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Graue Mäuse

„Wo warst du!“ Verena steht mit verschränkten Armen vor dem Einkaufscenter und blickt mich böse an.
„Bei Thilo, hab ich doch gesagt.“
„Es ist viertel nach sieben.“
Jetzt geht das schon wieder los.
Sie macht einen Schmollmund und tippt demonstrativ auf ihre Uhr. „Wir waren um sieben verabredet.“
„Meine Güte, es sind 15 Minuten, was sind denn 15 Minuten...?“
„Es sind 15 Minuten, die ich mir hier die Beine in den Bauch gestanden habe.“
Vermutlich sogar nicht nur 15 Minuten, sondern 30, denn so wie ich Verena inzwischen kenne, ist sie bestimmt schon 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit hier gewesen.
Ich schüttele den Kopf und zucke mit den Achseln.
„Was soll das bedeuten, es ist dir egal!“, keift sie erwartungsgemäß sofort los.
„Ich habe nicht gesagt, dass es mir egal ist.“
„Du hast mit den Achseln gezuckt.“
„Ich kann nur...“
„Du kannst nur nicht verstehen, warum ich mich darüber aufrege, wenn du zu spät kommst?“ So oft haben wir es mittlerweile schon diskutiert, dass sie selbst weiß, was ich antworten werde. „Du kommst ständig zu spät, du bist nie pünktlich.“
‚Häufig’ und ‚fast nie’ – ich hasse Verabsolutierungen. Sie sind das beste Mittel, eine Partnerschaft kaputt zu machen.
Aber das ist sie vielleicht auch schon längst.
„Du bist mir wichtig...“, unterbreche ich ihren Redeschwall über die mangelnde Aufmerksamkeit, die ich ihr angeblich zeige. „Das weißt du.“
„Offensichtlich nicht wichtig genug, sonst würdest du mich nicht ständig so hängen lassen.“
Ich seufze.
„Verena, ich lasse dich nicht hängen, ich bin bloß ein geselliger, spontaner Typ. Ich lebe im Jetzt. Wir haben uns festgequatscht, Thilo und ich, das passiert mal...“
„Das passiert dir ständig.“
„Na und? C’est la vie! Was bringt einem denn ein Leben nach der Uhr?“ Langsam werde ich wütend. „Sei doch auch mal Mensch, relaxe, genieße den Moment, ohne ständig an die Zeit zu denken.“
„Klar doch, ich genieße es, dumm vor dem Einkaufscenter zu stehen und nur darauf zu warten, dass mir irgendein Penner einen 50-Euro-Schein hinhält!“
50 Euro bei dieser miesen Laune und diesem unscheinbaren Outfit?
Ich streife kurz mit meinem Blick ihren weiten Pullover und die unauffällige Hose.
Niemals.
„Nun bin ich jedenfalls hier“, versuche ich, sie versöhnlich zu stimmen. Alles andere hat ja doch keinen Sinn. „Lass uns ins Cathy’s gehen und schauen, ob wir einen Schal für dich bekommen.“ Ich lege einen Arm um ihre Schulter und ziehe sie mit. Sie schmollt immer noch. Hallelujah, können Beziehungen toll sein.

„Ah – ah – ah... “ Über mir rumpelt und quietscht das Bett. Ich frage mich, was Thilo richtig macht und ich nicht. Drei Stunden lang waren wir shoppen und mit welchem Ergebnis? Jeder von uns sitzt wieder in seiner eigenen Wohnung. Weil Verena nicht mehr nach einem gemeinsamen Abendessen war, nachdem ich ihr die Laune verdorben hatte durch mein Zuspätkommen. Unnötig zu erwähnen, dass sie in den drei Stunden auch keinen einzigen geeigneten Schal gefunden hat. Frauen. Ich wäre nach spätestens zwanzig Minuten mit dreien in der Hand aus dem ersten Laden herausmarschiert.
„Aah – aah – aah – aaah ...“
Na ja, wenn kein eigener Sex, dann wenigstens Zuhörsex.
Ich hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank, setze mich bequem auf mein Bett und öffne die Hose.
„Aaah – aaah – ooh – ooh – oah – “
Alter, was machst du bloß, dass die Frauen bei dir so stöhnen?
„Oah, oah, oah...“
Ich orientiere mich an dem Quietschen und reibe mein bestes Stück im gleichen Rhythmus.
Wahnsinn, ist das geil.
Ich stelle mir Verena vor – ich stelle mir ne andere vor. Verena ist gerade nicht geeignet für Sexphantasien.
„AAAAAAAAAAAAh“ Sie kommt und ich ...
Hey, mach schon, mach schon, du kommst zu spät.
Verflucht, sei still!
Eine Chance gebe ich ihr noch, eine letzte, Freitagabend, wenn wir uns zum Pizzaessen treffen. Und wenn dann nicht...
Gott sei Dank, er funktioniert noch.

 Graue Mäuse, die schleppt Thilo immer an. Offensichtlich haben graue Mäuse es faustdick hinter den Ohren. Wenn die da sind, ist die Geräuschkulisse in der Wohnung über mir jedenfalls immer grandios. Die gutaussehende Blondine, die er neulich mal bei sich hatte, war dagegen komplett stumm, da hat nur das Bett gequietscht. Und an der Kürze, die Thilo mit ihr verbracht hat, schließe ich, dass sie auch nicht besonders überzeugend gewesen ist.
Genau aus diesem Grund hatte ich sie mir ausgesucht, die graue Maus Verena, die äußerlich allenfalls „adrett“ wirkt, vermutlich aber einfach keinen Sinn dafür hat, was ihr steht – was Frauen steht – und was nicht. Oder sie will es nicht. Sie legt es nicht darauf an, mich zu verführen. Ich soll ihre inneren Werte schätzen. Zuverlässigkeit zum Beispiel und Pünktlichkeit.
Zwischen Verena und mir ist jedenfalls seit sechs Wochen noch nichts gelaufen. Also klar, ein bisschen tändeln hier, ein bisschen tändeln da, aber nicht die eine Sache, der eine Grund, warum mann sich drei Stunden shoppen antut. Geködert hatte sie mich ursprünglich übrigens damit, auch noch Unterwäsche kaufen zu wollen. Von wegen.

