Ich schloss die Augen, atmete tief ein und sprang. Alles, was ich spürte, war der kühle Luftzug, der an meinem Körper vorbeistreifte. Dann tauchte ich mit dem Kopf voran ins Wasser ein. Das kühle Nass verschmolz mit meinem Körper zu einer Einheit, alles weltliche schien vergangen, unwichtig. Hier zählte nur das Hier und Jetzt. Kurz bevor mir die Luft ausging spürte ich, wie sich an meinem Hals Schlitze bildeten. Kiemen. Jeder, dem diese Verwandlung fremd war, hätte dabei Schmerz empfunden. Aber ich war es gewohnt. Eigentlich hatte sich nicht viel an mir verändert, ich hatte nur zusätzlich Kiemen und Schwimmhäute wischen Zehen und Fingern. Nun, da meine Verwandlung vollendet war, öffnete ich die Augen. Vor mir erstreckte sich eine Welt, von der andere nicht mal in ihren vagsten Träumen zu träumen gewagt hätten. Farbenfrohe Riffe schlängelten sich am Grund entlang, bunte Fischschwärme kreuzten meinen Weg. Eine Metropole für Fische und andere Wassertiere, für alle normalen Menschen unsichtbar. Was auch immer passiert war, ich hatte jetzt zwei verschiedene Identitäten, für jede Welt eine. Ich sah mich um. In den Riffen waren Eingänge, sogar ganze Häuser zu erkennen. Ich schwamm zu einer Wohnung, vor der ein grelles, rosafarbenes Schild stand. Kalejam dù emani stand darauf. Kleidung für alle, nur auf meerisch. Ich schwamm hinein. Das hier war das begehrteste Geschäft in ganz Seatania, meiner Unterwasserwelt. Und es gehörte Lianela, meiner besten Freundin hier. Ich wühlte mich durch die Fisch- und Krebsmassen zum Verkaufstresen durch. „Lianela!“, rief ich, so laut es ging. Ein glitzernder, hellblauer Delfin wandte den Kopf in meine Richtung, schien mich aber nicht zu sehen. „Lianela!“, rief ich wieder. Ich wühlte mich weiter bis ich endlich hinter dem schützendem Tisch stand. Ich lächelte. „Milanea, du bist da! Gib mir fünf Minuten, ich mache für heute Feierabend.“ Ihre Stimme war wie Samt, einfach wunderschön und nicht mit meiner zu vergleichen. Dann griff sie mit ihrer Vorderflosse nach einem lavendelfarbenem Stab und hielt ihn sich kurz an den Kopf. Mit tausendfach verstärkter Stimme hallten ihre Worte durch den großen Raum. „Meine Damen und Herren! Bitte begeben sie sich nach draußen! Dieses Geschäft schließt für heute!“ Alle Gesichter waren in unserer Richtung gewandt, ich wusste, dass sie mich alle musterten. Aber es machte mir nichts aus. Dieses Verhalten war für mich nicht neu. Innerhalb weniger Minuten ließen sämtliche Versammelte alles liegen und stehen und drängelten sich nach draußen. Lianela verschloss mit einem goldenen Schlüssel die Tür. „Und nun zu dir, Milanea. Es freut mich, dich wiederzusehen. Ehrlich gesagt habe ich dich nicht erwartet. Was führt dich zu mir?“ Lianelas Ausdrucksweise war steif und förmlich, aber nach einiger Zeit machte einem das nichts mehr aus. Sie wollte nur höflich sein. „Die Sehnsucht, meine Liebe. Ich habe dich vermisst. Hast du Lust auf einen Spaziergang?“ Ich hatte trotz aller Freundschaft und Zuneigung großen Respekt vor ihr. „Natürlich. Wir benutzen den Hinterausgang. Folge mir.“ Flink schwamm sie zu einer Tür, die hinter einem Spiegel versteckt war. Damit betraten wir einen Ort, den ich noch nie gesehen hatte. Hier blühten Blumen, die genauso aussahen wie in der Menschenwelt. Ein schmaler Pfad führte durch sorgsam angelegte Beete. Vor Staunen blieb ich stehen. Dann aber bemerkte ich, dass mir meine Delfinfreundin schon weit voraus war. „Hey, warte auf mich! Ich bin nicht so schnell wie du!“ Jetzt drehte sich Lianea um. „Soll ich dir zeigen, wo ich am allerliebsten meine Zeit verbringe? Obwohl wir uns nun schon fast ein Jahr kennen, habe ich dir noch lange nicht alles von meiner Welt gezeigt.“ Inzwischen hatte ich aufgeholt und stand nun neben ihr. „Wenn du willst“ ich lächelte immer noch. Alles hier war so…überwältigend. Alles war perfekt, nichts schien auch nur den geringsten Makel zu haben. „Halt dich an meiner Rückenflosse fest!“ rief sie, bevor sie losbrauste. Ihre Bewegungen waren geschmeidig und so schnell, dass man sie fast nicht wahr nahm. Wir zischten durch die ganze Parkanlage hindurch, dann blieb sie kurz an einem goldenen Tor stehen. Es war mit Delfinen verziert. „Noch alle da?“, fragte sie scherzhaft und ohne ein Antwort zu erwarten. „Pass gut auf und präg dir alles gut ein! Ich werde dir später eine Frage stellen, die du beantworten musst“ Wieso das denn? Ich wagte nicht, nachzufragen. Ich hatte Angst, etwas zu verpassen, denn sie war schon wieder losgesaust. Überall waren hier Bänke und Pflanzen. Die wenigen Häuser, die hier standen, waren bunt bemalt und groß, das war der Stadtteil abseits des Trubels. Mir fiel auf, dass hier fast niemand unterwegs war, die Straßen waren wie leergefegt. Aber das machte nichts. Nicht nur die Gebäude, auch die Bäume, Straßenschilder, Bänke und andere Dinge waren einzigartige Kunstwerke. Sie waren mit nichts zu vergleichen. Dann bremste Lianela langsam und ich lies von ihr ab. „Das war einfach…wundervoll. Wieso hast du mir das nicht schon gezeigt?