Der Tag fing genauso an, wie auch jeder Tag davor. Ich stand morgens auf, machte mich für die Schule fertig und ging hinunter in die Küche. Ich lebte bei der Freundin meiner Mutter. Meine Mutter starb vor einem Jahr bei einem Unfall, und Rei, ihre Freundin, nahm mich netterweise auf. Ich war sehr froh darüber, denn so lernte ich Luca kennen. Ich ging hinunter in die Küche, er saß meistens schon dort und aß. „Morgen“, wünschte er mir und lächelte mich auf so wundervoller Weise an, dass ich nur zurück grinsen konnte. Oh Gott, er war so umwerfend. Er ist zwei Jahre älter als ich, und schon in seinem letzten Jahr an der Schule. Da wir zum Glück auf die selbe gingen, konnten wir immer gemeinsam dorthin fahren. Unser Schulweg war auch nicht weit, mit dem Fahrrad waren es weniger als zehn Minuten. Ich packte mein Essen in meine Tasche und zog die Jacke an, Luca war schon fertig und wartete an der Haustür. Gemeinsam gingen wir hinaus und zu unseren Rädern.
In der Schule angekommen, wartete schon mein Bester Freund Adam auf mich. Ich drehte mich nochmal zu Luca um und lächelte ihn an, „Wir sehen uns nachher zu Hause, oder?“ „Versprochen“, antwortete er lächelte zurück und ging zu den Jungs aus seiner Klasse. Luca war einer der begehrtesten auf der Schule, alle Mädchen drehten sich nach ihm um. Mit seinen dunklen Haaren und seinen umwerfend grünen Augen war er einfach ein Blickfang. Doch irgendwie schaffte es kein Mädchen ihn zu begeistern. Ich sah ihm noch hinterher, drehte mich dann aber zu Adam um, der mich mal wieder, auf wissende Art angrinste. „Ahja … du solltest es ihm langsam sagen“, sagte er, „Ich weiß, ich mach es irgendwann, versprochen“, antwortete ich darauf. „Ich habe heute Morgen übrigens eine Krähe gerettet, sie lag auf unserer Veranda“, fing er an und redete begeistert darauf los, während wir zu unserem Klassenzimmer gingen und ich meinen Gedanken nach hing. „Hörst du mir zu?“ „Äh ja, natürlich.“, sagte ich. „Ich weiß wie sehr du Krähen liebst, vielleicht war es Schicksal, dass sie bei dir gelandet ist“, ich zwinkerte ihm zu und ging zu meinem Platz. Ich ließ mich auf den Stuhl plumpsen und drehte mich zu Adam um. „Ich kann ja nachher kurz bei dir vorbeikommen und sie mir ansehen“, sagte ich zu ihm. Er nickte. „Ich werde sie heute wohl wieder fliegen lassen, sie scheint gesund zu sein, sie war wahrscheinlich nur erschöpft.“ Unsere Unterhaltung wurde mit dem Klingelzeichen unterbrochen. Nach dem Unterricht gingen wir beide zu unseren Fahrrädern, Adam war schon aufgestiegen und wartete auf mich. „Was für ein schöner Tag, genau der richtige zum Fliegen“, sagte er. Ich nickte.“Ich werde schnell nach Hause und Luca beschied sagen, wir treffen uns dann bei dir“, sagte ich und radelte los. Als ich zu Hause ankam wartete Luca schon auf mich mit dem Essen. Begeistert stürzte ich mich auf es. Luca saß neben mir als plötzlich das Telefon klingelte ging er ran. Es dauerte nicht lange, da saß er auch schon wieder neben mir. Als ich aufgegessen hatte sagte er, „Ich muss mit dir reden.“ Er sah mich etwas traurig an. „Erst muss ich zu Adam, wenn ich wieder komme habe ich Zeit.“ Als ich zur Tür ging, stand er auf und hielt meinen Arm fest. „Genau darum geht es, Yuri. Seine Mutter hat gerade angerufen. Und ...“ Er sah auf den Boden. „Was ist los?“, fragte ich und Panik ergriff mich. „Yu, bitte, es tut mir leid, aber … Auf den Weg nach Hause wurde Adam von einem betrunkenen Autofahrer angefahren … Es tut mir so leid Yu, aber er ist tot.“ Ich starrte Luca an, unfähig auch nur etwas zu denken. „Er … wir … nein! Das kann nichts sein!“ Ich wollte mich von seiner Hand losreißen, doch er hielt sie weiterhin fest. Luca zog mich an sich. „Du kannst ruhig weinen“, war alles was er sagte und ich ließ meine Tränen laufen.
