Cover

Die Idee

 


Immer steht etwas in den Büchern von gut aussehenden Kerlen mit Biss. In Realität sieht es anders aus. Mancher Traumprinz überzeugt beim ersten Blick von seinen Qualitäten als Froschkönig. Leider ohne Möglichkeit auf Verwandlung nach einem Kuss oder Stoß gegen die Wand.
   Leah und ihre beste Freundin sind in der Schule von gefühlten tausenden dieser Froschnieten umgeben. Zum König fehlt es denen an vielen Dingen.
   Ach, wieso kann die Realität nicht mehr wie in einem Buch sein?
   Sie liegt gerade auf ihrem Bett. Der Roman sinkt in einem Seufzen auf dem weichen Stoff unter ihr.
   Ein Vampirschmöker. Und beim darüber nachdenken, fragt sie sich, wieso sie nicht wenigstens einmal so ein Glück wie die Protagonistin darin haben kann.
   Sie, ein stinknormales Mädchen, versinkt in den Armen eines sexy Typen, wahlweise Vampir. Aber gibt es solche Kerle wirklich? Und wenn ja, wo verstecken sie sich vor ihr?
   „Weißt du schon das Neuste?“, fragt ihre beste Freundin just in diesem Moment der Niedergeschlagenheit und Leah sieht zu ihr auf. „Wir bekommen einen Austauschschüler in die Klasse.“
   „Woher?“
   Mari sitzt in einem Korbsessel, die Beine darin im Schneidersitz und überlegt einen viel zu langen Moment.
   „Rumänien … Glaub ich.“
   „Transsylvanien?“
   Leahs Herz tut einen flatternden Sprung des Glückes, den sie gerne auf dem Bett tun würde.
   Wann es sein? Immerhin gilt dieser Ort als Heimat von Dracula und vielen anderen Vampirsagen.
  „Was weiß ich!“, stößt Mari in ihrem Desinteresse aus. „Irgendso ein Nest sicher, in dem es nicht einmal fließendes Wasser gibt.“ Sie legt ihr Magazin zur Seite und reckt sich. „Hey Zivilisation! Ich bin gekommen, um dich kennenzulernen, sollen mich meine Mitschüler überhaupt verstehen. Wer weiß, ob er unsere Sprache kann.“
   Perfekt!, denkt sich Leah und verdrängt Maris Stimme vollkommen aus ihren Gedanken. Sie rollt vom Bauch auf den Rücken, ihr Buch wandert weit über ihren Kopf. Einfach perfekt!
   Vielleicht hat sie in ihrem Leben endlich das Glück, nachdem sie sucht.
   Auf dem Cover über ihr prangt eine fahle Gestalt. Das Mädchen neben dieser wird von Leah mit der Hand verdeckt.
   Soll sie es tun oder nicht? Einen Test! Gibt es Vampire wirklich? Und ist ihr neuer Mitschüler womöglich sogar einer von ihnen?
   Wieso nicht? Was kann schon passieren?

Vorbereitung

 


Noch einmal zum wesentlichen Vorhaben und dem Titel ihrer Arbeit.
   Wie angelt man sich einen Vampir, lässt sich von ihm beißen und streift mit ihm durch die Nacht?
    Schon im ersten Vorschlag kommt es zu Kontroversen zwischen beiden Mädchen.
   Leah, 15 Jahre alt, mit langem blondem Haar, das ihr gerade zu einem Zopf über die rechte Schulter fällt, sieht genau dieses Ziel vor Augen.
  Ihre beste Freundin Mari, ebenfalls 15, mit dunklem Haar, an dem der letzte Friseur definitiv zu viel weggeschnitten hat, zeigt sich in der Aufzählung von Varianten kreativ, wie man die Frage ein für alle Mal beantwortete, ohne hinterher einen rachsüchtigen Vampir fürchten zu müssen.
   Ihr Model an diesem Tag ist der folgsame, gerade mal anderthalb Jahre ältere Bruder. Dabei gibt Mr. Vampire Hunter Maurice eigene Klischees vor.
   Begonnen mit einer blau gepunkteten Krawatte von seinem letzten Vorstellungsgespräch, die als Stirnband Rambo-like um seinen Kopf gebunden ist. Mit einem dunklen Lidschatten von Mari hat er die Wangenpartie unter den Augen mit der Kriegsbemalung eines Footballspielers versehen. Was bei Maurice einfach lächerlich aussieht.
   Sein Oberkörper liegt nackt. Eine glänzende Schicht aus Öl – dem Geruch nach der Küche entnommen – soll beim Betrachter den Eindruck erwecken, als sei er gerade aus einem Kampf gekommen. Den abgekämpften, verschwitzten Eindruck versucht er mit Gesten und Geräuschen zu unterstützen.
   Ein Gürtel ist von der Schulter aus, quer über die Brust verlaufend bis zur Hüfte, mit diversen Waffen versehen. Teils extra dafür in der Werkstatt eines Arbeitskollegen seines Vaters geschaffen. Genau wie die Pistolenimitate an seinem anderen Gürtel, der wenigstens an der richtigen Stelle hängt und durch die Schlaufen seiner Hose gezogen liegt.
   Dazu einige Silberkettchen, von denen die längste mit einem Kreuz versehen ist und passende Ringe an den Fingern.
   Maurice nimmt beide von Mari bereitgelegten Holzpflöcken auf und wirbelt sie in der Hand herum, ehe er sie in zwei dafür vorgesehen Taschen an seinem Gürtel steckt.
   Leah verdreht die Augen.
   Ging es um Werwölfe, würde Mari Feuer und Flamme sein.
  Beide Freundinnen mögen unzertrennlich sein, was ihre Interessen betrifft, gehen diese jedoch weit auseinander.
  „Das wird mein Outfit fürs nächste Halloween“, bestimmt Maurice, noch einmal in der Pose des wilden Kämpfers. „Sieht doch voll stark aus.“
   Er macht sich gerade daran seinen Po und damit ebenfalls den eingeölten Rücken auf einen der Sessel von Leahs Eltern zu platzieren, da hält ihm das Mädchen mit einem Schrei auf.
   Wenn sie das zulässt, würde Maurice an Halloween als echter Geist durch die Straßen ziehen und sie kann ihn begleiten.
   Ihre Mutter versteht keinen Spaß, sobald es um die Sauberkeit der Wohnung und sämtlicher Möbel darin geht.
   Maurice mag einen gewissen Teil verrückt sein aber für seine kleine Schwester tut er wirklich alles.
   Irgendwie ist das auch ganz süß. Aber Maurice besitzt die Angewohnheit, seine Schwester dadurch von einem Fettnäpfchen ins nächste zu stoßen.
    „Okay, wir schauen auch, ob er einen wölfischen Teil hat aber klären wir zuerst die Vampirtheorie“, gibt Leah unter seinem Seufzen nach. Ihre Augen verengen sich in einem warnenden Blick an Mari, die ihre Fingernägel gerade an einem weiteren Holzpflock reinigt. „Meinst du, es wird dir möglich sein, ohne ihn gleich zu pfählen?“
    „Ich werde es versuchen“, verspricht Mari maulend.
    Wenn das mal kein Wort ist.
   Subjekt X ihres Experiments wird ein Austauschschüler werden, der dieses Wochenende in seiner Gastfamilie angekommen ist und bis zum Schuljahresende mit ihnen lernen wird.
    Noch weiß niemand, wie er ist und welchen Hintergrund er besitzt.
    Also steht alles offen. Auch die Theorie bezüglich seiner vampirischen Art.
    Die Schule kann somit anbrechen. Alle sind bereit!

Test #1: Ein Neuer zum Anbeißen




Der erste Schultag nach einem Wochenende voller Planungen beginnt eher düster. Vor acht Uhr in einem nächtlichen Montagmorgen, an dem sich Leah und Mari eher schwertun, den ersten Schritt aus der Haustür zu setzen.
Der beginnende Frühling zeigt sich von einer seiner härtesten Seiten.
Eine eisige Schicht Schnee liegt auf dem Weg. In der Luft steht bei jedem Atemstoß ein kleines Wölkchen, dass von der Kühle aufgesaugt wird.
Maurice meinte am Wochenende, sie sollen ihr erstes Experiment ohne Hilfsmittel durchführen und den Tag seine Arbeit tun lassen.
Sich auf ein neueres Werk in der Literatur stützend, hofft er die Schule mit Diskostimmung zu füllen, sollte es wirklich Funkygroovievampirfunkeln geben.
Aber dann wird der Job als angehende Vampriforscherinnen für beide Mädchen zu einfach, wenn sich der Vampir so leicht enttarnen lässt.
Eher geht er vielleicht durch die Sonne in Rauch auf, wie Mari hofft. Wenn er das nicht tut, kann sie sich einen Punkt für ihre eigene Versuchsstudie geben.
Leah will davon nichts wissen.
Ihre Gedanken werden davon beherrscht, wie er wohl aussehen mag. Was er mag und nicht mag. Was passiert, sobald er den Klassenraum betritt. Sie gibt ihm schon jetzt zig Vampirnamen und ist gespannt, welcher davon zutrifft.
Ein Lächeln schmückt ihre Lippen. Ihr Blick geht aus dem Fenster, wo die Sonne in den Tropfen geschmolzenen Schnees an einer Blautanne direkt vor dem Fenster glitzert. Die düsteren Wolken reißen auf und endlich kann das erste Experiment beginnen. Ja wenn sich der Neue bei diesem Wetter in die Schule traut, oder geht er womöglich wie in dem von Maurice genannten Buch dem schönen Wetter aus dem Weg?
Und wieso wechselt er so spät noch in ihre Klasse. Gewöhnlich beginnt ein Schüleraustausch am Anfang des Schuljahres nicht mitten drinnen.
Laut der Gerüchteküche ist er schon in einer anderen Schule gewesen aber Leah will nicht darauf hören. Auch nicht auf die dummen Geschichten einer verbotenen Liebe, bis hin zu einer kriminellen Vergangenheit.
Für sie zählt einzig ihr Experiment, das heute beginnen wird. In diesem Moment. Jetzt!
Der Lehrer macht eine Ankündigung, dann wird es ganz leise.
Die gesamte Klasse ist gespannt auf den Neuen. Leah sieht zur Tür, genauso Mari, die unruhig auf ihrem Stuhl hin- und herrutscht.
Die Tür öffnet sich in der Geschwindigkeit einer Zeitlupenaufnahme. Genauso langsam scheinen seine Bewegungen, während er hineintritt und sich dann zu einem stillen Gruß vor der Klasse aufrichtet.
Kurzes braunes Haar, lässige Klamotten, ein recht blasser Teint, seine Augen liegen hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Er glitzert schon mal nicht und geht im Schein der Sonne nicht in Flammen auf.
Aus Filmen weiß man ja, es gibt auch welche, die das Sonnenlicht vertragen. Mit Hilfsmittel oder ohne. Das hat schon mal nichts zu sagen.
Ihr Lehrer gibt ihm den Vorschlag das Eis mit ein paar netten Worten zu brechen.
Alle im Raum lauschen, auf seine Stimme. Niemand versteht ein Wort, das er in die Klasse wirft. In ihren Ohren klingt es ungewohnt und verschwimmt zu einem fremden Kauderwelsch.
Seine Schritte führen ihn durch die Klasse. Er hält nahe von Leahs Platz an und wendet sich ein weiteres Mal an die Klasse.
„Übersetzt heißt das: Mein Name lautet Corvin. Ich bin 14 Jahre alt, komme aus Arad in Rumänien und es freut mich, eure Bekanntschaft zu machen.“
Nach diesen Worten lässt er seine Tasche neben den Platz von Leah fallen, fragt das Mädchen noch, ob sie etwas dagegen hat, wenn er sich neben sie setzt, die genauso wie die Klasse erstarrt ist und nicht weiß, wie sie auf die Vorstellung reagieren kann.
Ihr Schweigen fasst er als Zustimmung auf und lässt sich auf den Platz nieder. Sein Oberkörper landet wie sein Kopf, erschöpft auf dem Tisch.
Seine Worte sprach er in nahezu perfektem Deutsch. Zwar besitzt er einen kleinen Akzent aber der ist minimal.
Ein toller Auftritt für einen tollen Jungen.
Es klärt zwar noch nicht ihre Frage, sorgt jedoch für einen interessanten Start.

