Cover

Vorwort

Hallo Leute :)

In diesem Buch möchte ich euch in eine etwas andere Welt aus dem Bereich Fantasy mitnehmen. Ich hoffe, ihr kommt mit und lasst euch verzaubern.
Denn meine Protagonistin wird auf ein einmaliges Abenteuer geschickt. Auch wenn ich sie manchmal am liebsten erschlagen würde, weil sie nicht sieht, was direkt vor ihrer Nase ist, muss ich zugeben, dass sie mit Mut und Witz an ihr Abenteuer geht, ohne zu wissen, worauf sie sich einlässt.
Mehr will ich auch noch nicht verraten, ihr sollt es ja schließlich selbst lesen :D

Um euch noch ein bisschen neugieriger zu machen: geplant ist eine Triologie mit dem Namen "Reise in eine gefährliche Welt". Der erste Teil lautet "Ahnungslos".
Die Charaktere entsprechen in keinster Weise der Wirklichkeit und sind nicht an die Realität angebunden - das Eigentumsrecht liegt auch auf meiner Seite.

Das wäre vorerst alles! Viel Spaß beim Lesen :)
Ich würde mich über Rezensionen freuen und hoffe, dass ich euch in Josephines welt mitnehmen kann.

Eure Jule

Prolog

Ein wölfisches Grinsen lag auf seinen Zügen. Er hatte gerade fette Beute gemacht und wollte sie nicht teilen. Deswegen lief und lief er. Er wusste zwar nicht, was sein Ziel war, aber er hatte eins. Nur weg. Sein Grinsen wurde immer breiter und seine Gedanken zunehmend freier. Er fühlte sich toll und verfiel in eine Art Hochstimmung, was ihn das Leben leichter machte.

Glücklich und zufrieden mit sich selbst lief er und entfernte sich immer weiter von dem Ursprungsort für seine Beweggründe, das zu tun, was er gerade tat.

Mit diesen Gedanken holte er noch weiter aus. Immer weiter der Freiheit entgegen.

1. Kapitel

Das Leben war nicht immer einfach. Aber das wusste ich noch nicht. Ich war 17, mein Leben bestand aus meinen Freunden, Partys und Alkohol. Ich lebte für das Jetzt. Und warum sollte ich mir schon Sorgen machen?! Meine Eltern waren Milliadäre.

Ich hatte Freunde wie Sand am Meer, fuhr einen Ferrari und gönnte mir morgens zum Frühstück schon einen Whisky. Nur Rauchen tat ich nicht. Das fand ich echt widerlich. Viele meiner Freunde rauchten. Es war ätzend. Der Rauch brachte mich zum Husten und meine ganzen Klamotten stanken am Ende danach.

Wie zum Beispiel letzten Freitag: „Gott, Mandy! Kannst du nicht mal damit aufhören? Das ist ja widerlich!“, hustete ich. Mandy war die Oberzicke schlechthin, was schon allein ihr Aussehen zeigte. Blonde Haare und pinke kurze Röcke. Abartig viel Schminke im Gesicht, dass man meinen könnte, sie würde zu einem Karnevalfest gehen.

Ich fragte mich immernoch, wie sie mich dazu überreden konnte, mich mit ihr zu treffen. Sie machte sowieso nur was mit mir, weil ich sehr beliebt war. „Warum sollte ich, Josephinchen?“, sie betonte meinen Namen besonders herablassend. „Du fängst morgens an zu trinken, ich rauche.“

„Ja, aber ich stinke trotzdem nicht den ganzen Tag!“ Sie sah mich empört an.

„Entschuldige mich, aber ich muss ein bisschen an die frische Luft. Hier ist sie so schlecht.“ Mandy stolzierte hinternwackelnd aus meinem Zimmer, welches riesig war, hinaus.

„Puh!“, schnaufte ich. „Wie recht du hast.“ Während ich das sagte, ging ich zum Fenster, um es zu öffnen und war froh, dass sie meine Worte nicht mehr hörte. Ich sah nach draußen. Mandy verließ gerade das Zimmer. Zum Glück. Diese blöde Kuh.

Da es draußen regnete, oder eher fiselte, zog sie ihren Schirm auf. Ich beobachtete, wie sie nach und nach in der Ferne verschwand und wandte meinen Kopf in die entgegengesetzte Richtung. Es lief ein verirrte Jogger durch den Regen. Wer lief bitteschön bei Regen durch die Gegend? Ich schüttelte missbilligend den Kopf. Je näher er kam, desto besser konnte ich ihn sehen. Das erste, was mir ins Auge sprang waren seine Muskeln. Und davon hatte er viele. Bei seinem Sixpack lief mir das Wasser im Mund zusammen. Seine braunen lockigen Haare waren postkoital gestylt. Er sah wirklich verdammt gut aus. Er trug einen grünen Kapuzenpulli, eine graue Hose und weiße Laufschuhe. In seinen Ohren steckten Kopfhörer.

Als hätte er meinen Blick gespürt, drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Mein Atem stockte. Seine Blicke durchbohrten mich auf eine Art, wie ich es noch nie erlebt hatte. Die Intensität brachte mich für eine kurze Zeit aus dem Konzept.

Und dann war der Moment vorüber. Der Fremde verschwand aus meinem Blickfeld. Ich schüttelte den Kopf über mich selber. Ja, er sah gut aus, aber das war´s schon. Er war ohnehin nicht gut genug für mich. Er war eindeutig vom Durchschnitt, ich aus der High Society.

Ich wunderte mich. Sowas war mir noch nie passiert. Vor allem nicht bei einem aus dem Durchschnitt.

Schließlich schloss ich das Fenster und zog die Vorhänge vor.

Total verwirrt ließ ich mich auf mein Wasserbett sinken.

Nach ein paar Minuten schüttelte ich den Kopf. Was war nur los mit mir?

Heute Abend war eine Party. Ich sollte mich darauf vorbereiten und nicht auf meinem Bett sitzen und Löcher in die Luft starren.

Ich ging zu meinem eigenen Badezimmer. Es war riesig, genauso wie schon die Regendusche, welche einfach nur gigantisch war. Das Zimmer besaß zudem eine Toilette, eine megagroße Badewanne, ein Waschbecken und eine Stereoanlage. Ja, genau richtig gehört. Eine Stereoanlage.

Ich zog mich aus und öffnete meine Hochsteckfrisur. Schließlich stieg ich unter die Dusche.

Ich ließ das Wasser auf Stufe 40 auf meinen Körper prasseln. Es befreite meinen Kopf. Nun, da meine Gedanken klarer waren, redete ich mir ein, dass ich einfach schon viel zu lange auf Sexentzug war und deshalb den erstbesten Typen anschmachtete. Das wäre mir bei jedem anderen auch passiert. Zumindest bei jedem anderen gutaussehenden.

Und der Typ war verdammt nochmal heiß. Wenn ich nur an die Muskelstränge dachte, welche sich unter dem Pulli abgezeichnet hatten…Stopp!!!

Ich konzentrierte ich mich auf das Wasser und der Fremde verschwand nach und nach in die hintersten Ecken meines Gehirns. Ich gab mir einen Klecks meines Lieblingsshampoos – Apfelgeruch - auf meine Hand und schäumte meine Haare ein.

Nach weiteren fünf Minuten stellte ich das Wasser wieder aus.

Uff! Das hatte gut getan. Ich fühlte mich besser, viel besser. Obwohl der Fremde noch in meinem Kopf existierte, tat er es nur noch in meinen Hintergedanken.

Ich stieg aus der Dusche und wickelte mich in ein eisblaues Handtuch - meine Lieblingsfarbe - um noch etwas von der angenehmen Wärme beizubehalten. Doch meiner Mühe zum Trotz fing ich prompt an zu frieren, sobald ich die Dusche verließ. Mein Körper sehnte sich nach der Wärme unter dem warmen Wasser.

 

Ich musste mich beeilen, wenn ich pünktlich zu Joanns Party kommen wollte. Sie schmiss die coolsten Partys, mal abgesehen von mir. Wenn ich Glück hatte, würde ich dort einen heißen Typen finden mit dem ich ins Bett gehen konnte. Wenn der Sex halbwegs gut war, würde ich den Fremden vergessen. Mist! Jetzt hatte ich schon wieder an ihn gedacht.

Denk nicht an ihn. Denk nicht an ihn. Denk nicht an ihn. wiederholte ich immer wieder im Geiste. Denk an etwas anderes!, schimpfte mein Unterbewusstsein mit mir. Ich hatte es liebevoll Claire genannt.

„Ja!“, antwortete ich ihr und doch erwischte ich mich alle paar Minuten beim Träumen. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu IHM.

Ich fragte mich, wie es wohl war, meine Hände während eines Kusses in seinen postkoitalen Haaren zu vergraben.

„Josephine Caroline de Loo! Du hörst sofort auf an ihn zu denken!“, schrie Claire mich an.

Ich zuckte zusammen. Es konnte doch nicht sein, dass mich dieser eine Blick so dermaßen aus der Bahn warf.

Grunzend bewegte ich mich auf meinen begehbaren Kleiderschrank zu. Es war zwar eher ein Ankleidezimmer, aber naja. Das Zimmer besaß eine Größe von 33 Quadratmetern und war bis in den letzten Zentimeter zugestopft.

Ich hatte unendlich viele Auswahlmöglichkeiten und wusste trotzdem nicht, was ich heute Abend tragen sollte. Auf jeden Fall etwas kurzes und knappes und keinen Slip.

Deshalb ging ich in den hinteren Teil des Zimmers. Den Teil mit den ganzen Kleidern. D.h. Cocktailkleider, Abendkleider, Minikleider und, und, und.

Ich entschied mich für ein grünes Minikleid, welches mir gerade mal knapp über den Po ging, aber dennoch sehr eng anlag, sodass nicht jeder darunter gucken konnte. Es unterstützte meine grasgrünen Augen. Passend zu dem Kleid zog ich hellgrüne Killer Heels von Miu Miu und packte meine schwarze Guccitasche. D.h. Make-up, Geld, einen Ausweis, ein Handy - es war von Samsung - und Kondome. Für letzteres waren zwar Männer verantwortlich aber ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Zwar nahm ich die Pille, aber ich wollte keine Krankheiten. Der Ausweis war natürlich gefälscht. Ich war gerade mal vor einer Woche am 25. August 17 geworden, aber das musste ja keiner wissen. Das Risiko erwischt zu werden war zwar immer noch groß, aber No risk no fun!.

Im Anschluss ging ich zurück in mein Zimmer zu meinem Frisierschrank.

Ich sah mich im Spiegel an. Was soll ich mit meinen Haaren machen, fragte ich Claire.

Ich entschied mich dazu, sie um meinen Kopf herum zu flechten. Zusätzlich schminkte ich noch Smokey-Eyes. Mit dem Eyeliner zog ich meine Augen nach, dass ich aussah wie eine Katze. Dann noch Katzenaugenkontaktlinsen rein, die das Highlight meines Outfits waren.

Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich sah absolut heiß aus. Das kurze, grüne, hautenge Dress von Dolce & Gabbana betonte jede meiner perfekten Kurven, die Heels machen meine Beine noch länger, als sie eh schon waren und mein Make-up schaffte aus mir eine scharfe Mietzekatze.

Ich beschloss, heute nach allen Regeln der Kunst zu flirten, zu spielen und die Raubkatze rauszukehren.

Ich ging runter zur Garage, in welcher mein knallrotes Motorrad stand. Da meine Eltern mich in diesem Fummel niemals rauslassen würden, schlich ich durch die gesamte Villa und umging den Trakt mit den Gemeinschaftsräumen. Ja, wir besaßen Trakte. Ich hatte einen. Er war 100 Quadratmeter groß. Meine Eltern besaßen 80. Für Gäste waren 50 Quadratmeter und die Gemeinschaftsräume nahmen 120 Quadratmeter in Anspruch. Der Garten besaß 1000 Quadratmeter und hatte einen gigantischen Pool, in welchen ich allerdings nicht so oft schwamm, um meine Haare nicht zu ruinieren. Es gab nichts schlimmeres, als nasse Haare, welche von alleine trockneten, sodass sie am Ende einfach nur schrecklich aussahen.

Ich schlich nun die Treppe weiter nach unten. In der Garage angekommen, nahm ich meinen Schlüssel vom Harken. Direkt daneben hing meine Motorradausrüstung, obwohl ich davon nur meine rotschwarze Lederjacke trug, da sie genau die richtigen Köperstellen betonte.

Ich zog sie mir an und ging stolz auf mein knallrotes Motorrad zu, welches mir meine Eltern zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatten. Ich vergötterte es. Ich liebte es über die Straßen zu rasen und meine Haare im Wind flattern zu lassen. Um Helme machte ich einen großen Bogen. Sie versauten einem nur die Frisur und brachten den Kopf zum Schwitzen. Unnötig.

Ich zog ein letztes Mal an meinem Kleid, damit man beim Fahren nicht drunter gucken konnte und ließ den Motor aufröhren, nachdem ich mich draufgesetzt hatte.

Während der Fahrt bekam ich einen klaren Kopf. Es hatte aufgehört zu regnen, weshalb die Luft angenehm kühl über meine Haut strich, während ich über die etwas vernebelten Straßen raste.

Ich ließ meinen Blick in den Wald schweifen, da sah ich plötzlich….einen Wolf. Es war gruselig. Er war riesig und grau und rasend schnell. Der Wolf sprang über umgekippte Bäume, als wenn sie gar nicht da wären. Unter seinem Fell sah ich deutlich die sich abzeichnenden Muskeln, welche sich bei jedem seiner Schritte bewegte.

Als hätte er meinen Blick gespürt, drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Die Intensität dieses Blickes traf mich wie ein Schlag, genau wie die Blicke des Fremden heute Nachmittag. Seine großen Augen waren weit aufgerissen. Sie hatten die Farbe von Eis. Eisblau. Sie waren…menschlich, wie sie mich geschockt musterten. Ich sah beinahe, wie er dachte. Obwohl ich eigentlich Angst haben müsste, empfand ich keine. Ich war eher fasziniert, fühlte mich…frei.

Was ist nur mit dir los?, keifte Claire. Ja, was war heute nur mit mir los.

Der Wolf hatte seine Geschwindigkeit verlangsamt. Er war nun genauso schnell wie ich und durchdrang mich förmlich mit seinen Blicken. Er schaute kein einziges Mal nach vorne.

Ich merkte gar nicht, wie ich der belebten Gegend immer näher kam, bis ich schließlich den Wald hinter mir ließ und somit auch den Wolf.

Ich blinzelte ein paar Mal. Im Nachhinein wurde mir bewusst, wie leichtsinnig ich doch gewesen war. Ich hätte wegfahren müssen, aber aus irgendeinem Grund hatte ich es nicht getan. Ich schüttelte den Kopf und sah wieder gerade aus. Es war sowieso verwunderlich, warum ich nicht von der Straße abgekommen war.

Schon von Weitem sah ich die bunten Lichter, was wahrscheinlich daran lag, dass das Anwesen, zu welchem ich fuhr, auf einem Hügel lag. Zwei Straßen vor meiner Ankunft konnte ich auch schon die Musik und das viele lachen hören.

Schließlich bog ich um die letzte Ecke. Ich stellte das Motorrad ab und ging zum Garteneingang.

Die Bässe hallten in meinem Kopf wieder, während ich auf das Haus zuging. Ich fühlte mich toll und war vollkommen in meinem Element, nachdem ich mich wieder gefangen hatte.

Ich stieg die Marmortreppen zu dem Anwesen hinauf. An der Tür hielt mir ein Mann ohne Oberteil ein Glas Champagner hin. Ich nahm es und trank es auf Ex. Das war der Start in den Abend, denn die goldene Regel hieß: Klein anfangen und dann die harten Sachen. Damit der Spaß nicht durchs kotzen getrübt wird.

Ich ging durch die Tür, sah meine Freunde und stürzte mich in Richtung bunte Lichter, Musik, Alkohol und Sex. The Party can begin!

 

Ich war wie in Trance. Ich hatte ausgelassen gefeiert, geflirtet, getrunken – und jetzt stand ich vor einem Typ, den ich vor ein paar Minuten kennen gelernt hatte. Er war groß, trotz Heels bestimmt noch fast 30 Zentimeter größer als ich. Und soo klein war ich nicht. Er hatte schwarze Haare, meerblaue Augen und war ziemlich muskulös – nicht ganz so, wie die Kellner hier, aber ausreichend für mich. Ich mochte es nicht, wenn Jungs kleiner oder total schmächtig waren. Wenn man nichts zum anpacken und Spaß haben hatte.

Er hatte die Hände auf meinen Hüften und war auch nicht mehr hundertprozentig nüchtern. Ich hatte ein Glas mit Whisky – teurem aus Russland – in der einen Hand. Die andere lag auf seiner Brust. Mittlerweile hatte ich offene Haare und eine Hawaii-Kette um den Hals. Er hatte das Hemd offen und man sah ziemlich viel von seiner gebräunten Haut. Ich wusste nicht mal seinen Namen. Aber das war mir egal. Ich wollte ja keine Kontakte knüpfen, sondern die Sau, oder in meinem Fall die Raubkatze, rauslassen. Dieser Vorsatz war das einzig klare, was noch in meinem Kopf kreiste.

