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Eine alte Lokomotive, einen geheimnisvollen Koffer und ein gebrochenes Herz wollt ihr? Mit der alten Lokomotive kann ich euch dienen, das Herz werf ich gleich hinterher und den Koffer kriegt ihr in Form einer Reisetasche – ich geh’ nämlich, jetzt, sofort, auf der Stelle... Sobald ich meine Sachen gepackt habe.
„Gabi?“
Ach Herrgott, soll er doch mal aufhören mich ständig zu rufen, das lenkt ab.
Was wollte ich einstecken? Die CDs, die alten Filme, die Glaskaraffe, die ...
Was will ich mit den CDs und den Filmen? Mich an die schönen alten Zeiten erinnern?
Frankreich an der Cotê d’Azur, Sonne, Strand, Meer – so viel blaues Meer – ein paar kugelige Schafswolken und wir kuschelnd im Strandkorb...
Die Filme bleiben hier. Soll er doch damit glücklich werden, brauche ich nicht.
Aber die CDs...? Eminem, Shakira... . Zu schade zum Hierlassen, ich meine, viel zu viel wert für den Mistkerl, die nehme ich mit.
Und dann heule ich mir hinterher die Seele aus dem Leib, weil ich mich an die lauen Nächte in der Cotê d’Azur erinnere?
Raus damit, nix Küste.
„Wo steckst du denn?“
In deinem Arbeitszimmer, unserem Wohnzimmer, dem, was unser Wohnzimmer hätte sein können, wenn du dich nicht die letzte Zeit nur noch mit dieser blöden Modelleisenbahn beschäftigt hättest.
Modelleisenbahn.
Ich bin fies, ich bin gemein.
Er hat es verdient.
Ich schleiche mich durch die Zwischentür nach nebenan und verstecke mich unter dem Bett.
„Gabi?“
Seine Schritte im Arbeitszimmer.
„Was ist denn hier passiert...“
Er hat wohl gesehen, dass ich den halben CD-Ständer auseinandergenommen habe. Na ja, irgendwie muss ich ja für meine Zukunft sorgen, für unsere Zukunft sorgen –
Die Platten, ich sollte die Platten mitnehmen, das sind ein paar Mono-Originale drunter, die bringen richtig Kohle... Genau, ich werde gar nicht erst meine billigen Klamotten einpacken, ich beginne gleich mit den richtigen schweren Dingen.
„Gabi?“ Er steht in der Schlafzimmertür, ich sehe seine Schuhe.
Dreh dich um, dreh dich um, damit ich mir endlich deine Platten schnappen kann und mir meine Alimente sichern. Du kriegst das ja offensichtlich nicht hin, hast ja seit ein paar Wochen nur noch deine blöde Eisenbahn im Kopf.
‚Ist sie nicht schön? Damit habe ich als Kind immer gespielt, stundenlang.’
Und dann hat er sie abgestaubt und an ihr rumgebastelt. Am Anfang fand ich das ja noch süß, immerhin erwarte ich Nachwuchs, da dachte ich, fein, wenn er sich so an seine Kindheit erinnert, dann freut er sich bestimmt auch zu hören, dass er bald Papa wird – geplant war das nämlich nicht – aber die Strandkörbe und das blaue Meer, dieses wahnsinnig blaue Meer...
Na ja, Pustekuchen, statt dessen hat er die Eisenbahn wieder aufgebaut, die Schienen, die kleinen Bäume – Originalgetreu 1:107,3 oder was weiß ich – sogar mit Vögeln in den Ästen! Stundenlang ist er nur noch in seinem Arbeitszimmer gewesen. Auf meine Andeutungsversuche hat er gar nicht reagiert.
‚Sind das nicht hübsche Babysocken? Sieh nur dieser süße dickbäuchige Teddy. Und diese Mütze...’
Okay, ich gebe zu, die Hormone haben mich etwas überdreht. Und Männer sind Pragmatiker, die kaufen keine Babykleidung, solange kein Baby im Haus ist, und er weiß ja noch nicht einmal, dass eins geradewegs auf seine Haustür zustolpert.
Aber er hätte sich doch mal irgendwie dafür begeistern können, oder? Wenigstens ein klitzekleines bisschen.
Endlich, er dreht sich um, die Schritte entfernen sich. Ich krabbel unter dem Bett hervor.
Schnappe ich mir erst die Platten oder werfe ich erst seine blöde Eisenbahn aus dem Fenster?
Ich schnappe mir die Eisenbahn.
Lisa steht in ihrem Tunnel und hält ein Nickerchen.
Lisa, so hat er seine Eisenbahn genannt, dick in rot aufgemalt auf die Lokomotive – L – i – s – a . Kindern gibt man Namen, aber doch keinen Eisenbahnen. Ein Grund mehr, sie zu vernichten.
Ich schnappe mir die Lock, öffne das Fenster und werfe sie in hohem Bogen heraus.
Platsch.
„Gabi?“
Mist. Er war wohl draußen im Garten.
Ich höre, wie sich Schritte nähern. Er kommt den Flur entlang.
„Da bist du ja. Was war denn das eben?“
„Was?“
„Da ist was rausgeflogen, aus dem Fenster, direkt in den Teich.“
„Oh.“ Ich stelle mich vor die Eisenbahn.
Was könnte das gewesen sein, was könnte das gewesen sein...
„Ein Vogel? Es gibt doch diese Eisvögel, die tauchen...“
„Eisvögel gibt’s hier nicht. Die leben nur in Asien.“
„Stimmt nicht, in Sachsen-Anhalt läuft ein Naturschutzprojekt vom...“
„Wo ist denn Lisa?“
Verdammt.
„Keine Ahnung. Ich habe nur...“ Mir fällt das Chaos neben dem CD-Regal auf. „Nach einer CD gesucht.“
Er lächelt. „Meine kleine Chaosmaus. Du suchst bestimmt Recovery

