Mein Name ist Misaki Kuromori. Meine Eltern waren sehr kreativ bei der Auswahl meines Namen. Ihr müsst wissen, dass ich am 20. April in Sendai, in der Präfektur Miyagi geboren wurde, da zu diesem Zeitpunkt das Kirschblütenfest war, entschlossen sich meine Eltern mich -schöne Blüte- Misaki, zu nennen. Sakura, was ja eigentlich besser passen würde, weil es Kirschblüte bedeutet und ein gängiger Mädchenname ist, war ihnen zu einfach, außerdem besaß jedes zweite Mädchen diesen Namen. Lustiger weise hat mein Nachname Kuromoriauch einen natürlichen Ursprung. Er bedeutet schwarzer Wald. Mein Vater trug diesen Namen, weil seine Vorfahren früher tief im Wald lebten, der teilweise so dicht bewachsen war, dass man seine eigene Hand nicht vor Augen sehen konnte. Meine Mutter war von hoher Geburt, doch weil sie unter ihren Stand heiraten wollte, erlaubte es ihr Vater nicht und so entschloss sie sich, ihre Familie für ihre Liebe zu verlassen und auch meinen Vater zu heiraten. Relativ schnell war klar, dass ich unterwegs war. Meine Mutter erzählte mir, als ich zehn war, dass sie so erfüllt von Glücksgefühlen war, als sie erfuhr, dass sie ein Kind erwartete. Mein Vater sprühte geradezu vor Freude, erzählte sie mir. Er hatte damals einen gut bezahlten Job und auch meine Mutter hatte eine ganze Zeit gearbeitet und so konnten sie sich ein kleines Haus am Rande von Sendai leisten. Es war noch eins von den alten, die aus Holz mit Papierfenstern und einen kleinen Garten mit Koiteich bestand. Doch es war trotzdem nie kalt gewesen. Die Eltern meines Vaters lebten auch mit im Haus, doch kurz nach dem Einzug starb mein Großvater, daher konnte ich ihn nie kennenlernen. Ich wuchs zweisprachig auf, da meine Großmutter eine Deutsche war. Ich erfuhr durch ihr, dass es sogar noch Verwandte in Deutschland gab und auch von meiner Existenz wussten, jedoch war die Entfernung von Berlin nach Sendai so groß, dass man sich nicht besuchen konnte. Meine Großmutter war im Grunde wie mein Vater, eine gutmütige Frau, die mich gerne knuddelte und auch Bonbons zuschob, wenn Mutter es mal wieder verboten hatte. Ich liebte meine Großmutter über alles und war daher tot unglücklich als sie kurz nach meinem elften Geburtstag starb. Das konnte ich ja noch halbwegs verkraften, viel schlimmer war jedoch, dass meine beiden Eltern kein Jahr später nach meiner Großmutter bei einem schweren Verkehrsunfall starben, den sie nicht einmal verursacht hatten. Sie befanden sich ganz zufällig an der Stelle, an der das Auto in ein Gebäude raste. Ich war zu diesem Zeitpunkt in der Schule und ahnte von nichts, auch als ich zu Hause ankam, und keiner dort war machte ich mir keine sorgen. Am Abend kamen dann jedoch zwei Polizisten, die mich aufklärten und auch mitteilten, dass die Familie meiner Mutter mich nicht aufnehmen würde. Ich war am Boden zerstört, ich war praktisch alleine, von einer Sekunde zur anderen. Dies verdeutlichte mir, dass man jeden Tag genießen sollte und das eine Stunde so viel verändern kann, man weiß auch nie was in der nächste passieren würde. Viel schlimmer war jedoch die Tatsache, dass die Familie meiner Mutter, mein Fleisch und Blut nichts, aber auch nichts mit mir zu tun haben wollten. Die Polizisten ließen mich danach alleine und versicherten mir, dass am nächsten Tag jemand kommen und sich um mich kümmern würde. Ich ging danach sofort ins Bett und weinte. Ich weinte um meine Mutter, um meinen Vater und auch um mich, weil ich, Misaki Kuromori, ganz allein auf der Welt war.
