Cover

Mach langsam, Mama

Mach langsam, Mama

 

Mach das wieder ganz! Mach das wieder ganz!“

Nein, das ist mein Stein!“ Die Stimmen meiner Jungs schwappen über in mein Gehirn, während ich mich darauf zu konzentrieren versuche, die dreckigen Teller übereinander zu stapeln.

Mach das wieder ganz!“

Auaaa, das ist mein … !“

MACH DASSSSS WIE-DER ...!“

Ich muss rüber. Ich stelle den käseverschmierten Teller auf dem Weg im Flur ab und haste in das Zimmer nebenan.

Erster Blick: Meine Jungs knien in einem Berg von Duplo, Luka zerrt an irgendetwas in Leos Hand.

Leo hat mir einen Stein geklaut!“

Das ist mein Stein. Luka hat...“

Zweiter Blick: Eddings liegen auf dem Fußboden zwischen den Steinen, offen, meine. Noch bevor mein Blick weiterwandern kann, um den Schaden abzuschätzen, brülle ich: „Luka! Leo!“

Die Schränke – angemalt. „Was habt ihr hier angestellt?!“

Dumme Frage, nicht zielführend. Also Korrektur: „Die Schränke sind angemalt!“

Das war Leo“, sagt Luka sofort.

Luka wollte mir kein Papier abgeben“, verteidigt sich Leo.

Mir ist egal, wer das war, die Farbe muss von den Wänden.“ Ich drehe gleich durch. Auch das noch. „Und zwar sofort!“

 

Eine einzige Katastrophe, der Tag heute. Er fing schon falsch an, heute morgen, im Bett.

Mama, raus da!“ Leo zieht an meiner Bettdecke und Luka lacht. „Die Sonne scheint.“

Sonne hin oder her, ich will schlafen.

Klick, klack, klick, klack – Da das an der Decke ziehen nicht hilft, spielen die Jungs am Lichtschalter. Klick, klack, klick, klack … Ungefähr 347 Mal, bis das Licht nicht mehr angeht.

Verdammt noch mal, jetzt muss ich die Birne austauschen!“, brülle ich umgehend, reiße mir die Decke vom Leib und stampfe wütend ins Bad.

Lassen Sie nicht zu, dass Ihre Kinder mit negativer Aufmerksamkeit Erfolg haben‘, meldet irgendein Erziehungsratgeber in meinem Kopf.

Okay. Zu spät dafür. Was mache ich nun?

Er schweigt.

Ich bin hundemüde. Auf Birne wechseln habe ich überhaupt keine Lust.

Ich habe auf nichts Lust, ich will ins Bett.

Aber das geht nicht.

Mama, Leo wäscht sich heute selbst!“ Leo steht strahlend vor mir, während ich noch auf dem Klo hänge.

Der Lappen ist neben dem Waschbecken“, grummel ich zwischen den Zähnen hervor und rolle mir zwei Blätter Klopapier ab. Unterdessen dreht Leo den Wasserhahn auf, maximaler Anschlag.

Nichts so viel Wasser, nicht so viel…!“

Mama, runter da, ich muss… - driiiiingend!“ Luka stürmt ins Bad, mit der Hand drückt er sich den Schritt zu. Ich schaffe es gerade noch, rechtzeitig zur Seite zu springen, bevor er sich auf die Schüssel fallen lässt. Seine Unterhose baumelt nass zwischen den Beinen.

Die Unterhose muss mit kaltem Wasser ausgespült werden. In der Wanne oder im Waschbecken“, sage ich.

Luka wippt mit den Beinen und konzentriert sich auf das Abwickeln von Klopapier.

Ich drehe mich um zum Waschbecken.

Platsch.

Platsch?

Mein Fuß steht in einer Pfütze, die Bodenmatte ist dunkelrot angelaufen. Leo hält den Waschlappen in den harten Wasserstrahl.

Springbrunnen! Springbrunnen!“, kreischt er vergnügt.

Ich kreische auch, weil mein Nachthemd davon nass wird.

Dreh den Hahn zu! Dreh den Hahn zu!“ Hektisch wedel ich mit einer Hand.

Nein, nein, nein“, sagt er.

Den Haaaahn!“, schreie ich.

Beleidigt dreht er den Hahn zu.

Leo wäscht sich heute gar nicht mehr. Und morgen auch nicht.“

Ich müsste jetzt mit ihm sprechen, so auf Augenhöhe, a la: ‚Schau mal Leo, ich sehe, dass du gern mit Wasser spielen möchtest, aber ich möchte nicht nass werden. Mir wird dann kalt und das mag ich nicht. Und es ist auch nicht gut für den Boden, wenn der nass wird… Lass uns gemeinsam eine Lösung suchen, die für uns beide okay ist.‘

Doch dafür müsste ich noch länger in der kalten Pfütze ausharren.

