Das Erbe der Amazonen
Wer sich zum Beginn der Geschichte begibt, kann hier die Reiheinfolge einsehen und somit gleich erfahren, was noch folgen wird.
Viel Spaß!
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Band 1: Blutige Schwingen - beendet -
Band 2 (Alinas Weg): Zerbrochen Familienbande - in Arbeit -
Band 2 (Eros Weg): Henkersohn - in Arbeit -
Band 3: Tempel der Weissagungen - in Planung -
Der Junge erwachte mit so schweren Glieder, als wäre er es gewesen, der den Karren von Miro nach Ura gezogen hätte, nicht die brave Belena.
Unter einem Stöhnen richtete er sich auf.
Seine schmerzenden Glieder ließen sich nicht alleine vom Kampf mit dem Räuber Dugol zurückführen. Zum Teil schon, wie der immer noch drückende Bauch.
Ero hob sein Hemd an und betrachtete sich die blaue Linie, die sich quer über seinen Bauch zog. Dort traf ihn am vorangegangenen Tag die Tischkante, mit der Dugol ihn gegen die Wand drückte. Von anderen Blessuren als Zeugnis seines Unkönnens gegen den kampferprobten Mann mal abgesehen.
Aber an diesem Morgen machte ihn nicht das zu schaffen, oder der brummende Kopf von den ungewohnten Mengen an Alkohol, der ihm auf dem Fest aufgezwungen wurde.
Es war eher der ungewohnte Untergrund.
Bis auf wenige Ausnahmen während ihrer Reise war es Ero gewohnt in einem Bett zu schlafen. Und selbst wenn sie mal nicht in einer Raststätte unterkamen, wussten sie ihren Schlafplatz durch Gras oder andere Materialien abzudämpfen.
Hier lag er beinah auf dem blanken Boden. Ein Bärenfell musste ihm zur Nachtruhe dienen, was es nicht bequemer machte.
Und da dachte er, die Betten in der Schule seien eine Zumutung für den im luxuriösen Heim seines adeligen Vaters aufgewachsenen Jungen.
Ero lachte plötzlich auf.
Könnte Alina seine Gedanken lesen, würde sie ihn verzogenen Burschen betiteln.
Aber Ero war sich der Gastfreundschaft der Diebe durchaus bewusst.
Jeder andere hätte den adeligen Spross eines so gehassten Mannes, vermutlich im feuchten Kerker untergebracht oder an den Händen aufgehängt, damit jeder in diesem Bau seinen Spaß mit ihm haben konnte.
Dafür war Ero wirklich dankbar.
Er wollte sich gerade in einem Gähnen strecken, als jemand sein Zimmer betrat.
Sofort sank er auf das Bärenfell zurück.
Schritte näherten sich ihm zaghaft. Viel zu leise, um die eines der Männer zu sein. Ob es womöglich Alina war, die sicher gehen wollte, dass Morlo und Dugol ihr Wort hielten?
Er wartete, bis die Person neben ihm zum Stehen kam.
Sofort sprang er in einem Schrei auf.
„Schatzi!“
Laut, schrill und für das ihn aus braunen Augen heraus anblickende Mädchen verwirrend. Sommersprossen bedeckten Wange und Nase des Mädchens. Ihr rotes Haar wirkte unbändig, wie ihr Charakter, den er ebenfalls am vorigen Tag erleben durfte.
Gedana, nicht seine Alina.
Ero sank erneut zurück auf das Bärenfell.
„Schade“, sagte er in seinem Seufzen. „Ich dachte, du wärst Alina, die nach mir sehen will. Nicht, dass es mich stört, überhaupt Besuch zu empfangen.“
Erst jetzt wurde er sich des Tablettes in Gedanas Händen bewusst.
Sie platzierte es auf dem kleinen Tisch im Raum und er richtete sich auf, um es genauer zu betrachten.
Darauf standen ein Glas mit Wasser, Brot und sogar ein Stück von geräuchertem Fleisch.
„Dieses Mahl ist sicher kein Frühstück, wie es Euer verwöhnter Gaumen gewohnt ist“, sagte sie im abwertenden Tonfall gegenüber seiner Herkunft. „Und sicher ist der Schlafplatz für Euch unzumutbar gewesen.“
Ero verkniff sich mit aller Kraft ein Nicken. Stattdessen ließ er einen saloppen Spruch ab, für den ihn seine Alina sicher das Tablett über den Kopf geschlagen hätte. Aber diese war eben nicht da und Ero hoffte, sie würde sein Gespräch nicht mithören.
„Gemütlicher als die Betten bei Marno!“ Ero horchte in die Stille der Gänge hinter Gedana.
Dort fand sich keine wütende Furie, die sofort hineinstürmte.
Eigenartig. Gewöhnlich schien Alina zu ahnen, wann immer er sie oder ihren Vater erwähnte. Dann war sie da.
Der Tag konnte noch nicht so weit vorangeschritten sein. Aber kümmerte sie denn nicht wenigstens ein Bisschen sein Wohlbefinden? Er befand sich hier immerhin unter Feinden.
„Er ist mein Lehrermeister und Alinas Vater“, klärte er das Mädchen auf und setzte sich zu ihr an den Tisch. „Auf irgendeine Art muss er mit Marno befreundet sein. Aber was weiß ich schon. Ich bin mehr Anhängsel für die süße Alina. Also lass dich nicht von meiner Stellung als Adeliger täuschen.“
Ero brach das Brot. Sein Blick späte zum Eingang.
Langsam kroch eine gewisse Sorge in ihm hoch. Und er erinnerte sich, eine gewisse Unruhe vor der Tür vernommen zu haben.
„Heute Nacht war ein Radau unter eurer Bande. Hat Alina irgendetwas angestellt?“
Er biss von dem trockenen Kanten ab.
Sein Gegenüber wandte mit trotzig geblähten Wangen den Kopf ab.
„Was interessiert mich diese Zicke?“, blies sie sich eine Strähne des roten Haares aus dem Gesicht, die nicht zu dem dick gebundenen Zopf gehören wollte. Gedana legte eine Pause ein, auf die sich Unzufriedenheit über die Situation mit ihrer Stimme mischte. „Passiert etwas in den Gängen unserer Untergrundstadt, sind wir die Letzten, die davon erfahren.“
Ein weiterer Bissen des trockenen Brotes wollte in seiner Kehle nicht hinabrutschen. Er spülte mit dem Wasser nach.
Mit Interesse entdeckte er Neugier in Gedanas scheuem Blick, der besonders auf den freiliegenden Stellen seiner nackten Haut lag, dort wo es das bis zum dritten Knopf geöffnete Hemd erlaubte.
Die junge Amazone sah in ihm nicht nur den Adeligen, sondern einen hübschen Jungen.
Da Alina nirgends zu entdecken war, wollte er dem Mädchen mehr zum Schwärmen geben.
In seinem Recken, viel der Ärmel ein Stück herab und offenbarte eine gut ausgeprägte Muskulatur. Eine Bewegung mit der Schulter und schon rutschte der Stoff seines Hemdes rechts soweit herunter, wie es der Ausschnitt zuließ.
Sein Körper lehnte sich zurück und die Beine des Schemels hoben sich unter der Gewichtsverlagerung.
Wo er meinte, eine Lehne zu haben, war eine gewisse Leere, die ihm keine Stütze bot. Zu spät wurde es ihm bewusst, da kippte der Sitz mit ihm um.
Der Schrank hinter ihm, stand nicht nah genug, seinen Sturz abzufangen aber auch nicht weit genug entfernt, damit sein Kopf ihn verfehlte.
So musste es Alina bei ihrem Sturz ins Wasser gegangen sein.
Ero lag auf dem Boden, seine Hand an die pochende Stelle an seinem Kopf gepresst. Mit verkniffenen Augen sah er Gedana vor sich, die ausgelassen lachte.
„Brauchst du Hilfe?“ Sie bot ihm ihre Hand an, sich daran aufzurichten.
„Siehst du!“, rief er durch den unterdrückten Schmerzenslaut. Das Mädchen lauschte gespannt seinen Worten. „Wenn du lachst, kannst du auch mal niedlich sein. Aber ich werde sicher so schnell nicht mehr versuchen, eine Frau zu beeindrucken.“
Während sich Gedanas Wangen im Gefühl des ertappt werden so rot, wie ihr Haar, färbten, rieb er über die brummende Stelle.
Erst nach dem der Schmerz abgeklungen war, nahm er das Angebot der immer noch verlegenen Gedana an und richtete sich mit ihrer Hilfe auf.
Es benötigte sein Lachen über den eigenen Fehler, sie wieder ausgelassen zu erleben. Und tatsächlich verlieh ihr das einen gewissen Reiz.
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„Kannst du mir sagen, was hier los ist?“, donnerte eine Stimme durch den Raum, die mehr dem Mädchen galt als ihm.
In der durch eine alte Decke verhangenen Tür stand Dugol. Der erdige Stoff floss über seinen Arm zur Seite.
Die Türen waren unterschiedlich gestaltet. Einige der Durchgänge besaßen nichts, andere wurden verhangen und noch weniger Räume besaßen eine massive Tür, wie der Gemeinschaftssaal, der während Treffen sogar verschlossen werden konnte.
Jetzt viel der Vorhang ganz herab. Der Räuber trat ein, seinen eisigen Blick dabei auf Ero gerichtet, der durchbohrender war, als jedes Schwert.
„Wer hat angewiesen, diesem Burschen etwas zur Speise zu reichen?“, verlangte Dugol in hartem Ton von dem jungen Mädchen zu erfahren, dass sich am vergangenen Tag noch stark gezeigt hatte, aber unter den Worten ihres Adoptivvaters zusammenschreckt. Fast so, als sei sie wieder so jung, wie damals, als sein Vater die Familie mit ihm gab.
„Morlo hat es veranlasst“, antworte ihm das brave Kind.
„Dieser Narr!“, sprach der Sohn von seinem Vater. „Er wird verrückt auf seine alten Tagen, jemanden wie ihm Zuflucht zu bieten. Und wegen wem? Einer lange zerbrochen Freundschaft zu einem ebensolchen Narren, der sein Schwert in Dienst eines dieser verdammten Könige gibt. Ein Verräter an unserer Sache, nichts weiter! Mein Vater sollte das Erkennen oder wenigstens mir die Führung anvertrauen, wie sie mir zusteht.“
Er kam ihnen ganz nah. Doch Ero hatte nicht vor, sich von der Erscheinung des Räubers einschüchtern zu lassen.
Sogar Alina stand während ihrer gemeinsamen Aufträge größeren Gegnern gegenüber und schaffte es, diese zu bezwingen. Auch wenn ihm fehlte, was sie besaß. Einen Körper, mit dem sie lockte und täuschte.
„Marno ist kein Hund von König Ylias!“, verteidigte Ero seinen Lehrmeister, was gewöhnlich Alinas Aufgabe war. Er lauschte in die Stille, ohne ein Anzeichen seiner Freundin zu finden. Merkwürdig! Ero schüttelte sich und wandte sich dann wieder seinem Gegenüber zu. „Viele unserer Schüler sind einfache Bauern, die sich nur mit Mühe den Aufenthalt dort leisten können. Sie lernen, um ihre Lieben zu verteidigen. Und klar, werden auch sie in den Dienst gerufen. Was sie dort gelernt haben, hält sie auf dem Schlachtfeld am Leben, wo sie sonst als Schild für die ausgebildete Armee ihr Leben lassen müssten. Geopfert, um den Feind nur lange genug hinzuhalten. Wir sind stolz auf jeden von ihnen.“
Mitten in diesen Worten stand Ero von dem Schemel auf.
„Und jetzt sprich! Wo ist Alina?“
Der Blick des Räubers lag weiter auf dem Ero gereichten Essen.
„Statt es an einen solchen Gast zu verschwenden, sollten es die Hunde bekommen“, sprach Dugol und wandte sich mit seiner nächsten Anweisung an die junge Adoptivtochter. „Gedana, bring es zu den Hunden. Er Bursche soll sich sein Essen erst einmal verdienen!“
„Alina!“, schrie Ero los.
„Dort wo sie ist, wird sie deine Worte nicht hören.“ Der Räuber ließ ihn weiter in Unwissenheit. „Komm mit, und beweise mir, dass mein Vater nicht nur unsere teuren Ressourcen an deinen königlich geborenen Arsch verschwendet.“
„A...!, machte Ero und hielt mitten im Wort inne, als Dugol ihn streng ansah.
„Erwähne noch einmal ihren Namen, und ich sage, unseren Leuten, wer du bist, Ero.“ Die Drohung, so leise ausgesprochen, dass sie niemand weiter hören konnte, verfehlte ihre Wirkung nicht.
Dugol lief aus dem Raum und Ero folgte ihm. Vorbei an zwei Wachen, für die damit andere Aufgaben zur Pflicht wurden, als hier über ihn zu wachen, hinein in den Bau der Räuber, unter denen jeder, mindestens einen Grund besaß, seinen Vater zu hassen. Sei es in einem Kameraden, der auf dem Richtbock des Henkers landete oder in einem von der Justiz betroffenen geliebten Menschen.
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Ihr Ziel bildete ein Raum, in dem ein geschäftiges Treiben herrschte. Männer und Frauen, teils von der Statur eines Krieges und in der Handhabung von Messern sicher nicht nur beim Gemüseschneiden geübt, halfen sich gegenseitig in der Küche, wo sie nur konnten.
Genau hier stieß Dugol ihn hinein.
„Wo ist meine Freundin?“, warf Ero ihm noch zu, da verschwand der Räuber. Nicht, ohne seinen Kameraden zu befehlen, ihn in die Arbeit mit einzubinden.
Ab hier bedeutete es für Ero Kartoffeln zu Schälen, das Gemüse zu schneiden, die Jagdbeute zu reinigen.
Wenn Dugol annahm, seine Herkunft hätte ihn bisher vor solchen Arbeiten beschützt, irrte er.
In Marnos Schule waren alle gleich. Sie jagten zusammen, bereiteten daraus ein Mahl und speisten gemeinsam. Einer war für die anderen da und so wurden auch alle Aufgaben geteilt.
Doch während es in der Schule wenige Jungs waren und eben Alina, musste hier eine ganze unterirdische Stadt versorgt werden.
Ging eine Arbeit dem Ende zu, wurde ihm eine neue zugeschoben. Zur Pause ließ man Ero nur selten kommen.
Man ging ein und aus. Manche kamen zum Helfen, andere, ihn zu begaffen. Hin und wieder näherte sich jemand an, zeigte sich beeindruckt von seiner Ausdauer an diesem Tag, zeigte sich neugierig oder reichte ihm aus Milde ein Krug Wasser. Doch die überwiegenden Räuber sahen ihn als ihren Feind.
Ero verbot sich, seinen Namen fallen zu lassen und so betitelten sie ihn als das, was sie sahen, einen Bauernjungen.
Dann war da noch Dugol, der hin und wieder nach ihm sah. Unschlüssig, ob er seine Beharrlichkeit loben oder dem Wunsch folgen sollte, den Kopf des Jungen in das kochende Wasser zu tunken.
Am Ende des Tages viel Ero auf das Bärenfell.
Er dachte an Alina, die er an diesem Tag nicht gesehen hatte. An ihre bisherigen Abenteuer und bedauerte nicht, ihr auch in dieses gefolgt zu sein.
Seiner Partnerin.
Ero würde ihr überall hin folgen, selbst, wenn es seinen Tod bedeutete.
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Mit den Tagen, die kamen, dachte sich Dugol immer weitere Aufgaben für ihn aus. Es hielt Ero nun nicht mehr in der Küche. Er sollte beim Ausbau der Höhlen helfen, Holz hacken. Die Bande mochte sich unter der Erde verstecken, doch sie besaßen ein ausgeklügeltes Belüftungssystem. Und selbst wenn der Rauch entdeckt wurde, befand es sich mitten auf ihr Land. Ihren Spähern entging nichts. Sie konnten früh genug warnen, damit die anderen die Feuer löschten. Aber auch so, traute sich kaum jemand auf das Land von Morlo und seiner Bande.
Wer es tat, musste mit den Konsequenzen leben.
Bei ihm bestand das darin, sogar den Waschdienst zu übernehmen.