Test #2: Eine Frage des Schmucks




Leah betrachtet sich den Jungen neben sich. Er ist anders. Definitiv!
Sein Kopf liegt auf seinen auf dem Tisch verschränkten Armen, als wöge dieser eine ganze Tonne. Er rollt ihn darauf ihr zu und die dunkle Sonnenbrille rutscht ein Stück zur Seite.
Und o Mann, schlecht sieht er nicht gerade aus.
Ein bisschen blässlich, was ihre Theorie stützt. Eigentlich will Leah nichts hören oder an sich heran lassen, dass einen Gegenbeweis bedeutet.
Nichts anderes!
Kein Werwolf oder was sich in den Schatten der Nacht noch verbirgt. Und schon gar kein gewöhnlicher Mensch. Das kann er nicht sein!
Sein Haar ist von dunkler Farbe, das Gesicht etwas rundlich aber es passt zu ihm.
Sie hält an ihm Ausschau nach irgendeinem Schmuckstück.
Aus einem weiteren Werk weiß sie, dass ein mit einem Hexenzauber belegter Gegenstand einem Vampir erlaubt, unter der Sonne zu wandeln.
Gibt es eigentlich Hexen? Das könnte man doch auch erforschen.
Ihre Krähe von Biologielehrerin passt in ein solches Bild.
Zurück zum eigentlichen Thema!
Eine Kette trägt Corvin nicht, ebenso kann Leah keinen Ring oder Armreif entdecken.
„Wer ich bin, weißt du nun jetzt“, sagt der Junge zu ihrer Linken. „Wie lautet dein Name?“
Er lächelt sie an und Leah ist, als würde sie auf einer Welle in der Karibik dahingetragen werden.
Besonders als er seine Sonnenbrille hebt und ins Haar schiebt. Seine Augen sind so verdammt dunkel und wunderschön.
„Leah“, antwortet sie ihm. „15 Jahre alt, 1 Meter 64 groß, vom Sternzeichen Waage mit Aszendenten Steinbock, Blutgruppe A.“
Sie nimmt ihre Hände vor dem Mund, um nicht noch auszupludern, ihr Blut würde Perfekt zu Reh passen. Oder was ihr noch für ein dämliches, Detail aus ihrem Leben gerade einfällt.
„Das nenn ich mal ausführlich.“ Corvin lacht leise aber aus vollem Herzen auf.
Sein Kopf hebt sich soweit, dass er einen Arm links am Tisch nach unten gleiten lassen, wo seine Tasche liegt und aus der er nun Schreibsachen herausfischen kann.
Selbst das ist so verdammt gewöhnlich.
Wie er, macht sie sich Notizen zum Schulstoff, den der Lehrer vorne versucht seiner Klasse zu vermitteln. Was nicht einfach ist, da die meisten in der Klasse an Corvin ein größeres Interesse haben.
Heimlich macht Leah ein paar versteckte Notizen.
Wie das er unglaublich gut riecht oder das seine Handschrift viel zu grazil für einen Jungen ist. Sowie das Detail des fehlenden Schmucks und was für Tests sie noch anstellen kann.
Die Pausenglocke erklingt und Corvins Kopf fällt erleichtert auf die Platte zurück.
„Was ist los?“, will sie wissen.
„Mein Gastbruder hat eine eigentümliche Art, mich in der neuen Familie zu begrüßen“, klagt er. „Er hat mir sein Spezialgetränk angeboten. Und ehrlich, ich wusste nicht, dass die Geheimzutat Alkohol ist. Wenn meine Mutter das erfährt.“ Seine Hände legen sich in einem Laut seiner Verzweiflung auf den Kopf. „Sie lässt mich ja noch nicht mal von ihren Pralinen naschen.“
Dieser Gedanke quält ihn sogar mehr, als der Kopfschmerz in folge des ungewohnten Drinks.
„Deine Sprachkenntnisse?“, lenkt Leah auf ein anderes ebenso interessantes Thema. Auch, damit er nicht mehr in seinem Leid vergeht.
„Ein Exfreund meiner Mutter stammt aus Deutschland. Er wollte mir die Kultur und Sprache näher bringen. Wie du hörst, war ich en guter Schüler.“
Interessant und ihm gleichen Zug der Worte enttäuschend.

Test #3: Willkommensgeschenk




Die nächsten Stunden gingen vorbei, in denen Corvin zeigte, dass er nicht nur über ein gutes Sprachverständnis verfügte. Er hing den anderen im Schulstoff nicht hinterher.
Ein eindrucksvoller Typ, von dem einer ihrer Lehrer sogar forderte, er soll ein paar Dinge aus seiner Heimat berichten.
Corvin erzählte von einer teils malerischen Landschaft. Was es für Unterschiede zum Schulsystem zuhause gibt. Und natürlich, dass er Fußball mag.
Einer ihrer Mitschüler merkt an, dass Rumänien auch das Land sei, in dem der Urvampir schlechthin lebte.
Leah bemerkt, das Corvin bei dem Thema angespannt wirkt.
Hat er etwas zu verheimlichen?
In der Mittagspause sitzt sie zusammen mit Mari. Deren Bruder hat sich auch zu ihnen gesellt.
Er ist neugierig auf den Austauschschüler.
Um seinen Hals trägt er das gleiche Silberkreuz, das er bei seinem Kostüm als Vampirjäger gatte.
Wie Mari berichtete, hatte ihr Bruder allen Ernstes vor in dieser Verkleidung zur Schule zu gehen.
Mari zieht ihren Bruder an der zerbrechlichen Kette näher an sich.
„Was soll das?“, will sie wissen. „Haben wir nicht ausgemacht, dass du deine Verkleidung im Schrank lässt?“
„Ihr seit es, die meinen, euer neuer Mitschüler sei ein Vampir“, verteidigt sich der Junge. „Ich versuch mich bloß zu schützen. Man weiß doch, dass Jungfrauen auf deren Speiseplan ganz weit oben rangieren.“
„Und du meinst, ein Vampir könnte allen ernstes der Irrtum unterlaufen, dich für eine Jungfrau zu halten?“
Mari lässt ihn los.
„Also meine Ex hat sich letztens von ihrem neuen Freund entjungfern lassen“, setzt Maurice nach und schmollt. „Also ist damals ja nicht so viel passiert.“
Leah wischt das Thema vom Tisch.
Corvin soll es bestimmen, nicht Maurices vorhandenes oder unvorhandenes Liebesleben.
Sie zieht ihre Notizen heraus.
Die Mutter, ein entscheidender Punkt.
Laut dem gängigen Motiv des Vampirs, wurden sie erschaffen, nicht geboren.
„Vielleicht nennt er seinen Schöpfer so.“ Maurice zuckt mit den Schultern. „Manche nehmen an, Vampire werden so wie wir geboren. Sie wachsen in ihrer Familie auf, genauso wie wir.“
Beim letzten Wort zwingt er seiner Schwester eine Umarmung auf, der sie sich nicht erwehren kann, dann setzt er sich wieder gerade hin.
„Ich dachte, seine Sprachkenntnisse wären ein Schlüssel“, gestand sie ein.
„Also wäre ich der Vampir, würde ich nicht gerade durch Besuche auf allen Kontinenten glänzen“, meint Maurice. „Vampire leben im Geheimen und weihen euch nicht einfach so in ihre Geheimnisse ein. Ihr müsst da geschickter rangehen.“
Was er sagt, stimmt Leah nachdenklich.
Wie kann sie sich seiner vampirischen Natur sicher sein? Was kann sie tun?
Sie betrachtet sich Murice in seinem Spiel mit dem silbernen Kreuz. Er lässt es Baumeln, wickelt die Kette unablässig um den Finger oder dreht es in seiner Hand.
Das ist es!
Sie sprang auf und entriss Maurice das Stück.
Dann spurtetet sie in den Gang, wo eine Palme steht. Eines der Blätter abgezupft und daraus ein Gesteck gebastelt, um dass sie die Kette fasste.
Corvin ist gerade unterwegs. Er verriet ihr in einem Klagen, dass er wegen des Schulwechsels noch etwas zu erledigen hatte.
Leah legte das Gesteck auf seinen Platz und wartete zusammen mit Mari.
Maurice ist in sein Klassenzimmer zurückgekehrt, nahm aber seiner Schwester das Versprechen ab, ihm alles haarklein zu berichten.
Dan kurz vor Klingeln, tritt Corvin in den Raum zurück.
Er läuft an seinen Platz und mustert die Kette verwirrt.
„Ein Willkommensgeschenk“, sagt Leah mit einem Lächeln.
Mari kann sich nicht beherrschen und kichert.
„Ich steh nicht so auf Kreuze“, gesteht der Junge und betrachtet sich weiter das Gesteck. „Aber danke.“
„Probier es an!“, wird er von Mari gedrängt. „Ich bin sicher, es steht dir!“
Sie lehnt sich an den Tisch und beobachtet alles ganz genau. Wie Corvin das Blatt von der Kette befreit und sich diese dann um den Hals legt.
Es geschieht rein gar nichts.
Also doch kein Vampir?
„Ich hoffe, ihr habt nicht extra für mich teuren Silberschmuck gekauft.“
Beide Mädchen sehen sich an.
Ist die Kette aus echtem Silber?
„Wo hat Maurice die eigentlich her?“, fragt Leah ihre Freundin flüsternd.
„Keine Ahnung. Vielleicht hat seine Ex die bei ihm vergessen.“
Sie sehen wieder zurück zu Corvin. Er lächelt beide Mädchen an.
„Danke“, sagt er. „Ich werde euer Geschenk gut verwahren.“

Eisige Auswertung




Später am Tag sitzen die Mädchen zusammen in einem Eiscafé. Maurice hat das angeregt. Er ist es auch, der beide einlädt und später die Rechnung übernehmen will.

Gerade nimmt er einen Löffel seines Eises, diesen vor Mari haltend.

„Ach komm schon! Probier mal! Das ist Vampirehunter Maurice Spezialkreation mit dem Codenamen ‚Schneidezahn‘.“ Er versucht es im Sturzflug noch einmal. „Hier kommt das Flugzeug!“

Dabei imitiert er Motorengeräusch, als sei seine kleine Schwester ein Kind, dass man füttern musste.

„Lass das!“, fährt Mari ihren großen Bruder an.

Letztendlich setzte sich Maurice durch und sie öffnete den Mund, damit er ihr den Löffel hineinstecken kann.

Maris Gesichtszüge werden plötzlich entstellt. Sie greift sich an den Hals, ihr Blick geht panisch über den Tisch. Bis sie hat, wonach sie suchte. Eine Serviette, in die sie den Inhalt ihres Mundes ausspucken kann.

„Sag mal, was ist das?“, will sie wissen und schüttelte sich. „Schmeckt wie dreimal ausgekotzt!“

Maurice scheint das nicht zu stören. Er nimmt sich von dem Eis und steckt sich dieses in den Mund. Dann ein weiterer Löffel.

„Perfekt!“, urteilt er. „Vanilleeis, mit Erdbeeren, Soße und Weihwasser übergossen. Ich muss doch checken, ob ihr immer noch menschlich seid. Jetzt nachdem ein Blutsauger in eure Klasse gewechselt ist. Wer weiß, vielleicht hat er schon von eurer Halsschlagader genascht.“ Er richtet den Löffel im Halbkreis herum. „Check!“, ruft er dabei langgezogen.

Die Mädchen verdrehen beide die Augen, kommen dem dann aber nach und präsentieren ihrem selbsternannten Vampirjäger ihre Hälse auf beiden Seiten. Leah muss dazu ihr Haar zurücknehmen, Mari den Schal abnehmen.

„Zufrieden?“, will die kleine Schwester wissen und sieht ihren Bruder zornig an.

„Noch nicht“, sagt dieser und lässt den Löffel zurück ins Eis sinken. Als er ihn anhebt, wandert er wieder zu Mari. „Jetzt haps und weg! Sei keine Memme!“

Mari gehorcht. Dann Leah. Ganz wie Maurice ihnen befielt. Und es schmeckt widerlich!

„Also!“, bestimmt sich Maurice als Redeführer. „Wie weit seid ihr in eurer Vampirenttarnung?“

„Fakt 1“, sagt Mari und schwingt lustlos ihren Löffel hin und her, ehe sie sich ihrem Eisbecher zuwendet. Und hierbei sind sich die Geschwister ähnlich. Sie bevorzugen Erdbeeren. „Vampire sollen sich vor der Sonne hüten. Sie verbrennen darin oder glitzern.“

„Außer sie haben etwas, dass sie vor der Sonne schützt“, fügt Leah ein und hält an ihrer Theorie fest.

Sie hat sich einen Fruchtbecher bestellt und nimmt sich das Stück Ananas davon.

„Was du nicht entdecken konntest!“, beharrt Mari.

„Jetzt trägt er eine Silberkette.“ Lea widmet sich der nächsten Frucht und genießt die Süße einer Melone.

„Von der wir nicht wissen, ob sie aus Echtsilber ist!“

Ein Punkt für Mari.

„Mit der Sonne kommt er schon mal gut klar!“ Maurice geht plötzlich auf Tauchstation. Nach einem verwirrten Blick von ihnen, weist er mit seinem Finger über den Tisch hinweg zu einem Jungen, der gerade ein Bad in den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings nimmt.

Corvin. Als er sie sieht, winkt er den Mädchen freundlich. Zeigt jedoch nicht das Interesse, sich zu ihnen zu setzen.

„Euch kennt er schon“, meint Maurice von seinem Versteck aus. „Mich nicht. Das soll auch so bleiben. Ich habe nicht vor von ihm als jungfräulicher Leckerbissen auf die Speisekarte gesetzt zu werden!“

„Ach Gott, Maurice, du bist keine Jungfrau mehr!“, meint Mari darauf.

„Bin ich wohl“, schmollt Maurice unter dem Tisch.

„Können wir bei Corvin weiter machen?“, drängt nun Leah von ihrer Seite aus.

Erst als dieser außer Sichtweite ist, traut sich der mutige Vampirjäger wieder aus seinem Versteck hervor.

„Er ist sehr blass, was auch dafür spricht, dass er die Nacht bevorzugt.“

„Wieso testen wir das nicht aus?“, fragt Maurice. „Ladet ihn in ein Sonnenstudio ein. Eine volle Ladung UV-Strahlen sollte auch bei den härtesten Vampiren eine Reaktion hervorrufen. Und danach ein lecker Cocktail à la Maurice Spezial!“ Er hebt seine Finger nachdenklich an die Lippen. „Was essen und trinken Vampire eigentlich? Vertragen die unser Essen überhaupt?“

Eine gute Frage. Was nimmt Corvin zu sich?

Beim Essen konnte Leah ihn nicht beobachten. Was das Trinken betraf, nahm er sich eine Trinkflasche mit, die keinen Aufschluss auf den Inhalt gab.

