Lange Jahre war der Himmel ein Ort von Harmonie und Frieden – jeder arbeitete was und so viel wie er konnte. Frau Holle zum Beispiel schüttelte wahnsinnig gerne Betten aus – also durfte sie Betten ausschütteln, und die Menschen auf der Erde freuten sich über den Schnee. Herr Donar hingegen liebte es, fürchterliche Donner zu verschicken (er war etwas aggressiver veranlagt als Frau Holle) – aber warum sollte es nicht auch hin und wieder einmal einen Donner geben, sagte der Himmelsrat, dessen Vorsitz Petrus hatte, und also erlaubten sie ihm, das zu tun, was er am liebsten machte und am besten konnte: Er durfte Donner auf die Erde schicken. Wenn Frau Holle oder Herr Donar nun einmal Hunger hatten zum Beispiel, dann gingen sie zu Frau Fauna, die sich darum kümmerte, dass die Äcker und Felder fruchtbar waren und gute Ernte einbrachten. Sie gab ihnen dann, was sie brauchten. Ähnlich verlief es zwischen den anderen Himmelsgöttern: Jeder arbeitete, was er konnte, und was er darüber hinaus brauchte, das bekam er von einem anderen geschenkt. So herrschte lange Zeit Harmonie und Frieden im Himmel.
Aber eines Tages meinte der Himmelsrat, er müsste mal etwas Neues ausprobieren, es könne ja nicht jeder Tag im gleichen Trott weitergehen.
„Die Menschen sehen täglich zu uns auf“, sagte Petrus, „Aber warum sollten wir nicht auch einmal etwas von den Menschen übernehmen? Sie leben doch ganz gut da unten?“
Ein zustimmendes Nicken ging durch den Saal.
„Die Einführung des Geldes zum Beispiel, das ist doch eine gute Sache. Es ermöglicht einen unkomplizierten Tauschhandel. Und die Bezahlung nach Leistung. Ich meine, seien wir doch einmal ehrlich: Es gibt hier einige unter uns, die arbeiten nur recht wenig. Schaut euch zum Beispiel Herrn Donar an. Wie oft schickt der denn seine Donner aus? Andere wiederum arbeiten fast den ganzen Tag – wenn ich da nur an Herrn Sol denke, der im Juni die Sonne 17 Stunden lang scheinen lässt. Wäre es nicht gerechter, diejenigen, die mehr arbeiten, würden auch mehr Geld bekommen und könnten sich davon dann auch mal so richtig Urlaub leisten?“
Petrus Vorschlag wurde vom Rat mit großer Mehrheit angenommen und also führten sie im Himmel das Geld und die Bezahlung nach Leistung ein.
‚Fein’, dachte sich da Frau Holle, ‚wenn ich ein bisschen mehr arbeite, dann kann ich mir von dem Geld mal so richtig Urlaub gönnen.’ Also schüttelte sie fortan täglich 14 Stunden lang die Betten aus.
Und genauso dachten Herr Donar, Herr Hagel, Herr Regen und Herr Sturm.
Herr Sol hingegen, der in den Sommermonaten für das Sonnenscheinen ja eine Menge Geld zur Verfügung hatte, dachte sich, er könne jetzt endlich mal zwei Wochen Urlaub machen, so wie die Menschen das auch taten, und also verließ er seinen Platz am Himmel und fuhr ans Mittelmeer, um zu entspannen.
Und so schneite, donnerte, regnete, hagelte und stürmte es plötzlich täglich auf der Erde und die Sonne wurde nicht mehr gesehen.
„Das kann so nicht weitergehen“, sagte Petrus gegenüber dem Himmelsrat, „Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Was machen denn die Menschen, um diesem Chaos entgegen zu wirken?“
„Geregelte Arbeitszeiten“, sagte ein junger Bote, der gerade von der Erde wiedergekommen war. „Sie legen fest, wer wann arbeitet.“
„Gut, dann werden wir das auch tun“, sagte Petrus und also führten sie die geregelten Arbeitszeiten ein.
„Das ist aber unfair“, sagte Herr Sol, „dass ich jetzt von fünf bis 22 Uhr arbeiten soll. Seht euch mal Herrn Donar an, der macht kaum etwas.“
Herr Donar aber kam zum Rat gelaufen: „Wie soll ich von dem Geld leben, hä? 7,89 € pro Stunde, und das bei nur sieben bis vierzehn Stunden Arbeit pro Monat! Das geht nicht.“
Der Rat sah in den Büchern nach, die die Boten ihm für diese Fälle bereitgelegt hatten.
