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Wie Weihnachten zum Nin kam

Jedes Jahr an einem Tag im Dezember kam er, der dicke Mann im roten Mantel und weißem Rauschebart. Seinen vollen Sack leerte er in den Häusern der Menschen unter dem meist herrlich geschmückten Baum.

Die Kinder im Haus freuten sich über die Geschenke. Sie besangen den Mann, lachten und wirkten richtig glücklich an diesem Tag.

Doch dies alles blieb nur den Menschen vorbehalten.

Keiner kam in dieser Nacht zu den Kaninchen, um ihnen Präsente zu bringen. Auch wenn mancher Mensch seinen Kaninchen eine Kleinigkeit schenkte, blieben immer noch viele in der Welt, die an diesem Tag nichts bekamen.

Ein Kaninchen lebte in dieser Welt, das hatte nur einen Wunsch. Jedes Kaninchen sollte an diesem Tag ein Geschenk bekommen.

Nur wie sollte ein kleines Kaninchen so etwas anstellen?

Vielleicht konnte ihm ja der Bärtige helfen, oder gar den Kaninchen auch etwas schenken.

So wartete es, bis zum nächsten Weihnachtsfest geduldig auf den bärtigen Mann.

In einer eisigen Nacht war es dann soweit. Es war die Nacht des bärtigen Mannes im roten Mantel.

Das kleine Kaninchen hatte seine Flucht aus seinem Käfig im Garten gut geplant. Zuallererst war da sein kleiner Tunnel, der ihm half, das Gitter zu überwinden. Seinen Freunden hatte es nichts von dem Plan verraten. Es war ein Geheimnis. Als Nächstes musste es irgendwie ins Haus gelangen, aber das Kaninchen kannte einen Eingang. Die Klappe in der Tür, durch die auch die Katze ins Haus kam. Das konnte ja nicht so schwer sein.

Doch da hatte sich der kleine Kerl geirrt.

Am Ende hing es in der Tür und kam weder vor noch zurück.

Aber Aufgeben, das wollte es nicht, und so schaffte es das Kaninchen irgendwie doch ins Haus. Dort wartete das kleine Kaninchen dann unter dem Christbaum auf den bärtigen Mann.

Drei Möhrchen hätte es in der ganzen Zeit fressen können, oder einen schön langen Tunnel buddeln. Aber kommen, das tat er.

Und sobald das Kaninchen den Alten entdeckt hatte, hoppelte es zu ihm, um ihn mit seinem Näschen am Stiefel anzustupsen.

„Nanu“, kam es vom Bärtigen. „Was willst du denn?“

Das kleine Kaninchen blickte fragend zu dem Bärtigen auf.

„Mein sehnlichster Wunsch ist es, dass jedes Kaninchen auf der Welt am heutigen Tag ein Geschenk bekommt“, trug der kleine Kerl sein Anliegen vor. „Würdest du das tun?“

Der bärtige Mann schüttelte traurig den Kopf.

„Ich bin der Weihnachtsmann und bringe den Menschen am heutigen Tag Geschenke. Für Kaninchen ist das leider nicht vorgesehen. Ich würde es auch nicht schaffen, den Kaninchen noch Geschenke zu bringen. Sogar für die Menschen reicht manchmal die Zeit bald nicht aus.“

Das kleine Kaninchen ließ traurig seinen Kopf hängen.

War es doch ein unerfüllbarer Wunsch, den es hatte? Dabei gab es ja nur den einen. Sollte das Kaninchen es aufgeben und zurück zu seinen Freunden gehen, um mit ihnen zu kuscheln?

„Es tut mir leid, kleines Kerlchen.“ Der Weihnachtsmann hockte sich zu dem kleinen Kaninchen und kraulte es mit seiner behandschuhten Hand hinterm Ohr.

Nein, aufgeben, das wollte das Kaninchen nicht. Es war doch schon so weit alleine gekommen.

Das Kaninchen sah zum Bärtigen auf.

„Wenn jemand den Kaninchen auf der Welt Geschenke bringen wollen würde, gäbe es dann für ihn eine Möglichkeit dazu?“, wollte es von ihm wissen.