Ich entscheide mich für die schnelle Mama-wischt-alles-auf-Variante, nachdem Leo sich auf das Hinwerfen eines Handtuches nicht rührt.

Als ich mich wieder aufrichte, um das Handtuch über der Wanne auszuwringen, irritiert mich Leos strahlendes Gesicht. Ich folge seinem Blick und sehe, dass Luka inzwischen die komplette Klopapierrolle abgewickelt hat.

Luka, wickel das wieder auf. Und dann spül deine Unterhose aus.“

Mama, wann machst du die Lampe heil?“ Leo zupft an meiner Hose.

Nach dem Frühstück...“ Ich will jetzt wenigstens erst mal etwas im Bauch haben.

Früüüühstück!“, quietscht Leo und rennt los.

Lass die Milch im Kühlschrank!“

 

Knapp zwei Stunden später haben die Jungs das Schlachtfeld Küche verlassen. Milch tropft zwischen den Ritzen des ausziehbaren Tisches, Butter klebt an den Stellen, wo eigentlich die Teller auf dem Tisch hätten stehen sollen, Brotkrümel sind sowieso überall verteilt und das hartgekochte Ei schafft es unter Leos Fuß bis ins Bett.

Wobei wir wieder bei der Birne sind, die ausgetauscht werden muss.

Ich will nicht.

Wenn ich sowieso schon wach bin, dann will ich wenigstens meinen Roman lesen, der gestern mit der Post gekommen ist.

Ich schiele auf das Buch, das in der Küchenecke auf dem Schrank liegt. Die Meeresflüsterin. Hellblaues Meer und weißer Sand zieren das Cover.

Lies mich!‘, ruft es mir zu.

Ich kann nicht. Resigniert wische ich den Tisch, den Fußboden und stelle den Abwasch zusammen. Ich stapel gerade die Teller aufeinander, als es drüben schreit.

 

Edding geht nicht weg, hast du selbst gesagt“, informiert mich Luka.

Das ist mir egal!“

Aber Mama...“

Ich sammle alle Stifte ein, die ich finden kann. „Ihr werdet nie wieder ohne Aufsicht mit meinen Stiften malen!“

Sie hatten nie die Erlaubnis, mit meinen Stiften zu malen.

Mein Blick fällt auf das Sideboard mit den schnörkeligen Verziehrungen. Noch aus Unizeiten... Jetzt mit irgendeinem schwarzen Gekrakel. Eine Träne schleicht sich in mein Auge.

Aber woran nichts zu ändern ist, ist nichts zu ändern.

Ich stapfe wieder zurück in die Küche. Sollen die Jungs ihre Konflikte alleine lösen und sich meinetwegen dabei umbringen. Egal.

Ich wasche den Abwasch so schnell wie sonst nicht, und das will schon etwas heißen. Ich hasse nämlich Hausarbeiten, abwaschen, wischen, putzen. Wenn schon, dann wenigstens so schnell wie möglich, damit ich es hinter mir habe.

Vielleicht finde ich ja danach noch ein paar Minuten für mein Buch?

 

Da höre ich einen ohrenbetäubenden Krach aus dem Schlafzimmer, gleich darauf weinen von Leo.

Was denn jetzt schon wieder?

Ich lasse die Spülbürste fallen und hechte hinüber.

Was ist hier los?“ Mein hektischer Blick nimmt wahr, dass mindestens ein Schrank mitten im Zimmer steht, wo er nicht hingehört, sowie Leo auf dem Fußboden.

Leo aufheben, trösten - ist er runtergefallen oder ist nur etwas vom Schrank gefallen? Der Tritt vom Badezimmer liegt auf dem Boden… Sie haben doch wohl nicht? Ein Blick zur Decke…

Wir wollten die Birne wechseln“, sagt Luka kleinlaut.

Sie wollten mir helfen. Wenn ich nicht so müde wäre, würde ich glücklich darüber lächeln. „Aber ihr habt doch noch gar keine Ersatzbirne“, erwidere ich stattdessen.

Wir wollten erst mal die eine rausdrehen.“ Luka strahlt.

Ihr wolltet die Birne wechseln. Ihr hattet eine gute Absicht“, seufze ich, und mit Blick auf den Schrank und den Tritt: „So ein Tritt steht nicht stabil auf einem Schrank.“

Okay, das haben sie jetzt wohl selbst herausgefunden.

Ich hole einen Stuhl und drehe die Birne heraus.“ Dann stolpere ich über den vollgestellten Flur und das noch vollgestelltere „Wohn“zimmer und suche nach einer neuen Birne. Die Jungs sind mucksmäuschen still.