Das Licht um uns herum wechselte zwischen Rot, Grün und Orange. Die Bässe hämmerten jetzt schon seit fast vier Stunden, aber dank meiner goldenen Regel war ich noch fast fit.

Es waren in dieser Zeit viele Leute gegangen und viele waren nachgekommen. Deswegen wechselte die Fülle des Raums zwischen etwas voller und etwas leerer. Die Leute standen in kleinen Grüppchen oder in Pärchen zusammen, redeten, lachten, flirteten, tanzten und tranken. Ich würde allgemein sagen, dass ich zu den weniger betrunkenen gehörte – noch.

Es wehte kühler Wind durch die geöffneten Flügeltüren des großen, modernen Raums der Villa und deswegen roch es – Gott-sei-Dank – nicht nach Schweiß und Alkohol. Geraucht werden musste draußen. Zu meinem Glück.

Das Zimmer hatte eine hohe Decke mit Stuck, trotzdem war die Einrichtung modern. In der rechten Ecke stand eine Gruppe schwarzer Ledersofas und an der Wand hing ein 54 Zoll Flachbildfernseher. In der linken Ecke stand das Buffet, eine lange Tafel mit vielen leckeren, teilweise kuriosen Häppchen. Zwischen Buffet und Sofaecke war eine ca. drei Meter lange Bar, wo ich auch meinen Whisky her hatte.

Alle Barhocker waren besetzt, viele Leute standen in der Nähe der Bar, und betrachteten teilweise die Flaschen in denen sich die zuckenden Lichter reflektierten. Außerdem gönnten sich viele ein Stück Baguette mit Mangosorbée, ein bisschen Milchschaum und einem Pfefferminzblättchen. Ich fand die Dinger einfach geil. Meine Mutter würde sagen, eine wahre Geschmacksexplosion, ich nannte es eher Gaumensex.

Ein Pärchen hatte das Sofa in Beschlag genommen und war wild am rummachen. Ich war neidisch. Mein mittlerweile ganz Hemdloser und ich waren noch nicht so weit. Also stürzte ich den Whisky hinunter, umfasste sein Handgelenk und zog ihn in Richtung Tanzfläche um die Vorfreude zu steigern. Im Vorbeigehen stellte ich das Glas auf einem Stehtisch ab. Draußen hatte man bunte Scheinwerfer und Strobos aufgebaut. Drei bunte Laserstrahler strahlten eine Diskokugel an, die unter einem Zeltdach hing und das grelle Licht bis in Richtung der Bäume warf. Mittlerweile spielte eine fünfköpfige Liveband.

Ich musste zugeben, dass der Bassist fast noch besser als mein heutiger Fang aussah. Aber Bassisten waren angeblich schlecht im Bett.

Ich bewegte mich schon auf dem Weg nach Draußen möglichst sexy. Wie eine Katze schlängelte ich mich durch die sich aneinander reibenden Leiber.

Ein sexy Kellner kam an mir vorbei und ich schnappte mir noch einen Hochprozentigen. Ab da ging es nur noch bergauf. Durch das Zusammenspiel zwischen den Lichtern und der hämmernden Musik wirkte alles surreal. Ich tanzte und trank viel und fand mich irgendwann – es musste mittlerweile zwischen drei und vier Uhr morgens sein – im Wald wieder.

Von da an erinnerte ich mich nur noch daran, dass ich mich beobachtet gefühlt hatte und es einfach nur absolut antörnend war.

2. Kapitel

Als ich am nächsten Morgen aufwachte hatte ich erstaunlicherweise kaum Kopfweh. Trotzdem griff ich nach dem Haustelefon neben meinem Bett und rief nach dem Butler.

„Miss?“, meldete er sich.

„Brian. Ich brauche Iboprufen. 400mg. Nicht stärker. Und Wasser. Ein Glas. Stilles.“

„Kommt sofort, Miss.“, antwortete er professionell kühl, aber freundlich.

Ich drückte den roten Knopf und knallte den Hörer auf den Nachttisch. Ich war furchtbar müde. Die Party war bis fünf Uhr morgens gegangen und danach hatte ich noch einen Spaziergang durch drei Clubs gemacht. Zusammen mit meinen Freundinnen war ich um sieben nach Hause gekommen, aber sie durften nicht bleiben.

Scheiß Eltern!!! Die konnten einem immer die Lauen verderben. Ich wälzte mich im Bett herum und schlief kurz darauf wieder ein.

Als ich das nächste Mal aufwachte, war es bereits später Nachmittag. Ich setzte mich auf und sah, dass Brian mir ein Glas Wasser und eine Iboprufen auf mein Nachtschränkchen gelegt hat.  Sein Glück, dass er mich nicht geweckt hatte.

Ich beschloss, duschen zugehen. Ich hatte mein Make up nicht abgewaschen, weder Kleid noch Schuhe ausgezogen, die Kontaktlinsen waren noch drin und von Club Nr. 2 klebte meine Haut. Irgendein komischer Typ hatte mir eine Champagnerdusche verpasst. Jetzt klebte also auch mein ganzes Bettzeug.

Also nahm ich wieder mein Telefon, drückte die Kurzwahltaste drei und wartete und wartete. Ich wurde schon langsam sauer, als Clarissa dann doch endlich dran ging. „Waschen Sie meine Bettwäsche!“ Ohne auf eine Antwort zu warten legte ich auf.

Ich stand auf und ging zu meinem Badezimmer. Auf dem Weg dorthin zog ich meine Sachen aus und ließ sie auf dem Boden liegen. Die Haushälterin konnte sie aufsammeln.

Plötzlich schossen Erinnerungsblitze von letzter Nacht durch meinen Kopf. Ich war mit Mr Unbekannt in Richtung Wald gegangen, als das merkwürdige Gefühl angefangen hatte.  Ich hatte mich beobachtet gefühlt und es ignoriert. Es war auf eine komische Weise antörnend gewesen. Aber das war eins der Risikos, wenn man Sex im Freien hatte. Es hatte aber auch durchaus seine Vorteile. Man hatte nachher nicht das Problem, dass man den Typen irgendwie aus dem Haus bekommen musste.

Nach fünf Minuten hatten wir im Wald eine „geeignete“ Stelle gefunden. Meine Schuhe hatte ich ausgezogen, da der Waldboden vom Regen rutschig war. Mr Unbekannt hatte mich getragen. Ich musste zugeben, dass ich beeindruckt gewesen war – aber das hätte ich nie zugegeben.

Wir waren auf einer Lichtung gewesen. Die Bäume bildeten einen Ring um uns herum. Ungefähr in der Mitte lag ein alter, umgekippter Baumstamm auf welchen er geradewegs zuging. Er hatte sich gesetzt, mich auf seinem Schoß, mich geküsst und das war der Anfang von etwas sehr Erotischem geworden. Die Rinde des Baumstamms war glitschig und rau zugleich gewesen, weswegen wir nach wenigen Minuten auf den Waldboden gewechselt waren. Hier war es wild zugegangen.

Nachdem alle Kleidungsstücke gefallen waren, bei mir eins, bei ihm drei, ein Kondom zum Vorschein gekommen war und ich es mit dem Mund übergerollt hatte, ging es hoch her. Es war unglaublich geil – der Dreck, die Nässe und unsere Körper, die sich nach einer Weile im gleichen Takt bewegten und aneinander rieben.

Mr. Unbekannt besaß Muskeln, die sich schon vorher unter seinem Hemd abgezeichnet hatten und mich jetzt schier in den Wahnsinn trieben. Ich lag auf dem Rücken, kleine Äste und Steinchen stachen mir in die Haut. Aber das machte das Ganze nur noch unglaublich erotischer. Ich wollte am liebsten platzen. Nur unser Gestöhne zerbrach die Stille. Nach einigen Minuten überrollte mich ein befriedigender Orgasmus. Ich hatte das Gefühl schon fast vergessen, wie gut es war.

Keine Frage es war nicht schlecht gewesen, aber mir stand nicht der Sinn danach es zu wiederholen. Mr. Unbekannt hatte es aber anscheinend gefallen, denn er hatte mir einen kleinen Zettel mit seiner Handynummer ins Dekolleté gesteckt, welchen ich aber kaum als ich aus dem Wald rausgekommen war einer Freundin gegeben hatte mit den Worten: „Falls du Sex willst. Er ist ganz ok.“

Mit diesen Worten hatte ich die Party verlassen und war mit ein paar Freundinnen in einen Club gegangen. Dieser machte allerdings schon nach ein paar Minuten zu, weswegen wir in den nächsten gingen. Dort hatte ich meine Champagnerdusche bekommen. Wir waren wild am tanzen gewesen, als ein Typ meinte, es wäre lustig, Champagner über mein Kleid zu gießen und mich dann zu vernaschen. Im Grunde hätte ich nichts dagegen gehabt, doch da er schon eine ganze Menge intus hatte, hatte ich ihm eine geklebt. Daraufhin wurden wir rausgeschmissen, was für uns hieß: Nächster Club. Doch weil dieser nach einer halben Stunde - es war sieben Uhr gewesen - ebenfalls geschlossen hatte, hatten wir beschlossen zu mir zu gehen, wo wir nun wieder im Jetzt wären.

 

Als ich zuerst einmal in den Spiegel guckte, sah ich aus wie ein Panda. Nichts gegen Pandas, Pandas waren süß, aber ich wollte nicht aussehen wie einer. Also griff ich zu meinen Abschminktüchern und entfernte das kunstvolle Make-up. Da ich ja schon nackt war, ging ich unter die Regendusche. Dort prasselte mir warmes Wasser auf den Rücken. Ich duschte, trocknete mich ab und machte mich fertig für meinen Termin im Nagelstudio.

 

Ich ging die Stufen zum Esszimmer hoch und hörte meine Eltern diskutieren.

„Natürlich muss die Hecke mal wieder geschnitten werden, genauso wie der Rasen gemäht werden muss!“, wetterte meine Mutter.

„Wofür denn?!“, fragte mein Vater. „In drei Monaten sieht es sowieso wieder so aus wie jetzt. Wenn, müssen wir schon einen Gärtner einstellen. Nicht einen, der nur einmal kommt.“

„Ja, sag ich doch! Ach, hallo Josephine“, begrüßte mich meine Mutter. Ich hasste es, wenn jemand meinen vollen Namen sagte, andererseits war ich es von meiner Familie nicht anders gewöhnt. Mit Ausnahme von meinem Opa Carl. Für ihn war ich schon immer Josie gewesen. Ich liebte ihn. Er war die einzige Person, die ich wirklich liebte. Ganz im Gegensatz zu meiner Oma, seiner Frau. Sie nannte mich immer ihr kleines Joselinchen, dabei war ich mittlerweile wohlbemerkt zwei Köpfe größer als sie. Sie kniff mir auch immer in die Wangen und schenkte mir Süßigkeiten, die ich immer meinen Freunden gab oder gegebenenfalls auch wegschmiss. Hätte ich sie alle gegessen, würde ich jetzt wahrscheinlich über den Planeten rollen.

„Hallo Mutter! Hallo Vater.“ Ich gab ihnen ein Küsschen rechts, Küsschen links und setzte mich ans Tischende.

„Worüber habt ihr denn gerade geredet?“, fragte ich die beiden, während ich mir ein Stück Braten abschnitt.

„Wir haben darüber diskutiert einen Gärtner einzustellen. Natürlich erstmal nur vorläufig. Dein Vater ist der Meinung, es sei unnötig.“, erklärte meine Mutter.

„Hmm, naja…“, meinte ich, „im Grunde ist es unnötig. Es ist eh bald Winter. Also, mir ist es scheißegal!“

„Josephine, achte auf deine Ausdrucksweise!“, maßregelte mich mein Vater.

„Tut mir leid, Papa. Ich wollte damit nur ausdrücken, dass ich  keinen Sinn darin sehe, kurz vor Wintereinbruch noch die Hecke stutzen zu lassen.“, erklärte ich.

„Aber findest du es nicht auch schöner, wenn der Schnee auf einer akkurat geschnittenen Hecke und auf einer ebenen Wiese liegt?“, wollte meine Mutter wissen.

„Ich weiß nicht. Macht der Schnee nicht sowieso alles eben?“ Ich schob mir eine volle Gabel in den Mund. Bloß nicht weiterreden, dachte ich.

„Ich bin nach wie vor dafür!“, tönte meine Mutter.

„Also gut, wenn du dann glücklich bist.“ Mein Vater wendete sich resigniert seinem Essen zu und schob sich einen ganzen Rosenkohl in den Mund.

„Ich höre mich mal um.“  Damit war die Diskussion beendet und jeder aß leise für sich sein Essen.

Als alle fertig waren brachte Madeline den Nachtisch. Es gab weiße Mousse mit Erdbeercreme. Ein Traum…

Als ich am Abend vor meiner Staffelei saß, kreisten meine Gedanken. Ich wusste nicht, was ich malen sollte. Mir stand der Sinn nach etwas düsterem, tiefgründigem. Ich merkte gar nicht, wie ich bereits eine Skizze malte, während ich nachdachte. Ich war so abgelenkt, dass ich erschrak, als mich plötzlich zwei graue Wolfsaugen anstarrten. Unbewusst hatte sich das Bild von dem Wolf tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich sah mir meine Skizze genauer an und bekam Visionen.

Ich griff nach Pinsel und Farbe und machte mich an die Arbeit. Geschlagene zwei Stunden später, war ich fertig. Das lebensechte Abbild des Wolfes faszinierte mich. In Gedanken sah ich ihn vor mir stehen, wie mich seine klugen, wissenden Augen anblickten. Ich begann zu träumen. Als ich dann irgendwann aus meinen Gedanken schreckte, war es bereits nach elf Uhr. Es war schon stockduster draußen. Da ich so lange geschlafen hatte, war ich noch kein bisschen müde.

Ich sah aus dem Fenster und verspürte plötzlich den Drang nach draußen zu gehen. Ich wollte allein sein und weiternachdenken, also tauschte ich mein Kleid gegen robuste Jeans, Pulli und Stiefel. Dann rief ich Brian an, der mir eine Taschenlampe geben sollte. Außerdem griff ich nach meinem Ipod und machte mich mit diesen Sachen bewaffnet auf den Weg. Ich wusste nicht wohin ich wollte, weswegen ich einfach drauf los ging. Ich ließ mich von meinem Instinkt leiten und genoss die kühle Luft, die durch meine Lungen strömte.

Die Laternen waren vergleichsweise hell und störten mich. Deswegen beschloss ich in Richtung Wald zu gehen, um ganz alleine zu sein.

Ich ließ meine Straße hinter mir. Als ich um die Ecke bog erinnerte ich mich an meinen Ipod. Ich holte ihn aus meiner Hosentasche und musste erst mal die Kopfhörer entwirren. Scheiße aber auch! Das passierte aber wirklich jedes Mal. Ich steckte sie mir in die Ohren und drückte auf Play. Die dunklen Klänge von Until it hurts von Fransisca Hall hallten in meinem Kopf wieder.  Das Lied machte mich immer ein wenig melancholisch und erweckte Sehnsüchte in mir.

Ich ging immer weiter dem Wald entgegen und fühlte mich geborgen, als mich die Dunkelheit des Waldes umschloss. Doch dann wurde ich jäh aus meiner Verträumtheit gerissen. Ich war gerade dabei in die Dunkelheit zu starren, als ich angerempelt wurde. Als erstes dachte ich Wer ist zu dieser Uhrzeit bitteschön noch draußen? aber dann fiel mir ein, dass ich ja angerempelt wurde und Claire regte sich. Willst du dir das gefallen lassen? Ich war so durch Claire abgelenkt, dass mir erst jetzt auffiel, dass ich beinahe hingefallen wäre, hätten mich nicht zwei starke Arme aufgefangen. Ohne zu überlegen sagte ich: „Was fällt dir ein?! Kannst du nicht aufpassen?“

„Entschuldige bitte.“ Die Stimme war tief und rauchig. Ich nahm einen meiner Kopfhörer raus. Spontan würde ich sagen, dass das die perfekte Männerstimme war. „Ich wollte dich nicht anrempeln.“

Ich sah hoch. Der Typ war ein ganzes Stück größer als ich. Aber noch immer konnte ich ihn nicht genau erkennen.

„Hast du keine Augen im Kopf?!“

Normalerweise hätte ich mit der Antwort: „Doch und sie finden dich scharf“ gerechnet, aber er sagte nur: „Du hast ja auch nicht aufgepasst.“

„Entschuldige mal. Ich hab dich aber nicht umgeschmissen.“, gab ich zurück. „Ich dich auch nicht“, grinste er und ließ meine Arme los. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er mich immer noch festgehalten hatte.

Ich wollte gerade dazu ansetzten zu sagen: „ Mir ist noch nie jemand begegnet, der so eingebildet ist wie du“, aber als ich einen Schritt zurück trat, konnte ich sein Gesicht erkennen. Mir stockte der Atem. ER war es. ER, der Jogger, ER, mit den eisblauen Augen und dem intensiven Blick, ER, den ich eigentlich hatte vergessen wollen.