“, fragte ich. Sie lächelte. „Meine Kleine, du solltest erst lernen, uns zu verstehen. Unsere Kultur, unsere Lebensweise, unsere Sprache. Das hast du. Jetzt bist du soweit, auch den Rest kennen zulernen. Den Alltag von uns Meerbewohnern. Bis jetzt kennst du nur meinen, das ist der Alltag der Städtler. Jetzt sind wir aber im Bereich der Ländler, sie kommen nur selten in die Stadt, sie wollen allein sein. Deshalb ist hier nichts los.“ Das erklärte dann schon mal meine nächste Frage. „Nun werde ich dir einen Ländler vorstellen.“, erklärte sie weiter, „Clemano, komm heraus! Sie wird dir nichts tun.“ Hinter einem Busch auf der anderen Seite der Straße kam ein bunter Doktorfisch heraus. Flink schwamm er zu uns herüber. Ich wusste, dass es unhöflich war zu starren, also blickte ich erst auf den Boden, dann zu Lianela hinüber. Sie begann uns vorzustellen. „Clemano, das ist Milanea. Niemand weiß, was mit ihr passiert ist, aber sie kann sowohl hier in Seatania als auch im Land der Lungenwesen leben. Du brauchst keine Angst vor ihr zu haben“ Der Fisch schien noch nicht ganz überzeugt, aber er senkte freundlich den Kopf. „Milanea, das ist Clemano. Er ist ein guter Freund von mir und ich dachte mir, ihr würdet euch verstehen. Zusammen wollen wir dir, meine Freundin, Orte zeigen, die uns Seataner nicht stolz machen. Lass dir gesagt sein, gehe dort nie ohne Begleitung hin. Halte dich bitte wieder an mir fest“ Sie wollte nicht, dass ich fragte, also nickte sie ihrem Freund zu und begann wieder so schnell wie vorhin zu schwimmen. Jetzt veränderte sich die Landschaft schnell, von wunderschön ging sie innerhalb weniger hundert Meter in schrecklich und gefährlich über. Das Wasser wurde dunkel, als wäre es Nacht. Sofort stellte sich ein unangenehmes Gefühl ein. Angst. Hier in der Dunkelheit fürchtete ich, überfallen zu werden. Dann blieben beide stehen. Ich ließ Lianela los. Jetzt begann Clemano zu sprechen. „Das hier ist das Viertel der Gauner, Diebe und Verbannten. Vor nicht allzu langer Zeit gab es hier schreckliche Vorkommnisse, über die heutzutage nicht mehr geredet wird. Ich werde heute allerdings eine Ausnahme machen.“ Seine Stimme war dunkel und tief. Sofort stellte sich Gänsehaut bei mir ein. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Ein Mensch hatte es geschafft, in unsere Welt einzudringend, niemand weiß wie. Aber er schaffte es. Dann begann er, alles schöne zu vernichten, als aber den Ländlern das auffiel und er schließlich gefangen genommen wurde, verfluchte er diesen Ort zu ständiger Dunkelheit. Außerdem machte er den Boden unfruchtbar. Seitdem werden hier her nur die gebracht, die es sich woanders verdorben haben. Nur wenige haben bisher versucht, den Fluch rückgängig zu machen, aber jeder war bei dem Versuch umgekommen. Eine alte Prophezeiung besagt aber, dass nur derjenige, der fremd in unseren Gewässern ist, Seatana vor riesigem Unglück befreien kann. Tagtäglich vergrößert sich die Fläche des Verfluchten Ortes. Lianela und ich denken, dass du die Auserwählte bist, nur du kannst Seatana vor dem Untergang bewahren.“ Er verstummte und sah mir tief in die Augen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Was auch immer ich erwartet hatte, das war es nicht. Auch Lianela betrachtete mich. Langsam fühlte ich mich unbehaglich. „Ähm…“, begann ich langsam. „Lasst mir ein bisschen Zeit, okay? Und lasst uns schnellstmöglich von hier verschwinden“ mir lief ein Schauer über den Rücken. Meine Freunde nickten nur stumm. Wahrscheinlich hielten sie meine Reaktion für ein schlechtes Omen. Ich griff wieder nach Lianelas Flosse und hielt mich fest. Sofort begann sie wieder zu schwimmen. Das alles ist doch bestimmt nur ein Traum. Es kann einfach nicht wahr sein. Wieso sollte ausgerechnet ich ein ganzes Land retten? Aber die Frage ist doch, ob ich mich gegen meine Bestimmung wehren kann. Also werde ich wohl oder übel mein Glück versuchen müssen. Aber erst muss ich nach Hause und mir eine Ausrede einfallen lassen, weshalb ich jetzt immer so viel weg bin. Dann hielt Lianela still. Wir waren schon wieder in ihrem Laden angekommen. Ich war so beschäftigt gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass Clemano uns verlassen hatte. Ups. „Ich…ich muss nach Hause, Lianela. Ich komme wieder, keine Sorge, ich muss das alles erst einmal verdauen. Das war…ziemlich heftig.“ Ich schwieg wieder. Lianela schwamm einmal quer durch den Laden und zog aus einer Schublade ein Amulett heraus. Es glänzte wie Perlmutt. Sie schwamm wieder zurück und drückte es mir in die Hand. „Das ist ein Glücksamulett. Du wirst es brauchen. Aber vergiss nicht: Clemano, seine Freunde, alle die von dem Fluch wissen, und natürlich ich, werden immer hinter dir stehen und dich unterstützen, soweit es uns möglich ist. Vergiss das nicht. Und jetzt mach dich auf dem Weg. Du wirst bestimmt schon vermisst.“ Sie lächelte endlich wieder. Ich winkte ihr noch einmal zu, bevor ich durch die Tür schwamm, die sie mir geöffnet hatte. Ich schwamm fast senkrecht nach oben, um so schnell wie möglich zurück ins Menschenland zu kommen.