Wie versprochen kam am nächsten Tag eine nette Dame, die sich um mich kümmerte, bis für mich eine Unterbringen gefunden wurde. Sie erledigte alles, was mit der traditionellen Beerdigung meiner Eltern zu tun hatte. Am Tag der Beerdigung, erschienen nicht viele Menschen, jedoch der Bruder meiner Großmama. Der Name ihres Bruders war Takeo Hamasaki und war, wie sich herausstellte, der Zwillingsbruder meiner Oma. Der Junge, der ihn begleitete war Haru. Er war zwei Jahre älter als ich, und der Sohn eines Freundes der Familie, der unbedingt einmal Japan sehen wollte. Er sah zwar japanisch aus, seine Eltern stammten auch aus Osaka, jedoch war er in Berlin geboren worden. Ich war die Beerdigung über sehr still gewesen, mich beachtete auch keiner, mir war es recht. Als wir dann zum Essen nach Hause gingen hielt mit Onkel Takeo, wie ich ihn nennen sollte auf. Er erklärte mir, dass ich in drei Tagen mit nach Deutschland kommen sollte. Ich erklärte ihm, dass ich das nicht möchte, immerhin war ich hier geboren worden und hatte mein ganzes Leben hier verbracht. Er ließ nicht mit sich reden und beharrte darauf. Ich lief in mein Zimmer und ließ mich auf mein Futon fallen um zu weinen. Ich sah aus meinem Fenster und konnte den blühend Kirschbaum in unserem Garten sehen. Auch die zartrosa Blütenblätter, die ihren Weg zum Boden suchten. Ich sah ihn eine Weile zu und merkte wie wieder Tränen in mir aufstiegen. In diesem Moment hatte ich wirklich alles verloren, das Haus meiner Eltern war alles, was ich noch von ihnen besaß und ich würde dies auch nicht kampflos hergeben. Ich bemerkte durch mein schluchzen nicht, dass Haru in mein Zimmer gekommen war. Er schob leise die Tür hinter sich zu und kam zu mir. Er kniete sich neben hin und sah mich einfach nur an. Er reichte mir wortlos ein Taschentuch und wartete bis ich mich beruhigt hatte. „Danke“, sagte ich auf Deutsch. Er sah mich erstaunt an. „Ich wusste nicht, dass du Deutsch sprichst“, antwortete er.
„Omi hat es mir beigebracht.“
„Dann wirst du es sicher in Deutschland nicht so schwer haben.“ Er lächelte mich ermutigend an. „So schlimm ist es dort nicht. Wir haben dort keine Holzhäuser und Papierfenster und auch nicht so viele Kirschbäume, aber du wirst dich dort sicher wohlfühlen.“ Er legte mir seine Hand auf die Schulter, ich sah zu ihm auf. Er war ein netter Junge mit einem typischen japanischem Aussehen. Schwarze Haare und braune Augen. Doch seine Haare trug er nicht so kurz wie die meisten Japaner, seine waren lang, ein Gummiband hielt sie zusammen, zudem war er europäisch gekleidet in T-Shirt und Jeans. Ich mochte ihn schon vom ersten Moment an. Er faszinierte mich einfach weil er nicht typisch japanisch eben war. Ich war zwar auch nicht streng erzogen worden, dennoch floss meine Kultur in die Erziehung mit ein. Haru schaffte es, mich zu überzeugen, mir blieb auch nichts anderes übrig. Das Haus wurde nicht verkauft, es blieb in meinem Besitz, dennoch packte ich einige Sachen ein, die ich mitnehmen würde. Mein Futondecke, auf der meiner Mutter eine Schwalbe gestickt hatte und auch das kleine Medallion von ihr, das ebenfalls mit einer Schwalbe verziert war, da ihr Geburtsname Misako Tsubame war. Tsubame bedeute Schwalbe und ist daher auch im Wappen ihrer Familie enthalten. Ich packte jedoch auch noch ein eingerahmtes Foto ein, auf dem meine Großeltern, meine Eltern und ich zu sehen waren. Und dann ging es auch schon los.