Der Schrank muss wieder an die Wand“, sage ich und die Jungs schieben kräftig.

Wumm!

Da war noch der Tritt im Weg gewesen.

Während ich den Schrank wieder hochhieve und wir gemeinsam alles einsammeln, denke ich an den Roman.

Ich könnte die Fenja sein, die heldenhaft…

Aaaaaa!“ Luka kreischt wie am Spieß.

Leo hat eine Schublade zugeknallt, Lukas Hand dazwischen...

 

Eine gefühlte Ewigkeit später ist die Birne hereingedreht und ich stehe wieder in der Küche, hebe die Waschbürste auf. Die Wäsche muss noch, und das nächste Essen…

Aber ich muss auch, und zwar dringend. Also ab zur Toilette, über den Flur –

Au!“ Was ist das unter meinem Fuß?

Eine Muschel vom letzten Strandtag. Oder vorletztem. Oder vielleicht auch aus dem letzten Jahr.

Blut fließt in Strömen, tropft auf das Laminat.

Gute Vitamin-D-Versorgung‘, denke ich und brülle: „Der Flur muss aufgeräumt werden!“

Meine Jungs, die bei meinem schmerzhaften Aufschrei noch ihre Köpfe durch die Zimmertür gesteckt hatten, verziehen sich wieder.

Nicht so wichtig, machen wir später. Oder gar nicht.

Ich humpel ins Bad.

Pflaster oder Toilette? Toilette oder Pflaster?

Toilette, ich kann nicht mehr.

Ich greife in den Klopapierstapel auf dem Fußboden unter mir, um mir gleichzeitig die Wunde zuzudrücken.

Irgendetwas mufft hier…

Ach ja, Lukas Unterhose. Noch immer ungewaschen auf dem Fußboden, natürlich.

Weil die Jungs aber gerade friedlich spielen, spüle ich schnell selbst die Unterhose aus, fege auf dem Flur alleine humpelnd ein paar Dinge zur Seite. Wische das Blut auf. Schnippel schon mal das Gemüse fürs Abendessen später. Arbeite ein bisschen. Bis wieder eins der Kinder kommt…

 

Der Roman liegt unterdessen auf seinem alten Platz. Ich nehme das Buch in die Hand, streiche über seinen Rücken und lege es seufzend wieder zurück.

 

Das Abendessen führt dazu, dass die pastellgelbe Küchenwand rot-braun-orange Sprenkel erhält.

Abwischen!“, schreihauche ich nur noch.

Der Fußboden – wie immer, man kann an ihm erkennen, was wir zuvor gegessen haben.

Der Flur fehlt auch noch!“, brülle ich den Jungs hinterher, als sie schon längst durch die Tür sind.

Und der Abwasch!“

Niemand reagiert mehr.

Ich wische noch schnell die letzten Reste vom Tisch, die die Jungs übersehen haben. Und weil sie schon wieder friedlich spielen, gehe ich ins Bad, um ein Wischtuch für den Boden zu holen, vorbei an dem Buch in der Ecke, das mit dem Meer und dem Strand…

Moment mal.

Ich schlender ins Bad, trällere unterwegs: „Jungs, der Küchenfußboden muss gewischt werden. Macht ihr das?“

Keine Reaktion.

Und in der Küche steht auch noch der Abwasch...“

Niemand rührt sich. Luka und Leo spielen so friedlich, wie sie es immer dann tun, wenn sie etwas im Haushalt erledigen sollen.

Ich hüpfe zurück in die Küche und wische den Boden.

Noch ein letzter Test: „Kommt ihr jetzt bitte zum Abwaschen?!“

Niemand kommt. Alles still. Juchhu!

Ich ziehe einen Stuhl vom Küchentisch, schnappe mir das Buch und lasse mich auf den Stuhl fallen.

Endlich. Meins. Ich kann lesen.

Und wenn doch einer kommt?

Dann stehe ich auf und wasche gaaanz langsam einen Teller ab. Wer hat schließlich gesagt, dass Haushalt schnell gehen muss?

Eben.

Und falls jemand länger bleiben möchte?

Dann springe ich fröhlich auf und sage: „Oh wie gut, dass du hier bist! Hilfst du mir beim Abwaschen oder räumst du schon mal den Flur auf?“ Entweder hilft er mir, oder, wahrscheinlicher, dampft gleich wieder ab.

 

Die nächste Stunde ist meine.

 

Impressum

Texte: June F. Duncan
Tag der Veröffentlichung: 30.04.2020

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Müttern und Vätern kurz vor dem Nervenzusammenbruch :-)

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