Eine Woche später wurde Adam beerdigt, ich war dort, Luca direkt neben mir. Er hielt meine Hand. Ich starrte die ganze Zeit auf Adams Grab, unfähig auch nur eine Träne zu weinen. Als alle gingen stand ich immer noch dort. Ich blickte in den Himmel hinauf. „Jetzt kannst du fliegen“, flüsterte ich. Plötzlich hörte ich ein flattern, ich drehte mich um und auch Luca. Als ich zum Grabstein blickte, saß dort auf einmal eine Krähe. Sie blickte mich direkt aus ihren schwarzen Knopfaugen an. „Das ist unheimlich“, flüsterte Luca neben mir, „Lass uns gehen Yu.“ Ich nickte, konnte jedoch immer noch nicht den Blick von der Krähe lösen. Sie sah auf Adams Grab hinunter und flog dann jedoch davon, weit hinauf in den Himmel.
„Meine Ma kommt heute wieder spät“, sagte Luca. Ich nickte. Die Krähe ging mir nicht aus dem Kopf. Von Adams Mutter wusste ich, dass die Krähe die er gefunden hatte an dem Tag verschwunden war, als er starb. Vielleicht war sie es gewesen und wollte nur Abschied nehmen. Ich verstand gar nichts mehr und ging einfach nur noch mechanisch neben Luca hinterher. Erst als wir zu Hause ankamen, ließ Luca meine Hand wieder los. Er wollte etwas zu mir sagen, ich jedoch ging in mein Zimmer hinauf und warf mich auf mein Bett. „Warum nimmt man mir alles weg, was ich liebe“, dachte ich. Ich verstand die Welt nicht mehr. Adam hatte noch nie etwas schlimmes in seinem Leben getan, wofür musste er also sterben? Der Mann der ihn angefahren hatte, wusste nicht einmal mehr davon. „Er weiß nicht, was er mir und den anderen angetan hat“, dachte ich weiter, „Warum nur?“, jammerte ich in mein Kissen und schlief mit Tränen in den Augen ein.
Die nächsten Wochen waren Horror für mich. Alles sahen mich mitleidig an. Doch keiner redete mit mir. Adam fehlte mir so. Er war mein einziger Freund hier gewesen. Ich saß alleine auf der Bank im Hof, auf der Adam und ich immer gegessen hatten. Ich sah niedergeschlagen auf meine Schuhe hinunter, als sich plötzlich ein Schatten über sie legte. Ich sah auf und Luca stand vor mir. „Willst du denn nichts essen?“, fragte er und setzte sich neben mir. Ich schüttelte den Kopf. „Yu, das kann so nicht weitergehen, du bist nur noch ein Strich in der Landschaft!“, ich zuckte nur mit den Schultern. Er schien wütend zu sein, stand auf und zog mich mit hoch. Ich sah zu ihm hinauf. Er blickte traurig zurück. „Bitte Yuri, tu dir das nicht weiter an, ich kann das nicht mehr mit ansehen. Ich habe einfach nur angst um dich!“ „Warum?“, fragte ich. Ich legte seine Hände auf die Schultern, blickte jedoch zur Seite. „Na … weil … ach ich kann es dir nicht sagen.“ Ich ließ den Kopf sinken und sah auf meine Füße. Er jedoch hob mein Kinn mit seiner Hand an und küsste mich. Ich war so erstaunt, dass ich erstmal nicht reagieren konnte. Ich besann mich jedoch und ließ meine Hände zu seinen Seiten gleiten. Ich genoss es, wie er mich küsste. Ich ließ jedoch von ihm ab, als ich ein flattern über mir hörte. Auch Luca hatte es gehört, doch sehen konnten wir nichts. Ich sah zu Luca hinauf, er grinste mich schüchtern an. „Sorry, ich wollte dich nicht überrumpeln“ „Ach was, schon okay“, antwortete ich und lächelte ihn an, das erste Mal wieder, seit Wochen.