 Es ist Freitagabend, ich bin pünktlich, 5 Minuten nach sieben. Bis auf den dämlichen Regen, der mich bei meinem Sprint vom Bus hierher schon ziemlich durchnässt hat, klingele ich gutgelaunt an ihrer Haustür. Nichts tut sich. Ich klingele noch einmal. Wieder tut sich nichts. Klingele noch einmal, warte. Wieder keine Reaktion. Na ja, ich bin ja auch ein bisschen früh für meine Verhältnisse. Wahrscheinlich rechnet sie noch gar nicht mit mir, putzt vielleicht noch ein bisschen ihre Wohnung...
Ich gehe auf dem Gehweg auf und ab, ziehe mir den Kragen meiner Jacke fester um den Hals. Sauwetter. Ein bisschen trockener dürfte es schon sein.
Viertel nach sieben. Meine gewöhnliche Verspätungszeit. Ich drücke noch einmal den Türsummer. Höre ich Schritte? Nein. Nichts passiert.
Vielleicht ist die Klingel kaputt. Ich klingele bei den Nachbarn, aber niemand öffnet.
Mist, da ist die Klingel vermutlich wirklich kaputt.
Ich laufe ums Haus. „Verena? Ich bin da! Deine Klingel ist kaputt“, rufe ich einen Stockwerk nach oben. Licht brennt, aber niemand reagiert. Na ja, kein Wunder, die Fenster sind bei dem Wetter ja auch alle zu.
Ich greife in meine Tasche und hole mein Handy heraus – Akku leer.
Na super, eigentlich kann ich gleich zurück nach Hause fahren. Dass ich dieses Mal pünktlich gewesen bin, glaubt sie mir eh nicht.
Trotzdem laufe ich die gesamten 700 Meter bis zur nächsten Telefonzelle durch den Regen. Zum Glück gibt’s die Dinger noch.
„Schillmöller.“
„Hey, Verena, ich bin’s. Deine Klingel ist kaputt, ich steh jetzt in ner Telefon– “
„Meine Klingel ist in Ordnung.“ Ein frostiger Ton zerschneidet meinen Satz.
„Deine Klingel ist in Ordnung? Das kann nicht sein, ich stand doch schon seit sieben Uhr an deiner Tür und...“
„Seit fünf Minuten nach sieben.“
„Wie bitte?“
„Du bist schon wieder zu spät gekommen!“
„Fünf Minuten... Und wegen fünf Minuten lässt du mich nicht rein und draußen im Regen stehen?“
„Tja, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Ich kann es nicht fassen. Ich kann ja schon die riesige Aufregung um 15 Minuten nicht nachvollziehen, aber wegen 5 Minuten?
„Dann weißt du jetzt wenigstens, wie es ist, wenn man warten muss.“
Daher weht also der Wind.
„Soll ich noch vorbeikommen oder gleich nach Hause fahren?“ Ich beobachte, wie die Regentropfen im Zickzack die Scheiben der Telefonzelle herunterlaufen.
„Mach, wie du willst.“
Eigentlich will ich nach Hause. Ich bin nass, ich bin gefrustet und Bock auf diese Frau habe ich auch nicht mehr. Aber um zum Bus zu kommen, der um diese Uhrzeit nur noch alle halbe Stunde fährt, muss ich an ihrer Wohnung vorbei.
Ich biege ab und klingele. Sie öffnet. In einem lila Kimono mit noch nassen Haaren.
Ihre Brustwarzen drücken sich durch den dünnen Stoff. Wahnsinnig sexy.
„Tja, da du auch immer zu spät dran bist, habe ich mir jetzt auch einmal die Freiheit herausgenommen, noch nicht fertig zu sein. Du kannst schon mal den Tisch decken, während ich mich anziehe.“
Anziehe? Verdammt, merkt sie denn nicht, wie attraktiv sie in diesem unperfektem Zustand aussieht? Ich habe jetzt bestimmt grad keinen Hunger auf Pizza...
„Entschuldigung“, sagt eine Stimme in mir, die ich nicht kenne. „Es tut mir leid, dass ich dich hab warten lassen.“
Sie macht einen Schmollmund, aber ich darf sie an mich ziehen. Offensichtlich hat diese Stimme den richtigen Ton getroffen.
Na gut, wenn es funktioniert, mach ich gleich weiter.
„Gut siehst du aus.“ Ich küsse sie sanft auf den Mund.
Verena beißt sich ein wenig auf die Lippe, aber ich sehe, wie ihre Brust sich schneller hebt und senkt.
„Meinetwegen brauchst du dich nicht weiter anzuziehen, meinetwegen kannst du das hier....“ Ich schiebe meine Hand unter ihren Kimono und fühle ihre warme Haut. „...auch ausziehen.“
Sie verschränkt ein wenig die Arme vor dem Bauch und knabbert immer noch auf ihrer Lippe herum.
Fast finde ich das sexy.
Langsam taste ich mit meiner Hand aufwärts, bis ich Spitze unter meinen Fingern fühle. Spitze auf rundem Busen. Ich schlucke. Vielleicht ist doch etwas dran an der Grauen-Maus-Theorie.
Mit meiner freien Hand schiebe ich ihren Arm zur Seite und drücke sie an mich.
„Und gut riechen tust du auch...“, hauche ich an ihre Halskuhle.
Hoffentlich habe ich jetzt nicht zu dick aufgetragen.
Aber Verena lehnt nur ihren Kopf zur Seite.
Als ich mit meinen Fingern über ihre Knospe streiche, stöhnt sie und öffnet ihre Lippen einen spaltbreit.
Endlich keine Zähne mehr. Ich weiß gar nicht, was ich zuerst tun soll. Also tue ich alles gleichzeitig: streiche über ihre Brust, küsse sie und schiebe ihren Kimono von den Schultern.
Offensichtlich tue ich das Richtige, denn jetzt beginnt sie, mit ihrer Zunge leidenschaftlich mit meiner zu spielen und sich an mich zu drücken.
Wow.
Wir stolpern ins Schlafzimmer, ich schiebe ihr den Spitzen-BH und das Höschen herunter. Zarte Haut windet sich unter meinen Fingerkuppen. Ich bin wie elektrisiert und muss mich sehr beherrschen, nicht schon außerhalb von ihr zu kommen.
Dann darf ich endlich in sie eindringen. Sie stöhnt unter meinen Berührungen, streicht mit ihren Händen über meinen Körper. Ich zittere vor Lust und versuche, mir ihr Gesicht in der Stadt vorzustellen, um nicht zu früh abzuspritzen.
Doch es gelingt mir nicht.
Als sie die Beine hochzieht, damit ich noch tiefer in sie eindringen kann, löst sich bei mir der ganze Schwall aufgestauter 6-Wochen-Wartezeit und ich komme in ihr.

Himmel, war das gut.
Selig räkele ich mich von ihr und stehe auf, um das Kondom zu entsorgen.
„Hey, und was ist mit mir?“ Der Schmollmund ist wieder perfekt.
„Ach Schatz“, sage ich.
Ich kann es mir einfach nicht verkneifen.
„Du weißt doch: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

 

 

 

Impressum

Texte: June F. Duncan
Bildmaterialien: Cover: Thomas De Gennaro / PIXELIO, www.pixelio.de
Tag der Veröffentlichung: 13.05.2013

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