„Sie müssen sich einen Nebenjob suchen und sich etwas Geld dazu verdienen. Vielleicht könnten Sie bei Herrn Sol aushelfen, der sucht eine Vertretung von fünf bis acht Uhr morgens, das wäre doch etwas für Sie, oder? Sie erhalten für die erste Stunde sogar eine Zulage für die Nachtarbeit in Höhe von 25%.“
Also ging Herr Donar zu Herrn Sol und ließ die Sonne jeden Morgen von fünf bis acht Uhr scheinen. Da er darin aber nicht besonders gut war und außerdem frustriert, weil er etwas tun sollte, das ihm nicht lag, drehte er das eine oder andere Mal die Gasschalter etwas zu weit oder zu schnell auf, so dass es gewaltige Gasexplosionen im System von Herrn Sol gab.
„Ich kann mit Herrn Donar nicht zusammenarbeiten“, klagte Herr Sol deswegen vor dem Rat, „Er ruiniert mir mein ganzes Sonnensystem.“
„Das ist ein klarer Fall für eine ‚außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund’“ Petrus zeigte auf das Kapitel in seinem Buch. „Sie dürfen ihm fristlos kündigen.“
Herr Sol zögerte nicht lange und kündigte Herrn Donar.
„Und was mache ich jetzt?“ Herr Donar stand wieder wütend vor dem Himmelsrat.
„Sie müssen sich etwas anderes suchen“, antwortete der Rat.
„Und bis dahin? Ich habe kein Geld“, sagte Herr Donar und zeigte ihm seine leeren Taschen.
„Tja, da Sie eine verhaltensbedingte Kündigung erhalten haben, bekommen Sie auch die nächsten drei Monate keine Hilfe vom Himmelsamt. Da müssen Sie schon selber sehen, wie Sie klar kommen. Am besten, Sie suchen sich eine neue Arbeitsstelle. Wie sieht es aus, wenn Sie die Vertretung von Frau Holle übernehmen? Sie ist gerade krankgeschrieben.“
„Ich soll Betten ausschütteln?“
„Nur hin und wieder, in der Winterzeit.“
„Es ist jetzt aber Sommer.“
„Ach ja, na dann gehen sie doch zu Frau Fauna, die sucht noch jemanden, der sich um ihre Pflänzchen kümmert.“
Während Herr Donar also zu Frau Fauna ging, um seinem neuen Nebenjob nachzukommen, saß Frau Holle beim Himmelsarzt.
„Können Se mich nich’ schnell wieder gesund machen, Herr Doktor? Ich hab’ ja gar kein Einkommen im Moment. Und das, was ich vom Himmelsamt bekomm’, das reicht vorn’ und hinten nich’.“
„Leider nein, Frau Holle. Es würde Ihnen aber gut tun, sie würden sich Hyaluronsäurespritzen gegen ihre Beschwerden geben lassen.“
„Und wer bezahlt mir die?“
„Das weiß ich leider auch nicht. Ich fürchte, dafür müssen Sie selbst aufkommen. Aber gehen Sie mal zum Himmelsrat, der kann Ihnen vielleicht weiterhelfen.“
Also ging Frau Holle zum Himmelsrat und schilderte ihr Problem.