Vier Jahre waren seitdem vergangen. Ich hatte mich gut eingelebt. Onkel Takeo versuchte es mir so leicht wie möglich zu machen. Wenn ich zu Hause war, sprach er ausschließlich japanisch mit mir. Mittlerweile war er 73 jedoch noch immer Topfit. Ich hatte vor ein paar Wochen meinen 15. Geburtstag feiern. Natürlich war ich in den letzten Jahren gewachsen und hatte eine stolze Größe von 1,67 m erreicht, nicht schlecht was? Meine Haare trug ich kurz, jedoch konnte ich sie mir locker zubinden, wenn mir danach war. Meine mandelförmigen braunen Augen hatten immer etwas exotisches an sich, daher drehten sich auch viele nach mir um. Auch weibliche Züge hatte ich angenommen, mit jedem Tag sah ich meiner Mutter ähnlicher. Und genau das zog Jungen, wie Fliegen an. Ich wollte keinen Freund, also eigentlich schon, jedoch wollte ich nur einen ganz bestimmten. Ich hatte mich wahrscheinlich schon vom ersten Tag an in Haru verliebt. Mit den Jahren wurde das Gefühl immer stärker, jedoch traute ich mich nicht, es ihm zu sagen. Außerdem hatte er eine Freundin, zudem waren wir wie Geschwister aufgewachsen, da seine Familie direkt neben Onkel Takeos Haus lebte. Daher verbrachten wir viel Zeit zusammen. Seine Schwester Ayame, die wir alle nur Aya nannten, gehörte mit zu unserer Clique. Aya war außerdem meine beste Freundin. Ich hatte damals Glück gehabt, als ich in ihre Klasse dazu kam. Mit Haru konnten wir jedoch seit einem Jahr nicht mehr so oft rumhängen, er hatte viel zu tun mit seiner Ausbildung. Daher sahen wir uns nur noch selten, was ich sehr schade fand. Eins hatte ich in meinem Leben bisher gelernt, das Leben war einfach unberechenbar und gemein, denn ich liebte Haru, würde ihn jedoch nie für ich haben können, da er mich sicher nur als kleine Schwester sah. Was für ein Leben ging mir durch den Kopf. Ich hatte nicht ganz ein Jahr um zu entscheiden, was ich werden wollte. Meine Noten sind gar nicht mal so schlecht. Ich könnte wie Haru ein Kochlehre anfangen, aber ich weiß, dass ich eine miserable Köchin war. Jedoch liebe ich Süßes, also wäre Konditorin doch eigentlich gar nicht so verkehrt. Ich könnte aber auch wie Aya einfach ein Abitur machen, um dann zu studieren. Während ich so in der Sonnen im Garten vor mich hin döste, hörte ich wie jemand auf die Terrasse kam, die in den Garten führte. Viele Obstbäume, darunter auch Kirschbäume, die ich sehr liebte, waren im ganzen Garten verteilt. Unter einem dieser Kirschbäume hatte ich mich hingelegt. Es ging auf Sommer zu, daher waren keine Blüten mehr an ihnen, jedoch konnte man jetzt schon kleine Kirschen erkennen. Ich hörte die Schritte im Gras, die neben mir aufhörten. „Darf ich mich zu dir setzten“, hörte ich von keinem geringeren als Haru. Ich setzte mich erstaunt auf. „Was machst du denn hier“, fragte ich vor Freude. Haru setzte sich zu mir ins Gras. „Nun ja, ich habe ein paar Tage frei, außerdem hattest du doch Geburtstag.“
„Der ist schon sechs Wochen her, Haru“, kicherte ich.