Überrascht wirkte der Alte, aber auch verstehend. Er ahnte, was das kleine Kaninchen fragen wollte.

„Wenn es jemand unbedingt will, dem könnte ich es ermöglichen die Geschenke zu verteilen“, antwortete der Alte.

„Selbst so jemanden Kleines wie ich?“, kam es von dem Kaninchen.

„Sogar der Weihnachtsmann ist nach getaner Arbeit richtig erschöpft, ob es so ein kleiner Kerl wie du durchhält, dass weiß ich nicht“, gestand der Bärtige. „Vielleicht ist es viel zu anstrengend für dich.“

„Könnte ich es wenigstens heute versuchen?“, bat das Kaninchen.

Der Bärtige begann zu lächeln. „Wenn du es unbedingt willst!“ Er deutete auf den Weihnachtsbaum. „Dort am Baum bekommst du deine Chance, aber beschwere dich nicht, wenn es zu viel für dich ist.“

„Sicher nicht!“ Der kleine Kerl sprang fröhlich und voller Elan zu dem Weihnachtsbaum. Was es darunter entdeckte, konnte es erst nicht verstehen.

Unter dem Baum fand es den Eingang zu einer Höhle, gerade groß genug, dass ein kleines Kaninchen hindurchpasste. Als es dort wartete, war diese Höhle noch nicht gewesen. Aber sicher hatte der Bärtige dafür gesorgt.

Vorsichtig und mit etwas Angst betrat der kleine Kerl nach einem kurzen Zögern den Tunnel. Er schien ziemlich lang und nur Schwärze war darin zu entdecken.

Sogar nach einiger Zeit war keine Änderung. Bis das Kaninchen plötzlich ein kleines Licht in der Ferne entdeckte. Je näher es dem Licht kam, umso größer wurde es. Bis sich das Licht als Ausgang entpuppte.

Der Mond stand hoch oben am klaren Himmel. Sein helles Licht ließ den Schnee, der die Wiese bedeckte wundervoll glitzern.

So schön war es, dass das kleine Kaninchen eine Zeit lang staunend stehen blieb, um sich die verschneite Landschaft zu betrachten.

Doch es hatte eine Aufgabe zu erledigen.

Vor ihm, unter einer riesigen Tanne lagen viele kleine grüne Päckchen.

Neugierig hoppelte das Kaninchen zu dem Baum. Mit seiner Nase beschnupperte es alles ausgiebig.

Die Päckchen waren gefüllt. Womit konnte das Kaninchen nicht sagen. Es ließ sich weder erschnuppern, noch erraten. Aber das Äußere, das erkannte das Kaninchen.

Der Inhalt des Päckchens war in einem lecker aussehenden Salatblatt versteckt, um das ein langer Grashalm gebunden wurde.

Am liebsten hätte das Kaninchen alle Geschenke aufgezupft und hineingeschaut, so neugierig war es darauf. Aber die waren sicher für die andern Kaninchen gedacht.

Also nahm es eines der Päckchen in sein Mäulchen, dann hoppelte es damit in die Höhle. Diesmal war sein Weg nicht mal so weit, wie zu der Wiese.

Schneebedeckte Pfötchen hinterließen Spuren auf dem Parkett, über das das Kaninchen hoppelte. Vor ihm lag nun ein riesiger mehrstöckiger Käfig.

Die Kaninchen in diesem Haus waren nirgends zu sehen. Wahrscheinlich waren sie auf einer anderen Etage unterwegs.

Perfekt, wenn es nur wüsste, wie es in den Käfig kam. Doch die Frage wurde sofort beantwortet, als es näher trat.

Ein Teil des Drahtes verschwand und gab den Weg ins Innere frei.

Vorsichtig legte das Kaninchen das Päckchen in den Käfig. Als es fort hoppelte, schloss sich das Loch im Draht wieder.

Voller Elan hoppelte das Kaninchen zurück zum Tunnel, der es zur Wiese führte.

Es nahm immer ein Päckchen und brachte so alle zu den unterschiedlichsten Kaninchen.

Egal ob sie groß waren oder klein. Alte bekamen genauso Geschenke, wie junge. Weder Farbe, Rasse noch Geschlecht spielten eine Rolle. Auch nicht, ob sie alleine in ihrem Käfig waren, in einer riesigen Gruppe lebten, im Paar oder zusammen mit Meerschweinchen. Sogar den Kaninchen, die in der Wildnis lebten, denen brachte der kleine Kerl etwas.

Bis am Ende kein Päckchen mehr übrig war.

Nicht mal für das kleine Kaninchen, das die ganzen Geschenke verteilt hatte. Aber es war egal. Es hatte öfters von den unterschiedlichsten Weihnachtsbäumen genascht. Und alle waren lecker.

Jetzt lag es erschöpft im kalten Schnee und ruhte sich von der anstrengenden Arbeit aus.

„So erschöpft, kleines Kaninchen?“, kam es von dem bärtigen Mann im roten Mantel, der auch auf die Wiese gekommen war.

„Du hattest recht, es war sehr anstrengend“, rief das Kaninchen kraftlos. Nicht mal die Kraft sein Köpfchen zu heben war ihm geblieben. „Aber es war so schön, dass ich es im nächsten Jahr gerne wieder machen würde.“

Auf den Lippen, unter dem Rauschebart, erschien ein Lächeln.

Nach einer Weile holte er aus seiner Tasche ein kleines Blümchen, dessen Blüte wie ein Glöckchen geformt war und golden im Mondlicht glänzte.

„Dieses Blümchen heißt Traumglöckchen.“ Neugierig sah das Kaninchen zu dem Blümchen. „Es blüht nur in dieser Nacht und dann kann es einen Wunsch erfüllen. Es ist ein Geschenk für deine Mühen.“

„Einen Wunsch?“ Der Bärtige legte es zu dem Kaninchen auf den Boden. Sofort mobilisierte es all seine Kräfte und setzte sich auf. Mit dem Näschen stupste es die Blüte an, dabei erklang ein helles Glöckchen. „Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann würde ich gerne erfahren, wie allen Kaninchen auf der Welt die Geschenke gefallen haben.“

Sofort wurde der kleine Kerl mit Bildern überflutet.

Bilder von Kaninchen, die neugierig die Päckchen öffneten.

Obst war darin enthalten, Gemüse oder Kräuter. Lauter leckere Sachen und jedes Kaninchen bekam sein Lieblingsfutter.

Alle waren so glücklich darüber.

 

Erschöpft und glücklich fielen dem Kaninchen die Augen zu.

Wie es nach Hause kam, konnte es nicht sagen. Es hörte nur seine Freunde. Ganz leise drangen ihre Stimmen an seine Ohren. Sie rätselten, was es mit den leckeren Geschenken auf sich hatte und wer dieses rätselhafte Weihnachtsnin war.

Dann fiel der kleine Kerl in einen tiefen Schlaf.

Im Traum sah es sich mit roter Mütze und weißer Bommel, im Maul ein grünes Präsent.

Das kleine, schwarze Weihnachtsnin, mit grauem Bart und Mähne.

 

Von diesem Tag an hatten die Kaninchen dieser Welt ein Weihnachtsnin, das jedes Jahr in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember ihnen Geschenke brachte.

Ihren Möhrchenspendern sagten sie nichts davon. Es war ihr Weihnachtsnin und ihr Geheimnis. Aber vielleicht ahnen sie es ja auch. Womöglich bemerken sie, dass sie in der Nacht einen kleinen Besucher hatten.

Vielleicht war es ein abgeknabberter Ast, der ihnen auffiel, oder ein paar nasse Pfotenabdrücke. Aber vielleicht wirkten ihre Kaninchen nach dieser Nacht auch viel glücklicher und zufriedener als sonst.

Wer weiß.

Vielleicht war dies ja auch keine Geschichte und es gibt das Weihnachtsnin wirklich.

Aber das wissen nur unsere Kaninchen genau.

Impressum

Bildmaterialien: compot-stock (deviantart.com)
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2012

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