„Milanea, wo bist du?“, hallte die Stimme meiner Mutter durch das Haus. „Du hast Besuch!“ Oh. Musste ich jetzt wirklich aufstehen? Ich lag seit Stunden auf meinem Bett und versuchte, das Erfahrene zu verarbeiten, was sich aber als gar nicht so einfach erwies. Ich sollte ein ganzes Land retten? Ich, das schüchterne Mädchen, das sich nichts traut? Und jetzt sollte ich das ganze auch noch meiner besten Freundin erzählen…das macht es auch nicht leichter, obwohl sie alles über Seatana weiß. Naja, nicht alles, nur das, was ich weiß. Ich seufzte noch ein letztes Mal, dann stand ich auf und ging die Treppe nach unten. Vor der Tür stand Jèlila, wie ich erwartete hatte. Sie lächelte und ging flott auf mich zu. Bevor ich etwas sagen konnte nahm sie meinen Arm und zog mich die Treppe nach oben in mein Zimmer. „Was ist passiert? Du hast auf meine SMS nicht geantwortet, also warst du da unten. Und zwar ziemlich lange. Sag mir was passiert ist!“ Sie war total aus dem Häuschen. Na toll. Also begann ich alles zu erzählen, was sie noch nicht wusste…
„O-Mein-Gott“, stammelte sie. Ich war mir sicher, dass ich genauso ausgesehen hatte, als ich das erfuhr. „Sag, dass du mir gerade Blödsinn erzählt hast. Das kann nicht sein.“ Super, jetzt zweifelte sie auch noch an mir. Als wäre ich zu schüchtern um eine Welt zu retten. Falls das überhaupt sein kann. Ich antwortete nicht. Dann wurde Jèlilas Blick plötzlich besorgt. „Was ist…wenn…wenn du es nicht schaffst? Alle anderen…sind doch…gestorben“ ihre Stimme war ohnehin nicht mehr als ein Flüstern, aber bei den letzten Worten versagte sie ihr völlig. Ich hatte lange genug darüber nachgedacht, sodass ich ihr nun eine Antwort geben konnte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. „Tja, dann ist es aus mit mir. Du erbst mein Handy.“ Unglaublich, dass ich gerade so ruhig über meinen eigenen Tod sprach. Unglaublich, aber war. Sie schwieg. Ich sah, dass meine beste Freundin Angst hatte, sie stand ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also setzte ich mich einfach neben sie auf mein Bett und umarmte sie. „Mit deiner Hilfe wird mir und Seatania nichts passieren“, flüsterte ich und legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte sie: „Wirst du morgen wieder runter gehen?“ „Natürlich. Sie brauchen mich. Außerdem muss ich irgendwie in Erfahrung bringen, wie ich Seatania überhaupt retten kann. Falls ich es retten kann.“ „Sei vorsichtig, süße. Oh, warte- ich bring dir morgen was in die Schule mit, dann können wir uns verständigen!“ plötzlich war sie ganz aufgeregt.
Und wirklich- am nächsten Tag erschien Jèlila mit zwei höchstmodernen Walkie-Talkies. Sie reichte mir das kleinere blaue. „Wenn du den roten Knopf drückst, kannst du mit mir sprechen. Wenn ich mit dir sprechen will, vibriert das Walkie-Talkie und dann musst du einfach den grünen Knopf drücken. Ganz einfach, das schaffst sogar du.“ Na toll, jetzt spielte sie wieder auf meine Ungeschicklichkeit an. Der Grund, warum ich nur das alte Handy meines Vaters besaß. Als ich ein neues bekam, fiel es mir nachwenigen Monaten in einen Bach. Seitdem musste ich mit dem alten zurechtkommen. Der restliche Schultag verlief wie jeder andere- es war einfach stinklangweilig. Meiner Mutter hatte ich gesagt, dass Jèlila und ich zum Schwimmen gehen wollten. Gelogen war das ja nicht- ich wollte ins wenige Kilometer entfernte Meer und sie ins Freibad.