Es dauerte Wochen, bis sie ihm eine Aufgabe gaben, die ihm wirklich lag.
Die Jagd.
In ihrer Schule war er der beste Spurenleser. Alina zeigte sich oft als zu ungeduldig.
Wo er auf der Lauer lag, beschwerte sie sich oft lautstark und schreckte das Wild auf. Oft wurde genau das leider zu gerne belohnt. Indem ein Hase die falsche Richtung einschlug oder sie Fasane aufschreckte, die sich in einem nahen Gebüsch versteckt hatten, dem er sich annähern wollte.
Da waren sich Gedana und sie ähnlich.
Sie schnatterte die ganze Zeit. Über ihre Pläne zur Rebellion. Wie stur sich Morlo dabei zeigte. Und wie kurzsichtig er war, darin nicht die größte Chance gegen die Könige zu sehen. Er hatte seine Räuberbande in den Jahren so vergrößert, dass sie nun ein kleines Heer waren. Mit ihr als Alesas Enkelin an der Spitze hatten sie eine echte Chance, dass sich ihnen noch mehr im Kampf anschlossen. Nicht nur unter dem Volk. Sie konnte nicht die einzigen Nachfahren der Amazonen sein. Die Amazonen hatten sich viele sichere Punkte geschaffen. Selbst nach 14 Jahren mussten diese immer noch existieren und auf den neuen Ruf ihrer Anführerin warten.
Ein Weg, den sie sich einfach vorstellte und wohl nur Alina als das Ebenbild ihrer Mutter beschreiten konnte.
Gedana, so geachtet ihre Großmutter war, würde sich zuerst beweisen müssen. Und genau diesen ersten Punkt dazu gab es hier.
„Das finde ich an Alina gut“, sprach Ero an, worauf Gedana zornig zu ihm sah. Für sie war Alina nicht die Amazonenprinzessin, wie es ihre Mutter und Großmutter sahen. Nur eine Kopfgeldjägerin. „Meine Freundin fragt ihren Vater nur um Rat, wenn es angebracht ist. Sieht sie eine Chance, der Schule zu ein paar Münzen zu verhelfen, nutzt sie diese. Braucht jemand Hilfe, greift sie ein. Es mag kein Krieg sein, in den sie sich stürzt. Doch Alina riskiert es hierher zu kommen, um unsere Schule zu beschützen. Sie würde alles dafür geben und sich von niemanden aufhalten lassen. So ist sie.“
„Du liebst sie?“, lautete die Frage der jungen Amazone, als ob dies ein Geheimnis wäre.
„Wie kann ich nicht?“
Er lachte plötzlich auf und packte Gedana an der Hand.
Weg von allem. Die Räuber, Moro und Dugol, die trotz ihrer Härte gegenüber dem Mädchen, immer einen Blick auf sie hatten. Versteckt durch ein Dickicht und seine Stimme verborgen vor allem.
„Wir hatten einst zwei Schüler bei uns“, berichtete er ihr. „Sehr intelligente Jungs und wie ich von adeligem Stand. Ich weiß nicht, wie mein Vater ihre Eltern überredet hat, sie ein paar Monate in unserer Schule in der Jagd und dem Schwertkampf zu unterrichten. Ich weiß, sie studieren beide in einem Turm, ungefähr eine Tagesreise hinter der Grenze entfernt. Ich denke, wenn du sie von deinem Vorhaben begeisterst, könnten sie dir durchaus nützlich sein.“
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Mit etwas Abstand zu den beiden jungen Leuten, aber noch nah genug, den Henkersohn im Auge zu behalten, liefen Vater und Sohn durch den Wald. Die einzigen, die tatsächlich an der Jagd interessiert schienen, waren die Räuber unter Morlos Führung.
„Erst soll ich den Jungen umbringen, jetzt willst du ihn nicht einmal mehr gehen lassen“, sprach Morlo zu seinem Sohn. „Wie lange willst du Ero noch mit Arbeit quälen.“
„Du hattest gemeint, wir sollten ihn eine Weile ausbremsen“, erinnerte ihn sein Sohn. „Und da ich ihn nicht umbringen darf, hielt ich es für eine gute Idee. Ich denke sogar daran, ihn zu behalten. Wer hat schon einen der Henkersöhne zum Spielzeug?“
„Ein Spielzeug.“ Morlo lächelte.
Er war es auch, der das Reh als erstes entdeckte.
Der Räuber hielt an, um seinen Bogen aus der Tasche zu holen und die Sehne daran zu befestigen.
Erst jetzt, entdeckte Dugol die Beute, der seinen Bogen bisher eher Lustlos die Funktion eines Spazierstocks nutzte. Dafür hatte er seinen Bogen schneller gespannt.
Es würde sich somit zwischen Vater und Sohn entscheiden.
„Ich finde den Jungen bisher interessant“, gestand Morlo und zielte auf das Reh. „Er ist anders, als man sich einen Jungen von solcher Abstammung vorstellt. Kein Wunder, dass ihn unsere Leute für einen Bauern halten. Es erschließt sich mir auch noch nicht ganz, wieso der Henker von Ylora seinen jüngsten Sohn so ganz fern vom heimischen Nest und ungeschützt vor aller Rache in die Schwertschule meines alten Freundes gab.“
„Dieses Mädchen, Alina“, sprach Dugol zu seinem Vater. „Wieso hast du sie gehen lassen? Marno hat sie gefunden, als sei sie ein weggeworfenes Ding. Was kann ihr Leben ihm schon bedeuten?“
„Viel!“, antwortete der Räuberanführer. „So viel, wie dir ein Mädchen bedeutet, dass sich, als es zu uns kam, weinend an ihre Mutter geschmiegt hat, weil man ihr alles nahm. Die Heimat, die Freunde und die beste Freundin. Du hast mich erst letztens um Milde für Gedana gebeten.“
Moro schoss. Sein Pfeil sauste durch die Luft, auf das Reh zu, dass dort im Wald zur Ruhe gekommen war und an den Blättern eines Busches zupfte. Es sah das Geschoss nicht kommen, von dem es in die rechte Brust getroffen wurde. Ein perfekter Schuss.
Es sprang verschreckt auf aber würde nicht weit kommen und ihnen für den Abend einen prächtigen Braten bieten.
Dugol ließ seinen Bogen gespannt und drehte ihn nach links. Sein Ziel bildete ein anderes Opfer. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
„Ich würde garantiert nicht zulassen, dass meine Tochter in das Heim dieses Jungen geht oder sie in dessen Bett treiben.“
Sein Sohn verschoss den Pfeil, der direkt zwischen zwei miteinander plaudernden jungen Leuten landete.
Beide sprangen davon fort. Schreckgeweitete Augen schauten auf den Pfeil, dann die Flugbahn entlang zu den Männern, von denen Dugol den nächsten Pfeil gespannt hielt. Auf Ero deutend.
„Ich sage es dir nur einmal, Junge“, sprach er Ero an und lächelte, nur darauf wartend, dass der Henkersohn einen Fehler tat und er diesen abschießen konnte. „Halte dich von Gedana fern, oder du wirst die nächste Beute sein, die wir ins Lager zurückschleppen.“
Morlo machte sich keine Sorgen.
Ero war dumm, seiner Freundin hierher zu folgen, aber Morlo schätzt ihn nicht so dumm ein, die wütenden Worte eines Vaters zu missachten. Dessen junge Tochter sichtlich für den hübschen Adeligen schwärmte.
Dugol mochte selbst sehr streng zu seiner Tochter sein, aber er liebte sie wie das eigene Kind, das in seiner Frau heranwuchs.
Gedana war ein Teil von ihnen wie von jedem der Räuber.
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Mit der Jagdteilnahme hatte sich nichts an Eros Stellung innerhalb der Räuberbande geändert. Es schien ihm sogar so, dass er noch weiter gesunken war.
Kaum im Versteck angekommen, schob man ihn zusammen mit der Jagdbeute, zu der ein Hase und zwei Rebhühner hinzugekommen waren, in die Küche.
Ihm stand nun die Aufgabe zu, die Vögel zu rupfen.
Er war über und über mit Federn bedeckt, da trat einer der Räuber zu ihm.
„Steh auf!“, sprach er ihn an. „Putz dich und komm mit mir, Dugol will mit dir sprechen.“
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Wie ihm geheißen, reinigte Ero zuerst seine Finger und dann den Rest von sich von jeder Feder des Vogels. Dann folgte er dem Räuber.
Dugol wartete schon in einer Halle auf ihn. Ein Trainingsraum, der einige Geräte aufwies. Hölzerne Puppen, an denen die Räuber ihre Fertigkeiten an der Waffe üben konnten. Manchen von ihnen hatte man die erbeutete Rüstung eines Soldaten von Ura angehängt. Eine weitere grimmig drein schauende Puppe wies das von den Räubern verhasste Emblem seines Vaters auf. Die Rose mit dem R, die Falianda als Brandzeichen trug.
Von ihnen wusste niemand, wie der oberste Richter von Ylora wirklich war.
Dass hinter seiner Strenge im Gerichtsaal ein milder Charakter lag, der viel Mitgefühl für die Menschen empfand und seine Urteile gerne milder gesprochen hätte.
In einer anderen Ecke standen Bahnen mit Bogenzielen. Teilweise ebenso mit den größten Feinden der Räuber geschmückt. Neben den Zeichen des Königs konnte er auch das erbeutete Wappen einiger Adelshäuser erkennen, die sie von Kutschen geraubt hatten oder bei Überfällen auf die Anwesen.
Ero kam Dugols Wunsch nach und stellte sich vor ihm auf.
Der Räuber näherte sich ihm und Ero ließ sogar geschehen, dass dieser nach seinem Haar griff.
„Man hört immer davon, selbst die Männer unter den Adeligen würden sich mit Federn schmücken“, sprach der Räuber mit verschmitztem Lächeln. Als er seine Finger wieder zurückzog, lag darin eine der grauen Brustfedern des Rebhuhns, die Ero in seinem Haar übersehen hatte. „Bis heute dachte ich nicht, dass es stimmt.“
„Hast du mich nur hergerufen, um mich lächerlich zu machen?“, zeigte sich Ero ungebrochen.
„Ich wollte mit dir Kämpfen, Henkersohn!“, sprach Dugol. „Gewinne und ich sage dir, wo deine Freundin ist. Verliere und Unterhalte mich auch weiterhin.“
Aus ihrem ersten Kampf wusste Ero, wie gut der Räuber war.
Hätte ihn sein Vater nicht zurückgehalten, hätte Dugol ihn wohl wirklich umgebracht.
Der Räuber schien den Gedanken zu erahnen.
„Keine Sorge, es bleibt bei einem Trainingskampf“, versprach er seinem zweifelnden Gegner. „Mein Vater nahm mir das versprechen ab, unserem adeligen Gast keinen Kratzer zuzufügen.“ Dugol bat Ero das Schwert an. „Du magst keine gute Meinung zu uns haben aber wir halten uns an unsere Versprechen.“
„Die meisten Räuber, denen ich begegnet bin, hatten kein Problem damit, einem trotz Versprechen, das Messer in den Rücken zu stechen“, sprach Ero frei heraus und griff nach dem Beidhänder.
Sein Gegenüber sah ihn warnend an, solche Worte noch einmal zu überdenken, bevor er diese ausspricht.
Doch was Ero sagte, war die Wahrheit.
Es gab in ihrer Geschichte tatsächlich diese Helden, die ihre Diebeszüge für das Volk begingen. Wie die Diebin Alina, Namenspatronin seiner besten Freundin und eine Frau, auf die die Legende der Amazonen zurückging. Durch ihr Mitleid für die Schwachen wurde sie nach ihrem Tod zur Heldin des Volks.
Dugol hielt das Schwert weiter mahnend fest und erst, nachdem er sicher war, dass Ero verstand, löste sich der Griff darum.
Was Ero diesen Räubern dagegen hoch anrechnete, war ein Grund, der das Kopfgeld von ihnen in die Höhe trieb.
Während ihrer Beutetouren mieden sie einfache Ziele wie Bauern. Lieber erleichterten sie König Selon um ein paar seiner Soldaten oder überfielen die Kutschen der Adeligen. Während den König kaum interessierte, wann ein Bauer beraubt und ermordet wurde, ging er gegen jeden, der seine Adeligen belästigte, hart vor.
Das war ein Thema, für das hier nicht der richte Platz war.
Ero stellte sich auf und wog zuerst das Schwert in seinen Händen.
Es war schwerer als seines und nicht so gut ausbalanciert. Vermutlich stammt es aus ihrer eigenen Beute, die Alina den Räubern zum Austausch für ihre Waffen anbot.
„Mein Schwert?“, wagte sich der junge Adelige zu einer Frage.
„Und ich dachte, es gehört deiner Freundin.“ Dugol lächelte und setzte daraus zu einem Angriff an. „Dass muss dir genügen“, ließ er diesen von seinen Worten begleiten.
Ero riss das Schwert in die Höhe. Beide Schwerter schlugen laut klirrend gegeneinander und eröffneten damit das Training.
Sein Gegner war hart, blieb jedoch unter seinem wahren Können.
„Dein Lehrmeister hat dich gut unterrichtet“, lobte Dugol ihn und setzte eine Technik ein, die er selbst nutzte und doch so anders war. „Marno hat mit uns zusammen gekämpft und sein Wissen an die Jüngeren weitergegeben. Er hat auch mich unterrichtet. Doch dir fehlt es an wirklicher Kampferfahrung.“
Ein Schlag von rechts erfolgte, dem Ero in einem Sprung nach hinten auswich, hinein in die Arme eines der hölzernen Soldaten.
Vor dem nächsten Schlag floh er hinter diese.
Was Dugol sagte, das stimmte.
Ero verbrachte zehn Jahre an der Schule.
Er kämpfte gegen Marno und unterrichtete die Schüler. Außerhalb bei ihren Aufträgen, ließ er Alina kämpfen. Meist, um sie zu necken und auch einfach, weil er genug Vertrauen, in ihre Fähigkeiten hatte, die von klein auf dem älteren Freund überlegen waren. Es gab oft Momente, in denen er sich wünschte, sie zu beschützen. Doch die Wahrheit war, dass Alina keinen Beschützer brauchte.
Dafür einen Partner. Und um der zu sein, musste er wirklich besser werden.
Im Moment blieb ihm leider nichts anders, als vor den Schlägen zu fliehen.
Der nächste Schlag ging vor ihm, zwischen zwei Holzsoldaten zu Boden. Ero hielt an, den Blick auf die Klinge geheftet, dann wendete er und krabbelte über die andere Seite. Sein Kopf hob sich, er wollte aufstehen und wegrennen, Abstand zwischen sich und den Gegner bringen, da schlug Dugol zu. Ero konnte gerade noch hinter eine der Holzfiguren Schutz suchen.
Eine Vibration ging beim Schlag gegen den Holzklotz durch die Figur, an die er sich klammerte. Also Ero nach rechts sah, hatte die Klinge eine Kerbe in den hölzernen Hals geschlagen. Genau auf Höhe seines Halses.
So viel vom Versprechen, ihn nicht zu verletzen.
Hätte Ero nicht dort Schutz gesucht, wäre das sein Hals gewesen und der wäre von der Wucht des Schlages vom Kopf getrennt worden und nicht wie bei der Holzfigur, durch die Härte des Materials aufgehalten worden.
Das hieß, er musste wirklich vorsichtig mit seinem Gegner umgehen. Nicht wie in den Trainingskampf in der Schule, wo es darum ging, den anderen zu beeindrucken.
Ero setzte zu einem schnellen Spurt an und verließ die Deckung. Und noch ehe, sein Gegner dazu kam, war er auf diesen zugesprungen.
Unter einem Schrei, ließ er seinen Beidhänder nach vorne stoßen. Dugol war schnell.
Er sprang zur Seite. Dort wo er bisher stand, war nur noch die grimmig dreinschauende Holzfigur, die das Schwert in die Brust traf. Genau dort, wo das Wappen des Richters hinein geschnitzt war, den alle nur als Henker bezeichneten.
Entschuldige, Holzvater!, widmete er der Figur in seinen Gedanken traurige Worte.
