„Tun Sie nicht so, als könnten Sie mich nicht verstehen! Antworten Sie!“ Der Kommissar beugte sich weit über den Tisch hinüber zu Kaminkatze.
„Es ist mein Name“, sagte sie und trat einen Schritt zurück. „Ich heiße Kaminkatze, nicht Kamikaze. Der Beamte hat bei meiner Geburt nicht richtig hingehört und zwei Buchstaben vergessen.“
„Wollen Sie hier etwa einen Beamten beleidigen? In Ihren Papieren steht Kamikaze, oder nicht? Also heißen Sie auch so.“
„Ja, aber eigentlich...“
„Eigentlich haben Sie das Haus des Bürgermeisters in die Luft gesprengt.“
„Sie können mich doch nicht nur aufgrund meines Namens verdächtigen.“ Beleidigt zog Kamikaze eine Pfote ein.
„Nein.“ Der Kommissar grinste und lehnte sich wieder etwas zurück. „Das tun wir auch nicht. In Ihrem Schuppen befindet sich eine große Menge Sprengstoff – können Sie mir erklären, wie er dort hineingekommen ist?“
„Aber natürlich. Die Herren vom Stadtrat haben ihn hingebracht. Frau Freimuth, bei der ich wohne, hat ihnen den Schuppen als Lager angeboten wegen der aktuellen Rattenplage.“
„Sie wussten also von dem Sprengstoff...“
„Hören Sie mal, ich bin eine Katze. Ich liege den ganzen Tag faul auf dem Fenstersims vor dem Haus, lecke mir ab und zu die Pfote und tue sonst nichts. Wieso sollte ich Interesse an Sprengstoff haben?“
„Vielleicht, um den Herrn Bürgermeister in die Luft zu jagen!?“ Dicke Halsschlagadern drückten sich durch die blasse Haut des Kommissars, als er die Faust auf den Tisch knallte .
Kamikaze machte große Augen. „Der Bürgermeister ist ein netter Mensch. Er kommt jeden Sonntag mit einigen anderen vorbei und bringt mir eine Tüte Katzendrops mit. Warum –“ fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, „verhören Sie nicht Hasso, seinen Hund. Sein Herrchen schlägt ihn.“
„Das werden wir sicher tun. Sie bleiben jedoch zunächst in Untersuchungshaft.“
„Herr Kommissar, Sie sind doch ein gebildeter Mensch, oder?“
„Was wollen Sie?“ Zähneknirschend drehte er sich noch einmal zu dem Wesen um, das dort grazil vor ihm stand.
„Kamikaze – selbst wenn der Name zutreffen würde und Ihr Verdacht berechtigt wäre –“
„Mein Verdacht ist berechtigt, ich erkenne Lügner drei Meilen gegen den Wind.“
„Also selbst wenn der Verdacht berechtigt wäre – Kamikaze bezeichnet einen Selbstmörder. Und nun denn“ Kamikaze machte sich groß und tänzelte auf dem Tisch. „Offensichtlich bin ich noch am Leben. Ich kann das Haus des Bürgermeisters gar nicht in die Luft gejagt haben.“
„Glaubst du auch nur ein Wort von dem, was die Katze sagt?“ fragte Bernd, als sein Kollege Horst zurück ins Büro gekommen war.
„Sie wusste, wo sich der Sprengstoff befand. Aber sie hat kein Motiv, den Bürgermeister umzubringen.“ Missmutig kippte er die Tasse kalten Kaffee hinunter. „Wir sollten den Hund befragen.“
„Das passt gut. Die Bergungsarbeiten sind soweit, dass wir uns den Keller ansehen können.“
„Gehen wir.“
„Von hier soll der Sprengstoff gezündet worden sein?“
„Ja, hier muss er hoch gegangen sein.“ Ein Beamter wies auf die Stelle im Beton.
Horst und sein Kollege stapften durch die Trümmer und durchsuchten sie nach Hinweisen. Eingestürzte Wände, Steine, Staub, kaputtes Mobiliar, ein angesengter Teppich. Nichts Auffälliges.
„Was stinkt denn hier so?“ Bernd zog die Nase kraus. „Ich denke, die Leiche ist heute Morgen abtransportiert worden?“
„Ratten. In der Gegend gibt’s sie zuhauf. Sind zur Zeit ‚ne richtige Plage.“
„Keine Katzenhaare?“
„Nein. Dürfte auch schwierig gewesen sein für eine Katze, hier rein zu kommen. Der Dobermann war ein guter Wach- und Hofhund.“
Horst nickte. „Befragen wir den Hund. Er ist der einzige, der Zutritt in den Keller gehabt hat.“
„Man sagt, Sie seien ein kluger Hund.“
Der Dobermann wedelte freudig.
„Nichts und niemand würde ungesehen auf Ihr Grundstück kommen.“
„Auf gar keinen Fall.“ Stolz streckt Hasso seine Brust heraus.
„Niemand außer Ihnen und dem Herrn Bürgermeister.“
„Ganz sicher nicht. Ich habe den Herrn Bürgermeister immer beschützt.“
„Wie kommt dann die Sprengladung in den Keller des Herrn Bürgermeisters?“
„Das weiß ich nicht. Muss der Herr selber gewesen sein.“
„Um sich dann in die Luft zu jagen? Wohl kaum.“
„Vielleicht ein Versehen?“ Hasso legte den Kopf zwischen die Pfoten.
„Man sagt, der Herr Bürgermeister sei unzufrieden mit Ihnen gewesen bisweilen?“
„Mit mir? Niemals.“
„Man sagt, er hätte Sie geschlagen und getreten...“
„Nein!“
„Und woher haben Sie diese Druckstelle?“
Hasso jaulte auf, als der Kommissar in seine Flanken drückte.
„Ja gut, manchmal hat er das. Er war teilweise etwas jähzornig, aber ich hab’ ihm das nicht übel genommen, er war doch...“
„Er hat Sie also manchmal geschlagen. Und Sie haben als einziger Zugang zum Haus.“
„Sie waren auch an den Sonntagen bei Frau Freimuth, richtig?“
„Natürlich, der Herr Bürgermeister hat mich immer mitgenommen.“
„Dann wussten Sie auch, dass im Schuppen hinter dem Haus Sprengstoff gelagert worden ist...“
„Aber ich töte doch nicht mein eigenes Herrchen! Das würde ja bedeuten, ich müsste...“
„Das reicht. Sie kommen in Untersuchungshaft.“
„Es gäbe natürlich noch eine Möglichkeit“, sagte Horst zu Bernd, als sie den Hund abgeführt hatten und wieder in ihrem Dienstwagen saßen. „Die Ratten sind auch in den Keller gekommen. Wir können wohl davon ausgehen, dass der Bürgermeister sie nicht eingeladen hat.“
*
Ratten. Auf dem Land gab es sie in Mengen und es war jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung. Eine gewöhnliche Hofkatze würde versuchen, sie zu fangen, aber Kamikaze war intelligenter.
„Ihr seid in Gefahr.“ Kamikaze lag im Gras und streckte ihre Pfoten nach ein paar Halmen.
„Komm’ keinen Schritt näher, sonst hauen wir dir die Pfote ab.“ Eine besonders große Ratte bleckte ihre gelben Schneidezähne.
„Der Stadtrat will Giftköder gegen euch auslegen und seine Hunde auf euch hetzen. Ihr werdet alle sterben.“
„Warum sagst du uns das?“
„Ich weiß, wie ihr sie vernichten könnt.“
„Na klar, und danach vernichtest du uns.“ Argwöhnisch starrten die Ratten zu Kamikaze herüber.