Als ich Lianelas Laden betrat, herrschte erdrückende Stille. Es war ungewohnt, hier alleine zu sein. „Lianela? Wo bist du?“, rief ich laut. „Hier. Ich hatte gehofft, dass du schon heute wieder kommen würdest“ ihre Stimme kam von hinten, also drehte ich mich überrascht um und sah sie und Clemano freundlich lächelnd neben der Tür stehen. Bevor ich noch etwas sagen konnte, begann Clemano bereits zu sprechen. „Seitdem du gestern gegangen bist, haben wir beide die ganze Nacht durch Leute nach dem Fluch ausgefragt. Heute waren wir dann in der Bibliothek. Nun wissen wir ungefähr, was auf uns, insbesondere dich, zukommen wird.“ Ich runzelte die Stirn. Konnte er nicht schneller sagen, was Sache war. Lianela erkannte die Ungeduld in meinem Blick und begann schnell weiterzuerzählen. „Man kann den Fluch nur lösen, wenn man zwei besondere Diamanten zusammen setzt. Zusammen werden sie Dolphin Ride genannt, weil sie beide zwei Delfine darstellen, auf denen jeweils ein Mädchen und ein Junge reiten. Das heißt, wir müssen uns auf die Suche nach den Diamanten machen.“ Das erinnerte mich jetzt ein bisschen an Harry Potter. Er musste auch etwas suchen, von dem er keine Ahnung hatte, wo es war. „Ähm… habt ihr was dagegen, wenn ich das meiner Freundin erzähle? Sie hat mir ein Gerät gegeben, mit dem ich mit ihr sprechen kann.“ Als ich dann das Walkie-Talkie aus der Tasche zog, lächelte Lianela breit und sagte: „na klar. Schwimm-Talkies, die haben wir auch.“ Hihi, Schwimm-Talkies. Darauf musste man erst kommen. Ich drückte den roten Knopf und schilderte Jèlila schnell die Lage. Sie schlug vor, zuerst nach Spuren des „Verfluchers“ zu suchen. Wenn wir wüssten, wo er überall gewesen war, könnten wir all diese Orte absuchen. Dort wäre bestimmt zumindest ein Diamant. Ich bedankte mcih und erklärte diese Theorie meinen Unterwasserfreunden. Beide stimmten mir zu, dann begannen sie nachzudenken. Nach einer Weile warten, setzte ich mich auf den Boden. So war es gleich viel bequemer. Plötzlich rief Clemano auf. „Ich habs! Der Verflucher hat hier in Seatania eine Zeit lang gelebt! Dort müssen wir suchen!“ Jetzt hatten wir wenigstens einen Anhaltspunkt, aber da gibt es nur einen Haken… „und wo hat er dann hier gelebt?“, ich wusste, dass es unpassend war, wieder enttäuscht zu sein, aber ich war es trotzdem. „Lass mich überlegen, das habe ich heute schon irgendwo gelesen… ja, in der Pension, wo sonst? Aber die gibt es nicht mehr. Aber sie war da…“ „wo heute mein Laden ist“, vollendete Lianela triumphierend. „Und wo sollen wir anfangen zu suchen?“, fragte ich leise. Der Laden, das ganze Gebäude war riesig. Es würde sein, als ob man eine Nadel im Heuhaufen sucht. Wieder schwiegen wir. Dann kam mir eine Idee. „Lianela!“, rief ich, „du hattest doch mal ein Bild von diesem… „Verflucher“! Was hast du damit gemacht?“ plötzlich wurde Lianela rot. „Obwohl ich wusste, wer darauf abgebildet ist, hat es mir so gefallen, dass ich es in mein Schlafzimmer gehängt habe…“ Sie schwamm zu mir hinüber, sofort wusste ich, was sie wollte. Ich stand auf und klammerte mich wieder an ihre Rückenflosse. Schnell wie der Blitz jagte sie die Treppe nach oben in ihr Schlafzimmer. Dann nahm sie das Bild von der Wand drückte es mir in die Hand. „Nur du kannst den Diamanten finden, sonst wärest du nicht die Auserwählte“, erklärte sie mir als Reaktion auf meinem Verwirrten Ausdruck. Ich setzte mich auf ihr Bett und drehte das Gemälde um. Plötzlich kam mir das Bild sehr dick vor. Ich öffnete vier kleine, unauffällige Schrauben und nahm den Deckel ab. Jetzt erschien mir das Kunstwerk noch dicker als vorher. Ich fasste mit der Hand in die entstandene Schale hinein und suchte sie vorsichtig mit den Fingerspitzen ab. Erst nach einigen Minuten löste sich ein dunkelrotes Samtsäckchen und purzelte heraus. Plötzlich war ich verdammt aufgeregt. Vor Nervosität zitterten meine Hände, und es fiel mir schwer, das Bändchen oben zu lösen. Dann schaffte ich es und fasste in das Säckchen. Ich spürte etwas Kühles, Hartes. Ich versuchte, enttäuscht zu wirken, um die Spannung zu steigern. Auch Lianela und Clemano war die Aufregung ins Gesicht geschrieben. Dann zog ich meine Hand heraus. Auf meiner Handfläche glitzerte ein Diamant, nicht größer als ein Tennisball. Ich drehte ihn und sah, dass eine Seite abgebrochen war. Wortlos hielt ich ihn meinen Freunden hin. „Du hast ihn! Du hast ihn!“ rief Lianela überschwänglich. „komm, wir sperren ihn am Besten in meinen Safe. Dort ist er sicher, bis wir den zweiten haben.“ Sie schwamm zur anderen Seite des Zimmers und öffnete eine große Schulblade. Dann steckte sie den Kopf hinein und plötzlich klickte es. Ich ging zu ihr hinüber und legte den Diamanten vorsichtig in den fast unsichtbaren Kasten. Lianela verschloss Safe und Schublade wieder und fragte: „Habt ihr eine Idee, wo der zweite sein könnte?“ Clemano schüttelte den Kopf. „Nein, aber vielleicht Jèlila. Ich frag sie“ Ich nahm wieder das Walkie-Talkie heraus und erzählte ihr schnall alles. Vor Freude schrie si so laut, dass ich das Gerät von meinem Ohr weghalten musste. „Ähm… seht auf dem Bild nach. Ich denke, dass sich dort noch ein Hinweis befindet.“ Ich tat wie geheißen. „Hier ist nur noch eine Frau zu sehen, allerdings ist sie eine Meerjungfrau.“, antwortete ich ihr. „Dann findet heraus, wo…“ plötzlich begann es zu rauschen, sodass ich nichts mehr von dem was sie sagte, verstand. „wo sie wohnte!“, beendete Lianela den Satz. „hier in Seatania gibt es nur eine Meerjungfrauenfamilie, dass heißt, wir müssen drei Häuser durchsuchen… und wir können uns nicht aufteilen, weil wir dich für den letzten Teil der Diamantsuche brauchen. Ach ja, ich weiß jetzt, warum die anderen, die versucht haben, die Diamanten zu finden, gestorben sind: Jeder, der nicht die Auserwählte ist, stirbt bei einer direkten Berührung. Das seltsame ist nur, warum hat man die Diamanten bei den Verstorbenen nicht gefunden?“ „wahrscheinlich hat der Nachfolger der Verfluchers die Leichen gefunden und den Diamanten wieder versteckt“, antwortete Clemano ihr. Da es schon 16.00 Uhr war, verabschiedete ich mich von den beiden und schwamm nach Hause.