Dann wollte er zurückschauen, da traf ihm der Schwerknauf in einem heftigen Schlag am Hinterkopf und ließ Ero gegen die Holzfigur stolpern.
„Nachher will ich, dass du mein Zimmer ausfegst, meine Kleider wäschst und mein Bett machst“, verlangte Dugol und sah streng auf ihn hinunter. „Kopfgeldjäger.“ Er schnaubte verächtlich auf. „Wenn ich mir ansehe, wie du und deine Freundin kämpft, frage ich mich immer wieder, wie ihr jemals Beute gemacht habt.“
Gerade noch rechtzeitig, seine Niederlage gegen den Räuber mitzuerleben, hatten Gedana und ihre Großmutter Alesa den Raum betreten. Die Enkelin führte die sehschwache Alte am Arm.
Durch der jungen Amazone wurde noch einmal ausführlich die letzten Schritte berichtet und er fühlte sich erst recht wie ein Versager.
Alesa lachte in einem glucksenden Laut auf. Dabei klang es recht eigenartig. Hinter ihrer anderen Hand versteckt, in der sie einen Stock trug. Eher nach einem Uuhuhuhuhu, Uuhuh.
„Und?“, fragte sie darin ihre Enkelin. „Sieht er gut aus unser adeliger Gast?“ Gedana schweigt darauf. Zu beschämt von Dugol darüber zu sprechen, während ihre Großmutter ungeniert weiter plauderte. „Also zu meiner Zeit, als ich deine Mutter noch im Bauch hatte, hatten alle nur von einem jungen Adeligen gesprochen, der aus einer so angesehenen Familie stammte. Jedes Mädchen hat sich damals wohl gewünscht, dass sein Vater auf einem seiner Rösser zu ihnen kam, um sie zu seiner Frau zu machen. Ein schmucker Bursche. Galant und immer gut gekleidet. Nicht wie diese alte Unke Morlo, oder dessen übereifrige Kaulquappe von Sohn. Immer geht es nur quack, quack, quack. Was sein Vater alles falsch macht. Wie er es als Anführer richtig machen würde. Dabei kann er sich einiges bei seinem Vater abschauen. Ich weiß nicht, was deine Mutter an dem findet. Also ich an ihrer Stelle hätte ja damals deinen Vater ans Bett gefesselt, damit er mir nicht fortrennt.“ Sie schlug mit dem Stock auf den Boden. „Das war auch ein schmucker Bursche. Und kämpfen konnte er. Der hätte dem Jungen wirklich was beibringen können.“
„Und das von einer alten Krähe“, keifte Dugol in die Richtung der Alten.
„Junge, in meinen Jahren war ich die schönste Kriegerin!“, rief sie laut. „Maler und Bildhauer in den ganzen Ländern, versuchten meine Schönheit für die Ewigkeit einzufangen. Leider gab es da diese dummen Könige, die nicht einmal davor zurückschreckten ein Kunstwerk zu zerstören, um jegliches Zeugnis für die Amazonen auszulöschen. Aus den Liedern der Barden konnten sie mich nicht löschen und auch nicht aus den Geschichten, die sich die Leute erzählten. Ich war ihre Sirene der Amazonen.“
Alesa riss sich sogar vom Arm der Enkelin los, die sie bisher führte. Hinein in einen Tanz, begleitet von ihrem so außergewöhnlichen Lachen. Dabei öffnete sie ihr hochgestecktes Haar. Jetzt war es dünn und ergraut. Einst muss es in einem kräftigen Feuer auf ihren Schultern gelodert haben. Ihre Haut schlägt Falten und Altersflecken breiten sich auf ihrem Körper aus. Doch nichts kann verheimlichen, wie wahr doch ihre Worte waren. Sie musste einst wirklich gut ausgesehen haben. Der Beweis waren die beiden Mädchen, die nach ihr kamen. Der wilde Rotschopf Gedana und ihre gezähmte Mutter Melasa.
Ero legte sein Schwert zur Seite und griff ein, als die Alte drohte, mit einem der im Saal aufgestellten Hindernisse zusammenzustoßen. Gedanas Mund hatte sich zum Schrei geöffnet, da griff er nach der Hand der Alten und führte sie in ihrem Tanz zu einem sichereren Punkt im Raum.
„Ach, doch ein Gentleman“, rief sie kichernd, als sei sie ein junges Mädchen, dass zum Ball ausgeführt wurde. Als sie sich an Dugol wandte, klang ihre Stimme eher rau. „Daran kann sich jemand ein Beispiel nehmen. Du würdest eine alte Frau eher an eine Klippe führen.“
„Diese mit Vergnügen“, kommentierte der Räuber leise. Nicht bedacht, dass die Augen der Alten geschwächt waren aber nicht ihr Gehör, dass jedes Wort davon mit einem Schnauben aufnahm.
Statt es zu erwidern, wandte sie sich wieder Ero zu.
„Und sicher ein schmucker Junge“, stellte sie angetan fest. „So wie der alte Grobian in deiner Nähe mit den Zähnen knirscht muss es stimmen. Und du bist mit diesem jungen Mädchen liiert?“
„Nicht liie…“ Weiter kam er nicht. Die Hand der Alten rutschte von seiner Hüfte hinab zum Po, in den sie ihn dreist hinein zwickte.
Ero zuckte unter dem Schmerz kurz und floh dann aus dem Tanz mit der einstigen Anführerin der Amazonen, die hier vor ihm stand. Lachend. Total vergnügt über diese Begegnung.
„Also hat meine Enkelin noch Chancen. Es spricht nichts gegen die Belebung der Amazonen. Aber einem schnuckeligen Adeligen den Kopf verdrehen, wäre auch ein gutes Ziel!“
„Großmutter!“, schrie Gedana laut auf. Sie war schnell an der Seite der alten Frau. Als sie zu Ero sah, entschuldigte sie sich mit ihrem Blick für das Verhalten ihrer Großmutter.
„Das war großartig!“, legte diese sogar nach. „Ich habe mich wieder wie ein junges Mädchen gefühlt.“ Als sie in Richtung Dugol sah, veränderte sich ihre Stimme wieder in diesen rauen Klang. „Jetzt lass den Jungen in Ruhe und sag ihm, was mit seiner Freundin ist. Deine Wäsche kannst du auch selber Waschen oder ist der große Räuber plötzlich wieder zum kleinen Buben geworden, der sogar Hilfe braucht, sich den Arsch abzuwischen?“
„Gut!“, stieß er aus. „Wenn der Junge wissen soll, was mit seiner Freundin geschehen ist.“ Dugol lief vor Alesa und stieß Ero dabei von der alten Frau weg. Seine Worte galten mehr ihr, als ihm. „Sie ist fort! In der Nacht ihrer Ankunft meinten ein paar unserer Jungs, sich mit ihr zu amüsieren. Sie hat sich gegen sie gewehrt und verloren. Nicht jede Frau, die bei uns aufgenommen wird, hat das Glück, das mein Vater sie unter seinen Schutz stellt. Besonders nicht, wenn es heißt, sie sei dem Henkersohn versprochen.“
Seine Worte, zu deren Ende er auf Ero schauten, waren einfach nur gemein und da, ihn zu quälen. Außerdem konnten sie nicht stimmen!
Alina war stark und trickreich. Sie fand immer eine List, mit der sie ihren Gegner bezwang. Immer!
„Nein!“, schrie er daher. „Alina kann nicht tot sein. Das ist eine Lüge!“
Während der ganzen Tage hier, blieb er beherrscht, wann immer die Räuber versuchten ihn zu demütigen. Jedes ihrer Worte ließ er nicht an sich heran.
Und Dogol genoss es, wie sehr ihn ausgerechnet die trafen.
Ero sah zu den Amazonen, die genauso überrascht aussahen wie er. Wie ihm oft gesagt wurde, sie wussten nicht, was bei den Räubern passierte. Nach 14 Jahren waren sie immer noch Außenseiter. Sogar Dugol schien wenig mit seiner Frau über das zu sprechen, was ihn bewegte. Oder er ließ sie absichtlich im Ungewissen, damit sie nicht zwischen die Fronten geriet.
„Ich möchte mit Morlo sprechen!“, befielt Ero. „Bring mich zu deinem Vater!“
Dugol genoss es Ero so vor sich zu sehen. Verzweifelt, obwohl er an die Stärke seiner Freundin glaubte. Daran, dass ihr nichts passiert war. Dass sie jeden ins Jenseits beförderte, der auch nur seine Hand an sie legte. Ganz so, wie es Alina von ihrem Vater beigebracht worden war.
Genau! Sie kann nicht tot sein! Alina lebt!
Ero streifte die Angst ab und beruhigt sich. Seine Stimme klang bei seinen nächsten Worten fester.
„Wenn du es mir nicht sagen willst, dann gehe ich halt und stell alles auf den Kopf. Irgendwo finde ich ihn schon.“
Er kehrte sich dem Ausgang zu und wollte fort.
„Warte Henkersohn“, rief Dugol ihm nach und meinte Ero damit zügeln zu können, doch dieser verließ den Raum. „Wie er es will!“, schickte ihm Dugol knurrend hinterher.
Alesa wandte sich dem Räuber zu.
„Er hat recht, was seine Freundin betrifft. Sie lebt. Ich weiß nicht, was du damit bezweckst aber quäle den Jungen nicht so. Er scheint nett. Anders als die meisten Adeligen, die eure Beute sind.“
„Würdest du das auch sagen, wenn seine Begleiterin, dass Mädchen, von dem es heißt, sie wäre mit ihm verlobt, wirklich eure Amazonenprinzessin ist?“
Beide Amazonen drehten den Kopf zu dem Räuber.
Alesas vom Alter geschwächten Augen mochten ihn nicht mehr sehen können. Das änderte sich nichts daran, dass sie ein Bild von sich sah. Ein Mädchen mit blonden Locken so schön wie der Morgen und blaue Augen, die Könige in ihren Bann ziehen konnten. Wie Melasa sagte, ein Abbild von Nette. Eine junge Kriegerin, genau wie ihre Mutter vor 18 Jahren.
Ihre Hand tastete nach der Enkelin und berührte sie an dem Arm.
Sie schickte Gedana fort, damit sie Ero zu Morlo bringen konnte, ganz, wie er sich wünschte.
Und sie blieb bei ihren Worten. Der Junge würde sie noch alle überraschen. Nicht nur er, auch seine Freundin Alina.
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Gedana blieb ungewöhnlich ruhig, nachdem ihre Großmutter sie gebeten hatte, ihn zu Morlo zu führen. Erst langsam traute sie sich eine Frage.
„Meinst du wirklich, Dugol lügt?“, fragte sie ihn. „Ich weiß, wie die Männer hier sind. Zutrauen würde ich es. Besonders da du und sie …“ Mehr brachte sie nicht zustande zu sagen.
Ero schwieg, fest an seine Worte von zuvor glaubend.
Würde irgendeiner der Räuber Alina versuchen anzurühren, würde dieser ein verlorenes Körperteil beklagen oder sogar sein Leben dafür geben.
Dennoch konnte niemand ihn davon abhalten, an Morlos Zimmer einfach einzutreten, wo Gedana anklopfen wollte.
Der alte Räuber saß gerade im Gespräch mit zwei seiner Männer. Während die Räuber ihn missbilligend wahrnahmen, wirkte ihr Anführer geduldiger mit ihm. Sein Finger erhob sich im Signal, er möge jetzt nichts sagen. Dann wandte sich Morlo seinen Leuten zu.
„Wir besprechen es nachher weiter, lasst mich kurz mit dem Jungen reden.“
Die beiden Männer wollten etwas erwidern, doch das Wort ihres Anführers war ihnen Anweisung genug. Sie verließen den Raum. Erst als die Tür wieder geschlossen war, wies Morlo auf den Stuhl ihm gegenüber.
„Setze dich! Ich denke, mein Sohn hat es dir gesagt?“
Ero kam dem nicht sofort nach. Wut peitschte in ihn hoch. Auf die Räuber und besonders ihn. Darüber, dass sie ihn die letzten Tage gedemütigt haben, obwohl Alina vermutlich nicht einmal mehr hier war. Wie in der Nacht im Anwesen ihrer Familie. Als sie alleine fort wollte.
Ohne ihn!
„Was? Dass Alina tot sein soll? Dass soll ich glauben?“
„Nicht du!“, sprach Morlo und wiederholte seine Anweisung an ihn, sich zu setzen.
Dieses Mal kam Ero dem sogar nach. Mit einem Schnauben setzte sich auf einen Platz, an dem vorher ein kleiner Blumenstrauß in einer Tonvase hinter den Bild einer Frau gestanden hatte. Beides wurde auf einen Schrank gestellt, um auf dem Tisch Karten ausbreiten zu können.
Ero konnte darauf eines der Anwesen erkennen, die er in Begleitung seines Vaters schon einmal besucht hatte. Vermutlich hatte er sie bei der Beredung einer Strategie zum Angriff gestört. Er nahm kurz eines der Blätter in seine Hand.
„Wie ich Alina versprach, habe ich von meinen Leuten das Gerücht streuen lassen, sie sei gestorben. Ich weiß nicht, ob es gelingt Nerre zu täuschen, doch wir müssen es versuchen. Mir bedeutet Marno so viel, wie euch. Er soll nicht ein weiteres Opfer im Kreuzung dieser Verrückten werden.“
„Was ist mit Alina?“, verlange Ero drängender zu wissen und ließ den Zettel los. „Wo ist sie?“
„Ich weiß es nicht“, gestand Morlo. „Sie verließ uns in der Nacht, als ihr gekommen seid. Alina sagte, sie wolle sich mit deinem Vater beraten. Wir sollten dich ein wenig ausbremsen, damit sie das alleine machen kann.“
„Das verstehe ich nicht!“, meinte Ero darauf. „Alina würde nie ohne mich irgendwohin gehen. Schon gar nicht zu meinem Vater. Wir sind Partner. Wieso sollte sie das tun?“
„Frag sie!“, wies sein Gegenüber ihn an. „Folge ihr und stell sie zur Rede!“
Morlo erhob sich mit der deutlichen Geste, ihn nicht mehr aufzuhalten.
„Je eher du fort bist, umso besser. Dann besteht nicht mehr die Gefahr, dass einer meiner Männer erkennt, wer du bist, Ero.“ Ero stand ebenfalls auf, doch bevor er ging, hielt der Räuber ihn noch einmal zurück und ging an eine hier stehende Kiste. „Alina hat nach euren Waffen verlangt aber wieso wollte sie davon nur den Beidhänder und die Dolche?“
Was Morlo heraushob war Ero so bekannt wie nichts anderes.
Im Wagen lag es versteckt unter seinen Sachen. Eine rötlich verzierte Decke mit dunklem Strick zusammengezogen. Morlo öffnete das Paket, bis zwei Schwerter zum Vorschein kamen. Schmale Klingen, um die sich ein Drache nach oben schlängelte. Ihre Griffe wirkten wie die Klauen eines Drachen. Vom Gewicht hatte der Schmied sie leicht gehalten.
Ein wahres Meisterwerk, geschmiedet um einer Person zu gehören.
„Sie weiß es nicht.“ Seine Hand legte sich auf die ihm nun gereichten Schwerter. Er nahm eines von ihnen. Das Silber glänzte genauso, wie er es sich wünschte. Von einer der Klauen hing ein rotes Bändchen herab. „Es soll ein Geschenk sein.“
„Der Prinzessin der Amazonen wird man nicht mit plumpem Schmuck imponieren können“, sprach der Räuberanführer und Ero begann zu lachen.
Geschmeide aus Gold und Silber kamen tatsächlich bei Alina an. Aber ein solches Schwert würde sie lieben.
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Morlo hielt ihn nicht länger auf, sondern brachte ihn zum Stall, wo Falira zwischen zwei Braunen stand, die uninteressiert an ihrer neuen Stellgenossin wirkten.
Es war auch das erste Mal seit ihrer Ankunft, dass er sie sah. Die letzten Tage hatte ihn Dugol so mit Arbeit vollgepackt, dass Ero nicht einmal einen Gedanken für sie hatte. Jetzt schloss er seine brave Stute in die Arme und schmiegte sein Gesicht an ihren Hals.
„Nicht einmal du hast Alina zurückhalten können?“, fragte er sein treues Mädchen, dass darauf schnaubte, als wolle sie ihn fragen, wie das möglich sein sollte. „Aber einholen werden wir sie! Du bist das schnellste Pferd, dass wir je hatten. Wenn es eines schafft dann du!“
In diesem Moment senkte sich Faliras Kopf in das Heu, an dem schon die anderen beiden Rösser fraßen.
Ero sah verwundert zu seinem Ross, das gewöhnlich voller Energie wirkte. Nicht nur das.
Beim Aufzäumen und Satteln stellte sich sein gehorsames Pferd an, als hätte er eine Kuh unter sich. Es brauchte drei Anläufe, um ihr das Zaumzeug überzustreifen, da Falira, sobald er sie bewegt hatte, den Kopf hoch zu nehmen, ihn schon wieder ins Heu sinken ließ. Der Gurt des Sattels ließ sich schon gar nicht richtig spannen, da sie sämtliche Luft durch die Nase in den Bauch einsog und sich so aufblähte, dass sie eher einem Ballon glich.
„Was ist denn los?“, fragte er und meinte, das falsche Pferd vor sich zu haben. „Haben sie es dir in den letzten Tagen zu bequem gestaltet, während ich arbeiten musste? Hör endlich auf mit dem Blödsinn und lass uns aufbrechen!“
Ero verpasste seiner ungehorsamen Stute einen leichten Klaps gegen den aufgeblähten Bauch. Kaum spürbar aber bei ihr ankommend und auf den sie ihr Missfallen in einem einzigen Schnauben Ausdruck verlieh. Damit endete auch das Zedern und sie ließ sich endlich satteln.
Als Ero aufgesessen hatte, reichte Morlo ihm eine Satteltasche.
„Mit dem Proviant solltest du bis zum Anwesen deines Vaters kommen“, sagte der Räuber und beobachtete, wie der Junge es hinter dem Sattel befestigte. Zuletzt die beiden Schwerter. „Dein Besuch hier, ist eine Ausnahme. Egal was passiert, bleibe bei deinem Vater und komm nicht auf die dumme Idee, mich ein weiteres Mal aufzusuchen!“
Auf Anweisung ihres Anführers öffneten die Räuber das Tor nach draußen und Ero setzte zu einem Ritt an.
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„Es ist nicht klug beide gehen zu lassen“, ertönt die Stimme seines Sohnes, als man den Jungen noch in der Ferne erkennen konnte. „Wie reagieren unsere Leute, sobald sie erfahren, welchen hoch geborenen Gast sie in den letzten Tagen auf deinen Wunsch beherbergt haben.“
Morlo stand mitten im Raum. Sein Sohn musste kurz zuvor dazu gekommen sein. Jetzt lehnte er am Gatter des Pferdestalls. Seine Hand tätschelte die Schulter eines der Pferde. Er sah seinen Vater nicht einmal an, während er diesen verriet. Um beide herum drehten sich fragende Gesichter zu ihnen.
„Und du willst es ihnen sagen“, schloss der alte Räuber daraus. Sein Sohn mochte ihn zu alt für diese Position halten und darauf warten, dass er endlich die Führung an ihn übergab aber dumm war Morlo nicht. Er wusste um das Blatt, in Dugols Hand. Aber dieses Spiel war ebenso riskant für ihn. „Und wie erklärst du ihnen, dass du so lange geschwiegen hast?“
„Du bist trotz allem mein Vater“, sagte Dugol und versteckte nicht einmal sein Lächeln beim Sieg über seinen Vater. Er sah sich gewiss, endlich seine Chance gefunden zu haben.
Morlo hatte mit Dugol schon immer einen sehr ehrgeizigen Sohn.
Kaum konnte er laufen, wollte er seinen Vater schon begleiten, egal ob dieser mit den anderen jagen ging oder einen Überfall plante. Fing er etwas an, wollte er der Stärkste oder Beste sein. Und auch sein Ziel den Posten als Anführer zu übernehmen, fasste er sich früh ins Auge.
„Wie du es dir wünscht, ich überlasse dir meinen Posten“, sagte Morlo und war keineswegs der geschlagene. „Aber hast du die Zeit genutzt, dich dem Jungen zu beschäftigen. Ihn auch mal nach seinem Vater zu fragen. Dann hättest du erkennen, dass der Feind nicht am Richterpult steht, sondern viel weiter oben sitzt.“
„Egal ob Richter oder König, an beiden klebt das Blut unschuldiger“, entgegnete Dugol seinem Vater. „Der eine greift gerne selbst zu Schwert und Axt, während der andere vom Thron aus seine Anweisungen gibt.“
Er wies den Dieben an, sie sollen die Pferde satteln, dann ritten sie auch schon los. Ero hinterher.
Was in der Höhle sich schon andeutete, wurde von Falira draußen umgesetzt. Nach einem kurzen Sprint aus der Höhle, trottete die Stute gemütlich den Weg entlang, als besäßen sie unendliche Zeit.
„Du hast ja kein Problem, wenn es etwas länger dauert!“, rief er zu seinem Pferd. „Du steckst deine Schnauze einfach ins Gras, um dich rund und dick zu fressen. Ich benötige Geld, das ich im Moment nicht habe, mir damit Essen zu kaufen.“
Manchmal kam es ihm so vor, als würde dieses Pferd jedes seiner Worte genaustens verstehen und sich sogar über ihn lustig machen.
Anders konnte er es sich nicht erklären, dass Falira trotz seines Gegensteuerns zum Wegesrand lief. Dort streckte sie ihren Kopf ins Gras und zupfte ein ganzes Bündel davon ab. Als sie ihren Kopf wieder hochnahm, schauten viele der grünen Halme zwischen ihren Lippen hervor. Dabei sah Falira ihn an, als würde sie sagen: Probiere doch einmal. Ist ganz lecker.
„Nein Danke!“, rief Ero und verzog angewidert das Gesicht. „Wer weiß was Eichhörnchen und Marder darin schon alles so getrieben haben.“
Er schüttelte sich, während Falira durch ihre Nüstern schnaubte und zu kauen begann.
Könnte sie mit den Schultern zucken, würde sie das tun und sagen, das sei ab jetzt nicht mehr ihr Problem.
Ero begann zu lachen und ließ sich nach vorne auf den Hals seiner Stute fallen.
Ihre struppige Mähne kratzte an seiner Wange.
Es war wirklich Zeit, dass sie nach Hause kamen und Arela ihr berühmtes Falira-Verwöhnprogramm auffahren konnte.
Wie auch immer sie das anstellte. Faliras Mähne war dann wieder ganz glatt und ihr Fell wunderbar weich.
Das Pferd hörte die Geräusche als erstes. Ihre Ohren zuckten wachsam. Lauschend auf den donnernden Hufschlag aus der Ferne. Dann hörte auch Ero sie.
Er trieb seine Stute zurück auf den Weg und in einen Galopp, der nicht schnell genug sein würde. Und egal, wie er Falira antrieb, ihre Hufe wirkten träge.
„Fünf Tage!“, schimpfte er auf sein Ross. „Was haben die in der Zeit mit dir angestellt? Dich so mit Leckereien vollgestopft, dass du jetzt kaum noch deinen Arsch in Schwung bekommst? Hat dir das so gefallen, dass du zurück in den warmen Stall willst? Dann will ich dir was verraten. Das mit dem ‚Köpfe nach Hause schicken‘, haben die nicht nur zum Spaß gesagt, also jetzt zeigt mal, wieso du als das schnellste Pferd aus der Zucht meines Vaters giltst!“
Tatsächlich legte Falira an Tempo zu.
Ero sah nach hinten, wo er schon Dugol auf einem der Braunen hinterher eilen sah. In seiner Begleitung ritten zwei weitere der Räuber. Einer auf einem Fuchs, der andere hatte einen Apfelschimmel unter sich.
„Henkersohn!“, hörte er es hinter sich rufen. „Warte! Wir konnten dir doch noch gar nicht unser Abschiedsgeschenk geben.“
Begleitet von einem Lachen, dass an Wahnsinn erinnerte.
Ero konzentrierte sich wieder auf dem Weg.
Solange sie auf diesem blieben, konnte es Ero gelingen, sie abzuhängen. Dabei verdrängte er, dass die Räuber hier zuhause waren und er auf fremdem Gebiet.
Sie kannten den Wald mit jedem seiner Bäume. Das gab ihnen Schutz. Besonders nachdem die Amazonen zu ihnen gestoßen waren, die über Jahrhunderte mit dem Wald gelebt hatten und in dieser Zeit ganzen Armeen standhielten. Mit ihren Tricks, mussten sie ein wahrer Gewinn für Morlo gewesen sein.
Ero bekam das nun darin zu spüren, dass zwei Reiter aus dem Wald kamen. Rechts auf dem anderen Braunen, links auf einem Rappen.
Der Reiter des Rappen versuchte alles einfach zu gestalten, indem er nach Faliras Zügeln griff.
Ero ließ die Stute nach rechts ausweichen, verlangsamte sein Tempo, um zurückzufallen. Dann blitzschnell, wies er Falira an, nach rechts in den Wald auszuweichen.
Die Stute gehorchte so brav, wie er es gewohnt war. Als wären sie und er eins, brauchte er nur andeuten, was er plante und schon setzte sie es um.
Falira sprang vom Weg über einen kleinen Graben, hinein in den Wald. Vorbei an zwei großen Eichen, an denen ein aufgeschrecktes Eichhörnchen hinauf lief. Ero ließ seine Stute sich in Richtung Norden halten, da in dieser Richtung Ylora lag.
Hinter ihnen bellte eine Meute Hunde, die wohl auf ihre Witterung angesetzt wurden. Und hinter sich hörte er den Schlag von den Hufen seiner Verfolger.
Ero schaute zurück und konnte vier Reiter entdecken.
Von Dugol fehlte jede Spur. Vielleicht hoffte der Räuber, er könne Ero mit Hilfe der anderen in die Falle locken. Das würde nicht geschehen!
Schon jetzt hatten ihre Pferde Probleme mit der flinken Falira aufzuholen. Wie sollte er dann …?
Falira sprang über den breiten Stamm einer vor Jahren vom Sturm entwurzelten Buche.
Ein Fuchs der sich im Schutz davon seinen Bau gegraben hat, rannte so schnell ihn seine Beine trugen nach links, um nicht von den Hufen des Pferdes erwischt zu werden. Dem nachfolgenden Donner konnte das Tier nur noch in einem rettenden Sprung nach unten, hinein in seinen Bau entkommen, als ein Brauner in einem halsbrecherischen Ritt auf den Stamm sprang. Morsches Holz knackte unter den Hufen des Pferdes bei jedem seiner Schritte. Es war zu schwer für den morschen Stamm. Auf seiner Mitte, gerade als sich das Pferd im Sprung nach unten befand, fiel das Holz in sich zusammen.
Hinter den beiden Reitern mühte sich der Fuchs aus seinem nun teils vom Holz der Buche versperrten Höhle. Trat, kratzte und jaulte, bis er sich endlich befreit hatte, den Blick in Richtung der Pferde gerichtet, die seinen Wald mit ihrer Jagd in Aufregung versetzten.
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Falira stieß die Luft in vor Anstrengung schweren Atemzügen aus ihren Nüstern. Ihre Muskeln arbeiteten unter der Haut wie noch nie in ihrem bisherigen Leben. Nicht während ihrer Ausbildung oder in späteren Rennen gegen Belena, wo sie selbst im Trab gegen die alte Stute siegte. Noch irgendwo sonst unter ihrem Reiter.
Heute musste sie alles geben, das spürte sogar das Pferd. Die Stute lief so schnell, wie sie ihre Beine trugen und ließ sich noch nicht einmal dadurch bremsen, dass sie mit der Brust einen im Weg hängenden Ast durchbrach und die Splitter davon in ihre Haut stachen.
Sie musste schneller sein, als jemals zuvor und vor allem schneller, als das Pferd des Räubers, mit dem sie sich vor wenigen Minuten im Stall noch friedlich das Heu geteilt hatte.
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Dugol setzte sich mit seinem Braunen neben Ero. In seiner Hand ein leichtes Schwert erhoben, dessen ersten Hieb Ero darin entkam, dass er sich auf den Hals seines Pferdes fallen ließ.
Er spürte die Bewegung seiner Stute im ganzen Körper und trieb sie nicht einmal mehr an, sondern überließ sich ganz ihr. Seine Hand tastete vom Hals zur Brust. Das Licht glitzerte durch die Bäume und ließ Faliras Fell wie schwarze Seide glänzen.
Vor ihnen tauchte ein Gebüsch aus Brombeeren auf. Falira nahm es im Sprung, von dem sich Ero hoch tragen ließ. Im Fall, griffen seine Hände nach hinten, wo die Schwerter lagen. Ero zog sie.
Sein Gegner ritt um das Hindernis herum. Falira schien zu spüren, dass er sich im Kampf stellen wollte oder sie wurde einfach müde. Ihr Galopp verlangsamte sich auf ein Tempo, bei dem sie den Ritt länger würde durchhalten können, ohne vor Erschöpfung zusammenzubrechen.
Dugol empfing das mit seinem Schwert. Ein Schlag, den Ero mit gekreuzten Schwertern blockte und über ihn hinweg weiterleitete. Der so ungeschützte Bauch seines Gegners bot sich ihm für einen eigenen Angriff an.
Doch war sein Gegner kein Anfänger, sondern ein Profi, der seinen Körper zurücknahm, damit ihn die Schwerter nicht trafen und er sie mit der eigenen Waffe wegschlug.
Faliras Galopp fühlte sich dabei so gleichmäßig an, dass er sich darauf treiben ließ. Er schenkte seinem Pferd das vollste Vertrauen und konzentrierte sich ganz auf den Kampf. Den Zwei-Schwerter-Stil, lehnte er dabei an Alina an, die das früher gut beherrscht hatte und selbst jetzt in der Handhabung ihrer Dolche zwar nachgelassen hatte aber jeder Zeit zu ihrer gewohnten Stärke zurückfinden konnte.
Er trat über Jahre als ihr Gegner an. Immer ging er als Verlierer hervor. Ero kannte ihre Angriffe und wusste, welche Fehler er damals gemacht hatte. Welche, die er zu gerne wiederholte. Da beide einst denselben Lehrmeister hatten, kämpften sie auf die gleiche Art. Das bedeutete, er konnte die Angriffe nutzen, mit denen Alina ihn schlug, um Dugol wenigstens in Schach zu halten, wenn nicht sogar vom Pferd zu stoßen.
Sein Gegner dagegen, konzentrierte sich nicht nur auf ihn, sondern auch auf die Führung seines Pferdes.
„Weißt du, Ero, es ist zu schade, dass ich dich umbringen muss“, rief ihm Dugol zu. „Du besitzt durchaus Potential. Aber wenn ich nicht mit einem toten Henkersohn zurückkomme, denken die anderen, ich sei so nachsichtig wie mein Vater. Und es wäre schlecht, wenn sie ihren Glauben in meine Familie verlieren. Immerhin soll mein Kind nicht mit einem Verlierer als Vater aufwachsen, sondern mit einem Anführer! Was mein Vater schon längst nicht mehr ist.“
„Du versuchst deinen eigenen Vater abzusägen!“, traf es Ero. Seine Unachtsamkeit nutzt der Gegner aus. Doch der Junge hatte sich schnell wieder gefangen und fing den Schlag mit seinen Schwertern ab.
Dann griff er an.
In seinem Geist kreisten die Gedanken.
Ero konnte sich in den letzten Tagen mit den Räubern beschäftigen. Er lernte ihre Art des Lebens kennen.
Wie die Amazonen hatten sie sich außerhalb des Landes Stützpunkte gebaut. Was sie an frischer Nahrung nicht auf ihren Diebeszügen erbeuteten, holten sie sich von dort.
Morlo hatte in den Jahren eine gut funktionierende Untergrundstadt geschaffen.
Entgegen der Meinung seines Sohnes war dieser Mann nicht schwach, sondern besaß eine Vision, die wichtig war. Nicht nur für seine Band auch das Land brauchte solche Leute.
Doch sprach er dies hier an, würde es auf taube Ohren stoßen.
