Cover

Der Letzte macht das Licht an

Ich liebe meinen Sohn. Meistens. Im Moment jedoch eher weniger. Schließlich ist er dafür verantwortlich, dass ich noch etwa fünf Sekunden Zeit habe, vor dem Typen zu fliehen, der dort mit hochrotem Kopf auf mich zugestürmt kommt. Meine Alternative: Hoch zum Leuchtturm in eine Sackgasse rennen oder in das tosende Meer unterhalb der Klippen springen – Aber ich beginne am besten von vorne...

 

„Ihr könntet mal wieder ein Männerwochenende machen“, sagt Sybille , als ich mich gerade in den Pub schleichen will.

„Auja!“, brüllt Lukas, mein sechsjähriger Sohn.

Oh nein, denke ich und sehe wehmütig mein Pint Bier auf dem dunklen Eichentisch in Eans Pub warm werden.

Sybille fixiert mich.

Ich weiß, was das heißt:

Dir ist schon klar, dass Jungs ihre Väter brauchen, um sich normal entwickeln zu können, oder? Willst du wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Lukas eine Entwicklungsstörung ausbildet? Willst du mit ihm schließlich beim Psychiater sitzen und...

„Ja, warum nicht“, sage ich also und meine natürlich das Wochenende. Das Bier verpufft vor meinem inneren Auge.

Billes Augen klaren sofort auf. „Warum fahrt ihr nicht an die Küste? Ihr könntet dort spazieren gehen, hoch zum Leuchtturm...“

Weil das kein richtiges Männerwochenende ist.

„Hm“, sage ich statt dessen.

„Sehr schön. Übernachtet ihr wieder auf dem Zeltplatz?“

Wo die ganzen krabbelnden Tierchen in den Schlafsack klettern?

„Auja!“, brüllt Lukas.

 

Da liegt es nun also vor mir, das Wochenende mit meinem Sohn, ganz alleine unterwegs an der irischen Küste, das „Bonding“ zwischen Vater und Sohn fördern. Zu zweit bauen wir das Zelt auf, wobei Lukas’ Anteil in erster Linie darin besteht, darauf zu achten, dass die Zeltsäcke nicht wegfliegen. Dann balgen wir eine Weile herum. Lukas juchzt und kreischt, und es dauert nicht lange, da hat er mich mit seiner Ausgelassenheit angesteckt.

„Jetzt aber ab zum Leuchtturm!“, keuche ich. „Sonst sind wir nicht mehr rechtzeitig zurück.“

„Cooool“, sagt Sohnemann. „Dann machen wir ne Nachtwanderung! Papa, lass uns nachtwandern!“

Ich murmele etwas von langweiligen, dunklen Asphaltstraßen, die wir dann zurück gehen müssten, aber er hört nur ‚dunkel’ und erzählt mir sofort etwas von Vampiren.

„Gibt es die auch in Irland?“

„Nein“, sage ich, „ganz bestimmt nicht“, und will ihn beruhigen.

„Dann können wir ja doch eine Nachtwanderung machen!“, freut sich Lukas und klatscht in die Hände.

„Nun ja“, sage ich, „Vampire gibt es hier nicht, aber dafür Seemonster.“

„Seemonster?“, fragt Lukas.

„Nessie“, sage ich. „Noch nie davon gehört?“

„Nessie lebt in Schottland, Papa!“, sagt mein Sohn und stampft mit dem Fuß auf. „Das weiß doch jeder.“

„Nein“, sage ich und will mir nicht anmerken lassen, dass ich mich geirrt habe. „Das glaubt bloß jeder. Die Iren waren schlau, haben die Schotten dazu überredet, einen ihrer Seen im Great Glen Loch Ness zu nennen, damit alle glauben, dort spuke ein Seeungeheuer. Dabei lebt es in Wirklichkeit vor der irischen Küste.“

„Warum ist denn das schlau? Das ist doch doof! Es muss doch jemand kommen und es fangen!“

Mein Sohn findet aber auch jeden Denkfehler.

„Weil...“, rede ich mich raus, „Weil ... Nun, das haben sie versucht. Zahlreiche Menschen haben das versucht“, behaupte ich und erzähle ihm die Geschichte von tausenden tapferen Seemännern, die den Kampf gegen das Ungeheuer aufgenommen haben, jedoch alle in den schäumenden Fluten unter uns ertrunken sind.

„Hier?“, fragt Lukas und bohrt seinen Hacken in den Trampelpfad, auf dem wir gehen.