Die nächsten zwei Nachmittage lang durchsuchte wir zwei der Meerjungfrauenhäuser. Als wir uns dann am dritte Tag trafen, war die Spannung, den zweiten Diamant zu finden, so groß, dass man sie beinahe spüren konnte. Freundlich klopften wir an die Tür eines mit Wasserbepflanzen großen Hauses. Es stand sehr nah an der Grenze zum Verfluchten Ort, wie die Einwohner Seatanias die Dunkele Zone nannten. Diese Fläche hatte sich in den letzten drei Tagen um fast zwei Kilometer vergrößert. Wenn man bedachte, wie klein Seatania eigentlich ist, so war das eine enorme Menge.
Eine rothaarige Meerjungfrau öffnete uns. Als wir ihr von unserer „Mission“ erzählten, ließ sie uns sofort ins Haus und half uns beim Suchen. Dann fiel mir ein, dass sich das Gemälde, in dem der erste Dolphin Ride-Diamant versteckt war, in meinem Rucksack befand. Also nahm ich das Kunstwerk vorsichtig heraus und fragte: „Kennen Sie diese Frau? Ist das eine Ahnin von Ihnen?“ Ich hielt ihr das Gemälde hin. Die Rothaarige zögerte, dann antwortete sie: „Ja, das ist meine Urgroßmutter. Niemand weiß es genau, aber man sagt, dass sie mit dem Verflucher verheiratet war.“ Alle nannten den Mann, der den Fluch einst ausgesprochen hatte, „Verflucher“. Auch ich hatte mir diesen Namen bereits angewohnt. Gestern hatte mir Jèlila gesagt, wieder nach einem Bild Ausschau zu halten. „Besitzen Sie ein Gemälde oder etwas anderes, was ihrer Urgroßmutter gehört hatte?“, fragte ich deshalb. „Das hatte ich, aber ich habe es vor Kurzem bei einem Wohltätigkeitsbasar an das Gefängnis verkauft. Darauf waren Delfine, auf denen Kinder reiten, zu sehen. Es hängt jetzt dort im Raum der Aufsichten.“ Verdammt. Im Gefängnis, das bedeutete, wir mussten in den Verfluchten Ort gehen.
„Was?! Ins Gefängnis? Das könnt ihr nicht machen, das ist doch viel zu gefährlich!“, schrie Jèlila nervös. Es war Abend und ich hatte meine Eltern überredet, dass Jèlila bei mir übernachten durfte. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Süße, wir werden die Aufseher ganz freundlich fragen, ob wir uns das Bild mal ausleihen können. Das ist doch gar nicht gefährlich.“ Ihr Blick war immer noch besorgt. „Nimm das Walkie-Talkie mit. Vielleicht klappt es doch nicht so gut, wie ihr euch das vorstellt. Was ist, wenn er euch das Gemälde nicht geben will? Was tut ihr dann?“ Oh Mann. Sie fand auch immer wieder etwas, mit dem sie mich nervös machte. „Dann…ähm… lenken wir den oder die Aufseher ab und ich schwimm zum Gemälde, schnapp mir den zweiten Dolphin Ride- Diamanten und haue wieder ab. Ganz einfach.“ Ich versuchte, ruhig auszusehen, aber ich spürte, dass mir das nicht gelang. „Und wie wollt ihr die Aufseher ablenken?“, fragte Jèlila fordernd. „Ähm… keine Ahnung.“, gab ich zu, „hilf mir!“ Plötzlich wurde ich mir der Gefahr bewusst. Wenn Lianela und Clemano die Wächter nicht lange genug beschäftigen könnten, dann würden sie mich festnehmen. Wegen Diebstahls und Betrügerei. Ich wusste, dass es in Seatania nicht viele Verbrecher gab, aber es wurde auch streng verurteilt. Das würde bedeuten, dass ich für sehr viele Jahre, möglicherweise sogar für Jahrzehnte, eingesperrt würde. Ich schluckte. Dieser Gedanke war wirklich beunruhigend.
Unser Plan war, dass Lianela und Clemano die oder den Wächter ablenken sollte, während ich das Gemälde absuche. Zuerst würde Clemano versuchen, dem Wächter die Wahrheit zu erklären. Wenn das nicht funktioniert, dann würde Lianela mit ihrem Frauencharme eingreifen. Sie konnte sehr überzeugend sein, und wenn sie erzählen würde, dass sie gerade kurz davor war, ein Delfinbaby zu bekommen, dann würde der Wächter sie möglicherweise ins Krankenhaus bringen. Ja, selbst hier in Seatania gibt es so etwas.
„In Ordnung. Ihr wisst alle, was ihr tun müsst?“, sprach Jèlila durch das Walkie-Talkie. Alle nickten. „Ja, alle wissen was zu tun ist. Wenn ich dich brauche, melde ich mich, keine Angst. Und mach dich nicht verrückt, Süße!“, antwortete ich ihr. In wenigen Minuten sollte die Mission „Rettet Seatania“ beginnen. Im Moment trafen wir allerdings noch die allerletzten Vorbereitungen, wie zum Beispiel noch einmal meinen Rucksack zu überprüfen. Ich wusste, dass man mir die Aufregung ansah, aber da war ich nicht alleine. Clemano schien ruhig, aber das liegt wahrscheinlich nur daran, dass er in der letzten Stunde ununterbrochen Yogaübungen gemacht hatte. Ein Fisch, der Yoga macht. Wie abartig. Lianela dagegen schlug nervös mit ihrer Schwanzflosse hin und her. Jetzt aber stoppte sie und sagte: „Okay, sind alle bereit? Wir können das nicht mehr herauszögern, der Verfluchte Ort wird innerhalb der nächsten zwei Tage meinen Laden erreichen.“ Sie atmete noch einmal tief ein. „Los geht’s!“ Sie schwamm zu mir herüber und ich hielt mich wieder an ihrer Rückenflosse fest. Sofort schwamm mit mindestens 80 Sachen davon. Nach ungefähr einer Minute erreichten wir bereits die Grenze zum Verfluchten Ort. Kurz davor blieben meine beiden Freunde stehen und atmeten tief ein. Unabsichtlich tat ich dasselbe. Ich wusste, dass ich möglicherweise heute sterben könnte, aber ich wollte nicht daran denken. Im Moment beherrschte mich noch die Furcht vor dem Scheitern. An andere Folgen wollte ich gar nicht denken.