Dugol war so voller Hass auf die Monarchie und alles, was dafür stand, wie die Vertreter eines ungerechten Rechts, besonders Richter Beldor, den sie nur einen Henker nannten.
Er würde ihm nie zuhören.
Falira ritt in eine Senke.
Statt ihr zu Folgen, wies Dugol seinem Braunen an, oben zu bleiben. Ero konnte ihn über sich auf der linken Seite entdecken.
Vor ihnen tauchte eine alte, zerfallene Brücke auf. Falira musste den großen Steinblöcken ausweichen, um nicht zu stolpern. Ab hier, musste er ihr ein wenig Hilfen geben, den Blick nach oben gerichtet, wo er über sich sah, wie Dugol mit seinem Pferd dank der Brücke auf die andere Seite springen konnte.
Dann verschwand der Räuber aus seinem Blickfeld.
Ero konzentrierte sich auf den Weg, ohne seine Wachsamkeit fallen zu lassen.
Er durfte sich auch nicht vom verklingenden Gebell der Hunde in Sicherheit wiegen lassen.
Vor ihm glitzerte eine Wasseroberfläche zwischen den Bäumen. Erstrahlt von der noch hoch stehenden Sonne. Genug, um damit die Hunde von seiner Spur abzubringen.
Ero hielt darauf zu, als plötzlich ein Pferd von Rechts gesprungen kam.
Dugols hatte einen Weg eingeschlagen, der ihn zu einem versteckt liegenden Durchgang führte. Von dort aus, musste er mit seinem Pferd auf Absätzen in der nun steil nach oben aufragenden Wand hinab reiten.
Unter Faliras Hufen zeichnete sich noch ein Weg ab. Zum Zeitpunkt, dass die Straße noch genutzt wurde, musste dieser den Räubern als Versteck gedient haben, Händlern aufzulauern.
Dugol hielt sein Schwert hoch erhoben und Ero konnte kaum rechtzeitig handeln. Aber es gelang ihn den Schlag zu parieren.
Stahl traf auf Stahl. Der Knall hallte von der Wand zu den Bäumen ab. So wurde der Klang ihres Kampfes weit in den Wald hineingetragen. Vielleicht wies es den anderen Räubern sogar den Weg.
Ero musste es also beenden.
Was schwierig war, da Dugol ihn bisher in jedem Kampf besiegt hatte.
Der Räuber hatte recht. Ero übte Tag ein Tag aus. Was ihm fehlte, war die Erfahrung aus richtigen Kämpen. Geübte Kämpfer, die nicht nach Übungsabläufen vorgingen.
Dugol setzte wieder zu einem Schlag an, den Ero gerade noch parieren konnte.
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Und dann war es der Zufall, von dem ihm die Hand gereicht wurde, wo der Räuber meinte, ihn endlich zu haben.
Zum finalen Stich angesetzt, musste er darin unterbrechen, als Falira an einer Baumgruppe links vorbeischoss. Dugol lenkte sein Pferd nach rechts.
Als er wieder zu dem Henkersohn sah, kniete dieser auf dem Sattel, dem Räuber seinen Po zugesteckt. Statt mit den Schwertern anzugreifen, trat er nach hinten aus.
Eros Tritt traf Dugol mit voller Wucht gegen die Brust.
Dugol wollte sich noch mit den Beinen am Körper des Pferdes festklammern, doch er rutschte ab und stürzte zu Boden.
Sein Brauner wieherte irritiert vom plötzlichen Verlust seines Reiters auf und kam in der Ferne zum Stehen. Dugol jedoch sah nur zu Ero, der sich falsch herum in den Sattel setzte.
„Sollte einer deiner Räuber irgendwann einen ehrbaren Beruf nachgehen wollen, unsere Schule sucht noch Lehrer an den unterschiedlichsten Waffen“, rief er laut zu Dugol.
Für den Räuber klang die Stimme des Jungen so voller Hohn, wie dessen hinterhältiger Angriff.
„Ich fange dich noch, Henkersohn!“, jagte er ihm in seinem Zorn nach. „Und dann wird diese Schule dein kleinstes Problem sein.“
Dugo wusste nicht, ob seine Stimme den Jungen erreichte. Es interessierte ihn auch nicht.
Ero schwang sich im Sattel wieder in die richtige Position und ritt in einen Fluss, der den Wald im Osten verließ.
Die Hunde würden seine Spur verlieren.
Doch sein Ziel war bekannt und Dugol würde ihm hinterherjagen.
Seine Zähne spannten unter dem Druck, den er in diesem Versprechen aufbaute.
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Als er beim Eingang zu ihrem Versteck angekommen war, hatte sich die Kunde von seiner Niederlage schon herumgesprochen.
Es stand eine ganze Gruppe dort, ihn zu begrüßen.
Vor ihm kam sein Vater zum Stehen. Dessen Arme verschränkten sich, in Bedeutung seiner hohen Position. Zu einer Rüge ansetzend, als hätte dieser immer noch sein stures Kind vor sich, nicht den Mann über 40, zu dem Dugol geworden war.
Den kräftigen Krieger, der mit seiner Stärke schon oft für die Räuber gekämpft hatte.
„Ist meinem stolzen Sohn die Beute also entwischt“, höhnte der alte Mann. „Warst du es nicht, der ihn als arroganten Burschen gesehen hat, der im Kampf so viel taugt, wie jeder von seinen Dienern verwöhnte Adelige? Ich sagte dir, du täuschst dich in beiden Kindern. Und ich sage es dir gerne noch einmal. Nur sie haben die Möglichkeit dieses Land zu verändern.“
Nicht nur eine Rüge an seinen Sohn, auch an die aufgenommene Enkelin, die eine Rebellion anstrebte, die von ihrer Mutter und Großmutter schon verloren wurde.
„Noch ist der Kampf nicht verloren“, blieb Dugol hart. „Ich werde auf die Jagd nach einem Königshirsch gehen. Wir werden ihn bei dem Fest über der Flamme braten, wenn ich offiziell meinen Posten antrete, den du mir so lange schon verwehrst. Sein Fleisch wird uns nähren, sein Blut uns zum Trank gereicht werden. Während meiner Abwesenheit kannst du alles weiterhin führen, Vater.“
„Lass es Dugol und höre auf mich“, sprach Morlo und wusste schon, er konnte seinen Sohn nicht mehr erreichen. „Dieser Junge ist nicht dein Feind. Lass ihn gehen!“
Sein Sohn hörte nicht auf ihn oder die Frau, deren Hände sich nach ihm ausstreckten. Sie stand kurz vor der Niederkunft mit dem gemeinsamen Kind. Ein Mann, der sie für eine unsinnige Hatz verließ, würde auch nicht dieses Begrüßen können, so wie sie es sich wünschte.
Dugol blieb starrsinnig. Er sah die Demütigung, aber nicht, was ihm ein möglicher Sieg kosten konnte.
Ero folgte mit Falira den Strom des Flusses, bis dieser aus dem Wald führte und noch weiter, hin zu einer befestigten Straße. Und als sei seit Verlassen der Räuber überhaupt nichts geschehen, machte Falira mit ihrem gemütlichen Trott weiter.
Zuerst, indem sie auf hoher Kunst passagierte, hinein in eine Piaffe. Wie es ihr gerade passte. Mal tanzte sie auf der Stelle, dann nach vorne oder zurück. Den breiten Weg entlang nach links oder rechts.
Den Kopf hoch erhoben. Als sei sie stolz auf ihre Leistung.
Ein Siegestanz, an dem sich ihr Reiter nicht erfreute.
Und egal, wie oft Ero ihr einflüsterte, dafür sei keine Zeit, sie wollen zu Alina und die Räuber könnten sie noch einholen, Falira schien ganz gefangen von ihrem Tanz.
Ero hatte sie auf ihrem Weg öfters aus dem Fluss laufen lassen. Er verteilte ihren und seinen Duft an den Bäumen und Sträuchern im Wald und später auf der Wiese.
Darauf bedacht, die zurückführenden Spuren so zu setzen, dass sie selbst für geübte Spurenleser würden schwer zu finden sein.
Damit sie sich verloren.
Er hoffte, es würde seine Verfolger in die Irre führen oder wenigstens soweit aufhalten, dass sie ihnen entkamen, sollte Dugol ihn weiter verfolgen.
Doch bei Faliras Tempo hatten die Räuber alle Zeit der Welt, ihnen zu folgen.
Ero gab es auf, seiner in sich selbst verliebten Stute seinen Willen aufzwingen zu wollen. Stattdessen legte er sich nach vorne auf ihren Hals.
„Wiehere einmal, wenn du fertig bist und wir nach Hause aufbrechen können!“, wies er ihr an. Seine Augen schlossen sich und nach ein paar Minuten dieses schaukelnden Ganges, schlief er tatsächlich ein.
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Seine Augen öffneten sich in einem Blinzeln und nahmen die glitzernde Fläche eines Sees wahr.
Vor ihm, auf der vom Wind zu sichten Wellen gepeitschten Wasserfläche tanzte ein Mädchen. Ihr goldenes Haar, in dem sich die Sonnenstrahlen verfingen, erinnerten an Honig. Er meinte sogar den süßen Geruch vermischt mit Waldblüten riechen zu können. Ihre Augen waren so strahlend Blau, wie ihr Kleid, dass er ihr in Ylora gekauft hatte. Länger als bei ihren bisherigen Tänzen. Der mit goldenen Ketten, an denen weitere Elemente angebracht wurden, verzierte Stoff klimperte bei jeder ihrer Bewegung. Es wurde an seinen Ohren zu einer Musik, als würden Feen sie mit ihrem Spiel begleiten.
Das Kleid lag in dünnen Trägern über ihren Schultern. An den nackten Armen floss ein durchsichtiges Tuch entlang, dass sie in ihren Tanz einband.
Bei jedem Schritt ihrer nackten Füße auf der Wasserfläche gingen kleine Kreise aus, die sich weiteten und im See letztendlich verloren.
Ero wollte sich zu ihr tragen lassen, doch musste als Zuschauer am Ufer verweilen, während sie sich immer weiter von ihm entfernte. In Richtung Süden, als wolle sie ihn genau dorthin locken. Dabei war sein Ziel der Norden. Das Anwesen seiner Familie.
Dort sollte sie auf ihn warten, nicht woanders.
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Die Illusion verschwand und Ero setzte sich im Sattel auf. Die letzten Reste seines Traumes abschüttelnd.
„Alina!“, rief er ihr verschlafen nach. Automatisch wies er seiner Stute mit Schenkeldruck an, sich in Bewegung zu setzen. Der Erscheinung hinterher.
Falira schnaubte auf, als wolle sie sagen: Machst du Witze? Schau mal, wo wir hier sind! An einem See und ich werde kein Huf ins Wasser setzen. Ich hatte heute schon genug Badetag für eine Woche, du dummer Mensch!
Ero rieb sich die Augen und wurde sich nun ganz bewusst, dass es lediglich ein Traum gewesen sein konnte.
Seine Alina war nicht hier. Wie er sich langsam wieder auf den Weg machen sollte.
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Abend brach heran, da gab er seiner Stute den Befehl den Weg fortzusetzen.
Wie lange hatte er auf ihr geschlafen. Eine Stunde? Länger? Und wie weit waren sie in dieser Zeit gekommen, bis Falira den See als geeigneten Rastplatz ausmachte. Hoffentlich weit genug, ihr Nachtlager entfernt von dem Räuberversteck aufschlagen zu können.
Faliras erster Huf betrat den Weg aus runden Steinen.
Ero folgte ihm gähnend mit den Blick, bis er eine Brücke über einen breiten aber nicht tiefen Fluss in der Ferne entdeckte.
Sich noch einmal schüttelnd, um auch die Reste der Müdigkeit abzuschütteln und wieder klar genug zu sein, um das Bild nun voll zu registrieren.
Dann ließ er einen Schrei los.
„Falira! Ist das der gleiche Fluss, den wir vorhin gefolgt sind?“ Die Stute schien den Grund seiner Wut zu verstehen und ihr bis eben noch erhobener Kopf, ließ sich zu nun tiefer sinken. „Du scheinst den Ernst der Lage nicht zu verstehen. Wir befinden uns auf der Flucht vor Räubern. Alina und Belena sind fort. Du brauchst also nicht auf Tempo einer alten Stute bleiben oder darunter. Wir müssen nach Hause. Also bring endlich deinen Arsch in Schwung.“
Mit schwerem Gang und durch die Rüge eingeschnappt, trottete sie auf den Weg in Richtung Ylora.
Es bedurfte eines weiteren Fluchs an sie, damit Falira schneller wurde und sie endlich in einem leichten Galopp hier weg brachte, den sie bis zur Nacht hin und wieder durch Trab oder Schritt unterbrach, um sich nicht zu überanstrengen.
Dank Faliras gemächlichem Gang gelangen Ero so weit, dass er es selbst nicht glaubte.
Gegen Nachmittag entdeckte er in der Ferne ein Dorf.
Mit Alina war er nicht daran vorbeigeritten.
Er kannte es von Karten. Von ihnen wusste er, man erreichte es zu Pferd in wenigen Stunden.
Somit ritt Falira nicht in Belenas Tempo, sie unterbot mit ihren Launen die alte Stute sogar.
Als hätte jemand ein Zauber über sie gesprochen.
Einen Gedanken, den er hinfort lachte, wie er ihm kam.
Wäre er nicht auf der Flucht, sondern auf einem seiner normalen Aufträge, würde er hier für die Nacht Rast machen.
Alina war nicht bei ihm. Sie hatte ihn zurückgelassen! Wer wusste schon, wie viel Vorsprung sie hatte. Er war auch für keinen seiner gewöhnlichen Aufträge unterwegs. Statt die Räuber zu jagen, waren diese ihm auf den Versen.
Ero glaubt nicht, dass Morlos Bande so vorging, wie andere.
Dörfer plündern. Die dort lebenden Menschen ermorden. Und dennoch wollte er es nicht riskieren, ihnen Probleme zu bereiten.
Daher lenkte er Falira in Abstand um das Dorf herum. Entlang Feldern, auf denen erst kürzlich ein Heer des Königs Stationiert worden sein muss.
Das erkannte Ero an den niedertrampelten Pflanzen.
Gemüsesprösslinge, die vom Dorf zur Winterernte gesetzt wurden.
Was nicht von den vom Heer mitgeführten Tieren gefressen wurde, würde sich vereinzelt vielleicht sogar davon erholen. Doch es war zu wenig, um nach der Abgabe noch zu genügen, die Dorbewohner zu ernähren.
Auf den anderen Feldern rings um das Dorf, erblickte er ähnliche Zerstörung.
In solchen Momenten hasste er seinen Herrscher.
König Selon nahm auf sein Volk so viel Rücksicht, wie auf einen Stuhl, der ihn trug. Doch bei beidem konnte man hart fallen, wenn dieser brach.
Und wie sehr Ero hoffte, es würde nicht zu bald geschehen.
Seine Hoffnung galt dem jungen Prinzen. Beiden Prinzen!
Die Thronerben von Miro und Ura stimmten beide nicht mit dem Herrschaftsstil ihrer Väter überein.
Während die Könige hoffen, ihre Söhne kämen von alleine zur Besinnung, zog es diese zum Studium ins Ausland.
Sie strebten dort nach dem Wissen, mit dem es ihnen gelingen würde, eine Verbesserung in ihren Ländern herbei zu führen. Fern ab der vergangenen Schrecken eines ewigen Krieges, dessen Ursprung längst ins Vergessen gerückt war und nun nur noch ein Geplänkel zum Zeitvertreib der Könige bedeutete.
Viel zu unbedeutend, um dafür Menschenleben auf Schlachtfeldern zu opfern.
Vielleicht war es deswegen, weswegen Ero Gedana riet zwei junge Adelige aufzusuchen, die an ihrer Schule das erste Mal ihres Lebens mit der einfachen Bevölkerung in Berührung kamen.
Dort deren Sorgen und Nöte kennenlernten, die an den beschützenden Mauern ihres Heims endeten.
Sie zum Umdenken brachte.
Genau das wollte er dem Mädchen zeigen.
Adelige, die nicht blind für die Not der einfachen Leute waren. Die deren Leben ändern und verbessern wollten.
Genau solche Unterstützung brauchte Gedana, wollte sie diesen Kampf gewinnen!