„Ja ich weiß“, er stöhnte und legte seinen Kopf in seine Hände. Ich war nicht die einzige, die sich verändert hatte. Haru war ein sehr attraktiver Mann geworden, der zudem sehr begehrt war. Seine Haare trug er immer noch lang, jedoch war der untere Teil seines Kopfes rasiert, sodass er praktisch nur die obere Hälfte des Kopfes mit Haaren bedeckt hatte, die er mit einem Haarband zusammenhielt. Sein Gesicht war kantiger geworden, er war immerhin fast 18. Seine gerade Nase und sein voller Mund hatten etwas sündhaftes an sich. Ich spürte jedes Mal aufs neues den unglaublichen drang, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und ihm zu küssen. Ich wusste in der Tat wie man küsst, ich hatte ein paar Mal erfolglos versucht mir Haru aus dem Kopf zu schlagen. „Darf ich dir trotzdem nachträglich alles gute zum Geburtstag wünschen?“, fragte er. Haru sah mich mit einem Blick an, der ein Berg zum schmelzen gebracht hätte. „Ein Anruf hatte mir gereicht, aber natürlich darfst du“, lachte ich. Er sprang urplötzlich auf und drückte mich fest an sich. „Alles gute“, flüsterte er mir in mein Ohr. Ich spürte seine Hände in meinem Nacken und auch wie er meine Haare hinter mein Ohr strich. Als er mich losließ, spürte ich etwas an meiner Brust, als ich hinunter sah, erkannte ich einen Anhänger an einer langen feingliedrigen Kette. Die neben dem Medallion meiner Mutter um mein Hals hing. Ich nahm den Anhänger in meine Hand, um ihn mir genauer an zu sehen. Er bestand aus einem runden Stein, der die Farben von Kirschblüten hatte, um diese Kugel herum schlängelte sich ein silberner Drache. Ich fand sie wunderschön. „Danke“, sagte ich und lächelte ihn an.
„Dir gefällt´s?“, fragte er. Ich nickte.
„Vor allem, weil ich immer wissen werde, dass er von dir ist, denn du bist im Jahr des Drachen geboren.“ Ich fummelte immer noch an dem Anhänger. Nach kurzem zögern entschied ich mich dafür auf zustehen um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. Er ließ es geschehen und schien erfreut. Ich blickte zu ihm hoch in sein Gesicht, dass von Schatten umgeben war. Schweigend sahen wir uns an und ich genoss es. „Komm“, sagte ich schließlich, „Onkel Takeo kommt gleich von seinem Schachclub nach Hause, du kannst gerne mitessen, wenn du magst.“
„Gerne“, antwortete er, „aber nur, wenn du mich nicht vergiftest.“ Ich lachte, holte spielerisch mit meiner Rechten nach im aus und boxte ihn an die Schulter. Den Schlag hat er sicherlich nicht gespürt, dachte ich mir. Denn Haru war ganz schön muskulös.
Ein Jahr später steckten Aya und ich mitten in der Prüfung. Ich hatte mich dazu entschieden wirklich Konditorin zu werden und wollte mein bestes geben um einen guten Abschluss zu bekommen. Ich trug Haru´s Anhänger immer bei mir und hoffte, dass er mir an diesen wichtigen Tagen der Prüfung, Glück bringen würden. Von Haru selber hatte ich einige Zeit lang nichts mehr gehört, was mich ziemlich traurig stimmte. Aya hatte mit vor ein paar Tagen erzählt, dass seine Freundin Monika ihn mit seinem besten Freund betrogen hatte und dann auch noch in seiner Wohnung, in seinem Bett. Haru hatte dies nicht verkraftet und war noch am selben Tag mit gebrochenem Herzen verschwunden. Er ließ seiner Familie jedoch wissen, dass es ihm gut ging und er bald zurückkommen würde. Ich hoffte es inständig, denn ich vermisste ihn und wollte ihn so gern trösten. Jedoch musste ich mich trotz all dem auf meine Prüfung konzentrieren. Wir hatten jetzt April, bald würde das Kirschblütenfest in Berlin stattfinden, zu dem ich unbedingt wollte. Meine letzte Prüfung würde ein Tag davor sein, daher lernte ich wie eine Irre, um auch ja gut vorbereitet zu sein. Und das war ich schlussendlich auch. Ich hatte ein super Gefühl und hoffte auch gut abgeschnitten zu haben. Als ich an dem Tag nach Hause kam suchte ich in meinen Sachen nach dem weißen Kimono meiner Mutter, über dem sich viele zarte Kirschblütenzweige rankten. Diesen hatten sie bei ihrem gemeinsamen Kirschblütenfest in Japan getragen. Als ich in meinem Zimmer auf dem Boden hockte, mit dem Kimono in der Hand, kamen mir die Tränen. Ich vermisste mein altes zu Hause, auch wenn es mit bei Onkel Takeo gut ging. Ich vermisste auch den Garten mit dem Teich, an dem ich immer gespielt hatte und besonders fehlten mir die Straßen mit den Kirschbäumen die immer in zartrosa blühten. Ich war lange nicht mehr dort gewesen, doch in diesem Moment nahm ich mir fest vor, nach meiner Ausbildung nach Hause zu fahren, denn das Haus gehörte immer noch mir und würde es auch immer bleiben. Vielleicht konnte ich sogar die Familie meiner Mutter besuchen, die ich bisher noch nicht kennen gelernt hatte. Ich schniefte und stand auf, dabei zog ich den Kimono aus der Schachtel, in der er lag und legte ihn vorsichtig auf mein großes Bett. Ich ging zurück zum Schrank und suchte die andere Schachtel, in der sich der zartrosa farbende Unterkimono befand. Ich fand sie relativ schnell. Auf dem Unterkimono befand sich außerdem Mutters Haarschmuck, der aus einem weißen Kamm und einer Haarnadel mit rosa Kirschblüten bestand. Ich hängte alles sorgfältig an meinen Schrank. Morgen würde ich so schön wie nie aussehen, dass es selbst meine Eltern im Himmel sehen können, dachte ich.
