Cover

Der Gartenkünstler

 

 

 

 

 

 

Ihr seid die Zeit.

Seid ihr gut, sind auch die Zeiten gut.

(Augustinus von Hippo)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Weißt du eigentlich, Mr. Protzbock wie gut es dir geht?! Weißt du das?!

Ich gebe dem abgebrochenen Keramikvogel, der vor mir auf dem Gehweg liegt, einen kräftigen Tritt, so dass er ein paar Meter über die Platten geschleudert wird.

Wie kann man sein Anwesen nur so verkommen lassen! Geld wie Dreck haben und dann sein Haus und den Garten so verfaulen lassen! Aber das ist mal wieder typisch heute – Ich starre durch das gusseiserne Tor auf die Vorderfront des Hauses. Zwei Stockwerke, ausladende Balkone und dann – abgeblätterte Farbe! Efeu! Fehlt nur noch, dass der Putz von den Wänden fällt!

Das ist so typisch für die Menschen heute, dass sie nichts mehr zu schätzen wissen, dass sie alles verrotten lassen – Häuser, Gärten, Menschen. Wegwerfen, neu kaufen. Die Alten ausrangieren. Aus dem Leben in den 1-Euro-Job. Ölreste aus Auffangbecken entfernen, Hühner köpfen, Schweine halbieren. Und das nennen sie dann ‚sozial’. Dabei unterstützen sie dadurch nur die Arbeitgeber, die das Geld in die eigene Tasche stecken. Aber das kapiert ja niemand. Die Schüler werden immer dümmer, und das Ganze schimpft sich dann Pädagogik. Ringelpiez mit Anfassen ist das, Beschäftigungstherapie für die Masse, die hinterher dumm bleibt, um solchen Herren wie Mr. Protzbock die Villa zu ermöglichen.

Wütend schlage ich mit der flachen Hand gegen das Tor – Rost!

Wie viele Arbeitslose hätten hier Platz? Und wenn es nur vier wären, so wären es vier weniger, die in einer Ein-Zimmer-Wohnung hocken müssten. So wie ich. Mit 52!

Aber das interessiert ja niemanden. Heutzutage gibt es nur noch einen Haufen Egoisten, die sich für nichts mehr interessieren als für sich selbst. Meinen Dreck? – Ich starre auf den Vogel, der auf dem Gehweg liegt – Sollen andere wegräumen.

Hätte er die Tränke ordentlich befestigt, wäre das nicht passiert. Aber nein, er hat sie ja verrotten lassen – wie alles andere hier.

Wütend hebe ich den Vogel auf und pfeffere ihn in den Garten, direkt in die Rosen.

Ha, jetzt musst du dich bücken, Protzbock, wenn du ihn wiederhaben willst! Vielleicht schneidest du bei der Gelegenheit dann auch gleich mal deine Rosen ordentlich zurück!

 

Erst habe ich gedacht, das sei eins dieser vielen Häuser, die man leer stehen lässt. Weil es sich nicht lohnt, sie in Stand zu halten. Aber dann habe ich sie mit ihren Limousinen vorfahren sehen. Ein gusseisernes Tor, das sich automatisch öffnet. Automatisch! Nicht mal mehr ihre Hände gebrauchen sie heutzutage.

Mr. Protzbock ließ sich chauffieren. Von drei Wagen. Alle nagelneu, glänzend. Haben ein Theater um den Mann veranstaltet, ihn vor den Blicken Neugieriger geschützt. Als wenn irgendein anderer Mensch außer mir im Regen auf dem Gehweg gestanden und sie durch den Zaun beobachtet hätte.

 

Auf dem gemauerten Pfeiler, der das Tor einfasst, steht der Rest der Vogeltränke. Ein flacher Teller, auf dessen Rand drei Vögel sitzen – und ein abgebrochener Stumpen. Ihre Farbe ist verblasst, Algen verschmieren ihr Gefieder. Laub vom letzten Jahr fault in dem Wasserrest, und eine Schnecke klebt unter dem Rand des Tellers.

Du solltest deine Hände endlich mal gebrauchen!, fluche ich und gebe der Tränke einen Schubs, so dass sie vom Sockel in das Gras jenseits des Zaunes fällt.

 

Herr Meindl, ich habe gute Nachrichten für Sie.“ Die Frau Anfang dreißig vom Jobcenter lächelt mich dümmlich an.