„Ist irgendwas?“, fragte er und grinste wieder.

„Sei nicht so unverschämt“, gab ich einen Moment zu spät zurück.

Starr ihn nicht so an, zischte Claire. Ich sah rechts an ihm vorbei in den Wald.

„Naja, ich muss dann auch mal weiter.“, sagte er. Innerlich schrie ich NEIN!!!, aber äußerlich blieb ich cool. „Ja, ich auch. Du hast mich sowieso schon zu lange aufgehalten.“

Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging. Mir war die Lust nach allein im Wald sein vergangen. Trübselig ging ich nach Hause, schloss die Haustür auf und ging ins Bett.

In der Nacht schlief ich unruhig. Immer wieder sah ich den Wolf und danach SEIN Gesicht . Ich wälzte mich immer wieder hin und her, wachte zwischendurch auf und schlief wieder ein. Um fünf Uhr morgens hatte ich dann keine Lust mehr.

Ich stand auf, wusch mich und zog mich an, und ging Joggen.

3. Kapitel

Es war ein ganz normaler Schultag. Ich saß gerade im Philosophieunterricht fest und hörte meinem Lehrer gezwungener Maßen beim philosophieren über die Erkenntnistheorie zu.  Es interessierte mich nicht wirklich, da ich zur Zeit zu viele eigene Sachen im Kopf hatte. Zum Beispiel schmiss Mary-Ann übermorgen eine Party, von welcher ich gerade erst erfahren hatte. Jetzt wusste ich nicht, was ich anziehen sollte. Vielleicht ja die neue silberblaue Kombi von Dolce und die Stilettos von Armani? Oder das Kleid in amber mit orientalischen Schnörkeln von Versace mit den Heels von Gucci und der passenden Tasche?

„Miss de Lou? Wären Sie vielleicht so freundlich uns die Erkenntnistheorie nochmal zu erläutern?“ Ich sah wie von der Tarantel gestochen auf und dachte Shit!!!

Du solltest lernen in manchen Situationen aufzupassen!, wetterte Claire.

„Miss de Lou? Sind Sie anwesend?“, riss mich Mr. Benson aus meinen Gedanken.

„Darf ich?“, eilte mir Josh zur Rettung. Ich war mir nicht sicher, ob er das tat, weil er in mich vernarrt war oder weil er eine gute Note wollte. Ich tippte auf ersteres. Ich war schließlich die tollste. Mr. Benson wollte gerade etwas erwidern, als es zur Pause klingelte.

„Glück gehabt!“, sagte er, als ich mich daran machte schnell einzupacken. Ich rannte förmlich aus dem Klassenzimmer.

Auf dem Schulhof stellte ich mich zu meiner Clique, welche aus Joann, Katelyn, Sophie, Samantha, Lukas, Jason und Jadon, den Zwillingen und Marcus bestand. Es waren nicht wirklich meine Freunde, sondern eher mein Zeitvertreib. Obwohl ich zugeben musste, dass die Jungs schon ganz süß waren, doch ich ging nie mit Typen meines Alters aus. Die hatten noch nicht so viel Erfahrung und waren damit einfach nur langweilig. Sie mussten mindestens zwei Jahre älter sein.

„Kommt ihr übermorgen auch zu der Party von Mary-Ann?“, fragte Sophie. Sophie war die Tochter des Bürgermeisters. Besaß also viel Geld, ein krasses Haus, welches zwar nicht so groß war wie meins, aber dennoch groß war und einen unheimlich süßen, großen Bruder, mit dem ich es auch schon einmal die ganze Nacht getrieben hatte, da er sein Handwerk verstand. Sie war zudem auf Platz 1 der Schulschlampen. Ich hatte vor kurzem gehört, dass sie es mit einem Achtklässler getan hatte. Was auf der einen Seite sicher ganz interessant, aber auf der anderen Seite eckelig war. Billig!

„Auf jeden Fall! Warum denn auch nicht?!“, antwortete Marcus. Er hatte blondbraune Haare im Justin-Bieber-Look und umwerfend blaue Augen. Wenn er älter wäre, wäre in der Vergangenheit bestimmt schon was passiert.

„Apropos Party! Was zieht ihr an?“, wandte ich mich an die Mädels.

„So´n kurzen pinken Minirock“, sagt Sam. Ebenso wie Marcus hat sie strahlend blaue Augen und zudem aschblonde Haare. Ihre makellose Schneewittchenhaut stach unter unseren gut gebräunten Körpern heraus. Sie war abgesehen von mir die Hübschste, allerdings machte sie sich das mit ihrem letzte-Saison-Look zunichte.

„Keine Ahnung. Entscheid ich spontan.“, antwortete Kate. Sie sah aus, wie man sich eine typische Barbiepuppe vorstellte.

Na toll! Das hatte mir jetzt auch nicht wirklich weitergeholfen. Aber gut. Ich würde schon was finden. Sonst würde ich eben noch mal shoppen gehen. Meine Eltern hatten mir gestern erst etwas auf mein Konto überwiesen. So weit ich wusste um die Hundert Euro. Das war mein wöchentliches Taschengeld. Damit konnte ich auskommen.

Der restliche Tag verlief nicht anders. Ich dachte an die Party und an Jungs und passte im Unterricht nicht auf. Aber Gott sei Dank wurde ich kein weiteres Mal aufgerufen.

 

Als ich am Nachmittag in mein Zimmer kam, war Clarissa gerade am aufräumen. Es roch sehr stark nach Desinfektionsmittel. Ich musste niesen. „Können Sie nicht mal etwas weniger Desinfektionsmittel verwenden?!Oder wenigstens Geruchloses?“, spie ich sie an.

„Nein, kann ich nicht. Wenn Sie ein sauberes Zimmer haben wollen, dann muss es dieses sein!“, antwortete sie mir frech ins Gesicht. Das musste ich mir nicht bieten lassen. „Dann putzen Sie gefälligst, wenn ich weg bin.“ Ich hielt die Tür auf und machte eine eindeutige Geste, dass sie das Zimmer verlassen konnte.

Ich ließ meine Schultasche an Ort und Stelle einfach auf und Boden fallen und bewegte mich auf das Fenster zu, um nach draußen zu gucken. Ich dachte, ich sah nicht richtig, als ich beobachtete, wie ER zielsicher auf das Haus zuging und an der Haustür klingelte. Im nächsten Moment ertönte schon der Gong. Willst du nicht aufmachen gehen?

Wollte ich das wirklich? Ich war gerade auf der Treppe, als mir einfiel, was er neulich nachts zu mir gesagt hatte. Deswegen war ich erleichtert, als ich hörte, wie Clarissa die Tür öffnete.

„Was kann ich für Sie tun junger Mann?“, fragte sie professionell kühl. „Ich wollte mit Mrs. De Lou reden. Ich bin der neue Gärtner.“, kam es zurück. Was? Er ist der neue Gärtner. Damit hatte ich weiß Gott nicht gerechnet. Ich wollte schnell in mein Zimmer flüchten, verfehlte aber die nächste Stufe und flog rückwärts die Treppe runter. Kurz bevor ich unten ankam und auf den Mamorboden klatschte, fingen mich zwei starke Hände auf. „Lassen Sie uns das nicht zur Gewohnheit werden.“ Ich sah mit Schamesröte im Gesicht zu ihm auf. Er grinste lässig zu mir herunter. Er half mir aufzustehen und ließ mich los, als meine Beine mich wieder von alleine trugen. Ich machte schnell einen Schritt zurück und presste eine Hand auf meinen Oberschenkel, als mich ein Schmerz durchzuckte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er. Mit zusammengepressten Zähnen meinte ich „Ja!“ Es sah zwar so aus, als ob er mir das nicht abkaufte, aber er sagte nichts weiter dazu. Gut für ihn. Er sollte seine Nase nicht in alle Sachen hineinstecken - was er eigentlich schon gemacht hatte, indem er hier als Gärtner angefangen hatte.

Plötzlich fiel mir auf, dass Clarissa verschwunden war. Na klasse! Wenn man sie brauchte , war sie nicht da. Was sollte ich denn nun machen? Claire nahm mir die Entscheidung ab. Führ ihn zu deiner Mutter! Dann bist du ihn schnell wieder los! Doch irgendwie wollten meine Beine sich nicht bewegen. Ich starrte ihn an, wie ein Blinder, der zum ersten Mal die Sonne sieht. „Ich möchte zu Mrs. De Lou. Weißt du, wo ich sie finde?“ „Ähh…ja, sicher.“ Ich erwachte aus meiner Starre und wollte mich schwungvoll umdrehen, doch leider machte mir mein Oberschenkel einen Strich durch die Rechnung. „Au!“, heulte ich auf und verlagerte mein Gewicht auf das andere Bein. Bevor auch mein anderes Bein unter mir nachgab, stand er plötzlich neben mir und stützte mich wieder.

„Wie war das noch gleich mit der Gewohnheit?“ Er lächelte mich spitzbübisch an. „Na danke, auch!“ Ich riss mich los und humpelte zum Arbeitszimmer meiner Mutter. Nach einigen qualvollen Schritten, blieb ich stehen, drehte mich um und sah, dass er sich keinen Millimeter bewegt hatte. „Kommst du jetzt?“

Er sah mich leicht grüblerisch an. „Willst du nicht erstmal etwas gegen die Schmerzen nehmen?“

„Weißt du? Ich bin schon groß! Ich kann sowas schon selbst entscheiden.“, zickte ich ihn mit viel Sarkasmus in der Stimme an. Abwehrend, als wenn er sich schützen wollte, hielt er die Hände vor seinen Körper und meinte: „Ich wollte nur helfen.“

„Danke, aber ich brauche deine Hilfe nicht.“ Ich hob das Bein etwas zu schnell, um die Treppe hoch zugehen, bereute es aber direkt. Stöhnend atmete ich aus. „Also das kann man sich ja nicht mit ansehen.“ Er kam zielstrebig auf mich zugelaufen und hob mich kurzerhand hoch. Ich versuchte zu strampeln, aber der Schmerz in meinem Bein, machte es mir unmöglich. Und doch wollte ich mich nicht von ihm nach oben tragen lassen. Ich kannte ja noch nicht mal seinen Namen. Auf der einen Seite fühlte ich mich in seinen beschützerischen Armen zwar wohl, aber es war mir auf der anderen Seite total peinlich.

„Lass mich sofort runter!“, keifte ich. Er ließ mich ergeben runter. Na? Bist du jetzt zufrieden? Gute Frage. War ich zufrieden? Ich war mir nicht sicher. Eigentlich eher nicht. „Na bitte, wenn du es unbedingt so haben willst!“ „Ja, will ich!“

 

Ich klopfte an die Zimmertür des Büros meiner Mutter. „Herein!“, kam auch schon die laute Stimmer meiner Mutter. Ich öffnete die Tür, winkte ihn herein, wünschte ihm viel Spaß und humpelte in mein Zimmer. Vorsichtig und voller Schmerzen setzte ich mich auf mein Bett.

Ich griff nach meinem Telefon und wählte Brians Nummer. „Brian? Bringen Sie mir Paracetamol! Ein Glas stilles Wasser dazu.“ Ich legte das Telefon wieder zurück.

Nach kurzer Zeit kam Brain auch schon mit dem Medikament und einem Glas Wasser. „Hier Ma´am.“ „Danke!“

 

Die nächsten Tage verbrachte ich damit zur Schule zu gehen, herumzuliegen und zu hoffen, dass die Schmerzen langsam weggingen. Die Party war gestrichen gewesen.

Ich versuchte den Blick aus dem Fenster zu meiden, was mir allerdings selten gelang. Im allgemeinen war es eine langweilige Zeit.

4. Kapitel

Wie jeden Morgen quälte ich mich aus dem Bett. Meine Beine waren schwer und ich hatte noch weniger Lust aufzustehen als sonst. Als ich barfuß ins Bad tapste und in den Spiegel schaute, erschrak ich ein wenig. Meine sonst wunderschönen, glatten Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab, waren total zerzaust und auch mein restliches Äußeres ließ vermuten, ich hätte in eine Steckdose gepackt. Da ich aber nicht minderbemittelt war, würde ich das nie tun.

Ich nahm eine Haarbürste von einer Kommode und versuchte durch meine wirren Zotteln zu kämmen. Nach einigen schmerzhaften Versuchen gab ich auf. Jetzt gab es nur noch eine Sache, die mir helfen konnte: mein „Wundermittel“ aus Paris. Es war eine Art Creme von einer sündhaft teuren Marke, für die selbst ich nicht gerne mein Geld ausgab. Doch da dies eins der wenigen Produkte war, auf die ich schwören würde, hatte ich mich von Claire zu einem weiteren Kauf überreden lassen, als ich vor einigen Monaten mal wieder in Paris gewesen war.

Ich nahm die kleine Tube, für die ich fast 100 Dollar ausgegeben hatte, und drückte ein wenig davon auf meine Fingerspitzen. Ich verrieb es und gab es auf die Knoten, die ich nicht auskämmen konnte.

Auf der Packung stand Mandelduft und Rosenextrakt. Und genau danach roch es auch. Ich müsste jetzt nur noch einige Minuten warten und dann würde ich das Zeug ausspülen. Dafür, und fürs Föhnen würde ich allerdings einige Zeit brauchen, weswegen ich definitiv nicht rechtzeitig zur Schule kommen würde. Aber im Grunde waren meine Haare mir wichtiger als die Schule. Zur Schule konnte ich auch noch morgen gehen!

Ich nahm meinen rosanen Plüschhaarreif und machte damit meine Haare aus den Gesicht, um mich während der Einwirkungszeit der Haarcreme um mein Gesicht zu kümmern. Dieses war nämlich voller Pickel, über deren Herkunft ich nur spekulieren konnte. Ich hatte mein Gesicht doch immer gepflegt, eingecremt und ich benutzte auch jede Woche eine Gesichtsmaske aus Avocadocreme und anderen Naturprodukten, die Brian mir in der Apotheke besorgt hatte. Ich ging nie in eine Apotheke, sie waren mir suspekt. Außerdem hatten Apotheker immer die Angewohnheit einem „ungesunde“ Dinge ausreden zu wollen. Außer der, mit dem ich geschlafen hatte. Das war noch ein Grund, sich von Apotheken fern zu halten. Denn nach dem Sex hatte er versucht, mir diverse Pillen, Kondome und Gleitcremes anzudrehen. Er hatte mir sogar ein Angebot gemacht. Ich hatte weniger Dankend abgelehnt und ihm eine Ohrfeige verpasst. Man konnte sagen, dass ich ihn hasste, obwohl er gut im Bett war. Darin bestand kein Zweifel. Wobei er für meinen Geschmack ein wenig zu lieb war. Und er hatte die ganze Zeit darüber geredet, wie man das ganze mit verschiedenen Aromastoffen – natürlich rein pflanzliche – noch besser machen konnte und was Rosenextrakt und einige andere Dinge mit meiner Haut machen konnten. Ich hatte ihn mehrmals gebeten, die Klappe zu halten und dann irgendwann zu härteren Maßnahmen gegriffen: Ohrstöpsel. Ab dann war es erträglich gewesen.

In Gedanken daran schraubte ich ein Töpfchen aus mattem Glas auf, in dem sich ein Anti-Pickel- und Anti-Stress-Serum befand, das ich vorsichtig und sehr sparsam auf die kleinen, ekligen Pickelchen tropfte. Ich konnte von Glück reden, dass ich keine Akne hatte oder irgendwas in der Richtung. Auch wenn man das gerade nicht erkennen konnte.

Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz vor Acht. Das hieß, dass ich in ungefähr zwanzig Minuten meine Haare waschen konnte. Und weil es dumm wäre, sich davor zu schminken, beschloss ich etwas zu malen.

Ich ging in mein Wohnzimmer und suchte dort nach meinem Telefon, um Brian anzurufen. Dann legte ich mich auf mein Sofa, die Hand auf meiner Stirn und wählte. Es dauerte nicht lange, da nahm Brian ab.

„Miss?“, meldete er sich.

„Brian“, sagte ich mit schwacher Stimme. „Mir geht es furchtbar. Würden Sie mir einen kühlen Lappen bringen. Und sagen Sie Clarissa, ich möchte einen Pfefferminztee.“

Brian schien sich über meine Freundlichkeit zu wundern, sagte jedoch nichts. Ich legte auf. Dann wartete ich darauf, dass ich draußen vor der Tür Schritte hörte, und setzte einen elenden Gesichtsausdruck auf.

„Herein!“, stöhnte ich, als es an der Tür klopfte. Brian öffnete die Tür.

„Miss. Ihr Lappen und Ihr Tee.“ Er stellte die Kanne Tee auf meinen Couchtisch und reichte mir den Lappen, den ich mit absichtlich zitternden Fingern nahm. Brian lächelte mir zu. „Soll ich Mr und Mrs de Lou informieren?“, fragte er.

„Nicht nötig.“, jammerte ich. „Aber rufen Sie bitte in der Schule an, dass ich nicht werde kommen können.“

„Selbstverständlich. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“

„Nein, das wärs.“, antwortete ich und Brian drehte sich in Richtung Tür. „Obwohl... Können Sie mir alle Informationen über den komischen Typen zukommen lassen, der neulich hier aufgetaucht ist? Danke.“, sagte ich und entließ ihn mit einem kleinen Nicken. Diese Idee war mir spontan gekommen. Und wenn er schon fragte, was ja auch sein Job war, konnte er auch gleich alles für mich erledigen. Dann brauchte ich nicht suchen.

Kaum war er weg setzte ich mich auf und überlegte, wie ich die verbliebenen Minuten bis zu meiner Dusche sinnvoll hinter mich bringen könnte. Malen würde ich jetzt nicht mehr schaffen. In Gedanken schlenderte ich zum Fenster und sah dort den neuen Gärtner. Seine Haare waren wie immer verwuschelt. Er beugte sich gerade über einen Blumentopf und ich konnte ungeniert seinen Knackarsch bewundern. Aber als hätte er meinen Blick gespürt drehte er sich um. Sein Blick wanderte die Fenster entlang und ich machte automatisch einen Schritt zurück. Aber es war schon zu spät. Ich lief knallrot an als er mir zuwinkte. Ausgerechnet ER. Er war der erste Typ, der mich ungeschminkt sah. Wenn ich bei jemandem zu Hause blieb war ich meistens schon weg bevor er aufwachte. Wenn jemand hierher kam schlich ich mich schon morgens ins Bad, duschte und schminkte mich neu, um mich dann, als wahre Schönheit wieder ins Bett zu legen und meine Nachtresistenz zu präsentieren. Ich war immer perfekt, auch nach einer verschwitzten und heißen Nacht – das war die Botschaft.

Ich lächelte, wobei das Lächeln wohl eher etwas gequält wirkte, und winkte zurück. Dann drehte ich mich um und schüttelte den Kopf über mich selbst. Wie hatte ich nur so leichtsinnig sein können, mich in Schlafanzug und ungeschminkt ans Fenster zu stellen?! Ich war schon doof manchmal. Aber jetzt konnte ich auch nichts daran ändern.

Ein Blick auf die große, moderne Uhr über meinem Sofa sagte mir, dass ich jetzt duschen müsste, sonst würde die Paste meine Haare schädigen.

Ich ging ins Bad, zog mich aus, betrachtete meinen Körper für einen kurzen Moment im Spiegel und schlüpfte dann unter die Dusche.

Ich wusch mich ausgiebig und nahm mir sogar Zeit für eine Intimrasur.

Einige entspannende Minuten später trat ich aus der Kabine und musste sofort frieren. Ich hasste es, nach dem Duschen zu frieren und hüllte mich deswegen in ein dickes, flauschiges Handtuch. Dann nahm ich meinen Föhn und trocknete meine Haare, sodass sie fast bis zu meiner Taille fielen. Anschließend nahm ich noch mein Lieblingsparfum und hüllte mich in einen fruchtigen, süßen Duft.

Meine nackten Füße tapsten auf den Fliesen, als ich in Richtung Tür ging. Doch bevor ich sie öffnen konnte, tat es jemand anderes. Ich erschreckte mich derartig, dass ich mein Handtuch fallen ließ und völlig nackt dastand. Das alleine war ja nicht so schlimm, viele Leute, und auch teilweise die Angestellten, hatten mich schon in Unterwäsche oder nackt gesehen, aber noch nie die Person, die in der Tür stand. ER wieder! Ich traf ihn auch immer in den unpassendsten Momenten zu den unpassendsten Zeiten.

Ich wurde feuerrot – röter, als ich je in meinem Leben gewesen war. Und auch er sah... überrascht aus. Ausgesprochen überrascht. Seine Augen weiteten sich für einen kurzen Moment, aber er blieb erstaunlich cool – trotz meines Anblicks.

„Huch, ich hab eigentlich nur Mrs de Lou gesucht. Die Heckenschere ist nicht im Gartenhaus.“

Trotzig erwiderte ich: „Hier findest du sie definitiv nicht.“ Ich versuchte ebenfalls cool zu bleiben und ihm nicht zu zeigen, dass es mich in irgendeiner Form beeinflusste, dass er mich nackt sah. Ob mir das gelang wusste ich nicht. Ich hoffte es. Wenn mein Gesicht genau das widerspiegelte, was in mir vorging, dann definitiv nicht. Wobei ich mir nicht ganz sicher war, was eigentlich in mir vorging. War ich peinlich berührt? Oder gefiel es mir vielleicht doch? Vielleicht fühlte ich gerade auch gar nichts. Denn er ließ seinen Blick langsam und ohne Scham an meinem Körper herabfahren, ohne eine einzige Regung im Gesicht. So etwas war mir noch nie passiert. Normalerweise war ich immer stolz, wenn jemand meinen nackten Körper betrachtete und danach gings zur Sache. Aber diesmal war es wohl nicht so...

Wir standen uns ein paar Sekunden gegenüber, ohne eine noch so kleine Bewegung. Ich war so erstarrt, dass ich noch nicht mal daran dachte, mein Handtuch wieder aufzuheben. Außerdem müsste ich dann meinen Blick von ihm lösen. Und das wollte ich nicht. Ich wollte ihn am liebsten für immer anschauen. Seine wirren Haare, seine leuchtenden Augen, sein wölfisches Grinsen, sein wunderschönes Gesicht, seinen muskulösen Körper – alles in mir schien nach ihm zu schreien.

Er trat einen Schritt nach vorne und bückte sich nach meinem Handtuch. Ich ließ ihn dabei nicht aus den Augen, fast so als hätte er mich hypnotisiert. Als er sich aufrichtete war er ganz nah an meinem Gesicht. Wir starrten uns gegenseitig in die Augen. Und ich war wie gebannt von den leichten Silberschimmer in seinen. Gleichzeitig fragte ich mich, warum ich es nicht schaffte, zu reagieren, wie ich es bei jedem anderen tun würde. Normalerweise hätte ich einen kecken Spruch auf Lager, aber bei ihm war mein Gehirn wie leergefegt. Das war wirklich nicht normal!

Er hielt mir mein Handtuch hin. „Hier.“ Seine Stimme war wundervoll und kehlig. Genau so wie ich Männerstimmen liebte. In mir regte sich ein Verlangen. Allerdings wollte ich keinen Sex allgemein, sondern ihn speziell. Auch das war mir noch nie passiert. Langsam fragte ich mich, ob ich wirklich krank war. Vielleicht hatte ich ja einen seltenen Virus. Das würde auch erklären, warum mir auf einmal so heiß war.

„Ähh...ich muss jetzt meinen Hund füttern. Bis dann!“ Ich huschte an ihm vorbei und wollte so schnell wie möglich von hier weg. Was machst du denn da? Werd mal wieder normal!, blaffte mich Claire an. Um ihr und mir zu beweisen, dass ich noch normal war, fing ich an mit dem Hintern zu wackeln. Als ich um die Ecke kam, sank ich entkräftet gegen die Wand und ließ die Luft stoßweise aus meinen Lungen entweichen. So fertig war ich nicht mal nach dem Joggen.

Ich war erleichtert, als sich seine Schritte nach einer Weile entfernten. Er murmelte irgendwas vor sich hin. Was hatte er nur an sich?! Unweigerlich fragte ich mich, ob ich die einzige war, die so dermaßen unvorhersehbar auf ihn reagierte. Gleichzeitig schlich sich auch noch der Gedanke ein, wie viele Freundinnen er schon gehabt hatte. Bestimmt viele. Bei seinem... .

Miststück, fauchte Claire. In dem Moment kam Shila, meine Cavalier King Charles Spaniel Hündin, bellend und schwanzwedelnd angerannt.

„Hallo meine Süße“, sagte ich, während ich sie hinter dem Ohr kraule. Ich nahm sie auf den Arm und ging in mein Ankleidezimmer, um mir etwas anzuziehen. Ich wollte nicht, dass er mich noch einmal nackt sah. Das hieß, eigentlich wollte ich es schon, nur unter anderen Umständen. Ich ließ sie runter und entschied mich nach kurzem Überlegen für ein verhältnismäßig locker sitzendes Basic-Kleid. Dann ging ich in mein Malzimmer. Shila folgte mir auf den Fuß bzw. lief mir vor die Füße. Manchmal hatte ich echt Angst, ich würde sie ausversehen treten.

Ich stellte mich vor die frische Leinwand, die Brian auf meine Staffelei gestellt hatte und schloss Augen. Ich wartete auf eine Eingebung. Dies waren die Momente, in denen ich wirklich ruhig wurde. Ohne genau zu wissen, was ich malen sollte, öffnete ich sie wieder und sah aus dem Fenster. Der mysteriöse Fremde hatte anscheinend die Heckenschere gefunden und machte sich an unserer Hecke zu schaffen. Ich dachte nicht lange nach, sondern nahm meinen Bleistift, wendete mich wieder meiner Leinwand zu und malte wie von selbst seine Umrisse. Ich dachte gar nicht großartig nach, sondern ließ meine Hand sich einfach von alleine über Leinwand bewegen. Ich fühlte mich frei und befreit. Nur am Rande meines Bewusstseins merkte ich, dass Shila sich auf ihr Hundesofa in der Ecke gelegt hatte. Vor drei Jahren, kurz nachdem ich sie bekommen hatte, hatte ich es – eigenständig – ausgesucht, damit sie immer bei mir sein konnte, wenn ich zeichnete. Denn sie war das einzige Wesen auf dieser Welt, dass mich nicht kritisierte oder irgendwelche Ansprüche an mich stellte und mich so liebte wie ich war. Und ich würde sie auch immer lieben. Sie war neben dem Zeichnen der wichtigste Bestandteil meines Lebens.

Einige Zeit später war mein Bild soweit fertig, dass man erkennen konnte, was es darstellen sollte. Ich kramte in meiner Schublade bis ich die richtige Farbe für seine Haare gefunden hatte. Es war ein herrliches Schokobraun. Ich tauchte meinen Pinsel in die Farbe und begann sie auf der Leinwand zu verteilen. Je mehr ich benutzte, desto echter wirkte mein Bild und desto mehr brachte es mich aus der Fassung. Ich musste mir Mühe geben, nicht zu sabbern. Ich war wirklich stolz auf mich. Ich hatte ihn gut getroffen. Ich verlor mich ganz in den Gedanken an ihn, währen ich meine Hände arbeiten ließ.

 

Ich stand am Fenster. Genau dort wo der immer noch Unbekannte mich an diesem Morgen zum ersten mal so verwirrt hatte und starrte in die Dunkelheit. Ich war gerade von einem Spaziergang mit Shila zurück und freute mich über mein warmes Zimmer. Den ganzen Tag hatte ich vergeblich versucht ihn aus meinen Gedanken fern zu halten. Zu meinem Verdruss und Claires Ärger war mir das nicht besonders gut gelungen. Die ganze Zeit über hatte ich versucht seinen Blick zu analysieren, als ich nackt im Bad gestanden hatte. Zu einem Ergebnis war ich dummerweise nicht gekommen. Das machte mir irgendwie ziemlich zu schaffen. Normalerweise war ich es, die anderen Blicke zuwarf, über die sie nachdachten – und nicht anders herum. Es war tatsächlich eine ungewohnte Situation für mich. Und das verwirrte mich zutiefst.

Weil ich nicht mehr wusste, was ich an diesem Tag, es war jetzt fast acht Uhr, noch machen sollte, entschied ich mich dafür, nochmal in mein Malzimmer zu gehen. Mein Blick fiel sofort auf das fast fertige Portrait. Irgendwie bekam ich bei dem Anblick Aggressionen. Ich hatte nicht übel Lust es zu verbrennen. Ich überlegte, wie ich es anstellen sollte. Im Wohnzimmer vielleicht? Wir hatten einen eingebauten Kamin. Nein! Zu riskant, dass Brian es mitbekommen könnte. Im Garten! Perfekt! Ich musste bloß gucken, dass ER nicht da war. Wieder sah ich aus dem Fenster. Ich konnte ihn – gott-sei-Dank – nirgendwo entdecken.

Ich zog mir eine alte Jogginghose – ja, auch ich besaß sowas – und eine Jacke an, die sowieso in die Wäsche musste. Denn ich wollte nicht, dass jeder den Rauch an mir roch. Mit dem Bild unter dem Arm, einer Taschenlampe in der Hand und fest entschlossen ging in die geschwungene Treppe nach unten. Dort zog ich meine Stiefel an und trat durch die große Teressentür nach draußen. Sofort fing ich an zu frieren. Aber ich würde ja gleich am Feuer stehen.

Ich kam mir ein bisschen dämlich vor, als ich über den Rasen in Richtung Gartenhäuschen lief. Denn ich wusste, dass Brian dort manchmal alte Zeitungen und Kataloge in einer Tonne verbrannte. Das schien mir der ideale Ort zu sein, um alles los zu werden. Sowohl das Bild als auch meine Gefühle in Bezug auf es.

Das Gartenhaus stand ziemlich in der letzten Ecke unseres relativ großen Gartens. Ich hoffte, von drinnen würde mich keiner sehen. Als ich vor der Tonne stand und das Bild hineingeworfen hatte, stellte sich mir die Frage: Wie sollte ich das Feuer ankriegen?! Schmeiß dich doch einfach selbst in die Tonne! Ja super, das half mir jetzt auch nicht weiter.

Ich hoffte, im Gartenhaus würden sich Streichhölzer befinden. Doch als ich vor der Tür stand, sah ich ein Lichtschein unter ihr hervorkommen. Vielleicht hatte jemand vergessen das Licht auszuschalten, dachte ich mir. Ohne Erwartungen öffnete ich die Tür. Und drei Mal dürft ihr raten, wer vor mir stand: ER!

„Huch“, entfuhr es mir. Als würde es ihn nicht im Geringsten wundern, dass ich da war, drehte er sich um.

„Hi. Kann ich dir helfen?“ Freundlich lächelte er mich an. Trotz der Kälte breitete sich ein warmes Gefühl in mir aus.

„Ja“, sagte ich kurz angebunden. „Ich brauche Streichhölzer.“ Wortlos reichte er mir welche. Ich nahm sie, lächelte und ging einfach wieder. Ich wollte auf keinen Fall riskieren, dass er mitbekam, dass ich sein Bild verbrennen wollte. Deswegen zündete ich schnell ein Streichholz an und warf es ohne groß zu überlegen in die Tonne. Ich hätte nicht gedacht, dass die Leinwand wie Zunder brennen würde. Die orangenen Flammen leckten an der Tonnenwand und versenkten nach und nach sein Gesicht.

Ich spürte seine Anwesenheit, bevor ich ihn sah. „Was tust du da?“, fragte er freundlich und neugierig zugleich. Er schien mir nicht drohen zu wollen, sondern hörte sich nur interessiert an. Ohne ihn anzugucken sagte ich: „Ich musste etwas loswerden.“ Langsam drehte ich den Kopf zu ihm. Das zuckende Feuer warf sich immer verändernde Schatten auf sein Gesicht. Es war wunderschön anzusehen. Seine Augen schienen trotz der Dunkelheit zu leuchten. „Darf ich mich zu dir stellen?“ Ich warf einen schnellen Blick auf sein Portrait, um mich zu vergewissern, dass es unkenntlich war. Dann sagte ich: „Sicher. Wenn du willst.“

Leise trat er neben mich. Ich hielt meinen Blick gesenkt. Ich wollte ihn nicht anstarren. Und ich wusste, ich würde es tun, wenn ich der Versuchung nachgab.

Wir standen eine Weile einfach so da. Wir sahen uns nicht an, wir redeten nicht. Wir blickten nur in die zuckenden Flammen.

Nach einiger Zeit neigte sich das Feuer dem Ende zu. Er ging in die Gartenhütte und holte zwei Holzscheite, ohne ein Wort zu verlieren. Ich hatte das Gefühl, dass wir einfach die Gegenwart des anderen genossen. Und das, obwohl es heute morgen so peinlich zwischen uns gewesen war.

Langsam fing ich aber wirklich an zu frieren. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper. In einem merkwürdigen Moment der Verbundenheit legte er einfach den Arm um mich. Ich fühlte mich unglaublich. Einfach nur wunderbar und schwerelos – wie schon lange nicht mehr.

Anfangs war ich wie erstarrt und wunderte mich über seine Reaktion. Aber dann warf ich einfach alle meine Zweifel, Gedanken und Gefühle in die Tonne zu dem Feuer, genoss seine Wärme und lehnte mich ein wenig an ihn. Ich war noch nie jemandem einfach so nahe gewesen. Ohne, dass es hoch herging.

