstation warf Ivo einen Blick auf die in einer Konsole eingelassene Digitaluhr. Eine Zeitangabe war zu sehen, die beständig bereits vergangene Minuten zählte. Minuten, die sich wie Sekunden anfühlten, die Ivo am liebsten mit beiden Händen festgehalten hätte und die ihm doch viel zu schnell zwischen den Fingern verrannen. Wie loser Sand, wie Wasser … Unaufhaltsam, unaufhörlich, und im Gegensatz zur Wirklichkeit - endlich.

Er sah die letzte Minute des Countdowns, während er erzählte. Seine Stimme wurde brüchig, dennoch hörte er nicht auf zu reden. Selbst als die Digitaluhr längst 0:00 zeigte. Der letzte Sauerstoff war bereits seit geraumer Zeit verbraucht. Es gab kein Wunder, keine Rettung in letzter Minute, sie hatten es beide gewusst.

Er schloss die Augen, um den unaufhörlich fließenden Tränen Einhalt zu gebieten.

Es nutzte nichts, genauso wenig wie der inständige Wunsch, die Dinge mögen anders sein.

Er redete noch immer, als sich eine Stunde später eine Hand auf seine Schulter legte, die er unwillig abschüttelte. Er wollte nichts hören, wollte weiter reden, das Gespräch nicht enden lassen.

„Kommandant, wir haben das Shuttle. Sie wollten ihn selbst von Bord holen. Wenn Sie jetzt bitte ...?“

Er straffte die Schultern. Es war seine Pflicht als Captain, seine Pflicht als Vorgesetzter und auch sein letztmöglicher Liebesdienst für seinen Geliebten.

Sein Blick fiel erneut auf die Uhr.

0:00 – das war es, was die Zukunft von nun an für ihn bereit hielt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Ba Dico
Bildmaterialien: Rigor Mortis
Tag der Veröffentlichung: 15.09.2014

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