Und sie brauchten eine Anführerin wie dieses Mädchen auf ihrer Seite, um nicht selbst vom Hass der Bevölkerung auf alle Adeligen verschlungen zu werden.
Um seine eigene Familie machte sich Ero im Falle eines Krieges keine Probleme. Nicht zuletzt dank Marnos Schule wuchs der Schutztrupp seines Vaters zu einem kleinen Heer an.
Ein Teil davon hatte er der zum Schutz der Familien seiner Söhne abgestellt und zur Unterstützung der Witwe seines Freundes.
Es blieben genug, die seine Eltern zu Freunden ins Ausland begleiten konnten, bis sich die Lage abgekühlt hätte.
Sollte Gedana in ihren Krieg ziehen, bestand durchaus die Möglichkeit, dass sich ihr genug Mitstreiter für ein Rebellion anschlossen.
Was die Frage betraf, ob das Mädchen dafür bereit war, wusste sie diese vermutlich nicht einmal selbst zu beantworten.
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Gegen Abend fand er, was verwilderte Felder entlang des Weges ankündigten.
Verbliebene Pfeiler kennzeichneten den Bereich, der einst zur Weide abgeteilt wurde. Sie waren zumeist umgefallen und wurden nun von den Pflanzen überwuchert, andere lehnten an Bäumen oder in Hecken.
Sie führten hoch zu einem Stall, dessen vordere Wand eingefallen lag.
Es wirkte geradezu sarkastisch, dass als einziges davon nur noch das Tor an seinem Platz stand.
Ero führte Falira vorsichtig über die dort liegenden Steine.
Das Gebäude hatte Stürme standgehalten, da würde es nicht ausgerechnet diese Nacht über ihnen zusammen brechen!
Außerdem war es immer noch besser, als die Nacht unter freiem Himmel schlafen zu müssen.
Im Inneren setzte sich fort, was das Äußere vermuten ließ.
Ein muffiger Geruch hing in der Luft, schimmeliges Stroh vermischt mit den Exkrementen von Tieren, die darin ihr Nest gesucht hatten.
Alleine vom Wegräumen, würde der Geruch nicht verschwinden, wie auch Falira in einem Schnauben ihr Missfallen äußerte.
„Jetzt tu nicht so, als würdest du in unserem Stall nicht dein Geschäft verrichten, wo du gerade stehst!“, sprach er zu seiner Stute, nachdem Ero sie in der Stellgasse angebunden hatte. „Du magst einer edlen Zucht entstammen. Was nicht bedeutet, dass du Rosenwasser pinkelst!“
Falira schüttelte sich in einem empörten Schnauben.
Als würde sie ihn darüber tadeln wollen, man rede mit einer Dame nicht über ihre Notdurft.
„Eine Nacht kannst du es ertragen!“, sprach Ero zu ihr. Er tauchte lachend in einer der Stallboxen ab. „Sieh es als selbst auferlegte Strafe für dein Trödeln.“
Dort wurde er nicht fündig, wonach er suche. Auch nicht in der nächsten.
Er musste nach draußen, zum Geräteschuppen, der Näher an der Scheune platziert wurde, um darin eine Heugabel zu finden, mit der er eine der Boxen für ihr Nachtlager räumte.
Ero brauchte nicht auf den Heuboden steigen, um zu wissen, dass dort alles verschimmelt war.
Das Stalldach war vermodert.
Bei Regen floss Feuchtigkeit durch Löcher darin ins Innere. Was ihn froh machte, eine warme Nacht zu erleben und somit in der Stallbox nicht noch einen Regenschutz spannen zu müssen.
Was jetzt noch fehlten waren zuerst Reisgzweige. Zusammen mit dem Mist würden sie die Grundlage für ein Feuer geben, in dem er die Balken des Stalls verbrennen wollte.
Für Faliras Futter wollte er etwas Grün von den Weiden ernten.
Es stand hoch genug, damit drei Schläge mit der Sense genügen dürften, die er im Schuppen gesehen hatte.
Dort hin war er gerade unterwegs.
Vorhin kam er nicht dazu, sie zu begutachten, was er nun nachholen wollte.
Zuletzt ein Braten.
Hase vielleicht oder etwas größeres. Was auch immer er im Wald erlegte. Wenn er nichts fand, würde er von den Vorräten zehren müssen, die der Dieb Morlo ihm für seine Reise zugedachte.
Ero dachte gerade darüber nach, als er im Fenster eines der Nebengebäude das Flackern eines Feuers entdeckte.
Nanu! Doch nicht verlassen?
In dem Gedanken leitete er seine Schritte links an dem Schuppen vorbei zum Haus.
Bedacht darauf, im Dämmerlicht keinen verräterischen Laut von sich geben zu wollen.
Es könnte jemand sein, der bestrebt war, den Hof wieder aufzubauen.
Was würde er dann machen? Sich an anderer Stelle ein Lager zu suchen, war es zu spät.
Die Nacht brach in den nächsten Stunden ein.
Sie bitten hier zu übernachten und ihnen im Gegenzug Hilfe beim Aufbauen des Hofes anzubieten, wäre ganz nach Marnos Regeln, würde jeden jedoch in Gefahr bringen. Zudem konnte er es sich als Gejagter nicht leisten!
Ebenso gut konnte sich auf dem Hof Gesindel einquartiert haben, um das er sich nicht groß kümmern musste … Seine Verfolger!
Ero ging neben dem Fenster in die Hocke, kaum, dass er Dugol ausgemacht hatte, der hier zusammen mit den ihm folgenden Räubern saß.
„Du musst doch etwas davon gewusst haben!“, stellten sie den Sohn ihres Anführers zur Rede. „Dein Vater lädt einen der Henkerssöhne zu uns ein und sagt dir nichts davon?“
„Stellt ihr meine Treue gegenüber dem Lager in Frage?“, schoss er auf seien Kameraden zu, wie einer seiner Schwerthiebe auf Ero als sein Gegner niederging.
Und als hätte er tatsächlich die Waffe geschwungen, schreckten die Männer unter seinem Ruf zusammen.
„Das behauptet keiner von uns!“, rettete sich einer der anderen in eine Ausflucht.
Jedem Zuhörer, sogar dem Jungen, von dem sie nichts ahnten, war klar, dass sie ihm genau das heimlich unterstellten.
Sie hatten sich in der Mitte des Raumes ein Feuer entzündet. Um den Abzug des Rauches brauchten sie sich nicht kümmern, da das Dach eingefallen und vermodert über ihnen lag. Seine am Boden liegenden Reste dienten nun zum Anfeuern.
Über dem Feuer brat ein junges Wildschwein.
Sie mussten das Tier im Wald von seiner Rotte getrennt und erlegt haben.
Ein Festmal gegenüber seinem bescheidenen Vorrat.
Eros Hand ging zum Bauch, der darunter leise murrte.
Dugol saß im Schneidersitz da und hatte sich bei seinen Worten nach vorne gelehnt.
Jetzt zog er sich zurück und streifte dabei mit seinem Blick das Fenster.
Worauf Ero seinen Kopf einzog.
Hatte der Räuber ihn entdeckt?
Da dieser im ruhigen Ton weiter sprach, wusste er nicht um den stillen Zuhörer und der Junge entspannte.
„Er ist mein Vater!“, warf Dugol ein. „Bei aller Kameradschaft, kann ich mein eigen Fleisch und Blut nicht verraten!“ Er machte eine Pause, die er dazu nutze, seine Kameraden zu beobachten. Machten sie ihm daraus einen Vorwurf? „Ich dachte, er kommt zur Besinnung, nicht, dass er dieses Mädchen mit einem Mord davon kommen lässt und den Jungen unser Leben zeigen will!“
„Du scheinst deinen Gefallen an den Burschen gefunden zu haben!“
Statt Wut auf die Behauptung, legte er seine Miene in ein verschmitztes Lächeln.
„Sagt mir, wann hat man schon einmal einen der Henkerssöhne zum persönlichen Spielzeug? Das muss ausgekostet werden! Umbringen kann man ihn jederzeit, diese Gelegenheit ende jedoch damit!“
„Ach was bin ich doch froh, dir solches Vergnügen bereitet zu haben!“ Ero musste sich beherrschen, diese Worte über seine Lippen zu hauchen, statt sie in den Abend zu schrien. Wozu ihm eher der Sinn stand.
Er war ein junger Mann! Keine Puppe, die man nach Belieben in die Ecke warf, ihr die Arme ausriss oder mit einem Messer malträtierte, bis nichts davon übrig blieb!
„Ero!“, sprach ein anderer seinen Namen aus. Sein Körper zuckte instinktiv, im Wunsch, sich als angesprochener aufzurichten. „Ich muss zugeben, Beldors Jüngsten hätte ich mir anders vorgestellt!“
„Nicht so schäbig und in Lumpen gehüllt, als sei er ein Bettler?“ Einer der anderen.
„Kein Wunder, dass der Henker für seinen Spross eine Tänzerin aussucht! Welche Adelige schläft schon bei einem Mann, der so aussieht, als begattet er die Pferde selbst, die sein Vater züchtet oder als räume er deren Scheiße weg.“ Dugol dieses Mal.
„Das sagst du jetzt nur, weil Gedana dem Knaben schöne Augen macht!“
„Unsere kleine Amazone ist halt doch ganz Mädchen. Die können schon mal vom Gold und bequemen Leben so geblendet werden, dass sie ins Träumen geraten!“
„Erledige solche Fantasien darin, sie einem von uns zu geben!“
„Ja! Im Ehebett vergisst sie jeden Schönling sofort! Außerdem würde es dir eine gänzlich zufriedene Stimme mehr bei der Übernahme bescheren.“
Die Männer lachten und trieben ihre Scherze mit Vorschlägen, was man alles mit dem Mädchen anstellen konnte, ihr auch den Plan zur Rebellion auszutreiben.
Alle reichten bis weit unter Gedanas Gürtellinie.
Der Mann bei ihnen blieb beherrscht und zuerst ohne Reaktion.
Als er sprach, tat er das nicht als Räuber, sondern ganz Vater, der die Ehre seiner Tochter in Schutz nahm.
Nicht das Bündel eines anderen, was Gedana war, als sie mit ihrer Mutter den ersten Schritt über die Schwelle der Räuber trat. Seine Tochter, ihm so viel bedeutend, wie sein eigen Fleisch und Blut es nur konnte.
„Versucht es! Doch seit euch gewiss, bei Gedana nur eine Chance zu haben, ihr ein Kind zu machen. Erledigt sie es nicht selbst, werde ich euch mit Freuden euren Schwanz zur Kette aufrollen, sollte einer es sich wagen, über sie herzufallen!“
Die Worte waren nicht in Wut gesprochen, sondern beherrscht. Eine Warnung, es ja nicht mit dem Mädchen zu übertreiben.
„Nur mit der Ruhe!“, rief einer der Männer. „Es war ein Scherz! Nichts weiter!“
Sie fanden sich schnell in ihre Ruhe wieder und zum eigentlichen Thema.
„Was die Übernahme betrifft, wüsste ich Namen, denen ein finanzieller Anreiz genügt, sich darin auf deine Seite zu stellen. Uns kannst du dir sicher sein! Beim Rest steht dein Vater hoch in Anerkennung. Immerhin hat er viel für uns getan! Morlo hat manche Schlacht gewonnen!“
„Mein Vater ist ein alter Mann! Es wird Zeit, dass er die Führung abgibt. Und ich weiß schon, wie ich das mache! Mit dem Kopf eines Henkerssohns als Trophäe!“
„Wie willst du das anstellen? Der Bursche weiß, wie er seine Spuren verwischen kann! Bis zum Fluss konnten wir seiner Spur folgen, ab dann hast du uns deinem Gefühl nach geleitet. Bist du sicher, dass er den Weg nimmt und nicht ins Nachbarland flieht, seiner Freundin nach?“
„Er denkt, sie sei auf dem Weg zu seinem Vater und das werden wir ausnutzen! Ich weiß schon ganz genau, wo wir ihm den Weg abschneiden! Ero gehört mir! Und bin ich mit ihm fertig, erkennt ihn nicht einmal mehr seine eigene Mutter!“
„Alina ist nicht zu meinem Vater unterwegs? Wohin dann? Zurück zur Schule?“
Nein, das ist unmöglich!
Dort lauerte Nerre auf ihre Rückkehr. Und wer weiß schon, was die anstellt, kehrt Alina mit leeren Händen zurück!
Wohin dann?
Die Räuber gaben ihm keine Antwort darauf. Und sie weiterhin zu belauschen, brachte ihn eher eine Gefahr, als zu helfen.
Daher bewegte er sich vorsichtig in der Hocke vom Fenster fort. Darauf bedacht, das Zeichen seiner Anwesenheit zu verwischen.
Sie sollten nicht erfahren, dass er gelauscht hatte.
Erst in sicherer Ferne richtete er sich auf.
Bevor Ero in die Scheune zurückkehrte, hatte er etwas im Geräteschuppen zu besorgen. Nicht, weswegen er ursprünglich dorthin unterwegs war, sondern Lumpen, die er im Stall mit Stroh füllte und seiner Falira um die Hufe band.
Der Stall war zu nah am Haus.
Ihr Trittschall konnte in der Stille des Abends zu ihnen getragen werden. Dass wollte Ero damit verhindern, indem er ihre Schritte polsterte.
Falira mahnend, keinen Laut von sich zu geben, entfernte er sich vom Hof.
Wenn sie meinten, ihm eine Falle stellen zu können, würden sie sich noch umsehen!
Was er plante war riskant, würde so jedoch niemand von ihm erwarten.
Nachdem er Falira die Schuhe ausgezogen hatte, stieg er in den Sattel und trieb sie an.
Hin in eine Richtung, in die ihn am Nachmittag eine Erscheinung locken wollte.
Nach Süden und vielleicht in sein Verderben!
Da die Räuber sich dazu entschlossen, ihm auf dem Weg zum Anwesen seiner Eltern aufzulauern, tat Ero das einzige, mit dem sie nicht rechneten.
Wind rauschte durch die Kronen von Bäumen, die sich über ihn zu einem Dach schlossen, dass ihm keinen Schutz bot.
Vor einigen Tagen hatte er ein Stück des Waldes bei der Jagd erkunden können.
Ein zu kleiner Bereich, um die verstecken Posten der Räuber zu kennen.
Es musste sie geben!
Der einzige Grund, Alina und ihn bei ihrer Ankunft nicht im Lager zu melden, war wohl, dass ihr Spähtrupp sie aufgrund ihrer Erscheinung nicht als lohnende Beute oder Gefahr wahrgenommen hatte.
Sie sahen beide wohl als einfache Reisende an, die den falschen Weg eingeschlagen hatten.
Es glich einem Zufall, der Alina zu dem Paar führte. Ohne dieses, hätten sie den Eingang zum Lager wohl nie gefunden.
Ero wusste nicht einmal zu sagen, ob er es wiederfand, suchte er danach.
Was er in keinster Weise vorhatte.
Falira hatte er zwischen Felsen zurück gelassen. Überdacht von einem gespannten Tuch, getarnt durch Waldboden, Blättern und Stöcken. Von oben gesehen fügte sich ihr Versteck in den Untergrund ein. Beim flüchtigen Blick daran vorbei, verschwamm es im Dickicht rings herum.
Bei genauerer Betrachtung würde es auffallen aber für den Moment genügte es ihm.
Mehr benötigte er nicht!
Lediglich eine kleine Pause, bis er sich gesammelt hatte.
Einen Plan! Den brauchte er!
Wie kam er hier heraus? Und wie fand er zu Alina, wenn ihn die Räuber angelogen hatten?
Welche Spur hatte er zu seiner Freundin, außer der Gewissheit, sie würde nicht in der Schule auf ihn warten, wie er sich insgeheim wünschte.
Ero erspähte vor sich ein Reh.
Es wirkte wach. Seine Ohren zuckten beim Knacken von Ästen unter seinen Schritten.
Die Sehne hatte er sich auf seiner Reise aus zur Schnur gedrehten Brennsesselfasern hergestellt. Seine Pfeile wurden mit Birkenrinde befedert.
Sein Geschick am Bogen würde genügen, dass Reh zu seiner Mahlzeit zu bestimmen.