„Ladet ihn doch ein!“, schlägt Maurice vor und kratzt den letzten Rest seiner Eis-Weiwasser-Mischung aus. „Oder eher Leah lädt ihn ein. Ein romantisches Essen für zwei. Kerzenlicht. Die perfekte Stimmung um der Liebsten das größte Geheimnis seiner Existenz zu verraten. So machen es die Vampire in Film und Literatur. Sie erzählen ihrem Schwarm davon, dass sie Vampire sind. Maurices Vampir-Check anschließend nicht zu vergessen!“

Bedeutet das, ich muss dieses widerliche Zeug andauernd trinken?

Mari, wenn sie aus der Schule kommt, ja. Maurice überrascht seine kleine Schwester in den letzten Tagen mit allerlei komischen Dingen und Tests, wie das Mädchen ihrer besten Freundin jedes Mal klagt.

Darauf kann Leah verzichten.

Was die Einladung für Corvin betrifft, wäre es verlockend.

Einen Versuch wert!

 

 

Test #4: In Liebe ...

 



Die erste Woche zieht vorbei.

Corvin ist nett. Geduldig lauscht er Leahs Fragen zu sich und seiner Heimat.

Ganz so aufdringlich will sie nicht sein. Jedenfalls nicht, was die V-Frage betrifft. Aber andeutungsweise.

Wie, dass er so blass ist.

„Arad liegt nicht gerade am Mittelmeer“, scherzt er darauf.

Leah beharrt auf ihrer Meinung. Corvin ist so blass, weil er die Nacht bevorzugt. Er ist ein Vampir und sie wird es beweisen!


Maurice Plan sieht vor, dass Leah den Köder spielt. Seine kleine Schwester will er einen Vampir nicht vorwerfen. Mit deren besten Freundin kann er es machen.

Es ist auch gut so.

Mari bevorzugt Werwölfe; Leah Vampire.

Wenn er ein Vampir ist, dann gehört er auch ihr. Und das ganz alleine.

Genau hier entwickelt sich ihr Vampirehunter zum Mr. Love.

Der mag zwar immer noch behaupten, er sei jungfräulicher als sie zwei zusammen, dies seit Neuestem mit strahlend weißer Kleidung unterstreichend, aber Mari und Leah erkennen an, mit einer Ex und einiger Dateerfahrung, können sie nicht auf Maurice verzichten.

Dagegen kommen sie zusammen, gerade mal auf ein mega peinliches Date. Bei dem zwischen klebrigem Popcorn nicht mehr ging als scheues Händchenhalten. Sowie Probeküssen dafür mit der besten Freundin. Bei denen sie ausgerechnet von Maurice erwischt wurden.

Das daraus resultierende Foto nutzt er nun als Hintergrundbild für sein Smartphone. Mit dem Versprechen, das so lange aufzuheben, um sogar ihre späteren Kinder an dieser Peinlichkeit teilhaben zu lassen.

Maris Versuche, es zu löschen, scheitern bisher an nicht vorhandenen Ninja-Skills.

Aber zurück zur Datevorbereitung.

„Falls ihr noch einmal dafür üben wollt“, zieht Maurice beide auf und umstreift dabei Maris Platz, an dem sich die Mädchen zurückgezogen haben, wie ein Kater, der seine Beute im Auge behält. Er schaut nach rechts und links. Bis auf ein paar andere Schüler ist niemand in der Mittagspause da geblieben. Sogar Corvin nutzt die Zeit lieber, die Schule zu erkunden. „Es schaut gerade keiner, also beeilt euch!“

„Idiot!“, wirft ihm Mari zu und beschenkt Leah dann mit einem Blick, der die Frage stellt, wieso sie sich ausgerechnet auf ihn verlassen.

„Also, wie wollt ihr es machen?“, fragt Maurice und springt auf ihren Tisch. „Ganz klassisch per SMS oder wollt ihr es öffentlich bei Facebook machen.“ Maurice versucht in seinem Getue und mit seiner Stimme Leah nachzumachen. „Dagi, lass uns in die Nacht entschwinden. Auf Jagd nach unschuldigen Menschen, denen wir gemeinsam das Blut aussaugen. Du musst nur deinen Mut finden, es mir bei unserem Date am Donnerstag zu verraten und mich zu deinesgleichen machen. Haschtag: Vampirliebe.“

„Erstens, ich klinge so gar nicht“, entrüstet sich Leah über diese platte Darstellung.

„Doch es kam schon recht gut ran“, fällt ihr sogar Mari in den Rücken. Die nun ihr Handy gezückt hat.

Als Leah darauf spähen kann, entdeckt sie, dass Mari gerade nach dem von ihrem Bruder genannten Hashtag sucht und tatsächlich findet.

Ihre beste Freundin schüttelt darauf den Kopf und wendet sich wieder Maurice zu.

„Außerdem wäre dass dann nicht geheim. Er heißt auch nicht Dagi, Dracula oder was auch immer du sonst denkst, sondern Corvin!“

„Hach, ihr Jungen Mädchen immer“, winkt es Maurice ab und lässt sich bauchlängs auf den Tisch fallen, der eigentlich mit allerlei Unterlagen und Büchern bedeckt ist. Eines von Maris Mathebüchern, nimmt dabei als Stütze, um die Arme darauf abzulegen. „So schnell wie da die Liebe durch eine andere ausgetauscht wird. Heute der schnuckelige Typ im Fernsehen, morgen irgend so ein Rockstar und danach ein Vampir. Wer soll da hinterherkommen?“

Leah straft den Jungen mit einem zornigen Blick, der sich davon nicht begeistern lässt. Er bleibt sogar recht kühl.

„Und was hat mein Bruder der Superlover für einen Vorschlag, den Vampir aus seinem Sarg zu locken?“ Mari rollt mit den Augen.

Wenigstens darin sind sich die Freundinnen einig. Maurice wird sie nicht voranbringen.

Seine Ex-Freundin muss wohl aus Mitleid mit ihm gegangen sein. Oder wer nimmt so einen Typen? Keine vernünftige, die Leah und Mari kennen.

„Macht es noch klassischer!“, schlägt Maurice vor.

„Noch klassischer?“, fragen beide Mädchen wie aus einem Mund und sehen den Jungen bei sich verwirrt an.

„Na, vampirmäßig klassisch.“ Als wird das alles erklären. Es benötigt eine schweigsame Minute zwischen ihnen, ehe Maurice seine Gedanken erklärt. „Vielleicht ist er so ein richtig alter Vampir, der noch die Steinzeit erlebt hat. Damals, als man mit Papier der Liebsten seine Gefühle bekundet hat. Also überfordert den armen Jungen nicht mit Technikkram und schreibt einen Liebesbrief.“

Maurice bleibt noch so lange, dass sogar Maris Banknachbarin wieder zurück zu ihrem Platz findet, und einem darauf liegenden Jungen, der seinen Ruf als Mr. Love meint darin verteidigen zu müssen, ein paar gar nicht schüchterne und doch danebengehende Flirtversuche bei dieser zu wagen.

Erst als Corvin das Zimmer betritt, landet der Junge samt Heften und Büchern in einer Rolle zur Seite auf dem Boden. Dort lang robbend, sich eines der Bücher zur Tarnung nehmend.

Die verwirrten Blicke ihrer Mitschüler interessiert ihn nicht, oder seine kleine Schwester, die ihr Gesicht hinter der Hand versteckt und an sämtlichen gemeinsamen Genen beginnt zu zweifeln.

 
Ein Brief? Der fällt jedenfalls auf!

Leah wird von dem Gedanken noch lange danach bis weit in die Stunde nicht losgelassen.

Vorne spricht ihr Lehrer und neben ihr versuchte Corvin alles wichtige von dem Gesagten in seinen Block zu übertragen.

Zuerst wirkte es auf sie chaotisch. Doch nachdem einer ihrer Lehrer ihn mal darauf angesprochen hatte, versicherte er diesem, er würde seine Schulunterlagen mehr als vorbildlich führen.

Darauf legt wohl seine Mutter viel Wert.

Zur Überraschung ihrer Lehrer zeigt sich Corvin in Deutsch als der beste in dieser Klasse.

Corvin scherzt darüber und meint, dafür versagt er in der eigenen Sprache. Hier will er einfach nur sein bestes zeigen.

Doch für Leah steht fest, er ist ein Vampir! Anders kann sie sich diese perfekte Aussprache und das alles nicht erklären. Er muss das über Jahre, länger als sie, vielleicht sogar Jahrhunderte gelernt haben.


„Was schreibt man in so einen Brief?“, stellt Mari ihrem Bruder nach dem Unterricht eine Frage, die selbst Leah interessiert.

Dann noch einen so potentiell spezieller.

„Keine Ahnung!“, entgegnet Maurice mit genervtem Klang in der Stimme. „So Mädchenkram halt! Was weiß ich! Lobt seine Schuhe, gebt ihm Tipps seine Blässe zu überschminken. Irgendwas in der Art. Lade ihn ins Kino ein und beträufele sein Popcorn mit meiner Spezialkreation. Oder …? Lade ihn zu uns ein!“

Das letzte sagt er, als sei es die Idee schlecht hin.

Maurice läuft sogar zu solchen Hochtouren auf, dass er sich selbst für den grandiosen Einfall lobt.

„Vergisst du da nicht etwas?“, bremst ihn Mari mit ihrer Stimme aus. Sie schaut grimmig drein und spricht erst weiter, als sie die volle Aufmerksamkeit ihres Bruders besitzt. „Unsere Eltern werden davon sicher nicht begeistert sein.“

„Und hier kommst du ins Spiel, Schwesterherz!“, breitet Maurice ihren Plan vor ihr aus. „Du lenkst unsere Eltern in der Zeit ab!“

„Wie soll ich das bitte anstellen?“, fragt Mari ihn. „Fünf Minuten wegschauen, wird sicher nicht reichen.“

„Das soll erst mal nicht das Problem sein“, meint Maurice. „Schreibt ihr den Brief. Um den Rest kümmert sich dein überaus genialer Bruder.“

Mari verdreht zwar die Augen, meint jedoch, ihren Bruder weiterhin in den Sphären seines Überflugs schweben zu lassen.

Aus früheren Klagen ihrer besten Freundin weiß Leah, dass ein in sich verliebter Maurice leichter zu ertragen ist, als ein schmollender. Daher sagt auch sie nicht, wie dämlich sich der Plan anhört.

Ein Café oder irgendwas in der Art wäre der bessere Platz.

Sobald sie einen Jungen, und sei es nur ein Schulkamerad, nach Hause einlädt, bekommen ihre Eltern einen Anfall.

Aber zu Maurice und Mari nach Hause?

Der Junge plant schon einmal den gesamten Abend durch. Das angerichtete Essen, die Drinks und welche Dekoration er aufstellen möchte.

Genau hier bremst ihn sogar Mari.

Er kann nicht Miniholzpflöcken statt Piekser verwenden! Aber mehr, weil Mari meint, was das für einen Eindruck macht, sollte Corvin statt einem Vampir nicht doch ein Werwolf sein.

Leah lässt sich in einer abgeschiedenen Ecke über dem Brief nieder.

Auch hier hat Maurice an alles gedacht.

Ein auf alt getrimmtes Set aus Briefpapier und Umschlag.

Während die Geschwister hinter ihr über den Abend streiten und darüber lautstark diskutierten, wie man den Vampir in ihm herauslockte oder Werwolf, wie es Mari recht wäre, wendet sich Leah dem Brief zu.

Und am Ende findet sie ihren Brief gar nicht mal so schlecht.

Natürlich muss Maurice das Ergebnis mit seinen Worten zerreißen.

Es sei zu harmlos und sie kann so seine Schwester zu einer Pyjama-Party einladen aber nicht einen Jungen auf ein Date. Leah ist das egal. Ihr gefällt das geschriebene.

Außerdem sieht Corvin ganz niedlich aus und ist nett aber es soll nicht klingen, als wolle sie den Abend knutschend auf der Couch ausklingen lassen.

Maurice schließt sein Urteil darüber mit folgenden Worten ab: „Oh wie toll! Damit weiß euer Vampir-Klassenkamerad, wo ich wohne. Jetzt muss ich meine Fenster mit Knoblauch einreiben, damit er nicht von meinem jungfräulichen Blut nascht.“

Mari schüttelt sich bei dem Gedanken daran und lässt einen angewiderten Laut entfliehen. Mehr, weil ihre Zimmer nebeneinander liegen und sie dann diesen Gestank mit zig Raumspays bekämpfen muss.

Leah interessieren die Worte nicht, da er es gewesen ist, der als Ort der Verabredung ihre Wohnung vorgeschlagen hat.

Test #5: Sonnige Zeiten

 

 

Während der letzten Tage entgeht Corvin nicht, dass der eine oder andere Mitschüler ihn in seiner Neugier betrachtet. Genauso seine Banknachbarin Leah.

Er ist mittlerweile gewohnt, dass er trotz des Versuchs, von ihnen als gleichwertiger Mitschüler aufgenommen zu werden, auffällt.

Als Neuer in der Klasse. Jemand, der noch nicht ganz ins Klassengefüge hinein passt. Ein Fremder. Und doch hofft Corvin, in der kurzen Zeit, die ihm hier bleibt, vielleicht sogar Freunde zu gewinnen.

Neben der Kultur und den Menschen, von denen er bisher nur aus Erzählungen gehört hat, auch etwas zu erfahren und zu erleben, von dem er Zuhause berichten kann.

Vielleicht könnte Leah ihm dabei helfen.

Deswegen lächelt er, wann immer sie zu ihm schaut.