„Ja, an dieser Küste. Aber weißt du...“ Ich will schließlich nicht, dass mein Sohn Alpträume bekommt und ich mir Billes Vorwürfe anhören muss, „im Grunde ist Nessie ein ganz liebes Seeungeheuer.“

„Es gibt keine lieben Ungeheuer, Papa!“, wirft Lukas ein.

„Oh doch, Nessie ist im Grunde ein liebes Seeungeheuer“, bestehe ich. „Man darf sie nur nicht wecken.“

„So wie die Schläfer?“, fragt Lukas und ich frage mich, woher er das mit seinen sechs Jahren schon weiß.

„Stell dir mal vor, es kämen ganz viel Touristen...“, weiche ich aus, „die hier rumschippern würden und nach Nessie suchen...“

„Dann gibt es ganz viele Fotos!“ Lukas ist begeistert.

„Nein. Dann würde sie von dem Lärm aufwachen und wütend werden und dann...“ Ich mache eine andeutungsvolle Pause, „...würde sie Feuer spucken und die ganze Landschaft hier wäre – kohl-raben-schwarz.“

„Echt?“ Lukas bleibt der Mund offen. Einen kurzen Moment lang plagt mich das schlechte Gewissen, vielleicht doch etwas zu dick aufgetragen zu haben.

„Und sie ist wirklich da unten drin?“ Er lugt nach rechts, wo die Küste steil bergab fällt und das Meer schäumend gegen die Felsen kracht.

Aber nur einen kurzen Moment.

„Ja“, flüstere ich. „Und darum sollten wir aufpassen, dass wir nicht so laut sind. Nicht, dass sie noch wach wird...“

Lukas ist offensichtlich beeindruckt und unterhält sich den Rest der Strecke nur noch im Flüsterton mit mir. Ich gratuliere mir innerlich zu meiner Kreativität. Das sollte ich Bille erzählen, wenn wir wieder zu Hause sind. Na ja, vielleicht doch nicht. Ein paar Geheimnisse schaden einer guten Beziehung nicht.

 

Eine knappe Stunde später kommen wir beim Leuchtturm an, der von diversen Touristen flankiert wird.

„Wow, ist der hoch“, staunt Lukas.

„Na, dann gehen wir doch, und schauen ihn uns an“, sage ich und bin stolz darauf, meinem Sohn dieses Monument präsentieren zu können. War eigentlich doch keine so schlechte Idee von Bille, hierher zu wandern.

„Was sind denn das für welche?“, fragt Lukas einige Minuten später, und meint damit die Gruppe Touristen, die an uns vorbei schlendert. „Die sprechen aber komisch.“

„Schwaben“, sage ich.

„Die, die so geizig sind?“, fragt Lukas laut und denkt dabei vermutlich an die Witze, die ich ihm erzählt habe.

„Nun ja...“, sage ich und lächle die an uns vorbeigehenden Leute schief an. „Eigentlich...“

„Wr hedd dir noh erzähld, dess mir gizich sind, Kleinr?“ Ein untersetzter Bär mit blonden Augenbrauen a la Theo Waigel bleibt stehen und beugt sich milde lächelnd über Lukas.

„Er meint die Witze, wissen Sie“, komme ich Lukas zuvor. „Sie wissen schon a la ‚Wie bekommt man vier Schwaben in einen Smart?’“

Der Schwabe lacht. „Jo ja, ond einfäldich, gnau!“ Dann wird er plötzlich ernst und wedelt schulmeisterlich mit dem Zeigefinger vor Lukas’ Gesicht herum: „Des sind Widze, Kärle. Des solldeschd du in deinem Aldr abr wissa!“

Lukas sieht mich hilflos an.

„Haben Sie eigentlich das Licht im Leuchtturm angemacht?“, versuche ich, den Schwaben abzulenken.

„Warum soll er denn das Licht anmachen, Papa?“, unterbricht mich Lukas. „Das stört Nessie doch, wenn es so hell ist.“

Daran habe ich schon gar nicht mehr gedacht.

Der Schwabe grinst herablassend. „Nessie? Abr Kärle, die lebd do ned dahana, die lebd in Schoddländle!“ Mit einem Kopfschütteln gibt er mir zu verstehen, für wie einfältig er meinen Sohn hält.

Ich kann Typen nicht ausstehen, die meinen Sohn für blöd halten!

„Sie sind doch der Letzte, oder?“, frage ich deswegen mit Nachdruck.

Blondbär schaut sich um.

„Jo, siehd so aus. Wieso?“

„Der Letzte muss das Licht anmachen.“

„Aber Nessie, Papa!“

Mist, mein Sohn hängt wirklich an der Story.

„Nessie hat Angst im Dunkeln“, versuche ich, ihn zu beschwichtigen.