Er drückte mich an sich und ich lächelte. Obwohl er mich nur im Arm hielt, war unsere Verbindung intensiver als jede andere, die ich bis jetzt in meinem Leben zu jemandem gehabt hatte. Diese Verbindung war eine rein Emotionale – und das war eine interessante Abwechslung. Ich sah zu ihm hoch. Sein Blick war auf mich gerichtet: „Mein Name ist übrigens Julian!“

5. Kapitel

Julian, Julian, Julian... Der Gedanke an gestern Abend brachte mein Herz dazu, etwas schneller zu schlagen, als es mir lieb war. Er war... ja, was war er eigentlich? Jedenfalls anders als ich. Er war bestimmt nicht reich und hatte bestimmt auch noch nicht bei so vielen Partys mitgemischt, aber er hatte etwas, dass ich so nicht kannte. Das selige Lächeln, welches ich seit ungefähr zwölf Stunden auf den Lippen, ließ sich einfach nicht wegwischen. Höchstens für ein paar Sekunden. Vermutlich hatte ich auch im Schlaf gelächelt. Bei dem Traum den ich hatte. Ich hatte von Julian und mir am Lagerfeuer geträumt. Wir hatten Sex. Aber es war anders. Viel gefühlvoller , schöner, langsame und erotischer, als ich es kannte. Sein Blick hatte die Flammen widergespiegelt, als er mir in die Augen und damit in meine Seele geschaut hatte. Und es spiegelte pures Verlangen wider. Er gab mir das Gefühl etwas besonderes zu sein. Und das verwunderte mich, denn normalerweise redete ich mir immer ein etwas besonderes zu sein. Er sah mich als das, was ich war und nicht als das, was ich gerne wäre. Es gefiel mir.

Ich erwachte aus meinem Tagtraum. Claire schüttelte den Kopf über mich und sagte abschätzig Wann warst du das letzte mal verliebt? Ich beachtete sie nicht. Ich war doch nicht verliebt. Ich konnte mich nicht verlieben. Ich war perfekt. Und perfekte Leute suchten kein Gegenstück, um perfekt zu sein, weil sie es schon waren. Nur Unperfekten passierte sowas.

Meine Nase folgte dem angenehmen Geruch nach Blaubeerpfannkuchen. Von Clarissa erwartete ich unter der Woche ein ausgewogenes gesundes Frühstück, weil ich es mir nicht leisten konnte dick zu werden. Und am Wochenende etwas Süßes. Und Samstags und Sonntags morgen waren die einzigen Mahlzeiten zu denen ich etwas ungesundes aß. In diesem Fall Pfannkuchen. Ich liebte Pfannkuchen einfach nur abgöttisch!

Auf meinem Stammplatz am Esstisch, stand schon ein Teller mit meinem geliebten Pfannkuchen. Ich setzte mich hin, legte meine Servierte auf meinen Schoß und schob mir ein Stück Pfannkuchen in den Mund. Ich schloss genießerisch die Augen und musste mich zusammenreißen nicht zu schmatzen. Ich genoss ihn in vollen Zügen und leckte mir seufzend über die Lippen, als ich fertig war.

Dann rief ich nach Clarissa, damit sie meinen Teller abräumen konnte.  Ich hatte noch massig zu tun. Ich hatte heute Abend ein Date, aber nicht mit Julian, sondern mit dem netten Studenten drei Blocks weiter. Er hatte blondes kurzes Haar, dass er im Surfer-Look stylte. Und genauso sah er auch aus. Er sah fast perfekt aus, aber doch nicht so perfekt wie ich. Also perfekt für eine Nacht. Und es würde eine lange Nacht werden. Dafür würde ich sorgen!

Ich machte mich auf den Weg in mein Zimmer und überlegte mir, was ich anziehen konnte. Am besten etwas kurzes und enges. Vielleicht ja etwas aus der neuen Collection von Armani, aber dafür musste ich noch mal shoppen gehen. Naja, es war sowieso mal wieder höchste Zeit, Geld auszugeben. Mir schwebte etwas elegantes, aber dennoch sehr heißes vor.

Ich machte mich fertig und stieg in meinen Ferrari. Man muss dabei anmerken, dass man nur Ferrari fahren kann, wenn man auch dir richtigen Klamotten trägt. In meinem Fall ein rotes Kleid, Ancle-Boots und eine Lederjacke. Beim Einsteigen fiel mir auf, dass mein weißes Auto ein wenig dreckig war, weswegen ich beschloss, gleich noch einmal zur Waschstraße zu fahren.

Ich startete mein Auto und freute mich über das aufheulen des Motors. Sobald das Garagentor ganz oben war, preschte ich los. Ich liebte es durch die Straßen zu brausen.

Nach ca. einer viertel Stunde war ich bei der Waschstraße. Ich entschied mich für das Komplettprogramm, das teuerste, welches sie anboten. Nur widerwillig ließ ich den Mitarbeiter mein Fahrzeug übernehmen. Seine Klamotten waren nämlich sehr dreckig und er roch zudem auch nicht besonders gut. Es tat mir in der Seele weh, ihm den Schlüssel auszuhändigen. Ich musste meinen ganzen Mut dafür aufbringen. Wieso arbeiteten hier nicht so heiße Leute wie Julian?! Was denkst du denn da schon wieder?!, schrie Claire mich an. Ungeduldig wartete ich vorm Ausgang der Waschstraße auf  meinen Wagen. Bezahlt hatte ich schon.Wenn du weiterhin so mit deinem Fuß auf den Boden stampfst, werden deine Schuhe kaputte gehen!, wies Claire mich zu recht. Sofort hörte ich damit auf.  Als mein Wagen endlich wieder vor mir stand – blitzeblank – stieg ich sofort ein. Und gab Gas. Nun musste ich mich aber beeilen, weil ich mir überlegt hatte, mir eine neue Frisur zuzulegen. Ich wollte schon seit längerem einen Bob. Und außerdem musste ich dringend mal meine Strähnchen auffrischen lasse. Also fuhr ich zu dem Friseur meines Vertrauens: zu Gionvanni. Kling blöd der Name, aber trotzdem war er mit Abstand der Beste. Seit einem Jahr ging ich zu ihm und war mit allem zufrieden, sogar mit dem Service! Seil Salon war groß, hell und modern, sodass ich mich einfach wohl fühlen musste. Ich stellte mich hinter eine ältere Dame an den Empfang.

 "Hallo.", sagte ich. Ich wollte nicht unhöflich sein.

"Sind Sie auch zum ersten Mal hier?", fragte die Dame. Sie sah ein wenig nervös aus.

"Nein", antwortete ich. "Sie müssen nicht nervös sein."

Ich schaute zu ihr hinunter. Sie war erstaunlich klein.

"Zu wem wollen Sie denn gehen?" Im Salon arbeiteten mehrere Frisöre.

"Weiß ich noch nicht. Können Sie jemanden empfehlen?" Sie sah mich erwartungsvoll an.

Beinah hätte ich gesagt "Giovanni ist der Beste!", aber zu dem wollte ich ja. "Ich kann Lauren empfehlen.", sagte ich deswegen.

"Oh, Dankeschön!"

Eine Frau, schätzungsweise in den Zwanzigern, in weißem Kittel kam eine der fünf Treppen hinunter und stellte sich hinter den Empfang. "Wie kann ich helfen?", fragte sie. Was für eine dumme Frage. Sie wusste doch genau, weshalb man in einen Friseursalon kam: um sich die Haare machen zu lassen.

"Ich brauche einen neuen Haarschnitt.", sagte die alte Dame. "Am liebsten von Lauren." Sie zwinkerte mir zu. Ich lächelte. Irgendwie war sie nett - ziemlich nett sogar. Und dabei mochte ich ältere Leute eigentlich nicht. Sie waren unbeweglich, unbeholfen und tatterig. Und sie erzählten ständig irgendwelche Geschichten. Die meisten von ihnen begannen mit "Damals, als ich noch...". Nur wenige Minuten mit ihnen, und ich war irrenhausreif. Du musst bald sowieso dahin. Wenn du weiterhin so sabberst, wenn Mr. Perfekt in der Nähe ist! Als ob ich sabberte.

Ich wurde aus meinen Gedanke gerissen. „Und was kann ich für sie tun?“ Ich sah nach oben. Vor mir stand Jolie. Sie stand noch immer hinter der Theke und sah mich erwartungsvoll an. 

"Ich muss zu Giovanni! Und dann hätte ich gerne einen Latte Macciato mit zwei Stück Zucker und extra viel Schaum", sagte ich selbstbewusst und lächelte. Ich wusste, dass ich keinen Termin hatte, weswegen ich nun umso überzeugender sein musste.

"Dann können Sie zu Platz 4 gehen. Ich nehme an Sie wissen, wo der ist?",  Jolie zog eine Augenbraue hoch. "Ja", sagte ich und hob den Kopf ein wenig mehr. In meiner Welt musste man den Kopf immer hoch oben tragen. Ansonsten wurde man in eine Schublade mit der Aufschrift "Unterschicht" gesteckt, aus der man nur schwer wieder heraus kam.

Ich stolzierte an ihr vorbei die Treppe nach oben und gab einer weiteren Angestellten meine Jacke. Nur meine Tasche behielt ich bei mir. Ich hatte 540 Dollar in bar mit. Da gab ich definitiv niemandem meine Handtasche, selbst wenn er mir anbot sie nur zu tragen.

Dann ließ ich mich auf den roten, weich gepolsterten Ledersessel singen und war erstaunt über meine Vorfreude. Ich ging erstaunlich gerne zum Frisör. Und noch lieber zu Giovanni. Genüsslich kippte ich den heißen Kaffee meine Kehle herunter und wünschte mir, dass es etwas anderes wäre.

Es wunderte mich nicht großartig, dass ich fast eine halbe Stunde warten musste, bis Giovanni endlich zu mir kam, aber ich hatte mich darauf eingestellt und jede Minute lohnte sich - meiner Meinung nach. Es soll ja durchaus Leute geben, die nicht gerne in diesen Salon gehen. Ich konnte sie nicht im geringsten verstehen. Der Service war gut, die Leute waren gut, das Endergebnis war gut... Aber auch der Preis, was vermutlich der Grund war, weswegen ich diesen Laden außerdem so schätzte. Hier wimmelte es nur so von reichen, gut aussehenden Leuten, die bereit waren, viel Geld für ihre Wünsche auszugeben. Ich konnte geizige Leute nicht leiden. DU bist doch selbst geizig., sagte Claire. Tja, wo sie recht hatte, hatte sie recht, aber ich meinte eine andere Form von geizig sein.

Nämlich die, dass manche Leute bei allem was sie taten immer nur aufs Geld achteten und sich nie etwas gönnten.

"Ciao Bella. Lage nicht gesehen!", kam Giovanni auf mich zu. Sein angenehm italienischer Akzent bereitete mir sofort gute Laune. Ich mochte Leute, die immer gut gelaunt waren und diese gute Laune an andere weiter gaben. Giovanni war ein kleiner Italiener, Mitte bis Ende 40 und sehr nett. Außerdem gingen ihm langsam die Haare aus.

"Meine wunderschöne Josefine. Was kann ich für meine Bella tun?", er lächelte mich an. "Giovanni. Eine Freude, dass du Zeit für mich hast. Ich wollte mal was ausprobieren. Kannst du was Trendiges empfehlen?", grinste ich zurück. Ich liebte es, dass er mich immer mit Komplimenten überhäufte. Welche Frau würde sich da nicht pudelwohl fühlen?!

"Wie wäre es mit einem Bob für meine experimentierfreudige Josephine.", er langte nach einem Frisurenbuch. Dann hielt er mich eine aufgeschlagene Doppelseite hin, auf der eine Frau abgebildet war, die nicht annähernd so gut aussah wie ich. Sie trug einen modischen Bob, hatte blonde Haare und eine rote Strähne. "Tolle Frisur. Aber die Strähne hätte ich nur ungerne."

Giovanni musterte mich. "Oh Bella, niemals könnte ich deine wunderschönen Haare rot färben." Und so machte er sich ans Werk. Waschen, schneiden, föhnen. Ich genoss die Prozedur in vollen Zügen. Zwischendurch machte mir Giovanni weitere Komplimente und witzelte sogar ein bisschen rum. Ich trank meinen zweiten Latte Macciato aus und wollte nach zwei Stunden den Laden verlassen, als mir jemand auffiel. Die Dame stand an der Kasse - ich bezahlte immer auf Rechnung - und wühlte in ihrem Portemonnaie. Ich hielt es für angebracht, sie noch einmal anzusprechen.

„Und sind Sie zufrieden?“ Ich stellte mich neben Sie. „Oh, ich habe Sie gar nicht erkannt. Sie sehen so anders aus.“, sie lächelte. „Oh ja, ich bin zufrieden. Vielen Dank!“ „Gerne.“ Ich streckte ihr die Hand entgegen. „Josephine Caroline de Lou.“

„Marianne Rosenberg.“ Sie nahm meine Hand und drückte sie erstaunlich fest. „Du hübsches Kind.“ Sie sah ganz glücklich aus. „Du erinnerst mich an meine Enkelin.“

Ich empfand eine unglaubliche Sympathie für diese Frau.

„Miss Rosenberg? Wollen Sie den Beleg?“, meldete sich die Angestellte hinter der Kasse zu Wort.

„Was meinen Sie Josephine? Sie haben mir so toll geholfen. Soll ich den Beleg mitnehmen?“ Sie ließ meine Hand los, die sie vorher in ihren gehalten hatte, und kramte in ihrer Handtasche.

„Wenn Sie ihre Haare reklamieren wollen, sollten Sie ihn einstecken.“ Ich grinste. Ich nahm meinen Beleg nie mit. Wozu auch?! Meine Haare waren doch so oder so ab. Daran konnte ich hinterher auch nichts mehr ändern. Mrs Rosenberg brach in schallendes Gelächter aus. Es klang jung und glockenklar. „Ich brauche ihn nicht“, sie wandte sich ab.

„Miss Josephine, wrden Sie mit mir noch einen Kaffee trinken gehen?“ Ich überlegte einen Moment, aber die Faszination, die sie auf mich ausübte ließ mich schnell zustimmen: „ Gerne!“

Ich wollte ihr die Tür aufhalten, aber sie kam mir zuvor. Nebeneinander gingen wir die Straße entlang bis zu meinem Ferrari. Ich holte den Schlüssel aus meiner Tasche und betätigte den automatischen Türöffner. Ich wollte einsteigen, aber Mrs Rosenberg sagte: „Nein. Wir können auch zu Fuß gehen. Das Café ist gleich um die Ecke.“

„Ähh, okay“, ich war etwas verwirrt, denn ich ging nie irgendwo zu Fuß hin. Selbst dann nicht, wenn ich nur wenige Minuten laufen musste. Aber ich folgte ihr ohne Wiederworte. Dass du dir sowas gefallen lässt Josephine! Ich bin wirklich enttäuscht von dir. Das ist eine alte Dame. Du solltest sie nicht laifen lassen! Hinter passiert ihr noch was. Hinterher bekommt sie noch einen Herzinfakt. Und du solltest erst recht nicht laufen. Du ruinierst dir noch deine Loubutins! Davon mal abgesehen ist das unter deiner Würde! Wozu hat man einen Ferrari. Sie hatte ja irgendwie recht, aber ich hatte das Gefühl, dass es sowieso nichts bringen würde ihr zu widersprechen. Ich seufzte und ging ihr hinterher. Sie war erstaunlich schnell fr ihr Alter und ich hatte das Gefühl, dass sie einen ordentlichen Schalk im Nacken sitzen hatte. Ihre Augen wirkten wacher, als sie es sollten und standen in einem starken Kontrast zu ihrem Alter.

„Na, beeilst du dich mal?“ Mrs Rosenberg drehte sich zu mir um. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie schon einige Meter weiter war. Schnell eilte ich hinter ihr her, in der Hoffnung meine Schuhe wirklich nicht zu ruinieren.

 

Vor dem Café hing ein Schild auf dem stand „Café Perfeta“ und da drunter leuchtete Open. „Ohh!“, sagte ich. „Hier war ich noch nie.“

„Es ist ein Geheimtipp.“ Sie zwinkerte mir zu und lächelte verschmitzt. „Aha.“ sagte ich. Einfallsreich wie ich war und folgte ihr etwas widerstrebend aber interessiert ins Innere des Cafés. Es war hell und freundlich, sah aber nicht nach meiner Preisklasse aus.

Mrs Rosenberg begrüßte eine Kellnerin. Sie war jung hatte schwarze Haare, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hatte und trug eine klassische Kellnerinnen Kombi. Sie war hübsch, aber man sah ihr an, dass sie nicht so viel Geld hatte. Wahrscheinlich arbeitete sie deswegen auch in diesem Café. Unter normalen Umständen würde ich mich niemals mit ihr oder generell mit jemandem wie ihr, abgeben. Es wäre mir schlichtweg zu peinlich. Es war eben nicht meine Bestimmung.

Wir aßen ein Stück Kuchen, wobei ich einen Diätkuchen nahm, ich wollte mir schließlich nicht meine Figur versauen, tranken Kaffee und plauderten. Ich merkte gar nicht wie die Zeit verging, als...Julian auf einmal durch die Tür kam. Whoo...sah er heute gut aus. Er hatte einen drei Tage - Bart und seine Haare sahen einfach nur...heiß aus. Ich musste den Drang unterdrücken ihn anzustarren, was mir letztendlich nicht besonders gut gelang. Er schien mich bemerkt zu haben und kam direkt auf mich zu.

6. Kapitel

 Mein Herz begann zu flattern, als Julian sich zu uns an den Tisch setzte; nachdem er sich zu Mrs. Rosenberg hinuntergebeugt hatte und ihr einen Küsschen erst auf die rechte und dann auf die linke Wange gegeben hatte. So etwas kannte ich nur aus deutschen Filmen. „Guten Tag Marianne. Hi Josephine.“ Er hatte mich bis jetzt nicht mal angeschaut. Ich wusste nicht, ob ich verletzt sein sollte, oder nicht. Natürlich bist du verletzt. Wie kannst du dir das gefallen lassen? Sie hatte ja so recht. Irgendwie musste ich die Aufmerksamkeit wieder auf mich lenken. Und am besten ging das mit einem demonstrativen, dramatischen Abgang. „Kellner!“, rief ich und schnippte mit dem Finger. Ich drückte dem leicht überfordertem Kellner 15 Euro in die Hand und sagte: „Für beide zusammen. Stimmt so!“ Mrs. Rosenberg wollte etwas erwidern, doch ich machte ihr mit einer schnellen Handbewegung begreiflich, dass sie still sein sollte.Ich nahm meine Tasche und meine Jacke und verließ zügig das Café. Auf der Straße beschleunigte ich meine Schritte. Ich wollte so schnell wie möglich so viel Abstand wie möglich zwischen mich und IHN bringen. Ich war gekränkt. Noch nie hatte ein Kerl mich einfach so ignoriert. Besonders nachdem wir Arm in Arm am Feuer gestanden haben. Auch verstand ich nicht, warum er nichts zu meinen Haaren gesagt hatte. Ihm musste doch aufgefallen sein, dass ich eine neue Frisur hatte. Er ist ein Idiot. Schlag ihn dir aus dem Kopf. Wenn er dich ignoriert, ist er es nicht wert! Ich wusste nicht, was ich von dem Ganzen halten sollte. So ignorant, so kalt. Aber doch wieder so nett und freundlich. Ich beschloss nach Hause zu fahren und etwas zu malen, um mich abzulenken. Ich war gerade dabei, den Schlüssel von meinem Auto zu suchen, als ich Schritte hinter mir hörte. Der Rhythmus, in dem die Füße den Boden berührten, kam mir sehr vertraut vor - zu vertraut. "Was willst du?" Ich drehte mich um. Ich war sehr, sehr verletzt. Aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Ich musste irgendwie wieder zu mir selbst finden. Zu mir und meinem Selbstbewusstsein, auf welches ich mich doch sonst immer verlassen konnte. "Ich hatte gehofft, du könntest mich mitnehmen. Ich bin zu Fuß gekommen.", sagte Julien. Er lächelte mich an. Und oh mein Gott. Ich war zwar sauer auf ihn, aber sein Lächeln und das Funkeln in seinen Augen waren einfach nur atemberaubend - er war atemberaubend, und zwar atemberaubend schön. Dass mir das ausgerechnet in diesem Moment auffiel, und nicht in einem romantischeren, ging mit etwas gegen den Strich, aber im Grunde fielen einem die wichtigsten Dinge ja immer zu den unpassendsten Momenten auf. Trotzdem musste ich jetzt taff sein. Ich konnte mich nicht immer von ihm ablenken lassen. "Tut mir leid, aber mich habe noch ein Date!", sagte ich etwas überspitzt und mit einem kleinen bisschen Ironie in der Stimme. Kokett zwirbelte ich mir die längste Strähne meines neuen Bobs um den Zeigefinger. "Außerdem kann ich mich auch genauso gut selbst verarschen!" Mit diesen Worten drehte ich mich um, marschierte - genau auf meine Bewegungen achtend - die letzten paar Meter zu meinem Ferrari und ließ mich dann elegant auf den Fahrersitz sinken. Obwohl ich es nicht wollte, schaute ich in den Rückspiegel. Julian stand noch immer dort, wo ich ihn hatte stehen lassen. Er sah...geschockt aus, und irgendwie tat er mir leid. Aber bis jetzt hatte niemand, wirklich niemand jemals Josephine Caroline de Lou ignoriert. Und besonders nicht ein männliches Wesen, das sie vorher in den Armen gehalten hatte. Er hatte mich verletzt - und das nur, weil ich so...Verknallt bist. Du bist verknallt. Ich hab dich ja gewarnt! Ich startete den Motor, gab Gas, wendete und brauste an ihm vorbei. Verletzt sah er mir nach. Geschieht ihm recht!, kommentierte Claire. Eigentlich hatte sie ja recht, aber es tat mir weh, dass ich ihn verletzt hatte. Ich hatte eigentlich nur gewollt, dass er sich nicht einbildet, ich wäre abhängig von ihm. Wobei man durchaus sagen konnte, dass ich süchtig nach ihm war – nach seinen Augen, nach seinem Geruch, seiner Stimme, und, und, und. Josephine, jetzt reiß dich mal bitte zusammen. Du kannst doch jeden haben! Du bist hübsch, intelligent und sexy. Geh auf eine Party, reiß jemanden auf, hab Sex, hab Spaß. Und hör auf zu jammern. Ich ertrage das nicht! Oh mann, nicht mal Claire konnte zu mir halten... Das war ja wirklich so unfair.Eine Träne, eine einzelne, heiße Träne tropfte auf meine Wange.Oh nein, du heulst... „Ich heule doch nicht...!“, murmelte ich. Das sehe ich anders. Als ich endlich meinen Ferrari in der Garage geparkt hatte, war die eine Träne nicht die einzige gewesen. Sie liefen so; wie es vor einigen Tagen geregnet hatte.Aufgelöst lief ich in mein Malzimmer. Malen schien mir das Einzige zu sein, das mir jetzt noch helfen konnte. Ich nahm mir ein Taschentuch, wischte die Tränen weg und suchte meinen Lieblingsbleistift. Anstatt sofort loszulegen, wie ich es sonst immer tat, stand ich erst mal ratlos vor der Leinwand. Es war das erste Mal seit langem, dass ich nicht wusste, was ich malen sollte. Ich wusste einfach nicht, welches Gefühl ich in den Vordergrund stellen sollte. Schmerz? Verzweiflung? Liebe?? Ich schloss meine Augen und ließ mich leiten. Dann setzte ich den Bleistift an und malte und malte und malte. Während ich malte übermannte mich dann doch die Verzweiflung. Die neuen Tränen fühlten sich heiß an. Meine Knie sackten unter mir weg und ließen mich weinend auf den Fußboden fallen. Wenn du schon heulst, heul leiser!! Aber es war schon zu spät. Ich traute mich nicht aufzusehen, als sich jemand neben mich setzte. Im Nachhinein fragte ich mich, ob er mich auch gefunden hätte, wenn ich nicht geheult hätte. Aber wahrscheinlich schon. Es fühlte sich an, als ob er immer genau wusste, wo ich war. Es tat gut in seiner Nähe zu sein und das obwohl ich ja eigentlich sauer sein sollte. Aber aus einem mir nicht erfindlich Grund war ich es nicht. Deswegen beschloss ich, später sauer auf mich zu sein. Vorerst würde ich wohl erst mal in Selbstmitleid baden müssen. Ich spürte die Wärme seiner Hand an meiner Wange, bevor er mich berührte. Seine kräftigen, langen Finger strichen mir ganz sanft die Haare hinter das Ohr. Dabei hinterließen sie feuerheiße Striemen und in meinem ganzen Körper breitete sich Wärme aus. In meinem Bauch fing es an zu kribbeln und mein Herz flatterte. Ich traute mich nicht, mich zu bewegen, aus Angst, dass er mich nicht mehr berühren würde. Denn seine Hand lag jetzt auf meiner Wange. Ich fühlte mich wunderbar, vollkommen und...geliebt. Und plötzlich überkam mich Angst: Angst, dass er meine Tränen sah. Angst, dass er mich für nicht perfekt und verrückt hielt. Angst, dass ich hässlich war. Angst, dass ich unser Zusammensein zu sehr genoss und es mir irgendwann so richtig weh tun würde. Angst, dass er mich nicht wollte und Angst, dass ich ihn wollte. Aber wollen nicht im Sinne von Sex sondern von Zusammensein, von Vertrauen und Liebe – wahrer, reiner Liebe. Und dabei kannte ich ihn gerade mal ein paar Tage. Normalerweise verliebte ich mich nicht so schnell. Was? Du redest von Liebe? Du bist doch nicht ganz dicht. Du kennst ihn doch gar nicht... „Hmm...“, sagte er und rutschte ein wenig näher zu mir. Seine Hand war nach wie vor das einzige, was mich berührte. Doch je näher er kam, desto größer wurde die Spannung zwischen uns. Langsam wurde es unangenehm. Gegen meinen Willen hob ich meinen Kopf und sah ihn an. Er lächelte. Verdammt, machte er sich lustig über mich? Shit, ich sah bestimmt aus wie ein Panda, dem man seinen Bambus geklaut hatte. Ich drehte meinen Kopf weg. Seine Hand löste sich von meinem Gesicht. Es fühlte sich an, als hätte er einen Teil von mir weggenommen. „Sieh mich an!“, flüsterte er. Oh mein Gott, mein Herz blieb stehen. Automatisch drehte sich mein Kopf in seine Richtung. Er hatte die Lippen leicht geöffnet – wunderschöne, volle Lippen, so wie meine niemals sein würden - und sein Blick war auf mich gerichtet. Ich liebte seine Augenfarbe! Seine Hand wanderte wieder in Richtung meiner Wange. Ich sah ihm in die Augen und bewegte ihm meinen Kopf ein kleines Bisschen entgegen. Sein Blick rutschte von meinen Augen zu meinen Lippen. Sein Gesicht näherte sich meinem noch mehr. Unsere Nasen berührten sich fast, sodass ich den Hauch seines Atems auf meinen Lippen spüren konnte. Sein Blick wanderte wieder zu meinen Augen. In ihnen stand die unausgesprochene Bitte um Erlaubnis. Als er die Antwort in meinen Augen funkeln sah, strahlten seine von Innen heraus. Schneller als ich gucken konnte, spürte ich seine Lippen auf meinen.Es war...oh, wow. Was sollte ich sonst dazu sagen?? Sogar Claire hatte ausnahmsweise mal nichts zu sagen.Ich war noch immer wie erstarrt. Ich konnte mich nicht bewegen. Mit einem Schreck registrierte ich, dass er meine Reglosigkeit als Ablehnung wertete. Deswegen presste ich meinen Mund noch fester auf seinen und hoffte, dass ich meine Sache gut machte. Im allgemeinen hatte ich keine Probleme damit, jemanden zu küssen. Aber noch nie habe ich bei einem Kuss – einem ganz normalen Kuss solche Gefühle verspürt. Normalerweise erachtete ich Küsse als überflüssig, beziehungsweise als Auftakt zu Sex. Aber dieser hier...war einfach vollkommen anders. Er war etwas großes, mächtiges.Meine Gefühle wurden immer stärker, als seine Lippen sich teilten und sich um meine legten. Und unsere Zungen begannen einen Tanz bei dem sie nach kurzer Zeit zu einer wurden.Ich richtete mich ein wenig auf. Meine Selbstachtung war aufgewacht und reckte nun ihren Kopf nach oben. Ich wollte mich nicht länger klein vor ihm fühlen. Ich wäre ihm nicht würdig gewesen. Er folgte meinen Bewegungen und ahmte sie nach wie ein Spiegelbild.Letztendlich beschlossen wir ziemlich zeitgleich, uns hinzustellen. Ohne uns voneinander zu lösen standen wir auf.Er legte seine Hände auf meine Hüften. Diese Geste wirkte sehr besitzergreifend und ich traute mich, meine Hände an seinen Hals zu legen. Meine Fingerspitzen berührten so gerade eben den Anfang seiner Haare. Ganz vorsichtig ließ ich sie durch seine Spitzen fahren und registrierte nur am Rande, wie weich sie waren – nicht mal meine eigenen Haare waren so weich. Und das trotz der vielen sündhaft teuren Pflegeprodukte aus London und Paris.Mit der rechten Hand fuhr er meine Hüfte hinauf zu meiner Taille, dann zu meinem Arm, zu meiner Schulter und legte sie schließlich so an meinen Hals, dass er mit dem Daumen mein Kinn kontrollieren konnte. Zu meinem Entsetzen drückte er mich weg.Ich wollte schon protestieren und mich beschweren, dass er doch jetzt nicht aufhören könne, aber da spürte ich seine Lippen auf meinem Hals. Noch nie hatte jemand so meinen Hals geküsst. Es war sanft, aber bestimmend, ruhig und trotzdem machte es mich heiß auf mehr.Doch er stockte. Und das gerade, als ich beschlossen hatte, mich zu revanchieren.„Was...was ist das?“, fragte er. Ich konnte seine Stimme beim besten Willen nicht deuten. Deswegen drehte ich mich um – schließlich hatte er den Moment ja schon kaputt gemacht.Ich sah, dass sein Blick auf mein Bild von einem Wolf gerichtet war. „Ach, das. Das hab ich letztens gemalt.“ Ich machte eine wegwerfende Handbewegung.„Es ist wunderschön. Woher hattest du deine Inspiration?“ Er klang ehrlich neugierig, als er sich einen Schritt von mir löste und auf das Bild zuging um es näher zu betrachten.Inspiration, Inspiration. Ich wollte nicht über meine Inspiration reden. Ich wollte, dass er weiter machte. Doch er schien das nicht so zu sehen, denn er sah noch immer das Bild an. Ich schien ihn wenig zu interessieren.„Naja, es ist mir einfach in den Sinn gekommen.“, sagte ich in der Hoffnung, dass er es dabei belassen würde. „Julian...“Er drehte sich um. Ich ging auf ihn zu. Die eine Hand legte ich auf seine Brust, die andere ließ ich in sein Haar gleiten. So konnte ich problemlos den Größenunterschied zwischen uns überbrücken und ihn zu einem weiteren Kuss zu mir herunter zu ziehen.Du hast ihn geküsst!, Claire schien erstaunt. Er hat dich geküsst und du hast ihn geküsst.Ja, ich hatte ihn tatsächlich geküsst.Einige wundervolle Minuten später lösen wir uns voneinander und sahen uns an. Worte wären überflüssig gewesen, als er mich in seine Arme zog.„Du solltest schlafen gehen.“, flüsterte er.„Geht nicht. Ich habe doch ein Date...“ Ich wollte witzig sein, doch im Nachhinein fand ich meinen versuchten Scherz dumm. Aber, oh shit... ich hatte ja eigentlich wirklich ein Date gehabt. Vor zwei Stunden...Du kannst jetzt eh nichts mehr ändern. Richtig, konnte ich nicht, aber trotzdem kam ich mir irgendwie mies vor. Was eine ziemlich neue Gefühlsregung für mich war. Normalerweise waren Jungs für mich bis jetzt immer nur Objekte gewesen. Doch wenn ich mir vorstellte, dass Julian mich versetzen würde, tat er mir leid. Und jeder andere auch.„Außerdem will ich noch nicht ins Bett.“, jammerte ich. Mit einem mal kam ich mir vor wie ein kleines Kind. Dann dachte ich nach. „Aber vielleicht solltest du jetzt wirklich gehen.“Er nickte. „Wäre vielleicht besser.“, erwiderte er zustimmend. Er löste sich langsam von mir. Er beugte sich zu mir herunter und gab mir einen süßen unschuldigen Kuss auf die Stirn. Eigentlich hatte ich es nie gemocht, wenn Typen dies taten, doch bei ihm wirkte es sexy. Begehren flammte in mir auf, und auch ich fühlte mich begehrt. Er ging einen Schritt zurück. Und dann waren seine Lippen auf einmal wieder auf meinem Mund. Seine Hände legten sich um meine Hüften und das Flackern von Begehren wuchs zu einem Waldbrand in mir heran. Instinktiv erwiderte ich diesen mächtigen Kuss. Ich griff in seine hinteren Hosentaschen. Wow, er hatte sogar im Hintern Muskeln. Meine Hände wanderten langsam wieder aus seinen Hosentaschen heraus und wanderten langsam seinen Rücken hoch bis zu seinen Schulterblättern, welche ich von hinten umfasste. Ich spürte deutlich die Muskeln, die sich unter seinem enganliegenden schwarzen Shirt hervorhoben. Auf einmal, ohne Vorwarnung, trat er einen Schritt zurück, drehte sich um und verließ mein Zimmer. Ich blieb zutiefst verwirrt zurück.