Was ist es diesmal? Wieder Öl abschöpfen? Hähnchen köpfen und ausnehmen? Schweine halbieren?

Schulze Metallbau sucht für die nächsten sechs Wochen jemanden für die Spätschicht. Ich habe Sie schon dort angemeldet. Heute Nachmittag um 14 Uhr fangen Sie an.“

Wie verkehrt ist diese Welt? Ich habe doch etwas in der Birne. Und nun soll ich Metallteile sortieren – für die Limousinen, wie Mr. Protzbock sie fährt.

Sie wissen ja genau so gut wie ich, dass es für Sie auf dem Arbeitsmarkt derzeit keine anderen Angebote gibt. Sie sind einfach in einem Alter ...“

Alte Schnepfe. Nein, jungen Schnepfe. Wie kann es angehen, dass ein so junges Mädel, das von der Welt noch nichts gesehen hat, sich anmaßen kann, mich zurecht zu weisen.

Sehen Sie es mal so: Sie sind für die nächsten zwei Monate aus dem Alg-II-Bezug raus.“ Sie strahlt mich an, als hätte ich das große Los gezogen.

Ich nicke notgedrungen und lasse mir die Adresse und den Namen des Vorarbeiters geben, bei dem ich mich melden soll. Widerspruch wäre zwecklos – und ich kenne die Lage auf dem Arbeitsmarkt sehr wohl.

 

Der erste Arbeitstag ist anstrengend, weil monoton. Auf dem Weg von der Bushaltestelle nach Hause komme ich am Haus von Mr. Protzbock vorbei. Es ist elf Uhr nachts. Verschlafen liegt der Garten da, die Zweige der alten Eichen wiegen sich im leichten Sommerwind, irgendwo raschelt es im Dickicht des hohen Grases – oder der Büsche. In dem Urwald, den der Garten derzeit bildet, kann ich das schwer ausmachen. Auf Höhe des Tores bleibe ich stehen.

Hat er die Tränke weggeräumt?

Ich blicke hinter den Pfeiler – zwei Schnäbel ragen durch das Gras in die Luft wie Jungvögel aus ihrem Nest.

Noch nicht einmal den Müll räumt er aus seinem Garten weg!

Den stört wohl gar nichts. Da müsste erst einer kommen und ihm rosa Schweinchen an die Hauswand malen, die Buchsbäume in MikeyMouse-Figuren schneiden oder den Zaun in knalle Pink streichen.

Ich muss grinsen. Das hätte was.

 

Der Gedanke lässt mich bedauerlicherweise nicht los. Dienstag Nacht schleiche ich um das Anwesen herum – weil ich mal sehen will, wie es von anderen Seiten aussieht, sage ich mir. Tatsächlich ertappe ich mich allerdings dabei, wie ich nach Bäumen Ausschau halte, deren Zweige über den Zaun hängen, einem niedrigen Schuppen, auf den ich klettern könnte oder Ähnliches. In der Nord-Ost-Seite des Gartens werde ich schließlich fündig. Dort steht tatsächlich ein kleiner Schuppen direkt an der Grundstücksgrenze. Wenn ich mir eine billige Leiter besorgen und in dem Gestrüpp nebenan verstecken würde, wäre es ein Leichtes, über den Zaun zu klettern. Selbst mit Farbeimer und –rolle.

Ich gebe Mr Protzbock eine Frist bis Donnerstag, die Tränke weggeräumt und den Garten in Schuss gebracht zu haben – was natürlich nicht passiert, weder das eine noch das andere – dann gehe ich in den Baumarkt und kaufe Farbe in einem zarten Schweinchenrosa, sowie Folie, Klebeband und Farbrolle.

Selbst am Freitag gebe ich ihm noch einmal eine Chance, schlendere am Tor vorbei und werfe einen Blick in das Gras – doch die Tränke liegt dort immer noch.

So soll es also sein. Ich werfe einen Blick auf das Anwesen – die Lichter im Haus sind schon erloschen.

Obwohl mir das Herz bis zum Halse schlägt, kann ich mir ein Kichern nicht verkneifen. Ich eile zu besagtem Schuppen, stelle die Leiter an den Zaun und klettere mit meinem ganzen Kram hinüber.

Hört mich jemand?

Ich sehe nichts.