„Ach, Mischdzuigs, des isch wega der Schiffe.“

So ein Idiot! Hat wohl keine eigenen Kinder. Man muss ihnen doch noch etwas zum Träumen lassen.

„Es ist wegen der Menschen!“, versuche ich, beiden Recht zu geben. „Und genau deswegen sollten Sie jetzt eiligst zu den Ständen dort hinten laufen“, wende ich mich wieder an den Bären. „Da ist einer, der verkauft keltische Tücher. Das ist der Inhaber des Leuchtturms. Bei dem bekommen Sie den Schlüssel für den Sicherungskasten. Und dann laufen Sie schnell wieder nach oben und machen das Licht an.“

Der Schwabe sieht mich an, als spräche ich Hochdeutsch.

„Oder wollen Sie die Verantwortung dafür übernehmen, wenn tausende Menschen ihretwegen sterben?“

Ich sehe, wie Blondbär überlegt, ob ich ihn veräppeln will, doch ich verziehe keine Miene. Wie gut, dass ich eine Frau wie Bille habe. Wenn sie so spricht, funktioniert das schließlich immer.

„Se macha keina Schbaß?

„Sehe ich aus, als würde ich spaßen?“

Stinksauer bin ich, dass der meinem Sohn sein geliebtes Seemonster klauen will!

„Na, wenn des so isch“

„Sie sollten sich lieber beeilen...“ Ich kann es einfach nicht lassen. „Die Dämmerung kann an der irischen Küste sehr schnell einsetzen. Sehen Sie die Wolken da oben?“

Der Schwabe folgt meinem Wink und sieht in den Himmel, an dem Schäfchenwolken zügig vorbei ziehen.

„Im Nu kann hier aus einer einzelnen Wolke eine ganze Wolkenwand werden, dann haben Sie hier Sturm, von jetzt auf gleich...“

Blondbär ähnelt inzwischen eher einem Eisbär. Sein Gesicht ist auffallend blass.

„Gud, guad. I gang. Bei den keldische Tiechern, saget Sie?“

Ich nicke.

 

„Papa“, sagt Lukas, als der Typ zwischen den anderen Touristen verschwindet. „Es gibt aber keine Ungeheuer, die Angst im Dunkeln haben.“

„Oh doch! Nessie schon. Sie ist ein ganz besonderes Seeungeheuer.“ Vielleicht kann ich noch etwas von der Geschichte retten.

Lukas denkt einen Moment nach, dann sagt er: „Vielleicht ist sie doch eher ein Vampir und hat Angst vorm Licht, Papa. Wow, stell dir das mal vor, ein Unterwasservampir...“

Während Lukas über feuerspeiende und blutsaugende Unterwasserseeungeheuervampire nachdenkt, genieße ich die Aussicht über die See und das Land. Idylle pur. Es ist eine gute Idee gewesen, hierher zu kommen. Zum Leuchtturm und überhaupt in dieses Land. Grün wohin das Auge schaut auf der einen Seite, auf der anderen die blaue See. Freundliche Menschen, gute Musik und – gutes Bier. Ein leiser Wehmutstropfen schleicht sich ein. Zeit, wieder zurück zu gehen. Vielleicht kann ich doch noch einen Exkurs zum Pub machen nachher.

Gutgelaunt lassen Lukas und ich den Leuchtturm hinter uns. Die Sonne schickt ihre Strahlen durch die flüchtigen Wolken, die Gräser wiegen sich im Wind und die Wellen, die unten mit den Felsen spielen, sind Musik in meinen Ohren – bis ich plötzlich jemanden aus der Menge brüllen höre:

„Wo zum Deifl isch der Kerle, der gsagd had, i solle des Lichd anmacha ?“ und meinen Sohn, der mir laut zuruft:

„Papa, da sucht dich jemand!“

Nachwort

Mit freundlichen Grüßen an denjenigen, der mir die Geschichte erzählt hat, und den ich, um seine Identität zu schützen, hier nicht namentlich nennen will.

 

 

Übersetzungen ins Schwäbische mit Hilfe von http://www.topster.de/deutsch-schwaebisch/ .

Sollten alteingesessene Schwaben Fehler bemerken, bitte ich um Hinweise.

 

 

Für alle, die ihn wider Erwarten nicht kennen - der in der Geschichte zitierte Witz geht so:

 Wie bekommt man 4 Schwaben in einen Smart? - 5 Euro reinwerfen.

Und wie bekommt man sie ganz schnell wieder raus? - Einfach sagen, das sei ein Taxi.

Impressum

Texte: June F. Duncan
Bildmaterialien: Cover: campomalo / PIXELIO, www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 30.06.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /