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Prolog



"Wenn der Besitzer des Drachen stirbt, so trauert das Tier mehrere Monate lang. So war es schon immer. Es steht nicht fest, ob es einen Nachfolger geben wird. Alleine der Drache sucht diesen aus. Doch wird es einen geben, so wird das Feuer dem Auserwählten ein Zeichen sein. So wie es schon immer war."
Das Echo dieser Prophezeiung ging in die Ferne hinaus und berührte das Volk, das vor dem Himmelsbalkon stand. Der Priester, der sie gesprochen hatte, zog sich nun zurück. Seine Pflicht war erfüllt.
Nachdem er verschwunden war, ging ein aufgeregtes Raunen durch die Menge und es wurde spekuliert, ob es jemanden gab, den Sylph, der Drache, der nun ohne Partner war, auserkoren haben könnte. Ein Drachenschüler zu sein war eine große Ehre und das Alter spielte keine Rolle dabei. Dieses Land verehrte die acht Schutzdrachen wie Götter der Schöpfung, die das Symbol für ihr Land waren. Sie waren das reichste Land der Drachen. Und die Drachen waren der Stolz dieses Landes.

Monesk, der ehemalige Drachenschüler, war vor ein paar Tagen ermordet worden war, war der Partner von Sylph gewesen. Man munkelte, es habe sich um einen Unfall gehandelt, Er sei mit seinem Drachen an die Grenze geflogen, um lange Distanzen zu trainieren und wurde nach der Landung von Kämpfern des benachbarten Landes angeschossen, da diese den Flug als Angriff interpretiert hatten. Ein Schuss soll ihm genau durch das Herz gegangen sein und er wäre innerhalb von wenigen Sekunden gestorben. Das, was zurückkehrte, war ein Drache mit gebrochenem Herzen.
Sein Heulen und Klagen ertönte über neun Wochen lang, Tag und Nacht, über der Stadt, bis es mit einem letzten schmerzerfüllten Schrei am 69. Tage zu Ende ging.
Keiner der Bewohner hätte es je gewagt, sich über den Lärm zu beschweren, dennoch machte es sie unruhig und hinterließ nach jedem Schrei ein tiefes Gefühl der Unbehaglichkeit.

Als Dai'Sel im Auftrag seines lehrmeisterts zwei Schriftrollen ausliefern sollte, hörte er eben diesen letzten Schrei und musste sich für einen Moment entsetzt die Ohren zuhalten, weil er das Gefühl hatte, sonst würde seine Kopf zerspringen. Als der zischende Ton dann endlich im Himmel verklungen war, trat er auf die Hauptstraße, auf der zahlreiche Menschen unterwegs waren. Vom Alltagsgeschehen beruhigt, spazierte er die Straße entlang und blieb vor einer Weinkellerei stehen, die äußerst attraktiv dekoriert war. Er begutatchtete das edle Stück und nahm sich vor, später einmal vorbeizuschauen. Da explodierte plötzlich ein Fass, das zur Dekoration davor gedient hatte. Es gab keinen Inhalt, doch das Holz begann in ganzen Stücken abzukokeln, als Flammen scheinbar aus dem Nichts nach der hervorragend brennenden Materie züngelten und die Oberhand über sie nahmen.
Dai'Sel sprang erschrocken zurück. Er war diesem Fass am Nahesten gewesen und hätte auch verletzt werden können. Als er an sich hinab sah, stellte er jedoch fest, dass er unversehrt war.
Der Knall hatte aber die Aufmerksamkeit vieler Leute um ihn herum geweckt und diese beäugten den junegn Mann nun kritisch.
«Feuer», murmelten einige aufgeregt. «Das ist ein Zeichen.»
Verdutzt blickte sich Dai'Sel um und sah nur nachdenkliche oder kritische Gesichter um ihn herum. «Ist er der Auserwählte?», fragte ein kleines Mädchen seine Mutter, mit der es gerade zum Einkaufen schlenderte, aufgeregt, als das Feuer, das aus dem Nichts gekommen war, auch wieder ins Nichts gegangen war. Nur die Überreste des Fasses lagen noch am Boden
«Es kann sein», antwortete die Frau leise. «Es kann sein.»
Das kann eben nicht sein, beschloss Dai'Sel und lief dann einfach weiter, die hartnäckigen Blicke der Bürger ignorierend. Er hatte schließlich die Rollen abzuliefern und sollte nicht dumm auf der Straße herumstehen. Das war Zeitverschwendung. Und nur weil so eine Kleinigkeit passiert war, war er noch lange nicht der Auserwählte.
Die Menschen suchten doch jetzt nach jeder Kleinigkeit, die ihnen wieder Hoffnung bescheren würde. Oder ein gutes Thema zum Tratschen.

Als er zu seinem Lehrer zurückkehrte, sprang dieser freudig auf und wollte ihn begrüßen. Dabei erwischte er versehentlich die Kerze, die neben seinem Pergament stand, und kippte diese um. Nach einem fluchenden Ausruf wollte er Wasser holen, doch Dai'Sel hatte das kleine Feuer bereits mit dem Ärmel ausgeklopft und konnte nun eine von Ruß gefärbte Hand vorweisen.
«Verdammt», murmelte er. Sein Lehrer seufzte. «Entschuldige, Junge. Das war unvorsichtig von mir.»
«Die Schrift war völlig umsonst», erwiderte Dai'Sel, als er auf das zerstörte Pergament sah. Man konnte keinen Buchstaben mehr lesen.
«Lass mich mal sehen», sagte der Alte und nahm ihm das Papier ab.
«Seltsam», sagte er nach Begutachtung seines zerstören Werkes. «Diese Form vom Wachs erinnert mich irgendwie an eine Klaue.»
Dai'Sel riss ihm beinahe das Papier aus der Hand. Und schüttelte den Kopf, als er tatsächlich eine Ähnlichkeit fand. «Alles nur Einbildung», sagte er.
Sein Lehrer lächelte nur. «kann sein.»

Das kann nicht sein – das war das, was Dai'Sel den Rest des Tages bei der Arbeit dachte. Da platzt mal etwas, da kippt eine Kerze um. Das waren keine besonders außergewöhnlichen Dinge. Das konnte jedem passieren. Oder bei jedem.
Missmutig kritzelte er die gewünschten Zeilen zusammen und gab seine Arbeit ab. Sein Lehrer sah, dass er sich heute keine Mühe gab, es schien ihn offensichtlich etwas zu beschäftigen. Ausnahmsweise würde er aber darüber hinweg sehen. Sonst war er schließlich immer ein Vorzeige-Schüler.

Alle dachten, das Leid des Drachen sei endlich vorbei, da ertönte in der Nacht ein neuer Klageschrei, der dem des Drachens ähnelte,
Er kam aus dem Haus von Dai'Sel, der entsetzt feststellen musste, dass wilde Flammen sein gesamtes Hab und Gut zerstört hatten.

Na, Auserwählter? Kann es sein?


Einzug


Die Arena war äußerst imposant. Vom Tor aus, das alleine schon 20 Meter Breite maß und aufwendige Verzierungen aufwies, führte ein unendlich wirkender Gang zu den Treppen, die hinauf zur Sirenenhalle und dem Himmelsbalkon führten.
Dschinn, der Wächter dieser Hallen, wartete bereits vor dem Eingang auf ihn, als Dai'Sel noch in der selben Nacht beschloss, die Arena aufzusuchen, um klarzustellen, dass er kein Auserwählter sein wollte und nicht sein würde, Und Schadensersatz verlangen wollte.
Denn als er sein ganzes Haus lichterloh in Flammen hat aufgehen sehen, wurde ihm mit einem Schlag bewusst, dass das vielleicht alles davon kommen würde, dass er tatsächlich der Auserwählte sei. Ein Stein im Magen, die Galle stieg ihm bis zum hals – er beschloss, zu handeln.
«Auserwählter», begrüßte Dschinn Dai'Sel mit einem ruhigen Ausdruck. «Das Feuer hat dich enthüllt. Dies ist dein Heim. Herzlich willkommen in der Arena.»
«Das ist nicht wahr», seufzte Dai'Sel. «Ich bin ein einfacher Gelehrter. Ich bin kein Drachenfreund, da bin ich ganz ehrlich. Das muss ein blödes Missverständnis sein.»
Dschinn verneigte den Kopf vor ihm. «Denk nach, bevor du sprichst, Auserwählter. Wir haben lange auf dich gewartet. Nun tritt ein und lasse dir die Geschichte erzählen, wie sie ist. Willst du nicht Fakten und Gründe? So sprich mit dem, der dich rief.»
«Der, der mich rief», wiederholte Dai'Sel verächtlich.
Als habe er nicht nur den Zorn von Dschinn, der ihm einen vorwurfsvollen Blick darauf gab, sondern auch den Zorn desjenigen, den er beleidigt hatte, geweckt, erklang ein wütendes Fauchen in den Ohren des jungen Gelehrten und hinterließ eine schwere Unruhe in ihm, die ihm eine Gänsehaut bereitete.
«Er ruft dich», sagte Dschinn dann schlicht und deutete ins Innere. «Geh.»
«Ich habe keinen Bedarf», erwiderte Dai'Sel arrogant.
«Das war kein Angebot», stellte Dschwinn mit einem kühlen Gesichtsausdruck klar und Dai'Sel begriff so langsam, dass er hier eben mit dem Feuer spielte. «Das war ein Befehl.»

Lauter werdendes Fauchen und eisiger Zugwind hießen Dai'Sel im Inneren des Hauses willkommen, als er gehorsam an Dschinn vorbei ging und dieser das Tor schloß.
«Folge mir», befahl er und lief durch den mit Fackeln spärlich beleuchteten Steinflur. «Er will dich sprechen.»
Dai'Sel folgte ihm widerwillig. Das Unbehagen kroch ihm langsam den Rücken hinauf und setzte sich mit finsteren Klauen in seinem Nacken fest, wo sich seine Haare sträubten, weil es so eisig kalt war. Er fühlte sich wie erstarrt und folgte ohne leichtsinnige Kommentare, obwohl er sich ernsthaft fragte, wie ein Drache denn mit einem einfachen Menschen sprechen wollte. Und die Beheizung des Hauses bemängelte. Sein heißer Atem nahm in der Luft vor ihm Gestalt an und wurde zu einem geisterhaften Nebel, der allmählich ins Nichts verschwand. Dai'Sel konnte nicht einmal sehen, wo er hintrat und wollte gar nicht erst wissen, von welchen Dingen das Knacksen und Knirschen unter seinen Füßen herkam.
«Er wartet hier», stellte Dschinn klar, als sie vor einer dunklen Messingtür standen. «Du wirst dich benhmen», fügte er hinzu, als würde sonst eine große Strafe drohen.
Dai'Sel sah nur zur Tür und erwiderte nichts darauf. Der Wächter würde ihn ja sowieso nicht anhören.
Als Dschinn die Tür öffnete und kein Licht zu sehen war, konnte man einen rauen Atem vernehmen. Etwas war hier.
«Das Glück sei dir wohlgesonnen, Knabe», sagte der größere der beiden Männer dann und schob den jungen Gelehrten hinein – und schloss sogleich die Tür hinter ihm.
Bevor dieser noch protestieren könnte, erklang ein bebendes Rauschen in seinen Ohren, ein vibrierendes Flattern in seinen Eingeweiden und er fiel vor Schmerzen stöhnend auf die Knie, als diese beiden Dinge so intensiv wurden, dass er dachte, sein Körper würde gleich zerspringen. Dann donnerte ihm eine tiefe Stimme in den Ohren.
«Dai'Sel.»
Ein schmerzvolles Knurren entrang ihm. Diese Spannung in ihm war abnormal. Das hätte niemals ein Mensch in ihm auslösen können. Er war entsetzt.
«Wieso wehrst du dich so dagegen?», grollte die Stimme weiter. «Wieso lässt du mich so leiden?»
«Wieso ich dich leiden lasse?», entfuhr es Dai'Sel zornig. «Du hast mein ganzes Eigentum verbrannt!»
Ein seltsamer Stoß in ihm ließ ihn verstummen. Der Drache, so schien es ihm, sprach mit ihm – in der selben Sprache – doch seine Worte hallten in ihm und nicht um ihn herum. War das, weil er ein Auserwählter war? Oder war das die Fähigkeit dieses Drachens?
«Du musstest sehen.» Die Stimme war etwas ruhiger. «Du musstest sehen, wie dringend du hier benötigt wirst.»
Der Nachklang der Stimme echote in seiner Brust und er konnte kaum atmen. Trotzdem brachte er großen Trotz auf und stieß zornig aus:«Wofür sollte ich hier benötigt werden? Ich kann nicht einmal kämpfen, wie ihr edlen Drachen und eure Krieger!»
Plötzlich wurde die ganze Kammer – nein – der ganze Saal erhellt! Feuer trat aus dem riesigen Maul und entzündete Fackeln, die in zig-Metern Höhe im ganzen Raum positioniert waren.
Dai'Sel sah grimmig auf und fragte sich noch, was das Theater sollte, da blickte er in die Augen des Raubtiers, die ihn taxierten und völlige Hingabe an sich forderten. Dem Gelehrten blieben angesichts der unfassbaren Größe dieses Tieres die Worte im Mund stecken. Und trotz der Stimme hatte er sich gar nicht ausgemalt, wie nah das Monster ihm bereits war.
«Sei nicht so arrogant!», zischte es wütend in seinem Kopf und ihm peitschte ein Drachenschwanz entgegen. Mit so einem harten Schlag, dass er sich automatisch krümmte, wurde er gegen die Wand hinter ihm geschleudert und schrie voller Schmerzen auf, als sein Kopf gegen den Stein knallte. Nach Atem ringend versuchte er, Kopf und Körper gleichzeitig zu umklammern, weil er fürchtete, er würde sogleich vor Schmerzen das Bewusstsein verlieren. Die Kraft des Drachen war enorm und als er mit verzerrtem Gesicht zu dem Drachen aufsah, schossen zwei kupferfarbene Kanonen in ihn. Der Drache blickte ihn voller Abscheu an.
«Du wirst in Zukunft mit mir sein. Wir werden Partner sein und du wirst diesem Reich dienen und für es kämpfen.», schrie es in Dai'Sels Innerem und er beugte sich mit einem Stöhnen.
«Du wurdest auserwählt und du wirst mir gehorchen. Denn ich habe dich zu meinem Eigentum gemacht», sprach der Drache, dann wiederholte er: «Du gehörst mir, also wirst du gehorchen.»
Dai'Sels Blick verschwomm und er konnte ihn nicht mehr fixieren. Ohne eine Antwort fiel er in die Bewusstlosigkeit und blieb unter dem spöttischen Blick von Sylph, seinem Peiniger, auf dem kalten Steinboden liegen.

«Beweg dich nicht», hörte Dai'Sel jemanden flüstern. «Bleib liegen», sagte die Stimme befehlend, klang aber zugleich unglaublich sanft in seinen Ohren. Er spürte eine Wärme an seiner Stirn. Aber noch konnte er sich nicht rühren. Er nahm alles wie durch einen Schleier wahr.
«Kümmer dich nicht um den Versager, Amiya. Das ist sein Problem», sagte eine weitere weibliche Stimme. Sie klang federleicht, hatte aber einen stechenden Unterton. «Wer nicht hören will, muss fühlen.»
So langsam meldete sein Körper ein schmerzendes Haupt und der junge Mann griff automatisch danach, um seine Stirn zu fühlen.
«Ach. Endlich wacht er auf. Hat ja nur die ganze Nacht verpennt», meinte die Frau, die weiter entfernt stand. Aber mit jedem Wort nahm er ihre Worte lauter wahr. Vielleicht kam sie her, vielleicht erinnerte sich sein Gehirn auch wieder daran, wie man richtig hörte.
«Lass ihn, Leniya», mahnte die zärtlichere der Stimmen.
Benommen richtete Dai'Sel sich auf und öffnete langsam die Augen. Es war viel Licht in dem Zimmer, weswegen es sofort harsch in seine Netzhaut stach und er nicht sofort etwas erkennen konnte, weil er die Augen wieder zusammenkneifen musste.
«Überanstreng dich nicht», sagte das Mädchen, das Amiya heißen musste und hielt ihn an Rücken und Schulter fest, um ihn sogleich wieder ins Bett zu drücken. «Du bist schlimm gestürzt, du darfst dich nicht so bewegen.»
«Wohl kaum gestürzt», murmelte Dai'Sel verärgert, als er besser denken konnte. Er erinnerte sich düster an das letzte, was ihm passiert war. So langsam wurde das Licht erträglicher und er konnte zu seiner Fürsorgerin sehen.
Sie war wirklich hübsch, stellte er sogleich fest. Hellbraune Locken zierten ihr rundliches Gesicht mit der Stupsnase und den goldenen großen Augen. Sie war eine Drachenschülerin, es konnte nicht anders sein. Zwar sah sie viel zu fein aus, um eine zu sein, aber diese Augen konnten nicht trügen. Noch nie hatte er den Partner eines Drachen gesehen, aber auch er wusste wie jeder andere des Volkes, dass die von Drachen Auserwählten außergewöhnliche Augen hatten.
Sie lächelte liebevoll. «Mach dir jetzt darüber keine Gedanken. Sylph hat angeordnet, dich ruhen zu lassen.»
«Ich fühle mich nicht so schlecht, ich kann schon aufstehen», widersprach Dai'Sel und ließ sich nicht zurückdrücken. Er wollte hier nicht rumliegen und keine Ahnung haben von dem, was um ihn herum geschah. «Wo bin ich hier?», fragte er sofort und sah zu dem anderen Mädchen. Sie hatte nachtschwarzes Haar und sogar noch dunklere Augen. Fedrige Wimpern rankten um ihre außergewöhnliche Augenform – erschreckend stellte Dai'Sel fest, sie sah tatsächlich nicht so harmonisch aus, wie ihre Gesellschaft. Sie sah.. sogar kaum noch menschlich aus. Als ihr Blick auf sein Gesicht traf, fing es in seinem Inneren beinahe zu schmerzen kann, als habe sie ihn durchbohrt.