Unverfänglich, so meint der Junge.


Den Brief schiebt sie ihm in eines seiner Bücher, da befindet er sich gerade in der Mittagspause.

Corvin verbringt diese gerne ungestört der Aufmerksamkeit, die ihm noch immer anlastet, draußen. Mit einem der Bücher oder beim checken seiner Mails.

Wie er bemerkt hat, reagieren manche nicht gut auf sein Smartphone, dass ihm seine Mutter kurz vor der Abreise noch geschenkt hatte, damit er viele Fotos damit machen kann und sie immer auf dem Laufenden hält.

Als erstes bemerkte das sein Gastbruder und glotzte ihn dabei an, als hätte er erwarte, Federkiel und Tinte auf dem Schreibtisch stehen zu sehen. Dabei kommt Corvin aus der Stadt, nicht vom Land. Und selbst das ist, als ob er hier alle Dörfler zum Hinterwälder abstempelt, die noch mit der Pferde zur Schule gebracht werden oder auf dem Ochsenkarren.

Danach folgte eine lange, in Teilen sogar wiederholte, Schilderung über sein Leben in Rumänien. Darüber, dass er ein ganz normaler Junge ist, der, sobald ihn seine in dieser Beziehung strenge Mutter, mit ihrem überzogenen Traum, etwas aus ihm zu machen, mal vom Lernen entlässt, gerne mit seinen Freunden abhängt. Dann schaut er Filme oder sie unternehmen etwas. Sein musikalischer Geschmack ist weit entfernt von der Volksmusik und kehrt sich mehr dem amerikanischen Rap zu.

Das in der Klasse anzusprechen, hält er noch zu früh.

So geht Corvin auch sicher, dass sein Handy in der Hosentasche verstaut liegt und von dort unbemerkt in seine Tasche verschwindet.

Als er auf sieht, blickt ihn Leah mit strahlenden Augen an, in denen eine Erwartung steht, die er zuerst nicht deuten kann und dann auf die Kette zurückführt, an der ein silbernes Kreuz befestigt ist und er an diesem Tag trägt.

Ihr Wilkommensgeschenk an ihn.

Er hat es für zu aufwendig gehalten und weiß nicht, ob sie einfach nur höflich sein wollte. Aber er will ihr damit danken, dass er es trägt.

Corvins Finger fährt unter das Lederband.

Er will etwas sagen, dass seinen Dank zum Ausdruck bringt, doch die Worte entgleiten ihm, wie das Band, dass zurück auf seine Haut fällt. Entschwinden ihm, unter ihrem standhaftem Blick, der auf ihn bedrängend wirkt und dem er darin entkommen möchte, dass er sich seinen Aufzeichnungen zuwendet.

Leah scheint nett aber dieser lange Blickkontakt, wann immer er zu ihr schaut, schüchtert ihn ein. Es lässt die Nervosität in ihm pochen, dass er sich kaum auf den Schulstoff konzentrieren kann.

Und als er meint, endlich etwas zu ihr sagen zu wollen. Wird das Strahlen in ihren schönen Augen zu einer Wut aus Enttäuschung, dass die Kette ihm nun die Luft abzuschnüren scheint.

An diesem Tag erscheint es ihm erlösend, das Schulgebäude nach Schluss in Richtung der Gastwohnung verlassen zu können.

Vielleicht ist auch Leahs Wut auf ihn am nächsten Tag so weit verschwunden, dass er wieder mit ihr reden kann und ihr noch einmal für ihr sicher zu teures Geschenk danken kann.


Corvin schlägt seinen gewohnten Weg ein, auf dem er an einem Jungen vorbeikommt, dem er bis dahin noch nicht kennt.

Er steht lässig an einer Hauswand gelehnt, die Arme vor der Brust, vor der auch eine seiner Hände ruht, die andere berührt sein Kinn. Vielleicht soll es cool aussehen. In dem Trenchcoat jedoch, wirkt er unheimlich. Das unterstreichend durch den tief in sein Gesicht geschobenen Hut mit breiter Krempe. Beides in beige gehalten.

Als hecke dieser Typ etwas aus, von dem Corvin Abstand nehmen muss.

Und genau das will er darin tun, dass er schnell an diesem komischen Typ vorbeigeht.

„Hey!“, ruft dieser plötzlich und Corvin hofft, er meint nicht ihn. „Karsten? Kunibert? Karneval? Du da, mit dem komischen Namen! Warte mal kurz!“

Ein Erzittern geht durch seinen Körper. Von den Schultern an, bis zu den Füßen. Mit diesem stellt sich jedes noch so feine Härchen an ihm zu einer Gänsehaut auf.

Corvin weiß nicht zu sagen, ob das ist, weil dieser Junge seinen Namen so verhunzt, dabei findet er ihn gar nicht so ungewöhnlich, oder weil dieser Kerl unzweifelhaft ihn meint.

„Meine Mama sagt, ich darf nicht mit Fremden mitgehen“, spricht er rein instinktiv. Der Wunsch abzuhauen wächst. Dieser Junge ist ihm einfach nicht geheuer. „Ich darf auch nichts von ihnen annehmen.“

„Hey!“, schreit der Junge entrüstet auf. „Sehe ich denn für dich wie irgend so ein Perverser aus, der kleine Kinder anquatscht?“

Darauf bleibt Corvin tatsächlich stehen. Er sieht zu dem Jungen, diesem in seinen Trenchcoat kurz musternd, und nickt dann.

„Gewöhnlich findet man unter solchen Dingen nichts, was einen erfreut“, urteilt Corvin und hat jetzt einen Jungen vor sich, dessen bis eben zu einem Lächeln verzogenen Mundwinkel nun in ihrem Schock herunterfallen. Die Augen hinter der dunklen Sonnenbrille glotzen sein Gegenüber verdattert an.

„Keine Sorge, ich werde mich nicht vor dir ausziehen“, will er Corvin versichern.

„Du willst mir auch keine gefälschte Rolex verticken?“

Die Sonnenbrille rutscht in dem zweiten Schlag ein Stück seine Nase herunter, sodass Corvin nun von einem paar harmlos wirkender brauner Augen betrachtet wird.

„Ein Hehler bin ich auch nicht“, beteuert der ältere Junge. Er deutet auf sich selbst. „Man nennt mich Mister Love.“ In diesen Worten schiebt er seine Brille wieder zurück und nimmt den Hut ab, um damit Kunststücke zu vollführen, so wie er es sieht.

Corvin findet es eher lächerlich als cool.

„Ich bin da, sobald jemand Hilfe in Liebesdingen braucht. Und ich habe gehört, du hättest einen Liebesbrief bekommen. Da du nicht sehr geübt in solchen Dingen wirkst, will ich dir helfen.“

Er winkt das ab.

„Ich habe keinen Liebesbrief bekommen“, sagt Corvin. „Von wem denn auch? Ich bin gerade mal eine Woche hier.“

„Das geht manchmal schneller, als man denkt“, meint der selbst ernannte Mr. Love. „Du hast einen Liebesbrief bekommen.“

Corvin ist es jetzt, der den Jungen anglotzt, als hätte dieser etwas unverständliches gesagt.

Wenn er so an seinen Tag denkt, kann es ein paar Dinge erklären.

„Warte mal kurz!“, sagt Corvin und erhebt einen Finger seiner Hand, in Andeutung, er wolle nur eine Minute Zeit haben. Dann lässt er seine Tasche von seiner Schulter in die Hand rutschen.

Was zuerst langsam ist, von der Bedeutung dessen abgebremst, wird beim Durchsuchen seines Rucksacks zum Chaos.

Corvin wirft den aussortierten Inhalt davon achtlos ins Gras. Überprüft alles, was groß genug sein kann, einen Brief zu verstecken oder eine kleine Nachricht. Lässt Bücher durch seine Hand gleiten, dreht sie um.

Gerade, als er bei seinem Mathebuch angekommen ist und dieses weglegen möchte, fällt ein Brief im Antiklook zwischen den Seiten heraus.

Er bückt sich und nimmt ihn zwischen die Finger. Erst verwirrt, dann hebt er ihn an die Stirn. Sein vor Gram verzogenes Gesicht dahinter verborgen.

„Kein Wunder, dass sie sauer auf mich ist.“ Wenn er von Leah ist, erklärt das wirklich alles.

Aber ein Liebesbrief? Dafür kennen wir uns zu kurz.

Corvin lässt sich auf den Weg niedersinken.

Für ihn kommt diese Entwicklung vollkommen unerwartet. Er hätte es sich auch nie vorstellen können.

Aber es muss kein Liebesbrief sein, wie dieser ihm unbekannte Junge behauptet.

Dafür muss sich Corvin erst einmal überwinden, ihn zu öffnen.

Und dabei kann ihm kein selbsternannter Mr. Love helfen.

Das muss er selbst tun. Nicht hier und auch nicht jetzt.

Corvin steckt den Brief zurück ins Buch, dass er in seinem Rucksack verstaut. Wie die anderen Dinge, die hier verstreut auf dem Boden liegen. Dann steht er auf, dem Jungen die Hand entgegen gestreckt.

Höflich, wie er ist.

Der andere nimmt diese nach einer kurzen Verwunderung zu einem verabschiedenden Handschlag.

„Na dann, danke ich für den Hinweis“, sagt er. „Wir sehen uns sicher ein anderes Mal oder hoffentlich nicht.“

Er dreht sich um und geht.

„Hey!“, ruft Mr. Love aus, als Corvin zehn Schritte gegangen ist. „So war das nicht geplant. Du brauchst mich! Wer soll dich denn anderes durch diese neue Situation führen, als Mister Love?“

Und egal ob Corvin meint, er braucht niemanden, folgt ihm der Junge.


Ist es ein Fehler, sich von dem Jungen begleiten zu lassen? Diesem selbst ernannten Mr. Love.

Corvin kennt ihn nicht und weiß nicht zu sagen, wie seine Gasteltern auf diesen definitiv verrückten Typen reagieren.

Sie haben ihn gut aufgenommen und er möchte nicht, dass sie es als Fehler sehen.

Wenigstens gelingt es Corvin diesen schrägen Kerl an der Tür zum Block loszuwerden.

In der Wohnung lässt sich Corvin erschöpft und beruhigt an die Tür sinken. Erlöst, wie er denkt.

Keine Minute später schrillt die Klingel in seinen Ohren und der Junge zuckt zusammen.

Dabei kann der Unbekannte doch nicht wissen, wo meine Gastfamilie wohnt. Ich habe es niemandem gesagt. Und nicht einmal in meiner Klasse bin ich so sehr mit jemandem befreundet, dass ich ihn hier eingeladen habe. Er kann es nicht wissen!

Oder?

Wieder ein aufdringliches Schrillen.

Unter jedem davon zuckt Corvin zusammen.

Er geht ans Fenster.

Was er dort unten erkennt, ist ein Junge, an den gerade ein Schrei ergeht.

Nicht einmal das hindert ihn daran, auf jede Klingel zu drücken. Eine gehört nun mal zu dieser Wohnung.

Corvin nimmt seinen Rucksack und daraus das Mathebuch, in dem der Brief verwahrt liegt.

Seinen Rucksack wirft er in die Ecke, das Buch legt er auf einen Schrank im Flur. Nur der Brief folgt ihm nach unten.

Zur Belohnung an die Hartnäckigkeit dieses Unbekannten.

Und kaum unten angekommen, ergehen weitere Schreie an den Störenfried. Die nun auch ihn treffen.

Zigeuner, ist noch das harmloseste Schimpfwort, das zu ihm findet.

Dabei kann Corvin für sich ausschließen Roma-Blut in seinen Adern zu haben.

Deswegen achtet er nicht sonderlich darauf, lässt es vorbeiziehen. Anders der Unbekannte an seiner Seite, der da ganz gut gegen halten kann.

Corvin geht los, den anderen ihm folgen wissend.


Ein Stückchen weg vom Block, an einer Bank, lässt sich Corvin seufzend nieder.

„Ich möchte hier in Ruhe eine schöne Zeit verleben“, klagt er dem Unbekannten. Sein Kopf sinkt in seine Hand, als könne er so alles vergessen oder ungeschehen machen. „Und schon gar nicht negativ auffallen.“

„Das kann ich mir vorstellen“, kommentiert der selbst ernannte Mr. Love nickend.

Corvin rollt seinen Kopf so, dass nun sein Kinn in der Handfläche liegt. Sein Arm hat er auf dem rechten Oberschenkel abgestützt.

„Sag mal, wie heißt du eigentlich?“

„Mister Love!“, brummt der Unbekannte selbst verliebt aus.

„Ich meine, den Namen, bei dem dich deine Eltern rufen“, versucht es Corvin auf andere Art.

Einen Moment überlegt der andere Junge sogar.

„Man, das wird ein hartes Stück Arbeit, meine Eltern davon zu überzeugen, wie gut das in Wahrheit klingt. Nenne mich einfach Mister Love! Deinen persönlichen Begleiter in Liebesdingen!“

„Du hast eine Scheibe locker.“ Gewöhnlich verkneift sich Corvin solche Sprüche. Hier stimmt es.

Er wendet sich dem Brief zu.

Dem Umschlag wurde eine vergilbte Färbung verliehen, als sei er über Jahrzehnte vergessen worden. Doch dem Geruch und der Beschaffenheit des Papiers nach, ist er einfach nur so eingefärbt worden.

Nachdem Corvin ihn geöffnet hat, erkennt er, dass auch das Briefpapier in diesem Stil gehalten ist.

Statt des von dem Unbekannten so ersehnten Liebesbriefes, stehen nur wenige Worte darauf.


Wollen wir am Donnerstag zusammen Essen gehen? Es gibt da diesen Italiener um die Ecke. Ich werde dir selbstverständlich ein leckeres Essen kochen. Bei mir einer Freundin zuhause. (Notiz von der Autorin: Durchstreichen ist leider nicht möglich. Daher muss ich mir mit Unterstreichung behelfen. Denkt es euch einfach durchgestrichen.)


Der Junge hinter ihm, liest nicht nur mit, er wiederholte die Worte in einem verträumten Ton, ohne die Streichungen mitzulesen.

Dabei ist das kein Liebesbrief. Nur eine Einladung zum Essen.

Und so sauer, wie Leah in der Schule gewesen ist, hat er nicht vor, sie auch darin zu enttäuschen.


Corvin ist gerade in Gedanken, als er von dem unbekannten Jungen hochgezogen wird.

„So, jetzt müssen wir nur noch mit der Vorbereitung für das Date beginnen“, sagt dieser, obwohl Corvin es nicht einmal als richtiges Date sieht. Auch, wenn er nicht weiß, wie er es sonst bezeichnen kann. „Am besten beginnen wir darin, dir mal zu ein wenig Farbe zu verhelfen. Dieser blässlich, kränkliche Typ mag zur letzten Welle an Vampirfilmen in gewesen sein aber die ist jetzt vorbei!“

Corvin sieht verwirrt zu dem Jungen auf.

Das sieht er auch nicht so.

Aber er kann sich nicht dagegen wehren, dass ihn der Junge mit sich zieht.

Und etwas in Corvin ahnt, dass es ein Fehler sein wird.


In dem kleinen Einfamilien Haus, dass in hellen Farben gehalten ist, äußerlich wie innerlich, platziert er sich vor dem Spiegel.

Mit seiner Hand schiebt er sein Haar zurück.

Covin findet sich alles andere als zu blass.

Ein wenig schon. Aber nicht so schlimm, wie dieser Junge es beschreibt.

Das ist völlig übertrieben!

Er zieht in Unterstreichung dieses Gedanken vor dem Spiegel eine Grimasse, die erst endet, als eine Frau eintritt, die ein Tablett mit sich trägt, dass sie auf einem Tisch abstellt. Auf diesem stehen zwei Gläser für die Jungs, die sie nun mit Saft aus einer Karaffe füllt.

Beides stellt sie vom Tablett auf den Tisch. Die Gläser sowie die halb gefüllte Karaffe, damit sich die Jungs nachschenken können.

„Einen niedlichen Freund hast du da mitgebracht, Maurice“, sagt die Frau.

Corvin sieht den Anderen strahlend an, als wolle er sagen: Siehst du! Dass ich nicht gerade Strandbräune habe, interessiert keinen!

Dieser übergeht dies und nimmt Corvin in einem Griff um seinen Hals gefangen.

„Er ist ein Austauschschüler, der vor kurzem in Maris Klasse kam. Aus irgend einem rumänischen Dorf. Karl, oder wie er heißt. Ich dachte, ich zeige ihm mal die Vorzüge der Zivilisation.“

„Corvin!“, jault er auf und will sich aus dem Griff befreien, der ihn bei Maurice behält. Dieser ist aber so stark, dass ihm sogar die Worte mit samt der Luft abgedrückt wird. „Und Stadt, nicht Dorf!“

Die Frau lacht auf und meint dann die beiden Jungs alleine lassen zu können.

Corvin ahnt, dass dies ein Fehler sein wird.

Aber jetzt, wo sie fort ist, kann er sich endlich aus Maurices Griff befreien.

Hustend lässt er sich auf den Boden fallen.

„Als ob Maurice als Name besser ist!“, macht Corvin seiner Wut Luft.

„Stimmt!“, meint der Andere und lacht selbstverliebt auf. „Mr. Love passt besser aber versuch das mal meinen Eltern zu erklären.“

Genau an dem Punkt will Corvin nichts mehr dazu sagen. Lieber lenkt er zu einem anderen Thema.

„Und in welchem Verhältnis stehst du zu Mari?“, will er in seiner Neugier wissen und richtet sich auf.

„In einer, in der ich als großer Bruder nicht zulasse, das ein Junge von ihr nascht“, spricht der Ältere.

„Das habe ich bestimmt nicht vor“, meint Corvin. „Sie ist schließlich kein Kuchen.“

Maurice legt ihm die Hand auf den Kopf.

„Mädchen können leckerer sein“, sagt er in einem Tonfall, als hätte er ein unwissendes Kind vor sich. „Das wirst du auch noch mitbekommen. Aber jetzt zurück zur Datevorbereitung.“


So oft sich Corvin sagt, es sei kein Date. Kein richtiges! Er weiß auch nicht, wie er sich gegen den Jungen wehren soll, der ihn vor ein Solarium führt.

„Meine Mutter wird das nicht mögen“, spricht er mehr in Gedanken aus, als zu Maurice. „Sie spricht da meist von der erhöhten Gefahr von Hautkrebs und dass die Hautalterung schneller voran gehen soll.“

„So siehst du auch aus“, kommentiert Maurice die Aussage und klopft ihm gerade, als Corvin verwirrt zu dem Jungen sieht, hart auf dem Rücken.

Corvin macht darunter einen Schritt auf das Gerät zu.

„Na wegen der Angst vorm Älter werden. Blass wie die Wand!“

Ist das nicht mal genug?Corvin sieht ihn wütend an.

„Ich stell dir die Maschine ein!“, bestimmt Maurice.

„Da muss ich dann wohl durch“, klagt sein Begleiter leise.

Und was kann Corvin auch anderes tun, als den Wünschen des Anderen folgen.

Zuerst, indem er all seine Sachen bis auf die Unterhose auszieht und sich dann auf die Maschine setzt.

Das Licht geht an und blendet ihn mit seiner ungewohnten Helligkeit.

Maurice benötigt Zwang, damit Corvin sich hinlegt und er den Deckel schließen kann.

Corvin blinzelt und sieht dann nach unten zu seinen Zehen, die sich bewegen.

Ganz in das blaue Licht der Röhren getaucht, ähnelt er mehr einem Schlumpf im Toaster. Dazu wirkt es auf ihm beengt.

Er bräuchte seinen Fuß nicht einmal weit heben, den Deckel zu berühren.

Außerdem erinnert sich Corvin daran, dass man gewöhnlich eine Brille zum Schutz der Augen trägt. Vorsichtshalber schleißt er diese lieber.

Wenigstens die sollen kein Licht abbekommen, auch wenn es nicht viel hilft und das blaue Licht durch die dünn Lider auf ihn einfließt.

„Was soll ich die ganze Zeit hier drinnen machen?“, will er wissen.

„Entspannen!“, kommt es von draußen. „Genieße es und stell dir vor, du liegst am Strand. Der Weiche Sand breitet sich unter dir aus. Du hörst das Rauschen der Wellen.“

Maurice untermalt das darin, dass er versucht ein Wellenrauschen mit seiner Stimme nachzumachen. Kurz drauf setzt ein richtiger Ton mit einer Standaufnahme ein, die er mit seinem Handy abspielt, dass er in der Nähe des Solariums platziert.

„Eine Möwe setzt neben dir zur Landung an.“ Maurice macht den Schrei einer Möwe nach.

Einer sterbenden!

Corvin kichert leise und hofft, Maurice kann es nicht hören.

Da der seine Worte fortführt und weiter Wellenlaute macht, scheint es ihm verborgen geblieben zu sein.

„Du wirst vom Wasser fort getragen. Weit aufs Meer und in die pure Entspannung.“

Corvin hört, wie der Junge ein Magazin aufschlägt und die Seiten umblättert.

Wenigstens einer von ihnen hat in der Zeit ein wenig Unterhaltung.

Corvin nervt dieses Wellenrauschen eher, als dass es ihn entspannt. Lieber wäre im Musik.

Er beschließt tapfer durchzuhalten.


Die Langeweile in dieser Röhre wächst zu einer schieren Endlosigkeit des Rauschens und von Maurices Stimme an, die manchen Kommentar einwirft.

Das Ende kommt für Corvin so erlösend, dass ein tiefes Seufzen über seine Lippen kommt. Er kann es nicht verhindern, dabei will er sich bei Maurice trotz des Bedrängens am heutigen Tag nicht unbeliebt machen.

Dieser will die Lippen zu einem Spruch öffnen, doch diese werden beim Blick auf Corvin ganz schmal.

„Was ist denn los?“, will der Junge wissen. „Bin ich dir jetzt Braun genug und das alles hat endlich ein Ende? Oder gibt es noch irgendwelche anderen Dinge, die heute auf dem Plan stehen?“

„Das Ergebnis war so nicht geplant“, findet Maurice zu Worten, deren Bedeutung Corvin erst klar werden, als er sich aufgerafft hat und vor dem Spiegel getreten ist. Seine Augen öffnen sich weit.

Zuerst an einen Scherz glaubend, der sich dann in Kummer umwandelt.

Nur übertroffen durch den Schrei einer Frau, die genau jetzt ins Zimmer kommt und es für Corvin nicht einmal das unangenehmste ist, in Unterhose vor ihr zu stehen.

„Sagt mal, was stellt ihr Jungs hier an?“, fragt sie in den Raum. Zuerst schaut sie zornig zu Corvin, dessen Tränen in den Augen reichen, um ihm sämtliche Schuld daran loszusprechen, dann sieht sie streng zu Maurice. „Wie lang hattest du ihn da drinnen. Die ganze halbe Stunde?“

Sie überprüft die Einstellung des Solariums.

„Ich musste doch sichergehen“, meint Maurice kleinlaut und trotzig.

„Was?“, will die Frau in ihrem Wutschrei wissen. „Wie viel es benötigt, einen Menschen zu braten?“

Darauf folgt eine Standpauke, die darüber aufklärt, welche Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit einem Solarium zu treffen sind und das sie es ihm nur erlaubt, solange er mal zehn Minuten pro halben Jahr darunter liegt. Was sich jetzt in einem Verbot auswirkt.

Nicht einmal das tröstet Corvin über das hinweg, was er im Spiegel sieht und sich nicht einmal durch seine Kleidung verdecken lässt.

Das seine Haut knallrot wie eine Erdbeere ist, dort, wo sie den Strahlen des Solarium ausgesetzt worden ist.

Was ein richtiges Desaster ist, wo ihn Leah doch zum Essen eingeladen hat.

Für ihn mag es nicht die Bedeutung eines richtigen Dates haben und doch will er sich nicht vor ihr lächerlich machen.

Dann noch so in die Schule müssen oder sich überhaupt in die Öffentlichkeit zu trauen.

„Mammi“, jault er leise vor sich hin. „Ich will niemals wieder an den Strand!“

Am Ende des Tages findet er sich in der tröstenden Umarmung der unbekannten Frau wieder, die ihren Neffen zornig anschaut.

Nichts davon kann ungeschehen machen, was auch am nächsten Tag anhält.


Seit sie diese Idee mit dem Brief gehabt haben, kann Leah eine gewisse Aufregung nicht verleugnen.

Es ist eine Sache neben ihm in der Schule zu sitzen, mit ihm zu plaudern, aber eine ganz andere, Corvin zu einem Date einzuladen. Und besonders, ihm einen Brief zuzustecken, der zudem mit einem Frauenparfüm beträufelt worden ist – Maurices Idee – und einen Tropfen ihres Blutes neben der Unterschrift trägt – ebenfalls von Maris Bruder angeregt.

Sie fand das albern aber Maurice hat so eine Art, mit der er bekommt, was er möchte. Darunter leidet besonders Mari.

Nach der Pause hat Leah noch gehofft, ihm fällt es sofort auf, was nicht der Fall gewesen ist. Oder hat er den Brief gefunden und es ist Corvin egal?

Diese Ungewissheit macht sie verrückt!

Nicht einmal Mari gelingt es, ihre beste Freundin abzulenken.

Zum Glück sind sie wenigstens Maurice losgeworden, der ihnen schrieb, er hätte gerade ein neues Spielzeug entdeckt. Was das ist, bleibt er ihnen schuldig.

Leah ist das egal. Ihre Gedanken sind einzig bei Corvin und wieso er keine Reaktion auf den Brief gezeigt hat.

Dann rückt der neue Tag an.

Von Corvin fehlt zuerst jede Spur.

Der Platz neben ihr wirkt verlassen. Dabei ist er gewöhnlich einer der Ersten.

Genau das ist der Punkt, an dem sich die ersten Zweifel in sie stehlen.

Habe ich ihn mit meinem Brief bedrängt? Kommt er deswegen zu spät? Will er überhaupt noch neben mir sitzen?

Erst kurz vor Stundenklingeln, schleicht der Junge durch den Raum an ihr vorbei auf seinen Platz.

Die Jacke zieht er aus, unter der er bisher einen dicken Pullover getragen hat und versteckt sich nicht nur hinter einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze und einer Sonnenbrille. Kaum sitzt er, hat Corvin eine Mauer aus Büchern um sich errichtet.

„Wegen deinem Brief“, spricht Corvin während des Unterrichts leise zu ihr. „Es ist sehr nett, dass du mich einlädst, aber können wir das verschieben?“

„Wieso?“, will sie wissen. Zu laut. Kurz schaut sie beschämt zu ihrem Lehrer, der meist so ein Drama aus einem einzigen, störenden Laut macht, als sei man gerade mit Heli im Klassenzimmer gelandet.

Leah wendet sich wieder Corvin zu und wiederholt ihre Frage.

„Im Moment passt es nicht so ganz“, antwortet Corvin ihr, was das Mädchen nicht gelten lässt. „Versprich mir nicht zu lachen!“

Leah nickt auf Corvins Forderung, für die er sogar über seinen Berg aus Büchern drüber lugt.

Was soll es auch für eine Katastrophe geben, die einen solchen Abend ruinieren könnte? Ein Megapickel auf der Stirn? Für Leah schon ein Grund, einen solchen Abend anzuzweifeln. Bei ihm würde sie das weniger stören.

Hauptsache ist, er kommt.

Genau das sind ihre Gedanken, als Corvin seinen Kopf anhebt.

Seine Wangen sind vielleicht vor Scham gerötet. Nur fällt das nicht auf.

Gesicht, Hände, eigentlich alles, was sie von seiner Haut sieht, ist von einem Sonnenbrand knallrot. Auch wenn sich Leah nicht erklären vermag, wie man sich den im Frühling einfangen kann.

Und sie versucht es wirklich … Ihre Lippen pressen sich fest aufeinander. Sogar ihre Zähne versuchen diese in einem Biss festzuhalten. Dann bricht es aus ihr heraus.

Leah prustet los. Ihr Lehrer und ihre Klassenkameraden sind ihr in diesem Moment egal, von denen sogar einige ihren neuen Klassenkameraden aufziehen.

„Da hat ja mal einer endlich ein wenig Farbe ins Gesicht bekommen“, meint einer von ihnen.

„Ha, ha, ha“, macht Corvin. Sein Kopf landet auf dem Tisch, die Hände schlägt er über seinem Kopf zusammen. „Wahnsinnig lustig, Leute! Lacht alle nur darüber, dass ich so aussehe, als hätte ich im Toaster geschlafen.“

Seine Stimme klingt so gefüllt von Kummer, dass es Leah leid tut. Und doch fällt es ihr schwer, sich zu beherrschen.

Test #6: Dinner 4 two


 


Maurice bestellt Leah für den Donnerstagnachmittag in seine Wohnung. Über das Essen soll sie sich keine Gedanken machen, er bereitet alles vor.

Leah hat deswegen vorher mit Mari gesprochen, die ihrer besten Freundin nur viel Glück gewünscht hat. Ihre Beschreibung von Maurice als selbsternannter Sternekoch lautet wie folgt.

Er wollte seine Familie einmal mit Nudeln und Tomatensoße überraschen. Jedoch scheiterte Maurice schon daran das Wasser aufzusetzen. Er ist einfach ein Fall, bei dem sogar das Wasser wirklich anbrennt. Besonders, wenn sich der Koch nur ganz kurz zum Zocken zurückzieht und dabei ganz den Topf auf dem Herd vergisst.

Das Wasser war schnell verdunstet und das einzige, was Maurice in der Küche erwartet hat, war eine Dunstwolke vom verbrannten Boden des Topfes.

Leah schluckt nach der Erzählung hörbar.

Zumal es sich anhört, als muss sie damit ihr Leben in Maurices Hände legen.

Sie hofft wenigstens von Mari an dem dafür bestimmten Tag aufgefangen zu werden. Doch, als Leah in die Wohnung kommt, ist ihre beste Freundin nicht mehr da.

Das bedeutet, sie ist mit Maurice ganz alleine!

Als dieser sie mit einem Lächeln bedenkt, zuckt sie automatisch zusammen.

Leah, Süße, überlasse mir die Gerichte, du kannst schon mal den Tisch eindecken!“

Was nichts anderes bedeutet, als: Ihr weiteres Leben ist ganz auf Maurices Können angewiesen.

 

Ganz wie Maurice ihr zudenkt, richtet Leah den Tisch her.

Dabei nimmt sie eine der weißen Tischdecken heraus und legt sie über den in kolonialbraun gehaltenen Esszimmertisch.

Zudem weiß sie aus Filmen, dass zu einem romantischen Essen immer Kerzen gehören.

Leah sucht so lange in den Schränken, bis sie einen Leuchter mit dazugehörigen Kerzen findet. Diese daran zu befestigen zeigt sich tückischer als gedacht.

Letztendlich siegt sie. Zwar hängt die Kerze dann schief aber solange sie ihren Zweck mit brennen erfüllt, ist Leah das egal.

Sag mal, was trinkt dein Vampirfreund eigentlich?“ Maurice steckt seinen Kopf durch einen Spalt in der Tür. „Wein, Gin, Scotch? Ich habe mal gelesen, Vampire trinken nur Alkohol.“

Er ist 14“, ihre Stimme nimmt einen schockierten Klang an.

Ihr seid es, die meinen, er könnte ein Vampir sein“, hält Maurice ihr vor. „Wenn er euch schon über solche Dinge im Unklaren lässt, vielleicht hat er dann auch über sein Alter gelogen.“

Corvin trinkt keinen Alkohol“, beharrt Leah. Dabei denkt sie an ihre erste Begegnung mit ihm. Und wie es ihm ging. Corvin verträgt definitiv nichts.

Maurice zieht seinen Kopf wieder ein.

Leah kann sich damit wieder ganz auf den Tisch konzentrieren.

Ein letztes Finish mit Kunstblumen und Dekokram, den sie in den Schränken gefunden hat.

Beendet kann sie Maurice helfen.

Denkt Leah …

Dort angekommen ranzt der Junge sie an, es sei sein Bereich.

Er habe sich so viele Gedanken darüber gemacht, was für Speisen er reichen kann, um den Vampir im Gast hervorzulocken. Welche Speisen er überhaupt bevorzugen könnte. Außer Blut natürlich, an das er nicht so leicht kommt.

Maurice fragt sogar Leah nach einer kleinen Spende, die darauf entschieden mit dem Kopf schüttelt.

Das kommt schon mal gar nicht in Frage.

Sie will schon gehen, doch hält im Schritt inne.

Du hast deine Eltern mit Mari ins Kino geschickt?“, spricht sie seinen Plan für den heutigen Tag an. „Klappt das denn? Sind wir hier fertig, sobald sie nach Hause kommen?“

Alles kein Problem“, meint Maurice. Sein Schneidemesser führt er in einem Bogen über sich, als sei er ein Maler, der für seinen nächsten Pinselstrich ausholt und das Geschnippselte vor sich als sein neustes Kunstwerk sieht. „Ich war letztens bei meiner Tante und habe fallen lassen, wie bei euch das Thema Vampire gerade wieder angesagt ist. Und wie sehr sich meine Mutter und Mari freuen würden, mit ihr mal wieder einen Film in die Richtung zu schauen. Aus einem Film wird da schnell der Marathon einer ganzen Filmreihe.“ Maurice grinst bis über beide Backen. „Das ist die ideale Ablenkung! Einfach perfekt!“

Leah versteht nicht ganz, was daran gut sein soll. Immerhin gibt es da noch eine Person, die sich sicher nicht davon anstecken lässt.

Was ist mit deinem Vater?“, möchte sie wissen. „Begleitet er sie oder hat er sie nur hingebracht? Wenn ich da an meinen Vater denke. Der würde sich freiwillig so was nie antun.“

Sie rollt mit den Augen.

Als ob es so schlimm ist, mal einen Film mit uns zu sehen.

Zum Glück ist meiner ne echte Lusche!“ Maurice lacht vergnügt auf. „Was hat der auch für eine Wahl mit zwei Frauen im Haus? Entweder er leidet still neben ihnen und hält Händchen, während seine Mädchen den Darstellern nach schmachten oder er bekommt die Strafe darin, dass sie ihn die nächste Woche ignorieren.“

Ein breites Grinsen verbleibt für einen Moment auf seinen Lippen.

Ich habe mich drum drücken können“, spricht er triumphierend weiter. „Immerhin haben wir da ein Wissenschaftsprojekt, an dem wir zusammen arbeiten können.“

Leah blinzelt den Jungen verwirrt an.

Ist der neue Klassenkamerad meiner kleinen Schwester ein Vampir?“, spricht er den Titel seiner Arbeit an, als sei er wirklich ein Wissenschaftler und sie eine seiner Studentinnen. „Ich kann dich damit doch nicht alleine lassen. Was, wenn deine Vermutung stimmt und der Junge doch ein fieser Blutsauger ist. Dann muss ihn schließlich jemand von deinem Hals fernhalten.“

Seine letzten Worte an sie.

Er scheucht sie aus dem Raum, damit Leah ihn nicht weiter bei seinen Vorbereitungen stört.


Die Wohnung ist gerade so groß gehalten, dass die Eltern beiden Kindern ein eigenes Zimmer bieten können.

Überall stehen voll geräumte Schränke, auf denen Kitsch zur Deko platziert worden ist.

Worüber hier die Mutter das Zepter der Gestaltung schwingt, findet sich auch in Maris Zimmer. Sie kommt mit ihrer Liebe zu Krimskrams ganz nach ihrer Mutter.

Leah stupst einen Bobblehead-Werwolf an, der auf einem Schmuckkästchen stehend grimmig auf einen ebenso großköpfigen Vampir blickt. Der Kopf wackelt eine Sekunde hin und her und kommt dann in der gleichen Position zur Ruhe.

Das Mädchen beschäftigt sich lieber in der Zeit mit dem ebenso wackelnden Vampir.

Sie lässt sich damit auf Maris Bett fallen. Der Vampir nickt in dieser Bewegung, die von Leah sogar weiter geführt wird, im Spiel mit der Figur.

Was soll sie auch sonst tun, um ihre Langeweile zu vertreiben?


Das Treffen mit Corvin ist für 18 Uhr angesagt. Somit muss sie beinah zwei Stunden mit dem Wackelkopf-Vampir rumbringen, eh sie die Essgewohnheiten eines echten Vampirs beobachten kann.

Daneben studiert sie Maris Buchsammlung, liest ein paar der Zeilen und versucht sich Notizen für weitere Tests zu machen, sollte ihnen auch dieser keinen Aufschluss geben.

Die Zeit geht langsam dahin. Es kommt ihr wie die Ewigkeit vor, die für sie nur in den Armen eines echten Vampirs schön sein kann. Dann endlich, ertönt das lang erwartet Klingeln an der Tür.

Leah stürmt dorthin, ehe Maurice ihr zuvorkommen kann.

Dieser jedoch klappert weiterhin mit seinen Töpfen.

Vielleicht hat er es sogar nicht gehört und Leah bekommt ein paar Minuten alleine mit Corvin.

Nachdem sie die Tür geöffnet hat, stellt Leah als erstes fest: Sie ist underdressed!

Statt ihr, ist es Corvin, der wegen seines Aufzugs verlegen wirkt.

„Meine Gastmutter hat darauf bestanden“, meint dieser sich sogar entschuldigen zu müssen. „Sie sagt: ‚Geht man zu ein Date, muss man sich gut kleiden.‘ Dabei habe ich ihr erklärt, dass es kein richtiges Date ist. Nur ein Treffen mit einer Klassenkameradin. Oder …?“

Er wirkt unsicher, fast schon flehend, sie möge daraus keine wirkliche Verabredung machen.

Leah ist zu sehr davon überrascht, als wirklich richtig zu reagieren, oder enttäuscht zu sein. Noch dazu sieht sie wirklich danach aus, als wolle sie ihre Freundin Mari treffen. Eine zerschlissene Jeans in hellem blau, über den der Saum eines bunten Pullovers mit weitem Kragen fällt.

Sie dreht sich um und fühlt sich das zweite Mal hoffnungslos underdressed.

Maurice, du hättest mir wenigstens den Tipp geben können, mich mal kurz in Maris Kleiderschrank nach etwas eleganterem umzusehen!

Leah sieht genau diesen an, der mit weißem Geschirrtuch über dem Arm auf Oberkellner macht und in seinem Outfit danach aussieht, als würde er in einem höhergestellten Restaurant bedienen.

Manchmal ist der Junge auf seine paar Bartstoppeln stolz. Doch er sieht ein, dass sie noch lange nicht für einen ordentlichen Bart reichen. Daher hat er sich mit einem Stift oder etwas anderem beholfen und einen Oberlippenbart mit spitzen Schwung nach oben aufgemalt.

Seine Finger tun so, als würde er diesen zwirbeln.

„Mademoiselle et Monsieur, würden sie mich in den Gastraum begleiten“, spricht Maurice mit einem falschen französischen Akzent.

Leah ist froh, dass ihre beste Freundin mit ihm verwandt ist, nicht sie. Auch so schämt sie sich im Moment für den Jungen.

Maurice gibt den Weg ins Wohnzimmer an, das in flackerndes Kerzenlicht getaucht ist zu einem Tisch und den dort vorbereiteten Plätzen.

Das zweite Mal an diesem Tag schwankt Corvin in seiner Vorstellung davon, dass dies kein Date ist.

Er mag versuchen seine Fassung zu bewahren, doch man merkt ihm an, wie verstört er davon ist.

Kurz nachdem Corvin sich gesetzt hat, schaut er entschuldigend zu Leah.

„Du … Ich … Wir kennen uns noch nicht so lange. Ich dachte, es sei wirklich nur ein Treffen zwischen Schulfreunden.“ Sein Blick wandert über den Tisch, dann zu ihr.

So verlegen, dass es süß ist.

Leah hofft inständig, was auch immer Maurice plant, es klappt und enttarnt Corvin als Vampir.

Das wäre stark!

Dann kann ich den Rest seiner Zeit hier darauf verwenden, ihn zu mehr als einem Date zu überreden. Einen echten Vampir zum Freund!

Leahs Lächeln zieht sich breit über ihre Wangen.

„Ist schon in Ordnung“, meint sie. „Wir sind nur Schulfreunde. Nichts weiter!“

Erst jetzt entspannt sich Corvin wieder und stimmt in ein Gespräch ein, aus einfachem Geplauder, in das Leah ihrerseits einige Fragen wirft.


„Bin ich wirklich zu blass?“, fragt er mitten drinnen verlegen.

Leah hat zuvor bemerkt, dass er die ganze Zeit etwas sagen möchte, ohne sich zu trauen. Lieber nutzt er Ansätze dazu, drumherum zu kommen oder ist froh darüber, wenn sie lange Pausen nutzt.

Vorsichtig schaut er zu ihr.

Im Licht der Kerzen fällt nicht einmal auf, was für ein schlimmer Sonnenbrand sein Gesicht immer noch rot färbt.

„Meine Mutter mag den Sommer nicht“, verrät er ihr. „Ihr ist es zu heiß. Du musst wissen, meine Heimat hat ungefähr die gleichen klimatischen Bedingungen wie bei euch. Dieses Jahr hat meine Mutter deswegen den Sommer über mit mir in Island verbracht. Sich dort im Hawaiihemd und mit Shorts zu sonnen, kann bei 10 Grad echt ungemütlich werden.“

Corvin schenkt ihr ein geringes Lächeln, dass verträumter wird, bevor er weiter spricht.

„Die Landschaft ist toll“, verrät er ihr. „Den Fjord entlang wandern oder zu Pferd ist wundervoll. Ich muss meine Mutter fragen, ob sie mir ein paar Bilder schicken kann.“

„Das würde mich freuen“, meint Leah darauf.

Vielleicht ist darunter auch ein Foto seiner Mutter. Die würde das Mädchen tatsächlich interessieren, falls sie wirklich seine leibliche Mutter ist.

Leah hat da ihre Zweifel.

Solange die Möglichkeit besteht, dass er ein Vampir sein kann, statt eines langweiligen Menschen.


Sie will gerade das Thema vertiefen, als Maurice das Zimmer mit dem ersten Gang betritt.

Einer Vorspieße aus zwei dunkelbraune Scheiben neben Kartoffelbrei und einer rötlichen Soße.

Zu ihrer Überraschung hat der Junge es so angerichtet, dass es ein Augenschmauß ist.

Leah hat nicht gedacht, dass Maurice das so ernst nimmt und sogar kochen kann.

Das erwartet sie nicht von Maris Bruder. Sogar Corvin wirkt begeistert.

Maurice stellt den ersten Gang als Panhas vor.

Dann wartet er gespannt darauf, bis beide unter seinem kritischen Blick ein Stück probiert haben.

Leah und Corvin kommen dem Wunsch skeptisch nach und erfahren ein Talent, wo sie es nicht erwarten.

Diese Vorspeise hat einen herben Geschmack, der durch die Soße Würze verliehen wird.

Gerade, als sie mit Essen beschäftigt sind, verschwindet Maurice in die Küche. Nur, um das vergessene Trinken zu holen, dass er für seine Gäste vorsieht.

Leah hofft inständig, es ist nicht mit seiner Spezialkreation versehen, wie angekündigt.

Instinktiv schüttelt sie sich, in Erinnerung daran.

Sie will auch nicht Corvin verunsichern, also überwindet sie sich, nach dem Glas zu greifen.

Auf dem Boden davon klebt eine wenige Millimeter hohe Schicht Himbeersirup, die aufsteigt und sich mit dem darüber gekippten Orangensaft verbindet. Eine ungewöhnliche und doch nicht schrecklich schmeckende Mischung.

„Selbst ausgepresst“, bemerkt Maurice und scheint ein Lob für seinen Aufwand zu verlangen.

Leah bemerkt, dass einer seiner Finger mit einem Pflaster versehen ist.

Sie hält den Jungen nicht für so wahnsinnig, für dieses Tests sich absichtlich geschnitten zu haben. Aber hat er einen Tropfen seines eigenen Bluts in die Getränke gemischt?

Der Gedanke an einen vampirischen Freund ist verführerisch. Was diese Nummer mit dem Bluttrinken betrifft. Darauf kann sie verzichten. Besonders, wenn es das von Maris großem Bruder ist.

Leider rauscht der auch schon zurück in die Küche.

Leah sieht wieder zu Corvin, dem der Saft schmeckt.

Ob Maurice wirklich einen Tropfen seines Blutes geopfert hat und es daran liegt? Leah muss Maurice deswegen unbedingt sprechen!

Noch nicht jetzt! Schon gar nicht in Corvins Gegenwart!

Es heißt, Vampire verfügen über geschärfte Sinne. Was dann wohl bedeutet, selbst, wenn ich zu Maurice in die Küche gehe, kann Corvin das vielleicht hören.

Was auch bedeutet, ich sollte mir in seiner Nähe jeden Pups verkneifen. Das ist schon bei einem normalen Jungen mehr als peinlich. Für ihn muss mein Duft dann die Note Sommerblumen frisch gepflückt von der Kuhwiese bekommen.

Irghs!

Leah lenkt ihre Gedanken von den Nachteilen an einem Leben mit Vampir zu dem hier und jetzt. Vor allem auf Corvin.

Erst einmal muss sie ihre Bestätigung bekommen, dass er ein Vampir ist.

Und sie weiß nicht recht, wie Maurice Plan das Bewerkstelligen soll.

Maurice räumt die Teller weg und kommt zum nächsten Gang.

Was auch immer Leah sich vorgestellt hat, der Junge übertrifft es. Sogar ein einfaches Steak schafft er so anzurichten, als seien sie in einem dieser vornehmen Restaurants, in die ihr Vater sie höchstens einlädt, wenn er mal echt Mist gebaut hat und ihre Mutter besänftigen muss.

„Bon appétit!“, wünscht Maurice und verbeugt sich dabei leicht. Ganz in der Rolle des französischen Kellners aufgehend. „Lasst es euch schmecken und ruft, wenn ihr noch etwas braucht!“

Maurice verlässt sie.

„Er scheint ein guter Freund!“, spricht Corvin den Einsatz des anderen für dieses Abendessen an. „So viel für die beste Freundin der kleinen Schwester zu tun.“

Leah hat gerade eine der Kirschtomaten auf die Gabel gepiekst, um sie in den Mund zu schieben. Corvins Worte lassen sie nicht nur einhalten, die Gabel fällt unter Scheppern auf den Teller zurück. Droht sogar darüber hinweg auf dem Boden zu fallen. Doch Leah kann sie noch aufhalten.

„Wie?“, fragt sie und blinzelt Corvin verwirrt an.

Ich habe nicht erwähnt, dass Mari und Maurice Geschwister sind. Woher weiß er das also?

Durch eine der Gaben, die Vampiren zugeschrieben werden?

Kann er Gedanken lesen? Liest er gerade jetzt meine Gedanken?

Leahs Augen weiten sich.

Er ist ein Vampir! Das ist der Beweis!

Corvin deutet mit einen Nicken zur Tür.

„Er ist mir letztens begegnet und hat es fallengelassen“, zerstört Corvin ihre Hoffnung ihn endlich durchschaut zu haben. „Dass er so viel für euch macht. Mari und du, ihr müsst glücklich sein, ihn zu haben?“

„Sprechen wir von diesem Maurice?“ Leahs Augen öffnen sich weit, ihre Gabel zeigt kurz zur Tür. Danach wandert sie in einem Schwung zum Tisch und ersticht das Steak, von dem sie ein kleines Stück herausschneidet. „Der Junge von eben? Mari wäre froh gewesen, hätten ihn ihre Eltern als Baby in einem Tierheim abgegeben.“

Ihre Worte werden vom ersten vorsichtigen Testen des Fleisches verschlossen.

Zugegeben! Es ist gar nicht mal schlecht!

In dieser Feststellung schüttelt sie den Kopf.

„Nein, du hast recht!“, gibt sie sogar zu. „Maurice kann einen mit seiner Art auf die Palme bringen aber er macht auch jeden Scheiß mit.“

„Solche Leute sind die wertvollsten!“, meint Corvin mit einem Lächeln auf den Lippen. Er schneidet ein Stück vom Fleisch ab, nimmt es auf seine Gabel …

Leah verfolgt mit ihrem Blick, wie es der Junge vor sich vom Teller zum Mund führt.

Sie ist so neugierig, wie ihm das Essen schmecken wird, als wäre sie es gewesen, die es zubereitet hat, nicht Maurice.

Einen Moment stiehlt sich eine Panik in sie. Corvin stoppt nach kurzem Kauen, im Wunsch, den Bissen zurück auf den Tisch zu spucken. Oder hat sie sich geirrt?

Muss sie! Da er augenblicklich weiter kaut und sie an seiner Kehle verfolgen kann, wie er schluckt.

Leah nimmt selbst ein Stückchen von dem Fleisch.

Wieder kostet sie davon und kann nichts Außergewöhnliches feststellen. Es schmeckt sogar ganz gut.

Genau, wie der Rest.


Dieser Gang verläuft recht still.

Hin und wieder wirkt Corvin so, als müsse er sich zwingen, überspielt es aber dann mit einem Lächeln.

„Das war sehr lecker“, kommentiert er mit leiser Stimme, als müsse er es herauspressen. Das Maurice genau jetzt mit einem kleinen Nachtisch hereinkommt, quittiere Corvin mit einem ganz kurzem Blick, der besagt, die Folter sei perfekt.

Leah hofft, sie hat sich geirrt aber kann eine leichte Enttäuschung nicht verheimlichen.


Nach dem Nachttisch werden die Gespräche nicht lockerer.

Corvin stochert nervös in den Resten auf seinem Teller herum. Dabei zeichnet er aus der goldenen Creme, die ihnen gereicht wurde, ein abstraktes Kunstwerk.

So hat sie sich dieses Date nicht vorgestellt.

Erst Maurices Erscheinen entspannt die Situation.

„Mademoiselle et Monsieur, ich hoffe, es hat ihnen geschmeckt“, fängt Maurice wieder in diesem vollkommen überzogenen französischen Akzent. „Zum Abklang des Abends bieten wir nun einen kleinen Film.“

Maurice deutet auf die Fernsehecke.

Er ist es auch, der alles einstellt, nachdem Leah und Corvin sich gesetzt haben.

Während der Film anläuft, eine Parodie auf die Filmreihe, mit der er seine Familie ablenken möchte, räumt er den Tisch ab.

Leah lehnt sich mit ihrer Seite gegen die Lehne der Couch. Ihren Kopf auf dem Arm abgestützt, zu Corvin gedreht.

„Entschuldige, falls es zu peinlich war“, spricht sie zu ihm.

„Nein, nein!“, wendet er kopfschüttelnd ein. „Es war nett.“ Corvin schaut zu ihr und lächelt. „Ihr habt euch sehr viel Mühe gegeben. Aber ich habe von Anfang an, eher so was …“ Er deutet zum Fernseher. „… erwartet.“

Damit meint er einen zwanglosen Abend.

Plaudern, Filme schauen. Einfach zusammen sein.

Leah lächelt ihn an und fühlt sich das erste Mal richtig gut.

Genau darin taucht Maurice auf, der mit einem Räuspern auf sich aufmerksam macht.

Und kaum haben sie ihn bemerkt, macht er schon Anstalten sich zwischen sie zu setzen.

Leah und Corvin müssen ein Stück rutschen, um ihm Platz zu machen.

„Meine Lieblingsszene“, holt er ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zum Bildschirm. Dabei vergisst er sogar seinen falschen Akzent.

Kaum ist der flache Witz vorbei, bricht der Junge in ein schallendes Gelächter aus.

Nicht Corvin, der schaut an ihm vorbei zu Leah.

Lächelnd und mit der Bitte im Blick, das irgendwann genau so zu wiederholen.

Nicht als Date aber vielleicht ins Kino, zu ihr oder ihm.

Genau das würde ihr gefallen.

„Willst du?“ Maurice hält Corvin eine Schale Nüsse hin.

Dieser jedoch lehnt mit erhobenen Händen ab. Mit dem Hinweis, er habe heute schon mehr als genug serviert bekommen.


Später am Abend – Corvin ist schon lange weg – stehen Leah und Maurice zusammen in der Küche.

Sie spült ab, der Junge trocknet die Teller und stellt gleich alles dorthin zurück, von wo er es hat.

Leah denkt gerne an den Abschied zurück.

Unter Maurices wachsamem Auge auf die beste Freundin seiner kleinen Schwester, hat sich Corvin nur getraut, ihre Hand zum Abschied zu nehmen.

Es war ein schönes Gefühl, dass ihre Hoffnung weckt, sie könnten wirklich Freunde werden.

Leider zerstört von Maurice, der ihn mit den gewinkten Worten verabschiedete.

„Kornelius, besuche mich bald mal wieder!“

Ihr Gast zuckte unter dem Ruf zusammen.

„Er heißt Corvin“, bemerkte Leah und kehrte ins Haus zurück.

Das war jetzt gut eine halbe Stunde her.

Sie lässt das Abwaschwasser nach dem letzten Topf ab, den sie Maurice reicht und fährt sich mit ihrem Arm über die Stirn.

Maurice mag alles bestimmt haben, ganz wollte sie ihn auch nicht mit der Arbeit alleine lassen.

„Ich kümmere mich um den Tisch“, meint sie, da hält Maurice sie auf.

„Lass mal! Geh du nach Hause. Meine Familie muss auch bald wieder da sein.“

Also folgt sie seinem Wunsch.


Es ist kurz nach 21 Uhr, als Mari mit ihren Eltern nach Hause kommen.