Ero spannte den Bogen, als vor ihm, angestrahlt durch das zu Boden fallende Licht des Tages, das Gehölz rot aufflammte.
Haare, nicht so intensiv von der Farbe wie das ihrer Tochter und doch so auffällig, dass sie ein Leuchtfeuer entzünden könnten.
Braune Augen tasteten sich interessiert zum Reh vor.
In ganz anderem Interesse, als er das Tier bedachte.
Über seine Lippen wehte ein Lächeln, so flüchtig wie der vom Reh abgeneigte Wind darüber strich.
Seine Schritte lenkten nach rechts. Weiter von dem Reh weg. Hin zu einer viel interessanteren Beute.
Bis eben hatte es ihn an einem Plan gefehlt. Er wusste nicht einmal, was er hier sollte, außer sich vor den Räubern zu verstecken. Jetzt kristallisierte sich ein Vorhaben heraus, wie es ihm gelang, Dugol auf Abstand zu halten.
Vielleicht würde der Räuber auch seinen Worten folgen.
Der gespannte Bogen lag auf dem Rücken des Zieles, dem er sich näherte.
Erst hinter ihr kam er zum Stehen.
Sie war unvorsichtig! Oder meinte sie, hier keinem Feind zu begegnen?
„Umdrehen!“, rief er ihr in einer Anordnung zu, die, obwohl geflüstert, Autorität enthielt.
Melasa erschreckte unter der für sie unerwarteten Stimme.
„Was?“, schrie sie in dem Moment auf, den sie sich umdrehte, sogar vor ihm floh, als sei sie das Reh.
Leben kam in den Wald.
Vögel flogen hoch, aufgeschreckt, wie das Tier hinter der Frau. Es eilte davon und über Eros Lippen drang ein Seufzen.
„Du schuldest mir ein Mittagessen!“
„Ich schulde dir etwas?“, kreischte sie in ihrer Wut auf. „Ich dachte, die Soldaten des Königs wären hinter mir, stattdessen ist es nur ein törichter Junge! Was willst du eigentlich hier? Das ganze Lager weiß, wen wir in den letzten Tagen beherbergt haben! Sie würden dich gerne noch einmal treffen, Ero. Nur nicht im Guten!“
„Dass muss meine Sorge nicht sein!“, antwortete dieser.
„Wie?“
Sie mochte vor geladenem Bogen stehen, doch nahm ihn nicht als Gefahr wahr.
Einen Moment sah sich Ero versucht ihr den Beweis darin zu geben, indem er ihr einen Pfeil in Arm oder Fuß schoss.
Es wäre keine große Verletzung! Sie würde es überstehen!
Was ihn davon abhielt, war die Gewissheit, den Bogen nicht schnell genug spannen zu können, ehe sie flüchten konnte oder sich auf ihn stürzen.
Melasa mochte ein zweites Gewicht mit sich herum tragen, doch er kannte die Geschichten um die Amazonen.
Von ihrer Mutter hieß es, sie hätte hochschwanger auf dem Feld entbunden. Noch während sie kämpfte, wäre sie niedergekommen.
Es musste eine Legende sein!
Andererseits hatten die Amazonen immer schon überrascht und Taten vollbracht, die niemand ihnen je zugetraut hätte.
„Ich werde dich als Druckmittel einsetzen!“, verriet er ihr. „Sie sollen mir sagen, wo Alina ist. Oder ich tausche dich gegen deine Tochter aus! Welches Kind wird der Vater wohl eher hergeben? Sein eigen Fleisch und Blut oder das eines anderen? Ich könnte damit Nerres Forderung erfüllen und den ganzen Spuk beenden.“
Melasa zeigte keinerlei Angst.
Eher lachte sie auf.
Schallend, hallte der Laut von den Bäumen wieder.
Spottete über ihn.
„Du meinst, Nerre erfüllt ihr Versprechen? Sie würde euch in Frieden lassen und du könntest für Alina der Held sein! Diese Frau hat ihre eigene Schwester getötet! Was meinst du, tut sie, erfährt sie, wer Alina wirklich ist?“
„Nerre weiß nicht …!“
„Nerre weiß sehr wohl, wer Alina ist! Wenn sie es bei eurem letzten Treffen nicht geahnt hat, dann ganz sicher jetzt! Dieses Mädchen sieht aus wie ihre Mutter! Und selbst, wenn sie es nicht wäre, würde es dieses Biest sicher nicht nehmen lassen, das Ebenbild ihrer verhassten Schwester umzubringen!“
Malasa erhob sich unter der Mühe ihrer Last vom Waldboden, auf den sie sich niedergelassen hatte, um das Reh zu beobachten.
Unter anderen Umständen hätte Ero ihr aufgeholfen.
Doch sie war im Moment für ihn das einzige ein Mittel, ihren Mann im Zaum zu halten. Das konnte er damit nicht riskieren, ihr in Mitleid eine Möglichkeit zur Flucht zu bieten.
Sie klopfte die Blätter von ihrem Rock, während sie sprach. Ihre Stimme besaß etwas melancholisches.
„Unterschätze sie nicht! Wir haben es getan und schrecklich bereut!“
Ein kurzes Zucken seiner Mundwinkel, mehr hatte er für diese Worte nicht übrig.
Es war unnötig, ihm dies zu sagen. Denn …
„Ich war Zeuge des Einzugs ihrer siegreichen Armee! In meiner Welt, waren die Amazonen keine Helden. Sie waren Verbrecher, die sich gegen unseren König erhoben! Marli war beeindruckend und auch ihre Geschichten über euch! Es gelang ihr nicht ganz, die von unseren Adeligen geschürten Vorurteile zu beseitigen! Und so fieberte ich dem Einzug als großes Ereignis entgegen. Für mich war es so aufregend, dass ich nachts zuvor kaum schlafen konnte. Mir ist gar nicht richtig bewusst gewesen, dass eine von den die Straßen entlang geführten Frauen Nalas … Alinas Mutter war!“
Das tat ihm bis heute leid. Noch mehr, als er sich jetzt bewusst machte, dass seine beste Freundin damals ihre Mutter verlor.
Umso naiver kam ihm jedes noch so häufige Meckern über seine Eltern vor oder darüber, dass sie ihn in der Schule ließen.
Melasa riss im wach werden einer lange zurück liegenden Erinnerung an eine Begegnung die Augen auf.
„Die beiden Jungs!“, sprach sie hinter ihrer Hand aus, die nach den Worten sank. „Richter Beldor hatte damals zwei seiner Söhne dabei, als Marli beschloss mit ihm zu gehen. Du warst einer von ihnen!“
Sie lächelte. Als seien sie Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersahen.
Nicht eine Frau und ein Junge, der diese mit erhobenem Bogen bedrohte.
„Ich dachte noch, welches Glück diese beiden Kinder haben, niemals die Not kennenlernen zu müssen, in der viele andre in ihren leben müssen. Niemals auf dem Feld zu stehen, mit Schwielen an den Händen. Verzogene und beschützt von ihren Eltern. Und nun steht einer davon vor mir und sieht nicht viel anders aus, als ein Bauer!“
Sie lache auf.
„Das Leben hält interessante Wendungen bereit!“
Er könnte sich auf seidenen Laken betten. Den Luxus seines elterlichen Heimes genießen. Wäre seinem Vater nicht vor so vielen Jahren ein blondes Mädchen aufgefallen.
Zu Anfang hatte er sie dafür gehasst!
Verbannt aus dem gewohnten Leben in eine Umgebung, die so anders war!
Eine einfache Hütte aus Lehm und Holz geschaffen. Zusammengepfercht mit anderen Jungs, in die er zu Anfang nicht passen wollte.
Stinkend und Dreckig!
Die Räume der Gemeinschaftshäuser herrschte bei so vielen Bewohnern das Chaos vor.
In Marnos Schule konnte das Training so lang und anstrengend werden, dass selbst er sich nach einem Tag vollkommen verausgabt ins Bett fallen ließ, sogar das Essen verpasste und nicht wollte, dass man ihn dafür weckte.
Das war es nicht.
Marno achtete darauf, dass seine Häuser und Jungs sauber waren und genug zu Essen bekamen.
Die Leute vertrauten ihm ihre Söhne an und er wollte sie nicht durch Vernachlässigung dieser enttäuschen.
Es war mehr ein Schmutz, den er der bäurischen Schicht andichtete, mit der er als verzogener Sohn seiner Eltern nicht eine Minute in einem Raum verbringen wollte.
Marno hat ihm in der Anfangszeit seinen hoch wohlgeborenen Arsch nach Beleidigungen der anderen Schüler so verdroschen, dass Ero die Tage darauf von einem Brummen in eben diesen, daran erinnert wurde, es sich noch einmal zu überlegen, ehe er ein böses Wort an die Jungs richtete.
Was Alina betraf, brauchte Marno sich keine Gedanken darum machen, dass Ero auch für sie kein gutes Wort kannte.
Sie glich ihre Jugend und Schwächen schon immer mit Brutalität aus.
Während sich die Jungs aufgrund seiner höheren Stellung zurückhielten, im die Strafe zukommen zu lassen, die er ihrer Meinung nach verdiente, hatte sie keine Hemmungen, sich mit ihm zu prügeln.
Meist war es Marno, der sie auseinander riss, dabei nicht ihn zügelnd, sondern seine Tochter.
Bauernbrut, so bezeichnete er sie damals.
In einem anderen Leben, wäre Alina ihm gleichgestellt aufgewachsen.
Adelig geboren; von einer Mutter, der ein König sein Reich verehrte.
Erst Feindin, dann Partnerin auf gemeinsamen Missionen, entwuchs Liebe zu diesem beeindruckenden Mädchen.
Alina!
Er musste zu ihr!
„Wo ist sie?“, hatte er daher eine Forderung an Melasa. „Wo ist meine Freundin?“
Die Frau vor ihm wirkte irritiert.
„Wie Morlo sagte, ist sie zu deinem Vater unterwegs! Dort solltest du auch sein! Es heißt von den Pferden des Richters, keines könne sich an ihrer Ausdauer und Schnelligkeit messen!“ Sie lehnte sich gegen einen der Bäume. „Mit deinem Vorsprung, nahm ich an, meinem Mann entwischt die Beute und er könne sich wieder ganz mir und unserem Kind zuwenden!“
Sie schenkte ihm ein Lächeln. Als sei nichts zwischen ihnen und auch nicht der auf sie erhobene Pfeil.
„Wie kommt es, dass du doch wieder hier bist?“
Ero verkniff seine Augen.
Faliras Gebaren war etwas, über dass er nicht reden wollte.
„Dort ist sie eben nicht! Ich habe deinen Mann belauscht! Sie ist unterwegs ins Nachbarland! Miro?“
Zuerst überrascht von seinen Worten, dann darüber amüsiert.
„Meinem Mann ist die Beute nicht nur entwischt, sie hat ihm auch auflauern können! Daran muss ich ihn bei Gelegenheit erinnern!“
Das wäre etwas, über das Dugol nicht mit seiner Frau würde reden wollen.
Ero konnte sich ein diebisches Grinsen nicht verkneifen.
Er war eben nicht einfach ein adeliger Spross, sondern hatte bei Marno nützliche Dinge gelernt.
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„Sagt, ist sie in Miro?“, bedrängte Ero sie.
Diesen Weg nahm er nicht nur auf sich, um vor seinen Verfolgern zu fliehen.
Ero wusste, das Lager aufzusuchen, käme einem Selbstmord nah. Doch nur hier fand er die Antwort darauf, wohin Alina ging.
Melasa hob nachdenklich ihren Finger an das Kinn.
„Vermutlich! Du solltest dorthin gehen! Für dich ist es überall sicherer, als hier!“
„Nicht, ohne zu wissen, wohin Alina ging! Du musst es wissen, du bist Dugols Frau!“
„Das bin ich wohl!“
Ihre Hand sank von Kinn hinab auf den runden Bauch, während sie ihren Kopf gegen den Stamm lehnte. Ihre braunen Augen schlossen sich, als spüre sie dem Kind in sich nach.
Erst, als sich ihre Augen wieder öffneten, sah sie ihn an.
„Wir leben schon so lange zwischen den Räubern. Meine Tochter ist zwischen ihnen aufgewachsen und dennoch sind wir für sie Außenseiter. Ich wünsche mir für mein Kind, dass sie es als eines der ihren sehen!“
Sie drehte den Kopf in Richtung des Lagers.
„Was meinen Dugol betrifft, so erzählt er mir nicht, was er plant oder bei ihnen vorgeht. Somit bin ich für dich nicht von Nutzen! Also lass mich gehen! Ich werde niemanden etwas von dir erzählen! Ihre Mutter würde es nicht gutheißen, dich den Räubern auszuliefern! Die Amazonen mögen vor 14 Jahren geschlagen worden sein, doch wir haben die Treue zueinander immer hoch geschätzt. Und Nette würde wollen, dass ich den Wünschen ihrer Tochter nachkomme.“
Ob Alina das wollte?
Nicht seine Unversehrtheit. Das stand außer Frage!
Sie mochten sich gegenseitig nerven und doch waren sie Freunde.
Eher im Zusammenhang mit ihrer Mutter genannt werden.
„Alina betrachtet den Tod ihrer Mutter als Verrat an ihr!“, sprach er seine Gedanken aus. „Sie würde nicht wollen, mit ihr genannt oder sogar verglichen zu werden!“
„Das ist schade!“, empfand es Melasa.
„Ebenso, dass ich euch nicht gehen lassen kann!“ Sie wirkte über seine Worte verwirrt. Wollte etwas einwenden. Vielleicht, dass sie es ernst meinte, von ihr ginge keine Gefahr für den Sohn des von vielen so verhassten Richters aus.
Ero wies ihr mit kurzer Bewegung im Bogen, der sogleich wieder auf ihr Herz zeigte, an, sie solle in Richtung seines Pferdes gehen.
„Sollte dein Mann mich noch einmal aufspüren, habe ich so wenigstens ein Gut, dass mir meine Sicherheit gewiss macht!“
Mit ihrer Hand massierte sie den von ihrer Schwangerschaft angeschwollenen Bauch. Sich der trügerischen Gewissheit hingebend, einen Jungen vor sich zu haben, keinen der Männer, von denen sie umgeben war.
Speisend aus der Zurückhaltung gegenüber den Räubern die Tage zuvor.
„Wieso sollte ich deiner Anweisung folgen? Ich könnte an dir vorbeigehen! Würdest du wirklich eine Schwangere umbringen?“
Zur Verdeutlichung davon ging sie und Ero lies es geschehen, dass sie sogar einen Schritt an ihn vorbei hinter seinen Rücken tat.
Seine Stimme brachte sie zum stoppen.
„Es stimmt!“, gab er zu. „Alina hat in unserer Partnerschaft als blutiger Engel den schmutzigen Teil erledigt, während ich mich zurück hielt!“
Seine Lippen verzogenen sich in einem Lächeln.
Nicht unsicher, wie von ihr vermutet, sondern in Stolz auf seine Freundin.
„Alina Hilfe zu geben, würde bedeuten, ihr Hilflosigkeit zu unterstellen! Das ist sie nicht! Macht es mich schwach, auf ihre Stärke zu vertrauen? Im Kampf mit den Räubern erschien es mir Klüger, sie vorerst in Schach zu halten! Vorerst! Alina besteht gegen ganze Banden! Ich hätte mindestens gegen diese ganze Gruppe bestehen müssen, um mich als ihr Partner beweisen zu können!“
Wind spielte mit ihren rotgoldenen Locken. Ihre Augen lagen auf einem Punkt in der Ferne.
Der Sicherheit ihres Heimes mit allen versteckten Gängen so nah.
„Riskiert es nicht, Melasa! Es wird mir keinen Spaß machen, eine Schwangere zu verletzen, doch sei dir Gewiss, dass mir nur deine Beine wichtig sind, um mich nicht aufzuhalten. Solltest du weiterhin in Frage stellen, was ich im Stande bin zu tun, beweise ich es dir gerne mit einem Pfeil in der Schulter!“
Was er nicht einmal brauchte.
Sie war ihm so nah, das Ero sie mit Leichtigkeit durch einen Schlag züchtigen konnte.