Einige Zeit später hielten wir vor einer Korallenmauer an. Ein silbernes Tor verriet uns, dass dahinter noch etwas sein musste. Ich musterte das Tor. „oh Mann. Seht ihr, wie das Tor verziert ist? Das sind Delfine, auf denen Kinder reiten! Das ist eine geschmiedete Version der Dolphin Rides!“, flüsterte ich. Ich spürte, wie die Nervosität und Unsicherheit sich in meinem Körper ausbreitete. Wie warme, sprudelnde Wellen. Ich atmete noch einmal tief durch, und gemeinsam schwammen wir alle durch das Tor. Nun sahen wir ein Großes Gebäude, das eigentlich sehr schön aussah. Bis auf die Fenster, die mit Gitterstäben versperrt waren. Efeu rankte sich an allen Hauswänden empor, das verlieh dem Gebäude ein geradezu magisches Flair. Ich schluckte. Jetzt begann unser Abenteuer, die Entscheidung zwischen Leben und Tod eines ganzen Landes.
Langsam schwammen wir auf die zweiteilige Flügeltür zu. Clemano öffnete sie und ließ uns eintreten. Gegenüber der Türe stand ein großer, aus dunklem Holz gebauter Empfangstresen. Clemano begab sich eilig hinüber, Lianela und ich hielten uns bewusst im Hintergrund. „Guten Tag.“, begrüßte mein Freund den ersten Wächter am Tresen. „Ich bin hier… in einer Art Mission. Ich bitte Sie, urteilen sie nicht vorschnell. Nun, wie Sie sicher bemerkt haben, breitet sich der Verfluchte Ort immer weiter aus. Bald wird er in den Kern des Landes eingedrungen sein, es wird auch nicht mehr lange dauern, bis nach und nach alles Leben aus Seatania verschwindet.“ Er pausierte, um die Reaktion des Fremden abzuschätzen. Dann sprach er wieder weiter. „Wir wissen, wie wir den Fluch aufhalten können, aber dazu bräuchten wir Ihre Hilfe. Wären Sie bereit dazu, uns und damit dem ganzen Land zu helfen?“ Ich hatte sofort das Gefühl, das der Wächter uns helfen würde, aber da wäre bestimmt ein Haken. „Ja, nur allzu gerne. Aber… ich bin mir nicht sicher, ob die anderen Wächter das auch tun würden… im Moment ist sowieso nur ein anderer da. Wie kann ich denn helfen?“ Die Stimme des Fremden war tief und rau, aber nicht unangenehm. Er sprach leise, warum, war nicht ersichtlich. „Wir suchen ein Gemälde. Eine Meerjungfrau hat uns gesagt, dass sie es dem Gefängnis verkauft habe. Auf dem Bild sind Delfine, auf denen Kinder reiten, zu sehen. Kennen Sie es?“, fragte Lianela. Der Wächter überlegte kurz. „Natürlich. Es hängt im Raum der Aufsichten. Folgen Sie mir bitte.“ Der Wächter schwamm voraus. Erst jetzt realisierte ich sein Aussehen. Er sah aus wie ein Clownfisch, war aber um einiges größer als die normalen Exemplare. Wir folgten ihm. Dann bedeutete er uns, zu warten. Der Wächterfisch öffnete eine orangefarbene Tür und betrat den dahinter liegenden Raum. Doch leider schloss er die Tür wieder hinter sich, sodass wir nicht mithören konnten.
Nach gefühlten 2 Stunden kam er endlich wieder heraus. „Geht rein!“, befahl er uns. Plötzlich schien sämtliche Freundlichkeit verloren gegangen. Davon verwirrt sah ich Lianela und Clemano an. Beide runzelten die Stirn, soweit das bei Fischen und Delfinen ging, und schüttelten die Flossen. Auf Menschen übertragen ist das ein Schulterzucken. Dann betraten wir einen großen, cremefarben gestrichenen Raum. Er besaß keine Fenster, nur ein Glaskäfig mit Glühwürmchen hing an der Decke. Die Einrichtung war sehr schlicht, sie bestand aus zwei Betten, einem Tisch und zwei Stühlen. Ich ließ meinen Blick weiter durch das Zimmer gleiten; jetzt bemerkte ich einen seltsamen Fisch. Eigentlich war er kein richtiger Fisch, eher eine Mischung aus Mensch und Meerjungfrau. Seine Augen waren pechschwarz und zeigten uns Abscheu, aber auch ein klitzekleines bisschen Vorfreude. Was hatte dieser Fremde mit uns vor? Ich spürte, wie sich mein Pulsschlag erhöhte. Dann begann er zu sprechen. „Ihr wollt also Seatania retten. Ein Delfin, ein stinknormaler Fisch, und ein… seltsamer Mensch. Dass ich nicht lache!“ ein hinterhältiges, fieses Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich warf einen schnellen Blick hinter meinen Rücken. Die Tür war geschlossen, der Wächter von der Rezeption stand mit verschränkten Armen wie ein Bodyguard davor. Ich spürte, wie mein Puls erneut beschleunigte. „Ihr habt nur noch ein Hindernis“, sprach er weiter, „zu bewältigen. Und dieses Hindernis“, er pausierte, um uns anzuspannen. Plötzlich wusste ich, was Sache war. Wir waren gefangen, mit einem Mörder, dessen nächste Opfer wir sein werden. „Und dieses Hindernis… bin ich“ Jetzt hatte er meine Gedanken ausgesprochen, ich wusste, dass der Tod nicht mehr weit weg war. Mein Atem ging immer schneller, es war unglaublich, wie schnell. Meine Augen weiteten sich vor Angst. „Denn ich bin der Nachfahre des Verfluchers! Was auch immer ihr geplant habt, um mich zu überwältigen, wird nicht funktionieren. Ich bin euch einfach…“, er pausierte schon wieder, „überlegen!