Am nächsten Morgen stand ich schon um 6 Uhr auf um mich fertig zu machen. Aya war herübergekommen damit wir uns gegenseitig beim Anziehen helfen konnten. Aya trug ebenfalls einen Kimono, jedoch in einem satten orange auf dem Blumen in weiß und gelb um die Wette strahlten. Dazu einen hellorangen Obi. Sie half mir in meine Sachen und band meinen Obi, der rosa war und half mir meine kurzen Haare zu ordnen. Da Aya bei weitem längere Haare hatte als ich, dauerte es bei ihr nicht lange sie zu richten und eine weiße Blüte hinein zu stecken. „Hast du etwas von Haru gehört“, fragte ich. Sie schüttelte lediglich den Kopf. „Ich hoffe er kommt bald zurück“, stöhnte ich darauf hin.
„Du liebst ihn sehr, nicht wahr?“, fragte sie mich plötzlich. Ich konnte sie nur anstarren. „Ich weiß es schon lange, Misaki. Ich bin immerhin dein beste Freundin.“ Ich war so erstaunt, dass ich Aya nur anstarren konnte.
„Aya, ich bin wie eine Schwester für ihn.“
„Und genau das denkt er auch, er liebt dich ebenso, Misa.“
Ich konnte nicht anders, ich starrte sie wieder an, diesmal musste ich mich jedoch festhalten um nicht vor Überraschung um zu fallen. „Nicht dein ernst“, brachte ich nur hervor.
„Oh doch! Er wusste schon lange, dass Monika ihn betrog, aber er brauchte sie, um über dich hinweg zu kommen. Was glaubst du, warum er dir den Anhänger geschenkt hat?“, fragte mich Aya.
„Ich weiß nicht“, sagte ich und ließ den Kopf hängen, „warum hat er es mir nicht vorher gesagt?“
„Weil er ein Schwachkopf ist, deshalb! Jetzt hör auf so traurig zu gucken und lass uns gehen, ich will nicht das Fest verpassen.
Keine Stunde später saß ich auf eine Bank unter einem Kirschbaum, mein Papierschirm mit dem passenden Muster zu meinem Kimono in der Hand. Viele Menschen kamen auf mich zu, um mich zu fotografieren, ich ließ es zu. Ich war zu sehr mit meinen Gedanken beschäftigt. Daher bemerkte ich nicht wie sich jemand neben mich setzte, ebenfalls in einem hellblauen Kimono gekleidet. Eine Träne löste sich aus meinem Augen, in Gedanken war ich bei Haru.
Wenn ich ihn das nächste mal begegne, werde ich ihm meine Liebe gestehen. „Nicht weinen“, flüsterte eine mir nur all zu gut bekannte Stimme neben mir und wischte meine Träne mit eine Finger aus meinem Gesicht. Als ich mich zu ihm umdrehte lächelte er mich an. „Oh Haru“, flüsterte ich erstickt und warf mich in seine Arme, den Papierschirm lies ich aus meiner Hand gleiten. „Misa, meine kleine Misa, bitte wein nicht mehr“, füsterte er mir zu, da ich nun Hemmungslos weinte. Er ließ mich los, um ein Taschentuch aus seinem Kimono zu fischen, um damit mir mein Gesicht zu trocknen. „Es tut mir so leid“, sagte er, „ich musste verschwinden um mir ein paar Sachen durch den Kopf gehen zu lassen.“ „Ich hoffen, dass du zu einem Ergebnis gekommen bist“, sagte ich während ich versuchte mich zu beruhigen, denn immer noch liefen mir Tränen übers Gesicht. Er nickte. „Mir ist so einiges klar geworden.“
„Das wäre zum Beispiel?“, fragte ich während ich mir meine letzte Träne aus dem Augenwinkel wischte.