«Du bist in der Arena», stellte sie gleich klar. «Und du bist ziemlich respektlos. Dafür, dass dich einer der mächtigsten Drache verschont hat, solltest du dankbar sein. Und Amiya hat sich super um dich gekümmert, also schätze es und leg dich wieder hin!» Zorn flackerte in ihren Augen auf. Und Dai'Sel wurde schnell klar: Diesem Zorn wollte er sich in diesem Moment nicht stellen.
«Ist ja gut», seufzte er schließlich und ließ sich von Amiya zurückdrücken. Es war ihm lieb, hier eine Weile liegen zu bleiben, wenn er dafür die andere Möglichkeit: nämlich den Zorn der Furie zu wecken, betrachtete.
«Leniya macht sich nur Sorgen», scherzte Amiya, bekam aber sogleich einen beinahe tödlichen Blick in den Rücken gestochen.
«Ich war sogar selten so ernst, wie ich es hier bin», kam es zischend zurück. «Wir sind nicht in der Vorschule! Und wir haben ernste Probleme. Dieses Stück Dreck, das da im Bett liegt, können wir noch weniger gebrauchen. Er ist von Anfang an eine Behinderung und es wird Wochen dauern, um ihn halbwegs brauchbar zu machen.»
Dai'Sel fühlte sich tief verletzt, so wie Leniya ihn bezeichnete, aber das weckte auch irgendwo seinen Ehrgeiz. Was auch ihre Absicht gewesen war.
«Na hör mal», erwiderte Amiya vorwurfsvoll. «Du kennst ihn gar nicht. Sei nicht so voller Vorurteile. Das wird sich erst herausstellen.»
«Du kannst dich ja gerne liebevoll um ihn kümmern. Damit er noch verwöhnter ist, als er es in seinem elendigen Leben sowieso schon ist. Er ist kein Prinz, sondern der niederste Sklave hier. Vergiss das nicht.»
«Hätte nicht alles danach geschrien, wäre ich hier gar nicht erst aufgetaucht», warf Dai'Sel zornig ein. «Ich will genauso wenig hier sein, wie du mich hier haben willst.»
Leniya blickte Dai'Sel voller Verachtung an und trat ein paar Schritte näher an das Bett. Amiya rückte vorsichtshalber weg.
«Sylph muss etwas übersehen haben, als er ein so widerliches Stück zu seinem neuen Partner gemacht hat», murmelte sie finster, aber laut genug, dass er sie hören konnte.
Noch bevor Amiya, die den Mund geöffnet hatte, etwas einwerfen konnte, hallte ein Grollen durch das gesamte Stockwerk und Dai'Sel zuckte zusammen. Er verband eine äußerst schlechte Erinnerung damit.
Leniya lachte spöttisch auf. «Angst bekommen, Kleiner?» Als Dai'Sel nicht antwortete und sie nur finster ansah, klappte sie locker den schwarzen, kriegerischen Helm, der wie eine Art Krone auf ihren Kopf gesetzt worden war und ließ zwei eiserne Verschlüsse einrasten.
Als sie auf ihn hinab sah, sah man nur noch ihre Lippen, die verächtlich lächelten. Der Rest war in eine schwarze Rüstung gehüllt.
«Nara ruft mich. Du hast Glück gehabt, Dai'Sel. Ruh dich aus – solange du noch kannst.»

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 29.10.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für das Feuer, das mich aufrecht hält.

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