“ Jetzt fehlte nur noch, dass er eine Waffe herausholte und uns erschoss. Jetzt bemerkte ich plötzlich, dass noch zwei andere Wächter hereingekommen waren. Sie kamen auf Lianela, Clemano und mich zu, packten unsere Hände und hielten uns fest. Doch ich wollte noch nicht aufgeben, ich zappelte, schlug um mich, zwickte, biss- ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass erstens unser Leben vorüber war und zweites Seatania quälend langsam vernichtet wurde. „Oh, das kleine Menschlein will sich wehren!“, spottete mein baldiger Mörder, „aber pass auf, was du tust, sonst werden deine netten Freunde ein bisschen Schaden nehmen! Es reicht uns, wenn du nicht mehr lebst. Deine Freunde können weiterleben, genauso, wie vor deiner Ankunft. Also überlege gut, was du tust!“, seine Stimme war immer noch spöttisch, und nach dieser Rede hörte ich auf, mich zu wehren. Ich wollte nicht, dass Lianela und Clemano etwas passiert. Plötzlich kam mir noch ein Gedanke. „Aber wenn ich tot bin, dann wird ganz Seatania zerstört werden! Und du auch, du… Mistkerl!“, brüllte ich. Jetzt hatte ich keine Angst mehr, wenn ich sterben würde, dann würde auch er sterben. Ich hatte noch eine letzte Chance.
Wenn ich es schaffen würde, „meinen“ Wächter dazu zu bringen, dass er mich loslässt, und ich meinen letzten Trumpf ausspielen würde, dann könnte ich siegen. Wenn. Der Oberwächter grinste immer noch siegessicher. Er begann weiterzusprechen: „Such dir aus, wie du sterben willst, Menschlein! Messer, Erwürgen, Zurückverwandlung und dann Ertränken… Ganz wie du willst“ Sein Lächeln verschwand immer noch nicht. Das musste man ändern, und zwar schnell. Da spürte ich, wie mein Wächter sich vorsichtig und unauffällig zu mir herunterbeugte. Dabei bemerkte ich, dass er kein Fisch war; er war ein verwandelter Mensch, genau wie ich. „Wenn ich dich loslassen soll, sag es mir“, hauchte er. Obwohl er so leise sprach, hatte er eine wunderschöne Stimme. Sofort begannen sich tief vergrabene Schmetterlinge in mir zu regen. Verdammt! Für so etwas hast du keine Zeit, Mädel! Du musst Seatania retten!! Ich packte meinen ganzen Mut zusammen. Jetzt ging er erst so richtig los. „Das würde dir gefallen, oder? Du bist eine Bestie! Aber wenn du dafür sorgst, dass Seatania untergeht, dann wirst auch du sterben!“ zuerst sprach ich ganz ruhig, doch beim letzten Satz brüllte ich. Ich schlug noch einmal um mich, aber nicht fest; ich wollte ja nicht den Wächter mit der süßen Stimme hinter mir treffen. „Jetzt!“, flüsterte ich. Sofort war ich frei. Ich ging ein Stück nach vorne, dann ein bisschen zur Seite. Jetzt kam mein letzter Trumpf ins Spiel. „Ich weiß, warum du Seatania vernichten willst. Ich weiß auch, warum das dein Vorfahre tun wollte.“, begann ich geheimnisvoll. Ich konnte die bohrenden Blicke aller Anwesenden förmlich auf mir spüren. Ich blickte stur und sicher in sein Gesicht. „Du hattest ein Verhältnis mit einer Meerjungfrau! Ihr ward schon verlobt, doch dann hat sie dich sitzen lassen. Und vor Wut auf sie wolltest du alle Bewohner Seatanias vernichten. Doch du hast nicht viel über den Fluch und die Dolphin Rides erfahren. Du wusstest nicht, was sie bewirken. Du weißt es immer noch nicht ganz, dir ist nur bekannt, dass sie den Fluch lösen. Sie löschen aber gleichzeitig alles Böse und Schlechte aus, du wirst die Schönste Zeit hier aber nicht mehr erleben. Wenn wir unser Ziel erreichen, und das werden wir, dann wirst du sofort sterben!“ ich sprach laut uns ruhig. Die Blicke aller waren immer noch auf mich gerichtet. Vorsichtig drehte ich schnell den Kopf um, ich wollte wissen, was der verwandelte Mensch, mein Wächter, von meinem Auftritt dachte. Er lächelte mir zu und nickte. Wieder wurden die Schmetterlinge in meinem Bauch lebhaft. Sein Gesicht, alles war an ihm perfekt. Seine leuchtend grünen Augen, sein lockiges braunes Haar, seine gebräunte Hau, sein Surfer-Body. Er war einfach perfekt. Schnell drehte ich mich wieder um. Unser Feind saß immer noch auf seinem Stuhl am Tisch. Im Moment aber war er erschrocken und verwirrt, das sah man ihm an. Plötzlich ließ Clemanos Wächter ihn los und packte mich fest an meinen Armen. Er zerrte sie mir so fest auf den Rücken, dass es wehtat. Ich riss, zappelte und biss wieder. Doch es nützte nichts, ich war gefangen. Dann biss er mir in den Hals. Ich spürte, wie etwas Schmerzendes, Heißes in meinen Adern durch meinen ganzen Körper floss. Er war giftig. Mein Atem, wie auch mein Puls, beschleunigten, meine Sicherheit verschwand, ich nahm alles nur noch verschwommen war.