Er täte es nicht gerne, würde es jedoch tun, sollte sie ihn dazu zwingen!
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Am Ende der Diskussion folgte Melasa ihm zu der im Wald wartenden Falira.
Ero hatte genug Brennnesselfasern gesammelt, um weitere Seile zu flechten.
Gedacht als Ersatz, sollte seine Sehne reißen oder anderes. Einen Menschen damit zu fesseln stand ihm anfangs nicht im Sinn.
Jetzt erwies sich diese Vorsorge als durchaus nützlich.
Nachdem er Melasa auf das Pferd geholfen hatte, knebelte er sie mit einem der Stricke und befestigte diesen am Sattel.
Nur um am Ende mit der dritten bedeutenden Frau in seinem Leben Probleme zu bekommen.
Falira!
Sie stand dort, breitbeinig, als wöge die Frau auf ihrem Rücken einen Zentner. Den Kopf langgezogen und niedrig gesenkt, sah sie ihn zweifelnd an.
Hältst du mich für einen Lastengaul?, schien sie ihn zu fragen.
Ero lies seine Hand so nah an ihrem Kopf vorbei gehen, dass sie zur Rüge von dem dabei entstehenden Windhauch berührt wurde.
„Lass die Sperenzchen! Sie haben uns genug Zeit gekostet!“
Er zog ihren Kopf an den Zügeln hinauf in einen gemächlichen Gang hinter ihm her, gen Westen.
Fort von den Räubern.
Dieses Mal sollten sie ihm folgen! Er würde die Frau gehen lassen, wenn er dafür bekam, was er wollte.
Alinas Aufenthaltsort und die sichere Ferne zu ihnen.
Zu Anfang ihrer Reise versuchte Melasa ihn dazu zu bringen, sie gehen zu lassen.
„Ich bin schwanger!“ Was nicht zu übersehen war und nun darin unterstrichen wurde, dass sie ihren Rücken wölbte um ihren Bauch noch weiter nach vorne zu drücken.
Und als sei der Bauch wirklich gewachsen, brummte die Stute ihr Leid heraus.
Gnade meiner, wenn das Ding noch schwerer wird!
„Es könnte jeden Moment losgehen!“
Nicht, solange du auf meinem Rücken sitzt, Schätzchen! Falira erzitterte unter dem Gedanken.
Ero zog an ihren Zügeln, in Ermahnung, diese Zicken sein zu lassen.
„Meine Hebamme hat mich gewarnt, es nicht zu übertreiben. Sie sähe es lieber, ich bliebe im Lager. Ich dürfte nicht einmal auf dem Rücken eines Pferdes sitzen!“
Die Stute streckte ihren Hals nach vorne. Das Maul in Höhe seines Kopfes gehoben, knabberte sie an den Spitzen seiner Haare.
Büdde, Büdde, jage dieses Nilpferd von meinem Rücken! Das ist dein Platz! Denn du bist mein Freund!
Sie …?
… Nicht!
Höchstens Alina duldete Falira noch auf ihrem Rücken.
Sonst keinen! Schon gar nicht dieses ewig nörgelnde und meckernde Nilpferd!
„Behalte es drinnen!“, lautete sein Vorschlag.
„Das ist kaum möglich! Ein Kind hat seinen eigenen Zeitplan! Es kommt, wann es das für richtig hält!“
„Dann hättest du auf deine Hebamme hören müssen!“, hielt er ihr vor und beendete das Thema damit.
Ohne einen Plan zu haben, was er machte, wenn sie platzte.
Es schien nur noch ein Stoß zu genügen, damit es losging.
Aber sie war auch seine einzige Chance bei den Räubern.
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Die Tage über waren sie unterwegs. Meist überließ er Melasa den Platz im Sattel. Wenigstens dort wollte er sie nicht als seine Gefangene behandeln.
Nachts verbrachten sie meist unter dem freien Himmel.
Solang sie in Ura waren, in Befürchtung, Verbündete der Räuber aufzufallen.
Melasas roter Schopf glich einem Leuchtfeuer.
Sie mochte niemals an Schönheit ihre Königin übertroffen haben, dafür besaß sie einen eigenen Zauber, der sie einzigartig machte und viel zu leicht zu erkennen.
Selbst 14 Jahre nach Fall der Amazonenarmee, schmückten die Gesichter der Entkommenen Steckbriefe.
Genau das war die Gefahr, nachdem sie die Grenze zu Miro passiert hatten.
Einer Grenzwache begegneten sie zu seinem Glück nicht, die in ihr womöglich eine der großen Amazonen ihrer Zeit erkannte.
Nach anfänglichen Meckern sah Melasa ihrerseits eine Chance darin, seine Gefangene zu sein.
Darin, ihm Details aus dem Leben von Alina zu entlocken.
Was er ihr von ihrem Aufwachsen in der Schule berichten konnte. Wie ihr Verhältnis zu Marno war, den sie nur aus Erzählungen der Räuber kannte.
Sie floh mit ihrer Familie dorthin, da hatte sich Marno schon Jahre zuvor von den Räubern getrennt.
Berichteten die Räuber von ihm, dann als ein Teil von ihnen.
Freund und Berater von Morlo und Dugols Pate.
Berüchtigt in Schenken, aus denen er ihnen so mach lukrative Route von Handels und Adelsreisen mitbrachte.
Ganz anders, als Ero ihn kennenlernen durfte.
Kaum zu glauben, dass ein Mann, der ihnen Verhaltensregeln predigte, in denen er Raub und Plünderung scharf verurteilte, selbst einmal Teil davon war.
Wusste sein Vater um die Vergangenheit des Freundes?
Sicher!
Es gab kaum etwas in Ura, von dem Beldor nichts erfuhr.
Melasa war beruhigt, da Ero Marno als liebevollen Vater beschrieb, dem Alina eine echte Tochter bedeutete.
Das sie dort einen Ort fand, an dem sie in Sicherheit und mit Liebe aufwuchs. All das, was sie einem Kind wünschte, bei dessen Geburt sie zugegen war und das sie als Ersatzmutter, immer dann, wenn Nette unterwegs war, betreute.
Einzig, dass sie von so vielen Jungs umgeben war, die um sie buhlten und manches Mal zu aufdringlich wurden, beunruhigte sie. Bis Ero von Alinas Methoden erzähltem, diese abzuwehren.
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Er selbst genoss den Gedanken an ihre gemeinsame Zeit so sehr, dass die Frau nicht daran vorbei sehen konnte.
„Die Gerüchte um die Verlobung zwischen dir und Alina“, sprach es Melasa an.
„Da ist nichts dran!“, wandte Ero schnell ein und wies das Gerücht in einer weit ausholenden Geste von sich fort. „Mein Vater meinte wohl, uns damit unter Druck setzen zu können, Alina jedem, den er kannte, als meine zukünftige Braut vorzustellen. Seitdem hat es uns nur Ärger gebracht!“
„Aber du wünschst dir, es wäre etwas dran!“
„Wer würde das nicht?“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen, dass sie nicht sehen konnte.
Ero ging voran, Faliras Zügel in seiner Hand, die Stute führend, in deren Sattel Melasa saß.
„Alina ist ein wunderbares Mädchen! So schön, dass man meinen könnte, ein Engel sei herab gestiegen. Mutig und aufopfernd für die Schule.“
Die Frau bei ihm lachte auf, nachdem sie diese Worte von ihm hörte.
Nicht garstig und ihn verhöhnend, sondern aus vollem Herzen.
„Man meint … du beschreibst Nette!“ Ihre Hände wollten hinauf, eine Träne wegwischen, doch wurden von den Fesseln zurückgehalten. „Egal, was sie versuchte, die Adelige bekam unsere Königin niemals ganz aus sich heraus. Was auch gut so war! Als eine von ihnen konnten die Könige sie nicht übersehen. Während Verhandlungen befand sie sich auf einer Augenhöhe mit ihnen. Mit ihr als Königin erreichten wir ungeahnte Verbündete. Eine Hand voll Adelige schlossen sich im Geheimen unserer Sache an. Ihre Unterstützung schenkte uns Hoffnung. Doch dann …“
Der Kummer ließ ihre Stimme abbrechen.
Das Ende der Amazonen hatte er selbst miterlebt.
Eine geschlagene Armee. Vorgeführt, als seien sie Tiere.
Unwürdig diesen großen Männern und Frauen gegenüber, die für ihre Freiheit gekämpft hatten.
„Nette hat auch für das gekämpft, an das sie glaubte!“ Ihr Blick ging zum Wolken verhangenen Himmel. Ihre Augen schlossen sich, um ein Bild an die geschlossenen Lider zu werfen.
Das einer Frau, die ihr einst die Hoffnung bedeutete und die Tochter wieder wachgerufen hatte.
„Sie hat für die gekämpft, an die sie glaubte!“
So wie sie all die Jahre in den Herzen derer, die sie berührt hatte, noch immer am Leben war.
Genau das meinte Melasa, als sie weiter sprach. Ihre Augen wider geöffnet und auf den Jungen vor sich gerichtet.
Mit einem Feuer, dass sie meinte, an Nette abgegeben zu haben.
„Alina ist unsere Prinzessin! Vielleicht war es Bestimmung, die sie zu uns führte. Mit ihrer Unterstützung, kann das Vorhaben meiner Tochter gelingen! Wenn dir die Bewohner unserer Länder etwas bedeuten, solltest du sie dazu überreden, sich uns anzuschließen. Wenn du das tust, verrate ich dir, wohin Morlo Alina vermutlich geschickt hat!“
Er würde Alina zu nichts drängen oder überreden, das sie nicht wollte!
Alina war stark!
Und zu Stärke gehörte es, seinen eigenen Weg zu wählen!
Ero würde es als Ehre empfinden, diesen gemeinsam mit ihr zu beschreiten!
Ob er das als ihr Partner im Leben tat, oder im Kampf.
„Halt an!“, erging ein plötzlicher Schrei von Melasa, auf dem er seinen Körper leicht nach rechts neigte, einen Blick auf seine Gefangene zu erhaschen. Erst dann kam er dem Ruf nach.
Ein Stoß traf Ero im Rücken, der ihn beinah von den Füßen warf.
Er musste einen Schritt nach vorne tun.
Als er sich umdrehte, hob gerade seine Stute den Kopf. Auf imaginärem Gras kauend und in eine eigene Welt abgetaucht. Mehr Kuh, als edles Ross!
Genauso war sie hinter ihm her getrottet. Seinem Schritt angepasst, brauchte sie nichts anderes tun, als ihm zu folgen.
Ob sie in ihren Gedanken Belena hinterher ritt oder über einen Heuberg saß, wollte sie ihm nicht verraten.
Die Stute war so abwesend, dass ihr nicht auffiel, dass er angehalten hatte.
Jetzt schüttelte sie sich um ihren Kopf herumtanzende Staubflusen ab.
Ero sah zu der Frau auf, die im Sattel hin und her rückte. Die gefesselten Hände hatte sie in ihren Schoß gedrückt.
Nicht doch jetzt schon wieder!
„Ich muss mal!“, erklärte sie sich im gleichen Moment, wie die Erkenntnis darum in ihm aufstieg.
War sie nicht eben erst? Sie muss häufiger austreten, als mein Wasserballon von Stute unseren Weg durch Pfützen kennzeichnet!
Ero hätte keine Fährte für die Räuber legen brauchen, Falira kennzeichnete den Weg oft genug!
Er sah sich um.
Sie gingen entlang verwahrloster Felder, auf dem eine Saat Korn wuchs. Mehr zufällig dort stehend als ausgebracht. Vielleicht sogar waren sie die Rückbleibasel einer vergessenen Saat.
Von im letzten Jahr ausgefallenem Korn, das gekeimt hatte.
Fern ab der Fürsorge eines Bauern.
Ero wagte nicht zu sagen, ob die Häuser bewohnt waren.
Sie waren ihnen schon jetzt zu nah!
Wieder dem warnen in ihm, ging er zur Seite der Stute und breitete die Arme aus.
Eine Aufforderung, die Melasa darin nachkam, dass sie ihr linkes Bein nach rechts schlug und sich aus dem Sattel hinab rutschen ließ, wo er die Frau behutsam auffing.
Sie sollte ihn nicht als Unmensch betiteln.
Was ihre Hände betraf, gab er ihr wenigstens so viel Freiraum, dass er das Seil los band, ohne sie bei sich zu behalten.
Es war eine Abmachung zwischen ihnen.
Er räumte ihr so viel Privatsphäre ein, wie er ihr auffallendes Haar im Blick hatte.
Dieses Mal, wie sie sich zu Boden hockte und ihr Kleid anhob, von den Halmen nur in der Andeutung verborgen, drehte er beschämt den Blick ab.
Ero sah nicht, wie Melasa neugierig ihren Kopf anhob.
In ihrer Neugier setzte sie einen Schritt auf den Hof zu.
„Fertig?“ Ero öffnete eines seiner Augen.
Blinzelnd nahm er das Licht des Tages auf.
Dann öffnete er auch sein zweites Auge.
Verdammte Erziehung seiner Eltern, die ihm sein Verständnis von Falsch und Richtig lehrte! Sie machte ihn war so naiv anständig!
In der Zeit, die er wegsah, konnte Melasa sich schon davon gemacht haben!
Er sollte neben ihr stehen, ihr sogar den Rock halten!
Sie durfte ihm nicht entkommen! Melasa war das einzige Mittel, den Aufenthaltsort von Alina zu erfahren!
Als er zu ihr sah, konnte er ihren Rücken ausmachen und ein Kopf, der sich in geduckter Haltung leicht angehoben hatte.
„Du sagtest, eure Schüler werden im Heer von König Ylias eingesetzt?“
„Dass stimmt!“ Ero näherte sich ihr Vorsicht.
„Solche Soldaten?“
Sie deutete in Richtung der Häuser.
Ero hockte sich zu ihr und sah nun, worauf sie spähte.
Melasa hatte in der Ferne eine Gruppe aus vier Soldaten ausgemacht, die einen Mann mit seinem Sohn vor sich her trieben.
Von ihrer Position aus, konnten sie die Gruppe noch deutlich genug sehen, ohne ihre Worte genau zu verstehen.
Was sie sahen, genügte, es als Drohung zu erkennen.
Sie wollten den Hof plündern, würden der Familie womöglich ein Leid zufügen.
„Nein!“, sprach Ero. In der Bewegung, mit der er sich erhob, verschränkte er die Hände vor der Brust. Sein Blick tadelte das Tun der Männer als nicht vertretbar ab. „Es sind keine unserer ehemaligen Schüler!“
Zwei weitere Männer traten in das Bild. Einer älter, der andere jünger.
Auf einen von diesen deutete er mit einem Nicken.
„Dafür er!“
Der Ältere blieb zurück.
Uniform und Haltung ließen auf ihren Vorgesetzten schließen.
Und so wie der jüngere die anderen zusammen stauchte, hatte er sich, seitdem Ero ihn das letzte Mal sah, in der Befehlskette so weit hochgearbeitet, dass er nun über ihnen stand.
Nachdem die Vierergruppe verschwunden war, wandte sich der Mann an Vater und Sohn.
Der Bauer zögerte, die ihm gereichte Hand zu nehmen. Noch viel zu verstört von dem Vorfall zuvor.
Dann griff er sie zu einem Handschlag.
„Komm!“, forderte Ero die Frau bei ihm auf. „Wir werden die Nacht in einem richtigen Bett schlafen können! Das wird dir sicher genauso gut tun wie mir!“
Neben dem Wiedersehen mit dem einstigen Kameraden, freute sich Ero darauf, sich frisch machen zu können und hier eine Möglichkeit zu haben, seine Kleidung zu waschen.
In den letzten Tagen hatte er sich kaum Ruhe gegönnt, in Angst vor den womöglich nahen Räubern.
Ausgerechnet hier würden sie ihm nicht auflauern.
Morlos Räuber sagte man viel nach, die nachrückende Unterstützung eines Heeres würden selbst sie nicht angreifen.
Als Melasa keine Anstalten machte, ihm zu folgen, packte Ero sie bei dem Strick und zog sie hinter sich her auf den Hof zu.
Folgt demnächst ...
Bildmaterialien: Bild: Dracoart-Stock/deviantart.com
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2012
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