Ich springe vom Schuppen und stapel mir als erstes – für den Fall, dass ich schnell fliehen muss – einigen Sperrmüll so, dass ich eine provisorische Leiter auf das Dach des Schuppens zurück habe. Dann schleiche ich durch das hohe Gras zur Vorderfront des Hauses. Einen Moment lang bekomme ich einen riesigen Schreck, weil ein Spot am Hauseingang angeht. Aber nichts rührt sich. Also schleiche ich weiter zum Bewegungsmelder und stelle ihn auf ‚aus’. Erste Hürde geschafft. So leise wie möglich rolle ich die Folie ab und lege sie vor die Wand, dann rühre ich die Farbe an. Weil ich nicht so recht weiß, was ich jetzt tun soll, male ich kleine Schweinchen an die Wand. Sehen gar nicht so schlecht aus. Nachdem ich damit etwa eine Stunde verbracht habe, packt mich jedoch die Angst. Schweine an der Wand könnte man natürlich als Hausbeschmierung ansehen. Besser, ich streiche die Wand doch komplett rosa an, dann sieht es gewollt aus. Dabei stelle ich fest, dass ich ziemlich perfektionistisch veranlagt bin. Das schludrige Überstreichen, mit dem ich zunächst anfange, bessere ich immer weiter aus, bis ich schließlich den Eindruck habe, die gesamte Front – für einen Erstanstrich – einigermaßen sauber gestrichen zu haben.

Um halb fünf bin ich zufrieden und schleiche wieder über den Schuppen zurück nach draußen. Im Haus hat sich die ganze Zeit über nichts getan. Als ich über den Gehweg nach Hause gehe, kann ich als Erster mit der Morgensonne einen Blick auf mein Werk werfen. Perfekt. Jetzt muss er aktiv werden. Niemand lebt freiwillig in einem Haus in schweinchenrosa!

 

Bis Montag zügle ich meine Vorfreude und zwinge mich, eine andere Spazierrunde zu gehen. Erst zwei Stunden bevor ich wieder zur Arbeit muss, gehe ich zu Mr. Protzbocks Anwesen.

Das gibt’s doch nicht! Die Wand schimmert noch in dem gleichen Rosa wie am Samstagmorgen! Ist er farbenblind? Oder einfach nur ignorant?

Aber was der kann, kann ich auch. Ich biege an der nächsten Ecke ab in Richtung Stadt. Das wäre ja gelacht. Jetzt gibt es doch Schweinchen, und was für welche!

Im Baumarkt entscheide ich mich am Farbregal für ein warmes Pink. Schließlich sollen sich die Schweinchen vom Hintergrund abheben. Außerdem für einen noch dunkleren leicht braun eingefärbten Ton – denn wenn schon Schweinchen, dann sollen sie auch fröhlich lachen können und Augen haben. Ich will gerade das Regal verlassen, da springt mich ein Neonrosa an. Das wäre die perfekte Hintergrundfarbe für den Zweitanstrich! Und dann auch noch im Sonderangebot. Ich kann es nicht lassen.

Nach Feierabend mache ich mich beschwingt auf zum Anwesen von Mr. Protzbock. Alle Lichter im Haus sind aus. Hervorragend. Ich klettere über den Zaun und streiche die ganze Nacht über die Hauswand in neonrosa. Als die Sonne über den Horizont klettert, bin ich fertig. Was für ein Anblick, als ich nach Hause gehe. Die Wand springt einen förmlich an! Selbst durch den rostigen Zaun hindurch.

 

Dienstag ertappe ich mich dabei, wie ich hoffe, dass die Wand rosa geblieben ist. Immerhin will ich mein Werk jetzt noch vollenden. Tatsächlich hat sich nichts getan. So schnell hat er vermutlich keinen Maler gefunden – nicht einmal Mr. Protzbock.

Das Außenlicht geht immer noch nicht an, als ich in den Hausschatten schleiche. Hat er wohl nicht für nötig gehalten, wieder korrekt einzustellen, oder noch gar nicht bemerkt. Die schwarze Limousine parkt aber heute an einer anderen Stelle. Er ist also zu Hause. Draußen muss er auch schon gewesen sein. Die Wand muss er also gesehen haben. Zwanzig Minuten kauer ich deswegen im Dunkeln an der Hauswand und warte, ob sich etwas tut. Als alles still bleibt, schleiche ich mich aus meinem Versteck hervor und beginne mit dem Malen. Erst ein kleines Schweinchen in den unteren Bereich, dann ein größeres. Ich werde immer mutiger, die Schweinchen größer und lustiger. Ringelschwanz, grinsendes Gesicht und lachende Augen – alles dran. Ich wusste gar nicht, dass ich so ein Talent habe. Fast schon bedaure ich, dass diese Wand das nächste Wochenende wieder weiß sein wird – aber eine solche Bemalung kann nun wirklich kein reicher Schnösel, der etwas auf sich hält, an der Wand lassen.