Du musst das durchstehen! Du musst Seatania retten! Der giftige Wächter schnürte meine Arme fest und drückte mich an die Wand. Keuchend stand ich da, zum Verlieren, zum Tode verurteilt. Lianelas Wächter ließ nun sie los und packte sich den Mensch, mein neuer Grund, um zu überleben. Ich hörte Schreie, doch plötzlich verklangen sie. Damit schwand sowohl meine Angst vor dem Tod, als auch mein Schmerz. Nein, er verschwand nicht; er wurde nur gedämpft, aber das genügte. Mein Puls hatte sich noch nicht beruhigt, aber das war mir egal. Jetzt ging es um Alles oder Nichts- um Leben und Tod. Wir waren drei, unsere Gegner waren nur noch zu zweit. Plötzlich griffen Clemano und Lianela gleichzeitig den Anführer der Wächter an, warfen ihn vom Stuhl auf den Boden, Clemano zog ein Messer aus scharfem, tödlichem Gestein hervor und hielt es dem Feind unter die Kehle. „Bewege dich keinen Millimeter, wir sind zu allem fähig!“, zischte mein sonst so ruhiger Freund. Als Beweis hob er den Arm des Bedrohten hoch in die Luft und strich mit der Klinge entlang. Alles, was zu hören war, war ein leises, kurzes Zischen. Ich roch das Blut, das aus der frischen Wunde quoll. Mein Puls beschleunigte noch einmal. Jetzt schnellte Lianela zu meinem Wächter herüber, schlug ihm mitten ins breite Fischgesicht und verpasste ihm noch einen Flossenschlag in die Weichteile. Er brach zusammen, und ließ mich los. Plötzlich kehrten die Schmerzen zurück, ich spürte, wie ich auf die Knie fiel, und meine Hände an die Bissstelle hielt. Meine Gedanken wanderten weit weg, ich hörte alles nur noch aus Distanzierung. Ich hörte ein Schreien, es war schrecklich, ich wusste nicht, woher es kam oder was es war. Dann spürte ich einen Luftzug, und eine Stimme, die schrie: „Schnell, nimm! Verbinde sie! Du schaffst das!“ ich spürte noch zwei kalte, rund geschliffene Dinge, die ich kraftlos aneinanderpresste. Dann wurde vor meinen Augen letztendlich alles schwarz.
„Sie hat es geschafft! Sie hat es geschafft! Seatania ist gerettet!“, jubelten mehrere laute Stimmen. Benommen öffnete ich meine Augen. Verschwommen erkannte ich Lianela, Clemano und den Wächter, der uns geholfen hatte. „Was ist los?!“, flüsterte ich verwirrt. Der Wächter kniete neben mir und hielte meine Hand. „Du hast es geschafft! Wir haben es geschafft. Seatania ist gerettet!“, antwortete er ebenso leise. Ich sah ihn tief in die grasgrünen Augen und richtete mich langsam auf. Ich spürte seine Hand auf meinem Rücken. Schnell sah ich an mir herunter. Meine Klamotten waren zerfetzt, und ließen ziemlich viel von meinem Körper darunter sehen. Vor allem mein T-Shirt. Kein Wunder, dass er mich so ansieht. Bei dem Ausblick. Ich hörte Lachen und sich entfernende Schritte. Ich stand auf. Mein Blick war nun wieder scharf und klar geworden. Dann sah ich sein Gesicht immer näher auf mich zukommen. Seine weichen, warmen Lippen berührten meine, jetzt gab es nur noch uns beide. Ich legte meine rechte Hand an seinen Hinterkopf, soweit wie mir das möglich war; er war rund 15cm größer als ich. Ich sah ihm weiterhin in die Augen und küsste ihn herzhaft. Er erwiderte ihn. Bevor wir es zu weit trieben, drehte ich meinen Kopf kurz zur Seite. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich. Er lachte. „Meridian“ Dann presste er sein Gesicht wieder auf meines. Ich schloss die Augen.
„Lianela? Clemano? Wo seit ihr?“, rief ich so laut ich konnte. Meridian und ich liegen händchenhaltend nebeneinander her. Dann betraten wir die Eingangshalle. Lianela und Clemano standen eng beieinander. Dann berührte seine Lippen ihre. Ich kicherte und zog Meridian an die Wand. Wieder sahen wir uns tief in die Augen. Wieder berührte seine Lippen meine. Nach einiger Zeit hörte ich eine Lianelas leise Stimme. „Ähm… ich will euch zwei Turteltäubchen ja nicht stören oder so, aber… wir sollte vielleicht dann gehen.“, sie pausierte kurz, „Milanela, deine Freundin Jèlila brennt bestimmt darauf, das Ergebnis unserer Mission zu hören. Die Diamante bewahre ich erst mal in meinem Safe auf.“ Sie sah meinen etwas enttäuschten Blick. Dann fügte sie hinzu: „Wenn ich das richtig sehe, dann kann Meridian ja mitkommen“ Clemano und sie schmunzelten. Dann griff er nach ihrer Flosse, sie lächelte ihn an. Wir verließen das Gefängnis; das Horrorszenario war jetzt vorbei. Draußen vor den Mauern war die Sonne fast untergegangen. Meine Freunde vor mir blieben stehen und küssten sich noch einmal. Meridian und ich taten dasselbe. Mühelos fanden seine Lippen meine. Dann verabschiedeten wir uns von Lianela und Clemano und schwammen gemeinsam nach oben Richtung Menschenwelt.
<Ende<
Tag der Veröffentlichung: 21.07.2010
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für Kathi, Veri und Pepsi, meine Schätzchen, die immer für mich da sind!