„Ja ja, ich verstehe Sie“, sagte Petrus. „Aber für solche Fälle sehen die Menschen nur die 374 Euro plus Mietkosten plus Krankenkassenkosten vor, die sie jetzt erhalten. Hyaluronsäurespritzen bei Arthrose fallen nicht unter die Kassenleistung, die müssen Sie also selbst tragen.“
„Und wie soll das geh’n, bitte schön?“
„Sie müssen mit Ihrem Geld besser haushalten. Hier steht ganz deutlich, dass 374 Euro zum Leben ausreichen. Vier Prozent davon sind für solche Fälle wie Ihren vorgesehen, Moment...“ Petrus suchte den Taschenrechner heraus, „Das sind immerhin 14,96 Euro.“
„Hören Se ma’ zu, ich bin jetz’ über tausend Jahre alt...“
„Oh, ja, in der Tat, Moment, dann müssen Sie gar nicht mehr arbeiten, dann können Sie Rente beanspruchen. Sie erhalten dann...“ Petrus blätterte in seinen Unterlagen und tippte wieder etwas in seinen Taschenrechner. „452 € - das wäre doch was?“
„Das ist ja noch nich’ ma’ das, was das Amt mir gibt.“
„Hm, stimmt, also dann gehen Sie erst zum Himmelsrentenamt und danach zahlt Ihnen das Himmelsamt ...“
„Schluss, mir reicht’s!“ rief Frau Holle dazwischen. „Ich such’ mir jetz’ Verbündete, und dann stürzen wir dies’ miese System!“
„Immer mit der Ruhe, Frau Holle. Ich verstehe Ihre Aufregung, aber bei den Menschen funktioniert es doch auch.“
„Nichts Ruhe, ich geh’ jetz’ und...“
„Dann müssen wir Sie leider festnehmen und ins Gefängnis bringen. Zur Wahrung der Sicherheit im Himmel.“ Zwei Wächter packten Frau Holle plötzlich von hinten und zerrten sie mit sich.
„Das darf ja wohl nich’ wahr sein, eine Unverschämtheit is’ das, ich will mein altes Leben zurück!“, brüllte sie, während die Uniformierten sie den Weg zum Gefängnis zogen.
„Sie können sich einen Anwalt suchen, der Ihre Rechte vertritt“, sagte einer der Wächter. „Da Sie einer der ersten Prozesse sind, warten Sie auch nicht so lange. In drei Monaten dürfte Ihr Fall verhandelt werden.“
„In drei Monaten? Spinnen Se?“
„Wir gehen davon aus, dass Zukünftige noch länger warten, bis zu einem Jahr – jedenfalls ist das auf der Erde so...“
Und während Frau Holle noch fluchte und um sich trat, regte sich Frau Fauna über ihren neuen Mitarbeiter auf, der zu grob mit ihren Pflänzchen umging.
Die Beschwerden beim Himmelsrat wurden immer häufiger und länger.
„Das kann so nicht weitergehen“, eröffnete Petrus schließlich dem Himmelsrat. „Ich habe den Eindruck, niemand ist mehr zufrieden.“
Der Himmelsrat nickte.
„Neid und Missgunst sind ausgebrochen zwischen den Himmelsbewohnern“, sagte der erste Vertreter.
„Und großes Elend bei denjenigen, die nicht genug arbeiten können, weil sie zu schwach oder nicht für die Arbeit geeignet sind“, ergänzte ein zweites Ratsmitglied.
„Ganz abgesehen von der Arroganz bei denjenigen, die plötzlich mehr Geld haben als andere...“, fügte ein dritter hinzu.
„Was machen wir nun also? Haben die Menschen da eine Lösung für?“
„Marxismus“, rief ein junger Bote enthusiastisch in den Saal. „Alle erhalten das gleiche Geld für ihre Arbeit.“
„Religionen“, rief ein anderer. „Die vertrösten die Gläubigen auf uns.“
„Das stimmt so aber nicht“, warf ein alter Mann mit dickem Bauch und Lachfältchen auf der Stirn ein. „Der Buddhismus zum Beispiel ...“
Ehe sie sich versahen, brach eine hitzige Diskussion unter den Ratsmitgliedern aus.
„Ruhe!“, brüllte Petrus schließlich. „Ich will nur eins wissen: Funktioniert irgendetwas von den Vorschlägen der Menschen?“
Ein allgemeines Kopfschütteln ging durch den Saal.
„Darum sehen sie ja zu uns auf“, sagte schließlich ein Ratsmitglied, das sich zuvor seiner Stimme enthalten hatte.
„Wenn das so ist...“, Petrus seufzte, „schlage ich vor, wir machen alles wieder rückgängig und belassen es so, wie wir es früher hatten. Wir schaffen das Geld ab und die Ämter, jeder bekommt wieder das, was er zum Leben braucht, egal wie viel und was er arbeitet. Und jeder darf wieder der Beschäftigung nachgehen, die er am liebsten tut und am besten kann.“
Petrus Vorschlag wurde einstimmig angenommen und so herrschte wieder Frieden und Harmonie im Himmel.
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Und wenn du ganz brav bist, dann kommst du eines Tages vielleicht auch dorthin...
Texte: June F. Duncan
Bildmaterialien: Cover: Stefan Bayer / PIXELIO, www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 17.11.2014
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