Ich schwebte wie auf Wolken. Luca schien mich genauso zu mögen wie ich ihn. Ich war so froh darüber und fühlte mich, wie seit langem nicht mehr, so toll. Als ich an diesem Abend ins Bett ging, sah ich noch eine Weile aus meinem Fenster. Ich hörte Luca in seinem Zimmer aufräumen. Ich sah zu den Sternen, irgendwann müssen mir auch die Augen zugefallen sein, denn plötzlich träumte ich. Adam stand vor mir, auf seiner Schulter, eine Krähe. „Hi“, sagte er. „Ich träume doch nur, oder?“, fragte ich ihn. „Ja das tust du, aber nicht unterbewusst. Ich habe mich in deinen Traum geschlichen, um mich von dir zu verabschieden.“ Er lächelte mich traurig an. Ich sah in an. Er kam auf mich zu. „Ich konnte dich noch sehen, weißt du? Crow hier, hat dich die ganze Zeit beobachtet, ich wollte nur den richtigen Zeitpunkt abwarten, weil ich nur noch einmal in diese Welt kann.“ „Aber, .. wieso? Ich versteh nichts mehr.“ Ich hielt meinen Kopf fest und schüttete ihn. Ich spürte eine Berührung an der Schulter und sah auf. „Yu, ich stehe wirklich vor dir, auch wenn du nur träumst.“ Ich umarmte ihn. „Ich habe dich so vermisst“, flüsterte ich. „Ich dich auch“, antwortete er, „Doch ich habe nicht viel Zeit Yu.“ Er ließ mich los. „Es war so schön mit dir, doch ich muss gehen. Pass auf dich auf, du Tollpatsch“, er lachte. „Aber ... du kannst doch nicht gehen, bitte Adam!“, flehte ich. Er nahm meine Hand. „Ich werde immer bei dir sein, das verspreche ich.“ Ich schüttelte den Kopf, „Ich will nicht, dass du gehst. Woher soll ich wissen wo du bist?“ „Du wirst es wissen, Yu“, er lächelte mich an, „Ich muss weiter. Ich bin so stolz auf dich. Du hast es ihm endlich gesagt!“ Das waren seine letzten Worte, bevor er verschwand. Danach hörte ich mich selbst schreien. Ich schlug um mich, doch irgendjemand hielt mich fest. Ich öffnete die Augen. Luca war in mein Zimmer gestürmt und hatte mich in den Arm genommen. Er hielt mich jetzt fest in seinen Armen und versuchte mich zu beruhigen. „Ich habe Adam gesehen“, flüsterte ich. „Beruhige dich“, flüsterte er mir zu und legte sich zu mir aufs Bett. Er umarmte mich fest. „Schlaf weiter, meine Kleine“, war das letzte was ich hörte, bevor ich wieder einschlief.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, lag Luca immer noch neben mir. Die Sonne ließ seine Haare schimmern. Er sah so toll aus. Ich drehte mich zum Fenster, um nach draußen in diesen wunderschönen Morgen zu blicken. Luca bewegte sich neben ihr. „Komm her“, sagte er und nahm mich wieder in den Arm. Ich kuschelte mich an ihn.
Ein flattern war vor meinem Fenster zu hören und ich wusste, die Krähe war wieder da.
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2011
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Widmung:
Für T