Als sie die Tür öffnen, wird alles von Kerzenschein erhellt. Ihr Bruder steht vor einem für drei Personen eingedeckten Tisch in seiner Version eines Kellners, seinen aufgemalten Bart zwirbelt.

„Madames et Monsieur, bitte nehmen sie Platz zu diesem Diner“, spricht er mit einem schrägen französischem Akzent und verneigt sich dabei.

Während Mari ihn ansieht, als hätte man ihn eine Stunde zu lang aus dem Fenster hängen lassen, fühlen sich ihre Eltern geschmeichelt und kommen der Aufforderung gerne nach.

Doch bevor Maurice gehen kann, hält ihn ihre Mutter zurück.

„Womit hast du das eigentlich aufgemalt“, will sie wissen und tut, was Mütter gewöhnlich tun, indem sie den aufgemalten Bart verreiben will. „Doch hoffentlich nicht mit einem Permanentmarker.“

„Mama!“, beschwert sich Maurice. „Lass meinen Bart in Ruhe!“

Er verschwindet in die Küche.

Zurück kommt er mit dem ersten Gang von dreien, die er mit einem gemeinsamen Film ausklingen lassen möchte.

Doch kaum sind die ersten Minuten dieser als Parodie gekennzeichneten Beleidigung eines guten Films angelaufen, schauen zwei wütende Frauen auf Maurice.

Der deutet zu seinem Vater.

„Das ist nicht von mir, Pappa hat den gekauft“, beschuldigt er diesen, der sich gerade eine Hand voll der Nüsse nehmen will. Nun ist er im Zentrum der Wut beider Mädchen.


Noch später in der Nacht, die Geisterstunde hat gerade begonnen, wird Corvins Gastfamilie von klagenden Lauten geweckt.

Diese führen zum Bad und einem Jungen der schon seit einer Stunden über Übelkeit klagt. Nun hängt er über der Toilette, sich wortwörtlich die Seele aus dem Leib kotztend.

„Du hast ihm doch nicht wieder Alkohol aufgezwungen“, beschuldigt die Mutter ihren Sohn, die sich an die erste Nacht ihres Gasts erinnert.

Dieser hebt abwehrend die Hände.

„Nein, deine Standpauke hat mir fürs erste gereicht. Ich habe daran keine Schuld.“

Corvin meint vom Boden, es sei nur eine Magenverstimmung. Kein Grund zur Sorge.

Doch als auch der Gastvater dorthin kommt und besorgt den Jungen mustert, bestimmt sie, ihr Mann soll sich anziehen, um den Wagen vorzufahren, um ihn ins Krankenhaus zu bringen.

Geschmackliche Auswertung




Wo stehen wir im Moment bei eurem kleinen Vampirexperiment?“, erklärt sich Maurice zum Rädelsführer. „Habt ihr schon irgendwelche Erkenntnisse getroffen.“

Er hat die Mädchen zu einem Milchshake eingeladen.

Dieses Mal sogar ohne Maurices Spezialsoße, wie Leah daran erkennt, das Mari genüsslich an ihrem Strohhalm zutscht.

Oder Maurices täglicher Vampir-Check hat ihre Geschmacksnerven so sehr zerstört, dass es ihr nichts mehr ausmacht.

Leah jedenfalls, schiebt ihren weg und lässt ihren Kopf dann auf Tischplatte sinken.

Wenn Corvin ein Vampir ist, dann können die krank werden“, eröffnet sie den Grund ihres Trübsal.

Was nichts heißen muss!“, kommt es von Maurice.

Leah sieht verwirrt zu ihm, worauf Maurice mit den Daumen und Zeigefingern seiner Hände vor den Augen eine Brille andeutet oder eher einen Hypnoseblick, wofür es bei ihm steht.

Man hört doch immer, Vampire können einem ihren Willen aufzwingen“, erklärt er dazu. „Wer weiß schon. Vielleicht wurde der Arzt von ihm beeinflusst. Damit er in ihm nicht den Vampir erkennt und ihm eine für Menschen plausible Diagnose liefert.“

Und das ist eine Lebensmittelvergiftung.“ Leah schlägt ihre Hände über dem Kopf zusammen. „Das ist unsere Schuld!“

Ist es nicht!“, wendet Maurice in starkem Ton ein, seine Worte mit einem Schlag auf den Tisch unterstreichend. „Ich habe alles Wissen über die vampirische Ernährungsweise zusammengetragen, damit so was nicht passiert!“

Leah kann nicht verhindern, dass Panik ihr Herz klopfen lässt.

Sie denkt an Donnerstagabend und Maurices verletzten Finger.

Men-schen-blut?“, fragt sie abgehakt, langsam und mit einer Angst in der Stimme.

Wo soll ich das denn bitte herbekommen?“, fragt Maurice sie und beschuldigt sie mit seinem Ton ein vollkommener Dummkopf zu sein.

Nach einem Seufzen nimmt seine Stimme wieder einen normalen Klang an. Geduldig ihnen alles erklärend.

Für meine Vorspeise habe ich Blutwurst gewählt, für den zweiten Gang ein Steak. Für dich durch, für euren Vampirfreund nur ganz kurz angebraten.“

Was auch erklärt, wieso Corvin so komisch darauf reagiert hat.

Sie kann ein halb rohes Fleischstück auf keinen Fall herunter bekommen.

Sie scheltet sich in Gedanken.

Immerhin soll Corvin ein Vampir sein! Das bedeutet, er kann eine andere Ernährungsweise haben. Da ist es von Maurice schon gut durchdacht gewesen. Und das erste Gericht hat ihm ja geschmeckt.

Woher hat mein Bruder der Gourmetkoch eigentlich die Zutaten?“, klinkt sich nun Mari mit einer Frage in das Gespräch ein. „Ich weiß, Mama hatte da ein paar Dinge für unser Wochenende im Kühlschrank und sich darüber beschwert, dass sie dank dir nun neu planen kann. Aber keine Steaks. Das letzte Mal, das wir welche hatten, war letzte Woche.“

Es waren noch zwei übrig“, antwortet dieser. „Unsere Mutter wollte die wegwerfen aber sie sahen noch gut aus. Die Farbe war ein wenig komisch. Aber ich koche gewöhnlich nicht und weiß daher nicht, was da normal ist. Beschwert hat sich jedenfalls niemand!“

Zu ihrem Glück liegt Leah immer noch auf dem Tisch.

Ihre Hände wandern zum Bauch, unter denen Übelkeit anschwillt.

Sie fühlt sich, als muss auch sie sofort ins Krankenhaus. Dabei geht es ihr gut. Anders Corvin, der wirklich eine Lebensmittelvergiftung haben kann. Natürlich nur, sollte er ein Mensch sein, dass hier am Tisch keiner will.

Wieso hast du keine frischen Steaks gekauft?“, will Mari wissen.

Es ist nicht meine Schuld, dass euer Vampirklassenkamerad gestern nicht in der Schule war! Mit dem Fleisch ist alles in Ordnung gewesen! Sie dir Leah an, der geht es blendend!“

Dem widerspricht, dass ihrem Gesicht alle Farbe entwischen ist.

Unsere Eltern geben mir nicht genug Taschengeld, um extra für euren Vampirfreund ein Abendbrot zu bereiten, bei dem fünf taiwanesische Jungfrauen gereicht werden!“ Er schmollt. „Außerdem dachte ich, er soll nicht gleich checken, was ihr wollt. Oder soll ich ihm das nächste Mal einen Blutcocktail oder eine Blutsuppe reichen? Da muss man kreativ werden und nehmen, was da ist!“

Dagegen sagt Leah nicht einmal etwas. Aber muss es gleich altes Fleisch sein? Ihr geht es, als würden Würmer durch ihren Magen und ihren Darm krabbeln. Sie nisten sich darin ein, begierig nach ihrem Fleisch zur Nahrung.

Dabei ist das nicht möglich!

Sie weiß, dass alles schon längst verdaut ist.

Und doch ist es so schrecklich das alles im Nachhinein zu erfahren.

Leah wünscht sich augenblicklich ins Krankenhaus.

Vampir-Check!“, ruft Maurice aus. „Immerhin war ich nicht die ganze Zeit bei dir. Wer weiß, ob euer Vampir nicht von der kleinen Leah genascht hat.“

Der Junge tastet nach ihrem Haar.

Leah sagt nichts und tut nichts. Sie dreht einfach nur ihren Kopf nach rechts, damit Maurice ihr Haar zurücknehmen kann.

Kein Biss!

Dann rollt sie ihren Kopf auf der Tischplatte nach links.

Auch hier ist ihr Hals unberührt.

Mund auf!“, befielt Maurice als nächstes.

Leah hat nicht genug Kraft sich dagegen zu wehren, also lässt sie zu, das Maurice ihr ein durchsichtiges Bonbon in den Mund schiebt. Anders Mari, die ihren Mund zupresst.

Dabei ist der Geschmack, von dem Leahs Mund erfüllt wird, gar nicht so schlecht.

Ihr Körper erhebt sich, das Grummeln im Bauch verebbt.

Maurices Bonbon schmeckt leicht nach Zitrone.

Sie schaut zu Mari, die ihren Mund weiterhin fest zuhält. Leah versteht nicht, dafür, dass Mari ihr signalisiert, sie braucht nur warten.

Dann endlich gelingt es ihrem Bruder ihr auch eines der Bonbons in den Mund zu schieben.

Wie geht es weiter?“, möchte der Junge wissen, der seiner Schwester signalisiert, sie soll sein Bonbon ja nicht ausspucken. Stattdessen schluckt Mari es in einem Stück herunter. „Das lasse ich auch zählen!“ Er setzt sich wieder gerade hin. „Was wollt ihr mit ihm machen, um eure Theorie vom Vampir zu bestätigen?“

Seine Stimme nimmt einen Plauderton an, als sei dies alles ein Spiel, dass man in gemütlicher Runde spielte.

Dabei bedeutet es Leah alles. Ihre Zukunft, in der ein echter Vampir als Freund eine Rolle spielen soll.

Sonnenlicht könnt ihr ausschließen“, meint Maurice, worauf ihn beide Mädchen verwirrt ansehen. „Ich dachte mir, wenn normales Sonnenlicht ihm nichts anhaben kann, wieso es so früh ausschließen. Man kann es doch in konzentrierter Form mal ausprobieren. Weggebrutzelt ist er nicht. Der hat nur einen Sonnenbrand bekommen. Wobei …“ Maurice hebt einen Finger an seine Lippen. „Ich bekomme nicht so schnell einen. Vielleicht ist er dann doch ein Vampir. Ausschließen kann man es somit nicht!“

Du hast Schuld daran, dass Corvin rot wie eine Tomate ist?“

Bei dir klingt das wie eine Beschuldigung“, meint Maurice zu Leah in einem schmollenden Ton.

„Weil er aussieht, als hättest du versucht ihn zu kochen!“

„Du hast die Sache vorgeschlagen! Ich unterstütze euch nur mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Also mach mir jetzt keine Vorwürfe, wenn es mal schief geht!“

„Lassen wir das Thema!“, mischt sich Mari ein. „So gerne, wie ich dabei zusehe, wie mein großer Bruder von meiner besten Freundin auseinandergenommen wird, wir sind wegen eines anderen Themas hier. Ist Corivin ein Vampir oder ein Werwolf?“

„Pech für dich Schwesterherz, er greift lieber zur Blutwurst, als zum rohen Steak!“

Jetzt kann sich Leah zurücklehne und die Schimpftirade von Mari gegen ihren großen Bruder lauschen, der seine kleine Schwester noch dazu anstachelt, dass er den geplanten Bettvorleger jetzt aufgeben muss, sowie das Flohpulver zurückgibt.

Leah ist es dieses Mal, die beide stoppt.

„Bis jetzt wissen wir nur, das er die Sonne verträgt, wir nicht wissen, ob das Silberkreuz aus echtem Silber war und wir niemanden kennen, der ihm frisches Blut anbieten würde. Wo können wir weiter machen?“

„Wie wäre es mit Sport?“, wendet Maurice die erste Hilfe an diesem Tag ein. „Es heißt, Vampire sind uns Menschen in der Schnelligkeit und der Kraft überlegen. Wisst ihr, wie er sich dort macht?“

„Wir haben am Freitag früh Sportunterricht. Aber du hast ihn genau an diesem Tag auf die Bank gesetzt!“, entgegnet Leah ihm.

„Dann beginnen wir halt genau dort!“

Das klingt nach einem Ansatz!

Leah lässt keinen Siegesschrei los, dafür zerbeißt sie das Bonbon und wünscht sich augenblicklich Maurice zu erwürgen. Vorher muss sie jedoch diesen schrecklichen Geschmack überleben, der ihre Zunge droht mit Säure zu zersetzen.

Sie hustet, würgt und bekommt kaum noch Luft.

Tränen kullern in dem Anfall aus ihren Augen, durch die sie auf Mari sieht, die ihr einen Blick schenkt, der besagt: Habe ich dich nicht gewarnt, dass es schlimm wird?

Test #7: ???

 

 


Es wird gerade getüftelt, gebrütet, Nagetiere werden gefüttert und alles für einen neuen Test vorbereitet.

Ideen gesucht!




Holzpflock, Kreuz, Weihwasser, Sonne, Silber. Es gibt viele Dinge, die einem Vampir in der Fiktion und Sagenwelt etwas antun kann. Oder das sie angeblich mögen. Kennt jemand noch ein paar, die beide Mädchen in die Tests an Corvin mit einbringen könnte?

Impressum

Texte: Juliet Revenge
Bildmaterialien: dpatrickst170 (deviantart.com)
Tag der Veröffentlichung: 21.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

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