7. Kapitel

 Flammen. Überall Flammen. Wir waren umzingelt von Feuer. Es war heiß. Vermutlich lag es an seinen Lippen, die mir in jeder Sekunde, die sie die meinen berührten heiße Schauer über den Körper jagten. Es fühlte sich an, als wären seine Hände zu jeder Zeit an jedem Ort. Sie hinterließen brennende Spuren, an den Stellen, an welchen sie mich berührten. Ich konnte nicht sagen, wie viel Zeit verging bis sich seine Hände auf einmal einen Weg unter mein T-Shirt bahnten und mein Bauch streichelten und er sanfte Küsse auf mein Schlüsselbein hauchte. Sein Mund wanderte von Sekunde zu Sekunde weiter hinauf, seine Hände lagen mittlerweile auf meiner Hüfte. Ich griff in seine Haare.Ich erwachte aus einem Traum. Shit hatte ich vielleicht nur geträumt, dass Julian und ich uns geküsst hatten??? Plötzlich saß ich kerzengerade im Bett. Die Laken waren aufgewühlt und eins meiner Kopfkissen lag auf dem Boden. Bitte lass es mich nicht geträumt haben!! Bitte! Nein hast du nicht! Ihr wärt sogar fast im Bett gelandet! Und warum waren wir es bitte nicht?! Kein Typ, wirklich kein Typ hatte mir bis jetzt derart wiederstanden. Ach ja und stell dir vor. Er hat dich sogar noch stehen gelassen. Erst jetzt bemerkte ich, dass es noch dunkel war. Ich sah auf die blauen Ziffern meines Weckers. Ich hatte mich bewusste gegen einen Wecker mit roten Ziffern entschieden, da dies so langweilig und geschmacklos waren.  Außerdem passten rote Ziffern weder zu mir, noch zu meinem Zimmer. Mein Zimmer war im sanften Brombeerton gestrichen. Ich beschloss mir ein Glas Wasser zu holen. Von dem Feuer aus dem Traum war ich noch ganz ausgetrocknet. Ich tapste in meine Tagesdecke gewickelt Richtung Küche. Ich machte mir gar nicht erst die Mühe das Licht anzumachen, da der leicht abgenommene Mond noch genug Licht spendete. Er schimmerte silbern und spiegelte sich in meinem Glas. Ich ging zum großen Fenster und schaute in die angenehm blaue Nacht hinaus. Plötzlich bewegte sich etwas in meinem Augenwinkel. Ich drehte meinen Kopf in die Richtung. Am Waldrand sah ich eine merkwürdige Silhouette, in Form einer Tiergestalt. Neugierig öffnete ich die Tür und trat auf die Terrasse. Vorsichtig ging ich Schritt für Schritt näher auf die Silhouette zu. Mittlerweile betrat ich die Wiese, ich spürte die Grasholme unter meiner Fußsohle kitzeln. Seit ich durch die Tür getreten war, hatte sich nichts in der Umgebung verändert. Die Gestalt stand noch am selben Platz wie gerade. Je näher ich der Gestalt kam, desto sicherer war ich mir, dass es ein Tier sein musste. Als ich schließlich noch ungefähr vier Meter entfernt war, setzte sich das Tier hin – es sah aus, wie ein großer Hund, es konnte also nur ein Wolf sein. Vielleicht solltest du mal zum Augenarzt gehen. Was sollte ein Wolf denn bitteschön hier in unserem Garten machen?, lästerte Claire. Irgendwie hatte sie ja schon Recht. Aber das vor mir konnte keine Sinnestäuschung sein. Das war völlig ausgeschlossen. Ich war doch nicht verrückt! Und ich hatte auch kein Problem mit den Augen! Plötzlich setzte sich der Wolf hin und sah mich mit seinen hypnotisierenden Augen an. Seine Augen waren blau. Nur der Kranz um seine Iris wurde von einem schimmernden Silberton hervorgehoben. Er war etwas größer als normale Wölfe, soweit ich das beurteilen konnte. Sein strubbeliges Fell hatte die Farbe eines warmen Schokobrauns. Es zog mich magisch an.  Ich wollte ihn unbedingt berühren. Nur so konnte ich mir sicher sein, dass er echt war. Zögernd trat ich einen Schritt auf ihn zu und streckte meine manikürte Hand aus. Ich sah - oder bildete ich mir das nur ein? - wie sich die Augen des Wolfes ein klein wenig weiteten. Dann sprang er auf, drehte sich um und rannte in den Wald zurück. Ich schreckte zurück. Was für eine merkwürdige Begegnung. Taumelnd machte ich einige Schritte zurück. Super, du wirst geisteskrank. Ich schüttelte den Kopf und tapste zutiefst verwirrt wieder ins Haus.Immer noch kopfschüttelnd legte ich mich wieder ins Bett. Ich war mir sicher, dass ich immer noch träumte, anders konnte es nicht sein. Geschlossene, wir kommen, witzelte Claire. Hätte sie vor mir gestanden hätte ich ihr einen bösen Blick zugeworfen. Aber da das nicht möglich war, tat ich es in Gedanken.„Sasi, Kuchen backen!“ Das kleine Mädchen mit den blonden Zöpfen stocherte wild im Sand herum und sah zu dem hübschen Jungen mit den liebevollen, smaragdgrünen Augen auf. „Schokoladenkuchen, Phinchen?“ Er lachte ein entspanntes Lachen. „Oh ja!“ Sie strahlte ihn mit ihrem Honigkuchenlächeln an, sodass sich ihre Grübchen und ihre makellosen kleinen Zähnchen. Begeistert klatschte sie in ihre mini patsche Händchen und sang dazu: „Backe backe Kuchen!“Die Szene sah aus, wie aus einem perfekten Kinderbuch mit zwei perfekten Kindern. Der Junge griff nach einem Förmchen und einer Schüppe und schaufelte Sand rein. Er musste etwa 10 Jahre alt sein, wohingegen das Mädchen aussah, als wäre sie um die zwei oder drei Jahre alt. Mit einer schwungvollen Bewegung drehte er das Förmchen um und fertig war der – zu der Szene passend- perfekte Sandkuchen. Mit leuchtenden Augen sprang das Mädchen auf und fiel dem Jungen mit hüpfenden Zöpfen um den Hals. Sie sahen wirklich wunderschön aus. Mit einem Mal hatte ich furchtbare Sehnsucht nach Eric. Eric war mein Cousin, wobei ich ihn lieber als meinen Bruder bezeichnete. Aufgrund des ganzen Trubels um Julian, hatte ich schon eine Weile nicht mehr an ihn gedacht. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Die Szene kam mir merkwürdig vertraut vor. Auch ich hatte mir früher gerne von Eric einen Sandkuchen backen lassen. Wir hatten fast jeden Tag zusammen verbracht bis er vor fünf Jahren weggezogen war, um zu studieren. Seitdem sah ich ihn allerhöchstens zwei Mal im Jahr. Unsere Kommunikation beschränkte sich auf Skypen und What´s app schreiben. Und das auch nur höchst selten. Er war das komplette Gegenteil meines Charakters. Er konzentrierte sich momentan sehr auf sein Jurastudium, welches ihn ziemlich einspannte. Eric war zwar modebewusst, aber nicht so fanatisch, wie ich.Meine Familie väterlicherseits, zu der auch er gehörte, war sehr wohlhabend, doch Eric meinte, man müsse sich sein Geld selbst verdienen. Sehr nobel von ihm, auch wenn ich der Ansicht war, dass es sich nicht lohnte zu ackern, wenn man auch anders zu Geld kam.Langsam löste sich der Traum wie einen Schleier vor meinen Augen auf. Unwillig rollte ich mich auf den Bauch und stöhnte. Ich wollte um keinen Preis aufstehen, nur für Julian tat ich es. Er würde heute wieder unseren Garten auf Vordermann bringen.Schon beim Gedanken an den Kuss gestern Abend fing mein Bauch an zu Kribbeln. Pass auf, dass du nicht gleich sabberst!, wies sie mich zu Recht. Vielleicht sollte ich so tun, als wäre nichts gewesen. Vielleicht sollte ich ihm auch ganz aus dem Weg gehen. Ach, jetzt auf einmal... Ohne zu wissen, was ich tat, machte ich mich auf dem Weg ins Badezimmer. Dort sah ich in den Spiegel und fiel beinah in Ohnmacht. Ich sah...zum Kotzen aus. Ich hatte dunkle Ränder unter den Augen. Meine Augen waren ein wenig in die Höhlen gesunken. Irgendwie erinnerte mich das grau um sie herum an einen verwaschenen Panda. Als hätte man mich in eine Waschmaschine gesteckt. Ich griff nach meinem Cremetiegel. Ich musste dieses hässliche Etwas sofort in Ordnung bringen. Nachdem ich also mein Gesicht eingecremt hatte, nahm ich mein teuerstes Make-Up und verteilte es großzügig auf meiner Haut. Danach kramte ich nach meinem Concealer und versuchte damit die dunklen Ränder und zwei Stresspickel zu verstecken. Nachdem ich meine Wangen gebronzt und Rouge aufgetragen hatte, fühlte ich mich gleich viel besser. Ich sah wieder aus wie eine lebende Person, und nicht wie eine Leiche - oder ein Panda. Aber wo war bloß meine Naked2 Palette?! Ach, Mist, die hatte ich ja einer Freundin geliehen. Dann musste ich mich also mit der ersten begnügen. Ich machte mein Augenlied so hell wie möglich um dann ein wenig dunklen Liedschatten in die Liedfalte zu tun. Josephine Caroline is back!, schien mein Gesicht zu schreien. Dann schnappte ich mir meinen kräftigsten Lippenstift und schminkte meine Lippen in einem auffälligen Scharlachrot - Nuttenrot. In meinem Schrank - und ich wusste, dass es da sein musste - suchte ich nach meinem roten, leicht ausgestellten Kleid von Louis Vuitton mit den hübschen, schwarzen Rosen und zog dazu meine Lieblings Ancle-Boots von Louboutin - ich hatte Christian Louboutin schon einmal persönlich getroffen - mit der tollen, roten Sohle an. Wow, ich sah richtig heiß aus. Wäre ich ein Typ gewesen - auch wenn ich froh war, dass ich keiner war - hätte ich mich sofort vernascht.Durch meine Schlaflosigkeit hatte ich keinen besonders großen Appetit. Ich nahm mir einen fettarmen Joghurt, welcher meiner Meinung nach noch immer viel zu viele Kalorien hatte. Aber was soll´s?...Hilfe, was ist denn mit dir los?! Es ist scheißegal?! Ich löffelte meinen Joghurt aus, warf den Becher in den Mülleimer und rief nach Brian. „Ma´am?“ „Ich möchte Motorrad fahren. Würden Sie meine Sachen von der Gucci Tasche in den Chanel Rucksack packen?“ Folgsam machte er sich auf den Weg in meinen Bereich, um meinem Befehl Folge zu leisten. Zwei Minuten später stand er mit meinem Rucksack vor mir. „Welchen Helm soll ich holen, Ma´am?“ „Den schwarzen matten mit dem schwarzen Visier.“ Meistens trug ich diesen Helm sehr gerne, da es durch das verdunkelte Visier so gut wie unmöglich war, mich zu erkennen. Demnach konnte ich auch mal die Geschwindigkeitsbegrenzung überschreiten, ohne dass ich darunter leiden musste. Klar, man konnte mein Nummernschild lesen und mein knallrotes Motorrad fiel sowieso auf. Aber mein Gesicht konnte man trotzdem nicht erkennen. Und wieviel Spaß es mir machte an den gaffenden Leuten vorbeizu brausen. Meistens folgte mein Gesichtsausdruck von Gleichgültigkeit, denn ich wusste alles, und zeigte somit, dass man mich nicht überraschen konnte. Mittlerweile raste ich schon mit 120 Sachen die lange Auffahrt hinunter. Ich liebte es über die Straßen zu brettern und mich in die Kurven zu legen – ganz undamenhaft. Wer schon mal eine Frau auf den Motorra „Miss de Lou? Führen Sie ihre Selbstgespräche bitte zu Hause!“, sagte meine Lehrerin. Wenn die wüsste, dass ich gar nicht mit mir, sondern mit meinem Unterbewusstsein - das ich Claire getauft hatte - gesprochen hatte, hätte sie bestimmt in der Klapse angerufen. Meine Güte, mit einem Mal war ich auf 180. Wütend packte ich meine Sachen, schob den Stuhl nach hinten und stand auf. In bester Laufstegmanier stöckelte ich durch die Klasse zum Pult. Während ich an meiner Lehrerin vorbei ging, flüsterte ich bedrohlich "Wenn das so ist kann ich ja nach Hause gehen, Ich muss unbedingt noch mit mir über das Titelbild der letzten Voque reden. Furchtbar wichtig!" Im Flur hallte das Geräusch von meinen Absätzen von den Wänden wieder. Sollte doch jeder mit bekommen, dass ich mich vom Acker machte. War mir egal. Auf dem Gang befanden sich ein paar Schüler, die anscheined gerade eine Freistunde hatten. Als ich an ihnen vorbeiging, wichen sie zurück, was mich mit Genugtuung erfüllte. Auf dem Parkplatz stolzierte ich auf direktem Wege zu meinem Motorrad. Ich schwang mein Haar auf meinen Rücken und setzte meinen Helm in einer schwungvollen Bewegung auf – wie gut, dass er ein schwarzes Visier hatte. Dann brauste ich los. Mit 150 durch die Stadt. Auch vor roten Ampeln machte ich nur halt, wenn sie schon länger als 5 Sekunden rot waren. Für mich war alles andere noch immer dunkelorange. Zweimal wurde ich sogar an gehupt - und das nicht, weil jemand meinte, er müsse unbedingt meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.Was für Idioten, eine Frau anzuhupen. Viel zu stillos. Man hatte mir schon Sträuße roter Rosen geschickt und Briefe mit Telefonnummern in den Briefkasten geschmissen oder anders zukommen lassen. Ich fuhr mehr oder weniger ziellos, bis ich wusste, wie ich meine Wut los werden konnte: Shoppen!!Also trat ich nochmal aufs Gaspedal, fuhr über dunkelorange und bog in die Hauptstraße Richtung Shoppingmeile. Zeit Geld auszugeben!!! Meine Lippen zuckten vor Vorfreude. Ich fuhr in das teuerste Parkhaus und besetzte mit meinem Motorrad einen Behindertenparkplatz. Meinen Helm packte ich in das Fach unter dem Sitz. Drei Männer, die gerade aus einem silbernen - ihh, silber - Fiat stiegen, sahen mir blinzelnd nach. Ich konnte förmlich sehen, wie sich gewisse Körperteile unter ihren Hosen abzeichneten. Es machte mich glücklich zu wissen, wie sie auf meine körperlichen Reize reagierten. Ich ließ mein Kleid noch ein Stückchen höher rutschen. Dann ging ich mit langen, langsamen Schritten auf sie zu, ganz bewusst einen Fuß vor den anderen setzend."Hallo Jungs, wollt ihr mir nicht eure Nummer geben?", fragte ich mit verführerischer Stimme. Zwei von ihnen wirkten mit der Situation leicht überfordert, doch einer - er hatte braune Haare und blaue Augen, die nicht ansatzweise so wunderschön und klar waren wie die von Julian waren - kramte in seiner Hosentasche nach einem Zettel. Er sah sehr erregt aus. As er keinen zu finden Schien, reichte ich ihm mein Notizbuch und einen Kugelschreiber von Stephan King, mit dem er seine Notizen zu Shining geschrieben hatte. Er kritzelte seine Nummer zusammen mit seinem Namen in mein Buch. "Danke, Malcom!", ich lächelte ihn an, packte meine Sachen zurck in meine Tasche und ging dann in Richtung Aufzug. Ich konnte quasi spüren, wie sein Blick mich schon jetzt auszog. Absichtlich die Hüften schwingend stolzierte ich an den anderen Autos vorbei zu dem Aufzug. Die Türen öffneten sich und ich drehte mich, nachdem ich auf E für Erdgeschoss gedrückt hatte, in einer fließenden Bewegung wieder Malcom und Eskorte zu. Dann verlagerte ich das Gewicht auf das rechte Bein, ließ meine Hand ganz eben meinen Busen berühren, als ich den Ausschnitt zurecht zupfte und hob den Blick gerade rechtzeitig, als die Aufzugtüren zu glitten. Ich konnte gerade noch drei ausgebeulte Hosen sehen. Als die Türen wieder auf gingen öffnete sich vor mir die Straße der unbegrenzten Möglichkeiten. Der erste Laden, den ich ansteuerte, war Chanel. Mein Chanel No. 5 war alle.