„Nun erstens: Monika war nicht die Richtige, auch wenn ich das schon seit langem weiß“, er stöhnte und blickte auf das Geschehen vor ihm. Die Menschen hatten sich unter den vielen Bäumen gesammelt um dort Erinnerungsfotos zu schießen.
„Das fällt dir früh ein“, sagte ich lachend.
„Ja ich weiß“, antwortete er darauf. „Aber mir ist noch etwas klargeworden.“
„Und was?“, fragte ich neugierig und sah ihm direkt in die Augen.
„Nun ja, ich kann es dir nicht so einfach sagen. Aber wenn du möchtest, zeige ich es dir.“
Ich nickte und er nahm unendlich vorsichtig meinen Kopf zwischen seine Hände und strich meine Haare zurück, die sich durch den Wind aus dem Knoten gelöst hatten. Ich blickte auf seine Lippen, die meinen immer näher kamen und sie schließlich auch trafen.Sein Kuss war so unendlich zärtlich, dass es fast schon schmerzte. Ich genoss ihn und als er sich von mir löste war ich beinahe etwas enttäuscht, was er zu bemerken schien. „Du kannst gerne so viel haben wie du willst“, sagte er lachend, denn mein Gesichtsausdruck schien Bände zu sprechen.
Er hielt immer noch meinen Kopf zwischen seinen Händen, er beugte sich zu mir herunter und flüsterte: „Zweitens: mir ist klar geworden, dass ich dich liebe und das schon ziemlich lange.“
„Du wirst es nicht glauben, aber das tu ich auch, Haru.“ Er sah mir tief in die Augen.
„Das hatte ich ehrlich gesagt gehofft,“ lachte er. Ich spürte sein lachen immer noch, als er sich wieder zu mir herunter beugte, um mich nochmals zu küssen. Der Kuss wurde jäh durch Aya unterbrochen, als diese uns mit meinem Schirm leicht auf die Köpfe schlug. „Schwachköpfe“, lachte sie und ging von dannen, wir ihr hinterher, begleitet von den Kirschblüten, die wie Schnee auf uns hinunter fielen.
Ich hatte es tatsächlich geschafft Konditorin zu werden. Haru und ich hatten noch den Meistertitel erworben, bevor wir uns dazu entschlossen zurück nach Japan zu gehen. Onkel Takeo war auf seinen letzten Tagen glücklich, er und auch Haru´s Familie gönnten uns unsere Liebe. Wir bezogen mein altes zu Hause in Sendai, wo ich auch die Familie meiner Mutter ausfindig machen konnte. Ihr Vater, mein Großvater, lebte nicht mehr, meine Großmutter jedoch empfing mich und auch Haru mit offenen Armen. Sie half uns dabei unser kleines Restaurant zu eröffnen, was auch sehr schnell zu einem der beliebtesten wurde.
Haru und ich erwarteten auch schon Nachwuchs. Irgendwann würden wir ihnen unsere Geschichte erzählen. Die Geschichte von zwei Menschen, die am Tag, als die Kirschblüten fielen, ihre Liebe fanden.
Texte: Alle Rechte liegen bei der Autorin
Tag der Veröffentlichung: 01.07.2011
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
"Wir leben unser Leben wie Wasser, das einen Hang hinabfließt,
gehen mehr oder weniger in eine Richtung,
bis wir auf etwas stoßen, das uns zwingt, einen neuen Kurs einzuschlagen
- Sayuri (Die Geisha) -
Mit diesem Buch möchte ich meine unendliche Liebe zu Japan ausdrücken, daher widme ich diese Gesichte diesem wunderbaren Land, auf das ich es irgendwann einmal selbst besuchen kann.