 

Mittwoch entscheide ich, dass sich die Renovierungsarbeit für Mr. Protzbock, der er mit Sicherheit am Wochenende nachgehen wird, auch lohnen soll. Damit er den Zaun nicht übersieht, und weil ich gerade in Streichlaune bin, besorge ich Lack – passend zum Rosa in mirabellengelb. Weil der Zaun vorne zur Straße hin natürlich recht groß ist und das Risiko, entdeckt zu werden, auch, streiche ich nur jede dritte Strebe. Sieht ja schon mal gewollt aus. ‚Akzente setzen’ würde ich das nennen, wenn ich es verkaufen müsste.

Da auch Donnerstag alles ruhig bleibt, besorge ich mir ein frisches Grasgrün und streiche die nächsten Streben. Freitag in himmelblau die letzten. Jetzt bin ich gespannt, was passiert. Ich unterdrücke über das Wochenende wieder mein Bedürfnis, vorbei zu schauen, und außerdem muss ich auch meinen Schlaf nachholen. Am Montag stehe ich jedoch schon drei Stunden, bevor ich los muss zur Arbeit, vor besagtem Anwesen.

 

Das gibt es doch gar nicht! Ist der Mann blind? Hat er keine Berater? Oder ist er einfach so grotten geizig? Die rosa Wand, die Schweinchen, der Zaun – alles noch da!

Na gut, wenn er nicht will, dann muss ich mir eben noch mehr einfallen lassen. Ich werde das gesamte Anwesen so umgestalten, dass er am Ende meiner sechs Arbeitswochen bei Schulze Metallbau nicht anders kann, als eine ganze Horde Gärtner und Maler zu bestellen. Der wird gucken.

 

Von nun an nehme ich mir den Garten vor. Da gibt es diverse Orte, an denen ich mich austoben kann. Als erstes die Buchsbäume. Ich lasse meiner Kreativität freien Lauf und schneide verschiedene Tiere – Igel, Schnecke, Katze, Hund. Einen Hund, der sitzt, einen Hund, der Männchen macht, einen Hund, der sein Geschäft verrichtet, zwei Hunde, die Liebe machen. ‚Liebe machen’ inspiriert mich dazu, die Rosensträucher, die in der Mitte des Gartens neben der Auffahrt schon eine beachtliche Länge von etwa fünf Metern erreicht haben und aus diesem Grund umkippen, zu einer Herzform zusammenzubinden. Ähnlich gestalte ich andere Kletterpflanzen.

Nichts tut sich unterdessen. Ich weiß, dass er da ist, denn tagsüber ist zeitweise Licht im Haus und die Vorhänge sind unterschiedlich weit zurückgezogen.

Eines Tages nehme ich mir ein besonderes Werk vor, an dem ich länger als eine Nacht sitzen werde: Che Guevara. Auf dem Dach. Mehrere Tage lang habe ich im Bus geübt, den schwarzen Anteil der schwarz-roten Skizze zu zeichnen. Natürlich ist es ein großer Unterschied, ob man eine kleine Skizze in Din A4 anfertigt oder eine Fläche von wenigstens vier Quadratmetern. Aber verlieren kann ich ja nichts, schließlich ist es nicht mein Dach, auf dem die schwarzen Schatten prangen werden.

Ich husche gerade mit der Leiter unter dem Arm an der Haustür vorbei, um sie an einen der Balkone zu stellen, als mir ein Zettel auffällt, der an der Tür hängt.

Lieber Künstler, steht dort in einer etwas krakeligen Handschrift, bitte melden Sie sich bei mir, wenn Sie das nächste Mal hier sind.

Macht der Witze? Glaubt der wirklich, dass ich das tue? Für wie blöd hält der mich? Mal abgesehen davon bin ich kein Künstler.

Eigentlich sollte ich jetzt schleunigst das Weite suchen und niemals wieder zurückkehren. Aber irgendetwas in mir will nicht, dass ich mein Projekt halbfertig aufgebe. Also klettere ich so leise es mir möglich ist auf die Leiter und beginne das Projekt Che. Zugegeben, das Dach ist in Ordnung, da habe ich nun wirklich keinen Grund, dran herumzuwerkeln. Aber ich kann nicht anders. Das Problem neben meinem Ehrgeiz ist nämlich auch, dass es mir inzwischen Spaß macht. Die Arbeit bei Schulze Metallbau unterfordert mich maßlos. Ich kann gar nicht anders, als mir während der lästigen Sortierarbeiten vorzustellen, was ich nachher alles an ‚meinem’ Anwesen gestalten werde. Es hält mich aufrecht.

 

Ich benötige drei Tage, bis es fertig ist. Gestört werde ich dabei nicht, auch wenn ich mich bisweilen beobachtet fühle. Aber ich habe ein gutes Gehör, und ich höre niemals die Tür oder das Tor aufgehen. Jetzt verbleiben mir nur noch zwei Tage, dann sind die sechs Wochen um. Um den Job bei Schulze Metallbau trauere ich nicht, aber um das Projekt hier schon. Es gibt nun vor allem noch eine Sache zu tun, und das ist die heikelste, weil sie Krach macht: Rasen mähen. Aber Donnerstags steht Mr Protzbocks Limousine nie vor der Tür, da ist er nicht zu Hause. Gute Chancen für mich, das Werk zu vollenden.

Dieses Mal schleppe ich also Rasenmäher und Benzinkanister in den Garten. Ich beginne vorsichtshalber weiter hinten, um zu checken, dass er wirklich nicht zu Hause ist. Doch die Luft ist rein. Also rattere ich über den Rest des Rasens, ziehe meine Kreise, nein Herzchen, pfeife ein Lied und höre erst gar nicht, dass man mich ruft.

Dann jedoch fährt mir der Schreck in die Glieder.

Hallo, endlich lerne ich Sie kennen“, sagt eine etwas schwache, aber freundliche Stimme, gefühlt maximal zwei Meter entfernt von mir in meinem Rücken.

Scheiße!

Was mache ich jetzt? Weglaufen?

Ich drehe mich um.

Dort steht ein Mann mit Rollator, keine sechzig Jahre alt.

Entschuldigung, dass ich Sie störe. Aber ich wollte mich bei Ihnen bedanken.“

Wie bitte?

Sie sind ja so tagscheu.“

Ich arbeite tagsüber.“ Das war nicht gelogen. Zumindest morgen noch werde ich arbeiten.

Und dann kommen Sie nachts noch hierher und kümmern sich um meinen Garten und das Haus?“ Er sieht mich voller Achtung an.

Spinnt der? Er müsste doch vollkommen wütend sein, die Polizei rufen oder sonst was.

Oder ist das eine Falle?

Ja“, sage ich, weil ich nicht weiß, was ich sonst sagen soll.

Wer bezahlt Sie?“

Niemand. Aber darf ich ihm das sagen?

Ihre Kinder. Nein, das wird er besser wissen.

Etwa niemand? Sie machen das allein aus Menschenliebe heraus?“

Nun, eigentlich habe ich das alleine aus dem Grund heraus gemacht, dass sich endlich etwas ändert.

Ich nicke halb zustimmend.

Nun, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll ...“

Danke?

Ihr Geschmack ist zwar zum Teil etwas ...“, er sucht nach dem richtigen Wort, „exzentrisch, aber – das Ganze hat was.“

Meint er wirklich? Oder will er mich nur veräppeln?

Natürlich bezahle ich Sie für Ihre Arbeit.“

Aha, jetzt kommt’s: ‚Nennen Sie mir Ihre Adresse und Bankverbindung’ und dann, schwupps, steht morgen die Polizei bei mir vor der Tür.

Ich winke ab.

Guter Mann, ordentliche Arbeit soll auch ordentlich bezahlt werden. So habe ich es mein Leben lang gehalten. Ich habe es nie ausstehen können, wenn sich Vorstandsmitglieder an der Arbeit der Angestellten bereichert haben.“

Wie haben Sie es dann zu so viel Geld gebracht?“, rutscht es mir heraus.

Doch Mr. Protzbock lächelt nur. „Gute Ideen jenseits des Mainstreams und gute Partner. Außerdem das reine Gewissen, niemanden über den Tisch gezogen zu haben. So etwas spricht sich rum. Arbeiten Sie im Gartengewerbe?“

Nein.

Ich war Verwaltungsfachangestellter. Zwanzig Jahre lang. Dann wurde ich wegrationalisiert. Die letzten Wochen habe ich Metallteile sortiert.“

Da waren sie sicher unterfordert.“

Ich lache. „In der Tat. Das hier war der reinste Spaß dagegen.“

Das habe ich gesehen.“

Was?

Ich muss wohl etwas irritiert gucken, denn er erklärt: „Ich habe Sie beobachtet. Neulich auf dem Dach und gerade eben beim Mähen – Sie waren hochkonzentriert und dabei so zufrieden – So sieht man nur aus, wenn man das Richtige tut. – Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihr Hobby zum Beruf zu machen?“

Mit 52?“

Oh, Sie geben doch nicht etwa etwas auf das, was die Damen beim Jobcenter Ihnen sagen? Von wegen in Ihrem Alter sei man zu alt für so etwas? Mir hat auch jeder gesagt, Schlaganfälle bekäme man erst mit siebzig, und nun, sehen Sie mich an – mit 53 habe ich einen bekommen. War ‚nen Jahr in der Klinik und Reha, bis ich wieder nach Hause konnte. Und es wird wohl auch noch mindestens ein weiteres Jahr dauern, bis ich wieder meine alte Konstitution zurück habe.“

Schlaganfall. Deswegen konnte ich so ungestört arbeiten.

Da haben Sie ja Glück gehabt“, murmel ich.

Ja. Obwohl meine Schwiegersöhne mich wohl am liebsten unter der Erde gesehen hätten. Na ja, man kann nicht mit jedem gut Freund sein. Und Hauptsache, meine Töchter sind glücklich mit ihnen.“

Ich verstehe nicht, wie man so freundlich sein kann. Hat der Schlaganfall vielleicht sein Hirn verdreht?

Also, wie viel bekommen Sie für Ihre Arbeit?“

Ich schüttel den Kopf.

Soll ich Sie bar bezahlen? Kein Problem. Sie können es sicher gut gebrauchen, Arbeitslosengeld ist ja nicht allzu viel.“

Will er nur meine Aufrichtigkeit checken?

Hartz IV“, grummel ich und schüttel wieder den Kopf.

Nun denn, wenn Sie es sich anders überlegen, geben Sie Bescheid. Ich könnte Ihnen wenigstens die Auslagen erstatten, die Sie hatten. Und falls Sie Tipps für eine Selbstständigkeit brauchen – ich kenne mich aus in dem Gebiet.“ Er lächelt mich wieder zuversichtlich an, dann reicht er mir seine Hand.

Warm.

Und angenehm.

Was hatte ich erwartet? Dass ein Mr. Protzbock einen unangenehmen Händedruck haben würde?

Ich nicke.

Dann mähe ich jetzt am Besten den Rasen zu Ende.“

Tun Sie das.“ Er sieht sich um. „Herzen. Das ist ja mal eine Idee. Ich empfehle Sie trotzdem meinen alten Geschäftspartnern. Vielleicht überlegen Sie es sich ja doch noch.“

Als er geht, weiß ich nicht, ob ich lachen, weinen oder einfach schnell weglaufen soll. Pragmatischer Weise mähe ich darum erst einmal den Rasen zu Ende.

Als ich fertig bin, steht immer noch keine Polizei vor dem Tor. Ich klettere wieder über den Schuppen nach draußen und schlendere den Gehweg entlang nach Hause. Einen Tag habe ich noch. Das Anwesen ist groß genug, da gäbe es noch massig zu tun, aber mir fällt gerade nur eine Sache ein, die ich morgen machen möchte – jedenfalls, wenn tatsächlich keine Polizei vor meiner Tür steht: Die Vogeltränke.

Und ich habe auch schon eine Idee, wie sie aussehen wird...

 

 

Impressum

Texte: June F. Duncan
Bildmaterialien: Cover: June F. Duncan
Tag der Veröffentlichung: 31.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Allen Hartz-IV-Überlebenskünstlern und denen, die ihnen Perspektiven geben.

Nächste Seite
Seite 1 /