8. Kapitel

 Ich trat wieder auf die Straße hinaus, an jedem meiner Arme zehn Tüten – wenn nicht sogar mehr. Mein Chanel Nr. 5 war nicht das einzige, was ich mir gegönnt hatte. Ich war bei Dolce und Gabbana gewesen und hatte mir das neue Kostüm gekauft, welches Vanessa Paradis vor zwei Wochen auf einer Gala getragen hatte. Mein Vater führte meine Mutter und mich am Wochenende zum Abendessen aus, und ich hatte nichts, wirklich nichts zum Anziehen gehabt. Also hatte ich aufstocken müssen.Die passenden Schuhe hatte ich bei Armani gefunden. Sie waren elfenbeinfarben und mit passenden Perlen besetzt. Ein Traum für jede Frau. Ich hatte mich – ganz entgegen meiner guten Manieren – mit einer Frau um sie streiten müssen, die bestimmt schon vierzig war. Aber jetzt konnte ich sie mein eigen nennen.Bei Burberry hatte ich einen lockeren Pullover gekauft, bei Versace eine Handtasche, bei Armani ein Kleid und bei Calvin Klein einen Trenchcoat, dessen Knöpfen ich auf das Kleid hatte anpassen und neu annähen lassen. Von Jil Sander hatte ich mir einen überdimensional großen Hut gekauft, der die aktuellen Trends auf die Spitze brachte. Er passte auch fabelhaft zu einem Zweiteiler, den ich schon zwei Jahre lang im Schrank hängen hatte, ohne ihn jemals getragen zu haben, weil ich einfach fand, dass etwas gefehlt hatte. Strumpfhosen und Strapsen hatte ich bei Dior gefunden, ebenso wie neue Lederhandschuhe bei Yves Saint Laurent. Und was dann noch gefehlt hatte war ein Schal aus Fell. Den zu finden war schwierig gewesen. Nach einer halben Stunde suchen war ich dann doch fündig geworden und besaß nun auch einen Fellschal von Gucci. Danach war ich Schuhe shoppen, bei Valentino und Ralph Lauren, die ich auf fünf Tüten hatte verteilen müssen. Würde ich nicht regelmäßig ins Fitnessstudio gehen, könnte ich die ganzen Tüten gar nicht tragen. Nach meinem siebenstündigen Frustshoppen bekam ich Durst. Und wie gerufen kam ich an Starbucks vorbei. Diese Filiale hatte ein kleines Verkaufsfenster, wo man sich Coffee to go holen konnte – perfekt für mich. Ich bestellte also einen Mocca Latte, und während ich wartete, vernahm ich eine vertraute Stimme. Sie unterhielt sich mit jemandem auf einer merkwürdigen Sprache, die ich nicht kannte. Und wahrhaftig, als ich mich umdrehte sah ich Julian mit einem Typen reden, den ich nicht kannte. Dieser Typ blieb stehen und hielt Julian bedeutungsvoll an der Schulter fest. Er war ebenso groß, und ebenso gutaussehend, wenngleich nicht ganz so hübsch wir Julian. Eine Narbe an seiner Schläfe verunstaltete sein Gesicht ein wenig, nahm ihm aber keinesfalls seine Attraktivität.Er redete eingehend auf Julian ein. Ich hörte ihn antworten: „Nièn, rédeiw hcân Esûah emmôk hci th‘cin.“Können die nicht reden wie normale Menschen?! , meldete sich Claire zu Wort.Ich spitzte die Ohren. Der Fremde antwortete in derselben unbekannten Sprache: „Hcôd, Jûl, Nêgós thcâm hcis enièd Eilimâf!“Julian sah ihn nur missbilligend an, aber ich hatte das Gefühl, dass seine Augen eine Spur weicher geworden waren. "Nnâd gâs nênhi tûg theg se rim!"„Rába....“„Th´cin rétièw hci edrèw nêrèitûksid rébûrád!“, sagte Julian, drehte sich um und ging eiligen Schrittes weiter.Ich nahm meinen Kaffee, legte das Geld - natürlich viel zu viel - schnell auf den Tresen und tippelte ihnen mit meinen tausend Tüten hinterher. Ich versuchte mich so unauffällig wie möglich zu bewegen. Sie redeten nicht mehr und es sah aus, als hätte der Fremde leichte Probleme hinterher zu kommen. Ganz zu schweigen von mir. Aber ich war es gewöhnt auf hohen Schuhen zu laufen und auch zu rennen, wenn es denn nötig war. Ich hastete also hinter ihnen her, folgte ihnen um Ecken und versteckte mich in den Menschenmassen. Nach einigen Minuten trennten sich die beiden, aber erst nach einem relativ heftigen Wortwechsel.Ich überlegte einen Moment, ob ich hinter dem Fremden her gehen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Stattdessen hastete ich weiter hinter Julian her. Mein Gott, konnte der schnell gehen. Einmal verschüttete ich fast meinen Kaffee.Er bog zwei Mal nach rechts ab und einmal nach links. Dann, einige Minuten später, als ich schon dachte, er würde im Kreis gehen, war er verschwunden.Ach, jetzt kann er sich also auch noch in Luft auflösen…„Ach, halt doch die Klappe.“, murmelte ich.„Ich habe doch gar nichts gesagt.“, ertönte eine mir sehr bekannte Stimme. Ich drehte mich um. Julian stand in dem Eingang zu einem Backsteingebäude, an dem ich gerade vorbei gegangen war. Ich dankte Gott dafür, dass ich so viel Make-Up trug, dass er nicht sehen konnte, wie ich feuerrot wurde. Er hatte mich nicht nur dabei erwischt, wie ich ihm gefolgt war, sondern auch, wie ich in aller Öffentlichkeit Claire geantwortet hatte.„Ich hab nur…“, setzte ich an, aber als ich seinen Blick sah, hatte ich auf einmal doch keine Ausrede. Stattdessen blieben mir die Worte im Hals stecken. Ich schluckte.Er zog eine Augenbraue hoch, was so sexy war, dass ich jetzt gar keine Worte mehr fand. Claire, diese Verräterin.„Ich war neugierig, wohin du gehst, weil du doch heute Abend nochmal zum Blumen gießen kommen solltest.“, sagte ich schließlich. Letzteres war reine Spekulation.„Aha.“Oh, Mist. Ich hoffte, er würde nicht die ganze Zeit so einsilbig bleiben. Deswegen entschied ich mich für die bessere Variante.„Naja, ich muss dann auch mal wieder los.“ Ich wollte ihm zuwinken, aber die Gewichte an meinen Armen ließen die normalerweise so lässige Geste eher unbeholfen wirken. Deswegen schenkte ich Julian noch ein sexy Lächeln, welches er nicht sah, weil er auf meine Tüten starrte.„Ok, wo musst du hin?“, fragte er mit ein wenig Resignation in der Stimme.„Nach Hause.“, antwortete ich leicht verwirrt.„Also gut.“, sagte er und griff nach den Tüten an meinem rechten Arm.Mit offenem Mund starrte ich ihn an, wie er sich die Henkel über die Arme legte und dann auch noch nach meiner restlichen Ausbeute griff.„W-was machst du da?“, verlangte ich zu wissen. Mein Stottern war mir peinlich, ich stotterte nie. Im Grunde hatte ich nichts dagegen, wenn starke, gut aussehende, gut erzogene Männer mir meine Last abnahmen. Aber bei Julian war es irgendwie merkwürdig zu wissen, dass er mir half. Er war nicht der Typ, der sich anderen unterordnete, sondern eher jemand, der seine Stärke und Intelligenz nutzte, um andere zu leiten. Also eigentlich genau so wie ich, nur anders.„Du brauchst das nicht zu machen.“, protestierte ich. Er ließ mich schwach wirken.Auf diese Aussage reagierte er mit einem weiteren Augenbrauenhochzieher. „Du willst also diese unnützen hundertfünfzig Kilo noch bis nach Hause schleppen?“ Die Missbilligung in seiner Stimme war deutlich zu hören.Unnütz?! Claire war entsetzt. Und ich war entsetzt, dass sie es wagte, wieder mit mir zu reden. Immerhin hatte sie maßgeblich zu der Situation beigetragen.Ich griff nach einem Teil der Tüten, die er mir, nach einigen Zögern zurück gab. Es waren allerdings nur 3 – die mit dem Parfum, die mit dem Hut und die mit der Unterwäsche. Ein Glück, denn ich wollte nicht, dass Julian sie sah, während sie geknüddelt in einer Tüte war. Ich wollte, dass er sie an mir sah und dass ihm bei dem Anblick die Augen aus dem Kopf fielen. Und danach würden wir…Ich schob die Gedanken beiseite. Ich wollte einen kühlen Kopf behalten und jetzt nicht an Sex denken. Das an sich war ja gar nicht so problematisch, aber Gedanken an Sex mit Julian könnten mich stundenlang gefangen halten. Und dumm in die Luft zu starren und meinen Gedanken nachzuhängen war jetzt das letzte, was ich gebrauchen konnte.Ich sah zu ihm auf. Er zwinkerte mir zu und ging an mir vorbei. Resigniert fügte ich mich meinem Schicksal und tippelte die Meter, die uns so schnell getrennt hatten, um dann neben ihm her zu gehen. Meine Schritte passten sich seinen an und ich konnte seine Nähe und die Anmut seiner Bewegungen genießen. Unsere Bewegungen harmonierten ziemlich gut und in mir breitete sich ein Gefühl der Zufriedenheit aus. Ich ging mit einem richtig heißen Typen durch die Straßen und jeder guckte uns an – die Jungs schauten neidisch auf ihn, die Mädchen neidisch auf mich. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, wie wir auf andere wirkten: Ein muskulöser Mann mit wunderschönen Augen, kräftigen, bestimmten Schritten, dessen Muskeln man durch sein Shirt sehen konnte, weil er für seine Freundin, die offensichtlich ziemlich viel Geld hatte, einige Einkaufstüten trug. Die Frau hatte lange Beine und eine schmale Taille. Sie sahen zwei Menschen, die perfekt zueinander passten.Ich merkte, wie meine Füße langsam schwer wurden. Schmerzen hatte ich schon seit Stunden.Deswegen war ich froh, als wir vor dem großen Tor ankamen. Julian sah man keine Spuren der Müdigkeit an, was ich ein bisschen unfair fand. Aber er war sich schließlich auch nicht hinterher gehastet.„Danke fürs Begleiten und fürs Tragen.“, sagte ich, so als hätte es mich nicht ungeheuer glücklich gemacht, dass ich ganze vierzig Minuten neben Julian hergegangen war. Er hatte darauf bestanden zu laufen, aus welchem Grund auch immer. Aber im Endeffekt war ich glücklich darüber, dass ich deswegen mehr Zeit mit ihm hatte verbringen konnte.Nein, das war definitiv nicht seine Absicht. Ich war versucht, Claire die Meinung zu sagen, aber das hätte bestimmt Folgen, über die ich gar nicht erst nachdenken wollte.Er ignorierte es, als ich nach den Tüten griff und hielt mir nur das Tor auf. Ergeben ging ich hindurch und schloss die Tür auf. Er stiefelte an mir vorbei in Richtung Treppe und ich kam gar nicht dazu zu sagen, dass Brian die Sachen nach oben tragen würde.Oben angekommen steuerte er direkt mein Zimmer an, als wenn er hier wohnen würde. Dort stellte er die Tüten vor meinem Sofa ab. Ich registrierte am Rande, dass er von den Henkeln einige Striemen an den Unterarmen hatte. Aber da ich nicht wusste, was ich dagegen tun sollte – immerhin hatte er auf das Tragen bestanden – sagte ich nichts. Er ließ sich aufs Sofa sinken.Ich griff nach meinem Telefon und wählte Brians Nummer.„Ma’am?“, fragte er.„Guten Abend. Sagen Sie doch bitte Mrs. Janson, sie soll meine Sachen einräumen. Und mein Motorrad steht noch im West-Parkhaus. Bitte holen Sie es ab.“„Ja, Ma’am.“Ich legte auf. Dann ging ich um die Couch herum. Hinter ihr stand eine Flasche von meinem Lieblingswhisky. Ich setzte mich damit neben Julian, zog den Stopfen heraus und bot ihm was an. Eigentlich rechnete ich damit, dass er dankend ablehnte. Umso größer war mein Erstaunen, als er die Flasche an sich nahm. Meine Verwunderung wuchs noch, als er sie an die Lippen ansetzte – ohh, seine Lippen, und einen kräftigen Schluck nahm. Ich liebte ihn. Also, den Whisky. Julian schien er auch zu schmecken.Ich nahm die Flasche wieder an mich. Irgendwie konnte ich Julian nicht in die Augen sehen. Fast, als würde ich ahnen, was er als nächstes sagen würde. „Warum bist du mir gefolgt?“ Seine Stimme war leise und weich, nichts ließ darauf schließen, dass er sauer war. Stattdessen klang er ernsthaft neugierig.„Als ob ich dir hinterher rennen würde. Ich bin ja kein Dackel.“, abschätzig sah ich ihn an. Mein Stalking war mir peinlich, deswegen nahm ich einen großen Schluck Whisky. Er brannte ein wenig auf meiner Zunge und als er meinen Hals hinunter rann, aber nicht mehr so sehr wie am Anfang der Flasche.„Natürlich bist du mir gefolgt. Ich hab deine Schritte gehört.“ Sein Blick wurde immer intensiver. Ich musste ihm einfach in die Augen schauen. Ich hatte gar nicht mehr die Chance, mich darüber zu wundern, dass er meine Schritte gehört haben wollte. „Josephine“, ich drehte meinen Kopf komplett zu ihm. „Warum bist du mir gefolgt?“Ich konnte nicht anders, ich konnte nicht anders als ihm zu antworten. Und noch schlimmer, ich sagte auch noch die Wahrheit. „Ich habe dich mit jemandem reden hören und du klangst sehr wütend. Ich wollte wissen, was los ist.“„Also gibst du zu, dass du mir gefolgt bist?“, er sah nachdenklich aus.„Ja, das tue ich.“ Ich drehte den Kopf wieder weg. Ich wusste nicht, was ich sonst noch sagen sollte. Außerdem wollte ich nicht, dass er sah, wie ich verlegen die Augen nieder schlug.„Josephine.“ Er legte seine Finger an mein Kinn und drehte meinen Kopf wieder in seine Richtung. Mein Atem stockte. So sanft hatte mich noch nie jemand angefasst. So sanft aber doch so bestimmt.Ich lehnte mich ein bisschen mehr in seine Richtung. Mein Körper, alles an meinem Körper wollte ihn. Und das schlimmste war, dass mein Verstand nichts dagegen hatte, dass mein Körper ihn wollte. Ganz im Gegenteil.Ich hatte immer bekommen, was ich wollte – sowohl mit Geld als auch mit anderen Mitteln. Aber bei Julian hatte ich nicht das Gefühl, dass ich von irgendwelchen unmoralischen Mitteln Gebrauch machen könnte. Es war frustrierend.Mach dich nicht so an ihn ran, du Nutte. Claire war stinkwütend. Aber na und?! Sollte sie doch.In dem Moment, in dem ich gerade beschlossen hatte ihn zu küssen, kam Mrs. Janson zur Tür herein.„Können Sie nicht anklopfen?“, fuhr ich sie an. Sie hatte alles kaputt gemacht.Ich sah, wie ihr Blick unsicher wurde, als er zu Julian und mir flackerte und wie sie missbilligend die Flasche Whisky beäugte.„T-tut mir leid, Ma’am. Ich bin hier, um Ihr Eingekauftes wegzuräumen.“Ich zeigte mit ausgestrecktem Finger auf die Tüten. Dann drehte ich mich demonstrativ wieder zu Julian und wartete, bis sie weg war. „Wo waren wir?“, fragte ich, als die Tür ins Schloss einrastete.„Ich wollte dir gerade sagen, dass ich jetzt gehen muss.“ Er lächelte, aber das Lächeln erreichte seine Augen nicht.„O-okay. Hab ich was falsch gemacht?“ Meine Bestürzung wuchs.„Nein, nein.“ Er erhob sich. Dann stand er da und sah aus, als würde er warten.„Was ist los?“„Ich dachte, du willst mir vielleicht auf Wiedersehen sagen und mich nicht einfach raus schlicken, so wie alle anderen Angestellten.“ Er sah mir in die Augen.Ich blickte fassungslos zurück. Wie konnte er es wagen…„Ich habe dich nie als Angestellten betrachtet.“ Ich schüttelte den Kopf ein wenig.„Aber genau das bin ich.“ Er sah ein wenig traurig aus.„Na und?! Ist mir doch egal.“ Ich ging zu ihm hin. Ich legte meine Hände an sein Gesicht. Er sah so wunderschön aus.„Josephine.“ Er legte seine Hände auf meine Schultern, ließ sie ein wenig hinunter sinken und packte meine Oberarme. Es tat nicht weh, aber sein Griff war trotzdem fest. Was wollte er, mich von etwas abhalten oder mich bei sich halten?Er beugte sich ein Stück mehr zu mir herunter und ließ seinen Blick über mein Gesicht wandern. Bei dieser Musterung war ich froh, dass er mich fest hielt, weil meine Knie drohten nachzugeben.Ich reckte meinen Hals um ihm entgegen zu kommen. Und dann, als ich begann die Luft anzuhalten, legten sich seine Lippen auf meine Wange. So blieb er für einige Sekunden. Ich schloss die Augen.„Es tut mir leid.“, murmelte Julian dicht an meiner Haut und entfernte sein Gesicht von meinem. Dann ließ er mich los und ging.Was?! Das konnte doch nicht wahr sein. Ich hab dich gewarnt. Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Augen waren noch geschlossen und dass er weg war verursachte mir körperliche Schmerzen. Ich konnte weder glauben, dass wir uns beinahe geküsst hätten, noch dass wir es nicht getan haben. Ich hatte diesen Kuss gebraucht. Verdammt nochmal!Langsam bewegte ich mich auf meine Musikanlage zu. Ich suchte nach dem passenden Titel und fand schließlich Nothing compares to you von Sinead O’Conner.Ich ließ mich wieder auf mein Sofa fallen und griff nach dem Whiskey. Ich wusste nichts besseres mit mir anzufangen, als die goldbraune Flüssigkeit zu exen und in mein Malzimmer zu gehen. Das war das einzige, was mir jetzt helfen konnte.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 31.12.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die nie aufgeben. Denn wer kämpft kann verlieren. Wer nicht kämpft hat schon verloren.

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