„Im Schuppen von meinem Frauchen liegt Sprengstoff. Wenn ihr ihn in die Häuser der Stadträter transportiert und zündet, sind die Herren tot und mit ihnen die Pläne, euch zu vernichten.“
„Und diejenigen von uns, die den Sprengstoff reinbringen?“
Kamikaze zögerte einen Moment, ehe sie antwortete. „Die sind auch tot. Aber dafür leben eure Familien weiter.“
*
„Sie gestehen also, den Sprengstoff in den Keller des Herrn Bürgermeisters gebracht zu haben?“
„Nein, ich gestehe gar nichts. Und Sie, Sie lassen mich jetzt sofort wieder gehen.“
„Frau Rosina, Sie wissen, in welcher Lage Sie sich befinden? Auf Ihre Gattung steht laut aktuellem Beschluss des Stadtrats die Todesstrafe. Ich könnte Sie selbst ohne Verhör nach nebenan bringen und das war’s. Wollen Sie mir nicht doch lieber die Wahrheit sagen und dafür sich und Ihr Leben retten?“
„Ich habe mit der Sache nichts zu tun.“
„Frau Rosina...“ Der Kommissar zeigte auf ihren dicken Bauch. „Sie bekommen bald Nachwuchs. Wollen Sie den wirklich gefährden?“
Die Ratte blickte sich unsicher nach links und rechts um, ehe sie antwortete: „Einige von uns haben den Sprengstoff in das Haus gebracht. Ein paar durchgeknallte Patrioten. Sie sagten, uns drohe sonst die Vernichtung, wenn wir uns nicht wehren und den Stadtrat vernichten würden.“
„Sie sind also auch verantwortlich für die Explosionen der letzten Tage in den anderen Häusern dieses Viertels...“ Langsam dämmerte es ihm. Jedes Mal hatte der Gestank nach totem Fleisch über den Ruinen gelegen. Es waren tote Ratten gewesen, nicht Reste von den Opfern.
„Nein, ich bin für gar nichts verantwortlich, ich ziehe nur meine Kinder groß...“
„Die dann den Stadtrat vernichten. Das war’s, Sie bleiben hier.“
„Sieht so aus, als müssten wir die Katze wieder freilassen.“ Bernd blickte von seinen Unterlagen auf, als Horst aus der Tür des Verhörraums marschiert kam.
„Ja, sieht so aus. Dabei war ich mir so sicher...“ Horst griff nach seiner Tasse, in der der Kaffee schon wieder kalt war.
„Na ja, was soll’s. Manchmal trügt einen der Instinkt halt.“
„Ja, was soll’s. Wir haben die Mörder.“
*
„Welchen Vorteil hast du davon, wenn wir den Stadtrat töten?“
„Genau, und warum machst du es nicht selber?“
„Ich kann es nicht selber machen, die Mitglieder haben alle Hunde.“
„Alle?“
„Ja, ich sehe sie ja jeden Sonntag, wenn sie bei meinem Frauchen zu Besuch sind.“
„Ich hasse Hunde.“ „Ich auch.“ „Ich auch.“
„Die Menschen sagen, ihr seid intelligente Tiere, viel intelligenter als Katzen. Ihr kommt an ihnen vorbei.“ Kamikaze leckte sich eine Pfote, während die Ratten diskutierten.
„Okay. Wie ist dein Plan?“
„In unserem Schuppen befindet sich Sprengstoff. Die Herren vom Stadtrat haben ihn letzte Woche hergebracht. Sie wollen damit eure Nester in die Luft jagen. Ihr kommt unter den Brettern durch und könnt ihn rausholen. Ich sage euch, wo die Herren wohnen.“
*
Es war ein wunderbarer Sonntag, als Kamikaze entspannt auf dem Fenstersims lag. Die Sonnenstrahlen tanzten auf ihrer Nase und wärmten ihr weiches Fell. Endlich würde kein Hund mehr diesen sonntäglichen Frieden stören, indem er sie laut kläffend durch den Garten jagte. Die Häuser aller Hundebesitzer der Umgebung waren in den letzten Tagen in die Luft geflogen.
Warum hatte ihr Frauchen sich auch ausgerechnet mit einer Hundeschule selbstständig machen müssen.
Texte: June F. Duncan
Bildmaterialien: Cover: Diana Kerseboom, www.flickr.com
Tag der Veröffentlichung: 14.07.2012
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