. Liegt seit Wochen in deiner Nachttischschublade.“
Ich hasse es, wenn er mich Chaosmaus nennt. Dann bekommt er immer diesen weichen Blick in seinen Augen.
„Aber die Lisa kann doch nicht einfach so weg sein...“ Er ist mit seiner Aufmerksamkeit schon wieder bei seiner heißgeliebten Lock.
„Ne Katze?“ Ich zucke mit den Schultern.
„Du warst doch hier, du müsstest es doch gesehen haben...“ Er fährt sich durch die Haare und sieht mich hilflos an.
Mistkerl. Er denkt nur an seine blöde Eisenbahn.
Und ich?
Und das Baby???
Bevor ich anfange zu heulen, laufe ich aus dem Zimmer in den Flur.
Dann gehe ich eben ohne die Platten, ohne die CDs, ohne die Filme, ohne alles, egal, ich komme auch alleine klar, alleinerziehende Mütter gibt’s schließlich wie Sand am Meer.
Dieses verdammte Meer.
Als ich über die Terrasse nach draußen renne, stolper ich fast über den Koffer, der neben einem Stuhl steht.
Was macht der auch hier, was steht der so blöde im Wege herum.
„Gabi, warte mal.“ Er ist mir nach draußen gefolgt.
„Du müsstest doch etwas mitbekommen haben, du warst doch in dem Zimmer.“
„Aber nur kurz. Und das Fenster war offen. Was weiß ich, was da mit deiner blöden Lock passiert ist.“
Er runzelt die Stirn und sieht mich an. „Du magst sie nicht?“
„Ich finde, Männer in deinem Alter sollten sich nicht wie Kinder benehmen und sich den ganzen Tag in ihrem Zimmer einsperren, um mit einer Modelleisenbahn zu spielen.“
Einen Moment sieht er mich enttäuscht an, dann zuckt er die Achseln.
„Ich muss Lisa finden, unbedingt.“ Er stapft an mir vorbei durch den Garten. „Vielleicht hat Helgas Max was angeschleppt.“
Er will also zur Nachbarin, auch gut, dann bleibt mir noch Zeit, schnell ein paar Platten einzustecken.
„Was willst du eigentlich mit der Tasche?“
Er ist noch mal umgedreht.
Und was sag’ ich jetzt?
Die Wahrheit: Abhauen, dich verlassen, weil du dich nicht für mich und das Baby interessierst, weil du ein verdammter Mistkerl bist.
Dann kann ich die Platten nicht mehr mitnehmen.
„Der Koffer ist übrigens für dich.“ Er zeigt auf den gelben Koffer neben dem Stuhl, über den ich fast gestolpert wäre.
„Für mich?“
Was soll ich mit dem Ding. Will er mich kaufen? Ich bin nicht käuflich. Ich gehe jetzt wieder rein, schnappe mir die Platten und dann bin ich weg. Ein für allemal.
„Kannst ja mal reingucken, ob das was für uns ist. Ich gehe mal kurz zu Helga.“ Und schon stapft er wieder davon.
Reingucken, ob das was für uns ist. Uns

gibt’s nicht mehr. Interessiert mich nicht, was da drin ist, was interessiert mich so ein blöder Koffer.
Obwohl diese Teddys mit dem kugeligen Bauch, die da drauf sind, wirklich unglaublich süß sind.
Ich könnte natürlich mal kurz nachgucken, ob nicht etwas drin ist, das sich lohnt einzustecken. Dann könnte ich ihm nicht nur die Platten klauen, sondern auch gleich was-immer-es-ist mit.
Wahrscheinlich eine zweite Eisenbahn. Lock Anne oder so. Oder Gabi.
‚Sieh mal, ist das nicht eine tolle Idee von mir, ich habe dir auch eine Eisenbahn gekauft, und sie sogar nach dir benannt...’
Genau das kann ich jetzt gebrauchen.
Dann versenke ich die zweite Lock gleich mit. Und er sucht sich dumm und dämlich.
Ich stelle meine Tasche ab und hebe den Koffer auf den Gartentisch.
Zwei Stühle lehnen zusammengeklappt am Schuppen, zwei stehen aufgestellt am Tisch.
Hier sollten drei Stühle stehen, drei, nicht zwei.
Egal, damit bin ich durch, ich gucke jetzt nur noch schnell, was in dem Koffer ist und dann bin ich...
Was ist denn das?
Babykleidung.
Gelbe Strampler mit weißen dickbäuchigen Teddys. Gelbe Babylätzchen mit weißen dickbäuchigen Teddys. Gelbe Handtücher mit weißen dickbäuchigen Teddys, Babyfläschen mit weißen dickbäuchigen Teddys, Schnuller mit weißen dickbäuchigen Teddys, Socken mit...
„Und, gefällt’s dir?“
Ich habe ihn gar nicht kommen hören.
„Max hat sie nicht angeschleppt.“
„Was wollen wir denn mit den Babysachen?“ Ich weiß, er ist schon längst wieder bei seiner Lock.
„Süße“, er legt mir die Hand auf den Bauch, „du hast vor drei Monaten das letzte Mal deine Tage gehabt. Ich denke, so langsam sollten wir uns mal bevorraten.“
Dann dreht er sich auch schon wieder um.
„Ich muss unbedingt Lisa finden, das Baby braucht doch was zum Spielen...“

Impressum

Texte: June F. Duncan
Tag der Veröffentlichung: 14.01.2011

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